die dritthöchste Politikerin der USA ist mit ihrem Flugzeug in Taiwan gelandet. Wie erwartet reagierte China auf Nancy Pelosis Besuch, indem es sein Militär losschickte: Flugzeuge der chinesischen Luftwaffe haben die Mittellinie der Meerenge zwischen der Insel und dem Festland angekratzt. Zudem beginnen am Donnerstag Marinemanöver mit scharfer Munition im Meer rund um Taiwan. Eine Bewertung der chinesischen Reaktion finden Sie in unserer Analyse von Christiane Kühl. Pelosis Wagnis scheint sich kurzfristig ausgezahlt zu haben, weil eine Eskalation ausgeblieben ist. Dennoch werden die USA es ab jetzt schwerer haben im Umgang mit China.
Chinas allzu laute Propagandisten mussten aber zurückrudern. China habe weiterhin die stärkeren Karten auf der Hand und werde sie nun “eine nach der anderen ausspielen”, schrieb beispielsweise Hu Xijin, der stets lautstark tönende Ex-Chefredakteur der Global Times auf Twitter. Statt des von ihm am Montag angekündigten “großen Kriegs in der Taiwanstraße” findet nun also eher ein Kartenspiel statt. (Zum Thema Hu Xijin schauen Sie doch bitte auch in unser Dessert, wo er ungewohnt einträchtig neben Pelosi zu sehen ist.)
Die Beziehungen zwischen den USA und China werden ab jetzt jedoch erst einmal komplizierter. Xi Jinping kann die historische Visite nicht einfach übergehen. Die Gefahr eines Missverständnisses und einer unbeabsichtigten Eskalation sind zudem nicht gebannt, zumal beide Seiten Kriegsschiffe im gleichen Seegebiet zusammenziehen. Taiwan bleibt neben dem laufenden Krieg in der Ukraine sowie Nordkorea und ferner auch Iran einer der kritischsten Krisenherde.
Pelosis Besuch stärkt die symbolische Unterstützung für Taiwan, aber er kommt in einer gefährlichen Zeit. Einem Krieg steht die Welt bereits fassungslos gegenüber. Und China befindet sich an dem Punkt, an dem es darauf dringen könnte, seine eben erst zurückgewonnene technologisch-militärische Stärke in der Praxis zu zeigen. So lobenswert Pelosis Hartnäckigkeit ist: Sie hat an einem Status quo gewackelt, der jahrzehntelang einen heiklen Frieden gesichert hat.
Zugleich wirkte die Reaktion am Dienstagabend zunächst jedoch auch wie ein Spiel. Exakt in dem Moment, als Flugverfolgungs-Seiten die Landung Pelosis signalisierten, stellten die chinesische und die amerikanische Seite ihre PR-Texte online, mit denen sie ihre Positionen in markigen Worten vertraten. Es war fast beruhigend, darin die gleichen Phrasen zu finden wie üblich.
Sie hat es also tatsächlich getan: Trotz aller Warnungen und Krisen-Szenarien ist Nancy Pelosi am Dienstag nach Taiwan geflogen – und zwar unter den Augen aller Welt. Hunderttausende im Ausland und zeitweise gar 30 Millionen Menschen in China verfolgten auf Flight-Trackern im Netz die Boeing der US-Luftwaffe mit Pelosi an Bord von Kuala Lumpur bis zur Landung am späten Abend Ortszeit in Taiwan. Die Tracking-App Flight Radar brach unter der Last der Zugriffe gar vorübergehend zusammen.
Fast im Moment der Landung kam auch die chinesische Reaktion. Die Volksbefreiungsarmee schickte SU-35-Kampjets los, die an der Medianlinie zwischen Taiwan und dem chinesischen Festland entlangrasten. Es war eine der Reaktionen, die Experten vorab in Betracht gezogen hatten. Das chinesische Staatsfernsehen brachte zu dem Luftwaffeneinsatz nur eine dürre Meldung. Nach dem Säbelrasseln der vergangenen Tage (China.Table berichtete) wirkte das geradezu verhalten. Noch am Dienstagnachmittag hatte Außenamtssprecherin Hua Chunying mit “starken Gegenmaßnahmen” gedroht.
Schon vor Pelosis Anreise hatten zwei Manöver der Marine begonnen, die am Dienstagabend noch andauerten – allerdings weit weg von Taiwan in der Bohai-See sowie im Südchinesischen Meer. Auch meldete das Präsidialamt von Tsai Ing-wen, dass Hacker die Webseite der Präsidentin durch einen Ansturm an Anfragen vorübergehend lahmgelegt hatten.
Die Nachrichtenagentur Xinhua und die anderen Staatsmedien kündigten jedoch als weitere Reaktion zusätzliche Manöver der Marine an: “Die Volksbefreiungsarmee wird von Donnerstag bis Sonntag in sechs Regionen rund um die Insel Taiwan wichtige militärische Übungen und Trainingsaktivitäten durchführen, darunter auch Schießübungen.”
Auf der Karte ähneln die Sperrzonen in leicht beängstigender Weise der Einkreisung der Ukraine durch russische Einheiten und “Manöver” vor dem Einmarsch – die psychologische Wirkung ist da sicher beabsichtigt. Der entscheidende Punkt ist jedoch: Wenn die Manöver um Taiwan starten, ist Pelosi schon wieder weg.
Die bisherigen Reaktionen vom Heranpirschen chinesischer Kampfflugzeuge an die Medianlinie bis zur Ankündigung von Manövern waren weit vom Worst-Case-Szenario entfernt. China störte weder Pelosis Landeanflug, noch überflogen Jets der Volksbefreiungsarmee Taiwan selbst. Der große Knall ist ausgeblieben.
Und dann stieg Pelosi im Dunklen aus der Maschine, mit Maske und rosfarbenem Anzug, begleitet von einer kleinen Delegation. Auch für erste Fotos stoppte sie. Vielleicht sah sie auf dem Weg ins Hotel auch die Willkommensbotschaft am höchsten Gebäude Taiwans, dem Wolkenkratzer Taipeh 101: “Lang lebe die Freundschaft zwischen den USA und Taiwan” sowie auf Englisch die Worte “Danke” und “Sprecherin Pelosi”.
Binnen Minuten folgte Pelosis erster Tweet: “Der Besuch unserer Delegation in Taiwan unterstreicht das unerschütterliche Engagement der USA für die Unterstützung der lebendigen Demokratie in Taiwan.” Die Gespräche mit der taiwanischen Regierung “fördern unsere gemeinsamen Interessen, einschließlich der Förderung einer freien und offenen indo-pazifischen Region.”
Zeitgleich mit der Landung schaltete die US-Zeitung Washington Post einen Gastbeitrag Pelosis frei, in dem sie ihre Motive erklärt. Sie ordnet ihren Besuch in eine Kontinuität der US-Politik zur Unterstützung eines “demokratischen Taiwan” ein. Man teile die Werte “Selbstbestimmung, Freiheit, Menschenwürde und Menschenrechte”. Ihr Besuch stelle keinen Bruch mit der bestehenden Linien dar, sondern sei ihre logische Fortführung.
China griff genau die gegenteilige Interpretation auf: Der Besuch sei ein “gefährlicher Akt des Spiels mit dem Feuer” und verletzte das “Ein-China-Prinzip”, schrieb die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua in einem Kommentar, der auf den Seiten der Staatsmedien im Moment der Landung online ging. Auch das Büro für Taiwan-Angelegenheiten äußerte sich in scharfen Worten. Pelosi sende ein fatales Signal an die Kräfte der Unabhängigkeit Taiwans, das nur ins Unglück führen könne. Der Ton in Peking deutet auf tiefere und längerfristige Schäden des amerikanisch-chinesischen Verhältnisses hin. Peking vergisst nicht.
Auch wenn Pelosi sich vordergründig durchgesetzt hat: Sie hat mit dem Besuch bisher kein 1:0 für die USA geschossen. Der auch in Washington umstrittene Pelosi-Besuch hat das Verhältnis zwischen den Supermächten beschädigt. Wie sehr, wird sich erst zeigen. Pelosis Landung in Taiwan eröffne nun eine “Ära des hochintensiven Wettbewerbs zwischen China und den USA um Taiwan”, schrieb jedenfalls der twitterfreudige und als Scharfmacher bekannte Ex-Chefredakteur des Propagandablattes Global Times, Hu Xijin, der zuvor sogar einen Abschuss des Flugzeugs der Sprecherin ins Spiel gebracht hatte. “Taiwan liegt nahe am chinesischen Festland und Peking hat genügend Karten auf der Hand. Wir werden sie selbstbewusst eine nach der anderen ausspielen”, so Hu. Eine nach der anderen, das klingt zumindest nicht nach Invasion oder Frontalangriff auf US-Flugzeugträger in der Region.
Dazu passt, dass China am Dienstag wenig überraschend erneut Unterstützung aus Russland erhielt. “Alles an dieser Reise und dem möglichen Besuch in Taiwan ist eine reine Provokation”, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow gegenüber Reportern – als noch unkar war, ob Pelosi wirklich nach Taipeh fliegt.
