am Montag meldeten die traditionsreichen MV Werften Insolvenz an. Auf der Suche nach den Gründen führt der Weg rund 8800 Kilometer weit nach Osten – zur Genting Hong Kong Ltd. Sie ist der Eigentümer der Werften in Stralsund, Rostock und Wismar. Diese sollten zu den modernsten und erfolgreichsten Werften der Welt ausgebaut werden. Doch es kam anders. Nun stehen 1900 Arbeitsplätze vor dem Aus.
China wird gerne als der einer der größten Klimasünder kritisiert. Zu Recht. Und doch ist das nur eine Seite der Medaille. Nico Beckert hat sich die dunkle andere Seite angeschaut und zeigt, mit welch dramatischen Folgen sich die Volksrepublik angesichts des Klimawandels konfrontiert sieht: China droht langfristig, 20 Prozent seiner Ernten zu verlieren; und es wird zu drastischen Arbeitsausfällen kommen, die gewaltige finanzielle Einbußen nach sich ziehen werden. China und den großen Co2-Emittenten des politischen Westens muss endlich klar werden: Um die schlimmsten Folgen der Klimakrise abzuwenden, ist die Volksrepublik genauso auf den Klimaschutz durch andere Staaten angewiesen wie westliche Staaten auf China.
Doch noch herrscht in den Beziehungen vor allem Konkurrenz: So will Europa mit seiner Infrastruktur-Initiative Global Gateway das chinesische Prestigeprojekt Belt and Road ausstechen. Amelie Richter hat die EU-Pläne analysiert und kommt zu dem Schluss: Die Rhetorik ist durchaus vielversprechend. Doch vollmundige Ankündigungen allein werden nicht ausreichen. Die EU muss noch etliche wegweisende Entscheidungen treffen, um in den Schwellenländern tatsächlich mit Pekings Ambitionen konkurrieren zu können.
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Am Montagmittag platzt die Bombe: Die MV Werften in Mecklenburg-Vorpommern müssen Insolvenz anmelden. Seit Tagen hatten die Bundesregierung und die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern mit dem Eigentümer der MV Werften einen Ausweg aus der verfahrenen Situation gesucht. Doch mit der Genting Hong Kong Ltd. konnte keine Lösung gefunden werden.
Vordergründig sorgte ausgerechnet die “Global Dream” für das Aus der Werften. Es sollte eines der größten je gebauten Kreuzfahrtschiffe der Welt werden und war ausschließlich für den asiatischen Markt gedacht. Satte 1,5 Milliarden Euro sollte der Bau des 342 Meter langen Traumschiffs kosten und bis zu 9.500 Passagieren Platz bieten. Doch obwohl schon 75 Prozent des Schiffs fertiggestellt sind, konnte die restliche Finanzierung nicht gesichert werden. Die Bundesregierung war offenbar zu weiteren Hilfen bereit. Sie forderte dafür allerdings einen Eigenbeitrag von Genting. Und dieser kam offenbar nicht. Aus Berlin hieß es denn auch zuletzt, es fehle ein klares Bekenntnis der Eigentümer zu ihrer Werft.
Dabei begann der Einstieg der Hongkonger bei den deutschen Werften überaus verheißungsvoll. Das asiatische Tourismusunternehmen war bis dato vor allem durch seine Kreuzfahrtmarken Star Cruises, Crystal Cruises sowie Dream Cruises bekannt. Das Geschäft boomte, immer mehr Menschen wollten ihren Urlaub auf hoher See verbringen. Also brauchte die Genting HK dringend mehr Schiffe. Doch aufgrund der steigenden Nachfrage wurden die Lieferzeiten für Kreuzfahrschiffe immer länger. Genting suchte nach einem Ausweg: nach Neubauwerften für große Kreuzfahrtschiffe, die vor allem auf dem asiatischen Markt zum Einsatz kommen sollten. So wolle man für das schnelle Wachstum am Kreuzfahrtmarkt in China gerüstet sein, sagte Genting-Chef Lim Kok Thay damals. Fündig wurde Genting in Deutschland.
Für 230 Millionen Euro kaufte man die Werften in Bremerhaven, Wismar, Warnemünde und Stralsund. Anfang Juli 2016 verkündete Thay, man werde die drei traditionsreichen Werften in Wismar, Rostock und Stralsund unter dem Namen MV Werften (MV für Mecklenburg-Vorpommern) zusammenfassen und 100 Millionen Euro investieren, um sie zu den modernsten und effizientesten Werften der Kreuzschifffahrt zu machen. Mehr als 3.000 Beschäftige sollten dieses ambitionierte Ziel ermöglich.
Doch dann brach die Corona-Pandemie aus. Vor allem in China ergriff die Führung strikte Maßnahmen: Die Landesgrenzen wurden dichtgemacht, Städte mit mehreren Millionen Einwohner wurden in Lockdown geschickt. Entsprechend kam auch das Geschäft in der Kreuzfahrtbranche völlig zum Erliegen – und Genting in der Folge in massive Zahlungsschwierigkeiten. Schon im Sommer 2020 kündigte der Mutterkonzern der MV Werften an, Zahlungen an Banken und Gläubiger einzustellen. Im Gesamtjahr 2020 musste Genting einen Verlust von 1,7 Milliarden US-Dollar hinnehmen, die Schulden des Konzerns stiegen auf satte 3,4 Milliarden US-Dollar an. Es sei völlig unsicher, ob der Konzern unter diesem Umständen weiterbestehen könne, hieß es in einer unternehmenseigenen Mitteilung an die Hongkonger Börse Ende März 2021.
Besserung ist für die Kreuzfahrtbranche nicht in Sicht. Auf den wenigen Schiffen, die derzeit auf den Meeren unterwegs sind, steigt die Zahl der Neuinfektionen rapide an. Grund ist die Ausbreitung der hochansteckenden Omikron-Variante. Und damit häufen sich wiederum Coronavirus-bedingte Planänderungen und Reiseabbrüche. Das Auswärtige Amt in Berlin rät jedenfalls von Schiffsreisen ab. Es bestehe das Risiko, dass Reisende auf dem Schiff unter Quarantäne gestellt werden, zudem sei ein Rücktransport nach Deutschland schwierig zu organisieren. Derweil rät die US-Gesundheitsbehörde “Centers for Disease Control and Prevention” (CDC) schon seit Dezember ihren Bürgern dringend davon ab, eine Kreuzfahrt anzutreten. Der Impfstatus spielt dabei keine Rolle, hieß es in der Mitteilung. Und Brasilien hat den Kreuzfahrtbetrieb wegen Hunderter Infektionen bis zum 21. Januar komplett eingestellt.
Angesichts des Drucks auf die gesamte Branche verwundert es nicht, dass auch die weitreichenden Pläne für Wismar, Rostock und Stralsund plötzlich nur noch reine Makulatur waren. Die Fertigung der laufenden Schiffbauprojekte wurde ausgesetzt, die Werften vorübergehend sogar ganz geschlossen.
Die MV Werften suchten ihre Rettung unter dem Corona-Rettungsschirm des Bundes – und Berlin zeigte sich gewillt zu helfen. Mitte Mai versprach der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier, den deutschen Schiffbau gegen die Konkurrenz aus dem Ausland stärken zu wollen (China.Table berichtete).
Doch die Verhandlungen zwischen dem Bund, der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern sowie MV Werften und der Genting Hongkong über ein Rettungspaket führten zu keiner Lösung. Die Positionen waren unvereinbar: Der Bund versicherte bis zuletzt, rund 600 Millionen Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) zur Verfügung stellen zu wollen. Als Sicherheit könnte der neue Hoffnungsträger “Global Dreams” verwendet werden. Allerdings solle auch der Eigentümer einen Beitrag zur Rettung der Werften leisten: knapp 60 Millionen Euro plus Garantien für die in Rede stehenden Bundesmittel.
Dem Präsidenten von Genting Hongkong zufolge habe man seinerseits dem Bund vier Angebote zur weiteren Finanzierung vorgelegt. Diese seien allerdings allesamt abgelehnt worden, sagte Colin Au. Auch sei im vergangenen Dezember die Auszahlung des fälligen Betrags beim Erreichen eines Bau-Zwischenstands – dem sogenannten Meilenstein F – blockiert worden. Genting habe nun schlicht keine weiteren Zugeständnisse mehr machen können. Colin Au verwies nochmals darauf, dass Genting seit der Übernahme mehr als zwei Milliarden Euro in die MV-Standorte aus eigener Tasche investiert habe, die Zahl der Mitarbeiter sei verdoppelt worden. “Die Werften jetzt fallen zu lassen, wäre der größte ökonomische Fehler, den die Bundesregierung machen könnte”, sagte Au und appellierte an Bund und Land, ihre Haltung doch nochmals zu überdenken. Neben den Arbeitsplätzen im Nordosten sei zusätzlich eine ganze Branche mitsamt Zulieferern im In- und Ausland bedroht.
Der Geschäftsführer der MV Werften Carsten Haake geht davon aus, dass sich die Bundesregierung aktuell nicht bewegen wolle – und dass sich Genting nicht bewegen könne. “Wir haben uns abgearbeitet an den Auflagen des Bundes”, sagte Haake. Einige Medien berichten hingegen, Genting-Chef Thay habe offenbar auf noch mehr Steuer-Millionen aus Deutschland spekuliert.
Zuletzt hatte der Mutterkonzern die Dezembergehälter an die Mitarbeiter in den Werften nicht mehr ausgezahlt. Entsprechend angespannt war die Stimmung auf der Betriebsversammlung am vergangenen Freitag in Wismar.
Rund 8.800 Kilometer entfernt nahm unterdessen das Drama seinen Lauf. Dort ging an der Börse in Hongkong folgendes Schreiben ein: “Auf Antrag der Genting Hong Kong Ltd. wird der Handel der Unternehmensaktien an der Börse in Hongkong ab Freitag, 7. Januar 2022, von 9.00 Uhr morgens an ausgesetzt.” Als Grund für den Stopp wurde auf eine bevorstehende Mitteilung des Konzerns verwiesen.
Jene Meldung kam dann am gestrigen Montag – und hatte es in sich: Die MV Werften in Mecklenburg-Vorpommern müssen Insolvenz anmelden. Damit ist klar: Die Finanzschwierigkeiten des Mutterkonzerns Genting Hongkong sorgen in Deutschland für eine große Firmenpleite. Wie es mit den zuletzt rund 1.900 Mitarbeitern weitergeht, ist völlig offen.
Sie standen bis zum Hals im Wasser. Nicht wissend, ob Rettung naht oder der Tod durch Ertrinken. Die Videos aus überschwemmten U-Bahnen in Zhengzhou vom Sommer 2021 gehören zu den schockierendsten Bildern des vergangenen Jahres. Auslöser der Überschwemmungen waren sintflutartige Regenfälle (China.Table berichtete). An nur drei Tagen fiel in der Provinz Henan so viel Regen wie sonst im Jahresdurchschnitt. Mehr als 300 Menschen kamen ums Leben.
