die Sprache bestimmt das Bewusstsein. Wenn gebräuchliche Begriffe ganze Gruppen von Menschen herabsetzen und gegen sie aufstacheln, dann setzt sich das im Denken fest. Johnny Erling warnt heute in seiner Kolumne vor Chinas erstarrter Freund-Feind-Sprache. Die Propaganda hat sie unter Mao eingeführt und nie richtig ausgemistet. In Zeiten internationaler Konflikte ist es gefährlich, vermeintliche Gegner mit Tiernamen zu belegen und keinen Raum für Selbstzweifel zu lassen. Aber Chinas Diplomaten glauben lieber an den “anti-chinesischen Chor” im Westen, als die toxischen Begrifflichkeiten im eigenen Land zu hinterfragen.
Was erfährt China über den Krieg in der Ukraine? In einer Auswertung haben wir am Dienstag bereits versucht, das Bild in den chinesischen Medien auszuleuchten. In der heutigen Ausgabe beschreibt Amelie Richter, welche Reporter für Chinas private und staatliche Kanäle in der Ukraine unterwegs sind und was sie antreibt. Ein objektives Bild vom Krieg gibt es natürlich nicht. Umso wichtiger ist es zu verstehen, welche Deutung der Ereignisse sich in China festsetzt. Auch für die Bewertung der möglichen Rolle Pekings bei der Beendigung der Invasion.
Derweil ziehen die ökonomischen Auswirkungen immer weitere Kreise. In zwei weiteren Texten betrachten wir die aufkommenden Störungen der Schienenverbindungen und die Furcht chinesischer Konzerne vor US-Sanktionen. Julia Fiedler hat Logistiker befragt, ob die Seidenstraßen-Züge weiterhin rollen. Das tun sie zwar. Doch Probleme ergeben sich an anderer Stelle. Versicherer könnten Ärger machen, wenn die kostbaren Waren durch das sanktionierte Russland reisen. Die Folge: Stornierung von Fracht.
Die indirekte Wirkung von Sanktionen bringt auch die chinesischen Großkonzerne ins Grübeln. Sie zögern, in die Lücke zu stoßen, die der Rückzug westlicher Firmen hinterlässt, analysiert unser Team in Peking. Die Verhaftung der Huawei-Finanzchefin im Zusammenhang mit Iran-Sanktionen hat bereits gezeigt, wo die USA den Hebel ansetzen können. Und ganz Russland ist wirtschaftlich nicht größer als so manche chinesische Provinz. Die Anti-Putin-Allianz dominiert dagegen den Weltmarkt.
Die “eiserne Seidenstraße” ist längst keine romantische Idee mehr, sondern eine Realität des Gütertransports zwischen China und Europa. Die Pandemie hatte dem Transport per Zug sogar einen regelrechten Boom beschert. Im Jahr 2021 wurden auf der Schiene Waren im Wert von knapp 70 Milliarden Euro von Ost nach West transportiert – 50 Prozent mehr als 2020. Und zehnmal so viel wie noch 2016. Vor allem Maschinenteile, Autoteile, Elektronik, aber auch andere Produkte wie Metall- und Chemieerzeugnisse oder Kleidung stecken in den Containern.
Doch wegen des Kriegs in der Ukraine steht die Verlässlichkeit der Schienenwege infrage. Knackpunkt sind bisher weniger die Kämpfe selbst. Denn die gängigen Routen verlaufen ohnehin nicht durch die Ukraine. Die Sorge gilt stattdessen rechtlichen Problemen wie Sanktionen und dem Versicherungsschutz. “Es wäre keine Überraschung, wenn Unternehmen, die ihre Waren vor der Invasion auf der Schiene versenden wollten, nun auf den langsameren, aber zuverlässigeren Seeweg umsteigen”, sagt Jacob Gunter, Wirtschaftsexperte bei dem Forschungsinstitut Merics. Gunter sieht die Unsicherheit durch das sich schnell ändernde geopolitische Umfeld als erhebliches Risiko für den Güterverkehr auf der Schiene. Das werde die Probleme der Lieferkette verschärfen, da zuletzt viele Transporte auf die Schiene verlagert wurden.
Die Auswirkungen zeigen sich bereits in der Praxis. Obwohl die Züge bislang zuverlässig rollen, stornieren Unternehmen zum Teil ihre Buchungen für Schienentransporte, berichtet ein Sprecher der Duisburger Hafen AG. Der Hafen ist nach Hamburg das zweitwichtigste Terminal für die Güterzugverbindung Deutschland-China. Eine häufige Befürchtung der Unternehmen sei, dass internationale Versicherer den Versicherungsschutz durch Belarus und Russland kündigen könnten, so der Sprecher.
Auch Sanktionen seien eine Sorge, so die Hafengesellschaft. Aktuell werde der Transport auf der Schiene durch die Sanktionen gegen Russland zwar noch nicht wesentlich erschwert. Bei den Unternehmen komme diesbezüglich aber Unsicherheit auf. Je weitere Kreise die Sanktionen ziehen, desto wahrscheinlicher wird es, dass auch reine Transporte mit Misstrauen betrachtet werden.
Die Sorge um die Auswirkungen der Sanktionen ist nachvollziehbar. Schließlich sind die Lieferungen nach Russland und Belarus längst von den Strafmaßnahmen westlicher Länder betroffen. Auf dem Weg von China nach Deutschland verläuft ein Großteil der am meisten befahrenen nördlichen Strecke quer durch Russland und von dort über Belarus nach Polen. Der Logistiker DHL berichtet nun, dass Zugtransporte in die beiden sanktionierten Länder bis auf Weiteres ausgesetzt sind.
Derzeit rollt also der Durchgangsverkehr von China nach Europa und umgekehrt, während Züge mit dem Ziel der großen Durchgangsländer ausfallen. Eine beunruhigende Situation. Der DSLV Bundesverband Spedition und Logistik merkt an, dass aus diesem Grund mehr und mehr Unternehmen nach Alternativen zur Nordroute suchen. Die Firmen interessieren sich insbesondere für die Südroute der Seidenstraße in die Türkei, die nicht durch russisches Gebiet führt. Allerdings dauert diese Strecke nach Deutschland viel länger, da sie Schiffspassagen umfasst. Der Logistik-Verband rechnet mit einem stetigen Rückgang der Transporte. Die Lage sei aber weiterhin sehr dynamisch und könne sich jederzeit ändern.
Manche Unternehmen setzen auch jetzt noch weiter auf den Transport mit dem Zug, beobachten die Situation aber ganz genau. Der Automobilzulieferer Conti hat verschiedene Krisenteams eingerichtet, um mit geeigneten Maßnahmen zielgerichtet und schnell auf mögliche Auswirkungen auf die Lieferketten reagieren zu können. Es gebe entsprechende Notfallpläne, die Sicherheitsvorräte und alternative Lieferanten umfassten. So solle dazu beigetragen werden, die Rohstoffversorgung abzusichern.
Ohne Probleme war der Transport auf der Schiene nie: Einerseits drosseln die unterschiedlichen Spurweiten das Tempo. An Grenzübergängen kann es zudem stocken, Rückstaus entstehen. So gab es an der Grenze China-Kasachstan wegen Corona-Maßnahmen Verspätungen von sechs Tagen. An der Grenze zur Mongolei bremst dagegen die schwache Infrastruktur und an der Grenze zu Russland behindern Wagen- und Ressourcenmangel der russischen Bahn die ungehinderte Fahrt. Dazu kommen politische Probleme in den Ländern entlang der Route. Zuletzt waren im Januar Unruhen in Kasachstan ein Unsicherheitsfaktor. Auch Korruption spielt eine Rolle. Hochpreisige Waren gehen auf dem Weg nach China zuweilen “verloren”, was zur Entscheidung gegen die Schiene beiträgt.
Mehr als 90 Prozent der Waren, die von China nach Europa kommen, werden daher per Schiff transportiert. Die Schiene spielt insgesamt nur eine kleine Rolle für den Warenverkehr zwischen China und Europa. Vom Volumen her betrachtet, kommt sie nur auf ein Prozent. Wenn man auf den Warenwert blickt, sind es immerhin drei Prozent.
Doch gerade für wertvolle Güter wie Elektronikteile für Autos hat die Schiene sich fest als Transportweg etabliert. Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt 32 Kilometer pro Stunde: Das ist noch immer deutlich schneller als der Seeweg und dabei viel günstiger als das Flugzeug. “Die Schiene ist auch deswegen die schnellste Option für die Logistik geworden, weil ein Großteil der Luftfracht, die normalerweise zu Passagierflügen zwischen China und Europa hinzugefügt wird, zum Erliegen kam, als China seine Grenzen Anfang 2020 effektiv geschlossen hat”, so Merics-Ökonom Gunter.
Die Schiene ist jedoch gerade für China auch politisch relevant. Das weitverzweigte Bahnnetz der neuen Seidenstraße, die China und Europa verbindet, ist zwar nur ein kleiner Teil der Belt-and-Road-Initiative. Es ist aber besonders wichtig, wie sich an den hohen Subventionen zeigt, die ihm zufließen. Das Prestigeprojekt von Xi Jinping kann durchaus beeindrucken: Alle 30 Minuten fährt inzwischen ein Güterzug von China nach Europa. Bisher wurden mehr als 50.000 Fahrten abgewickelt. Es gibt 78 Verbindungen in 180 Städte, die in 23 europäischen Ländern liegen. Dabei spielt neben dem Warentransport vor allem der Aufbau von Beziehungen und wirtschaftlicher Einfluss in den Partnerländern eine Rolle.