Schon am Montag hatte sich Außenminister Sergej Lawrow demonstrativ hinter Pekings “Ein-China-Politik” gestellt. Beide bezeichneten Taiwan als Teil Chinas und die USA als Provokateur. Es ist ein Schulterschluss, doch es bleibt unklar, wie vergiftet dieser ist. Will Russland China zu einer noch eindeutigeren Unterstützung Moskaus im Ukraine-Krieg verlocken? Peking hat die Konflikte Ukraine und Taiwan stets sauber getrennt: Die Ukraine sei ein souveränes Land; Taiwan ein Teil Chinas.
Die neue deutsche Botschafterin Patricia Flor twitterte unterdessen nach ihrem ersten Besuch im Außenministerium ausgerechnet an diesem Tag von “offenen Diskussionen” mit Vizeminister Deng Li – und bekräftigte die Worte von Außenministerin Annalena Baerbock zum Taiwan-Konflikt vor den Vereinten Nationen Anfang der Woche: “Die Androhung von militärischer Gewalt ist unter keinen Umständen akzeptabel.”
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Chen Weihua, EU-Bürochef der Staatszeitung China Daily, schoss zurück: “Unter keinen Umständen? Wenn Taiwan sich auf eine Unabhängigkeit zubewegt, wird das einen Krieg auslösen. Ich dachte nur, Sie verstehen China besser als Ihre ignorante Außenministerin.” Diese Äußerung eines Medienvertreters in Staatsdiensten mag Vorzeichen für einen neuen Ton sein, noch schärfer als bisher, wo man dank der “Wolfskrieger” um Außenamtssprecher Zhao Lijian ja schon einiges gewohnt ist.
Fakt ist, dass auch Europa von den Spannungen nicht ausgenommen sein wird – denn auch die Europäer solidarisieren sich zunehmend mit Taiwan. Gerade erst war die Vizepräsidentin des EU-Parlaments Nicola Beer in Taiwan. Auch Parlamentarier aus Großbritannien planen offenbar einen Besuch. Im November oder Dezember wolle der Auswärtige Ausschuss des Parlaments die Inselrepublik besuchen, berichtete die Zeitung The Guardian am Montag unter Berufung auf nicht näher genannte Quellen. Weder von den Briten noch von Vertretern Taiwans waren zunächst Stellungnahmen zu erhalten. Aber auch Pelosi hatte ja bis zu ihrer Ankunft in Taipeh kein Wort über ihre Reise verloren.
Es sind wohlgemerkt Parlamentarier, keine Regierungsbeamten und keine hochrangigen Regierungsmitglieder, die Taiwan besuchen – da scheint man sich im Westen einig zu sein. Am Montag betonte US-Außenminister Antony Blinken, dass der Kongress über solche Dinge unabhängig entscheide.
Jake Sullivan, Sicherheitsberater der US-Regierung, sagte, Pelosi sei nicht die einzige Sprecherin des Hauses, die in Taiwan gewesen sei. Vor 25 Jahren war der damalige Sprecher Newt Gingrich in Taipeh. “Mitglieder des Kongresses reisen ständig dorthin, darunter mehrere in diesem Jahr”, so Sullivan am Dienstag. “Wenn China also versucht, das, was in der historischen Norm liegt, in eine Krise zu verwandeln oder als Vorwand für ein aggressives Vorgehen in der Umgebung von Taiwan zu benutzen – dann ist das ihre Sache, und sie wären diejenigen, die eine Eskalation herbeiführen würden.”
Als Pelosi in Taipeh schon im Hotel schlief, bemühten sich ihre Kollegen in Washington dann, die Wogen wieder etwas zu glätten. Die Ein-China-Politik der USA stehe nicht infrage, sagte Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby. Es sei das Recht der Präsidentin des Repräsentantenhauses, die Insel zu besuchen. Aber: “Wir wollen nicht, dass sich dies zu einer Krise oder einem Konflikt ausweitet.” Die Vereinigten Staaten haben kein Interesse an einer Eskalation, sagte auch Sullivan.
China reagierte nicht nur militärisch; sondern griff auch in die Werkzeugkiste für ökonomische Zwangsmaßnahmen. Wie am Dienstag bekannt wurde, stoppte der Zoll bereits Montag die Lieferungen von mehr als 100 taiwanesischen Lebensmittelexporteuren. Zu den betroffenen Waren gehörten Meeresfrüchte, Tee, Kekse, Backwaren, Brot und Honig, berichteten Bloomberg und die South China Morning Post jeweils unter Berufung auf chinesische Zollbehörden.
Nach Berichten der in Taipeh ansässigen Zeitung “Apple Daily” habe die chinesische Seite als Grund veraltete Informationen auf den Einfuhrdokumenten angegeben. Auch im Streit mit Litauen um die Eröffnung eines Taiwan-Büros in Vilnius hat Chinas Zoll seit 2021 immer wieder Waren des EU-Landes mit fadenscheinigen Begründungen gestoppt, darunter Rindfleisch, Milchprodukte oder Alkohol.
Gegenüber Taiwan ist eine solche Politik des wirtschaftlichen Drucks ebenfalls nicht neu. So blockiert Peking seit einiger Zeit den Import mancher Früchte, wie etwa Ananas. Diese werden meist im Süden Taiwans angebaut, wo die Unterstützung für Präsidentin Tsai Ing-wen besonders groß ist. Tsai und ihre Demokratische Fortschrittspartei gelten in Peking als Verfechterin der Unabhängigkeit.
Pelosi hat mit ihrem Abstecher nach Taiwan auf jeden Fall die US-Verpflichtung unterstrichen, Taiwan zu schützen. “Amerikas Solidarität mit den 23 Millionen Menschen in Taiwan ist heute, da die Welt vor der Wahl zwischen Autokratie und Demokratie steht, wichtiger denn je”, teilte Pelosis Büro nach ihrer Landung noch mit. Es bleibt zu hoffen, dass sie den Taiwanern mit ihrer Reise auch wirklich nützt. Es könnte auch sein, dass sie die Lage auf absehbare Zeit komplizierter gemacht hat.
Taiwans Militär war seit Tagen in Alarmbereitschaft. Das Verteidigungsministerium betonte noch am Dienstagmorgen, man sei bereit, die Streitkräfte zu entsenden, sollte sich China nach Pelosis Landung für eine militärische Intervention entscheiden. In China verfolgten hunderttausende Internet-User den Landeanflug der US-Politikerin mit einer explosiven Mischung aus Patriotismus und Sensationslust – während hochrangige chinesische Staatsbeamte auf Twitter Videos posteten, die dem Westen noch einmal die Schlagkraft der Volksbefreiungsarmee beweisen sollten. Andere Videos zeigten anrollende Panzerdivisionen in Xiamen, auf der chinesischen Seite der Taiwan-Straße.
Die Bürger Taiwans, dem vermeintlichen Brandherd, gaben sich dagegen auch nach der Landung eher cool, wie schon während der gesamten Pelosi-Saga. “Ehrlich gesagt habe ich dem Ganzen gar keine Aufmerksamkeit geschenkt und erst gestern von ihrem Besuch erfahren”, sagt etwa die 40-jährige Film-Produzentin Lin Yu-ting.
Lin ist alt genug, um sich noch an die vorige “Krise in der Taiwanstraße” des Jahres 1996 zu erinnern. Damals hielt China eine Serie von Raketentests ab – als Protest gegen die erste direkte demokratische Präsidentenwahl in Taiwan und die Politik des Amtsinhabers Lee Teng-hui, dem man eine Abkehr von der Ein-China-Politik vorwarf. Vor einer Eskalation hat Lin auch deshalb jetzt keine Angst. “China schimpft ja schon seit Jahrzehnten. Manchmal schimpfen sie lauter und manchmal leiser, mehr ist das doch nicht.”
Auch der 29-jährige Yu Cheng-wei hält den Besuch der US-Politikerin für keine brandgefährliche Zäsur in der Taiwan-Frage. “Persönlich begrüße ich Pelosis Taiwanreise“, sagt der junge Mann, der sich gerade auf eine Beamtenlaufbahn vorbereitet. “In anderen Ländern ist es auch ganz normal, wenn politische Führungspersönlichkeiten zu Besuch kommen. Im Falle Taiwans sollte das nicht anders sein.”
Dass nun ein offener militärischer Konflikt mit China entbrennen wird, hält Yu für höchst unwahrscheinlich. “Das wäre dann ja ein direkter Konflikt mit den USA. Dazu ist China militärisch noch nicht in der Lage.” Mit Blick auf den kommenden 20. Parteitag der KP Chinas wäre das auch innenpolitisch für China nicht von Vorteil. Dennoch sei nach wie vor Vorsicht geboten, sagt Yu: “Aus taiwanischer Sicht betrachtet können wir es uns nicht leisten, als erste das Feuer zu eröffnen.”