China ist schon heute stärker vom Klimawandel betroffen als andere Weltregionen. In den vergangenen Jahren nahmen extreme Wetterereignisse wie starker Niederschlag, Hitzewellen und Dürren zu. Katastrophen wie die in Henan drohen, in Zukunft regelmäßig aufzutreten. Je stärker sich die Atmosphäre aufheizt, desto häufiger und desto heftiger werden die Extremwetter-Ereignisse.
Neben dem menschlichen Leid sieht sich China mit hohen wirtschaftlichen Kosten konfrontiert. Allein die Flutkatastrophe im Sommer hat Schäden in Höhe von mehr als 17 Milliarden US-Dollar verursacht. Im vergangenen Jahrzehnt lagen die direkten wirtschaftlichen Kosten von Unwetterkatastrophen jährlich bei über 50 Milliarden US-Dollar.
Wenn die Staaten den Klimawandel nicht wirkungsvoller bekämpfen, drohen ihnen massive Kosten. Die Volksrepublik sieht sich in den nächsten 80 Jahren mit Schäden in Höhe von fast 190 Billionen US-Dollar konfrontiert. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie der Tsinghua-Universität in Peking und des Think-Tanks Chatham House aus London.
Die Wissenschaftler haben vier Bereiche untersucht, in denen durch den Klimawandel wirtschaftliche Schäden entstehen:
Am gravierendsten sind die Schäden durch Ernteausfälle. China droht 20 Prozent seiner Ernten zu verlieren, wenn es den Staaten weltweit nicht gelingt, die CO2-Emissionen zu senken. Die Forscher schreiben von einer “erheblichen Bedrohung für wichtige Getreideanbaugebiete“, sollten die Temperaturen in den nächsten 80 Jahren um 3,5 Grad ansteigen. Prognosen anderer Wissenschaftler gehen davon aus, dass die globale Durchschnittstemperatur bei der derzeitigen Klimapolitik um 2,7 Grad steigen wird. Doch die chinesischen Forscher schreiben, dass selbst bei einem Anstieg um lediglich 1,6 Grad bis 2100 acht Prozent der Ernten verloren gingen.
Eine Studie aus dem Online-Magazin Nature Food bestätigt diese Forschungsergebnisse. Der Temperaturanstieg könnte in China zu einer Verdopplung des Schädlingsbefalls und der Pflanzenkrankheiten führen, so ein internationales Wissenschaftsteam mit Forschern aus China, den USA, Deutschland und anderen Ländern. Allerdings sind die Forscher von dem sehr pessimistischen Szenario eines Temperaturanstiegs von vier Grad in den nächsten 80 Jahren ausgegangen.
Auch die Kosten durch eine hitzebedingte geringere Produktivität der Arbeitskräfte sind beträchtlich. Bei mittleren Emissionen (3,5 Grad Anstieg bis 2100) würde die Arbeitsproduktivität in China um drei Prozent abnehmen. In den wichtigen Wirtschaftszentren im Osten und Süden des Landes wären es sogar gut vier Prozent. Gelingt es, den Temperaturanstieg auf 1,6 Grad zu begrenzen, würde der Produktivitätsverlust 0,7 Prozent betragen. Schon 2019 hat China aufgrund von Hitzewellen über 28 Milliarden Arbeitsstunden verloren. Zum Vergleich: Durch die Corona-Pandemie gingen in China circa 70 Milliarden Arbeitsstunden verloren. “Die Auswirkungen des Klimawandels sind in diesem Bereich so gravierend, als würde alle zwei bis drei Jahre eine Covid-19-Pandemie stattfinden”, schreiben die Wissenschaftler.
Die direkten Kosten durch den ansteigenden Meeresspiegel an Infrastrukturen und Gebäuden beziffern die Studienautoren auf fünf Billionen US-Dollar bei einem Temperaturanstieg von 3,5 Grad. Selbst wenn es gelingt, den Temperaturanstieg bis 2100 auf 1,6 Grad zu begrenzen, drohen China Kosten in Höhe von drei Billionen Dollar. Chinas Küstenstädte sind weltweit am stärksten vom ansteigenden Meeresspiegel bedroht (China.Table berichtete). Der Meeresspiegel vor Chinas Küsten steigt stärker als im globalen Durchschnitt. Millionen Menschen sind von Hochwasser bedroht. Die Trinkwasserreservoire könnten versalzen.
Bei mittleren Emissionen (3,5 Grad Anstieg bis 2100) würde Chinas Energiebedarf bis zum Ende des Jahrhunderts allein aufgrund des Klimawandels um 90 Prozent steigen. Die Anzahl an Hitzetagen mit einer Temperatur von mehr als 27,5 Grad würde stark zunehmen. Dadurch wären beispielsweise mehr Klimaanlagen notwendig. Süd- und Ostchina wären am stärksten betroffen, so die Wissenschaftler.
Die Tsinghua-Studie endet mit einem deutlichen Plädoyer, den Klimaschutz frühzeitig und weltweit zu verstärken. Einer der Autoren der Studie sagte bei der Vorstellung, China müsse noch mehr unternehmen, um die Kohlenstoffneutralität zu erreichen. Die Regierung solle ihre Anstrengungen bei der nicht-fossilen Energieversorgung verdoppeln, schlug Teng Fei vor, der Professor an der Tsinghua Universität ist.
Agiert die Menschheit heute zu zögerlich, würden erhebliche Klimarisiken und -kosten auf die nächsten Generationen übertragen, so die Autoren der Studie. Mehr als 85 Prozent der wirtschaftlichen Klimaschäden würden erst zwischen 2050 und 2100 auftreten. Denn mit ansteigenden Temperaturen nehmen die Schäden immer stärker zu. Die Wissenschaftler schreiben: “Die Kosten des Nichthandelns in Bezug auf den Klimawandel werden wahrscheinlich weitaus höher sein als die Kosten der Emissionsminderung.”
Die Studie zeigt auch, dass die Weltgemeinschaft in einem Boot sitzt. China ist mittlerweile zwar einer der Hauptverursacher des Klimawandels. Die Volksrepublik ist für gut 30 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Doch die Wissenschaftler haben explizit nicht berechnet, was China durch die eigenen CO2-Emissionen droht, sondern den Fokus auf die globalen Emissionen gerichtet. Um die schlimmsten Folgen der Klimakrise abzuwenden, ist China genauso auf den Klimaschutz durch andere Staaten angewiesen, wie westliche Staaten auf Klimaschutz durch China angewiesen sind.
Brüssels Antwort auf Chinas Belt-and-Road-Initiative (BRI) steckt noch in den Kinderschuhen. Bis Mitte 2022 will die EU-Kommission jedoch konkrete Projekte für ihre weltweite Infrastruktur-Strategie namens Global Gateway vorschlagen. Als “einzigartigen Wettbewerbsvorteil” sieht Brüssel dabei die Einbindung des Privatsektors. Global Gateway müsse diesen in vollem Umfang nutzen, um “eine tragfähige und attraktive Alternative für Partnerländer” zu sein, heißt es in der offiziellen Kommunikation. Wie das in der Praxis konkret aussehen soll, ist noch offen. Ebenso ungeklärt sind die Details zur Business Advisory Group, die im Rahmen von Global Gateway geplant ist. Auch andere Nachschärfungen der Initiative sind noch nötig.
Die Reaktion der deutschen Wirtschaft auf die Initiative sei bisher aber dennoch überwiegend positiv, wie Sebastian Holz von der deutschen Außenwirtschaftsagentur Germany Trade and Invest (GTAI) berichtet. Dass Global Gateway auch die Expertise des Privatsektors einhole, sei eine gute Sache. Holz sieht die Zusammenarbeit der EU mit privaten Unternehmen als Vorteil gegenüber Chinas neuer Seidenstraße. “Ich glaube, dass der europäische Privatsektor eine Stärke ist, die die Chinesen in der Form nicht haben. Dort sind es vor allem Staatsunternehmen, die die Projekte umsetzen”, sagte Holz gegenüber China.Table.
Das Interesse der Industrie sei da, so Holz. Die Initiative könne dazu beitragen, das Engagement gerade in Schwellenländern weniger risikoreich zu machen. Holz beschäftigt sich für GTAI , die dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zugeordnet ist, mit verschiedenen internationalen Projekten im Bereich Vernetzung. Bei der Außenwirtschaftsagentur gibt es seit Beginn des vergangenen Jahres dafür ein eigenes Projekt. Es nimmt nicht nur Global Gateway und BRI unter die Lupe, sondern auch andere EU-Vorstöße für internationale Infrastruktur. Es kümmert sich zudem um die von den USA angeführte Initiative “Build Back Better World” der G7-Staaten. Holz’ Bilanz der Vorgängerin von Global Gateway, der EU-Asien-Konnektivitätsstrategie, fällt allerdings eher schlecht aus: Die im Herbst 2018 vorgestellte Initiative aus Brüssel sei “sehr vage” geblieben, kritisiert der Analyst.
Global Gateway sei schon in seiner Rhetorik deutlich ambitionierter, lobt Holz. Zur Finanzierung des Vorhabens hat die EU-Kommission rund 300 Milliarden Euro aus staatlichen und privaten Quellen für den Zeitraum von 2021 bis 2027 in Aussicht gestellt. Das zeigt: Brüssel sieht die Konnektivität als einen zentralen Baustein seiner geo-ökonomisch orientierten Wirtschaftspolitik – und will hier entsprechend auch schnell Ergebnisse liefern. Im Juni dieses Jahres sollen die ersten Projekte angegangen werden.
Gigantische Brücken- und Autobahn-Bauten wie beispielsweise das BRI-Projekt in Montenegro werden dabei weniger im Fokus stehen. Die EU will eigenen Angaben zufolge primär auf die nachhaltigen Transportmittel setzen. “Man kann davon ausgehen, dass im Rahmen von Global Gateway keine großen Autobahnprojekte auf dem afrikanischen Kontinent gefördert werden”, sagt Holz. Das entspreche nicht dem grünen Anspruch der EU. Die Kommission betonte bei der Vorstellung von Global Gateway, dass die höchsten Standards in Bezug auf Nachhaltigkeit, Governance und Transparenz angelegt würden. Bei deutschen Unternehmen kommt das laut Holz gut an: “Sie wünschen sich alle, dass für diese Projekte hohe Nachhaltigkeitsstandards festgeschrieben werden, weil sie diese besser bedienen können als ihre internationale Konkurrenz.”
Wegen des geringeren Nachhaltigkeitsanspruchs der BRI seien das chinesische Prestigeprojekt und der Vorstoß aus Brüssel aber auch nur bedingt vergleichbar, betont Holz. “Die Ambition ist nicht, dass man die gleiche Menge an Beton verbaut, wie die Chinesen das im Rahmen ihrer Initiative tun.”