Die Probleme, die nun auf und entlang dieser Strecke entstehen, trüben nicht nur das positive Image der zuverlässigen Schiene, sondern auch die Zukunftsperspektiven der Partnerschaften in Osteuropa. “Peking hat im Jahr 2021 die Beziehungen zu Kiew etwas aufgewärmt. Die Präsidenten Selenskyj und Xi haben die Möglichkeit diskutiert, die Ukraine zu einem Tor nach Europa zu machen”, erklärt Gunter. “China wollte durch die Ukraine einen alternativen Bahn-Eintrittspunkt in die EU schaffen.” Das Ziel war unter anderem, die Abhängigkeit von Belarus zu verringern, sowie von Litauen. Das kleine Land hatte sich den Zorn Pekings zugezogen, indem es sich für Taiwan erwärmte (China.Table berichtete).
Mit der russischen Invasion sind solche Pläne natürlich auf Eis gelegt. Xis gemeinsame Erklärung mit Putin im Februar 2022, in der er eine Freundschaft “ohne Grenzen” zwischen den beiden erklärt hat, macht erst einmal jede Kooperation zwischen Kiew und Peking unmöglich. Sollte China Russland regelrecht zur Hilfe eilen, würde eine Wiederaufnahme der Projekte noch schwerer werden, glaubt Gunter. Julia Fiedler
In den deutschen Medien ist Russlands Krieg in der Ukraine ein Dauerthema. Ganz anders sieht das in China aus. Dort spielt der Krieg medial eine viel kleinere Rolle. Was dort an Video-Aufnahmen und Bildern gezeigt wird, ist streng kuratiert. Berichterstattung von chinesischen Journalisten und Journalistinnen von vor Ort gibt es nur vereinzelt. Zudem müssen sich die Journalisten an strenge Regeln halten.
Für ihre Berichterstattung gibt es gewisse Vorgaben, erklärt eine Journalistin im Gespräch mit China.Table. Begriffe wie “Invasion” dürften nicht verwendet werden. Die 33-Jährige arbeitet in Europa für chinesische Medien. Ihre Arbeit hat sie auch an die Grenze zu Polen geführt, von wo aus sie über das Schicksal ukrainischer Flüchtlinge berichtete. “Zu viel Empathie und zu viel Leid der geflohenen Menschen soll eigentlich nicht gezeigt werden”, sagt sie über die Berichte in chinesischen Staatsmedien. Sie selbst sei überrascht gewesen, dass sie während des Einsatzes an der Grenze so viele Berichte über Geflohene machen sollte und teilweise in einer Weise berichten durfte, die sie selbst als “Putin-kritisch” bezeichnet.
“Es gibt Berichte darüber, wie schlimm die Situation ist”, betont die Journalistin. Viele in China informierten sich mittlerweile nicht mehr nur über staatliche Fernsehsender oder Zeitungen, sondern in den sozialen Medien oder auf Blogs freier Journalisten. Natürlich würden die Informationen stark kontrolliert und zensiert – die Menschen wüssten aber durchaus, was in der Ukraine passiere, glaubt die Journalistin, die seit mehreren Jahren in Deutschland lebt.
Chinesische Journalisten und Journalistinnen teilen selten Berichte oder Bilder ihrer Arbeit im Kriegsgebiet in sozialen Netzwerken. Der Erfahrungsbericht des Xinhua-Korrespondenten Lu Jinbo ist deshalb eine Besonderheit. Lu fuhr am Abend des 24. Februar nach eigenen Angaben von Minsk in Belarus in Richtung Kiew, um dort einen Kollegen zu unterstützen. Für die staatliche Nachrichtenagentur schrieb er einen Bericht über die mühsame Fahrt durch das Grenzgebiet mit gesprengten Brücken und anderen Hindernissen.
In den Tagen nach Beginn des russischen Angriffs finden sich online verschiedene Video-Clips von Lu in der ukrainischen Hauptstadt. In einer selbst gefilmten Sequenz berichtet er von einer “speziellen Militär-Operation” Russlands. Das Video wurde über Xinhua verbreitet. Auch Fotos aus den Metro-Stationen in Kiew, in denen Menschen Schutz suchen, sind von Lu. Zu den ersten Verhandlungsgesprächen zwischen der Ukraine und Russland im Grenzgebiet zu Belarus finden sich Fotos in der Nachrichtenagentur, die laut Urheberkennung ebenfalls von Lu gemacht wurden.
Für Aufsehen unter Medienschaffenden sorgte zu Beginn des Kriegs auch der Fall des chinesischen Reporters Lu Yuguang. Er ist Moskau-Korrespondent für den chinesischsprachigen TV-Sender Phoenix. Ein auf Weibo veröffentlichtes Video zeigte Lu mit russischem Militär bereits am 22. Februar im Süden Russlands, wenige Kilometer von der Grenze zu Luhansk entfernt. In einer Live-Schalte am 24. Februar ist der Reporter mit chinesischen Studenten an der russisch-ukrainischen Grenze zu sehen.
Am 2. März interviewte Lu zudem den russischen Offizier Denis Puschilin, das Oberhaupt der selbsternannten “Volksrepublik Donezk”, über den Fortschritt der russischen “Entmilitarisierung” vor Ort. Der chinesische Journalist trägt in den Videos, anders als sonst üblich, keine Sicherheitsausrüstung mit klarer Presse-Kennzeichnung, sondern ebenfalls beige Kleidung. In einem Video, das am 6. März ausgestrahlt wurde, dagegen trägt Lu militärische Schutzausrüstung. Er ist nach eigenen Aussagen in der schwer umkämpften Stadt Mariupol.
Ob Lu mit den russischen Truppen reist, also als Journalist “embedded” (“eingebettet”) ist, wie es im Fachjargon heißt, ist unklar. Seine bisherigen Berichte legen es jedoch nahe. Zudem ist Lu selbst ehemaliger Militär und ihm werden enge Beziehungen zur russischen Armee nachgesagt. Er berichtete bereits von beiden Tschetschenien-Kriegen und lebt seit Jahren in Moskau. Dass Lu als einziger Reporter diesen engen Zugang zu den russischen Soldaten hat, ließ Beobachter munkeln, ob Peking bereits vorab über die russischen Pläne informiert war. Belege gibt es dafür nicht.
Auch der Korrespondent des staatlichen Auslandssenders CGTN, Aljoša Milenković, erhielt Zugang zu der selbst proklamierten “Volksrepublik Donezk”. In einem Auto, auf dessen Scheiben das “Z” als Symbol für die Unterstützung der Invasion gezeichnet ist, wird er zu einem Dorf außerhalb der Stadt Donezk gebracht, um dort humanitäre Hilfsaktionen zu begleiten. Er stellt fest, dass Schilder “noch” in ukrainischer Sprache sind und die Menschen mit ukrainischer Währung ihr Brot bezahlen – vor der örtlichen Schule wehe aber bereits die Flagge der “DPR” (“Donetsk People’s Repulic”). Milenkovic berichtet von großem militärischen Aufgebot in der Region. Dabei handele es sich um Soldaten der DPR, er habe “nicht einen russischen Soldaten” gesehen.
Dass Korrespondenten in der russisch kontrollierten Region “willkommener” sind, weil sie pro-russisch berichten, lässt sich nur vermuten. Für einige westliche Medien wurde indes sogar die Berichterstattung aus Russland immer schwieriger: Wegen des neuen russischen Gesetzes über “Fake News” hatten die deutschen Sender ARD und ZDF beschlossen, temporär die Berichterstattung aus Moskau einzustellen.
Für die chinesischen Korrespondenten war die russische Gesetzesnovelle zur Unterbindung der Worte “Krieg” und “Invasion” kein Problem, schätzt David Bandurski, der für das Chinese Media Project der Universität Hongkong chinesische Berichterstattung analysiert. “Die Journalisten, die in Russland sind, sind mit ziemlicher Sicherheit für staatliche Medien dort und werden in Moskau willkommen geheißen”, so Badurski. Ihre Informationen bekommen sie seiner Ansicht nach rein über russische Quellen wie die Nachrichtenagentur TASS, aber auch Russia Today, Sputnik und direkt von der russischen Regierung.
Badurski verweist auf Berichte des staatlichen Fernsehsenders CCTV, die ein rein pro-russisches Narrativ widergeben und die Ukraine gemeinsam mit der Nato als den Aggressor darstellen. Als Beispiel nennt er einen Bericht des Moskauer CCTV-Korrespondenten Yang Chun zur aktuellen Lage. “Er basiert ausschließlich auf Informationen der russischen Regierung und verwendet Archivbilder.” Das sei ein sehr typisches Beispiel für Berichte, die derzeit aus Russland für Sender in der Volksrepublik produziert würden. Chinesische Staatsmedien betrieben in keiner Weise eine aktive Berichterstattung, sondern übernähmen Informationen von den genehmen Agenturen.
Die Tatsache, dass sich zahlreiche US-Firmen aus Russland zurückziehen, ist für chinesische Tech-Konzerne zumindest auf den ersten Blick eine gute Nachricht. Russland verbindet den Westen und den Osten nicht nur geografisch. Es war in den letzten Jahren auch stets ein Land, in dem chinesische Firmen erfolgreich mit westlichen Unternehmen konkurrierten. Nun, da die Amerikaner den Rückzug antreten, wird der Marktanteil chinesischer Anbieter ohne Frage steigen.
Der chinesische Smartphone-Hersteller Xiaomi, schon jetzt auf dem zweiten Platz der russischen Verkaufscharts hinter Samsung, dürfte davon profitieren, dass Apple, bisher Nummer drei in Russland, dort keine Geräte mehr verkaufen will. Und nachdem vergangenes Jahr HP das Geschäft mit Computern in Russland angeführt hatte, wird nun wahrscheinlich der chinesische Konzern Lenovo die Führung übernehmen, der zuletzt auf dem zweiten Platz lag. US-Konkurrent Dell hat sich schließlich ebenfalls aus Russland verabschiedet.