Die Taiwaner sind sich der Gefahr einer Invasion durchaus bewusst. Gleichzeitig aber haben sie sich längst an das Säbelrasseln aus Peking gewöhnt. “Angst bringt ja auch nichts. Es kommt wie es kommt”, sagt Hsu En-en. Die 29-jährige lebt in Kaohsiung, einer Hafenstadt direkt am Südchinesischen Meer, wo sie Podcasts über Filme und Literatur aufnimmt. Die Ankündigung der Manöver für diese Woche, bei denen Chinas Militär Taiwan geradezu einkesseln will, könnte aber tatsächlich noch einmal eine neue Eskalationsstufe sein.
“Ich habe also schon ein gewisses Grundbewusstsein für die Gefahr eines militärischen Konflikts”, sagt Hsu. Sie habe wegen des Ukraine-Krieges und der häufigen Naturkatastrophen in Taiwan bereits Vorräte für den Ernstfall angelegt. “Die Gefahr geht eindeutig von China aus. Schon im Voraus hatten sie uns immer wieder gedroht. Das ist doch die Ursache dafür, dass dieser Besuch plötzlich so gefährlich erscheint.” Verrückt machen wolle sie sich trotz allem nicht. “Wir gehen unbefangen an das heran, was kommt. Wir leben einfach weiter unser Leben, essen Ramen und trinken Bubble Tea.”
Sinolytics ist ein europäisches Beratungs- und Analyseunternehmen, das sich auf China spezialisiert hat. Es berät europäische Unternehmen bei der strategischen Ausrichtung und den konkreten Geschäftsaktivitäten in der Volksrepublik.
China hat offenbar seine Atomtest-Anlagen in der autonomen Region Xinjiang erweitert. Darauf deuten Satellitenaufnahmen hin, die Anfang der Woche von der japanischen Zeitung Nikkei Asia veröffentlicht und zusammen mit Nuklearexperten ausgewertet wurden.
Demnach sollen auf dem chinesischen Kernwaffentestgelände Lop Nur im Südosten Xinjiangs an einem Berghang umfangreiche Abdeckungen errichtet worden sein. In der Nähe aufgetürmte Felsbrocken sollen auf einen neuen, sechsten Tunnel hindeuten, in dem unterirdische Atomtests “jederzeit wiederaufgenommen werden können”, wie ein Experte von “All-Source Analysis”, einem privaten US-amerikanischen Geodatenunternehmen, gegenüber Nikkei erklärte.
Seit zwei Jahren schon werden in dem Gebiet verstärkt Bauarbeiten beobachtet. Zu den jüngsten Maßnahmen gehören Stromübertragungskabel und eine Anlage, die zur Lagerung von Sprengstoff genutzt werden könnte. Auf einer offiziellen chinesischen Beschaffungswebsite wurde im April zudem eine Ausschreibung für “10 Strahlungsalarme” oder “12 Schutzanzüge” veröffentlicht, so die Zeitung.
Der fünfte und bislang letzte unterirdische Atomtest wurde in Lop Nur im Jahr 1996 durchgeführt. Damals hatte China erklärt, seine Nukleartests infolge des Kernwaffenteststopp-Vertrags einzustellen. Laut einem im Juni veröffentlichten Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri zufolge besitzen Russland und die USA mit 5.977 beziehungsweise 5.428 atomaren Sprengköpfen das weltweit größte Arsenal. An dritter Stelle folgt China mit 350 nuklearen Sprengköpfen. Laut Sipiri sei die Volksrepublik jedoch dabei, ihr Atomwaffenarsenal beträchtlich zu erweitern. Satellitenbilder deuten etwa auf den Bau von über 300 neuen Raketensilos hin. fpe
Der Staatsrat, also die chinesische Regierung, hat wie erwartet das Ende der Kaufförderung für Autos mit umweltfreundlichen Antriebsformen hinausgeschoben. Die Subventionen sollten eigentlich Ende 2022 auslaufen. Jetzt gelten sie vorerst weiter, wie aus Berichten des Staatssenders CCTV über die Staatsratssitzung vom Freitag hervorgeht. Zuerst hatte das Nachrichtenportal Caixin über die Verlängerung berichtet.
Grund für die Fortsetzung der Förderung ist unter anderem die schleppende Konjunktur. China hatte ursprünglich vor, künftig marktgerechte Preise für Elektroautos zuzulassen. Stattdessen wurden die Hersteller über Regulierungen dazu gezwungen, die Wende zur Elektromobilität voranzutreiben. Nach den Covid-Lockdowns will Premier Li Keqiang jedoch mit verschiedenen Mitteln den Konsum anregen. fin
China will den Höchststand der CO2-Emissionen im Industriesektor zwischen 2026 und 2029 erreichen. Das zeigt ein gerade veröffentlichter Plan von Industrie– und Umweltministerium sowie zentralen Planungsbehörden, schreibt der China-Experte Lauri Myllyvirta vom Centre for Research on Energy and Clean Air am Dienstag auf Twitter. Konkrete messbare Ziele enthalte der Plan aber nicht. Die neuen Pläne bleiben demnach aber hinter früheren Entwürfen zurück, die zum Beispiel für den Stahl- und Zementsektor den Emissions-Höhepunkt schon für 2025 angepeilt hatten. Immerhin bestätige das neue Dokument, dass es spezifische Pläne für Spitzenwerte in den vier großen energieintensiven Branchen Stahl, Baumaterialien, Chemikalien und Nichteisenmetalle geben wird: “Diese könnten noch konkretere Ziele vorgeben.”
Chinas Emissionen – einschließlich der Industrieemissionen – gehen laut Myllyvirta seit rund einem Jahr aufgrund einer Kombination aus wirtschaftlicher Verlangsamung, finanzieller Notlage und einem Wachstum der Erneuerbaren Energien zurück. Im gesamten Kalenderjahr 2021 waren sie nach Angaben des Statistikamtes noch um rund vier Prozent gestiegen (China.Table berichtete). Chinas 30/60-Klimaziele sehen einen allgemeinen Emissionsgipfel bis 2030 und Klimaneutralität ab 2060 vor.
Doch gerade energieintensive Sektoren sollen nach dem Willen Pekings vorangehen. “Die Schwerindustrie profitiert von der Elektrifizierung, durch die ein Teil ihrer Emissionen in den Stromsektor verlagert wird”, schreibt Myllyvirta. “Daher müssen sie in der Lage sein, ihren Spitzenwert frühzeitig zu erreichen.” Das gilt vor allem, wenn der Anteil der Erneuerbaren an der Stromversorgung weiter schnell steigt.
Der Experte geht davon aus, dass der Zementsektor seinen Emissionsgipfel bereits hinter sich hat und auch Stahl bis 2030 bereits sinkende Werte verzeichnet, unter anderem durch den stärkeren Einsatz von Altmetall. Er hält es daher durchaus für möglich, dass reale Einsparungen schneller vorankommen, als die konservativen Pläne es vorsehen. ck
Der Elektroautobauer Nio will im September sein erstes Werk in der EU eröffnen. Das berichtet das Finanzmagazin Caixin unter Berufung auf eine Mitteilung des Unternehmens. Das Werk in der Stadt Pest in Ungarn werde 10.000 Quadratmeter groß sein und Ladestationen und Batteriewechselstationen für europäische Kunden produzieren, so Caixin. Auch werde Nio dort Kundendienstleistungen anbieten.
Der Einstieg in den europäischen Markt hat große Bedeutung für Nio. Nio ist bereits in Norwegen aktiv, das mit seiner NEV-freundlichen Politik für mehrere chinesische E-Auto-Firmen das Eingangstor nach Europa ist. Das Unternehmen habe in Norwegen eine Ladestation und eine Batteriewechselstation errichtet und bislang 750 Autos verkauft, schreibt Caixin unter Berufung auf Branchendaten. Nio will seine Autos zudem in Ländern wie Frankreich, Deutschland und den Niederlanden verkaufen. ck
Die weithin gelobte Globalisierung der Zeit nach dem Kalten Krieg läuft jetzt rückwärts. Die anhaltende Verlangsamung des Welthandels wurde durch pandemiebedingte Unterbrechungen der Versorgungsketten, den anhaltenden Druck durch den Handelskrieg zwischen den USA und China sowie den Bemühungen, grenzüberschreitende Wirtschaftsbeziehungen mit geostrategischen Allianzen (“Friendshoring“) in Einklang zu bringen, noch verstärkt. Diese Entwicklungen ziehen die Schlinge um China enger – das Land, das wohl am meisten von der modernen Globalisierung profitiert hat.
Von den vielen Messgrößen der Globalisierung – einschließlich der Finanz-, Informations- und Arbeitsströme – ist der grenzüberschreitende Austausch von Waren und Dienstleistungen am engsten mit dem Wirtschaftswachstum verbunden. Vor allem aus diesem Grund deutet die Verlangsamung des Welthandels, die nach der globalen Finanzkrise 2008/09 einsetzte und sich in der Covid-19-Ära noch verstärkte, auf einen grundlegenden Wandel der Globalisierung hin. Während die weltweiten Exporte von 19 Prozent des weltweiten BIP im Jahr 1990 auf einen Spitzenwert von 31 Prozent im Jahr 2008 anstiegen, betrugen die weltweiten Exporte in den dreizehn Jahren danach (2009-21) durchschnittlich nur noch 28,7 Prozent des weltweiten BIP. Wären die weltweiten Exporte um 6,4 Prozent gewachsen – auf halbem Weg zwischen dem rasanten Tempo von 9,4 Prozent im Zeitraum von 1990 bis 2008 und der gedämpften Rate von 3,3 Prozent nach 2008 -, wäre der Exportanteil am globalen BIP bis 2021 auf 46 Prozent gestiegen, weit über den aktuellen Anteil von 29 Prozent.