Eingebunden werden sollen die privaten Unternehmen durch die neu eingerichtete Business Advisory Group. “Wer in der Gruppe sitzen wird, ist noch nicht klar, das ist noch im Findungsprozess. Derzeit laufen die Verhandlungen und Überlegungen für einen Ansprechpartner in Brüssel für die Unternehmen”, erklärt Holz. In dem Beratungsgremium sollen die Unternehmen dann bei der Auswahl der Projekte und deren Umsetzung ein Mitspracherecht bekommen.
Gerade die Einbindung des Privatsektors sieht Alicia García-Herrero, Chefökonomin für den asiatisch-pazifischen Raum bei der französischen Investmentbank Natixis und Analystin der in Brüssel ansässigen Denkfabrik Bruegel, noch skeptisch. In dieser Hinsicht sei die Initiative der EU bei weitem noch nicht ausgegoren, so García-Herrero. “Es ist nicht klar, wie viel in dieser Initiative Business ist, und wie viel Entwicklungshilfe. Es gibt keine klare Definition.”
Die Beteiligung der privaten Wirtschaft sieht sie derzeit noch eher als Hindernis denn als Vorteil. “Wenn klar ist, wie die geschäftliche Seite aussieht, dann kann man auch erst Vergleiche mit der BRI ziehen”, meint die Analystin. Sie kritisiert, dass zwar der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi an dem Vorstoss beteiligt seien, aber nicht der für Handel zuständige Kommissar Valdis Dombrovskis. Ihrer Ansicht nach brauche es eine präzisere Vorgabe für die Wirtschaft: “Man muss den Unternehmen erklären, wie ihnen geholfen wird, weltweit zu exportieren oder zu investieren.”
Generell begrüßt García-Herrero den Ansatz von Global Gateway, da dieser verschiedene Initiativen unter einem Dach bündele – genau die Vielfältigkeit der angestrebten Projekte könnten ihrer Meinung nach aber ein Nachteil sein. “Im Grunde möchte ich also Gutes für die Welt tun, und das ist toll. Aber bei meinen genauen Zielen bin ich noch verwirrt”, fasst sie die Crux zusammen. Brüssel habe einfach alle Ansätze zusammengepackt und dabei die klare Linie aus den Augen verloren. So viele Partnerschaften und Programme seien in Global Gateway zusammengefasst, dass “niemand wirklich wisse, was sie genau machen werden”. García-Herrero Ratschlag: “Die EU muss spezifischer sein als die BRI, wenn sie damit wirklich konkurrieren will.“
Auch die Finanzierung des Mega-Projekts sei noch unpräzise. “Wir wissen wir nicht, woher diese 300 Milliarden kommen.” Es sei viel Engagement des Privatsektors nötig, um die Investitionssumme zu erreichen, sagt García-Herrero. 135 Milliarden Euro sollen aus dem Europäischen Fonds für nachhaltige Investitionen (EFSD+) bereitgestellt werden, 145 Milliarden Euro von anderen, auch nationalen Finanzinstituten, so etwa von der deutschen Förderbank KfW – von Zusagen ist jedoch noch nichts bekannt.
Ob das EU-Geld in den Empfängerländern dann mehr Zuspruch finden wird als Finanzierung aus Peking, steht noch infrage. Der Ansatz aus Brüssel setzt auf Transparenz und “good governance”. Die Projekte sollen den Menschen vor Ort zugutekommen, betonte EU-Kommissionschefin von der Leyen bei der Vorstellung. Es sei jedoch fraglich, ob die Länder die hohen Standards und Werte, die Global Gateway verbreiten wolle, akzeptierten, warnt García-Herrero. Bestimmte Regierungen seien primär daran interessiert, schnell an Geld für Projekte zu kommen – und wollen sich nicht von der EU die genauen Konditionen vorschreiben lassen. Chinese Kredite könnten für solche Länder deshalb interessanter sein.
Global Gateway ist ein wichtiger Schritt, zweifellos. Die hochgesetzten geo-ökonomischen Ziele erreicht man aber nicht allein durch die Veröffentlichung gigantomanischer Fonds, benötigt wird auch strategisches Vorgehen aus Brüssel.
Das Vokabular der EU-Initiative (“intelligent”, “sauber”, “sicher”) soll den Eindruck erwecken, europäische Projekte seien den BRI-Vorhaben qualitativ vorzuziehen – das entspricht dem europäischen Selbstbild, aber nicht unbedingt der Außenwahrnehmung. Dass der Bau des Flughafens in Berlin 14 Jahre gedauert hat, in Peking aber nur vier, ist auch jenseits der westlichen Welt nicht unbemerkt geblieben.
Gemeinsam mit dem deutschen Europa-Abgeordneten Reinhard Bütikofer wird Alicia García-Herrero bei einer Online-Veranstaltung von Bruegel am Dienstag einen genaueren Blick auf die beiden Infrastruktur-Initiativen aus Brüssel und Peking werfen.
Die ersten freiwilligen Helfer für die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele in Peking (4. bis 20. Februar) befinden sich seit der vergangenen Woche in Isolation. Eine Gruppe von 16 Studentinnen und Studenten bildete die erste Kohorte derjenigen, die in die olympische Blase eintauchen und bis zum Ende ihrer Tätigkeit jeglichen Kontakt mit der zivilen Außenwelt vermeiden müssen. Ziel des Organisationskomitees BOCOG ist es, die Gefahr einer Ausbreitung des Coronavirus weitgehend zu verringern.
Die Olympia-Blase darf nur betreten, wer für die Winterspiele als Organisator, Teilnehmer, Journalist oder Sponsor akkreditiert ist. Wer nicht geimpft ist, muss eine 21-tägige Quarantäne nach der Einreise hinnehmen. Die Sorge ist in Peking einerseits groß, dass die Spiele ein Treiber von Infektionen im Land werden. Andererseits fürchtet die Ausrichterstadt eine maßgebliche Beeinträchtigung der Wettkämpfe durch mögliche Corona-Fälle. Erst am Wochenende hatte es in der rund 120 Kilometer entfernten Hafenstadt Tianjin einen neuen Ausbruch der Seuche gegeben (China.Table berichtete).
Weil Schnittpunkte der olympischen Blase mit der Außenwelt nicht gänzlich vermeidbar sind, gelten spezielle Regeln, an die sich auch die Bürger:innen halten müssen. Beispielsweise sind sie dringend dazu angehalten, bei möglichen Unfällen, an denen Olympia-Fahrzeuge beteiligt sind, nicht zu helfen. Stattdessen sollen die Pekinger umgehend “professionelle Hilfe” anfordern, sollten sie selbst in einen solchen Unfall verwickelt sein oder ihn beobachtet haben. Kontakt mit der anderen Unfallpartei sollen sie ausdrücklich vermeiden.
Die Chance auf einen Unfall mit Beteiligung eines Olympia-Fahrzeugs ist bereits minimiert, weil der olympische Verkehr, wie in allen Ausrichterstädten üblich, eigene Fahrbahnen auf den Straßen zur Verfügung gestellt bekommt. Ab 16. Januar bis 30. März, also mehr als zwei Wochen nach Beendigung der Paralympischen Winterspiele (4. bis 13. März) müssen diese Fahrbahnen von allen nicht-olympischen Fahrzeugen gemieden werden. grz
Die 14-Millionen-Einwohnerstadt Tianjin steht ab sofort unter einem stufenweisen Lockdown. Das Stadtgebiet ist bis auf Weiteres aufgeteilt in
Am Sonntag waren in der Stadt 20 Infektionen mit dem Coronavirus gemeldet worden, am Montag folgten weitere 21 positive Fälle. Es war anfangs allerdings noch unklar, um welche Virus-Variante es sich handelt. Zwei weitere Ansteckungen gab es es in Anyang in der Provinz Henan, das etwa 400 Kilometer von Tianjin entfernt liegt. Sie sollen mit dem Ausbruch in der Hafenstadt in Verbindung stehen.
Einen Monat vor Beginn der Olympischen Winterspiele fürchtet die chinesische Regierung, dass eine Ausbreitung der Krankheit die Ausrichtung der Wettkämpfe stark beeinträchtigen könne. Schon jetzt haben die Behörden strenge Auflagen für die Spiele erlassen. Derweil hat die Null-Toleranz-Strategie gegen Covid-19 jüngst bereits zu Lockdowns in Xi’an und Yuzhou geführt (China.Table berichtete). In Xi’an sind 13 Millionen Menschen betroffen. Am Montag gab es dort 15 Infektionen. Yuzhou hat 1,1 Millionen Einwohner. grz
Mit steigender Fallzahl an Corona-Neuinfektionen sinkt in Hongkong die Quarantäne-Dauer für Kontaktpersonen. Seit Montag müssen enge Kontakte von Infizierten nur noch für 14 statt bislang 21 Tage in die Isolation. Anlass dafür ist die Sorge, dass die Auslastung der Quarantäne-Kapazitäten in der Stadt im Bedarfsfall nicht mehr ausreicht. Auch die kürzere Inkubationszeit der Omikron-Variante rechtfertige die Verkürzung, erklärte das Gesundheitsamt. Am Montag waren 24 Neuinfektionen in der Stadt registriert worden.
In der Praxis bedeutet das für die Betroffenen, dass sie 14 Tage in der Aufnahmestelle Penny’s Bay in einer staatlichen Einrichtung verbringen müssen, ehe sie ihren Gesundheitszustand für eine weitere Woche selbst im Auge behalten sollen. Diese Selbstüberwachung galt bislang nur für Personen, die den vollen Impfschutz vorweisen konnten, jetzt gilt sie auch für Ungeimpfte. Fünf Tage nach der Entlassung aus der Quarantäne wird von jeder Kontaktperson ein weiterer Test in seinem örtlichen Gesundheitszentrum verlangt.
Bei den neu entdeckten Coronavirus-Fällen vom Montag handelte es sich nach offiziellen Angaben um 19 importierte Infektionen und fünf örtlich übertragene. Die Infektionskette einer dieser fünf lokalen Ansteckungen konnten die Behörden bislang nicht hunderprozentig bestimmen. grz
Chinas Bildungssektor steht zu Beginn des Jahres unter Druck. Der größte Anbieter von privater Nachhilfe hat am Wochenende zehntausenden Mitarbeiter:innen gekündigt. Wie der Gründer und Vorsitzende von New Oriental Education auf WeChat mitteilte, habe sein Unternehmen insgesamt 60.000 Entlassungen aussprechern müssen. Die Gewinne seien im vergangenen Jahr um 80 Prozent zurückgegangen, schrieb Yu Minhong weiter.
New Oriental Education & Technology Group Inc. gehört zu den größten Anbietern privaten Nachhilfeunterrichts in China. Die Entlassungswelle zeigt, wie sehr der Sektor unter Druck geraten ist, seit Präsident Xi Jinping im vergangenen Jahr die Vorgaben änderte. Mitte des Jahres setzte die Führung in Peking zu einem wahren Feldzug gegen private Nachhilfe an (China.Table berichtete). Damals handelte es sich um ein Milliardengeschäft. Doch seither ist es den Firmen unter anderem verboten, an Wochenenden oder in den Ferien lehrplanbezogene Nachhilfestunden anzubieten – auch nicht, wie bisher weit verbreitet, über das Internet.