Doch der abrupte Rückzug von Marken aus den USA und Europa versetzt chinesische Firmen dennoch nicht wirklich in Feierstimmung. “Russlands gesamte Volkswirtschaft ist kleiner als die so mancher chinesischen Provinz. Außerdem stürzt die Wirtschaft dort gerade ab. Die Menschen werden insgesamt weniger kaufen. Ich sehe da keinen Gewinn für uns”, sagt die Mitarbeiterin einer großen Tech-Firma im südchinesischen Shenzhen.
Eine Einschätzung, die von vielen Beobachtern geteilt wird. “Für die meisten chinesischen Unternehmen ist Russland nur ein kleiner Markt, der nicht das Risiko wert ist, von entwickelten Märkten abgeschnitten oder selbst sanktioniert zu werden”, heißt es in einer Einschätzung des Analysehauses Gavekal Dragonomics.
Chinesische Firmen wissen genau, was ihnen blühen könnte, wenn sie sich nun als Retter der russischen Wirtschaft inszenieren würden. Der chinesische Tech-Konzern Huawei hat schließlich schon zu spüren bekommen, wozu Washington in der Lage ist, wenn es ein Unternehmen erstmal ins Visier genommen hat. Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou saß über Jahre in kanadischem Hausarrest, weil die USA sie beschuldigte, in die Umgehung von Iran-Sanktionen verwickelt gewesen zu sein. Huawei selbst wurde wegen unterstellter Spionagevorwürfe von Washington auf eine schwarze Liste gesetzt und so sehr verkrüppelt, dass es nun kaum noch Smartphones produzieren kann.
Washington macht dieser Tage deutlich, dass es nicht zögern würde, chinesische Firmen erneut hart zu bestrafen. Unternehmen, die sich den US-Beschränkungen nach Russland widersetzen, könnten von amerikanischer Ausrüstung und Software abgeschnitten werden, die sie zur Herstellung ihrer Produkte benötigen, warnte US-Handelsministerin Gina Raimondo vergangene Woche (China.Table berichtete). Die USA könnten alle chinesischen Unternehmen, die sich den US-Sanktionen widersetzen, hart bestrafen, wenn sie weiterhin Chips und andere fortschrittliche Technologien nach Russland liefern würden, sagte Raimondo in einem Interview mit der New York Times.
Washington droht, Unternehmen ähnlich wie zuvor Huawei auf eine schwarze Liste zu setzen, sollten sie versuchen, die Exportbeschränkungen gegen Russland zu umgehen. Raimondo ging sogar so weit, mit dem chinesischen Chip-Hersteller SMIC schon einen Namen ins Spiel zu bringen. Wenn man feststellen würde, dass ein Unternehmen wie SMIC seine Chips nach Russland verkaufte, “könnten wir SMIC im Wesentlichen schließen, weil wir es daran hindern würden, unsere Ausrüstung und unsere Software zu verwenden”, wurde Raimondo zitiert.
Der Krieg in der Ukraine dürfte chinesische Tech-Firmen kaum Chancen bieten, dafür aber ähnlich wie westlichen Unternehmen vor allem Ärger bereiten. Schwächt sich die Weltkonjunktur wegen der Krise tatsächlich wie erwartet erheblich ab, wird das auch an der ohnehin schon angeschlagenen chinesischen Wirtschaft nicht spurlos vorbeigehen. Schwächelt der Konsum auf dem Heimatmarkt, ist das für chinesische Firmen ein viel größeres Problem, als ein paar gewonnene Marktanteile auf einem Sekundärmarkt wie Russland.
Auch die chinesische Staatszeitung Global Times scheint diese einfachen volkswirtschaftlichen Zusammenhänge mittlerweile verstanden zu haben. Ein Artikel, der zunächst mögliche Chancen für chinesische Smartphone-Firmen und Autohersteller in Russland beschrieb, wurde von der Website des regierungstreuen Blattes mittlerweile wieder gelöscht. Jörn Petring/Gregor Koppenburg
22.03.2022, 4:00-5:00 PM (EST)
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US-Präsident Joe Biden und sein Amtskollege Xi Jinping haben ein Telefongespräch vereinbart, um die chinesisch-amerikanischen Beziehungen zu besprechen. “Die beiden Staatsoberhäupter werden über den Wettbewerb zwischen unseren beiden Ländern sowie über Russlands Krieg gegen die Ukraine und andere Themen von beiderseitigem Interesse sprechen”, sagte die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki. Das Gespräch soll in der Nacht von Freitag auf Samstag Pekinger Zeit stattfinden.
Das Gespräch wurde am Montag in Rom bei einem siebenstündigen Treffen zwischen dem nationalen Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jake Sullivan, und dem chinesischen Spitzen-Diplomaten Yang Jiechi beschlossen. Die USA beharren darauf, dass China die westlichen Sanktionen gegen Russland nicht umgeht und drohten mit Konsequenzen für chinesische Unternehmen. Peking sieht die Strafmaßnahmen hingegen als unrechtmäßig an. Derweil gab Russlands Finanzminister bekannt, das Land zähle auf China, um die Auswirkungen der westlichen Sanktionen auf seine Wirtschaft zu überstehen.
Zuletzt sprachen Biden und Xi im November. Damals betonte Biden, die beiden Großmächte müssten Leitplanken festlegen, damit ihre Konkurrenz nicht in Konflikte ausarte. nib
Das Shanghaier Unternehmen Envision Group hat eine Partnerschaft mit Mercedes-Benz im Bereich Batteriemodule für die E-Auto-Produktion abgeschlossen. Das Tochterunternehmen Envision AESC soll die Batterien für die vollelektrischen SUVs EQS and EQE liefern, die im US-Bundesstaat Alabama hergestellt werden. Envision zählt auch Renault, Nissan und Honda zu seinen Kunden. Es befindet sich zu 80 Prozent im Besitz der Envision Group. Die restlichen 20 Prozent hält Nissan.
Das Unternehmen gab zudem bekannt, eine zweite Batteriefabrik in den USA bauen zu wollen, ohne allerdings Details zu nennen. Bis zum Jahr 2025 will das Unternehmen eine jährliche Kapazität zur Produktion von E-Auto-Batterien in Höhe von 300 Gigawattstunden erreichen. Derzeit ist Envision der weltweit neuntgrößte Batteriehersteller mit einem Marktanteil von 1,4 Prozent. Die Envision Group stellt zudem Windkraftanlagen her. nib
Der tibetische Sänger Tsewang Norbu ist den schweren Verletzungen nach seiner Selbstanzündung erlegen. Die International Campaign for Tibet (ICT) bestätigte den Tod des 25-Jährigen, der sich Ende Februar vor dem Potala-Palast in Lhasa in Brand gesetzt hatte (China.Table berichtete). ICT verwies auf nicht genannte Quellen. In der Vorwoche hatte die Organisation noch mitgeteilt, dass es keine gesicherten Informationen gebe, ob Norbu tatsächlich verstorben sei oder nicht.
Chinesische Beamte hatte den Schwerverletzten ins “Volkskrankenhaus der Autonomen Region Tibet” gebracht, dort tagelang abgeschirmt und nach dessen Tod am ersten März-Wochenende eine öffentliche Verlautbarung vermieden. Was mit dem Leichnam geschah, weiß ICT nicht.
Seit 2009 haben sich 158 Tibeter aus Protest gegen die Besatzung der Region und die Unterdrückung ihrer Bevölkerung durch die chinesische Regiuerung selbst angezündet. Nur rund zwei Dutzend überlebten die Verbrennungen. grz
Chinas Umweltbehörde hat vier Unternehmen gerügt, die CO2-Berichte von Unternehmen gefälscht haben sollen. Die Datenprüfungs-Agenturen hätten Berichte manipuliert und Prüf- und Emissionsdaten gefälscht, wie das Wirtschaftsportal Caixin berichtet. Solche Agenturen spielen eine wichtige Rolle in Chinas Bestreben zur Reduzierung der Treibhausgase. Sie messen und überprüfen den CO2-Ausstoß von Unternehmen. Diese Information ist wiederum für den chinesischen Emissions-Handel und den Bereich Green Finance wichtig.
Ein Industrieanalyst sagte gegenüber Caixin, dass die hohen Anforderungen an die Prüfungen den CO2-Betrug begünstigen. Die Messung der Emissionen sei mit hohen Kosten verbunden. Unternehmen fälschen daher ihre Statistiken. Externe Prüfungsagenturen müssen dann genau hinschauen, um den Betrug aufzudecken.
Manipulationen und Gemauschel bei Umweltprüfungen ist in China kein neues Phänomen. Im vergangenen Jahr wurde beispielsweise der Fall einer Prüferin bekannt, die innerhalb von nur vier Monaten mehr als 1.600 Umweltverträglichkeitsprüfungen erstellt haben soll. Die Umweltauswirkungen beispielsweise von Bauprojekten zu erfassen, ist jedoch weitaus zeitaufwendiger. Damals gab es Hinweise, dass der Arbeitgeber den Status der Prüferin an andere Prüfunternehmen weiterverkauft hat und diese in ihrem Namen geprüft haben sollen. nib
Als ich jüngst den Keller aufräumte, wo meine vom Studium in China mitgebrachten Bücher lagerten, stieß ich auf ein “Chinesisch-Englisches Handbuch der Begriffe” (汉英词汇手册). Es erschien im Dezember 1970 während Maos Kulturrevolution. Schon sein technischer Titel wirkte ungewöhnlich. Mit über 1.600 Seiten wurde das annotierte Wörterbuch zur verlegerischen Großtat. Im Auftrag des Außenministeriums mobilisierte der Pekinger Fremdsprachen-Verlag nach dem 9. Parteitag 1969 eine Gruppe Sprachexperten, um ein Nachschlagewerk zur Selbstdarstellung der kulturrevolutionären Begrifflichkeit herauszugeben. Von Januar 1970 an stellten sie in elf Monaten mehr als 20.000 Ausdrücke mit Beispielen ihrer Anwendung aus Ideologie, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Militär zusammen.