Die Vorteile, die China aus der Globalisierung des Handels gezogen hat, sind außergewöhnlich. In den zehn Jahren vor Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation im Jahr 2001 machten die chinesischen Exporte im Durchschnitt nur zwei Prozent der gesamten weltweiten Ausfuhren aus. Bis 2008 hatte sich dieser Anteil fast vervierfacht und betrug 7,5 Prozent. China hatte sein Beitrittsgesuch zur WTO genau zum richtigen Zeitpunkt eingereicht – nämlich genau dann, als sich der Welthandel in einem starken Aufschwung befand. Zwar forderte die Finanzkrise einen kurzen Tribut von der chinesischen Exportdynamik, doch war diese Unterbrechung nur von kurzer Dauer. Bis 2021 stiegen die chinesischen Exporte auf 12,7 Prozent der weltweiten Ausfuhren und lagen damit deutlich über dem Höchststand von vor 2008.
Es ist unwahrscheinlich, dass China diese Leistung beibehalten kann. Das Gesamtwachstum des Welthandels verlangsamt sich, und Chinas Anteil am Handelskuchen gerät zunehmend unter Druck.
Besonders problematisch ist der anhaltende Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten. Während der ersten Phase von Chinas exportorientiertem Wachstumsschub nach dem WTO-Beitritt waren die USA durchweg Chinas größte Quelle der Auslandsnachfrage. Vor allem wegen der vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump verhängten Zölle ist dies nun nicht mehr der Fall. Bis 2020 sind die US-Importe chinesischer Waren und Dienstleistungen um 19 Prozent unter den Höchststand von 2018 gefallen. Trotz der deutlichen Erholung der US-Wirtschaft nach der Pandemie blieben die US-Einfuhren aus China 2021 um 5 Prozent unter dem Höchststand von 2018. Eine teilweise Senkung der Zölle auf ausgewählte Konsumgüter – die die Regierung von Präsident Joe Biden offenbar als Mittel zur Inflationsbekämpfung in Erwägung zieht – wird den bilateralen Handel kaum ankurbeln.
Gleichzeitig werden anhaltende pandemiebedingte Unterbrechungen der Versorgungskette wahrscheinlich einen hohen Tribut in China und dem Rest der Welt fordern. In den sechs Monaten bis April lag der von Forschern der Federal Reserve Bank of New York erstellte “Global Supply Chain Pressures Index” bei durchschnittlich 3,6 und damit deutlich über dem Wert von 2,3 in den ersten 21 Monaten nach Beginn der pandemiebedingten Lieferstopps im Februar 2020 und deutlich über dem Wert von “Null”, der das Ausbleiben von Lieferkettenunterbrechungen markiert.
Für eine Welt, die durch Lieferketten verbunden ist, ist dies von großer Bedeutung. Globale Wertschöpfungsketten waren für mehr als 70 Prozent des kumulativen Wachstums des gesamten Welthandels von 1993 bis 2013 verantwortlich – und China hat einen übergroßen Anteil an dieser durch globale Wertschöpfungsketten ermöglichten Expansion gehabt. Da es weiterhin zu Unterbrechungen der Lieferketten kommt, die durch Chinas Null-Covid-Politik noch verschärft werden, wird der Druck auf die chinesische und globale Wirtschaftstätigkeit wahrscheinlich hoch bleiben.
Die zunehmenden geostrategischen Spannungen sind der Joker in der Deglobalisierung, insbesondere ihre Auswirkungen auf China. “Friendshoring” verwandelt das Ricardo’sche Effizienzkalkül des grenzüberschreitenden Handels faktisch in eine Bewertung von Sicherheitsvorteilen, die sich aus strategischen Allianzen mit gleichgesinnten Ländern ergeben. Chinas neue unbegrenzte Partnerschaft mit Russland ist in dieser Hinsicht von besonderer Bedeutung. Da China sich dem Schritt annähert, die russische Militäraktionen in der Ukraine zu unterstützen, haben die USA vor kurzem über ihre so genannte Entity List Sanktionen gegen fünf weitere chinesische Unternehmen verhängt.
Darüber hinaus sind die chinesischen Käufe russischer Energieerzeugnisse eine wichtige Stütze für die russische Wirtschaft und wirken so den Auswirkungen der beispiellosen westlichen Sanktionen entgegen. Das erhöht das Risiko, dass sich China durch Assoziation mitschuldig macht. Unterdessen sind auch Anzeichen für eine Deglobalisierung der Finanzmärkte erkennbar, da China seine Bestände an US-Staatsanleihen kontinuierlich auf ein Niveau reduziert, das es seit 2010 nicht mehr gegeben hat – eine wenig beruhigende Entwicklung für die sparschwache, defizitäre US-Wirtschaft.
Die USA sind bei diesem Ausbruch geostrategischer Spannungen kaum nur unschuldiger Zuschauer. Die immer wieder auftauchenden Gerüchte über eine bevorstehende Taiwan-Reise der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, spielen eindeutig mit Chinas Stolperdrähten in Bezug auf ein Land, das es als eines seiner Kerninteressen definiert hat. Das Gleiche gilt für die parteiübergreifende Unterstützung der Anti-China-Gesetze, die sich langsam ihren Weg durch den US-Kongress bahnen.
So wie der russische Präsident Wladimir Putin versucht hat, seine skrupellose Aggression in der Ukraine als Verteidigung gegen die NATO-Erweiterung zu rechtfertigen, spielen Chinas langjährige Ängste vor einer amerikanischen Eindämmung auf ähnliche Befürchtungen in chinesischen Führungskreisen an. Henry Kissinger, der Architekt der modernen US-China-Politik, warnte vor kurzem vor Amerikas Neigung zu einer “endlosen Konfrontation” mit China und rief zu einer “Nixon’schen Flexibilität” auf, um einen zunehmend gefährlichen Konflikt zu lösen. Doch wie ich in meinem demnächst erscheinenden Buch Accidental Conflict darlege, wird es weit mehr brauchen, um der Eskalation des chinesisch-amerikanischen Konflikts ein Ende zu setzen.
Globalisierung war immer ein griffiger Begriff auf der Suche nach einer Theorie. Ja, der Handel war der Klebstoff, der die Integration der Weltwirtschaft förderte. Aber es war kaum die steigende Flut, die wirklich alle Boote anhob. Angesichts des Klimawandels, der Pandemien und eines schockierenden neuen Krieges in Europa – ganz zu schweigen von der zunehmenden Ungleichheit und den damit verbundenen sozialen und politischen Spannungen – liegt die Verteidigung der Globalisierung in Trümmern. Und China hat vielleicht am meisten zu verlieren.
Stephen S. Roach, ehemaliger Vorsitzender von Morgan Stanley Asia, ist Fakultätsmitglied an der Yale University und Autor des in Kürze erscheinenden Buches “Accidental Conflict: America, China, and the Clash of False Narratives” (Yale University Press, November 2022). Übersetzung: Andreas Hubig.
Copyright: Project Syndicate, 2022.
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Guoying Zhu hat im vergangenen Monat den Posten der Key-Account-Managerin China bei mediCAD übernommen. Das Unternehmen aus Altdorf entwickelt Prozessoptimierungssoftware im Bereich orthopädischer Operationen. Zuvor verantwortete Zhu für den bayerischen Softwareentwickler anderthalb Jahre den Bereich Sales & Business Development China/Asean.
Honggang Du ist seit Juli Team Leader of Online Business bei Jungheinrich China in Shanghai. Der in Berlin ausgebildete Manager arbeitet seit vier Jahren in der Metropole für den chinesischen Zweig des Hamburger Intralogistik-Unternehmens, das sich auf Flurförderzeug-, Lager- und Materialflusstechnik spezialisiert hat.
