Table.Briefing: China

Weißbuch zur Demokratie + Ampel uneins über Olympia-Boykott

  • Peking stellt “Weißbuch zur Demokratie” vor
  • Koalition uneinig über Olympia-Boykott
  • USA verbieten Importe aus Xinjiang
  • Hongkonger Verleger Jimmy Lai verurteilt
  • Olympia: Forderung nach Komplett-Boykott aus der FDP, Scholz bremst
  • WHO bittet um Patent-Freigabe
  • EU-Diplomat: Schlechte Aussichten für CAI
  • Sipri-Studie: Waffenindustrie wächst
  • Standpunkt: RLS-Studie zu China-Berichterstattung in der Kritik
  • Im Portrait: Magarete Bause macht sich für Menschenrechte stark
Liebe Leserin, lieber Leser,

was, wenn die Beteiligten an einer Konversation sämtliche Schlüsselbegriffe ganz unterschiedlich verstehen? Das lässt sich derzeit am Streit um die Deutung des Wortes “Demokratie” beobachten. Peking hat ein “Weißbuchs” herausgebracht, in dem es die Vorzüge der eigenen Form von Demokratie herausstreicht. Das ist eine Reaktion auf die Einberufung eines “Demokratiegipfels”, der seit Donnerstag virtuell stattfindet. Die Propagandisten der Volksrepublik wollen die Deutungshoheit über den Demokratie-Begriff übernehmen. Sie verweisen auf Chaos und Populismus in parlamentarischen Demokratien und loben die Vorzüge des chinesischen Stils der harmonischen Einbindung des Volkes in alle Prozesse. Die feinen Details der Argumentationen hat sich Michael Radunski angesehen.

Die USA eskalieren ihren schwelenden Konflikt mit China. Sie haben angekündigt, keine Regierungsvertreter zu den Olympischen Spielen nach Peking zu schicken. Damit sendet Präsident Joe Biden eine deutlich unfreundliche Botschaft. Auf diesen diplomatischen Boykott muss China entsprechend reagieren, schließlich hat Xi Jinping seine Person und sein Land als stark und durchsetzungsfähig stilisiert. Es wird also nicht bei dieser Ankündigung in Bezug auf ein Sportereignis bleiben. Washingtons Forderung setzt auch die neue Ampel-Koalition in Berlin unter Zugzwang, wie Felix Lee analysiert. Annalena Baerbock hatte zuletzt im Gespräch mit China.Table einen Boykott der Spiele in Erwägung gezogen.

Bidens Boykott ist zugleich eine Steilvorlage für die neue Außenministerin Annalena Baerbock für ihre eigene, menschenrechtsorientierte Außenpolitik. Sie hat angekündigt, die Lage in Xinjiang nicht zu ignorieren und sich um transatlantische Abstimmung zu bemühen. Wenn Deutschland den USA tatsächlich in den Boykott folgt, wäre der Effekt allerdings nicht noch so heftig. China könnte das mit dem schlechten Einfluss der USA erklären und die Beziehungen vorerst weiterführen. Denn China braucht Verbündete. Ganz klar ist jetzt aber: Die Zeit der heftigen geopolitischen Konflikte hat nicht zusammen mit der Ära Trump geendet.

Viele neue Erkenntnisse wünscht

Ihre
Ning Wang
Bild von Ning  Wang

Analyse

Das Ringen um die Deutung des Worts “Demokratie”

Diese Woche werden sich mehr als 100 Länder virtuell zum sogenannten Demokratie-Gipfel treffen. Initiator sind die USA. Themen des virtuellen Treffens am 9. und 10. Dezember sind der Kampf gegen autoritäre Herrschaftssysteme, die Bekämpfung von Korruption sowie die Förderung der Menschenrechte. Es ist klar erkennbar, welches Land die Führung in Washington mit einer solchen Agenda vor allem im Blick hat: China.

Dort ist man entsprechend aufgebracht (China.Table berichtete). 30 Jahre nach Ende des Kalten Krieges wolle Amerika wieder die Welt spalten in “wir” und “die”, klagt die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua. “Washington behauptet, mit diesem Treffen wolle man gemeinsame Werte fördern. Wirklich? Jeder mit nüchternem Verstand durchschaut diese List sofort: Die Veranstaltung hat nichts mit der Fortentwicklung der Demokratie zu tun, sondern nur mit der Sicherung der amerikanischen Vormachtstellung in der Welt.”

Chinas “gute Demokratie”

Doch China belässt es nicht mehr nur bei solcher verbal vorgetragenen Kritik. Es geht in solchen Systemkonflikten zunehmend in die Offensive. Und so präsentierte der Staatsrat der Volksrepublik am vergangenen Samstag ein offizielles Weißbuch mit dem Titel “China: Demokratie, die funktioniert”. In dem Papier wird Chinas eigene Demokratie vorgestellt. Ihr Name: 全过程民主 (quánguòchéng mínzhu), was als “whole-process people’s democracy” übersetzt werden kann. Das ist ein Begriff, den Staatspräsident Xi Jinping erstmals 2019 in Shanghai benutzte. Eine offizielle deutsche Übersetzung ist noch nicht geprägt. Er lässt sich vorläufig vielleicht als “ganzheitlich-prozedurale Demokratie” übersetzen. Xi sagte damals:

“Wir folgen dem Pfad einer sozialistischen, politischen Entwicklung mit chinesischen Eigenschaften und die Volksdemokratie in China ist eine Quánguòchéng Mínzhu. Alle wichtigen legislativen Entscheidungen werden aufgrund von wissenschaftlichen und demokratischen Prozessen getroffen, die in Einklang stehen mit Verfahren und demokratischen Überlegungen.”

“我们走的是一条中国特色社会主义政治发展道路,人民民主是一种全过程的民主,所有的重大立法决策都是依照程序、经过民主酝酿,通过科学决策、民主决策产生的。希望你们再接再厉,为发展中国特色社会主义民主继续作贡献.”

Seither wird whole-process people’s democracy (全过程民主) verwendet für die Idee, dass Chinas Einparteiensystem im Grunde eine einzigartige Anwendung demokratischer Prinzipien sei. Es handelt sich um ein klassisches Beispiel für eine feststehende Phrase, die in der Welt der KP Chinas ihre eigene, festgelegte Bedeutung hat (China.Table berichtete).

“Authentischer und effektiver”

Am Samstag bei der Vorstellung des Demokratie-Weißbuches erklärten mehrere Funktionäre der Kommunistischen Partei das Konzept der Quánguòchéng Mínzhu (全过程民主) einer breiten Öffentlichkeit. Es handele sich um ein “neues Modell von Demokratie, das China entwickelt hat”. Die Bewertung jener Demokratie lieferten die KP-Offiziellen gleich mit: Chinas Demokratie sei umfangreicher, authentischer und effektiver als die amerikanische Demokratie.

Tian Peiyan, Vize-Direktor des Policy Research Office des Zentralkomitees der KP China, führte am Samstag in Peking den Kontrast zur US-amerikanischen Demokratie weiter aus: US-Politiker würden willkürliche Versprechen abgeben, nur um gewählt zu werden. Vordergründig akzeptieren sie durch Wahlen eine Kontrolle durch die Bevölkerung, aber in Wirklichkeit hätten die Bürger nach einer Wahl keine Einflussmöglichkeit mehr – und müssten bis zur nächsten Wahl hilflos dem Handeln der Regierung zusehen.

In China ist das dem staatlichen Politologen Tian zufolge anders – und sogar viel besser: “Parteimitglieder und Führer aller Ebenen müssen eine umfassende Kontrolle durch die Partei und die Bevölkerung akzeptieren, um so zu garantieren, dass die Macht, die man von der Bevölkerung erhalten hat, auch zum Wohle des Volkes eingesetzt wird”, erklärte Tian.

Ein eigenes Narrativ

Andere chinesische Experten bekräftigen die Vorstellung von der überlegenen chinesischen Demokratie. Zhu Zheng, Professor an der China Universität für Politik- und Rechtswissenschaften, ist überzeugt, das Konzept sei für westliche Beobachter sicherlich schwer zu verstehen, da der Begriff Demokratie im Westen längst nur noch klischee- und schablonenhaft benutzt werde. In einem Beitrag für den chinesischen Fernsehsender CGTN verdeutlicht er die beiden Schwerpunkte der chinesischen Quánguòchéng Mínzhu: Zum einen stünden die Menschen im Mittelpunkt – und das garantiere die Kommunistische Partei seit nunmehr 100 Jahren. Zum anderen liege dem chinesischen System ein kontinuierlicher Prozess zugrunde. Während im Westen die Bürger nur alle vier oder fünf Jahre kurz vor dem nächsten Wahlgang gehört würden, hätten die Menschen in China nicht nur das Recht zu wählen, sondern zudem das Recht, sich in den Entscheidungs- und Regierungsvorgang einzubringen.

Am Ende seines Beitrags offenbart Zhu allerdings noch einen weiteren wichtigen Aspekt hinter dem chinesischen “Demokratie-Modell”: China wolle sich damit vom Westen absetzen. Man strebe damit ein eigenes Narrativ an, um Reformen zu rechtfertigen und durchzusetzen.

Die KP ist der Staat

Im Grunde besteht der Begriff aus zwei Teilen: Während “whole-process” relativ neu ist und die Beziehung zwischen Bevölkerung und Regierung in einem sozialistischen System mit chinesischen Eigenschaften definiert, wirkt “people’s democracy” wie eine Referenz auf die 人民民主专政 (rénmín mínzhu zhuānzhèng), die “demokratische Diktatur des Volkes” wie sie in der Präambel der Volksrepublik proklamiert wird. In diesem Sinne ist damit gemeint, dass die Kommunistische Partei Chinas den Staat repräsentiert und die Regierung im Namen der Bevölkerung bildet.

Einzug in die internationale Politik fand Quánguòchéng Mínzhu vor einigen Wochen, als Xi Jinping mit seinem US-amerikanischen Amtskollegen Joe Biden telefonierte (China.Table berichtete). Darin versuchte Biden die Auseinandersetzung zwischen China und den USA in einen größeren Zusammenhang zu setzen, in dem er auf den Kampf zwischen Autokratie und Demokratie verwies. Xi widersprach mit dem Hinweis, China sei eine “whole-process democracy”. Demokratie sei keine maßgeschneiderte Sonderanfertigung (定制的产品 dingzhide chanpin), die für alle Länder der Welt passe. Und weiter: Andere Formen von Demokratie auszuschließen, lediglich weil sie anders sind, ist selbst ein undemokratisches Verhalten, zitiert die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua den chinesischen Präsidenten.

Amerikas “schlechte Demokratie”

Um die Vorteile des chinesischen Systems zu belegen, verweist man in China auf die Erfolge der vergangenen Jahre:

  • die rasante Entwicklung des Landes,
  • die drastische Reduzierung von Armut,
  • den Aufstieg von Millionen Chinesen, die inzwischen ein mittleres bis hohes Einkommen erzielen,
  • und zuletzt auch die Erfolge bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie.

Im Gegensatz dazu stehe die Bilanz der USA. Genannt sind Gewaltkriminalität, massive Drogenprobleme und die marode Infrastruktur des Landes. Auch der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar nach der von Donald Trump verlorenen Präsidentenwahl gilt hier als Anzeichen für die Schwäche des US-Systems. 

Doch die innere Verfasstheit von den USA und China betreffe längst nicht nur die Bevölkerung im jeweiligen Land, sondern schlage sich auch in der Außenpolitik nieder. China sei derart stabil und gut regiert, dass es mit Programmen wie der “Belt-and-Road”-Initiative immer mehr Ländern der Welt helfen könne. Was sich die USA hingegen in den vergangenen Jahrzehnten außenpolitisch geleistet habe, verdeutlichte vergangene Woche der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Wang Wenbin in Peking. “Im Namen der Demokratieförderung verhängt Amerika einseitige Sanktionen, beginnt militärische Interventionen in anderen Ländern, tötet hunderttausende Zivilisten, verletzt und vertreibt Millionen Menschen.”

Die nationalistische Zeitung “Global Times” hat zu diesem Anlass eigens eine Serie über die “wahre Natur der amerikanischen Demokratie” gestartet, in der sie die hegemonialen Sünden der US-Demokratie entlarven will. Kurz zusammengefasst: Krieg, Blutvergießen und Chaos in der Welt.   

