am 11. Oktober 1972 haben China und Deutschland offiziell diplomatische Beziehungen miteinander aufgenommen. Und es hat tatsächlich fast genau jener 50 Jahre bedurft, bis die Bundesregierung in Peking erstmals durch eine Frau vertreten wird. Patricia Flor ist erst seit wenigen Monaten auf Posten – und ihr Start war alles andere als gewöhnlich: Wegen der begrenzten Einreisemöglichkeiten flog die Botschafterin mit einem Charterflug nach China und musste noch ohne offizielle Akkreditierung zunächst in Quarantäne. Nun gibt Flor ihr erstes Interview mit einem deutschen Medium: dem China.Table.
Im Gespräch mit Amelie Richter erklärt Berlins erste Frau in der Volksrepublik, wie sie Chinas Zensur umgehen will, welche Rolle die EU bei Deutschlands Haltung gegenüber China spielt und wie eine feministische Außenpolitik Chinas Gesellschaft verändern soll.
Im Jahr 1972 war wirtschaftspolitische Weitsicht offenbar kein deutsches Qualitätsmerkmal. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit China waren eher das Resultat chinesischer Lobbyarbeit als eines entschlossenen deutschen Handelns. Konnte ja auch keiner ahnen, dass nach dem Tod Mao Zedongs binnen weniger Jahrzehnte aus dem Armenhaus der Welt die zweitgrößte Volkswirtschaft erwachsen würde.
50 Jahre danach tappen wir anscheinend immer noch im Dunkeln. Dass sich in China eine Menge Geld verdienen lässt, hat sich zwar herumgesprochen. Aber wie man als liberale Demokratie und von Diktaturen schwer gezeichnetes Land wie unserem mit dem zunehmend lautstark formulierten Führungsanspruch eines autoritären Staates mit ziemlich magerer Bürger- und Menschenrechtsbilanz umgehen soll, ist uns bis heute ein Rätsel.
Michael Radunski zieht deshalb ein kritisches Fazit in seinem Essay zu den komplizierten Beziehungen zwischen Deutschland und China: Wir wissen offenbar selbst nicht, wofür wir stehen wollen. Und solange wir uns darüber nicht im Klaren sind, werden im Umgang mit der Volksrepublik weitere Enttäuschungen folgen.
Ihr Lieblingsrestaurant mit den besten Jiaozi hat Patricia Flor in Peking noch nicht gefunden – für kulinarische Erkundungen blieb in den ersten zwei Monaten der neuen deutschen Botschafterin in Peking kaum Zeit. Vor gut drei Monaten hat die 60-Jährige ihren neuen Posten angetreten. “Ich habe sofort sehr viele meiner Botschafter-Kolleginnen und Kollegen getroffen, was sehr interessant war. Die Botschafter aus hiesigen Ländern, also Indonesien, Malaysia, Singapur, Südkorea haben ihren eigenen Blick auf Dinge. Das war für mich sehr wertvoll.”
Flors Ernennung zur Botschafterin erfolgte unter besonderen Umständen. Die gebürtige Nürnbergerin folgte auf Jan Hecker, der im vergangenen Jahr nach nur wenigen Wochen im Amt überraschend verstorben war. Flors Amtsantritt verlief zudem alles andere als regulär. Wegen der immer noch begrenzten Einreisemöglichkeiten flog die Botschafterin mit einem Charterflug der Auslandshandelskammer nach China. Bevor sie ihre Akkreditierung einreichen konnte, saß sie in ihrer Residenz in Quarantäne.
Mit ihr als erster Frau auf dem höchsten repräsentativen Posten Deutschlands in der Volksrepublik haben sich bereits einige Dinge geändert. Die Botschafterin ist aktiv auf Twitter und in chinesischen sozialen Netzwerken unterwegs. Sie kommentiert und teilt auch kritische Inhalte. In Peking hat sie bereits die deutsche Schule besucht, sich mit dem DAAD und chinesischen Alumni getroffen.
Frau Botschafterin, Sie sind die erste deutsche Vertreterin in China, die sehr aktiv Fotos auf Weibo und Twitter teilt. Warum?
Die deutsche Botschaft war schon vorher auf Weibo, WeChat und auf Toutiao unterwegs und hatte dort bereits rund 800.000 Follower. Insofern war das jetzt kein Neubeginn. Neu ist Twitter, ein Social-Media-Account, der eben auch persönlich mit mir verbunden ist. Ich habe bereits in Japan festgestellt, dass man mit Twitter ein großes Publikum erreicht.
Soziale Medien als Sprachrohre für diplomatische Kommunikation?
Aus meiner Sicht sind wir in China in einem Land, wo es nicht ganz einfach ist, ein breites Publikum mit allen Themen anzusprechen. Deshalb war es mir sehr wichtig, dass wir auch Twitter nutzen. Natürlich setzt das für chinesische Nutzer voraus, dass sie sich über ein VPN zuschalten. Und wir erreichen so auch im Ausland und weltweit viele Menschen über diesen Kanal. Über Twitter können wir auch Inhalte lancieren, die aus den chinesischen Netzwerken relativ schnell verschwinden, weil sie von der Zensur blockiert werden.
Gibt es denn eine Öffentlichkeitsstrategie mit Ihnen als Botschafterin?
Strategische Kommunikation ist in Zeiten von Desinformation wichtiger denn je. Zum einen haben wir ein Interesse daran, die deutsche Außenpolitik in die Öffentlichkeit zu tragen. Zum anderen wollen wir erklären, was in Deutschland im Moment passiert. “Zeitenwende” als Begriff sagt hier in China ja zum Beispiel erst mal niemandem etwas. Das heißt, man muss erläutern, weshalb sich für uns in Deutschland viele Dinge geändert haben – durch Corona, Unterbrechung der Lieferketten, aber eben auch durch den russischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine.