Die Unternehmen mit einem Fokus auf Bildung dürfen zudem nicht mehr gewinnorientiert arbeiten oder an die Börse gehen. Experten gingen damals schon davon aus, dass den Firmen durch die neuen Regeln fast sämtliche Wachstumschancen genommen werden. Und tatsächlich: In der Folge ging der Börsenwert von New Oriental um 90 Prozent zurück, wie der Finanznachrichtendienst Bloomberg berichtet.
Im Jahr 2021 sei New Oriental von vielen unvorhergesehenen Ereignissen getroffen worden, schrieb Yu in einem separaten Eintrag auf WeChat. Angefangen von der Politik über die Pandemie bis hin zu den internationalen Beziehungen. “Große Teile unseres Geschäfts liegen deshalb noch immer im Ungewissen”, schreibt Yu. Dennoch werde sich New Oriental den Herausforderungen stellen und seine Entwicklung allen Schwierigkeiten zum Trotz fortsetzen. Auch nach den Entlassungen vom Wochenende seien laut Yu noch immer rund 50.000 Angestellte und Lehrer bei New Oriental beschäftigt. rad
Pünktlich zu den Olympischen Spielen kommt das Prestigeprojekt der chinesischen Zentralbank (PBOC) in der beliebtesten App des Landes an. Mit der universellen Kommunikations-Anwendung WeChat sind künftig auch Zahlungen mit E-Yuan möglich (China.Table berichtete). Die Nutzung des digitalen Zentralbankgelds wird künftig eine Menüoption im Bereich WeChat Pay der App sein. Auch Konkurrent Alipay ermöglicht jetzt Zahlungen in E-Yuan.
Die digitale Version der chinesischen Währung soll eine Alternative zu unabhängigen Krypto-Währungen sein. Anders als Bitcoin und dergleichen steht sie unter staatlicher Kontrolle. Bisher war die Nutzung nur im Rahmen von Pilotprojekten mit einer eigenen Software (“Wallet”) möglich. fin
“Siemens defends slave labour (again)” titelte der britische Spectator letzte Woche. Die Entstehung dieser Schlagzeile ist ein Lehrstück darüber, was in der chinapolitischen Positionierung von einigen CEOs der Deutschland-AG danebengeht. Was war passiert? Siemens-Chef Roland Busch hatte zum Jahreswechsel in der Süddeutschen Zeitung vor einer “konfrontativen Außenpolitik” gewarnt und mahnte einen “respektvollen Umgang” mit China an.
Eine Sorge führte er sehr konkret aus: “Wenn Exportverbote erlassen werden, könnten diese dazu führen, dass wir keine Solarzellen aus China mehr kaufen können – dann ist die Energiewende an dieser Stelle zu Ende. Wollen wir das wirklich? Es ist doch unser gemeinsames Interesse, den weltweiten CO2-Ausstoß zu verringern”. Busch sprach es nicht direkt an, doch worauf er zielte, waren mögliche Sanktionen gegen Komponenten aus Xinjiang, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie auch mithilfe von Zwangsarbeit produziert werden.
Die Haltung der Amerikaner ist dazu klar: Im Dezember unterzeichnete US-Präsident Biden ein Gesetz, das Importe von Produkten, die in Xinjiang hergestellt wurden oder Komponenten und Materialien aus Xinjiang enthalten, weitgehend verbietet. Die Europäische Kommission ist dagegen skeptisch. Man könne die “US-Gesetzgebung in Europa nicht automatisch replizieren”, heißt es. Ein Importverbot würde nicht verhindern, dass diese Produkte weiter mit Zwangsarbeit hergestellt würden. Die EU-Kommission scheint ein Gesetz mit stärkeren Sorgfaltspflichten der Anbieter zu bevorzugen.
In diese Diskussion platzte Siemens-CEO Busch mit seiner Philippika gegen “Exportverbote”. Dabei hat Busch zumindest recht, was die Abhängigkeiten der Solarbranche von Xinjiang betrifft. Doch für einen Konzern, der eine Geschichte des Einsatzes von Zwangsarbeit hat, ist die Intervention bemerkenswert ungeschickt. Zumal Siemens laut FAZ mit dem chinesischen Rüstungszulieferer China Electronics Technology Group Corporation (CETC) zusammenarbeitet. CETC hat laut Human Rights Watch eine Überwachungs-App entwickelt, mit deren Hilfe Uiguren von der Polizei verfolgt und eingesperrt würden. Da hilft es eher wenig, dass Busch mit Blick auf die Menschenrechte versichert: “Wir halten diese weltweit ein, auch bei unseren Arbeitsplätzen in China”.
Nun rechtfertigt Busch natürlich keine Zwangsarbeit, anders als der Spectator es nahelegt. Es hätte aber viele geschicktere Wege gegeben, Skepsis an Importverboten zu äußern. Mit der ungelenken Art seiner Aussagen hat Busch der Fehlinterpretation seiner Worte Tür und Tor geöffnet. Was bei seiner Aussage etwa fehlt, ist ein explizites Bekenntnis, Menschenrechte auch in den Lieferketten und bei Kooperationspartnern einzuhalten.
Busch fällt auch hinter das zurück, was sein Vorgänger als Siemens-Chef und Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Joe Kaeser, kurz vor Ende seiner Amtszeit im September 2020 formulierte: “Wir beobachten die aktuellen Entwicklungen in Hongkong, aber auch in der Provinz Xinjiang aufmerksam und mit Sorge. Wir lehnen jede Form von Unterdrückung, Zwangsarbeit und Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen kategorisch ab. All das würden wir grundsätzlich weder in unseren Betrieben dulden noch bei unseren Partnern folgenlos hinnehmen.” Für Kaeser, der jahrelang den chinesischen Parteistaat rhetorisch hofiert hatte, war dies eine bemerkenswert klare Formulierung. Busch signalisiert nun, dass er an Kaesers Kritik nicht anknüpfen möchte.
Stattdessen scheint sich Busch den Volkswagen-CEO Diess als Vorbild zu nehmen, den Chef eines weiteren deutschen Weltkonzerns mit Zwangsarbeits-Vergangenheit. Diess hatte 2019 der BBC gesagt, dass er von Umerziehungslagern nicht wisse und “stolz” sei auf die Arbeitsplätze, die Volkswagen in Xinjiang geschaffen habe. Dabei klingt er wie der ehemalige ZEIT-Herausgeber Theo Sommer, der 2019 behauptete, deutsche Unternehmen “können und werden in dem schwierigen Umfeld Xinjiangs einen Beitrag zum ersprießlichen Zusammenleben verschiedener Völkerschaften leisten. Dann werden – wie einst die südafrikanischen Schwarzen von BMW – eines Tages auch die Uiguren sagen können, wer zu den Mitarbeitern der deutschen Firmen gehört, der hat das große Los gezogen”.
Ganz so vehement wie Sommer würden wahrscheinlich nur wenige deutsche CEOs öffentlich argumentieren. Aber allzu oft wirken sie so, als hätten sie selbst das große Los des Kotaus gegenüber der chinesischen Führung gezogen. Der Journalist Robin Alexander berichtet in seinem Buch “Machtverfall” über die deutschen CEOs, die Merkel auf deren letzter China-Reise im September 2019 begleiteten: “Die Bosse haben auf die Kanzlerin eingewirkt, die chinesische Regierung nicht mit einer allzu deutlichen Kritik an der Aussetzung des Basic Law der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong und den Repressionen gegen die dortige Demokratiebewegung zu brüskieren”.
Weiter berichtet der Autor über eine Abstimmung unter den deutschen Managern während besagter Reise, ob sie die Chinesen ihrerseits auf die engere Überwachung von Internetaktivitäten chinesischer Belegschaften in Firmen mit deutscher Beteiligung ansprechen sollten – denn die gefährdet nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern auch deutsche Geschäftsgeheimnisse. Per Handzeichen im Kanzlerflugzeug stimmten die CEOs dagegen. Erschreckend daran ist, dass die Unternehmensführer auch dann gegenüber Peking zu kuschen scheinen, wenn ihre Kerninteressen tangiert sind.
Bei der Suche nach mehr strategischer Klarheit kombiniert mit Rückgrat könnten die CEOs beim BDI fündig werden. Dieser hatte im vergangenen Sommer ein Diskussionspapier über “Außenwirtschaftliche Zusammenarbeit mit Autokratien” zur “Gestaltung der Wirtschaftsbeziehungen im internationalen Systemwettbewerb” veröffentlicht und dabei den Begriff der “verantwortungsvollen Koexistenz” geprägt.
Mehr strategische Klarheit in der Chinapolitik ist auf Seiten von CEOs wie Busch dringend vonnöten, denn die vom Spectator verzerrte menschenrechtliche Komponente ist nicht das größte Problem. Ebenfalls beunruhigend ist, dass Busch die Klimakrise zu instrumentalisieren scheint für einen “Business as Usual”-Kurs gegenüber Peking. Und noch konsternierender ist die Tatsache, dass Busch die Thematik auf die Frage der Menschenrechte reduziert. Dabei geht es im Systemwettbewerb mit Pekings autoritärem Staatskapitalismus um weit mehr.
Zwangsarbeit ist nicht unser Hauptproblem, wenn wir uns bei Kerntechnologien für die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft von Produktion in China abhängig machen, oder wenn sich Unternehmen wie Volkswagen ein Klumpenrisiko China aufhalsen, in dem sie sich über Gebühr vom chinesischen Markt abhängig machen. 2020 unterzeichnete Siemens eine weitreichende “strategische Kooperationsvereinbarung” mit der schon erwähnten China Electronic Technology Group Corporation (CETC). Das Staatsunternehmen ist für das chinesische Militär als Zulieferer von zentraler Bedeutung. Tochterunternehmen von CETC unterliegen bereits US-Sanktionen. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die USA auch die Siemens-Kooperation mit CETC genauer anschauen werden.
Peng Jingtang wird neuer Kommandeur der chinesischen Armee in Hongkong. Der Generalmajor ist stellvertretender Stabschef der Bewaffneten Volkspolizei, einer paramilitärischen Polizeieinheit. Chinesischen Medienberichten zufolge leitete Peng zuvor die Anti-Terror-Einheit “Bergadler” in der Provinz Xinjiang.
Schnell noch eine rote Laterne aufhängen: Diese Schaffnerin schmückt den Schnellzug von Guiyang nach Chengdu. Anlass war das traditionelle Laba-Fest, dass am gestrigen Montag gefeiert wurde. An diesem Tag wird der Ernte des jeweils vergangenen Jahres gedankt. Wichtiger Bestandteil ist der Verzehr von Laba-Brei (腊八粥, làbāzhōu). So ein Hirsebrei ist nicht jedermanns Sache, aber seit Jahrhunderten gelebte Tradition.
am Montag meldeten die traditionsreichen MV Werften Insolvenz an. Auf der Suche nach den Gründen führt der Weg rund 8800 Kilometer weit nach Osten – zur Genting Hong Kong Ltd. Sie ist der Eigentümer der Werften in Stralsund, Rostock und Wismar. Diese sollten zu den modernsten und erfolgreichsten Werften der Welt ausgebaut werden. Doch es kam anders. Nun stehen 1900 Arbeitsplätze vor dem Aus.