Wie damals üblich standen Mao-Slogans am Anfang. Statt revolutionärer Aufrufe verlangte der Große Vorsitzende: “Macht gute verlegerische Arbeit” und “Zum Nutzen des chinesischen Volkes und der Menschen der ganzen Welt.” Das passte zu Pekings Anliegen, dem Ausland wenigstens die Begriffe verständlich zu machen, in denen die abgeschlossene Nation redete und dachte.
Denn Chinas Führung wollte aus Furcht vor der mit ihrer verfeindeten Sowjetunion ihre Türen zum Westen öffnen. 1969 hatten sich beide Staaten erstmals am Amur bekriegt. Anfang 1971 traf US-Sicherheitsberater Henry Kissinger zu Geheimverhandlungen in Peking ein.
Das neue Wörterbuch war nur ein kleines Signal im großen Wandel. An Hunderten in ihm übersetzten antisowjetischen Begriffen ließ sich das tiefe Zerwürfnis zur Sowjetunion ablesen. Maos Propagandisten nannten sie “revisionistisch” und “sozialimperialistisch” und ihre Führer “neue Zaren” mit “großrussischem Chauvinismus” (大俄罗斯沙文主义). Beispielsätze attackierten vor allem Nikita Chruschtschow.
Heute könnte der Unterschied nicht größer sein. Kurz vor Moskaus Angriffskrieg auf die Ukraine sicherten sich Präsident Xi Jinping und Wladimir Putin in einer 15 Druckseiten langen Vereinbarung “grenzenlose Freundschaft” und eine Kooperation ohne “verbotenes Terrain” zu. Der heutige sprachliche Hass richtet sich wieder gegen die USA.
Das Wörterbuch von 1970 ist Zeitzeugnis einer vergangenen Epoche. Es wurde nach dem Tod Maos nicht mehr aufgelegt. In Reformzeiten aufgewachsene Chinesen unter 40 Jahre sind Ausdrücke wie “Schlangengeister und Rinderteufel”(牛鬼蛇神) bis zu den “drei ständig zu lesenden Mao-Aufsätzen” (老三篇) ein Rätsel. Sie verstehen auch nicht, warum im Parteijargon damals Rock ‘n’ Roll der “Tanz von Vagabunden” (阿飞舞) genannt wurde. Es macht sie stattdessen heute wütend, wenn Pekings Ideologen ihre Idole, Modetrends oder Livestream-Stars polemisch schmäht.
Chinas vergiftete offiziöse Sprache, die einst die grotesken Wortungeheuer der Kulturrevolution erschuf, verwendet heute andere Begriffe, hat sich aber in ihrer Art nicht verändert. Auch wenn die Kulturrevolution Inhumanität und Hass auf die Spitze trieb, blieb die Sprache voller Bösartigkeiten und Polemik, wenn es um Gegner oder Andersdenkende geht. Das wirkt sich auch auf die sozialen Medien aus. In den USA hat unter Auslandschinesen eine Debatte begonnen, warum chinesische Shitstorms die Internetwut anderer Nationen übertreffen. Das Phänomen kommt auch in der Aggressivität und den absurden Verschwörungstheorien der sogenannten “Wolfskrieger” im Außenministerium zum Ausdruck, die jegliche diplomatische Zurückhaltung oder Höflichkeit abgelegt haben und kritische Stimmen als “antichinesischen Chor” (反华大合唱) verunglimpfen, ein Ausdruck, der auch schon im Handbuch 1970 steht.
Der Kantoner Reformphilosoph Yuan Weishi (袁伟时) gibt die Schuld der ideologisierten Schulbildung in der Volksrepublik, die er “Erziehung mit Wolfsmilch” nannte. Chinas Kommunisten hätten von Beginn ihrer Herrschaft an Sprache und Erziehung zur ideologischen “Gehirnwäsche” und Ideologisierung der Gesellschaft manipuliert, schreibt der heute im US-Exil lebenden Autor und Dissident Yu Jie. Er beruft sich auf die Sprachforschungen des Analytikers und Romanisten Victor Klemperer. Der warnte davor, die kritische Rolle zu ignorieren, die der Sprache für die Bildung eines totalitären Systems zukommt.
In China aber hat Sprache genau diese Funktion. Das sei auch das Kalkül hinter den Ideologiereden von Alleinherrscher Xi Jinping schreibt Yu in seiner Studie: “Vom Maoismus zum Xiismus“. Seit Maos Tod habe niemand unter Chinas Führern den Großen Vorsitzenden so oft zitiert wie Xi.
Xi nutzt zur Förderung seines Personenkults und zur Ausbau seiner Macht nicht nur Maos Sprache, sondern kopiert auch dessen Methoden. Der Vorsitzende ließ “Studienklassen für Mao Zedong-Gedanken” ( 办毛泽东思想学习班) einrichten, ein Begriff, der im 1970er-Wörterbuch steht. Xi zwingt heute Chinas Ministerien und Kommissionen “Forschungszentren für Xi Jinping-Gedanken zum neuen besonderen Sozialismus” (习近平新时代中国特色社会主义思想研究中心) zu betreiben. Auch sein jüngstes geflügeltes Wort: “Der Osten ist im Aufschwung, der Westen im Niedergang” (东升西降) hat Vorläufer in Mao-Slogans: “Im Osten geht die Sonne auf – im Westen geht sie unter” (东方日盛,西方日衰 ), oder “Der Ostwind unterdrückt den Westwind” (东风压倒西风).
Das Wörterbuch von 1970 enthüllte erstmals für die Außenwelt den Begriff der seit 3.000 Jahren überlieferten altchinesischen 36 Kriegslisten (三十六计). Mao nutzte sie zur militärischen Eroberung Chinas und zur späteren Behauptung seiner Macht. Das Nachschlagewerk listet alle 36 Intrigen einzeln und mit englischer Übersetzung auf. Es verrät sogar, welche Kriegslist im Guerilla-Krieg die Wirksamste war: “Unter den 36 Strategemen ist Wegrennen am Besten” ( 三十六计走为上计).
Harro von Senger, ein heute in der Schweiz lebender, renommierter Sinologe und früherer Professor für Chinesisches Recht, der Mitte der 1970er-Jahre auch in Peking studierte, sagte mir, er habe das Wort “Strategeme” als Begriff für die Lebens- und Überlebenslisten zuerst im Lexikon von 1970 gefunden. Er hat seither Dutzende Abhandlungen und Übersetzungen über die 36 Strategeme verfasst, die heute in 16 Sprachen erschienen, zuletzt im Januar 2022 in einem ukrainischen Verlag.
Reformen und Modernisierung haben China über Nacht radikal verändert. 2002 erinnerten Buchreihen fast nostalgisch an die Hunderte Handwerksberufe, die still in weniger als einer Generation verschwanden und mit ihnen auch ihre Namen. Weg waren sie – der Scheren- und Messerschleifer (磨刀人), der mit lautem Singsang durch die Wohnviertel zog, der Aufklopfer von Baumwolldecken im Hinterhof (弹棉花), der Briefschreiber für andere (代写书信), der Brikettverkäufer (卖炭) oder Feng-Shui-Geomant (风水先生).
Alles änderte sich, nur Chinas Sprache nicht. Reformbedarf meldeten Autoren wie Ye Yanbing (叶延滨) 2007 an. Er forderte vergeblich, zuerst ein Wörterbuch über die inhumane Sprache der Kulturrevolution (文革说文解字) zu schaffen, nach dem Vorbild der klassischen Erklär-Enzyklopädie für Begriffe im chinesischen Altertum.
Der Übersetzer und ehemalige Leiter des Pekinger Goethe-Instituts, Michael Kahn-Ackermann, sagt, dass es nie eine Aufarbeitung der seit 100 Jahren existierenden zeitgenössischen Literatursprache Baihua (白话) gegeben hat, erst recht “keine Befreiung der seit 1949 immer stärker stereotypisierten Sprache von ihrem Ballast”.
Das Thema trieb chinesische Intellektuelle nach Ende der Kulturrevolution um, sagt Kahn-Ackermann. Bis heute kämpft etwa A Cheng (阿城) für eine humane Sprache. Yu Hua (余华) setzt sich in seinem Buch “China in zehn Worten” damit auseinander. Andere wie der Satiriker Wang Shuo 王朔 versuchten, durch Ironisierung die offizielle Sprache zu entgiften.
Wer in dem Wörterbuch von 1970 blättert, erschrickt über die zahllosen menschenverachtenden Ausdrücke, die bis heute Anwendung finden, vom “wölfischen Wesen” der Gegner (豺狼本性), die “bitter und blutig” (残酷的流血斗争) bekämpft werden müssen.
Die erneute Re-Ideologisierung lässt Chinas Sprache und das Denken dahinter weiter verkrusten. Wie das auf Dauer mit der modernen Weltmacht übereinstimmt, zu der China werden will, ist die gleiche Frage, die sich in vielen Bereichen Chinas stellt, etwa, wie sich unter der immer strikteren Überwachung, Kontrolle und Zensur Innovation und Eigeninitiative entwickeln sollen. Eine Antwort wird noch gesucht.
Hans-Peter Friedrich (CSU) wird Chef der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe, berichtet das Berliner Portal “The Pioneer”. Friedrich ist ein profilierter Kenner des Landes und Mitgründer der China-Brücke. Er war bis zum Regierungswechsel Vizepräsident des Bundestags.
Gary Liu, bisher Chef des Verlags der South China Morning Post innerhalb der Alibaba-Gruppe, soll künftig eine Alibaba-Neugründung für die Verwaltung von Non Fungible Tokens (NFTs) leiten. Der Konzern sucht daher einen neuen CEO für die SCMP.