Laute Kritik am Demokratie-Gipfel

Angesichts dessen ist für China der von den USA initiierte “Demokratie-Gipfel” nicht mehr als eine Farce. Vize-Außenminister Le Yucheng stellte in einer Rede auf dem kurzfristig organisierten “Dialog über Demokratie” klar, worum es Amerika in Wirklichkeit gehe: Manche Länder benutzen neuerdings Demokratie “als ein politisches Werkzeug für selbstsüchtige Gewinne, sie bilden Blöcke, um Teilung und Konfrontation in die Welt zu bringen”.

Außenamtssprecher Wang verwies in einer Pressekonferenz auf eine wachsende Zahl an Ländern, die die chinesische Sicht teilen würden. Medien in Ägypten, Saudi-Arabien und Israel bezeichneten den Demokratie-Gipfel als amerikanisches Hilfsmittel, um sich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen und die eigene Hegemonie zu sichern. Besonders gerne führt Peking hierbei auch ein Mitglied der Europäischen Union als Kronzeugen an: Ungarn. “Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó hat klargemacht, dass dieser Gipfel die Charakterzüge amerikanischer Innenpolitik trage”, sagte Wang.

Chinas Kritik am “Demokratie-Gipfel” sorgte international für Schlagzeilen. Sie kommt laut und aggressiv daher, ist dabei jedoch vor allem eines: vorhersehbar. Weitaus wichtiger ist der Prozess, den Xi Jinping vor rund zwei Jahren in Gang gesetzt hat und der am Samstag mit der Vorlage eines Weißbuches zur “chinesischen Demokratie” einen vorläufigen Höhepunkt erreichte.

Neudeutsch würde man diesen Vorgang “Wording” oder “Framing” nennen; China geht darum, ein eigenes Narrativ zu schaffen. Das bedeutet: Mit seinem eigenen “Demokratie-Modell” macht sich Peking daran, die westliche Deutungshoheit über den Begriff Demokratie herauszufordern. Die Folgen könnten gravierend sein – und weit über den Gipfel in Washington hinausreichen.

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    US-Boykott bringt Ampel in Zugzwang

    Eine konzertierte Aktion gegen jemanden oder einen ganzen Staat, an der sich möglichst viele beteiligen – das ist die Definition des Begriffs “Boykott”. Er geht zurück auf den britischen Großgrundbesitzer Charles Cunningham Boycott, der bekannt dafür war, Wucherzinsen von seinen Pächtern zu verlangen und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schinden. Sie kündigten allesamt und gingen gegen ihn auf die Straße. Dorfbewohner schlossen sich dem Protest an und boykottierten den Handel mit ihm. Selbst die Post wurde ihm nicht mehr zugestellt. Der Boykott als Protestform war geboren.  

    Aktuell haben die USA einen Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking verkündet. Und zwar einen “diplomatischen”. Wegen der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen unter anderem gegen die muslimischen Uiguren werde Washington keine Regierungsvertreter zu den Spielen schicken, kündigte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, an. Auf die Frage, warum die US-Regierung von einem kompletten Boykott der Spiele absehe, antwortete Psaki, man habe die Sportler, die intensiv für die Spiele trainiert hätten, nicht bestrafen wollen.

    Nun könnte man meinen: Na und? Ob jetzt Vertreter der US-Regierung zur Eröffnungsfeier auf den Tribünen sitzen werden oder nicht – das beeinträchtigt die Wettkämpfe nicht wirklich. Chinas rigide Corona-Schutzmaßnahmen sehen ohnehin kein Publikum aus dem Ausland vor. In einer ersten Reaktion auf die Entscheidung erklärte der Sprecher der chinesischen Botschaft in Washington auf Twitter denn auch, der Boykott werde keine Auswirkungen auf die Spiele haben. “Niemand würde sich darum kümmern, ob diese Leute kommen oder nicht”. Die staatliche chinesische Zeitung Global Times versuchte den Konflikt erst komplett herunterzuspielen und schrieb auf Twitter: “Um ehrlich zu sein, sind die Chinesen erleichtert über diese Nachricht, denn je weniger US-Beamte kommen, desto weniger Viren werden eingeschleppt”.

    Doch so ganz gelassen nimmt Peking den Olympia-Boykott dann doch nicht. Die USA sollten aufhören, “die Winterspiele in Peking durch Worte oder Taten zu stören”, wetterte Chinas Außenamtssprecher Zhao Lijian am nächsten Morgen. Ansonsten schadeten sie dem bilateralen Dialog und der Kooperation mit China in wichtigen Bereichen oder internationalen Fragen. Zudem solle Washington aufhören, den Sport zu politisieren. Olympia sei keine Bühne für “politische Manipulationen”. “Die USA werden den Preis für ihr Fehlverhalten bezahlen. Warten Sie ab“, drohte Zhao und kündigte “entschiedene Gegenmaßnahmen” an, ohne aber Details zu nennen. Der Versuch der USA, die Spiele “aus ideologischen Vorurteilen heraus zu behindern, die auf Lügen und Gerüchten beruhen, wird nur ihre finsteren Absichten aufdecken”, erklärte er.

    Deutschlands Politiker sind uneins

    Offenbar hatte die Führung gar nicht vor, zur Eröffnung und auch während der Winterspiele zwischen dem 4. und 20. Februar viel Staatsbesuch zu empfangen. Zhao hatte erst am Montag erklärt, dass China keine Einladungen ausgesprochen habe. Pandemiebedingt sind Zuschauer aus dem Ausland generell nicht vorgesehen. Das war auch bei den Olympischen Spielen im Sommer in Tokyo schon der Fall. Nur hatte das im Fall von Japan keine politische Bedeutung.

    Die US-Regierung hat aber auch andere Länder aufgefordert, sich dem diplomatischen Boykott anzuschließen. Und einige Länder könnten Washingtons Aufruf Folge leisten. Australien, das sich ebenfalls seit Jahren im Streit mit China befindet, hat sich zusammen mit weiteren 19 Staaten bereits geweigert, ein Abkommen zu unterzeichnen, das Politik von den Spielen fernhalten soll. Die Zeitung Sydney Morning Herald berichtet nun in ihrer Mittwochsausgabe unter Berufung auf Regierungskreise, Australien werde keine Beamten oder Politiker zu den Spielen entsenden. Ob Premier Scott Morrison einen formalen diplomatischen Boykott ausrufe, habe er noch nicht entschieden.

    Washingtons Forderung setzt auch die neue Ampel-Koalition in Berlin unter Zugzwang. Die designierte Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen hatte vergangene Woche im Gespräch mit China.Table einen Boykott der Spiele in Erwägung gezogen. “Wenn ich sehe, wie Chinas Führung mit der Tennisspielerin Peng Shuai umgeht oder mit der verhafteten Bürgerjournalistin Zhang Zhan, sollten wir natürlich auch die Olympischen Spiele genauer in den Blick nehmen”, sagte Baerbock. “Da gibt es für Regierungen unterschiedliche Formen des Umgangs, die in den kommenden Wochen sicherlich diskutiert werden.”

    Der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, legte am Dienstag nach und begrüßte die US-Entscheidung explizit. Bei massiven Menschenrechtsverletzungen sei es “notwendig, dass man auch ein klares Signal setzt”, sagte Nouripour am Dienstag im rbb-Inforadio. Nouripour warb zwar ebenfalls nicht für einen vollständigen Boykott. “Athletinnen und Athleten, die ein Leben lang auf ein Ziel hingearbeitet haben”, dürften nicht Opfer der Politik werden, sagte er. Das US-Vorgehen, keine Regierungsvertreter zu den Spielen zu schicken, sei aber die “richtige Herangehensweise”. Er hoffe, “dass sich Deutschland dem anschließt”.

    Der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bremst jedoch. Die Bundesregierung werde den Umgang mit China “sehr sorgfältig mit uns, unter uns und mit den Partnern in Europa und der Welt beraten”, sagte er am Dienstag. Viele Länder, mit denen Deutschland zu tun habe, hätten “Regierungsformen, die vollständig anders ausgerichtet sind, als das, was wir selber richtig finden”, sagte Scholz. Die neue Bundesregierung müsse es “hinkriegen, über die Unterschiede Bescheid zu wissen und trotzdem gut miteinander auszukommen in der Welt.” Dies sei ein “kluges Verständnis von Politik”.

    Ebenso schwammig blieb der designierte Finanzminister Christian Lindner (FDP). Bei der künftigen Ausgestaltung der Beziehungen zu China werde auch die wirtschaftliche Bedeutung der Volksrepublik für Deutschland in die Entscheidungen einbezogen, betonte er nun. Es werde “auch weiterhin die besondere Rolle des chinesischen Binnenmarkts für die deutsche Wirtschaft berücksichtigt werden”, sagte Lindner. “Auf der anderen Seite haben wir uns vorgenommen, auf der Weltbühne auch einen Einsatz zu zeigen für Menschenrechte, die Achtung des Völkerrechts und Multilateralismus.” Darüber müsse es einen “offenen Austausch” mit China geben.

    Deutschlands China-Politik lässt sich nicht länger aufrechterhalten

    Dabei hatte auch die FDP die Vorgängerregierung noch dafür kritisiert, in der deutschen China-Politik trotz der massiv zugenommenen Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik zu zurückhaltend gewesen zu sein. Nun scheinen Deutschlands wirtschaftliche Interessen in China aber auch der FDP wichtiger zu sein. 2020 betrug das Volumen des bilateralen Außenhandels zwischen China und Deutschland weit über 220 Milliarden Euro, so hoch wie mit keinem anderen EU-Land. Insbesondere für Deutschlands Autobauer ist das Reich der Mitte längst der mit Abstand wichtigste Markt der Welt.

    Doch wer sich unter europäischen Diplomaten in Peking umhört, bekommt hinter vorgehaltener Hand immer öfter gesagt, dass sich Deutschlands zurückhaltende China-Politik in dem zunehmend polarisierten Klima kaum länger aufrechterhalten lässt. Ebenfalls lässt sich vernehmen, dass die Botschaftsmitarbeiter vor Ort angesichts der geschlossenen Grenzen und den auf Telefonanrufe und Video-Calls beschränkten Austausch immer größere Schwierigkeiten haben, den zuständigen Regierungsvertretern in Berlin diesen grundlegenden Wandel der Volksrepublik unter Xi Jinping deutlich zu machen.

    Wer sich genauer bei Firmenvertretern in China umhört, erntet vor allem betretenes Schweigen. Verwundern sollte das nicht, denn angesichts der aufgeheizten Stimmung kann jede kritische Äußerung mit wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen geahndet werden. Gleichzeitig stehen die Firmen auf ihrem Heimatmarkt genauso unter Druck – aufgrund neuer Lieferkettengesetze und dem gestiegenen moralischen Bewusstsein der Konsumenten.

    Die deutsche Handelskammer in Peking versucht sich in einem Kompromiss: Sie verschickt eine generische Stellungnahme, die Details vermeidet. “Wenn die Bundesregierung im Rahmen der gemeinsamen EU-China-Politik eine umfassende China-Strategie in Deutschland gestalten und die Regierungskonsultationen fortsetzen will, ist das auch aus Sicht der Deutschen Handelskammer in China sinnvoll. Wir regen an, den Dialog zwischen Deutschland und China in verschiedenen Formaten fortzuführen”, heißt es. Mitarbeit: Fabian Kretschmer

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      USA nähern sich Verbot von Importen aus Xinjiang

      Die USA verstärken den Druck auf China wegen Menschenrechtsverletzungen. Im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren bringt Washington neue Wirtschaftssanktionen auf den Weg. Das Repräsentantenhaus verabschiedete am Mittwoch ein Gesetz zum Verbot von Importen aus der chinesischen Uiguren-Region Xinjiang wegen mutmaßlicher Zwangsarbeit. Die Kongresskammer stimmte dem “Uyghur Forced Labor Prevention Act” fast einstimmig mit einer Mehrheit von 428 zu einer Stimme zu. Damit das Gesetz in Kraft tritt, muss es noch den Senat passieren und von Präsident Joe Biden unterzeichnet werden.

      Die US-Regierung will zudem das KI-Unternehmen Sensetime aus Shenzhen auf eine Schwarze Liste setzen. Das berichtet die “Financial Times”. Damit dürfen Amerikaner nicht in das Unternehmen investieren. Die USA halten Sensetime für eines der chinesischen Unternehmen, die bei Menschenrechtsverletzungen gegen muslimische Minderheiten in China eine Rolle spielen.