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Es war einmal…Chinas Internet-User reagierten kreativ auf den Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi, indem sie ein altes Jahrbuch-Foto der US-Politikerin mit einem Militärfoto von Hu Xijin, dem ehemaligen Chefredakteur der Global Times, zusammenschnitten. Hu, der als Kettenhund der Staatsmedien berüchtigt war, hatte Ende Juli auf Twitter kommentiert, dass China das Recht habe Pelosis Flugzeug abzuschießen – sollte es in Taiwans Luftraum eintreten. Das fiktive Hochzeitsbild ging gleich in mehreren Versionen viral – mal vergilbt und in Sepiafarben, mal durch den Pastell-Weichzeichner gezogen, wie man es von alten Mao-Zedong-Fotografien kennt.
die dritthöchste Politikerin der USA ist mit ihrem Flugzeug in Taiwan gelandet. Wie erwartet reagierte China auf Nancy Pelosis Besuch, indem es sein Militär losschickte: Flugzeuge der chinesischen Luftwaffe haben die Mittellinie der Meerenge zwischen der Insel und dem Festland angekratzt. Zudem beginnen am Donnerstag Marinemanöver mit scharfer Munition im Meer rund um Taiwan. Eine Bewertung der chinesischen Reaktion finden Sie in unserer Analyse von Christiane Kühl. Pelosis Wagnis scheint sich kurzfristig ausgezahlt zu haben, weil eine Eskalation ausgeblieben ist. Dennoch werden die USA es ab jetzt schwerer haben im Umgang mit China.
Chinas allzu laute Propagandisten mussten aber zurückrudern. China habe weiterhin die stärkeren Karten auf der Hand und werde sie nun “eine nach der anderen ausspielen”, schrieb beispielsweise Hu Xijin, der stets lautstark tönende Ex-Chefredakteur der Global Times auf Twitter. Statt des von ihm am Montag angekündigten “großen Kriegs in der Taiwanstraße” findet nun also eher ein Kartenspiel statt. (Zum Thema Hu Xijin schauen Sie doch bitte auch in unser Dessert, wo er ungewohnt einträchtig neben Pelosi zu sehen ist.)
Die Beziehungen zwischen den USA und China werden ab jetzt jedoch erst einmal komplizierter. Xi Jinping kann die historische Visite nicht einfach übergehen. Die Gefahr eines Missverständnisses und einer unbeabsichtigten Eskalation sind zudem nicht gebannt, zumal beide Seiten Kriegsschiffe im gleichen Seegebiet zusammenziehen. Taiwan bleibt neben dem laufenden Krieg in der Ukraine sowie Nordkorea und ferner auch Iran einer der kritischsten Krisenherde.
Pelosis Besuch stärkt die symbolische Unterstützung für Taiwan, aber er kommt in einer gefährlichen Zeit. Einem Krieg steht die Welt bereits fassungslos gegenüber. Und China befindet sich an dem Punkt, an dem es darauf dringen könnte, seine eben erst zurückgewonnene technologisch-militärische Stärke in der Praxis zu zeigen. So lobenswert Pelosis Hartnäckigkeit ist: Sie hat an einem Status quo gewackelt, der jahrzehntelang einen heiklen Frieden gesichert hat.
Zugleich wirkte die Reaktion am Dienstagabend zunächst jedoch auch wie ein Spiel. Exakt in dem Moment, als Flugverfolgungs-Seiten die Landung Pelosis signalisierten, stellten die chinesische und die amerikanische Seite ihre PR-Texte online, mit denen sie ihre Positionen in markigen Worten vertraten. Es war fast beruhigend, darin die gleichen Phrasen zu finden wie üblich.
Sie hat es also tatsächlich getan: Trotz aller Warnungen und Krisen-Szenarien ist Nancy Pelosi am Dienstag nach Taiwan geflogen – und zwar unter den Augen aller Welt. Hunderttausende im Ausland und zeitweise gar 30 Millionen Menschen in China verfolgten auf Flight-Trackern im Netz die Boeing der US-Luftwaffe mit Pelosi an Bord von Kuala Lumpur bis zur Landung am späten Abend Ortszeit in Taiwan. Die Tracking-App Flight Radar brach unter der Last der Zugriffe gar vorübergehend zusammen.
Fast im Moment der Landung kam auch die chinesische Reaktion. Die Volksbefreiungsarmee schickte SU-35-Kampjets los, die an der Medianlinie zwischen Taiwan und dem chinesischen Festland entlangrasten. Es war eine der Reaktionen, die Experten vorab in Betracht gezogen hatten. Das chinesische Staatsfernsehen brachte zu dem Luftwaffeneinsatz nur eine dürre Meldung. Nach dem Säbelrasseln der vergangenen Tage (China.Table berichtete) wirkte das geradezu verhalten. Noch am Dienstagnachmittag hatte Außenamtssprecherin Hua Chunying mit “starken Gegenmaßnahmen” gedroht.
Schon vor Pelosis Anreise hatten zwei Manöver der Marine begonnen, die am Dienstagabend noch andauerten – allerdings weit weg von Taiwan in der Bohai-See sowie im Südchinesischen Meer. Auch meldete das Präsidialamt von Tsai Ing-wen, dass Hacker die Webseite der Präsidentin durch einen Ansturm an Anfragen vorübergehend lahmgelegt hatten.
Die Nachrichtenagentur Xinhua und die anderen Staatsmedien kündigten jedoch als weitere Reaktion zusätzliche Manöver der Marine an: “Die Volksbefreiungsarmee wird von Donnerstag bis Sonntag in sechs Regionen rund um die Insel Taiwan wichtige militärische Übungen und Trainingsaktivitäten durchführen, darunter auch Schießübungen.”
Auf der Karte ähneln die Sperrzonen in leicht beängstigender Weise der Einkreisung der Ukraine durch russische Einheiten und “Manöver” vor dem Einmarsch – die psychologische Wirkung ist da sicher beabsichtigt. Der entscheidende Punkt ist jedoch: Wenn die Manöver um Taiwan starten, ist Pelosi schon wieder weg.
Die bisherigen Reaktionen vom Heranpirschen chinesischer Kampfflugzeuge an die Medianlinie bis zur Ankündigung von Manövern waren weit vom Worst-Case-Szenario entfernt. China störte weder Pelosis Landeanflug, noch überflogen Jets der Volksbefreiungsarmee Taiwan selbst. Der große Knall ist ausgeblieben.
Und dann stieg Pelosi im Dunklen aus der Maschine, mit Maske und rosfarbenem Anzug, begleitet von einer kleinen Delegation. Auch für erste Fotos stoppte sie. Vielleicht sah sie auf dem Weg ins Hotel auch die Willkommensbotschaft am höchsten Gebäude Taiwans, dem Wolkenkratzer Taipeh 101: “Lang lebe die Freundschaft zwischen den USA und Taiwan” sowie auf Englisch die Worte “Danke” und “Sprecherin Pelosi”.
Binnen Minuten folgte Pelosis erster Tweet: “Der Besuch unserer Delegation in Taiwan unterstreicht das unerschütterliche Engagement der USA für die Unterstützung der lebendigen Demokratie in Taiwan.” Die Gespräche mit der taiwanischen Regierung “fördern unsere gemeinsamen Interessen, einschließlich der Förderung einer freien und offenen indo-pazifischen Region.”
Zeitgleich mit der Landung schaltete die US-Zeitung Washington Post einen Gastbeitrag Pelosis frei, in dem sie ihre Motive erklärt. Sie ordnet ihren Besuch in eine Kontinuität der US-Politik zur Unterstützung eines “demokratischen Taiwan” ein. Man teile die Werte “Selbstbestimmung, Freiheit, Menschenwürde und Menschenrechte”. Ihr Besuch stelle keinen Bruch mit der bestehenden Linien dar, sondern sei ihre logische Fortführung.
China griff genau die gegenteilige Interpretation auf: Der Besuch sei ein “gefährlicher Akt des Spiels mit dem Feuer” und verletzte das “Ein-China-Prinzip”, schrieb die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua in einem Kommentar, der auf den Seiten der Staatsmedien im Moment der Landung online ging. Auch das Büro für Taiwan-Angelegenheiten äußerte sich in scharfen Worten. Pelosi sende ein fatales Signal an die Kräfte der Unabhängigkeit Taiwans, das nur ins Unglück führen könne. Der Ton in Peking deutet auf tiefere und längerfristige Schäden des amerikanisch-chinesischen Verhältnisses hin. Peking vergisst nicht.
Auch wenn Pelosi sich vordergründig durchgesetzt hat: Sie hat mit dem Besuch bisher kein 1:0 für die USA geschossen. Der auch in Washington umstrittene Pelosi-Besuch hat das Verhältnis zwischen den Supermächten beschädigt. Wie sehr, wird sich erst zeigen. Pelosis Landung in Taiwan eröffne nun eine “Ära des hochintensiven Wettbewerbs zwischen China und den USA um Taiwan”, schrieb jedenfalls der twitterfreudige und als Scharfmacher bekannte Ex-Chefredakteur des Propagandablattes Global Times, Hu Xijin, der zuvor sogar einen Abschuss des Flugzeugs der Sprecherin ins Spiel gebracht hatte. “Taiwan liegt nahe am chinesischen Festland und Peking hat genügend Karten auf der Hand. Wir werden sie selbstbewusst eine nach der anderen ausspielen”, so Hu. Eine nach der anderen, das klingt zumindest nicht nach Invasion oder Frontalangriff auf US-Flugzeugträger in der Region.
Dazu passt, dass China am Dienstag wenig überraschend erneut Unterstützung aus Russland erhielt. “Alles an dieser Reise und dem möglichen Besuch in Taiwan ist eine reine Provokation”, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow gegenüber Reportern – als noch unkar war, ob Pelosi wirklich nach Taipeh fliegt.