China wird gerne als der einer der größten Klimasünder kritisiert. Zu Recht. Und doch ist das nur eine Seite der Medaille. Nico Beckert hat sich die dunkle andere Seite angeschaut und zeigt, mit welch dramatischen Folgen sich die Volksrepublik angesichts des Klimawandels konfrontiert sieht: China droht langfristig, 20 Prozent seiner Ernten zu verlieren; und es wird zu drastischen Arbeitsausfällen kommen, die gewaltige finanzielle Einbußen nach sich ziehen werden. China und den großen Co2-Emittenten des politischen Westens muss endlich klar werden: Um die schlimmsten Folgen der Klimakrise abzuwenden, ist die Volksrepublik genauso auf den Klimaschutz durch andere Staaten angewiesen wie westliche Staaten auf China.
Doch noch herrscht in den Beziehungen vor allem Konkurrenz: So will Europa mit seiner Infrastruktur-Initiative Global Gateway das chinesische Prestigeprojekt Belt and Road ausstechen. Amelie Richter hat die EU-Pläne analysiert und kommt zu dem Schluss: Die Rhetorik ist durchaus vielversprechend. Doch vollmundige Ankündigungen allein werden nicht ausreichen. Die EU muss noch etliche wegweisende Entscheidungen treffen, um in den Schwellenländern tatsächlich mit Pekings Ambitionen konkurrieren zu können.
Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht
Am Montagmittag platzt die Bombe: Die MV Werften in Mecklenburg-Vorpommern müssen Insolvenz anmelden. Seit Tagen hatten die Bundesregierung und die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern mit dem Eigentümer der MV Werften einen Ausweg aus der verfahrenen Situation gesucht. Doch mit der Genting Hong Kong Ltd. konnte keine Lösung gefunden werden.
Vordergründig sorgte ausgerechnet die “Global Dream” für das Aus der Werften. Es sollte eines der größten je gebauten Kreuzfahrtschiffe der Welt werden und war ausschließlich für den asiatischen Markt gedacht. Satte 1,5 Milliarden Euro sollte der Bau des 342 Meter langen Traumschiffs kosten und bis zu 9.500 Passagieren Platz bieten. Doch obwohl schon 75 Prozent des Schiffs fertiggestellt sind, konnte die restliche Finanzierung nicht gesichert werden. Die Bundesregierung war offenbar zu weiteren Hilfen bereit. Sie forderte dafür allerdings einen Eigenbeitrag von Genting. Und dieser kam offenbar nicht. Aus Berlin hieß es denn auch zuletzt, es fehle ein klares Bekenntnis der Eigentümer zu ihrer Werft.
Dabei begann der Einstieg der Hongkonger bei den deutschen Werften überaus verheißungsvoll. Das asiatische Tourismusunternehmen war bis dato vor allem durch seine Kreuzfahrtmarken Star Cruises, Crystal Cruises sowie Dream Cruises bekannt. Das Geschäft boomte, immer mehr Menschen wollten ihren Urlaub auf hoher See verbringen. Also brauchte die Genting HK dringend mehr Schiffe. Doch aufgrund der steigenden Nachfrage wurden die Lieferzeiten für Kreuzfahrschiffe immer länger. Genting suchte nach einem Ausweg: nach Neubauwerften für große Kreuzfahrtschiffe, die vor allem auf dem asiatischen Markt zum Einsatz kommen sollten. So wolle man für das schnelle Wachstum am Kreuzfahrtmarkt in China gerüstet sein, sagte Genting-Chef Lim Kok Thay damals. Fündig wurde Genting in Deutschland.
Für 230 Millionen Euro kaufte man die Werften in Bremerhaven, Wismar, Warnemünde und Stralsund. Anfang Juli 2016 verkündete Thay, man werde die drei traditionsreichen Werften in Wismar, Rostock und Stralsund unter dem Namen MV Werften (MV für Mecklenburg-Vorpommern) zusammenfassen und 100 Millionen Euro investieren, um sie zu den modernsten und effizientesten Werften der Kreuzschifffahrt zu machen. Mehr als 3.000 Beschäftige sollten dieses ambitionierte Ziel ermöglich.
Doch dann brach die Corona-Pandemie aus. Vor allem in China ergriff die Führung strikte Maßnahmen: Die Landesgrenzen wurden dichtgemacht, Städte mit mehreren Millionen Einwohner wurden in Lockdown geschickt. Entsprechend kam auch das Geschäft in der Kreuzfahrtbranche völlig zum Erliegen – und Genting in der Folge in massive Zahlungsschwierigkeiten. Schon im Sommer 2020 kündigte der Mutterkonzern der MV Werften an, Zahlungen an Banken und Gläubiger einzustellen. Im Gesamtjahr 2020 musste Genting einen Verlust von 1,7 Milliarden US-Dollar hinnehmen, die Schulden des Konzerns stiegen auf satte 3,4 Milliarden US-Dollar an. Es sei völlig unsicher, ob der Konzern unter diesem Umständen weiterbestehen könne, hieß es in einer unternehmenseigenen Mitteilung an die Hongkonger Börse Ende März 2021.
Besserung ist für die Kreuzfahrtbranche nicht in Sicht. Auf den wenigen Schiffen, die derzeit auf den Meeren unterwegs sind, steigt die Zahl der Neuinfektionen rapide an. Grund ist die Ausbreitung der hochansteckenden Omikron-Variante. Und damit häufen sich wiederum Coronavirus-bedingte Planänderungen und Reiseabbrüche. Das Auswärtige Amt in Berlin rät jedenfalls von Schiffsreisen ab. Es bestehe das Risiko, dass Reisende auf dem Schiff unter Quarantäne gestellt werden, zudem sei ein Rücktransport nach Deutschland schwierig zu organisieren. Derweil rät die US-Gesundheitsbehörde “Centers for Disease Control and Prevention” (CDC) schon seit Dezember ihren Bürgern dringend davon ab, eine Kreuzfahrt anzutreten. Der Impfstatus spielt dabei keine Rolle, hieß es in der Mitteilung. Und Brasilien hat den Kreuzfahrtbetrieb wegen Hunderter Infektionen bis zum 21. Januar komplett eingestellt.
Angesichts des Drucks auf die gesamte Branche verwundert es nicht, dass auch die weitreichenden Pläne für Wismar, Rostock und Stralsund plötzlich nur noch reine Makulatur waren. Die Fertigung der laufenden Schiffbauprojekte wurde ausgesetzt, die Werften vorübergehend sogar ganz geschlossen.
Die MV Werften suchten ihre Rettung unter dem Corona-Rettungsschirm des Bundes – und Berlin zeigte sich gewillt zu helfen. Mitte Mai versprach der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier, den deutschen Schiffbau gegen die Konkurrenz aus dem Ausland stärken zu wollen (China.Table berichtete).
Doch die Verhandlungen zwischen dem Bund, der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern sowie MV Werften und der Genting Hongkong über ein Rettungspaket führten zu keiner Lösung. Die Positionen waren unvereinbar: Der Bund versicherte bis zuletzt, rund 600 Millionen Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) zur Verfügung stellen zu wollen. Als Sicherheit könnte der neue Hoffnungsträger “Global Dreams” verwendet werden. Allerdings solle auch der Eigentümer einen Beitrag zur Rettung der Werften leisten: knapp 60 Millionen Euro plus Garantien für die in Rede stehenden Bundesmittel.
Dem Präsidenten von Genting Hongkong zufolge habe man seinerseits dem Bund vier Angebote zur weiteren Finanzierung vorgelegt. Diese seien allerdings allesamt abgelehnt worden, sagte Colin Au. Auch sei im vergangenen Dezember die Auszahlung des fälligen Betrags beim Erreichen eines Bau-Zwischenstands – dem sogenannten Meilenstein F – blockiert worden. Genting habe nun schlicht keine weiteren Zugeständnisse mehr machen können. Colin Au verwies nochmals darauf, dass Genting seit der Übernahme mehr als zwei Milliarden Euro in die MV-Standorte aus eigener Tasche investiert habe, die Zahl der Mitarbeiter sei verdoppelt worden. “Die Werften jetzt fallen zu lassen, wäre der größte ökonomische Fehler, den die Bundesregierung machen könnte”, sagte Au und appellierte an Bund und Land, ihre Haltung doch nochmals zu überdenken. Neben den Arbeitsplätzen im Nordosten sei zusätzlich eine ganze Branche mitsamt Zulieferern im In- und Ausland bedroht.
Der Geschäftsführer der MV Werften Carsten Haake geht davon aus, dass sich die Bundesregierung aktuell nicht bewegen wolle – und dass sich Genting nicht bewegen könne. “Wir haben uns abgearbeitet an den Auflagen des Bundes”, sagte Haake. Einige Medien berichten hingegen, Genting-Chef Thay habe offenbar auf noch mehr Steuer-Millionen aus Deutschland spekuliert.
Zuletzt hatte der Mutterkonzern die Dezembergehälter an die Mitarbeiter in den Werften nicht mehr ausgezahlt. Entsprechend angespannt war die Stimmung auf der Betriebsversammlung am vergangenen Freitag in Wismar.
Rund 8.800 Kilometer entfernt nahm unterdessen das Drama seinen Lauf. Dort ging an der Börse in Hongkong folgendes Schreiben ein: “Auf Antrag der Genting Hong Kong Ltd. wird der Handel der Unternehmensaktien an der Börse in Hongkong ab Freitag, 7. Januar 2022, von 9.00 Uhr morgens an ausgesetzt.” Als Grund für den Stopp wurde auf eine bevorstehende Mitteilung des Konzerns verwiesen.
Jene Meldung kam dann am gestrigen Montag – und hatte es in sich: Die MV Werften in Mecklenburg-Vorpommern müssen Insolvenz anmelden. Damit ist klar: Die Finanzschwierigkeiten des Mutterkonzerns Genting Hongkong sorgen in Deutschland für eine große Firmenpleite. Wie es mit den zuletzt rund 1.900 Mitarbeitern weitergeht, ist völlig offen.
Sie standen bis zum Hals im Wasser. Nicht wissend, ob Rettung naht oder der Tod durch Ertrinken. Die Videos aus überschwemmten U-Bahnen in Zhengzhou vom Sommer 2021 gehören zu den schockierendsten Bildern des vergangenen Jahres. Auslöser der Überschwemmungen waren sintflutartige Regenfälle (China.Table berichtete). An nur drei Tagen fiel in der Provinz Henan so viel Regen wie sonst im Jahresdurchschnitt. Mehr als 300 Menschen kamen ums Leben.