Kirschblüte vor Bergpanorama – der Kirschgarten in der Guian New Area von Guiyang (Provinz Guizhou) ist ein Touristenmagnet mit einigen Reizen.
die Sprache bestimmt das Bewusstsein. Wenn gebräuchliche Begriffe ganze Gruppen von Menschen herabsetzen und gegen sie aufstacheln, dann setzt sich das im Denken fest. Johnny Erling warnt heute in seiner Kolumne vor Chinas erstarrter Freund-Feind-Sprache. Die Propaganda hat sie unter Mao eingeführt und nie richtig ausgemistet. In Zeiten internationaler Konflikte ist es gefährlich, vermeintliche Gegner mit Tiernamen zu belegen und keinen Raum für Selbstzweifel zu lassen. Aber Chinas Diplomaten glauben lieber an den “anti-chinesischen Chor” im Westen, als die toxischen Begrifflichkeiten im eigenen Land zu hinterfragen.
Was erfährt China über den Krieg in der Ukraine? In einer Auswertung haben wir am Dienstag bereits versucht, das Bild in den chinesischen Medien auszuleuchten. In der heutigen Ausgabe beschreibt Amelie Richter, welche Reporter für Chinas private und staatliche Kanäle in der Ukraine unterwegs sind und was sie antreibt. Ein objektives Bild vom Krieg gibt es natürlich nicht. Umso wichtiger ist es zu verstehen, welche Deutung der Ereignisse sich in China festsetzt. Auch für die Bewertung der möglichen Rolle Pekings bei der Beendigung der Invasion.
Derweil ziehen die ökonomischen Auswirkungen immer weitere Kreise. In zwei weiteren Texten betrachten wir die aufkommenden Störungen der Schienenverbindungen und die Furcht chinesischer Konzerne vor US-Sanktionen. Julia Fiedler hat Logistiker befragt, ob die Seidenstraßen-Züge weiterhin rollen. Das tun sie zwar. Doch Probleme ergeben sich an anderer Stelle. Versicherer könnten Ärger machen, wenn die kostbaren Waren durch das sanktionierte Russland reisen. Die Folge: Stornierung von Fracht.
Die indirekte Wirkung von Sanktionen bringt auch die chinesischen Großkonzerne ins Grübeln. Sie zögern, in die Lücke zu stoßen, die der Rückzug westlicher Firmen hinterlässt, analysiert unser Team in Peking. Die Verhaftung der Huawei-Finanzchefin im Zusammenhang mit Iran-Sanktionen hat bereits gezeigt, wo die USA den Hebel ansetzen können. Und ganz Russland ist wirtschaftlich nicht größer als so manche chinesische Provinz. Die Anti-Putin-Allianz dominiert dagegen den Weltmarkt.
Die “eiserne Seidenstraße” ist längst keine romantische Idee mehr, sondern eine Realität des Gütertransports zwischen China und Europa. Die Pandemie hatte dem Transport per Zug sogar einen regelrechten Boom beschert. Im Jahr 2021 wurden auf der Schiene Waren im Wert von knapp 70 Milliarden Euro von Ost nach West transportiert – 50 Prozent mehr als 2020. Und zehnmal so viel wie noch 2016. Vor allem Maschinenteile, Autoteile, Elektronik, aber auch andere Produkte wie Metall- und Chemieerzeugnisse oder Kleidung stecken in den Containern.
Doch wegen des Kriegs in der Ukraine steht die Verlässlichkeit der Schienenwege infrage. Knackpunkt sind bisher weniger die Kämpfe selbst. Denn die gängigen Routen verlaufen ohnehin nicht durch die Ukraine. Die Sorge gilt stattdessen rechtlichen Problemen wie Sanktionen und dem Versicherungsschutz. “Es wäre keine Überraschung, wenn Unternehmen, die ihre Waren vor der Invasion auf der Schiene versenden wollten, nun auf den langsameren, aber zuverlässigeren Seeweg umsteigen”, sagt Jacob Gunter, Wirtschaftsexperte bei dem Forschungsinstitut Merics. Gunter sieht die Unsicherheit durch das sich schnell ändernde geopolitische Umfeld als erhebliches Risiko für den Güterverkehr auf der Schiene. Das werde die Probleme der Lieferkette verschärfen, da zuletzt viele Transporte auf die Schiene verlagert wurden.
Die Auswirkungen zeigen sich bereits in der Praxis. Obwohl die Züge bislang zuverlässig rollen, stornieren Unternehmen zum Teil ihre Buchungen für Schienentransporte, berichtet ein Sprecher der Duisburger Hafen AG. Der Hafen ist nach Hamburg das zweitwichtigste Terminal für die Güterzugverbindung Deutschland-China. Eine häufige Befürchtung der Unternehmen sei, dass internationale Versicherer den Versicherungsschutz durch Belarus und Russland kündigen könnten, so der Sprecher.
Auch Sanktionen seien eine Sorge, so die Hafengesellschaft. Aktuell werde der Transport auf der Schiene durch die Sanktionen gegen Russland zwar noch nicht wesentlich erschwert. Bei den Unternehmen komme diesbezüglich aber Unsicherheit auf. Je weitere Kreise die Sanktionen ziehen, desto wahrscheinlicher wird es, dass auch reine Transporte mit Misstrauen betrachtet werden.
Die Sorge um die Auswirkungen der Sanktionen ist nachvollziehbar. Schließlich sind die Lieferungen nach Russland und Belarus längst von den Strafmaßnahmen westlicher Länder betroffen. Auf dem Weg von China nach Deutschland verläuft ein Großteil der am meisten befahrenen nördlichen Strecke quer durch Russland und von dort über Belarus nach Polen. Der Logistiker DHL berichtet nun, dass Zugtransporte in die beiden sanktionierten Länder bis auf Weiteres ausgesetzt sind.
Derzeit rollt also der Durchgangsverkehr von China nach Europa und umgekehrt, während Züge mit dem Ziel der großen Durchgangsländer ausfallen. Eine beunruhigende Situation. Der DSLV Bundesverband Spedition und Logistik merkt an, dass aus diesem Grund mehr und mehr Unternehmen nach Alternativen zur Nordroute suchen. Die Firmen interessieren sich insbesondere für die Südroute der Seidenstraße in die Türkei, die nicht durch russisches Gebiet führt. Allerdings dauert diese Strecke nach Deutschland viel länger, da sie Schiffspassagen umfasst. Der Logistik-Verband rechnet mit einem stetigen Rückgang der Transporte. Die Lage sei aber weiterhin sehr dynamisch und könne sich jederzeit ändern.
Manche Unternehmen setzen auch jetzt noch weiter auf den Transport mit dem Zug, beobachten die Situation aber ganz genau. Der Automobilzulieferer Conti hat verschiedene Krisenteams eingerichtet, um mit geeigneten Maßnahmen zielgerichtet und schnell auf mögliche Auswirkungen auf die Lieferketten reagieren zu können. Es gebe entsprechende Notfallpläne, die Sicherheitsvorräte und alternative Lieferanten umfassten. So solle dazu beigetragen werden, die Rohstoffversorgung abzusichern.
Ohne Probleme war der Transport auf der Schiene nie: Einerseits drosseln die unterschiedlichen Spurweiten das Tempo. An Grenzübergängen kann es zudem stocken, Rückstaus entstehen. So gab es an der Grenze China-Kasachstan wegen Corona-Maßnahmen Verspätungen von sechs Tagen. An der Grenze zur Mongolei bremst dagegen die schwache Infrastruktur und an der Grenze zu Russland behindern Wagen- und Ressourcenmangel der russischen Bahn die ungehinderte Fahrt. Dazu kommen politische Probleme in den Ländern entlang der Route. Zuletzt waren im Januar Unruhen in Kasachstan ein Unsicherheitsfaktor. Auch Korruption spielt eine Rolle. Hochpreisige Waren gehen auf dem Weg nach China zuweilen “verloren”, was zur Entscheidung gegen die Schiene beiträgt.
Mehr als 90 Prozent der Waren, die von China nach Europa kommen, werden daher per Schiff transportiert. Die Schiene spielt insgesamt nur eine kleine Rolle für den Warenverkehr zwischen China und Europa. Vom Volumen her betrachtet, kommt sie nur auf ein Prozent. Wenn man auf den Warenwert blickt, sind es immerhin drei Prozent.
Doch gerade für wertvolle Güter wie Elektronikteile für Autos hat die Schiene sich fest als Transportweg etabliert. Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt 32 Kilometer pro Stunde: Das ist noch immer deutlich schneller als der Seeweg und dabei viel günstiger als das Flugzeug. “Die Schiene ist auch deswegen die schnellste Option für die Logistik geworden, weil ein Großteil der Luftfracht, die normalerweise zu Passagierflügen zwischen China und Europa hinzugefügt wird, zum Erliegen kam, als China seine Grenzen Anfang 2020 effektiv geschlossen hat”, so Merics-Ökonom Gunter.
Die Schiene ist jedoch gerade für China auch politisch relevant. Das weitverzweigte Bahnnetz der neuen Seidenstraße, die China und Europa verbindet, ist zwar nur ein kleiner Teil der Belt-and-Road-Initiative. Es ist aber besonders wichtig, wie sich an den hohen Subventionen zeigt, die ihm zufließen. Das Prestigeprojekt von Xi Jinping kann durchaus beeindrucken: Alle 30 Minuten fährt inzwischen ein Güterzug von China nach Europa. Bisher wurden mehr als 50.000 Fahrten abgewickelt. Es gibt 78 Verbindungen in 180 Städte, die in 23 europäischen Ländern liegen. Dabei spielt neben dem Warentransport vor allem der Aufbau von Beziehungen und wirtschaftlicher Einfluss in den Partnerländern eine Rolle.