      China kritisierte das Vorgehen der USA. Ein Regierungssprecher drohte mit Vergeltung. Die USA müssten ihre Fehler korrigieren, teilte das Handelsministerium mit. Andernfalls werde China Maßnahmen ergreifen, um seine Interessen zu sichern. Damit drohen sich die Spannungen und Handelsstreitigkeiten zwischen den beiden Großmächten, die unter dem vorherigen US-Präsidenten Donald Trump angefacht wurden, auch unter dessen Nachfolger zu verschärfen. Zu einem virtuellen Demokratie-Gipfel, zu dem Biden für Donnerstag geladen hat und an dem mehr als 100 Staats- und Regierungschefs sowie andere Spitzenvertreter aus aller Welt teilnehmen, wurden China und Russland nicht eingeladen (China.Table berichtete). rtr/fin

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        Mediengründer Lai in Hongkong schuldig gesprochen

        Ein Gericht in Hongkong hat am Donnerstag den chinakritischen Medienunternehmer Jimmy Lai, den Anwalt Chow Hang Tung und die ehemalige Oppositionspolitikerin Gwyneth Ho schuldig gesprochen. Sie waren wegen wegen Anstiftung zur Teilnahme an einer nicht genehmigten Versammlung angeklagt. Lai, Chow und Ho hatten auf nicht schuldig plädiert, andere zur Mahnwache am 4. Juni 2020 aufgerufen zu haben. Es ist der jüngste Schlag gegen die Demokratiebewegung in der chinesischen Sonderverwaltungszone unter dem sogenannten Sicherheitsgesetz, das von der Regierung in Peking im vergangenen Jahr trotz internationaler Kritik als Reaktion auf die Proteste der Demokratiebewegung erlassen wurde und ihr mehr Zugriff auf Hongkong ermöglicht.

        Jimmy Lai war Verleger der Zeitung Apple Daily, die den steigenden Einfluss Pekings in Hongkong immer kritisiert hat und daher geschlossen wurde (China.Table berichtete). Die jährliche Mahnwache am 4. Juni findet zum Gedenken an die Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking im Jahr 1989 statt. Die letzten beiden Mahnwachen wurden von der Polizei unter Berufung auf Coronavirus-Beschränkungen untersagt. Lai gilt als scharfer und prominenter Kritiker Chinas. Er wurde bereits in zwei ähnlichen Fällen zu jeweils 14 Monaten Gefängnis verurteilt und ist seit letztem Jahr in Haft.  rtr/fin

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          Beer fordert Komplett-Boykott der Winterspiele

          Immer mehr Länder schließen sich den USA bei ihrem “diplomatischen Boykott” der Olympischen Winterspiele in Peking an. Der britische Premierminister Boris Johnson kündigte am Mittwoch im Londoner Unterhaus an, kein Minister seiner Regierung werde zu diesem Anlass nach China reisen. Dies bedeute “effektiv” einen diplomatischen Boykott, erklärte er bei einer Befragung im Unterhaus. 

          Vor Großbritannien kündigte auch Australien an, die Winterspiele auf diplomatischem Wege zu boykottieren. Der Boykott bezieht sich nur auf die Teilnahme von Regierungsvertretern. Die Athletinnen und Athleten sowohl der USA, als auch Australien und Großbritannien sollen zu den Spielen vom 4. bis 20. Februar in Peking anreisen. Auch Neuseeland wird keine Regierungsvertreter nach Peking schicken, begründet das aber mit der Pandemie.

          Insbesondere Australiens Ankündigung sorgt in Peking für schwere Verstimmung. “Die australische Regierung folgt bestimmten Ländern blind, sodass es richtig nicht von falsch unterscheiden kann”, sagte Außenamtssprecher Wang Wenbin am Mittwoch in Peking. Dabei habe China gar nicht die Pläne gehabt, “irgendeinen australischen Offiziellen zu den Spielen einzuladen”, betonte der Sprecher. “Niemand interessiert sich dafür, ob sie kommen oder nicht.”

          Deutschland über Boykott noch unschlüssig

          In der Ampel-Koalition sind sich die drei Parteien in dieser Frage weiter uneins. Der am Mittwoch frisch im Bundestag gewählte neue Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am Tag zuvor lediglich angekündigt, die Bundesregierung werde den Umgang mit China “sehr sorgfältig mit uns, unter uns und mit den Partnern in Europa und der Welt beraten”. Doch neben den Grünen sprechen sich inzwischen auch immer mehr vom dritten Koalitionspartner, der FDP, für einen Boykott aus. 

          Die Jungen Liberalen (Julis) haben die künftige Bundesregierung aufgefordert, sich den USA mit einem diplomatischen Boykott der Olympischen Spiele in Peking anzuschließen. Die Kommunistische Partei Chinas verantworte vielfach schwere Verletzungen der Menschenrechte, erklärte die Bundesvorsitzende Franziska Brandmann und verwies besonders auf die Lage in der autonomen Region Xinjiang.

          Die FDP-Europaabgeordnete Nicola Beer fordert gar den kompletten Boykott durch die Mitgliedsstaaten der EU. “Unmissverständliche Signale des Westens Richtung Peking” seien längst “überfällig”, erklärte Beer. Es könne “weder im Interesse der USA noch der EU sein, Peking stillschweigend bei den Winterspielen als gigantische Propaganda-Inszenierung zuzusehen, während Chinas Apparat unverhohlen hinter den Kulissen schwerwiegend Menschenrechte verletzt”. Die EU sollte nicht nur im Windschatten der USA bleiben, forderte die FDP-Politikerin. Vielmehr solle sie “sich selbst für die Einhaltung von Menschenrechten auf die Hinterbeine stellen und sich für einen gänzlichen Boykott der Winterspiele aussprechen”, sagte Beer den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. 

          Ganz anders hingegen sieht das der frühere SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder. “Es gibt erhebliche Aufgaben, in der Außen- und Sicherheitspolitik, man muss europäischer in der Sicherheitspolitik denken, man muss vernünftige Beziehungen zu China, zu Russland aufrechterhalten”, sagte Schröder, der zwischen 1998 und 2005 Kanzler war. Äußerungen, die er von der neuen Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen “gehört und gelesen” habe, halte er für “nicht unproblematisch”. “Man kann ein Land wie China nicht isolieren.” Deutschland brauche auch aus ökonomischen Gründen intakte Beziehungen. “Es wird Sache auch der Außenministerin sein, diese aufrechtzuerhalten und nicht nach dem Motto vorzugehen: ‘Am grünen Wesen soll die Welt genesen’”, erklärte der Altkanzler. flee

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            WHO bittet China um Patent-Freigabe

            Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat zwei chinesische Hersteller von Corona-Impfstoffen um die Freigabe ihrer Impfpatente gebeten, wie South China Morning Post berichtete. “Wir befinden uns in Kontakt mit den beiden großen Herstellern, deren Impfstoffe eine WHO-Freigabe erhalten haben”, sagte Erika Dueñas Loayza, Leiterin des Referats für geistiges Eigentum in der WHO-Abteilung für den Zugang zu Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten. Ziel sei es, den Zugang von Ländern des globalen Südens zu Impfstoffen zu verbessern. Bisher seien in den afrikanischen Staaten lediglich 7,3 Prozent der Bevölkerung vollständig gegen Corona geimpft.

            Die Impfstoffe von Sinovac und Sinopharm sind von der WHO für den Notfalleinsatz zugelassen. Neben den beiden Unternehmen habe die WHO auch die chinesische Vertretung in Genf kontaktiert. Allerdings betonte Dueñas Loayza, dass es sich nicht um eine kostenlose Freigabe handeln würde. “Es wäre eine Freigabe im Austausch für Lizenzgebühren”, sagte Dueñas Loayza.

            Die WHO würde als Plattform agieren und potenzielle Impfstoffhersteller ausmachen, die in der Lage sind, den Impfstoff der chinesischen Unternehmen zu produzieren. Die Weltgesundheitsorganisation könne dabei helfen, die Produktion zu beschleunigen und die Impfstoffe schnell in die Länder des globalen Südens zu bringen.

            Laut Dueñas Loayza sind Sinopharm und Sinovac jedoch eher an bilateralen Vereinbarungen mit einzelnen Ländern interessiert. Das indische Unternehmen Bharat Biotech hätte seine Technologien für Covid-Impfstoffe der WHO-Plattform zur Verfügung gestellt. Man hoffe, dass die chinesischen Anbieter nachziehen würden. Auch westliche Pharma-Unternehmen wie Pfizer, Moderna, Johnson & Johnson und AstraZeneca haben der WHO bei der Freigabe der Patente bisher die kalte Schulter gezeigt, so die SCMP. nib

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              EU verlängert Sanktionen

              Die Europäische Union hat ihre Sanktionen gegen vier chinesische Beamte und eine Organisation wegen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang verlängert. Die Strafmaßnahmen gelten nun bis Ende Dezember 2022, wie der EU-Rat am Montag mitteilte. Die EU hatte sich im März auf die Sanktionen verständigt, Peking reagierte seinerseits mit Strafmaßnahmen. Seither liegt das Investitionsabkommen CAI auf Eis.

              Die EU-Sanktionen treffen Zhu Hailun, den ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden der KPCh in Xinjiang, sowie Wang Junzheng, Parteisekretär des Xinjiang Produktions- und Aufbaukorps (Xinjiang Production and Construction Corps. XPCC), einer wirtschaftlichen und paramilitärischen Organisationseinheit in Xinjiang, die der Zentralregierung in Peking unterstellt ist. Laut EU ist sie auch für die Verwaltung von Haftzentren zuständig.

              Die Strafmaßnahmen richten sich außerdem gegen Wang Mingshan, Mitglied des Ständigen Ausschusses der KPCh Xinjiang und Chen Mingguo, Direktor des Xinjiang Public Security Bureau (PSB), der regionalen Sicherheitsbehörde in der Provinz. Das zu XPCC gehörige PSB ist zudem separat als Organisation mit auf der Sanktionsliste.

              Für die Betroffenen gilt ein Einreiseverbot für die EU, außerdem werden ihre Vermögen eingefroren. Zudem dürfen sie keine finanziellen Mittel oder wirtschaftliche Unterstützung aus der Europäischen Union von Organisationen oder Einzelpersonen bekommen. ari

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                Chinas Waffenindustrie erhöht Umsatz

                Trotz der Corona-Pandemie sind die Umsätze von weltweit führenden Rüstungsfirmen gestiegen. Die 100 größten Hersteller setzten insgesamt 531 Milliarden US-Dollar (470 Milliarden Euro) um – ein Plus von 1,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri heute bekannt gab. US-Unternehmen führten mit Abstand, dahinter folgen Rüstungsfirmen aus China. 

                Chinesische Firmen entwickelten sich zu einigen der “fortschrittlichsten Militärtechnologieproduzenten der Welt”, wie Nan Tian, leitender Wissenschaftler bei Sipri, sagte. So kommen die fünf chinesischen Rüstungsfirmen in der Rangliste auf 13 Prozent des Gesamt-Umsatzes. China liegt damit zwar weit hinter den USA (54 Prozent der gesamten Waffenverkäufe), aber noch vor Großbritannien.

                Chinesische Firmen verkauften laut Sipri Rüstungsgüter im Wert von schätzungsweise 66,8 Milliarden Dollar – 1,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Die chinesischen Hersteller profitierten in den vergangenen Jahren von den militärischen Modernisierungsprogrammen des Landes sowie der Verschmelzung von militärischen und zivilen Projekten, sagte Nan Tian der Nachrichtenagentur AFP.  

                Insgesamt beliefen sich die Waffenverkäufe der Unternehmen in den Top 100 mit Sitz außerhalb der USA, Chinas, Russland und Europa auf 43,1 Milliarden Dollar – ein Anstieg von 3,4 Prozent im Vergleich zu 2019. Dies entsprach jedoch nur 8,1 Prozent des Gesamtumsatzes der 100 größten Hersteller. niw

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                  Standpunkt

                  Studie zu China-Berichterstattung ignoriert die politische Realität

                  Von Andreas Fulda
                  Andreas Fulda über die Studie zur China-Berichterstattung
                  Politikwissenschaftler und China-Experte an der Universität Nottingham

                  Ich halte den analytischen Ansatz der Autoren für praxisfern und herrschaftsunkritisch. Studien wie diese werden die Krise des öffentlichen Vertrauens in das professionelle Wissen von China-Wissenschaftlern noch weiter vertiefen. Während von deutschen Sinologen häufig mehr China-Kompetenz in Staat und Gesellschaft gefordert wird, stellt sich für mich vielmehr die Frage, was für eine Analyse der Volksrepublik China bislang betrieben wird.