China ist schon heute stärker vom Klimawandel betroffen als andere Weltregionen. In den vergangenen Jahren nahmen extreme Wetterereignisse wie starker Niederschlag, Hitzewellen und Dürren zu. Katastrophen wie die in Henan drohen, in Zukunft regelmäßig aufzutreten. Je stärker sich die Atmosphäre aufheizt, desto häufiger und desto heftiger werden die Extremwetter-Ereignisse.
Neben dem menschlichen Leid sieht sich China mit hohen wirtschaftlichen Kosten konfrontiert. Allein die Flutkatastrophe im Sommer hat Schäden in Höhe von mehr als 17 Milliarden US-Dollar verursacht. Im vergangenen Jahrzehnt lagen die direkten wirtschaftlichen Kosten von Unwetterkatastrophen jährlich bei über 50 Milliarden US-Dollar.
Wenn die Staaten den Klimawandel nicht wirkungsvoller bekämpfen, drohen ihnen massive Kosten. Die Volksrepublik sieht sich in den nächsten 80 Jahren mit Schäden in Höhe von fast 190 Billionen US-Dollar konfrontiert. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie der Tsinghua-Universität in Peking und des Think-Tanks Chatham House aus London.
Die Wissenschaftler haben vier Bereiche untersucht, in denen durch den Klimawandel wirtschaftliche Schäden entstehen:
Am gravierendsten sind die Schäden durch Ernteausfälle. China droht 20 Prozent seiner Ernten zu verlieren, wenn es den Staaten weltweit nicht gelingt, die CO2-Emissionen zu senken. Die Forscher schreiben von einer “erheblichen Bedrohung für wichtige Getreideanbaugebiete“, sollten die Temperaturen in den nächsten 80 Jahren um 3,5 Grad ansteigen. Prognosen anderer Wissenschaftler gehen davon aus, dass die globale Durchschnittstemperatur bei der derzeitigen Klimapolitik um 2,7 Grad steigen wird. Doch die chinesischen Forscher schreiben, dass selbst bei einem Anstieg um lediglich 1,6 Grad bis 2100 acht Prozent der Ernten verloren gingen.
Eine Studie aus dem Online-Magazin Nature Food bestätigt diese Forschungsergebnisse. Der Temperaturanstieg könnte in China zu einer Verdopplung des Schädlingsbefalls und der Pflanzenkrankheiten führen, so ein internationales Wissenschaftsteam mit Forschern aus China, den USA, Deutschland und anderen Ländern. Allerdings sind die Forscher von dem sehr pessimistischen Szenario eines Temperaturanstiegs von vier Grad in den nächsten 80 Jahren ausgegangen.
Auch die Kosten durch eine hitzebedingte geringere Produktivität der Arbeitskräfte sind beträchtlich. Bei mittleren Emissionen (3,5 Grad Anstieg bis 2100) würde die Arbeitsproduktivität in China um drei Prozent abnehmen. In den wichtigen Wirtschaftszentren im Osten und Süden des Landes wären es sogar gut vier Prozent. Gelingt es, den Temperaturanstieg auf 1,6 Grad zu begrenzen, würde der Produktivitätsverlust 0,7 Prozent betragen. Schon 2019 hat China aufgrund von Hitzewellen über 28 Milliarden Arbeitsstunden verloren. Zum Vergleich: Durch die Corona-Pandemie gingen in China circa 70 Milliarden Arbeitsstunden verloren. “Die Auswirkungen des Klimawandels sind in diesem Bereich so gravierend, als würde alle zwei bis drei Jahre eine Covid-19-Pandemie stattfinden”, schreiben die Wissenschaftler.
Die direkten Kosten durch den ansteigenden Meeresspiegel an Infrastrukturen und Gebäuden beziffern die Studienautoren auf fünf Billionen US-Dollar bei einem Temperaturanstieg von 3,5 Grad. Selbst wenn es gelingt, den Temperaturanstieg bis 2100 auf 1,6 Grad zu begrenzen, drohen China Kosten in Höhe von drei Billionen Dollar. Chinas Küstenstädte sind weltweit am stärksten vom ansteigenden Meeresspiegel bedroht (China.Table berichtete). Der Meeresspiegel vor Chinas Küsten steigt stärker als im globalen Durchschnitt. Millionen Menschen sind von Hochwasser bedroht. Die Trinkwasserreservoire könnten versalzen.
Bei mittleren Emissionen (3,5 Grad Anstieg bis 2100) würde Chinas Energiebedarf bis zum Ende des Jahrhunderts allein aufgrund des Klimawandels um 90 Prozent steigen. Die Anzahl an Hitzetagen mit einer Temperatur von mehr als 27,5 Grad würde stark zunehmen. Dadurch wären beispielsweise mehr Klimaanlagen notwendig. Süd- und Ostchina wären am stärksten betroffen, so die Wissenschaftler.
Die Tsinghua-Studie endet mit einem deutlichen Plädoyer, den Klimaschutz frühzeitig und weltweit zu verstärken. Einer der Autoren der Studie sagte bei der Vorstellung, China müsse noch mehr unternehmen, um die Kohlenstoffneutralität zu erreichen. Die Regierung solle ihre Anstrengungen bei der nicht-fossilen Energieversorgung verdoppeln, schlug Teng Fei vor, der Professor an der Tsinghua Universität ist.
Agiert die Menschheit heute zu zögerlich, würden erhebliche Klimarisiken und -kosten auf die nächsten Generationen übertragen, so die Autoren der Studie. Mehr als 85 Prozent der wirtschaftlichen Klimaschäden würden erst zwischen 2050 und 2100 auftreten. Denn mit ansteigenden Temperaturen nehmen die Schäden immer stärker zu. Die Wissenschaftler schreiben: “Die Kosten des Nichthandelns in Bezug auf den Klimawandel werden wahrscheinlich weitaus höher sein als die Kosten der Emissionsminderung.”
Die Studie zeigt auch, dass die Weltgemeinschaft in einem Boot sitzt. China ist mittlerweile zwar einer der Hauptverursacher des Klimawandels. Die Volksrepublik ist für gut 30 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Doch die Wissenschaftler haben explizit nicht berechnet, was China durch die eigenen CO2-Emissionen droht, sondern den Fokus auf die globalen Emissionen gerichtet. Um die schlimmsten Folgen der Klimakrise abzuwenden, ist China genauso auf den Klimaschutz durch andere Staaten angewiesen, wie westliche Staaten auf Klimaschutz durch China angewiesen sind.
Brüssels Antwort auf Chinas Belt-and-Road-Initiative (BRI) steckt noch in den Kinderschuhen. Bis Mitte 2022 will die EU-Kommission jedoch konkrete Projekte für ihre weltweite Infrastruktur-Strategie namens Global Gateway vorschlagen. Als “einzigartigen Wettbewerbsvorteil” sieht Brüssel dabei die Einbindung des Privatsektors. Global Gateway müsse diesen in vollem Umfang nutzen, um “eine tragfähige und attraktive Alternative für Partnerländer” zu sein, heißt es in der offiziellen Kommunikation. Wie das in der Praxis konkret aussehen soll, ist noch offen. Ebenso ungeklärt sind die Details zur Business Advisory Group, die im Rahmen von Global Gateway geplant ist. Auch andere Nachschärfungen der Initiative sind noch nötig.
Die Reaktion der deutschen Wirtschaft auf die Initiative sei bisher aber dennoch überwiegend positiv, wie Sebastian Holz von der deutschen Außenwirtschaftsagentur Germany Trade and Invest (GTAI) berichtet. Dass Global Gateway auch die Expertise des Privatsektors einhole, sei eine gute Sache. Holz sieht die Zusammenarbeit der EU mit privaten Unternehmen als Vorteil gegenüber Chinas neuer Seidenstraße. “Ich glaube, dass der europäische Privatsektor eine Stärke ist, die die Chinesen in der Form nicht haben. Dort sind es vor allem Staatsunternehmen, die die Projekte umsetzen”, sagte Holz gegenüber China.Table.
Das Interesse der Industrie sei da, so Holz. Die Initiative könne dazu beitragen, das Engagement gerade in Schwellenländern weniger risikoreich zu machen. Holz beschäftigt sich für GTAI , die dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zugeordnet ist, mit verschiedenen internationalen Projekten im Bereich Vernetzung. Bei der Außenwirtschaftsagentur gibt es seit Beginn des vergangenen Jahres dafür ein eigenes Projekt. Es nimmt nicht nur Global Gateway und BRI unter die Lupe, sondern auch andere EU-Vorstöße für internationale Infrastruktur. Es kümmert sich zudem um die von den USA angeführte Initiative “Build Back Better World” der G7-Staaten. Holz’ Bilanz der Vorgängerin von Global Gateway, der EU-Asien-Konnektivitätsstrategie, fällt allerdings eher schlecht aus: Die im Herbst 2018 vorgestellte Initiative aus Brüssel sei “sehr vage” geblieben, kritisiert der Analyst.
Global Gateway sei schon in seiner Rhetorik deutlich ambitionierter, lobt Holz. Zur Finanzierung des Vorhabens hat die EU-Kommission rund 300 Milliarden Euro aus staatlichen und privaten Quellen für den Zeitraum von 2021 bis 2027 in Aussicht gestellt. Das zeigt: Brüssel sieht die Konnektivität als einen zentralen Baustein seiner geo-ökonomisch orientierten Wirtschaftspolitik – und will hier entsprechend auch schnell Ergebnisse liefern. Im Juni dieses Jahres sollen die ersten Projekte angegangen werden.
Gigantische Brücken- und Autobahn-Bauten wie beispielsweise das BRI-Projekt in Montenegro werden dabei weniger im Fokus stehen. Die EU will eigenen Angaben zufolge primär auf die nachhaltigen Transportmittel setzen. “Man kann davon ausgehen, dass im Rahmen von Global Gateway keine großen Autobahnprojekte auf dem afrikanischen Kontinent gefördert werden”, sagt Holz. Das entspreche nicht dem grünen Anspruch der EU. Die Kommission betonte bei der Vorstellung von Global Gateway, dass die höchsten Standards in Bezug auf Nachhaltigkeit, Governance und Transparenz angelegt würden. Bei deutschen Unternehmen kommt das laut Holz gut an: “Sie wünschen sich alle, dass für diese Projekte hohe Nachhaltigkeitsstandards festgeschrieben werden, weil sie diese besser bedienen können als ihre internationale Konkurrenz.”
Wegen des geringeren Nachhaltigkeitsanspruchs der BRI seien das chinesische Prestigeprojekt und der Vorstoß aus Brüssel aber auch nur bedingt vergleichbar, betont Holz. “Die Ambition ist nicht, dass man die gleiche Menge an Beton verbaut, wie die Chinesen das im Rahmen ihrer Initiative tun.”