Die Probleme, die nun auf und entlang dieser Strecke entstehen, trüben nicht nur das positive Image der zuverlässigen Schiene, sondern auch die Zukunftsperspektiven der Partnerschaften in Osteuropa. “Peking hat im Jahr 2021 die Beziehungen zu Kiew etwas aufgewärmt. Die Präsidenten Selenskyj und Xi haben die Möglichkeit diskutiert, die Ukraine zu einem Tor nach Europa zu machen”, erklärt Gunter. “China wollte durch die Ukraine einen alternativen Bahn-Eintrittspunkt in die EU schaffen.” Das Ziel war unter anderem, die Abhängigkeit von Belarus zu verringern, sowie von Litauen. Das kleine Land hatte sich den Zorn Pekings zugezogen, indem es sich für Taiwan erwärmte (China.Table berichtete).
Mit der russischen Invasion sind solche Pläne natürlich auf Eis gelegt. Xis gemeinsame Erklärung mit Putin im Februar 2022, in der er eine Freundschaft “ohne Grenzen” zwischen den beiden erklärt hat, macht erst einmal jede Kooperation zwischen Kiew und Peking unmöglich. Sollte China Russland regelrecht zur Hilfe eilen, würde eine Wiederaufnahme der Projekte noch schwerer werden, glaubt Gunter. Julia Fiedler
In den deutschen Medien ist Russlands Krieg in der Ukraine ein Dauerthema. Ganz anders sieht das in China aus. Dort spielt der Krieg medial eine viel kleinere Rolle. Was dort an Video-Aufnahmen und Bildern gezeigt wird, ist streng kuratiert. Berichterstattung von chinesischen Journalisten und Journalistinnen von vor Ort gibt es nur vereinzelt. Zudem müssen sich die Journalisten an strenge Regeln halten.
Für ihre Berichterstattung gibt es gewisse Vorgaben, erklärt eine Journalistin im Gespräch mit China.Table. Begriffe wie “Invasion” dürften nicht verwendet werden. Die 33-Jährige arbeitet in Europa für chinesische Medien. Ihre Arbeit hat sie auch an die Grenze zu Polen geführt, von wo aus sie über das Schicksal ukrainischer Flüchtlinge berichtete. “Zu viel Empathie und zu viel Leid der geflohenen Menschen soll eigentlich nicht gezeigt werden”, sagt sie über die Berichte in chinesischen Staatsmedien. Sie selbst sei überrascht gewesen, dass sie während des Einsatzes an der Grenze so viele Berichte über Geflohene machen sollte und teilweise in einer Weise berichten durfte, die sie selbst als “Putin-kritisch” bezeichnet.
“Es gibt Berichte darüber, wie schlimm die Situation ist”, betont die Journalistin. Viele in China informierten sich mittlerweile nicht mehr nur über staatliche Fernsehsender oder Zeitungen, sondern in den sozialen Medien oder auf Blogs freier Journalisten. Natürlich würden die Informationen stark kontrolliert und zensiert – die Menschen wüssten aber durchaus, was in der Ukraine passiere, glaubt die Journalistin, die seit mehreren Jahren in Deutschland lebt.
Chinesische Journalisten und Journalistinnen teilen selten Berichte oder Bilder ihrer Arbeit im Kriegsgebiet in sozialen Netzwerken. Der Erfahrungsbericht des Xinhua-Korrespondenten Lu Jinbo ist deshalb eine Besonderheit. Lu fuhr am Abend des 24. Februar nach eigenen Angaben von Minsk in Belarus in Richtung Kiew, um dort einen Kollegen zu unterstützen. Für die staatliche Nachrichtenagentur schrieb er einen Bericht über die mühsame Fahrt durch das Grenzgebiet mit gesprengten Brücken und anderen Hindernissen.
In den Tagen nach Beginn des russischen Angriffs finden sich online verschiedene Video-Clips von Lu in der ukrainischen Hauptstadt. In einer selbst gefilmten Sequenz berichtet er von einer “speziellen Militär-Operation” Russlands. Das Video wurde über Xinhua verbreitet. Auch Fotos aus den Metro-Stationen in Kiew, in denen Menschen Schutz suchen, sind von Lu. Zu den ersten Verhandlungsgesprächen zwischen der Ukraine und Russland im Grenzgebiet zu Belarus finden sich Fotos in der Nachrichtenagentur, die laut Urheberkennung ebenfalls von Lu gemacht wurden.
Für Aufsehen unter Medienschaffenden sorgte zu Beginn des Kriegs auch der Fall des chinesischen Reporters Lu Yuguang. Er ist Moskau-Korrespondent für den chinesischsprachigen TV-Sender Phoenix. Ein auf Weibo veröffentlichtes Video zeigte Lu mit russischem Militär bereits am 22. Februar im Süden Russlands, wenige Kilometer von der Grenze zu Luhansk entfernt. In einer Live-Schalte am 24. Februar ist der Reporter mit chinesischen Studenten an der russisch-ukrainischen Grenze zu sehen.
Am 2. März interviewte Lu zudem den russischen Offizier Denis Puschilin, das Oberhaupt der selbsternannten “Volksrepublik Donezk”, über den Fortschritt der russischen “Entmilitarisierung” vor Ort. Der chinesische Journalist trägt in den Videos, anders als sonst üblich, keine Sicherheitsausrüstung mit klarer Presse-Kennzeichnung, sondern ebenfalls beige Kleidung. In einem Video, das am 6. März ausgestrahlt wurde, dagegen trägt Lu militärische Schutzausrüstung. Er ist nach eigenen Aussagen in der schwer umkämpften Stadt Mariupol.
Ob Lu mit den russischen Truppen reist, also als Journalist “embedded” (“eingebettet”) ist, wie es im Fachjargon heißt, ist unklar. Seine bisherigen Berichte legen es jedoch nahe. Zudem ist Lu selbst ehemaliger Militär und ihm werden enge Beziehungen zur russischen Armee nachgesagt. Er berichtete bereits von beiden Tschetschenien-Kriegen und lebt seit Jahren in Moskau. Dass Lu als einziger Reporter diesen engen Zugang zu den russischen Soldaten hat, ließ Beobachter munkeln, ob Peking bereits vorab über die russischen Pläne informiert war. Belege gibt es dafür nicht.
Auch der Korrespondent des staatlichen Auslandssenders CGTN, Aljoša Milenković, erhielt Zugang zu der selbst proklamierten “Volksrepublik Donezk”. In einem Auto, auf dessen Scheiben das “Z” als Symbol für die Unterstützung der Invasion gezeichnet ist, wird er zu einem Dorf außerhalb der Stadt Donezk gebracht, um dort humanitäre Hilfsaktionen zu begleiten. Er stellt fest, dass Schilder “noch” in ukrainischer Sprache sind und die Menschen mit ukrainischer Währung ihr Brot bezahlen – vor der örtlichen Schule wehe aber bereits die Flagge der “DPR” (“Donetsk People’s Repulic”). Milenkovic berichtet von großem militärischen Aufgebot in der Region. Dabei handele es sich um Soldaten der DPR, er habe “nicht einen russischen Soldaten” gesehen.
Dass Korrespondenten in der russisch kontrollierten Region “willkommener” sind, weil sie pro-russisch berichten, lässt sich nur vermuten. Für einige westliche Medien wurde indes sogar die Berichterstattung aus Russland immer schwieriger: Wegen des neuen russischen Gesetzes über “Fake News” hatten die deutschen Sender ARD und ZDF beschlossen, temporär die Berichterstattung aus Moskau einzustellen.
Für die chinesischen Korrespondenten war die russische Gesetzesnovelle zur Unterbindung der Worte “Krieg” und “Invasion” kein Problem, schätzt David Bandurski, der für das Chinese Media Project der Universität Hongkong chinesische Berichterstattung analysiert. “Die Journalisten, die in Russland sind, sind mit ziemlicher Sicherheit für staatliche Medien dort und werden in Moskau willkommen geheißen”, so Badurski. Ihre Informationen bekommen sie seiner Ansicht nach rein über russische Quellen wie die Nachrichtenagentur TASS, aber auch Russia Today, Sputnik und direkt von der russischen Regierung.
Badurski verweist auf Berichte des staatlichen Fernsehsenders CCTV, die ein rein pro-russisches Narrativ widergeben und die Ukraine gemeinsam mit der Nato als den Aggressor darstellen. Als Beispiel nennt er einen Bericht des Moskauer CCTV-Korrespondenten Yang Chun zur aktuellen Lage. “Er basiert ausschließlich auf Informationen der russischen Regierung und verwendet Archivbilder.” Das sei ein sehr typisches Beispiel für Berichte, die derzeit aus Russland für Sender in der Volksrepublik produziert würden. Chinesische Staatsmedien betrieben in keiner Weise eine aktive Berichterstattung, sondern übernähmen Informationen von den genehmen Agenturen.
Die Tatsache, dass sich zahlreiche US-Firmen aus Russland zurückziehen, ist für chinesische Tech-Konzerne zumindest auf den ersten Blick eine gute Nachricht. Russland verbindet den Westen und den Osten nicht nur geografisch. Es war in den letzten Jahren auch stets ein Land, in dem chinesische Firmen erfolgreich mit westlichen Unternehmen konkurrierten. Nun, da die Amerikaner den Rückzug antreten, wird der Marktanteil chinesischer Anbieter ohne Frage steigen.
Der chinesische Smartphone-Hersteller Xiaomi, schon jetzt auf dem zweiten Platz der russischen Verkaufscharts hinter Samsung, dürfte davon profitieren, dass Apple, bisher Nummer drei in Russland, dort keine Geräte mehr verkaufen will. Und nachdem vergangenes Jahr HP das Geschäft mit Computern in Russland angeführt hatte, wird nun wahrscheinlich der chinesische Konzern Lenovo die Führung übernehmen, der zuletzt auf dem zweiten Platz lag. US-Konkurrent Dell hat sich schließlich ebenfalls aus Russland verabschiedet.