                  Meine eigene Forschung zum Thema Wissenschaftsfreiheit und die Rolle Chinas hat ergeben, dass in der deutschen Wissenschaft die politische Zensur und die daraus resultierende Selbstzensur ein Tabuthema darstellt. Dies hat negative Auswirkungen auf den akademischen und öffentlichen China-Diskurs in Deutschland. Die vorliegende Studie ist ein Beispiel hierfür.

                  Die Praxisferne wird bereits im Vorwort deutlich. Es klagt über “unterkomplexe” deutsche Medienberichte und über fehlende Nuancen. Politikentscheidungen würden zu selten aus chinesischer Logik heraus verständlich gemacht. Weiter heißt es: Beschreibungen, Verortungen und Definitionen schafften “Realitäten”, was besonders für die Auslandsberichterstattung gelte, “da wir in anderen Ländern selbst keine unmittelbaren Erfahrungen und Erlebnisse gemacht, dort keine Gespräche und Diskussionen geführt, keine eigenen Interessen und auch keine weitergehenden Kenntnisse über Geschichte, Kultur und spezifische Problemstellungen erworben haben, die wir mit einem massenmedial vermittelten Narrativ positiv oder negativ in Beziehung setzen könnten.”

                  Diese Formulierungen, die den Ausgangspunkt der Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung erläutern, verwundern schon sehr. Keine Gespräche und keine Diskussionen? Keine eigenen Interessen und auch keine weitergehenden Kenntnisse über Geschichte, Kultur und spezifische Problemstellungen? In diesem Vorwort wird so getan, als hätte es in den letzten vierzig Jahren kein praktisches westliches China-Engagement gegeben. Es entsteht der Eindruck, als seien für das Chinabild in Deutschland ausschließlich die Medien verantwortlich. Die Realität sieht allerdings völlig anders aus.

                  Journalisten gehören zu den besten China-Kennern

                  Unzählige deutsche Politiker, Wirtschaftslenker, Journalisten, Kulturschaffende, Akademiker und Studenten haben die Volksrepublik China seit dem Beginn der 1980er-Jahre besucht oder befinden sich in konstantem Austausch mit Partnern vor Ort. Viele Zehntausende deutsche Staatsbürger haben zudem lange in Festlandchina gelebt und gearbeitet. China auf politische beziehungsweise akademische Diskurse zu begrenzen, wird daher der Fülle an Erfahrungen auf deutscher Seite in keinster Weise gerecht.

                  Stattdessen wird von der Herausgeberin der Studie so getan, als bliebe die Volksrepublik China trotz des intensiven westlichen China-Engagements ein Buch mit sieben Siegeln, und die Medien würden das Land nun in die Rolle des Feindes pressen. Das ist zu kurz gedacht. Denn eben, weil wir zunehmend Erfahrungen sammeln im Umgang mit der Volksrepublik, spiegeln die Medien im Wesentlichen das wider, was sich an Erkenntnissen aus diesem Umgang ergibt.

                  Meiner Einschätzung nach gehören viele westliche Journalisten mit langer akademischer und praktischer China-Erfahrung sogar zu den besten China-Kennern. Viele besitzen einen hohen Grad an Empathie und Einfühlungsvermögen, viele sprechen gut, manche fließend Chinesisch. Sie kennen chinesische Binnenperspektiven besser als viele andere, die das Land kennengelernt haben oder dort leben.

                  Ich traue diesen Journalisten sehr wohl zu, den Einparteienstaat realistisch einzuschätzen. Sie sind sich bewusst, was passiert, wenn aufgrund von politischen Zensurvorgaben Informationsströme innerhalb Chinas versiegen.

                  Gerade zu Beginn der Covid-Pandemie konnten wir beobachten, wie innerhalb Chinas massive Konflikte um Meinungsfreiheit ausbrachen. Verantwortungsbewusste Mediziner wie Dr. Li Wenliang wurden daran gehindert, Kollegen vor dem Virus zu warnen. Chinesische Kritiker am Krisenmanagement Xi Jinpings wurden mundtot gemacht oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Mittlerweile wird chinesische Forschung zu Covid-19 vor ihrer Publikation von Regierungsbeamten nach politischen Kriterien geprüft. Wie sonst außer “kritisch” bis “sehr kritisch” sollte eine Berichterstattung in diesem Kontext aussehen? Doch die Studie liefert einen solchen Kontext nicht.

                  Studie liefert zu wenig Kontext

                  Die Opfer des Xi-Regimes spielen in der gesamten Einschätzung der Berichterstattung überhaupt keine Rolle. China wird stattdessen vorwiegend aus Sicht der Herrschenden analysiert. Und auch wenn es legitim ist, sich mit dem “offiziellen China” analytisch auseinanderzusetzen, so sollte eine solche Befassung nicht auf Kosten des “inoffiziellen Chinas” gehen.

                  Die Studie vermittelt den Eindruck, als gäbe es in Festlandchina kaum Kritiker an Xis Krisenmanagement, und deutsche Medien würden diese Harmonie im Land schlicht ignorieren, weil sie nicht in das Weltbild der Autoren passe, oder sie die öffentlichen Debatten nicht verfolgten. Es wird so getan, als würde es nur in Hongkong ein paar Aktivisten geben, und Medien nicht anerkennen wollen, dass es sich um eine “terroristische Bande” handle, so zumindest die Lesart der chinesischen Regierung.

                  Die Studie ignoriert dabei die vielen Dissidenten im Land wie den Immobilien-Unternehmer Ren Zhiqiang, der für seine Kritik an der Staatsführung unter Vorwand der Korruption zu 18 Jahren Haft verurteilt wurde. Die Autoren ignorieren auch die ehemalige Professorin an der Parteihochschule, Cai Xia, die in Folge ihrer Regime-Kritik aus der Partei ausgeschlossen wurde und keine Pension mehr erhält. Der chinesische Bürgerjournalist Chen Qiushi wird ebenfalls nicht erwähnt. In Folge seiner Berichterstattung in Wuhan verschwand er für 600 Tage von der Bildfläche. Die Bürgerjournalistin Zhang Zhan hingegen landete für ihr Engagement im Gefängnis. Sie ist derzeit in einem Hungerstreik. Ihr Gesundheitszustand gilt seit Monaten als kritisch.

                  Es ist unter diesen Umständen nicht nachvollziehbar, wenn die Autoren von “einem letztlich erfolgreichen Zusammenspiel politischen und gesellschaftlichen Handelns” sprechen. Wenn in der Studie Vertreter des “inoffiziellen Chinas” einmal benannt werden, so ist deren Position häufig nur einen kurzen Halbsatz wert, und ihr jeweiliges Engagement wird negativ konnotiert.

                  Xi-Regime ist personalisierte Diktatur

                  So wie das der chinesischen Schriftstellerin Fang Fang, die für ihr Wuhan-Tagebuch von Nationalisten angegriffen wurde. In der Studie wird sie nur kurz dafür erwähnt, dass mit Bezug auf Fang Fang in der deutschen Berichterstattung das “Behördenversagen in der Frühphase angeprangert” werde. Professor Xu Zhangrun, der im Zuge seiner Kritik an Xis Umgang mit Covid seinen Job an der Tsinghua University verlor, wird derweil nur zitiert, um mediale Kritik am autokratischen Führungsstil Xis infrage zu stellen.

                  Die Studie muss sich also selbst den Vorwurf fehlender Nuancen gefallen lassen, die sie der China-Berichterstattung vorwirft.

                  An der Person Xi Jinpings wird besonders deutlich, wie herrschaftsunkritisch die drei Autoren China analysieren. In der Studie sprechen sie von einem “Narrativ vom kommunistischen Diktator”. Aber es gibt natürlich auch so etwas wie politische Realität.

                  Xi Jinping hat in der historischen Wirklichkeit einen Personenkult geschaffen, die kollektive Führung im Ständigen Komitee des Politbüros beendet und mit dem Dokument Nr. 9 jeder Liberalisierung und Demokratisierung des Landes eine deutliche Absage erteilt. Aus politikwissenschaftlicher Sicht lässt sich das Xi-Regime als personalisierte Diktatur bezeichnen. Es ist daher völlig legitim, wenn deutsche Journalisten diesen Umstand in ihrer China-Berichterstattung auch so deutlich ansprechen.

                  Aufgrund der benannten Praxisferne sowie der mangelnden Herrschaftskritik halte ich die Studie für wenig gewinnbringend.

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                    Portrait

                    Margarete Bause – macht sich für Menschenrechte stark

                    Margarete Bause, Sprecherin für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag
                    Margarete Bause, Sprecherin für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag

                    “Das war ein Gänsehautmoment”, sagt die Grünen-Politikerin Margarete Bause rückblickend über ihre Begegnung mit Ai Weiwei im Jahr 2014. Der chinesische Künstler stand unter Hausarrest und durfte das Land aufgrund seiner regierungskritischen Äußerungen nicht verlassen. “Ich habe ihn gefragt, ob es etwas nützt, wenn westliche Politiker:innen nach China kommen und dort Menschenrechte ansprechen.” Er habe geantwortet, dass es das Einzige sei, was Menschen wie ihm Hoffnung gebe. Das Gespräch hat sie tief bewegt und ist bis heute “ein Auftrag”, sich für Menschenrechte einzusetzen.

                    Damals war Bause Fraktionsvorsitzende der Grünen im bayerischen Landtag und begleitete den Ministerpräsidenten Horst Seehofer auf seiner China-Reise. “Menschenrechte standen dabei nicht auf der Tagesordnung.” Sie hat es trotzdem geschafft, ein Treffen mit Ai zu organisieren – außerhalb des Programms. Im Anschluss hat sie sich noch intensiver mit der Menschenrechtssituation in China beschäftigt. 2017 zog Bause dann in den Bundestag ein, wurde dort Sprecherin für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der Grünen.

                    Die 62-Jährige brennt für ihren Beruf, besonders begeistern sie die Begegnungen mit Menschenrechtsaktivist:innen aus aller Welt. Viele seien unter gefährlichen Bedingungen aktiv, riskierten ihr Leben. Die Gespräche mit ihnen findet Bause bereichernd, sie machten aber gleichzeitig demütig, erzählt sie. Sie selbst verbrachte weite Teile ihres Lebens in Bayern, dort studierte sie auch Soziologie. Dabei hat sie gelernt, gesellschaftliche Prozesse in einem größeren Kontext zu sehen.

                    Deutsches Lieferkettengesetz nur ein Anfang

                    “Das kann man auch in der Politik sehr gut gebrauchen”, erklärt sie. In der deutschen China-Politik fehle aktuell dieser größere Kontext, eine kohärente Strategie. “Bisher waren die Aussagen und Ziele des Wirtschaftsministeriums oft andere als die des Auswärtigen Amts oder des Entwicklungshilfeministeriums.” Sie verweist auf die Formel “Dialog und Härte”, die die Grünen-Kandidatin für das Kanzleramt, Annalena Baerbock, im Frühling für den Umgang mit China ausgab. Für diese Herangehensweise sieht Bause inzwischen auch Bündnispartner in den anderen Fraktionen im Bundestag. Die Sicht auf China verändert sich.

                    Sie plädiert für ein selbstbewussteres Auftreten: “China ist mindestens so von Europa abhängig wie umgekehrt.” Trotzdem müssten bestehende Abhängigkeiten reduziert und möglichst keine neuen aufgebaut werden. Bause ist optimistisch, dass das gelingen kann. In der vergangenen Legislaturperiode beschäftigten sie vor allem die Menschenrechtsverletzungen Chinas gegenüber der uigurischen Minderheit.