Schon am Montag hatte sich Außenminister Sergej Lawrow demonstrativ hinter Pekings “Ein-China-Politik” gestellt. Beide bezeichneten Taiwan als Teil Chinas und die USA als Provokateur. Es ist ein Schulterschluss, doch es bleibt unklar, wie vergiftet dieser ist. Will Russland China zu einer noch eindeutigeren Unterstützung Moskaus im Ukraine-Krieg verlocken? Peking hat die Konflikte Ukraine und Taiwan stets sauber getrennt: Die Ukraine sei ein souveränes Land; Taiwan ein Teil Chinas.
Die neue deutsche Botschafterin Patricia Flor twitterte unterdessen nach ihrem ersten Besuch im Außenministerium ausgerechnet an diesem Tag von “offenen Diskussionen” mit Vizeminister Deng Li – und bekräftigte die Worte von Außenministerin Annalena Baerbock zum Taiwan-Konflikt vor den Vereinten Nationen Anfang der Woche: “Die Androhung von militärischer Gewalt ist unter keinen Umständen akzeptabel.”
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Chen Weihua, EU-Bürochef der Staatszeitung China Daily, schoss zurück: “Unter keinen Umständen? Wenn Taiwan sich auf eine Unabhängigkeit zubewegt, wird das einen Krieg auslösen. Ich dachte nur, Sie verstehen China besser als Ihre ignorante Außenministerin.” Diese Äußerung eines Medienvertreters in Staatsdiensten mag Vorzeichen für einen neuen Ton sein, noch schärfer als bisher, wo man dank der “Wolfskrieger” um Außenamtssprecher Zhao Lijian ja schon einiges gewohnt ist.
Fakt ist, dass auch Europa von den Spannungen nicht ausgenommen sein wird – denn auch die Europäer solidarisieren sich zunehmend mit Taiwan. Gerade erst war die Vizepräsidentin des EU-Parlaments Nicola Beer in Taiwan. Auch Parlamentarier aus Großbritannien planen offenbar einen Besuch. Im November oder Dezember wolle der Auswärtige Ausschuss des Parlaments die Inselrepublik besuchen, berichtete die Zeitung The Guardian am Montag unter Berufung auf nicht näher genannte Quellen. Weder von den Briten noch von Vertretern Taiwans waren zunächst Stellungnahmen zu erhalten. Aber auch Pelosi hatte ja bis zu ihrer Ankunft in Taipeh kein Wort über ihre Reise verloren.
Es sind wohlgemerkt Parlamentarier, keine Regierungsbeamten und keine hochrangigen Regierungsmitglieder, die Taiwan besuchen – da scheint man sich im Westen einig zu sein. Am Montag betonte US-Außenminister Antony Blinken, dass der Kongress über solche Dinge unabhängig entscheide.
Jake Sullivan, Sicherheitsberater der US-Regierung, sagte, Pelosi sei nicht die einzige Sprecherin des Hauses, die in Taiwan gewesen sei. Vor 25 Jahren war der damalige Sprecher Newt Gingrich in Taipeh. “Mitglieder des Kongresses reisen ständig dorthin, darunter mehrere in diesem Jahr”, so Sullivan am Dienstag. “Wenn China also versucht, das, was in der historischen Norm liegt, in eine Krise zu verwandeln oder als Vorwand für ein aggressives Vorgehen in der Umgebung von Taiwan zu benutzen – dann ist das ihre Sache, und sie wären diejenigen, die eine Eskalation herbeiführen würden.”
Als Pelosi in Taipeh schon im Hotel schlief, bemühten sich ihre Kollegen in Washington dann, die Wogen wieder etwas zu glätten. Die Ein-China-Politik der USA stehe nicht infrage, sagte Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby. Es sei das Recht der Präsidentin des Repräsentantenhauses, die Insel zu besuchen. Aber: “Wir wollen nicht, dass sich dies zu einer Krise oder einem Konflikt ausweitet.” Die Vereinigten Staaten haben kein Interesse an einer Eskalation, sagte auch Sullivan.
China reagierte nicht nur militärisch; sondern griff auch in die Werkzeugkiste für ökonomische Zwangsmaßnahmen. Wie am Dienstag bekannt wurde, stoppte der Zoll bereits Montag die Lieferungen von mehr als 100 taiwanesischen Lebensmittelexporteuren. Zu den betroffenen Waren gehörten Meeresfrüchte, Tee, Kekse, Backwaren, Brot und Honig, berichteten Bloomberg und die South China Morning Post jeweils unter Berufung auf chinesische Zollbehörden.
Nach Berichten der in Taipeh ansässigen Zeitung “Apple Daily” habe die chinesische Seite als Grund veraltete Informationen auf den Einfuhrdokumenten angegeben. Auch im Streit mit Litauen um die Eröffnung eines Taiwan-Büros in Vilnius hat Chinas Zoll seit 2021 immer wieder Waren des EU-Landes mit fadenscheinigen Begründungen gestoppt, darunter Rindfleisch, Milchprodukte oder Alkohol.
Gegenüber Taiwan ist eine solche Politik des wirtschaftlichen Drucks ebenfalls nicht neu. So blockiert Peking seit einiger Zeit den Import mancher Früchte, wie etwa Ananas. Diese werden meist im Süden Taiwans angebaut, wo die Unterstützung für Präsidentin Tsai Ing-wen besonders groß ist. Tsai und ihre Demokratische Fortschrittspartei gelten in Peking als Verfechterin der Unabhängigkeit.
Pelosi hat mit ihrem Abstecher nach Taiwan auf jeden Fall die US-Verpflichtung unterstrichen, Taiwan zu schützen. “Amerikas Solidarität mit den 23 Millionen Menschen in Taiwan ist heute, da die Welt vor der Wahl zwischen Autokratie und Demokratie steht, wichtiger denn je”, teilte Pelosis Büro nach ihrer Landung noch mit. Es bleibt zu hoffen, dass sie den Taiwanern mit ihrer Reise auch wirklich nützt. Es könnte auch sein, dass sie die Lage auf absehbare Zeit komplizierter gemacht hat.
Taiwans Militär war seit Tagen in Alarmbereitschaft. Das Verteidigungsministerium betonte noch am Dienstagmorgen, man sei bereit, die Streitkräfte zu entsenden, sollte sich China nach Pelosis Landung für eine militärische Intervention entscheiden. In China verfolgten hunderttausende Internet-User den Landeanflug der US-Politikerin mit einer explosiven Mischung aus Patriotismus und Sensationslust – während hochrangige chinesische Staatsbeamte auf Twitter Videos posteten, die dem Westen noch einmal die Schlagkraft der Volksbefreiungsarmee beweisen sollten. Andere Videos zeigten anrollende Panzerdivisionen in Xiamen, auf der chinesischen Seite der Taiwan-Straße.
Die Bürger Taiwans, dem vermeintlichen Brandherd, gaben sich dagegen auch nach der Landung eher cool, wie schon während der gesamten Pelosi-Saga. “Ehrlich gesagt habe ich dem Ganzen gar keine Aufmerksamkeit geschenkt und erst gestern von ihrem Besuch erfahren”, sagt etwa die 40-jährige Film-Produzentin Lin Yu-ting.
Lin ist alt genug, um sich noch an die vorige “Krise in der Taiwanstraße” des Jahres 1996 zu erinnern. Damals hielt China eine Serie von Raketentests ab – als Protest gegen die erste direkte demokratische Präsidentenwahl in Taiwan und die Politik des Amtsinhabers Lee Teng-hui, dem man eine Abkehr von der Ein-China-Politik vorwarf. Vor einer Eskalation hat Lin auch deshalb jetzt keine Angst. “China schimpft ja schon seit Jahrzehnten. Manchmal schimpfen sie lauter und manchmal leiser, mehr ist das doch nicht.”
Auch der 29-jährige Yu Cheng-wei hält den Besuch der US-Politikerin für keine brandgefährliche Zäsur in der Taiwan-Frage. “Persönlich begrüße ich Pelosis Taiwanreise“, sagt der junge Mann, der sich gerade auf eine Beamtenlaufbahn vorbereitet. “In anderen Ländern ist es auch ganz normal, wenn politische Führungspersönlichkeiten zu Besuch kommen. Im Falle Taiwans sollte das nicht anders sein.”
Dass nun ein offener militärischer Konflikt mit China entbrennen wird, hält Yu für höchst unwahrscheinlich. “Das wäre dann ja ein direkter Konflikt mit den USA. Dazu ist China militärisch noch nicht in der Lage.” Mit Blick auf den kommenden 20. Parteitag der KP Chinas wäre das auch innenpolitisch für China nicht von Vorteil. Dennoch sei nach wie vor Vorsicht geboten, sagt Yu: “Aus taiwanischer Sicht betrachtet können wir es uns nicht leisten, als erste das Feuer zu eröffnen.”