Doch der abrupte Rückzug von Marken aus den USA und Europa versetzt chinesische Firmen dennoch nicht wirklich in Feierstimmung. “Russlands gesamte Volkswirtschaft ist kleiner als die so mancher chinesischen Provinz. Außerdem stürzt die Wirtschaft dort gerade ab. Die Menschen werden insgesamt weniger kaufen. Ich sehe da keinen Gewinn für uns”, sagt die Mitarbeiterin einer großen Tech-Firma im südchinesischen Shenzhen.
Eine Einschätzung, die von vielen Beobachtern geteilt wird. “Für die meisten chinesischen Unternehmen ist Russland nur ein kleiner Markt, der nicht das Risiko wert ist, von entwickelten Märkten abgeschnitten oder selbst sanktioniert zu werden”, heißt es in einer Einschätzung des Analysehauses Gavekal Dragonomics.
Chinesische Firmen wissen genau, was ihnen blühen könnte, wenn sie sich nun als Retter der russischen Wirtschaft inszenieren würden. Der chinesische Tech-Konzern Huawei hat schließlich schon zu spüren bekommen, wozu Washington in der Lage ist, wenn es ein Unternehmen erstmal ins Visier genommen hat. Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou saß über Jahre in kanadischem Hausarrest, weil die USA sie beschuldigte, in die Umgehung von Iran-Sanktionen verwickelt gewesen zu sein. Huawei selbst wurde wegen unterstellter Spionagevorwürfe von Washington auf eine schwarze Liste gesetzt und so sehr verkrüppelt, dass es nun kaum noch Smartphones produzieren kann.
Washington macht dieser Tage deutlich, dass es nicht zögern würde, chinesische Firmen erneut hart zu bestrafen. Unternehmen, die sich den US-Beschränkungen nach Russland widersetzen, könnten von amerikanischer Ausrüstung und Software abgeschnitten werden, die sie zur Herstellung ihrer Produkte benötigen, warnte US-Handelsministerin Gina Raimondo vergangene Woche (China.Table berichtete). Die USA könnten alle chinesischen Unternehmen, die sich den US-Sanktionen widersetzen, hart bestrafen, wenn sie weiterhin Chips und andere fortschrittliche Technologien nach Russland liefern würden, sagte Raimondo in einem Interview mit der New York Times.
Washington droht, Unternehmen ähnlich wie zuvor Huawei auf eine schwarze Liste zu setzen, sollten sie versuchen, die Exportbeschränkungen gegen Russland zu umgehen. Raimondo ging sogar so weit, mit dem chinesischen Chip-Hersteller SMIC schon einen Namen ins Spiel zu bringen. Wenn man feststellen würde, dass ein Unternehmen wie SMIC seine Chips nach Russland verkaufte, “könnten wir SMIC im Wesentlichen schließen, weil wir es daran hindern würden, unsere Ausrüstung und unsere Software zu verwenden”, wurde Raimondo zitiert.
Der Krieg in der Ukraine dürfte chinesische Tech-Firmen kaum Chancen bieten, dafür aber ähnlich wie westlichen Unternehmen vor allem Ärger bereiten. Schwächt sich die Weltkonjunktur wegen der Krise tatsächlich wie erwartet erheblich ab, wird das auch an der ohnehin schon angeschlagenen chinesischen Wirtschaft nicht spurlos vorbeigehen. Schwächelt der Konsum auf dem Heimatmarkt, ist das für chinesische Firmen ein viel größeres Problem, als ein paar gewonnene Marktanteile auf einem Sekundärmarkt wie Russland.
Auch die chinesische Staatszeitung Global Times scheint diese einfachen volkswirtschaftlichen Zusammenhänge mittlerweile verstanden zu haben. Ein Artikel, der zunächst mögliche Chancen für chinesische Smartphone-Firmen und Autohersteller in Russland beschrieb, wurde von der Website des regierungstreuen Blattes mittlerweile wieder gelöscht. Jörn Petring/Gregor Koppenburg
22.03.2022, 4:00-5:00 PM (EST)
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US-Präsident Joe Biden und sein Amtskollege Xi Jinping haben ein Telefongespräch vereinbart, um die chinesisch-amerikanischen Beziehungen zu besprechen. “Die beiden Staatsoberhäupter werden über den Wettbewerb zwischen unseren beiden Ländern sowie über Russlands Krieg gegen die Ukraine und andere Themen von beiderseitigem Interesse sprechen”, sagte die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki. Das Gespräch soll in der Nacht von Freitag auf Samstag Pekinger Zeit stattfinden.
Das Gespräch wurde am Montag in Rom bei einem siebenstündigen Treffen zwischen dem nationalen Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jake Sullivan, und dem chinesischen Spitzen-Diplomaten Yang Jiechi beschlossen. Die USA beharren darauf, dass China die westlichen Sanktionen gegen Russland nicht umgeht und drohten mit Konsequenzen für chinesische Unternehmen. Peking sieht die Strafmaßnahmen hingegen als unrechtmäßig an. Derweil gab Russlands Finanzminister bekannt, das Land zähle auf China, um die Auswirkungen der westlichen Sanktionen auf seine Wirtschaft zu überstehen.
Zuletzt sprachen Biden und Xi im November. Damals betonte Biden, die beiden Großmächte müssten Leitplanken festlegen, damit ihre Konkurrenz nicht in Konflikte ausarte. nib
Das Shanghaier Unternehmen Envision Group hat eine Partnerschaft mit Mercedes-Benz im Bereich Batteriemodule für die E-Auto-Produktion abgeschlossen. Das Tochterunternehmen Envision AESC soll die Batterien für die vollelektrischen SUVs EQS and EQE liefern, die im US-Bundesstaat Alabama hergestellt werden. Envision zählt auch Renault, Nissan und Honda zu seinen Kunden. Es befindet sich zu 80 Prozent im Besitz der Envision Group. Die restlichen 20 Prozent hält Nissan.
Das Unternehmen gab zudem bekannt, eine zweite Batteriefabrik in den USA bauen zu wollen, ohne allerdings Details zu nennen. Bis zum Jahr 2025 will das Unternehmen eine jährliche Kapazität zur Produktion von E-Auto-Batterien in Höhe von 300 Gigawattstunden erreichen. Derzeit ist Envision der weltweit neuntgrößte Batteriehersteller mit einem Marktanteil von 1,4 Prozent. Die Envision Group stellt zudem Windkraftanlagen her. nib
Der tibetische Sänger Tsewang Norbu ist den schweren Verletzungen nach seiner Selbstanzündung erlegen. Die International Campaign for Tibet (ICT) bestätigte den Tod des 25-Jährigen, der sich Ende Februar vor dem Potala-Palast in Lhasa in Brand gesetzt hatte (China.Table berichtete). ICT verwies auf nicht genannte Quellen. In der Vorwoche hatte die Organisation noch mitgeteilt, dass es keine gesicherten Informationen gebe, ob Norbu tatsächlich verstorben sei oder nicht.
Chinesische Beamte hatte den Schwerverletzten ins “Volkskrankenhaus der Autonomen Region Tibet” gebracht, dort tagelang abgeschirmt und nach dessen Tod am ersten März-Wochenende eine öffentliche Verlautbarung vermieden. Was mit dem Leichnam geschah, weiß ICT nicht.
Seit 2009 haben sich 158 Tibeter aus Protest gegen die Besatzung der Region und die Unterdrückung ihrer Bevölkerung durch die chinesische Regiuerung selbst angezündet. Nur rund zwei Dutzend überlebten die Verbrennungen. grz
Chinas Umweltbehörde hat vier Unternehmen gerügt, die CO2-Berichte von Unternehmen gefälscht haben sollen. Die Datenprüfungs-Agenturen hätten Berichte manipuliert und Prüf- und Emissionsdaten gefälscht, wie das Wirtschaftsportal Caixin berichtet. Solche Agenturen spielen eine wichtige Rolle in Chinas Bestreben zur Reduzierung der Treibhausgase. Sie messen und überprüfen den CO2-Ausstoß von Unternehmen. Diese Information ist wiederum für den chinesischen Emissions-Handel und den Bereich Green Finance wichtig.
Ein Industrieanalyst sagte gegenüber Caixin, dass die hohen Anforderungen an die Prüfungen den CO2-Betrug begünstigen. Die Messung der Emissionen sei mit hohen Kosten verbunden. Unternehmen fälschen daher ihre Statistiken. Externe Prüfungsagenturen müssen dann genau hinschauen, um den Betrug aufzudecken.
Manipulationen und Gemauschel bei Umweltprüfungen ist in China kein neues Phänomen. Im vergangenen Jahr wurde beispielsweise der Fall einer Prüferin bekannt, die innerhalb von nur vier Monaten mehr als 1.600 Umweltverträglichkeitsprüfungen erstellt haben soll. Die Umweltauswirkungen beispielsweise von Bauprojekten zu erfassen, ist jedoch weitaus zeitaufwendiger. Damals gab es Hinweise, dass der Arbeitgeber den Status der Prüferin an andere Prüfunternehmen weiterverkauft hat und diese in ihrem Namen geprüft haben sollen. nib
Als ich jüngst den Keller aufräumte, wo meine vom Studium in China mitgebrachten Bücher lagerten, stieß ich auf ein “Chinesisch-Englisches Handbuch der Begriffe” (汉英词汇手册). Es erschien im Dezember 1970 während Maos Kulturrevolution. Schon sein technischer Titel wirkte ungewöhnlich. Mit über 1.600 Seiten wurde das annotierte Wörterbuch zur verlegerischen Großtat. Im Auftrag des Außenministeriums mobilisierte der Pekinger Fremdsprachen-Verlag nach dem 9. Parteitag 1969 eine Gruppe Sprachexperten, um ein Nachschlagewerk zur Selbstdarstellung der kulturrevolutionären Begrifflichkeit herauszugeben. Von Januar 1970 an stellten sie in elf Monaten mehr als 20.000 Ausdrücke mit Beispielen ihrer Anwendung aus Ideologie, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Militär zusammen.