Eingebunden werden sollen die privaten Unternehmen durch die neu eingerichtete Business Advisory Group. “Wer in der Gruppe sitzen wird, ist noch nicht klar, das ist noch im Findungsprozess. Derzeit laufen die Verhandlungen und Überlegungen für einen Ansprechpartner in Brüssel für die Unternehmen”, erklärt Holz. In dem Beratungsgremium sollen die Unternehmen dann bei der Auswahl der Projekte und deren Umsetzung ein Mitspracherecht bekommen.
Gerade die Einbindung des Privatsektors sieht Alicia García-Herrero, Chefökonomin für den asiatisch-pazifischen Raum bei der französischen Investmentbank Natixis und Analystin der in Brüssel ansässigen Denkfabrik Bruegel, noch skeptisch. In dieser Hinsicht sei die Initiative der EU bei weitem noch nicht ausgegoren, so García-Herrero. “Es ist nicht klar, wie viel in dieser Initiative Business ist, und wie viel Entwicklungshilfe. Es gibt keine klare Definition.”
Die Beteiligung der privaten Wirtschaft sieht sie derzeit noch eher als Hindernis denn als Vorteil. “Wenn klar ist, wie die geschäftliche Seite aussieht, dann kann man auch erst Vergleiche mit der BRI ziehen”, meint die Analystin. Sie kritisiert, dass zwar der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi an dem Vorstoss beteiligt seien, aber nicht der für Handel zuständige Kommissar Valdis Dombrovskis. Ihrer Ansicht nach brauche es eine präzisere Vorgabe für die Wirtschaft: “Man muss den Unternehmen erklären, wie ihnen geholfen wird, weltweit zu exportieren oder zu investieren.”
Generell begrüßt García-Herrero den Ansatz von Global Gateway, da dieser verschiedene Initiativen unter einem Dach bündele – genau die Vielfältigkeit der angestrebten Projekte könnten ihrer Meinung nach aber ein Nachteil sein. “Im Grunde möchte ich also Gutes für die Welt tun, und das ist toll. Aber bei meinen genauen Zielen bin ich noch verwirrt”, fasst sie die Crux zusammen. Brüssel habe einfach alle Ansätze zusammengepackt und dabei die klare Linie aus den Augen verloren. So viele Partnerschaften und Programme seien in Global Gateway zusammengefasst, dass “niemand wirklich wisse, was sie genau machen werden”. García-Herrero Ratschlag: “Die EU muss spezifischer sein als die BRI, wenn sie damit wirklich konkurrieren will.“
Auch die Finanzierung des Mega-Projekts sei noch unpräzise. “Wir wissen wir nicht, woher diese 300 Milliarden kommen.” Es sei viel Engagement des Privatsektors nötig, um die Investitionssumme zu erreichen, sagt García-Herrero. 135 Milliarden Euro sollen aus dem Europäischen Fonds für nachhaltige Investitionen (EFSD+) bereitgestellt werden, 145 Milliarden Euro von anderen, auch nationalen Finanzinstituten, so etwa von der deutschen Förderbank KfW – von Zusagen ist jedoch noch nichts bekannt.
Ob das EU-Geld in den Empfängerländern dann mehr Zuspruch finden wird als Finanzierung aus Peking, steht noch infrage. Der Ansatz aus Brüssel setzt auf Transparenz und “good governance”. Die Projekte sollen den Menschen vor Ort zugutekommen, betonte EU-Kommissionschefin von der Leyen bei der Vorstellung. Es sei jedoch fraglich, ob die Länder die hohen Standards und Werte, die Global Gateway verbreiten wolle, akzeptierten, warnt García-Herrero. Bestimmte Regierungen seien primär daran interessiert, schnell an Geld für Projekte zu kommen – und wollen sich nicht von der EU die genauen Konditionen vorschreiben lassen. Chinese Kredite könnten für solche Länder deshalb interessanter sein.
Global Gateway ist ein wichtiger Schritt, zweifellos. Die hochgesetzten geo-ökonomischen Ziele erreicht man aber nicht allein durch die Veröffentlichung gigantomanischer Fonds, benötigt wird auch strategisches Vorgehen aus Brüssel.
Das Vokabular der EU-Initiative (“intelligent”, “sauber”, “sicher”) soll den Eindruck erwecken, europäische Projekte seien den BRI-Vorhaben qualitativ vorzuziehen – das entspricht dem europäischen Selbstbild, aber nicht unbedingt der Außenwahrnehmung. Dass der Bau des Flughafens in Berlin 14 Jahre gedauert hat, in Peking aber nur vier, ist auch jenseits der westlichen Welt nicht unbemerkt geblieben.
Gemeinsam mit dem deutschen Europa-Abgeordneten Reinhard Bütikofer wird Alicia García-Herrero bei einer Online-Veranstaltung von Bruegel am Dienstag einen genaueren Blick auf die beiden Infrastruktur-Initiativen aus Brüssel und Peking werfen.
Die ersten freiwilligen Helfer für die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele in Peking (4. bis 20. Februar) befinden sich seit der vergangenen Woche in Isolation. Eine Gruppe von 16 Studentinnen und Studenten bildete die erste Kohorte derjenigen, die in die olympische Blase eintauchen und bis zum Ende ihrer Tätigkeit jeglichen Kontakt mit der zivilen Außenwelt vermeiden müssen. Ziel des Organisationskomitees BOCOG ist es, die Gefahr einer Ausbreitung des Coronavirus weitgehend zu verringern.
Die Olympia-Blase darf nur betreten, wer für die Winterspiele als Organisator, Teilnehmer, Journalist oder Sponsor akkreditiert ist. Wer nicht geimpft ist, muss eine 21-tägige Quarantäne nach der Einreise hinnehmen. Die Sorge ist in Peking einerseits groß, dass die Spiele ein Treiber von Infektionen im Land werden. Andererseits fürchtet die Ausrichterstadt eine maßgebliche Beeinträchtigung der Wettkämpfe durch mögliche Corona-Fälle. Erst am Wochenende hatte es in der rund 120 Kilometer entfernten Hafenstadt Tianjin einen neuen Ausbruch der Seuche gegeben (China.Table berichtete).
Weil Schnittpunkte der olympischen Blase mit der Außenwelt nicht gänzlich vermeidbar sind, gelten spezielle Regeln, an die sich auch die Bürger:innen halten müssen. Beispielsweise sind sie dringend dazu angehalten, bei möglichen Unfällen, an denen Olympia-Fahrzeuge beteiligt sind, nicht zu helfen. Stattdessen sollen die Pekinger umgehend “professionelle Hilfe” anfordern, sollten sie selbst in einen solchen Unfall verwickelt sein oder ihn beobachtet haben. Kontakt mit der anderen Unfallpartei sollen sie ausdrücklich vermeiden.
Die Chance auf einen Unfall mit Beteiligung eines Olympia-Fahrzeugs ist bereits minimiert, weil der olympische Verkehr, wie in allen Ausrichterstädten üblich, eigene Fahrbahnen auf den Straßen zur Verfügung gestellt bekommt. Ab 16. Januar bis 30. März, also mehr als zwei Wochen nach Beendigung der Paralympischen Winterspiele (4. bis 13. März) müssen diese Fahrbahnen von allen nicht-olympischen Fahrzeugen gemieden werden. grz
Die 14-Millionen-Einwohnerstadt Tianjin steht ab sofort unter einem stufenweisen Lockdown. Das Stadtgebiet ist bis auf Weiteres aufgeteilt in
Am Sonntag waren in der Stadt 20 Infektionen mit dem Coronavirus gemeldet worden, am Montag folgten weitere 21 positive Fälle. Es war anfangs allerdings noch unklar, um welche Virus-Variante es sich handelt. Zwei weitere Ansteckungen gab es es in Anyang in der Provinz Henan, das etwa 400 Kilometer von Tianjin entfernt liegt. Sie sollen mit dem Ausbruch in der Hafenstadt in Verbindung stehen.
Einen Monat vor Beginn der Olympischen Winterspiele fürchtet die chinesische Regierung, dass eine Ausbreitung der Krankheit die Ausrichtung der Wettkämpfe stark beeinträchtigen könne. Schon jetzt haben die Behörden strenge Auflagen für die Spiele erlassen. Derweil hat die Null-Toleranz-Strategie gegen Covid-19 jüngst bereits zu Lockdowns in Xi’an und Yuzhou geführt (China.Table berichtete). In Xi’an sind 13 Millionen Menschen betroffen. Am Montag gab es dort 15 Infektionen. Yuzhou hat 1,1 Millionen Einwohner. grz
Mit steigender Fallzahl an Corona-Neuinfektionen sinkt in Hongkong die Quarantäne-Dauer für Kontaktpersonen. Seit Montag müssen enge Kontakte von Infizierten nur noch für 14 statt bislang 21 Tage in die Isolation. Anlass dafür ist die Sorge, dass die Auslastung der Quarantäne-Kapazitäten in der Stadt im Bedarfsfall nicht mehr ausreicht. Auch die kürzere Inkubationszeit der Omikron-Variante rechtfertige die Verkürzung, erklärte das Gesundheitsamt. Am Montag waren 24 Neuinfektionen in der Stadt registriert worden.
In der Praxis bedeutet das für die Betroffenen, dass sie 14 Tage in der Aufnahmestelle Penny’s Bay in einer staatlichen Einrichtung verbringen müssen, ehe sie ihren Gesundheitszustand für eine weitere Woche selbst im Auge behalten sollen. Diese Selbstüberwachung galt bislang nur für Personen, die den vollen Impfschutz vorweisen konnten, jetzt gilt sie auch für Ungeimpfte. Fünf Tage nach der Entlassung aus der Quarantäne wird von jeder Kontaktperson ein weiterer Test in seinem örtlichen Gesundheitszentrum verlangt.
Bei den neu entdeckten Coronavirus-Fällen vom Montag handelte es sich nach offiziellen Angaben um 19 importierte Infektionen und fünf örtlich übertragene. Die Infektionskette einer dieser fünf lokalen Ansteckungen konnten die Behörden bislang nicht hunderprozentig bestimmen. grz
Chinas Bildungssektor steht zu Beginn des Jahres unter Druck. Der größte Anbieter von privater Nachhilfe hat am Wochenende zehntausenden Mitarbeiter:innen gekündigt. Wie der Gründer und Vorsitzende von New Oriental Education auf WeChat mitteilte, habe sein Unternehmen insgesamt 60.000 Entlassungen aussprechern müssen. Die Gewinne seien im vergangenen Jahr um 80 Prozent zurückgegangen, schrieb Yu Minhong weiter.
New Oriental Education & Technology Group Inc. gehört zu den größten Anbietern privaten Nachhilfeunterrichts in China. Die Entlassungswelle zeigt, wie sehr der Sektor unter Druck geraten ist, seit Präsident Xi Jinping im vergangenen Jahr die Vorgaben änderte. Mitte des Jahres setzte die Führung in Peking zu einem wahren Feldzug gegen private Nachhilfe an (China.Table berichtete). Damals handelte es sich um ein Milliardengeschäft. Doch seither ist es den Firmen unter anderem verboten, an Wochenenden oder in den Ferien lehrplanbezogene Nachhilfestunden anzubieten – auch nicht, wie bisher weit verbreitet, über das Internet.