                    Auch deshalb setzt sie sich für ein schärferes Lieferkettengesetz ein. Das im Juli beschlossene Gesetz sei erst ein Anfang: “Auf einer Skala von null bis zehn sind wir jetzt bei vier.” Bause findet, es gibt noch viel zu tun, sie will sich auch nach der Wahl weiter für Menschenrechte starkmachen. “Aber gerne nicht in derselben Position, sondern aufseiten der Regierungsfraktion,” sagt Bause mit einem verschmitzten Lächeln. Paul Meerkamp

                    • Ai Weiwei
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                    • Margarete Bause
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                    China.Table Redaktion

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                      Liebe Leserin, lieber Leser,

                      was, wenn die Beteiligten an einer Konversation sämtliche Schlüsselbegriffe ganz unterschiedlich verstehen? Das lässt sich derzeit am Streit um die Deutung des Wortes “Demokratie” beobachten. Peking hat ein “Weißbuchs” herausgebracht, in dem es die Vorzüge der eigenen Form von Demokratie herausstreicht. Das ist eine Reaktion auf die Einberufung eines “Demokratiegipfels”, der seit Donnerstag virtuell stattfindet. Die Propagandisten der Volksrepublik wollen die Deutungshoheit über den Demokratie-Begriff übernehmen. Sie verweisen auf Chaos und Populismus in parlamentarischen Demokratien und loben die Vorzüge des chinesischen Stils der harmonischen Einbindung des Volkes in alle Prozesse. Die feinen Details der Argumentationen hat sich Michael Radunski angesehen.

                      Die USA eskalieren ihren schwelenden Konflikt mit China. Sie haben angekündigt, keine Regierungsvertreter zu den Olympischen Spielen nach Peking zu schicken. Damit sendet Präsident Joe Biden eine deutlich unfreundliche Botschaft. Auf diesen diplomatischen Boykott muss China entsprechend reagieren, schließlich hat Xi Jinping seine Person und sein Land als stark und durchsetzungsfähig stilisiert. Es wird also nicht bei dieser Ankündigung in Bezug auf ein Sportereignis bleiben. Washingtons Forderung setzt auch die neue Ampel-Koalition in Berlin unter Zugzwang, wie Felix Lee analysiert. Annalena Baerbock hatte zuletzt im Gespräch mit China.Table einen Boykott der Spiele in Erwägung gezogen.

                      Bidens Boykott ist zugleich eine Steilvorlage für die neue Außenministerin Annalena Baerbock für ihre eigene, menschenrechtsorientierte Außenpolitik. Sie hat angekündigt, die Lage in Xinjiang nicht zu ignorieren und sich um transatlantische Abstimmung zu bemühen. Wenn Deutschland den USA tatsächlich in den Boykott folgt, wäre der Effekt allerdings nicht noch so heftig. China könnte das mit dem schlechten Einfluss der USA erklären und die Beziehungen vorerst weiterführen. Denn China braucht Verbündete. Ganz klar ist jetzt aber: Die Zeit der heftigen geopolitischen Konflikte hat nicht zusammen mit der Ära Trump geendet.

                      Viele neue Erkenntnisse wünscht

                      Ihre
                      Ning Wang
                      Bild von Ning  Wang

                      Analyse

                      Das Ringen um die Deutung des Worts “Demokratie”

                      Diese Woche werden sich mehr als 100 Länder virtuell zum sogenannten Demokratie-Gipfel treffen. Initiator sind die USA. Themen des virtuellen Treffens am 9. und 10. Dezember sind der Kampf gegen autoritäre Herrschaftssysteme, die Bekämpfung von Korruption sowie die Förderung der Menschenrechte. Es ist klar erkennbar, welches Land die Führung in Washington mit einer solchen Agenda vor allem im Blick hat: China.

                      Dort ist man entsprechend aufgebracht (China.Table berichtete). 30 Jahre nach Ende des Kalten Krieges wolle Amerika wieder die Welt spalten in “wir” und “die”, klagt die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua. “Washington behauptet, mit diesem Treffen wolle man gemeinsame Werte fördern. Wirklich? Jeder mit nüchternem Verstand durchschaut diese List sofort: Die Veranstaltung hat nichts mit der Fortentwicklung der Demokratie zu tun, sondern nur mit der Sicherung der amerikanischen Vormachtstellung in der Welt.”

                      Chinas “gute Demokratie”

                      Doch China belässt es nicht mehr nur bei solcher verbal vorgetragenen Kritik. Es geht in solchen Systemkonflikten zunehmend in die Offensive. Und so präsentierte der Staatsrat der Volksrepublik am vergangenen Samstag ein offizielles Weißbuch mit dem Titel “China: Demokratie, die funktioniert”. In dem Papier wird Chinas eigene Demokratie vorgestellt. Ihr Name: 全过程民主 (quánguòchéng mínzhu), was als “whole-process people’s democracy” übersetzt werden kann. Das ist ein Begriff, den Staatspräsident Xi Jinping erstmals 2019 in Shanghai benutzte. Eine offizielle deutsche Übersetzung ist noch nicht geprägt. Er lässt sich vorläufig vielleicht als “ganzheitlich-prozedurale Demokratie” übersetzen. Xi sagte damals:

                      “Wir folgen dem Pfad einer sozialistischen, politischen Entwicklung mit chinesischen Eigenschaften und die Volksdemokratie in China ist eine Quánguòchéng Mínzhu. Alle wichtigen legislativen Entscheidungen werden aufgrund von wissenschaftlichen und demokratischen Prozessen getroffen, die in Einklang stehen mit Verfahren und demokratischen Überlegungen.”

                      “我们走的是一条中国特色社会主义政治发展道路,人民民主是一种全过程的民主,所有的重大立法决策都是依照程序、经过民主酝酿,通过科学决策、民主决策产生的。希望你们再接再厉,为发展中国特色社会主义民主继续作贡献.”

                      Seither wird whole-process people’s democracy (全过程民主) verwendet für die Idee, dass Chinas Einparteiensystem im Grunde eine einzigartige Anwendung demokratischer Prinzipien sei. Es handelt sich um ein klassisches Beispiel für eine feststehende Phrase, die in der Welt der KP Chinas ihre eigene, festgelegte Bedeutung hat (China.Table berichtete).

                      “Authentischer und effektiver”

                      Am Samstag bei der Vorstellung des Demokratie-Weißbuches erklärten mehrere Funktionäre der Kommunistischen Partei das Konzept der Quánguòchéng Mínzhu (全过程民主) einer breiten Öffentlichkeit. Es handele sich um ein “neues Modell von Demokratie, das China entwickelt hat”. Die Bewertung jener Demokratie lieferten die KP-Offiziellen gleich mit: Chinas Demokratie sei umfangreicher, authentischer und effektiver als die amerikanische Demokratie.

                      Tian Peiyan, Vize-Direktor des Policy Research Office des Zentralkomitees der KP China, führte am Samstag in Peking den Kontrast zur US-amerikanischen Demokratie weiter aus: US-Politiker würden willkürliche Versprechen abgeben, nur um gewählt zu werden. Vordergründig akzeptieren sie durch Wahlen eine Kontrolle durch die Bevölkerung, aber in Wirklichkeit hätten die Bürger nach einer Wahl keine Einflussmöglichkeit mehr – und müssten bis zur nächsten Wahl hilflos dem Handeln der Regierung zusehen.

                      In China ist das dem staatlichen Politologen Tian zufolge anders – und sogar viel besser: “Parteimitglieder und Führer aller Ebenen müssen eine umfassende Kontrolle durch die Partei und die Bevölkerung akzeptieren, um so zu garantieren, dass die Macht, die man von der Bevölkerung erhalten hat, auch zum Wohle des Volkes eingesetzt wird”, erklärte Tian.

                      Ein eigenes Narrativ

                      Andere chinesische Experten bekräftigen die Vorstellung von der überlegenen chinesischen Demokratie. Zhu Zheng, Professor an der China Universität für Politik- und Rechtswissenschaften, ist überzeugt, das Konzept sei für westliche Beobachter sicherlich schwer zu verstehen, da der Begriff Demokratie im Westen längst nur noch klischee- und schablonenhaft benutzt werde. In einem Beitrag für den chinesischen Fernsehsender CGTN verdeutlicht er die beiden Schwerpunkte der chinesischen Quánguòchéng Mínzhu: Zum einen stünden die Menschen im Mittelpunkt – und das garantiere die Kommunistische Partei seit nunmehr 100 Jahren. Zum anderen liege dem chinesischen System ein kontinuierlicher Prozess zugrunde. Während im Westen die Bürger nur alle vier oder fünf Jahre kurz vor dem nächsten Wahlgang gehört würden, hätten die Menschen in China nicht nur das Recht zu wählen, sondern zudem das Recht, sich in den Entscheidungs- und Regierungsvorgang einzubringen.

                      Am Ende seines Beitrags offenbart Zhu allerdings noch einen weiteren wichtigen Aspekt hinter dem chinesischen “Demokratie-Modell”: China wolle sich damit vom Westen absetzen. Man strebe damit ein eigenes Narrativ an, um Reformen zu rechtfertigen und durchzusetzen.

                      Die KP ist der Staat

                      Im Grunde besteht der Begriff aus zwei Teilen: Während “whole-process” relativ neu ist und die Beziehung zwischen Bevölkerung und Regierung in einem sozialistischen System mit chinesischen Eigenschaften definiert, wirkt “people’s democracy” wie eine Referenz auf die 人民民主专政 (rénmín mínzhu zhuānzhèng), die “demokratische Diktatur des Volkes” wie sie in der Präambel der Volksrepublik proklamiert wird. In diesem Sinne ist damit gemeint, dass die Kommunistische Partei Chinas den Staat repräsentiert und die Regierung im Namen der Bevölkerung bildet.

                      Einzug in die internationale Politik fand Quánguòchéng Mínzhu vor einigen Wochen, als Xi Jinping mit seinem US-amerikanischen Amtskollegen Joe Biden telefonierte (China.Table berichtete). Darin versuchte Biden die Auseinandersetzung zwischen China und den USA in einen größeren Zusammenhang zu setzen, in dem er auf den Kampf zwischen Autokratie und Demokratie verwies. Xi widersprach mit dem Hinweis, China sei eine “whole-process democracy”. Demokratie sei keine maßgeschneiderte Sonderanfertigung (定制的产品 dingzhide chanpin), die für alle Länder der Welt passe. Und weiter: Andere Formen von Demokratie auszuschließen, lediglich weil sie anders sind, ist selbst ein undemokratisches Verhalten, zitiert die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua den chinesischen Präsidenten.

                      Amerikas “schlechte Demokratie”

                      Um die Vorteile des chinesischen Systems zu belegen, verweist man in China auf die Erfolge der vergangenen Jahre:

                      • die rasante Entwicklung des Landes,
                      • die drastische Reduzierung von Armut,
                      • den Aufstieg von Millionen Chinesen, die inzwischen ein mittleres bis hohes Einkommen erzielen,
                      • und zuletzt auch die Erfolge bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie.

                      Im Gegensatz dazu stehe die Bilanz der USA. Genannt sind Gewaltkriminalität, massive Drogenprobleme und die marode Infrastruktur des Landes. Auch der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar nach der von Donald Trump verlorenen Präsidentenwahl gilt hier als Anzeichen für die Schwäche des US-Systems. 

                      Doch die innere Verfasstheit von den USA und China betreffe längst nicht nur die Bevölkerung im jeweiligen Land, sondern schlage sich auch in der Außenpolitik nieder. China sei derart stabil und gut regiert, dass es mit Programmen wie der “Belt-and-Road”-Initiative immer mehr Ländern der Welt helfen könne. Was sich die USA hingegen in den vergangenen Jahrzehnten außenpolitisch geleistet habe, verdeutlichte vergangene Woche der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Wang Wenbin in Peking. “Im Namen der Demokratieförderung verhängt Amerika einseitige Sanktionen, beginnt militärische Interventionen in anderen Ländern, tötet hunderttausende Zivilisten, verletzt und vertreibt Millionen Menschen.”

                      Die nationalistische Zeitung “Global Times” hat zu diesem Anlass eigens eine Serie über die “wahre Natur der amerikanischen Demokratie” gestartet, in der sie die hegemonialen Sünden der US-Demokratie entlarven will. Kurz zusammengefasst: Krieg, Blutvergießen und Chaos in der Welt.   

                      Laute Kritik am Demokratie-Gipfel

                      Angesichts dessen ist für China der von den USA initiierte “Demokratie-Gipfel” nicht mehr als eine Farce. Vize-Außenminister Le Yucheng stellte in einer Rede auf dem kurzfristig organisierten “Dialog über Demokratie” klar, worum es Amerika in Wirklichkeit gehe: Manche Länder benutzen neuerdings Demokratie “als ein politisches Werkzeug für selbstsüchtige Gewinne, sie bilden Blöcke, um Teilung und Konfrontation in die Welt zu bringen”.