Die Taiwaner sind sich der Gefahr einer Invasion durchaus bewusst. Gleichzeitig aber haben sie sich längst an das Säbelrasseln aus Peking gewöhnt. “Angst bringt ja auch nichts. Es kommt wie es kommt”, sagt Hsu En-en. Die 29-jährige lebt in Kaohsiung, einer Hafenstadt direkt am Südchinesischen Meer, wo sie Podcasts über Filme und Literatur aufnimmt. Die Ankündigung der Manöver für diese Woche, bei denen Chinas Militär Taiwan geradezu einkesseln will, könnte aber tatsächlich noch einmal eine neue Eskalationsstufe sein.
“Ich habe also schon ein gewisses Grundbewusstsein für die Gefahr eines militärischen Konflikts”, sagt Hsu. Sie habe wegen des Ukraine-Krieges und der häufigen Naturkatastrophen in Taiwan bereits Vorräte für den Ernstfall angelegt. “Die Gefahr geht eindeutig von China aus. Schon im Voraus hatten sie uns immer wieder gedroht. Das ist doch die Ursache dafür, dass dieser Besuch plötzlich so gefährlich erscheint.” Verrückt machen wolle sie sich trotz allem nicht. “Wir gehen unbefangen an das heran, was kommt. Wir leben einfach weiter unser Leben, essen Ramen und trinken Bubble Tea.”
Sinolytics ist ein europäisches Beratungs- und Analyseunternehmen, das sich auf China spezialisiert hat. Es berät europäische Unternehmen bei der strategischen Ausrichtung und den konkreten Geschäftsaktivitäten in der Volksrepublik.
China hat offenbar seine Atomtest-Anlagen in der autonomen Region Xinjiang erweitert. Darauf deuten Satellitenaufnahmen hin, die Anfang der Woche von der japanischen Zeitung Nikkei Asia veröffentlicht und zusammen mit Nuklearexperten ausgewertet wurden.
Demnach sollen auf dem chinesischen Kernwaffentestgelände Lop Nur im Südosten Xinjiangs an einem Berghang umfangreiche Abdeckungen errichtet worden sein. In der Nähe aufgetürmte Felsbrocken sollen auf einen neuen, sechsten Tunnel hindeuten, in dem unterirdische Atomtests “jederzeit wiederaufgenommen werden können”, wie ein Experte von “All-Source Analysis”, einem privaten US-amerikanischen Geodatenunternehmen, gegenüber Nikkei erklärte.
Seit zwei Jahren schon werden in dem Gebiet verstärkt Bauarbeiten beobachtet. Zu den jüngsten Maßnahmen gehören Stromübertragungskabel und eine Anlage, die zur Lagerung von Sprengstoff genutzt werden könnte. Auf einer offiziellen chinesischen Beschaffungswebsite wurde im April zudem eine Ausschreibung für “10 Strahlungsalarme” oder “12 Schutzanzüge” veröffentlicht, so die Zeitung.
Der fünfte und bislang letzte unterirdische Atomtest wurde in Lop Nur im Jahr 1996 durchgeführt. Damals hatte China erklärt, seine Nukleartests infolge des Kernwaffenteststopp-Vertrags einzustellen. Laut einem im Juni veröffentlichten Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri zufolge besitzen Russland und die USA mit 5.977 beziehungsweise 5.428 atomaren Sprengköpfen das weltweit größte Arsenal. An dritter Stelle folgt China mit 350 nuklearen Sprengköpfen. Laut Sipiri sei die Volksrepublik jedoch dabei, ihr Atomwaffenarsenal beträchtlich zu erweitern. Satellitenbilder deuten etwa auf den Bau von über 300 neuen Raketensilos hin. fpe
Der Staatsrat, also die chinesische Regierung, hat wie erwartet das Ende der Kaufförderung für Autos mit umweltfreundlichen Antriebsformen hinausgeschoben. Die Subventionen sollten eigentlich Ende 2022 auslaufen. Jetzt gelten sie vorerst weiter, wie aus Berichten des Staatssenders CCTV über die Staatsratssitzung vom Freitag hervorgeht. Zuerst hatte das Nachrichtenportal Caixin über die Verlängerung berichtet.
Grund für die Fortsetzung der Förderung ist unter anderem die schleppende Konjunktur. China hatte ursprünglich vor, künftig marktgerechte Preise für Elektroautos zuzulassen. Stattdessen wurden die Hersteller über Regulierungen dazu gezwungen, die Wende zur Elektromobilität voranzutreiben. Nach den Covid-Lockdowns will Premier Li Keqiang jedoch mit verschiedenen Mitteln den Konsum anregen. fin
China will den Höchststand der CO2-Emissionen im Industriesektor zwischen 2026 und 2029 erreichen. Das zeigt ein gerade veröffentlichter Plan von Industrie– und Umweltministerium sowie zentralen Planungsbehörden, schreibt der China-Experte Lauri Myllyvirta vom Centre for Research on Energy and Clean Air am Dienstag auf Twitter. Konkrete messbare Ziele enthalte der Plan aber nicht. Die neuen Pläne bleiben demnach aber hinter früheren Entwürfen zurück, die zum Beispiel für den Stahl- und Zementsektor den Emissions-Höhepunkt schon für 2025 angepeilt hatten. Immerhin bestätige das neue Dokument, dass es spezifische Pläne für Spitzenwerte in den vier großen energieintensiven Branchen Stahl, Baumaterialien, Chemikalien und Nichteisenmetalle geben wird: “Diese könnten noch konkretere Ziele vorgeben.”
Chinas Emissionen – einschließlich der Industrieemissionen – gehen laut Myllyvirta seit rund einem Jahr aufgrund einer Kombination aus wirtschaftlicher Verlangsamung, finanzieller Notlage und einem Wachstum der Erneuerbaren Energien zurück. Im gesamten Kalenderjahr 2021 waren sie nach Angaben des Statistikamtes noch um rund vier Prozent gestiegen (China.Table berichtete). Chinas 30/60-Klimaziele sehen einen allgemeinen Emissionsgipfel bis 2030 und Klimaneutralität ab 2060 vor.
Doch gerade energieintensive Sektoren sollen nach dem Willen Pekings vorangehen. “Die Schwerindustrie profitiert von der Elektrifizierung, durch die ein Teil ihrer Emissionen in den Stromsektor verlagert wird”, schreibt Myllyvirta. “Daher müssen sie in der Lage sein, ihren Spitzenwert frühzeitig zu erreichen.” Das gilt vor allem, wenn der Anteil der Erneuerbaren an der Stromversorgung weiter schnell steigt.
Der Experte geht davon aus, dass der Zementsektor seinen Emissionsgipfel bereits hinter sich hat und auch Stahl bis 2030 bereits sinkende Werte verzeichnet, unter anderem durch den stärkeren Einsatz von Altmetall. Er hält es daher durchaus für möglich, dass reale Einsparungen schneller vorankommen, als die konservativen Pläne es vorsehen. ck
Der Elektroautobauer Nio will im September sein erstes Werk in der EU eröffnen. Das berichtet das Finanzmagazin Caixin unter Berufung auf eine Mitteilung des Unternehmens. Das Werk in der Stadt Pest in Ungarn werde 10.000 Quadratmeter groß sein und Ladestationen und Batteriewechselstationen für europäische Kunden produzieren, so Caixin. Auch werde Nio dort Kundendienstleistungen anbieten.
Der Einstieg in den europäischen Markt hat große Bedeutung für Nio. Nio ist bereits in Norwegen aktiv, das mit seiner NEV-freundlichen Politik für mehrere chinesische E-Auto-Firmen das Eingangstor nach Europa ist. Das Unternehmen habe in Norwegen eine Ladestation und eine Batteriewechselstation errichtet und bislang 750 Autos verkauft, schreibt Caixin unter Berufung auf Branchendaten. Nio will seine Autos zudem in Ländern wie Frankreich, Deutschland und den Niederlanden verkaufen. ck
Die weithin gelobte Globalisierung der Zeit nach dem Kalten Krieg läuft jetzt rückwärts. Die anhaltende Verlangsamung des Welthandels wurde durch pandemiebedingte Unterbrechungen der Versorgungsketten, den anhaltenden Druck durch den Handelskrieg zwischen den USA und China sowie den Bemühungen, grenzüberschreitende Wirtschaftsbeziehungen mit geostrategischen Allianzen (“Friendshoring“) in Einklang zu bringen, noch verstärkt. Diese Entwicklungen ziehen die Schlinge um China enger – das Land, das wohl am meisten von der modernen Globalisierung profitiert hat.
Von den vielen Messgrößen der Globalisierung – einschließlich der Finanz-, Informations- und Arbeitsströme – ist der grenzüberschreitende Austausch von Waren und Dienstleistungen am engsten mit dem Wirtschaftswachstum verbunden. Vor allem aus diesem Grund deutet die Verlangsamung des Welthandels, die nach der globalen Finanzkrise 2008/09 einsetzte und sich in der Covid-19-Ära noch verstärkte, auf einen grundlegenden Wandel der Globalisierung hin. Während die weltweiten Exporte von 19 Prozent des weltweiten BIP im Jahr 1990 auf einen Spitzenwert von 31 Prozent im Jahr 2008 anstiegen, betrugen die weltweiten Exporte in den dreizehn Jahren danach (2009-21) durchschnittlich nur noch 28,7 Prozent des weltweiten BIP. Wären die weltweiten Exporte um 6,4 Prozent gewachsen – auf halbem Weg zwischen dem rasanten Tempo von 9,4 Prozent im Zeitraum von 1990 bis 2008 und der gedämpften Rate von 3,3 Prozent nach 2008 -, wäre der Exportanteil am globalen BIP bis 2021 auf 46 Prozent gestiegen, weit über den aktuellen Anteil von 29 Prozent.