Die Unternehmen mit einem Fokus auf Bildung dürfen zudem nicht mehr gewinnorientiert arbeiten oder an die Börse gehen. Experten gingen damals schon davon aus, dass den Firmen durch die neuen Regeln fast sämtliche Wachstumschancen genommen werden. Und tatsächlich: In der Folge ging der Börsenwert von New Oriental um 90 Prozent zurück, wie der Finanznachrichtendienst Bloomberg berichtet.
Im Jahr 2021 sei New Oriental von vielen unvorhergesehenen Ereignissen getroffen worden, schrieb Yu in einem separaten Eintrag auf WeChat. Angefangen von der Politik über die Pandemie bis hin zu den internationalen Beziehungen. “Große Teile unseres Geschäfts liegen deshalb noch immer im Ungewissen”, schreibt Yu. Dennoch werde sich New Oriental den Herausforderungen stellen und seine Entwicklung allen Schwierigkeiten zum Trotz fortsetzen. Auch nach den Entlassungen vom Wochenende seien laut Yu noch immer rund 50.000 Angestellte und Lehrer bei New Oriental beschäftigt. rad
Pünktlich zu den Olympischen Spielen kommt das Prestigeprojekt der chinesischen Zentralbank (PBOC) in der beliebtesten App des Landes an. Mit der universellen Kommunikations-Anwendung WeChat sind künftig auch Zahlungen mit E-Yuan möglich (China.Table berichtete). Die Nutzung des digitalen Zentralbankgelds wird künftig eine Menüoption im Bereich WeChat Pay der App sein. Auch Konkurrent Alipay ermöglicht jetzt Zahlungen in E-Yuan.
Die digitale Version der chinesischen Währung soll eine Alternative zu unabhängigen Krypto-Währungen sein. Anders als Bitcoin und dergleichen steht sie unter staatlicher Kontrolle. Bisher war die Nutzung nur im Rahmen von Pilotprojekten mit einer eigenen Software (“Wallet”) möglich. fin
“Siemens defends slave labour (again)” titelte der britische Spectator letzte Woche. Die Entstehung dieser Schlagzeile ist ein Lehrstück darüber, was in der chinapolitischen Positionierung von einigen CEOs der Deutschland-AG danebengeht. Was war passiert? Siemens-Chef Roland Busch hatte zum Jahreswechsel in der Süddeutschen Zeitung vor einer “konfrontativen Außenpolitik” gewarnt und mahnte einen “respektvollen Umgang” mit China an.
Eine Sorge führte er sehr konkret aus: “Wenn Exportverbote erlassen werden, könnten diese dazu führen, dass wir keine Solarzellen aus China mehr kaufen können – dann ist die Energiewende an dieser Stelle zu Ende. Wollen wir das wirklich? Es ist doch unser gemeinsames Interesse, den weltweiten CO2-Ausstoß zu verringern”. Busch sprach es nicht direkt an, doch worauf er zielte, waren mögliche Sanktionen gegen Komponenten aus Xinjiang, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie auch mithilfe von Zwangsarbeit produziert werden.
Die Haltung der Amerikaner ist dazu klar: Im Dezember unterzeichnete US-Präsident Biden ein Gesetz, das Importe von Produkten, die in Xinjiang hergestellt wurden oder Komponenten und Materialien aus Xinjiang enthalten, weitgehend verbietet. Die Europäische Kommission ist dagegen skeptisch. Man könne die “US-Gesetzgebung in Europa nicht automatisch replizieren”, heißt es. Ein Importverbot würde nicht verhindern, dass diese Produkte weiter mit Zwangsarbeit hergestellt würden. Die EU-Kommission scheint ein Gesetz mit stärkeren Sorgfaltspflichten der Anbieter zu bevorzugen.
In diese Diskussion platzte Siemens-CEO Busch mit seiner Philippika gegen “Exportverbote”. Dabei hat Busch zumindest recht, was die Abhängigkeiten der Solarbranche von Xinjiang betrifft. Doch für einen Konzern, der eine Geschichte des Einsatzes von Zwangsarbeit hat, ist die Intervention bemerkenswert ungeschickt. Zumal Siemens laut FAZ mit dem chinesischen Rüstungszulieferer China Electronics Technology Group Corporation (CETC) zusammenarbeitet. CETC hat laut Human Rights Watch eine Überwachungs-App entwickelt, mit deren Hilfe Uiguren von der Polizei verfolgt und eingesperrt würden. Da hilft es eher wenig, dass Busch mit Blick auf die Menschenrechte versichert: “Wir halten diese weltweit ein, auch bei unseren Arbeitsplätzen in China”.
Nun rechtfertigt Busch natürlich keine Zwangsarbeit, anders als der Spectator es nahelegt. Es hätte aber viele geschicktere Wege gegeben, Skepsis an Importverboten zu äußern. Mit der ungelenken Art seiner Aussagen hat Busch der Fehlinterpretation seiner Worte Tür und Tor geöffnet. Was bei seiner Aussage etwa fehlt, ist ein explizites Bekenntnis, Menschenrechte auch in den Lieferketten und bei Kooperationspartnern einzuhalten.
Busch fällt auch hinter das zurück, was sein Vorgänger als Siemens-Chef und Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Joe Kaeser, kurz vor Ende seiner Amtszeit im September 2020 formulierte: “Wir beobachten die aktuellen Entwicklungen in Hongkong, aber auch in der Provinz Xinjiang aufmerksam und mit Sorge. Wir lehnen jede Form von Unterdrückung, Zwangsarbeit und Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen kategorisch ab. All das würden wir grundsätzlich weder in unseren Betrieben dulden noch bei unseren Partnern folgenlos hinnehmen.” Für Kaeser, der jahrelang den chinesischen Parteistaat rhetorisch hofiert hatte, war dies eine bemerkenswert klare Formulierung. Busch signalisiert nun, dass er an Kaesers Kritik nicht anknüpfen möchte.
Stattdessen scheint sich Busch den Volkswagen-CEO Diess als Vorbild zu nehmen, den Chef eines weiteren deutschen Weltkonzerns mit Zwangsarbeits-Vergangenheit. Diess hatte 2019 der BBC gesagt, dass er von Umerziehungslagern nicht wisse und “stolz” sei auf die Arbeitsplätze, die Volkswagen in Xinjiang geschaffen habe. Dabei klingt er wie der ehemalige ZEIT-Herausgeber Theo Sommer, der 2019 behauptete, deutsche Unternehmen “können und werden in dem schwierigen Umfeld Xinjiangs einen Beitrag zum ersprießlichen Zusammenleben verschiedener Völkerschaften leisten. Dann werden – wie einst die südafrikanischen Schwarzen von BMW – eines Tages auch die Uiguren sagen können, wer zu den Mitarbeitern der deutschen Firmen gehört, der hat das große Los gezogen”.
Ganz so vehement wie Sommer würden wahrscheinlich nur wenige deutsche CEOs öffentlich argumentieren. Aber allzu oft wirken sie so, als hätten sie selbst das große Los des Kotaus gegenüber der chinesischen Führung gezogen. Der Journalist Robin Alexander berichtet in seinem Buch “Machtverfall” über die deutschen CEOs, die Merkel auf deren letzter China-Reise im September 2019 begleiteten: “Die Bosse haben auf die Kanzlerin eingewirkt, die chinesische Regierung nicht mit einer allzu deutlichen Kritik an der Aussetzung des Basic Law der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong und den Repressionen gegen die dortige Demokratiebewegung zu brüskieren”.
Weiter berichtet der Autor über eine Abstimmung unter den deutschen Managern während besagter Reise, ob sie die Chinesen ihrerseits auf die engere Überwachung von Internetaktivitäten chinesischer Belegschaften in Firmen mit deutscher Beteiligung ansprechen sollten – denn die gefährdet nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern auch deutsche Geschäftsgeheimnisse. Per Handzeichen im Kanzlerflugzeug stimmten die CEOs dagegen. Erschreckend daran ist, dass die Unternehmensführer auch dann gegenüber Peking zu kuschen scheinen, wenn ihre Kerninteressen tangiert sind.
Bei der Suche nach mehr strategischer Klarheit kombiniert mit Rückgrat könnten die CEOs beim BDI fündig werden. Dieser hatte im vergangenen Sommer ein Diskussionspapier über “Außenwirtschaftliche Zusammenarbeit mit Autokratien” zur “Gestaltung der Wirtschaftsbeziehungen im internationalen Systemwettbewerb” veröffentlicht und dabei den Begriff der “verantwortungsvollen Koexistenz” geprägt.
Mehr strategische Klarheit in der Chinapolitik ist auf Seiten von CEOs wie Busch dringend vonnöten, denn die vom Spectator verzerrte menschenrechtliche Komponente ist nicht das größte Problem. Ebenfalls beunruhigend ist, dass Busch die Klimakrise zu instrumentalisieren scheint für einen “Business as Usual”-Kurs gegenüber Peking. Und noch konsternierender ist die Tatsache, dass Busch die Thematik auf die Frage der Menschenrechte reduziert. Dabei geht es im Systemwettbewerb mit Pekings autoritärem Staatskapitalismus um weit mehr.
Zwangsarbeit ist nicht unser Hauptproblem, wenn wir uns bei Kerntechnologien für die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft von Produktion in China abhängig machen, oder wenn sich Unternehmen wie Volkswagen ein Klumpenrisiko China aufhalsen, in dem sie sich über Gebühr vom chinesischen Markt abhängig machen. 2020 unterzeichnete Siemens eine weitreichende “strategische Kooperationsvereinbarung” mit der schon erwähnten China Electronic Technology Group Corporation (CETC). Das Staatsunternehmen ist für das chinesische Militär als Zulieferer von zentraler Bedeutung. Tochterunternehmen von CETC unterliegen bereits US-Sanktionen. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die USA auch die Siemens-Kooperation mit CETC genauer anschauen werden.
Peng Jingtang wird neuer Kommandeur der chinesischen Armee in Hongkong. Der Generalmajor ist stellvertretender Stabschef der Bewaffneten Volkspolizei, einer paramilitärischen Polizeieinheit. Chinesischen Medienberichten zufolge leitete Peng zuvor die Anti-Terror-Einheit “Bergadler” in der Provinz Xinjiang.
Schnell noch eine rote Laterne aufhängen: Diese Schaffnerin schmückt den Schnellzug von Guiyang nach Chengdu. Anlass war das traditionelle Laba-Fest, dass am gestrigen Montag gefeiert wurde. An diesem Tag wird der Ernte des jeweils vergangenen Jahres gedankt. Wichtiger Bestandteil ist der Verzehr von Laba-Brei (腊八粥, làbāzhōu). So ein Hirsebrei ist nicht jedermanns Sache, aber seit Jahrhunderten gelebte Tradition.