Wie damals üblich standen Mao-Slogans am Anfang. Statt revolutionärer Aufrufe verlangte der Große Vorsitzende: “Macht gute verlegerische Arbeit” und “Zum Nutzen des chinesischen Volkes und der Menschen der ganzen Welt.” Das passte zu Pekings Anliegen, dem Ausland wenigstens die Begriffe verständlich zu machen, in denen die abgeschlossene Nation redete und dachte.
Denn Chinas Führung wollte aus Furcht vor der mit ihrer verfeindeten Sowjetunion ihre Türen zum Westen öffnen. 1969 hatten sich beide Staaten erstmals am Amur bekriegt. Anfang 1971 traf US-Sicherheitsberater Henry Kissinger zu Geheimverhandlungen in Peking ein.
Das neue Wörterbuch war nur ein kleines Signal im großen Wandel. An Hunderten in ihm übersetzten antisowjetischen Begriffen ließ sich das tiefe Zerwürfnis zur Sowjetunion ablesen. Maos Propagandisten nannten sie “revisionistisch” und “sozialimperialistisch” und ihre Führer “neue Zaren” mit “großrussischem Chauvinismus” (大俄罗斯沙文主义). Beispielsätze attackierten vor allem Nikita Chruschtschow.
Heute könnte der Unterschied nicht größer sein. Kurz vor Moskaus Angriffskrieg auf die Ukraine sicherten sich Präsident Xi Jinping und Wladimir Putin in einer 15 Druckseiten langen Vereinbarung “grenzenlose Freundschaft” und eine Kooperation ohne “verbotenes Terrain” zu. Der heutige sprachliche Hass richtet sich wieder gegen die USA.
Das Wörterbuch von 1970 ist Zeitzeugnis einer vergangenen Epoche. Es wurde nach dem Tod Maos nicht mehr aufgelegt. In Reformzeiten aufgewachsene Chinesen unter 40 Jahre sind Ausdrücke wie “Schlangengeister und Rinderteufel”(牛鬼蛇神) bis zu den “drei ständig zu lesenden Mao-Aufsätzen” (老三篇) ein Rätsel. Sie verstehen auch nicht, warum im Parteijargon damals Rock ‘n’ Roll der “Tanz von Vagabunden” (阿飞舞) genannt wurde. Es macht sie stattdessen heute wütend, wenn Pekings Ideologen ihre Idole, Modetrends oder Livestream-Stars polemisch schmäht.
Chinas vergiftete offiziöse Sprache, die einst die grotesken Wortungeheuer der Kulturrevolution erschuf, verwendet heute andere Begriffe, hat sich aber in ihrer Art nicht verändert. Auch wenn die Kulturrevolution Inhumanität und Hass auf die Spitze trieb, blieb die Sprache voller Bösartigkeiten und Polemik, wenn es um Gegner oder Andersdenkende geht. Das wirkt sich auch auf die sozialen Medien aus. In den USA hat unter Auslandschinesen eine Debatte begonnen, warum chinesische Shitstorms die Internetwut anderer Nationen übertreffen. Das Phänomen kommt auch in der Aggressivität und den absurden Verschwörungstheorien der sogenannten “Wolfskrieger” im Außenministerium zum Ausdruck, die jegliche diplomatische Zurückhaltung oder Höflichkeit abgelegt haben und kritische Stimmen als “antichinesischen Chor” (反华大合唱) verunglimpfen, ein Ausdruck, der auch schon im Handbuch 1970 steht.
Der Kantoner Reformphilosoph Yuan Weishi (袁伟时) gibt die Schuld der ideologisierten Schulbildung in der Volksrepublik, die er “Erziehung mit Wolfsmilch” nannte. Chinas Kommunisten hätten von Beginn ihrer Herrschaft an Sprache und Erziehung zur ideologischen “Gehirnwäsche” und Ideologisierung der Gesellschaft manipuliert, schreibt der heute im US-Exil lebenden Autor und Dissident Yu Jie. Er beruft sich auf die Sprachforschungen des Analytikers und Romanisten Victor Klemperer. Der warnte davor, die kritische Rolle zu ignorieren, die der Sprache für die Bildung eines totalitären Systems zukommt.
In China aber hat Sprache genau diese Funktion. Das sei auch das Kalkül hinter den Ideologiereden von Alleinherrscher Xi Jinping schreibt Yu in seiner Studie: “Vom Maoismus zum Xiismus“. Seit Maos Tod habe niemand unter Chinas Führern den Großen Vorsitzenden so oft zitiert wie Xi.
Xi nutzt zur Förderung seines Personenkults und zur Ausbau seiner Macht nicht nur Maos Sprache, sondern kopiert auch dessen Methoden. Der Vorsitzende ließ “Studienklassen für Mao Zedong-Gedanken” ( 办毛泽东思想学习班) einrichten, ein Begriff, der im 1970er-Wörterbuch steht. Xi zwingt heute Chinas Ministerien und Kommissionen “Forschungszentren für Xi Jinping-Gedanken zum neuen besonderen Sozialismus” (习近平新时代中国特色社会主义思想研究中心) zu betreiben. Auch sein jüngstes geflügeltes Wort: “Der Osten ist im Aufschwung, der Westen im Niedergang” (东升西降) hat Vorläufer in Mao-Slogans: “Im Osten geht die Sonne auf – im Westen geht sie unter” (东方日盛,西方日衰 ), oder “Der Ostwind unterdrückt den Westwind” (东风压倒西风).
Das Wörterbuch von 1970 enthüllte erstmals für die Außenwelt den Begriff der seit 3.000 Jahren überlieferten altchinesischen 36 Kriegslisten (三十六计). Mao nutzte sie zur militärischen Eroberung Chinas und zur späteren Behauptung seiner Macht. Das Nachschlagewerk listet alle 36 Intrigen einzeln und mit englischer Übersetzung auf. Es verrät sogar, welche Kriegslist im Guerilla-Krieg die Wirksamste war: “Unter den 36 Strategemen ist Wegrennen am Besten” ( 三十六计走为上计).
Harro von Senger, ein heute in der Schweiz lebender, renommierter Sinologe und früherer Professor für Chinesisches Recht, der Mitte der 1970er-Jahre auch in Peking studierte, sagte mir, er habe das Wort “Strategeme” als Begriff für die Lebens- und Überlebenslisten zuerst im Lexikon von 1970 gefunden. Er hat seither Dutzende Abhandlungen und Übersetzungen über die 36 Strategeme verfasst, die heute in 16 Sprachen erschienen, zuletzt im Januar 2022 in einem ukrainischen Verlag.
Reformen und Modernisierung haben China über Nacht radikal verändert. 2002 erinnerten Buchreihen fast nostalgisch an die Hunderte Handwerksberufe, die still in weniger als einer Generation verschwanden und mit ihnen auch ihre Namen. Weg waren sie – der Scheren- und Messerschleifer (磨刀人), der mit lautem Singsang durch die Wohnviertel zog, der Aufklopfer von Baumwolldecken im Hinterhof (弹棉花), der Briefschreiber für andere (代写书信), der Brikettverkäufer (卖炭) oder Feng-Shui-Geomant (风水先生).
Alles änderte sich, nur Chinas Sprache nicht. Reformbedarf meldeten Autoren wie Ye Yanbing (叶延滨) 2007 an. Er forderte vergeblich, zuerst ein Wörterbuch über die inhumane Sprache der Kulturrevolution (文革说文解字) zu schaffen, nach dem Vorbild der klassischen Erklär-Enzyklopädie für Begriffe im chinesischen Altertum.
Der Übersetzer und ehemalige Leiter des Pekinger Goethe-Instituts, Michael Kahn-Ackermann, sagt, dass es nie eine Aufarbeitung der seit 100 Jahren existierenden zeitgenössischen Literatursprache Baihua (白话) gegeben hat, erst recht “keine Befreiung der seit 1949 immer stärker stereotypisierten Sprache von ihrem Ballast”.
Das Thema trieb chinesische Intellektuelle nach Ende der Kulturrevolution um, sagt Kahn-Ackermann. Bis heute kämpft etwa A Cheng (阿城) für eine humane Sprache. Yu Hua (余华) setzt sich in seinem Buch “China in zehn Worten” damit auseinander. Andere wie der Satiriker Wang Shuo 王朔 versuchten, durch Ironisierung die offizielle Sprache zu entgiften.
Wer in dem Wörterbuch von 1970 blättert, erschrickt über die zahllosen menschenverachtenden Ausdrücke, die bis heute Anwendung finden, vom “wölfischen Wesen” der Gegner (豺狼本性), die “bitter und blutig” (残酷的流血斗争) bekämpft werden müssen.
Die erneute Re-Ideologisierung lässt Chinas Sprache und das Denken dahinter weiter verkrusten. Wie das auf Dauer mit der modernen Weltmacht übereinstimmt, zu der China werden will, ist die gleiche Frage, die sich in vielen Bereichen Chinas stellt, etwa, wie sich unter der immer strikteren Überwachung, Kontrolle und Zensur Innovation und Eigeninitiative entwickeln sollen. Eine Antwort wird noch gesucht.
Hans-Peter Friedrich (CSU) wird Chef der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe, berichtet das Berliner Portal “The Pioneer”. Friedrich ist ein profilierter Kenner des Landes und Mitgründer der China-Brücke. Er war bis zum Regierungswechsel Vizepräsident des Bundestags.
Gary Liu, bisher Chef des Verlags der South China Morning Post innerhalb der Alibaba-Gruppe, soll künftig eine Alibaba-Neugründung für die Verwaltung von Non Fungible Tokens (NFTs) leiten. Der Konzern sucht daher einen neuen CEO für die SCMP.
Kirschblüte vor Bergpanorama – der Kirschgarten in der Guian New Area von Guiyang (Provinz Guizhou) ist ein Touristenmagnet mit einigen Reizen.