                      Außenamtssprecher Wang verwies in einer Pressekonferenz auf eine wachsende Zahl an Ländern, die die chinesische Sicht teilen würden. Medien in Ägypten, Saudi-Arabien und Israel bezeichneten den Demokratie-Gipfel als amerikanisches Hilfsmittel, um sich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen und die eigene Hegemonie zu sichern. Besonders gerne führt Peking hierbei auch ein Mitglied der Europäischen Union als Kronzeugen an: Ungarn. “Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó hat klargemacht, dass dieser Gipfel die Charakterzüge amerikanischer Innenpolitik trage”, sagte Wang.

                      Chinas Kritik am “Demokratie-Gipfel” sorgte international für Schlagzeilen. Sie kommt laut und aggressiv daher, ist dabei jedoch vor allem eines: vorhersehbar. Weitaus wichtiger ist der Prozess, den Xi Jinping vor rund zwei Jahren in Gang gesetzt hat und der am Samstag mit der Vorlage eines Weißbuches zur “chinesischen Demokratie” einen vorläufigen Höhepunkt erreichte.

                      Neudeutsch würde man diesen Vorgang “Wording” oder “Framing” nennen; China geht darum, ein eigenes Narrativ zu schaffen. Das bedeutet: Mit seinem eigenen “Demokratie-Modell” macht sich Peking daran, die westliche Deutungshoheit über den Begriff Demokratie herauszufordern. Die Folgen könnten gravierend sein – und weit über den Gipfel in Washington hinausreichen.

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                        US-Boykott bringt Ampel in Zugzwang

                        Eine konzertierte Aktion gegen jemanden oder einen ganzen Staat, an der sich möglichst viele beteiligen – das ist die Definition des Begriffs “Boykott”. Er geht zurück auf den britischen Großgrundbesitzer Charles Cunningham Boycott, der bekannt dafür war, Wucherzinsen von seinen Pächtern zu verlangen und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schinden. Sie kündigten allesamt und gingen gegen ihn auf die Straße. Dorfbewohner schlossen sich dem Protest an und boykottierten den Handel mit ihm. Selbst die Post wurde ihm nicht mehr zugestellt. Der Boykott als Protestform war geboren.  

                        Aktuell haben die USA einen Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking verkündet. Und zwar einen “diplomatischen”. Wegen der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen unter anderem gegen die muslimischen Uiguren werde Washington keine Regierungsvertreter zu den Spielen schicken, kündigte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, an. Auf die Frage, warum die US-Regierung von einem kompletten Boykott der Spiele absehe, antwortete Psaki, man habe die Sportler, die intensiv für die Spiele trainiert hätten, nicht bestrafen wollen.

                        Nun könnte man meinen: Na und? Ob jetzt Vertreter der US-Regierung zur Eröffnungsfeier auf den Tribünen sitzen werden oder nicht – das beeinträchtigt die Wettkämpfe nicht wirklich. Chinas rigide Corona-Schutzmaßnahmen sehen ohnehin kein Publikum aus dem Ausland vor. In einer ersten Reaktion auf die Entscheidung erklärte der Sprecher der chinesischen Botschaft in Washington auf Twitter denn auch, der Boykott werde keine Auswirkungen auf die Spiele haben. “Niemand würde sich darum kümmern, ob diese Leute kommen oder nicht”. Die staatliche chinesische Zeitung Global Times versuchte den Konflikt erst komplett herunterzuspielen und schrieb auf Twitter: “Um ehrlich zu sein, sind die Chinesen erleichtert über diese Nachricht, denn je weniger US-Beamte kommen, desto weniger Viren werden eingeschleppt”.

                        Doch so ganz gelassen nimmt Peking den Olympia-Boykott dann doch nicht. Die USA sollten aufhören, “die Winterspiele in Peking durch Worte oder Taten zu stören”, wetterte Chinas Außenamtssprecher Zhao Lijian am nächsten Morgen. Ansonsten schadeten sie dem bilateralen Dialog und der Kooperation mit China in wichtigen Bereichen oder internationalen Fragen. Zudem solle Washington aufhören, den Sport zu politisieren. Olympia sei keine Bühne für “politische Manipulationen”. “Die USA werden den Preis für ihr Fehlverhalten bezahlen. Warten Sie ab“, drohte Zhao und kündigte “entschiedene Gegenmaßnahmen” an, ohne aber Details zu nennen. Der Versuch der USA, die Spiele “aus ideologischen Vorurteilen heraus zu behindern, die auf Lügen und Gerüchten beruhen, wird nur ihre finsteren Absichten aufdecken”, erklärte er.

                        Deutschlands Politiker sind uneins

                        Offenbar hatte die Führung gar nicht vor, zur Eröffnung und auch während der Winterspiele zwischen dem 4. und 20. Februar viel Staatsbesuch zu empfangen. Zhao hatte erst am Montag erklärt, dass China keine Einladungen ausgesprochen habe. Pandemiebedingt sind Zuschauer aus dem Ausland generell nicht vorgesehen. Das war auch bei den Olympischen Spielen im Sommer in Tokyo schon der Fall. Nur hatte das im Fall von Japan keine politische Bedeutung.

                        Die US-Regierung hat aber auch andere Länder aufgefordert, sich dem diplomatischen Boykott anzuschließen. Und einige Länder könnten Washingtons Aufruf Folge leisten. Australien, das sich ebenfalls seit Jahren im Streit mit China befindet, hat sich zusammen mit weiteren 19 Staaten bereits geweigert, ein Abkommen zu unterzeichnen, das Politik von den Spielen fernhalten soll. Die Zeitung Sydney Morning Herald berichtet nun in ihrer Mittwochsausgabe unter Berufung auf Regierungskreise, Australien werde keine Beamten oder Politiker zu den Spielen entsenden. Ob Premier Scott Morrison einen formalen diplomatischen Boykott ausrufe, habe er noch nicht entschieden.

                        Washingtons Forderung setzt auch die neue Ampel-Koalition in Berlin unter Zugzwang. Die designierte Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen hatte vergangene Woche im Gespräch mit China.Table einen Boykott der Spiele in Erwägung gezogen. “Wenn ich sehe, wie Chinas Führung mit der Tennisspielerin Peng Shuai umgeht oder mit der verhafteten Bürgerjournalistin Zhang Zhan, sollten wir natürlich auch die Olympischen Spiele genauer in den Blick nehmen”, sagte Baerbock. “Da gibt es für Regierungen unterschiedliche Formen des Umgangs, die in den kommenden Wochen sicherlich diskutiert werden.”

                        Der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, legte am Dienstag nach und begrüßte die US-Entscheidung explizit. Bei massiven Menschenrechtsverletzungen sei es “notwendig, dass man auch ein klares Signal setzt”, sagte Nouripour am Dienstag im rbb-Inforadio. Nouripour warb zwar ebenfalls nicht für einen vollständigen Boykott. “Athletinnen und Athleten, die ein Leben lang auf ein Ziel hingearbeitet haben”, dürften nicht Opfer der Politik werden, sagte er. Das US-Vorgehen, keine Regierungsvertreter zu den Spielen zu schicken, sei aber die “richtige Herangehensweise”. Er hoffe, “dass sich Deutschland dem anschließt”.

                        Der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bremst jedoch. Die Bundesregierung werde den Umgang mit China “sehr sorgfältig mit uns, unter uns und mit den Partnern in Europa und der Welt beraten”, sagte er am Dienstag. Viele Länder, mit denen Deutschland zu tun habe, hätten “Regierungsformen, die vollständig anders ausgerichtet sind, als das, was wir selber richtig finden”, sagte Scholz. Die neue Bundesregierung müsse es “hinkriegen, über die Unterschiede Bescheid zu wissen und trotzdem gut miteinander auszukommen in der Welt.” Dies sei ein “kluges Verständnis von Politik”.

                        Ebenso schwammig blieb der designierte Finanzminister Christian Lindner (FDP). Bei der künftigen Ausgestaltung der Beziehungen zu China werde auch die wirtschaftliche Bedeutung der Volksrepublik für Deutschland in die Entscheidungen einbezogen, betonte er nun. Es werde “auch weiterhin die besondere Rolle des chinesischen Binnenmarkts für die deutsche Wirtschaft berücksichtigt werden”, sagte Lindner. “Auf der anderen Seite haben wir uns vorgenommen, auf der Weltbühne auch einen Einsatz zu zeigen für Menschenrechte, die Achtung des Völkerrechts und Multilateralismus.” Darüber müsse es einen “offenen Austausch” mit China geben.

                        Deutschlands China-Politik lässt sich nicht länger aufrechterhalten

                        Dabei hatte auch die FDP die Vorgängerregierung noch dafür kritisiert, in der deutschen China-Politik trotz der massiv zugenommenen Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik zu zurückhaltend gewesen zu sein. Nun scheinen Deutschlands wirtschaftliche Interessen in China aber auch der FDP wichtiger zu sein. 2020 betrug das Volumen des bilateralen Außenhandels zwischen China und Deutschland weit über 220 Milliarden Euro, so hoch wie mit keinem anderen EU-Land. Insbesondere für Deutschlands Autobauer ist das Reich der Mitte längst der mit Abstand wichtigste Markt der Welt.

                        Doch wer sich unter europäischen Diplomaten in Peking umhört, bekommt hinter vorgehaltener Hand immer öfter gesagt, dass sich Deutschlands zurückhaltende China-Politik in dem zunehmend polarisierten Klima kaum länger aufrechterhalten lässt. Ebenfalls lässt sich vernehmen, dass die Botschaftsmitarbeiter vor Ort angesichts der geschlossenen Grenzen und den auf Telefonanrufe und Video-Calls beschränkten Austausch immer größere Schwierigkeiten haben, den zuständigen Regierungsvertretern in Berlin diesen grundlegenden Wandel der Volksrepublik unter Xi Jinping deutlich zu machen.

                        Wer sich genauer bei Firmenvertretern in China umhört, erntet vor allem betretenes Schweigen. Verwundern sollte das nicht, denn angesichts der aufgeheizten Stimmung kann jede kritische Äußerung mit wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen geahndet werden. Gleichzeitig stehen die Firmen auf ihrem Heimatmarkt genauso unter Druck – aufgrund neuer Lieferkettengesetze und dem gestiegenen moralischen Bewusstsein der Konsumenten.

                        Die deutsche Handelskammer in Peking versucht sich in einem Kompromiss: Sie verschickt eine generische Stellungnahme, die Details vermeidet. “Wenn die Bundesregierung im Rahmen der gemeinsamen EU-China-Politik eine umfassende China-Strategie in Deutschland gestalten und die Regierungskonsultationen fortsetzen will, ist das auch aus Sicht der Deutschen Handelskammer in China sinnvoll. Wir regen an, den Dialog zwischen Deutschland und China in verschiedenen Formaten fortzuführen”, heißt es. Mitarbeit: Fabian Kretschmer

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                          USA nähern sich Verbot von Importen aus Xinjiang

                          Die USA verstärken den Druck auf China wegen Menschenrechtsverletzungen. Im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren bringt Washington neue Wirtschaftssanktionen auf den Weg. Das Repräsentantenhaus verabschiedete am Mittwoch ein Gesetz zum Verbot von Importen aus der chinesischen Uiguren-Region Xinjiang wegen mutmaßlicher Zwangsarbeit. Die Kongresskammer stimmte dem “Uyghur Forced Labor Prevention Act” fast einstimmig mit einer Mehrheit von 428 zu einer Stimme zu. Damit das Gesetz in Kraft tritt, muss es noch den Senat passieren und von Präsident Joe Biden unterzeichnet werden.

                          Die US-Regierung will zudem das KI-Unternehmen Sensetime aus Shenzhen auf eine Schwarze Liste setzen. Das berichtet die “Financial Times”. Damit dürfen Amerikaner nicht in das Unternehmen investieren. Die USA halten Sensetime für eines der chinesischen Unternehmen, die bei Menschenrechtsverletzungen gegen muslimische Minderheiten in China eine Rolle spielen.