Die Vorteile, die China aus der Globalisierung des Handels gezogen hat, sind außergewöhnlich. In den zehn Jahren vor Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation im Jahr 2001 machten die chinesischen Exporte im Durchschnitt nur zwei Prozent der gesamten weltweiten Ausfuhren aus. Bis 2008 hatte sich dieser Anteil fast vervierfacht und betrug 7,5 Prozent. China hatte sein Beitrittsgesuch zur WTO genau zum richtigen Zeitpunkt eingereicht – nämlich genau dann, als sich der Welthandel in einem starken Aufschwung befand. Zwar forderte die Finanzkrise einen kurzen Tribut von der chinesischen Exportdynamik, doch war diese Unterbrechung nur von kurzer Dauer. Bis 2021 stiegen die chinesischen Exporte auf 12,7 Prozent der weltweiten Ausfuhren und lagen damit deutlich über dem Höchststand von vor 2008.
Es ist unwahrscheinlich, dass China diese Leistung beibehalten kann. Das Gesamtwachstum des Welthandels verlangsamt sich, und Chinas Anteil am Handelskuchen gerät zunehmend unter Druck.
Besonders problematisch ist der anhaltende Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten. Während der ersten Phase von Chinas exportorientiertem Wachstumsschub nach dem WTO-Beitritt waren die USA durchweg Chinas größte Quelle der Auslandsnachfrage. Vor allem wegen der vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump verhängten Zölle ist dies nun nicht mehr der Fall. Bis 2020 sind die US-Importe chinesischer Waren und Dienstleistungen um 19 Prozent unter den Höchststand von 2018 gefallen. Trotz der deutlichen Erholung der US-Wirtschaft nach der Pandemie blieben die US-Einfuhren aus China 2021 um 5 Prozent unter dem Höchststand von 2018. Eine teilweise Senkung der Zölle auf ausgewählte Konsumgüter – die die Regierung von Präsident Joe Biden offenbar als Mittel zur Inflationsbekämpfung in Erwägung zieht – wird den bilateralen Handel kaum ankurbeln.
Gleichzeitig werden anhaltende pandemiebedingte Unterbrechungen der Versorgungskette wahrscheinlich einen hohen Tribut in China und dem Rest der Welt fordern. In den sechs Monaten bis April lag der von Forschern der Federal Reserve Bank of New York erstellte “Global Supply Chain Pressures Index” bei durchschnittlich 3,6 und damit deutlich über dem Wert von 2,3 in den ersten 21 Monaten nach Beginn der pandemiebedingten Lieferstopps im Februar 2020 und deutlich über dem Wert von “Null”, der das Ausbleiben von Lieferkettenunterbrechungen markiert.
Für eine Welt, die durch Lieferketten verbunden ist, ist dies von großer Bedeutung. Globale Wertschöpfungsketten waren für mehr als 70 Prozent des kumulativen Wachstums des gesamten Welthandels von 1993 bis 2013 verantwortlich – und China hat einen übergroßen Anteil an dieser durch globale Wertschöpfungsketten ermöglichten Expansion gehabt. Da es weiterhin zu Unterbrechungen der Lieferketten kommt, die durch Chinas Null-Covid-Politik noch verschärft werden, wird der Druck auf die chinesische und globale Wirtschaftstätigkeit wahrscheinlich hoch bleiben.
Die zunehmenden geostrategischen Spannungen sind der Joker in der Deglobalisierung, insbesondere ihre Auswirkungen auf China. “Friendshoring” verwandelt das Ricardo’sche Effizienzkalkül des grenzüberschreitenden Handels faktisch in eine Bewertung von Sicherheitsvorteilen, die sich aus strategischen Allianzen mit gleichgesinnten Ländern ergeben. Chinas neue unbegrenzte Partnerschaft mit Russland ist in dieser Hinsicht von besonderer Bedeutung. Da China sich dem Schritt annähert, die russische Militäraktionen in der Ukraine zu unterstützen, haben die USA vor kurzem über ihre so genannte Entity List Sanktionen gegen fünf weitere chinesische Unternehmen verhängt.
Darüber hinaus sind die chinesischen Käufe russischer Energieerzeugnisse eine wichtige Stütze für die russische Wirtschaft und wirken so den Auswirkungen der beispiellosen westlichen Sanktionen entgegen. Das erhöht das Risiko, dass sich China durch Assoziation mitschuldig macht. Unterdessen sind auch Anzeichen für eine Deglobalisierung der Finanzmärkte erkennbar, da China seine Bestände an US-Staatsanleihen kontinuierlich auf ein Niveau reduziert, das es seit 2010 nicht mehr gegeben hat – eine wenig beruhigende Entwicklung für die sparschwache, defizitäre US-Wirtschaft.
Die USA sind bei diesem Ausbruch geostrategischer Spannungen kaum nur unschuldiger Zuschauer. Die immer wieder auftauchenden Gerüchte über eine bevorstehende Taiwan-Reise der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, spielen eindeutig mit Chinas Stolperdrähten in Bezug auf ein Land, das es als eines seiner Kerninteressen definiert hat. Das Gleiche gilt für die parteiübergreifende Unterstützung der Anti-China-Gesetze, die sich langsam ihren Weg durch den US-Kongress bahnen.
So wie der russische Präsident Wladimir Putin versucht hat, seine skrupellose Aggression in der Ukraine als Verteidigung gegen die NATO-Erweiterung zu rechtfertigen, spielen Chinas langjährige Ängste vor einer amerikanischen Eindämmung auf ähnliche Befürchtungen in chinesischen Führungskreisen an. Henry Kissinger, der Architekt der modernen US-China-Politik, warnte vor kurzem vor Amerikas Neigung zu einer “endlosen Konfrontation” mit China und rief zu einer “Nixon’schen Flexibilität” auf, um einen zunehmend gefährlichen Konflikt zu lösen. Doch wie ich in meinem demnächst erscheinenden Buch Accidental Conflict darlege, wird es weit mehr brauchen, um der Eskalation des chinesisch-amerikanischen Konflikts ein Ende zu setzen.
Globalisierung war immer ein griffiger Begriff auf der Suche nach einer Theorie. Ja, der Handel war der Klebstoff, der die Integration der Weltwirtschaft förderte. Aber es war kaum die steigende Flut, die wirklich alle Boote anhob. Angesichts des Klimawandels, der Pandemien und eines schockierenden neuen Krieges in Europa – ganz zu schweigen von der zunehmenden Ungleichheit und den damit verbundenen sozialen und politischen Spannungen – liegt die Verteidigung der Globalisierung in Trümmern. Und China hat vielleicht am meisten zu verlieren.
Stephen S. Roach, ehemaliger Vorsitzender von Morgan Stanley Asia, ist Fakultätsmitglied an der Yale University und Autor des in Kürze erscheinenden Buches “Accidental Conflict: America, China, and the Clash of False Narratives” (Yale University Press, November 2022). Übersetzung: Andreas Hubig.
Copyright: Project Syndicate, 2022.
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Guoying Zhu hat im vergangenen Monat den Posten der Key-Account-Managerin China bei mediCAD übernommen. Das Unternehmen aus Altdorf entwickelt Prozessoptimierungssoftware im Bereich orthopädischer Operationen. Zuvor verantwortete Zhu für den bayerischen Softwareentwickler anderthalb Jahre den Bereich Sales & Business Development China/Asean.
Honggang Du ist seit Juli Team Leader of Online Business bei Jungheinrich China in Shanghai. Der in Berlin ausgebildete Manager arbeitet seit vier Jahren in der Metropole für den chinesischen Zweig des Hamburger Intralogistik-Unternehmens, das sich auf Flurförderzeug-, Lager- und Materialflusstechnik spezialisiert hat.
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Es war einmal…Chinas Internet-User reagierten kreativ auf den Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi, indem sie ein altes Jahrbuch-Foto der US-Politikerin mit einem Militärfoto von Hu Xijin, dem ehemaligen Chefredakteur der Global Times, zusammenschnitten. Hu, der als Kettenhund der Staatsmedien berüchtigt war, hatte Ende Juli auf Twitter kommentiert, dass China das Recht habe Pelosis Flugzeug abzuschießen – sollte es in Taiwans Luftraum eintreten. Das fiktive Hochzeitsbild ging gleich in mehreren Versionen viral – mal vergilbt und in Sepiafarben, mal durch den Pastell-Weichzeichner gezogen, wie man es von alten Mao-Zedong-Fotografien kennt.