                          China kritisierte das Vorgehen der USA. Ein Regierungssprecher drohte mit Vergeltung. Die USA müssten ihre Fehler korrigieren, teilte das Handelsministerium mit. Andernfalls werde China Maßnahmen ergreifen, um seine Interessen zu sichern. Damit drohen sich die Spannungen und Handelsstreitigkeiten zwischen den beiden Großmächten, die unter dem vorherigen US-Präsidenten Donald Trump angefacht wurden, auch unter dessen Nachfolger zu verschärfen. Zu einem virtuellen Demokratie-Gipfel, zu dem Biden für Donnerstag geladen hat und an dem mehr als 100 Staats- und Regierungschefs sowie andere Spitzenvertreter aus aller Welt teilnehmen, wurden China und Russland nicht eingeladen (China.Table berichtete). rtr/fin

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                            Mediengründer Lai in Hongkong schuldig gesprochen

                            Ein Gericht in Hongkong hat am Donnerstag den chinakritischen Medienunternehmer Jimmy Lai, den Anwalt Chow Hang Tung und die ehemalige Oppositionspolitikerin Gwyneth Ho schuldig gesprochen. Sie waren wegen wegen Anstiftung zur Teilnahme an einer nicht genehmigten Versammlung angeklagt. Lai, Chow und Ho hatten auf nicht schuldig plädiert, andere zur Mahnwache am 4. Juni 2020 aufgerufen zu haben. Es ist der jüngste Schlag gegen die Demokratiebewegung in der chinesischen Sonderverwaltungszone unter dem sogenannten Sicherheitsgesetz, das von der Regierung in Peking im vergangenen Jahr trotz internationaler Kritik als Reaktion auf die Proteste der Demokratiebewegung erlassen wurde und ihr mehr Zugriff auf Hongkong ermöglicht.

                            Jimmy Lai war Verleger der Zeitung Apple Daily, die den steigenden Einfluss Pekings in Hongkong immer kritisiert hat und daher geschlossen wurde (China.Table berichtete). Die jährliche Mahnwache am 4. Juni findet zum Gedenken an die Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking im Jahr 1989 statt. Die letzten beiden Mahnwachen wurden von der Polizei unter Berufung auf Coronavirus-Beschränkungen untersagt. Lai gilt als scharfer und prominenter Kritiker Chinas. Er wurde bereits in zwei ähnlichen Fällen zu jeweils 14 Monaten Gefängnis verurteilt und ist seit letztem Jahr in Haft.  rtr/fin

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                              Beer fordert Komplett-Boykott der Winterspiele

                              Immer mehr Länder schließen sich den USA bei ihrem “diplomatischen Boykott” der Olympischen Winterspiele in Peking an. Der britische Premierminister Boris Johnson kündigte am Mittwoch im Londoner Unterhaus an, kein Minister seiner Regierung werde zu diesem Anlass nach China reisen. Dies bedeute “effektiv” einen diplomatischen Boykott, erklärte er bei einer Befragung im Unterhaus. 

                              Vor Großbritannien kündigte auch Australien an, die Winterspiele auf diplomatischem Wege zu boykottieren. Der Boykott bezieht sich nur auf die Teilnahme von Regierungsvertretern. Die Athletinnen und Athleten sowohl der USA, als auch Australien und Großbritannien sollen zu den Spielen vom 4. bis 20. Februar in Peking anreisen. Auch Neuseeland wird keine Regierungsvertreter nach Peking schicken, begründet das aber mit der Pandemie.

                              Insbesondere Australiens Ankündigung sorgt in Peking für schwere Verstimmung. “Die australische Regierung folgt bestimmten Ländern blind, sodass es richtig nicht von falsch unterscheiden kann”, sagte Außenamtssprecher Wang Wenbin am Mittwoch in Peking. Dabei habe China gar nicht die Pläne gehabt, “irgendeinen australischen Offiziellen zu den Spielen einzuladen”, betonte der Sprecher. “Niemand interessiert sich dafür, ob sie kommen oder nicht.”

                              Deutschland über Boykott noch unschlüssig

                              In der Ampel-Koalition sind sich die drei Parteien in dieser Frage weiter uneins. Der am Mittwoch frisch im Bundestag gewählte neue Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am Tag zuvor lediglich angekündigt, die Bundesregierung werde den Umgang mit China “sehr sorgfältig mit uns, unter uns und mit den Partnern in Europa und der Welt beraten”. Doch neben den Grünen sprechen sich inzwischen auch immer mehr vom dritten Koalitionspartner, der FDP, für einen Boykott aus. 

                              Die Jungen Liberalen (Julis) haben die künftige Bundesregierung aufgefordert, sich den USA mit einem diplomatischen Boykott der Olympischen Spiele in Peking anzuschließen. Die Kommunistische Partei Chinas verantworte vielfach schwere Verletzungen der Menschenrechte, erklärte die Bundesvorsitzende Franziska Brandmann und verwies besonders auf die Lage in der autonomen Region Xinjiang.

                              Die FDP-Europaabgeordnete Nicola Beer fordert gar den kompletten Boykott durch die Mitgliedsstaaten der EU. “Unmissverständliche Signale des Westens Richtung Peking” seien längst “überfällig”, erklärte Beer. Es könne “weder im Interesse der USA noch der EU sein, Peking stillschweigend bei den Winterspielen als gigantische Propaganda-Inszenierung zuzusehen, während Chinas Apparat unverhohlen hinter den Kulissen schwerwiegend Menschenrechte verletzt”. Die EU sollte nicht nur im Windschatten der USA bleiben, forderte die FDP-Politikerin. Vielmehr solle sie “sich selbst für die Einhaltung von Menschenrechten auf die Hinterbeine stellen und sich für einen gänzlichen Boykott der Winterspiele aussprechen”, sagte Beer den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. 

                              Ganz anders hingegen sieht das der frühere SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder. “Es gibt erhebliche Aufgaben, in der Außen- und Sicherheitspolitik, man muss europäischer in der Sicherheitspolitik denken, man muss vernünftige Beziehungen zu China, zu Russland aufrechterhalten”, sagte Schröder, der zwischen 1998 und 2005 Kanzler war. Äußerungen, die er von der neuen Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen “gehört und gelesen” habe, halte er für “nicht unproblematisch”. “Man kann ein Land wie China nicht isolieren.” Deutschland brauche auch aus ökonomischen Gründen intakte Beziehungen. “Es wird Sache auch der Außenministerin sein, diese aufrechtzuerhalten und nicht nach dem Motto vorzugehen: ‘Am grünen Wesen soll die Welt genesen’”, erklärte der Altkanzler. flee

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                                WHO bittet China um Patent-Freigabe

                                Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat zwei chinesische Hersteller von Corona-Impfstoffen um die Freigabe ihrer Impfpatente gebeten, wie South China Morning Post berichtete. “Wir befinden uns in Kontakt mit den beiden großen Herstellern, deren Impfstoffe eine WHO-Freigabe erhalten haben”, sagte Erika Dueñas Loayza, Leiterin des Referats für geistiges Eigentum in der WHO-Abteilung für den Zugang zu Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten. Ziel sei es, den Zugang von Ländern des globalen Südens zu Impfstoffen zu verbessern. Bisher seien in den afrikanischen Staaten lediglich 7,3 Prozent der Bevölkerung vollständig gegen Corona geimpft.

                                Die Impfstoffe von Sinovac und Sinopharm sind von der WHO für den Notfalleinsatz zugelassen. Neben den beiden Unternehmen habe die WHO auch die chinesische Vertretung in Genf kontaktiert. Allerdings betonte Dueñas Loayza, dass es sich nicht um eine kostenlose Freigabe handeln würde. “Es wäre eine Freigabe im Austausch für Lizenzgebühren”, sagte Dueñas Loayza.

                                Die WHO würde als Plattform agieren und potenzielle Impfstoffhersteller ausmachen, die in der Lage sind, den Impfstoff der chinesischen Unternehmen zu produzieren. Die Weltgesundheitsorganisation könne dabei helfen, die Produktion zu beschleunigen und die Impfstoffe schnell in die Länder des globalen Südens zu bringen.

                                Laut Dueñas Loayza sind Sinopharm und Sinovac jedoch eher an bilateralen Vereinbarungen mit einzelnen Ländern interessiert. Das indische Unternehmen Bharat Biotech hätte seine Technologien für Covid-Impfstoffe der WHO-Plattform zur Verfügung gestellt. Man hoffe, dass die chinesischen Anbieter nachziehen würden. Auch westliche Pharma-Unternehmen wie Pfizer, Moderna, Johnson & Johnson und AstraZeneca haben der WHO bei der Freigabe der Patente bisher die kalte Schulter gezeigt, so die SCMP. nib

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                                  EU verlängert Sanktionen

                                  Die Europäische Union hat ihre Sanktionen gegen vier chinesische Beamte und eine Organisation wegen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang verlängert. Die Strafmaßnahmen gelten nun bis Ende Dezember 2022, wie der EU-Rat am Montag mitteilte. Die EU hatte sich im März auf die Sanktionen verständigt, Peking reagierte seinerseits mit Strafmaßnahmen. Seither liegt das Investitionsabkommen CAI auf Eis.

                                  Die EU-Sanktionen treffen Zhu Hailun, den ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden der KPCh in Xinjiang, sowie Wang Junzheng, Parteisekretär des Xinjiang Produktions- und Aufbaukorps (Xinjiang Production and Construction Corps. XPCC), einer wirtschaftlichen und paramilitärischen Organisationseinheit in Xinjiang, die der Zentralregierung in Peking unterstellt ist. Laut EU ist sie auch für die Verwaltung von Haftzentren zuständig.

                                  Die Strafmaßnahmen richten sich außerdem gegen Wang Mingshan, Mitglied des Ständigen Ausschusses der KPCh Xinjiang und Chen Mingguo, Direktor des Xinjiang Public Security Bureau (PSB), der regionalen Sicherheitsbehörde in der Provinz. Das zu XPCC gehörige PSB ist zudem separat als Organisation mit auf der Sanktionsliste.

                                  Für die Betroffenen gilt ein Einreiseverbot für die EU, außerdem werden ihre Vermögen eingefroren. Zudem dürfen sie keine finanziellen Mittel oder wirtschaftliche Unterstützung aus der Europäischen Union von Organisationen oder Einzelpersonen bekommen. ari

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                                    Chinas Waffenindustrie erhöht Umsatz

                                    Trotz der Corona-Pandemie sind die Umsätze von weltweit führenden Rüstungsfirmen gestiegen. Die 100 größten Hersteller setzten insgesamt 531 Milliarden US-Dollar (470 Milliarden Euro) um – ein Plus von 1,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri heute bekannt gab. US-Unternehmen führten mit Abstand, dahinter folgen Rüstungsfirmen aus China. 

                                    Chinesische Firmen entwickelten sich zu einigen der “fortschrittlichsten Militärtechnologieproduzenten der Welt”, wie Nan Tian, leitender Wissenschaftler bei Sipri, sagte. So kommen die fünf chinesischen Rüstungsfirmen in der Rangliste auf 13 Prozent des Gesamt-Umsatzes. China liegt damit zwar weit hinter den USA (54 Prozent der gesamten Waffenverkäufe), aber noch vor Großbritannien.

                                    Chinesische Firmen verkauften laut Sipri Rüstungsgüter im Wert von schätzungsweise 66,8 Milliarden Dollar – 1,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Die chinesischen Hersteller profitierten in den vergangenen Jahren von den militärischen Modernisierungsprogrammen des Landes sowie der Verschmelzung von militärischen und zivilen Projekten, sagte Nan Tian der Nachrichtenagentur AFP.  

                                    Insgesamt beliefen sich die Waffenverkäufe der Unternehmen in den Top 100 mit Sitz außerhalb der USA, Chinas, Russland und Europa auf 43,1 Milliarden Dollar – ein Anstieg von 3,4 Prozent im Vergleich zu 2019. Dies entsprach jedoch nur 8,1 Prozent des Gesamtumsatzes der 100 größten Hersteller. niw

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                                      Studie zu China-Berichterstattung ignoriert die politische Realität

                                      Von Andreas Fulda
                                      Andreas Fulda über die Studie zur China-Berichterstattung
                                      Politikwissenschaftler und China-Experte an der Universität Nottingham

                                      Ich halte den analytischen Ansatz der Autoren für praxisfern und herrschaftsunkritisch. Studien wie diese werden die Krise des öffentlichen Vertrauens in das professionelle Wissen von China-Wissenschaftlern noch weiter vertiefen. Während von deutschen Sinologen häufig mehr China-Kompetenz in Staat und Gesellschaft gefordert wird, stellt sich für mich vielmehr die Frage, was für eine Analyse der Volksrepublik China bislang betrieben wird.

                                      Meine eigene Forschung zum Thema Wissenschaftsfreiheit und die Rolle Chinas hat ergeben, dass in der deutschen Wissenschaft die politische Zensur und die daraus resultierende Selbstzensur ein Tabuthema darstellt. Dies hat negative Auswirkungen auf den akademischen und öffentlichen China-Diskurs in Deutschland. Die vorliegende Studie ist ein Beispiel hierfür.

                                      Die Praxisferne wird bereits im Vorwort deutlich. Es klagt über “unterkomplexe” deutsche Medienberichte und über fehlende Nuancen. Politikentscheidungen würden zu selten aus chinesischer Logik heraus verständlich gemacht. Weiter heißt es: Beschreibungen, Verortungen und Definitionen schafften “Realitäten”, was besonders für die Auslandsberichterstattung gelte, “da wir in anderen Ländern selbst keine unmittelbaren Erfahrungen und Erlebnisse gemacht, dort keine Gespräche und Diskussionen geführt, keine eigenen Interessen und auch keine weitergehenden Kenntnisse über Geschichte, Kultur und spezifische Problemstellungen erworben haben, die wir mit einem massenmedial vermittelten Narrativ positiv oder negativ in Beziehung setzen könnten.”

                                      Diese Formulierungen, die den Ausgangspunkt der Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung erläutern, verwundern schon sehr. Keine Gespräche und keine Diskussionen? Keine eigenen Interessen und auch keine weitergehenden Kenntnisse über Geschichte, Kultur und spezifische Problemstellungen? In diesem Vorwort wird so getan, als hätte es in den letzten vierzig Jahren kein praktisches westliches China-Engagement gegeben. Es entsteht der Eindruck, als seien für das Chinabild in Deutschland ausschließlich die Medien verantwortlich. Die Realität sieht allerdings völlig anders aus.

                                      Journalisten gehören zu den besten China-Kennern

                                      Unzählige deutsche Politiker, Wirtschaftslenker, Journalisten, Kulturschaffende, Akademiker und Studenten haben die Volksrepublik China seit dem Beginn der 1980er-Jahre besucht oder befinden sich in konstantem Austausch mit Partnern vor Ort. Viele Zehntausende deutsche Staatsbürger haben zudem lange in Festlandchina gelebt und gearbeitet. China auf politische beziehungsweise akademische Diskurse zu begrenzen, wird daher der Fülle an Erfahrungen auf deutscher Seite in keinster Weise gerecht.

                                      Stattdessen wird von der Herausgeberin der Studie so getan, als bliebe die Volksrepublik China trotz des intensiven westlichen China-Engagements ein Buch mit sieben Siegeln, und die Medien würden das Land nun in die Rolle des Feindes pressen. Das ist zu kurz gedacht. Denn eben, weil wir zunehmend Erfahrungen sammeln im Umgang mit der Volksrepublik, spiegeln die Medien im Wesentlichen das wider, was sich an Erkenntnissen aus diesem Umgang ergibt.

                                      Meiner Einschätzung nach gehören viele westliche Journalisten mit langer akademischer und praktischer China-Erfahrung sogar zu den besten China-Kennern. Viele besitzen einen hohen Grad an Empathie und Einfühlungsvermögen, viele sprechen gut, manche fließend Chinesisch. Sie kennen chinesische Binnenperspektiven besser als viele andere, die das Land kennengelernt haben oder dort leben.

                                      Ich traue diesen Journalisten sehr wohl zu, den Einparteienstaat realistisch einzuschätzen. Sie sind sich bewusst, was passiert, wenn aufgrund von politischen Zensurvorgaben Informationsströme innerhalb Chinas versiegen.

                                      Gerade zu Beginn der Covid-Pandemie konnten wir beobachten, wie innerhalb Chinas massive Konflikte um Meinungsfreiheit ausbrachen. Verantwortungsbewusste Mediziner wie Dr. Li Wenliang wurden daran gehindert, Kollegen vor dem Virus zu warnen. Chinesische Kritiker am Krisenmanagement Xi Jinpings wurden mundtot gemacht oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Mittlerweile wird chinesische Forschung zu Covid-19 vor ihrer Publikation von Regierungsbeamten nach politischen Kriterien geprüft. Wie sonst außer “kritisch” bis “sehr kritisch” sollte eine Berichterstattung in diesem Kontext aussehen? Doch die Studie liefert einen solchen Kontext nicht.

                                      Studie liefert zu wenig Kontext

                                      Die Opfer des Xi-Regimes spielen in der gesamten Einschätzung der Berichterstattung überhaupt keine Rolle. China wird stattdessen vorwiegend aus Sicht der Herrschenden analysiert. Und auch wenn es legitim ist, sich mit dem “offiziellen China” analytisch auseinanderzusetzen, so sollte eine solche Befassung nicht auf Kosten des “inoffiziellen Chinas” gehen.

                                      Die Studie vermittelt den Eindruck, als gäbe es in Festlandchina kaum Kritiker an Xis Krisenmanagement, und deutsche Medien würden diese Harmonie im Land schlicht ignorieren, weil sie nicht in das Weltbild der Autoren passe, oder sie die öffentlichen Debatten nicht verfolgten. Es wird so getan, als würde es nur in Hongkong ein paar Aktivisten geben, und Medien nicht anerkennen wollen, dass es sich um eine “terroristische Bande” handle, so zumindest die Lesart der chinesischen Regierung.

                                      Die Studie ignoriert dabei die vielen Dissidenten im Land wie den Immobilien-Unternehmer Ren Zhiqiang, der für seine Kritik an der Staatsführung unter Vorwand der Korruption zu 18 Jahren Haft verurteilt wurde. Die Autoren ignorieren auch die ehemalige Professorin an der Parteihochschule, Cai Xia, die in Folge ihrer Regime-Kritik aus der Partei ausgeschlossen wurde und keine Pension mehr erhält. Der chinesische Bürgerjournalist Chen Qiushi wird ebenfalls nicht erwähnt. In Folge seiner Berichterstattung in Wuhan verschwand er für 600 Tage von der Bildfläche. Die Bürgerjournalistin Zhang Zhan hingegen landete für ihr Engagement im Gefängnis. Sie ist derzeit in einem Hungerstreik. Ihr Gesundheitszustand gilt seit Monaten als kritisch.

                                      Es ist unter diesen Umständen nicht nachvollziehbar, wenn die Autoren von “einem letztlich erfolgreichen Zusammenspiel politischen und gesellschaftlichen Handelns” sprechen. Wenn in der Studie Vertreter des “inoffiziellen Chinas” einmal benannt werden, so ist deren Position häufig nur einen kurzen Halbsatz wert, und ihr jeweiliges Engagement wird negativ konnotiert.

                                      Xi-Regime ist personalisierte Diktatur

                                      So wie das der chinesischen Schriftstellerin Fang Fang, die für ihr Wuhan-Tagebuch von Nationalisten angegriffen wurde. In der Studie wird sie nur kurz dafür erwähnt, dass mit Bezug auf Fang Fang in der deutschen Berichterstattung das “Behördenversagen in der Frühphase angeprangert” werde. Professor Xu Zhangrun, der im Zuge seiner Kritik an Xis Umgang mit Covid seinen Job an der Tsinghua University verlor, wird derweil nur zitiert, um mediale Kritik am autokratischen Führungsstil Xis infrage zu stellen.

                                      Die Studie muss sich also selbst den Vorwurf fehlender Nuancen gefallen lassen, die sie der China-Berichterstattung vorwirft.

                                      An der Person Xi Jinpings wird besonders deutlich, wie herrschaftsunkritisch die drei Autoren China analysieren. In der Studie sprechen sie von einem “Narrativ vom kommunistischen Diktator”. Aber es gibt natürlich auch so etwas wie politische Realität.

                                      Xi Jinping hat in der historischen Wirklichkeit einen Personenkult geschaffen, die kollektive Führung im Ständigen Komitee des Politbüros beendet und mit dem Dokument Nr. 9 jeder Liberalisierung und Demokratisierung des Landes eine deutliche Absage erteilt. Aus politikwissenschaftlicher Sicht lässt sich das Xi-Regime als personalisierte Diktatur bezeichnen. Es ist daher völlig legitim, wenn deutsche Journalisten diesen Umstand in ihrer China-Berichterstattung auch so deutlich ansprechen.

                                      Aufgrund der benannten Praxisferne sowie der mangelnden Herrschaftskritik halte ich die Studie für wenig gewinnbringend.

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                                        Margarete Bause – macht sich für Menschenrechte stark

                                        Margarete Bause, Sprecherin für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag
                                        Margarete Bause, Sprecherin für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag

                                        “Das war ein Gänsehautmoment”, sagt die Grünen-Politikerin Margarete Bause rückblickend über ihre Begegnung mit Ai Weiwei im Jahr 2014. Der chinesische Künstler stand unter Hausarrest und durfte das Land aufgrund seiner regierungskritischen Äußerungen nicht verlassen. “Ich habe ihn gefragt, ob es etwas nützt, wenn westliche Politiker:innen nach China kommen und dort Menschenrechte ansprechen.” Er habe geantwortet, dass es das Einzige sei, was Menschen wie ihm Hoffnung gebe. Das Gespräch hat sie tief bewegt und ist bis heute “ein Auftrag”, sich für Menschenrechte einzusetzen.

                                        Damals war Bause Fraktionsvorsitzende der Grünen im bayerischen Landtag und begleitete den Ministerpräsidenten Horst Seehofer auf seiner China-Reise. “Menschenrechte standen dabei nicht auf der Tagesordnung.” Sie hat es trotzdem geschafft, ein Treffen mit Ai zu organisieren – außerhalb des Programms. Im Anschluss hat sie sich noch intensiver mit der Menschenrechtssituation in China beschäftigt. 2017 zog Bause dann in den Bundestag ein, wurde dort Sprecherin für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der Grünen.

                                        Die 62-Jährige brennt für ihren Beruf, besonders begeistern sie die Begegnungen mit Menschenrechtsaktivist:innen aus aller Welt. Viele seien unter gefährlichen Bedingungen aktiv, riskierten ihr Leben. Die Gespräche mit ihnen findet Bause bereichernd, sie machten aber gleichzeitig demütig, erzählt sie. Sie selbst verbrachte weite Teile ihres Lebens in Bayern, dort studierte sie auch Soziologie. Dabei hat sie gelernt, gesellschaftliche Prozesse in einem größeren Kontext zu sehen.

                                        Deutsches Lieferkettengesetz nur ein Anfang

                                        “Das kann man auch in der Politik sehr gut gebrauchen”, erklärt sie. In der deutschen China-Politik fehle aktuell dieser größere Kontext, eine kohärente Strategie. “Bisher waren die Aussagen und Ziele des Wirtschaftsministeriums oft andere als die des Auswärtigen Amts oder des Entwicklungshilfeministeriums.” Sie verweist auf die Formel “Dialog und Härte”, die die Grünen-Kandidatin für das Kanzleramt, Annalena Baerbock, im Frühling für den Umgang mit China ausgab. Für diese Herangehensweise sieht Bause inzwischen auch Bündnispartner in den anderen Fraktionen im Bundestag. Die Sicht auf China verändert sich.

                                        Sie plädiert für ein selbstbewussteres Auftreten: “China ist mindestens so von Europa abhängig wie umgekehrt.” Trotzdem müssten bestehende Abhängigkeiten reduziert und möglichst keine neuen aufgebaut werden. Bause ist optimistisch, dass das gelingen kann. In der vergangenen Legislaturperiode beschäftigten sie vor allem die Menschenrechtsverletzungen Chinas gegenüber der uigurischen Minderheit.

                                        Auch deshalb setzt sie sich für ein schärferes Lieferkettengesetz ein. Das im Juli beschlossene Gesetz sei erst ein Anfang: “Auf einer Skala von null bis zehn sind wir jetzt bei vier.” Bause findet, es gibt noch viel zu tun, sie will sich auch nach der Wahl weiter für Menschenrechte starkmachen. “Aber gerne nicht in derselben Position, sondern aufseiten der Regierungsfraktion,” sagt Bause mit einem verschmitzten Lächeln. Paul Meerkamp

                                        • Ai Weiwei
                                        • Die Grünen
                                        • Margarete Bause
                                        • Menschenrechte

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