Gibt es ein Ziel hinter der Kommunikation in den sozialen Netzwerken?
Wir wollen unsere Positionen, Werte, Prinzipien und Interessen vermitteln. Und deshalb teile ich auch Inhalte, wie zum Beispiel den Bericht der ehemaligen UN-Kommissarin für Menschenrechte zu Xinjiang, oder zu anderen Menschenrechtsthemen. Auch Themen wie Gleichstellung, Gender, Nichtdiskriminierung, Diversität sind für uns wichtig und wollen wir auch aktiv hier in die gesellschaftliche Diskussion hineingeben. Was für uns auch wichtig ist: globale Themen. Stichwort Klimakrise. Wir haben auf unseren Kanälen jeden Freitag einen Beitrag zur Klimakrise. Denn ich persönlich finde, dass hier in China das Bewusstsein für das Thema noch nicht ausreichend ausgeprägt ist.
Sie haben bereits die deutschen Auslandskorrespondenten, Wirtschaftsvertreter und den DAAD getroffen. Es waren aber auch chinesische Menschenrechtsaktivisten dabei, und Sie haben Fotos davon geteilt. Wollten Sie damit ein Zeichen setzen, gleich zum Beginn Ihrer Amtszeit?
Natürlich. Mir war es wichtig zu kommunizieren, dass dies ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist. Wir suchen den Kontakt und das Zusammentreffen mit allen Vertreterinnen und Vertretern Chinas. Natürlich auch mit den offiziellen Vertreterinnen und Vertretern, mit der Regierung, mit dem Außenministerium und anderen Ministerien, aber auch mit Menschenrechtsaktivistinnen und Menschenrechtsaktivisten in China. Das ist wichtig. In dem genannten Fall ging es um Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger im wörtlichen Sinne, nämlich um Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die sich vor Gerichten hier für Menschenrechte eingesetzt haben. Ich glaube, es ist ganz wichtig, hier zu zeigen: Wir sind mit diesen Vertreterinnen und Vertretern Chinas solidarisch. Wir suchen und pflegen den Kontakt mit ihnen und werden das auch weiter tun. Kurz, Deutschland steht zu seinen Werten und Prinzipien, auch wenn das nicht immer leicht ist.
Sie waren vor Ihrem jetzigen Posten im EU-Dienst in Japan. Wie unterscheidet sich denn die EU-Diplomatie gegenüber der deutschen China-Strategie im Moment?
Aus meiner Sicht sind das zwei Seiten derselben Medaille. Die EU hat 2019 eine Strategie zu China angenommen, in der bereits der Dreiklang festgehalten wurde: China als Partner, aber auch als Wettbewerber und als systemischer Rivale. Dazu kommt natürlich der Rahmen des EU-Binnenmarktes und der EU-Menschenrechtspolitik. Die deutsche Strategie ist eingebettet in diesen EU-Rahmen. Wir sollten nicht vergessen, dass wir gemeinsam stärker sind. Vor allem da, wo wir auch als EU eine gemeinsame Sprache sprechen – Deutschland, alle anderen Mitgliedsstaaten und die EU zusammen, so werden wir auch immer Gehör finden. Wir sollten außerdem das Gewicht des europäischen Marktes nicht unterschätzen. Die Wirtschaftsbeziehungen haben doch einen ganz großen Anteil an unserem Verhältnis zu China.
Wird dieser Dreiklang denn so auch in der deutschen Strategie auftauchen? Und wann können wir mit der China-Strategie aus Berlin rechnen?
Die Strategie wird gerade in Berlin unter Federführung des Auswärtigen Amtes erarbeitet. Zu den Inhalten oder auch zum Zeitpunkt kann ich derzeit noch nichts sagen. Aber wie die Ministerin bereits gesagt hat: China hat sich in den letzten Jahren verändert, daher muss sich auch unser Umgang mit China verändern.
Sie sind in 50 Jahren diplomatischen Beziehungen die erste deutsche Botschafterin in Peking. Was machen Sie anders als Frau?
Grundsätzlich ist es für mich immer wichtig gewesen, dass ich auch öffentlich sehr sichtbar bin. Warum? Die erste deutsche Botschafterin oder die erste Frau auf einem Posten hat immer auch eine Symbolkraft. Man ist Rollenvorbild für viele Frauen in dem jeweiligen Land. Das finde ich sehr wichtig, weil man damit Frauen ermutigt, auch solche Ämter anzustreben. Das ist kein reines Frauenthema, sondern es ist ein Querschnittsthema.
Inwiefern?
Es geht nicht darum, sich nur mit Fragen zu beschäftigen, zu denen speziell Frauen einen Bezug haben. Sondern darum, dass man zum Beispiel die Frage stellt, wie viele Frauen in den Vorständen der chinesischen Unternehmen sind, im Politbüro sitzen oder eine herausragende öffentliche Stellung haben. Das hilft, die gesellschaftliche Diskussion zu Fragen der Gleichstellung in dem jeweiligen Gastland anzureichern und auch zu fördern. Gleichzeitig aber gilt: Ob Mann oder Frau, als Botschafter oder Botschafterin hat man bestimmte Aufgaben und daran ändert sich natürlich durch das Geschlecht nichts. Auch wenn jeder Botschafter oder jede Botschafterin das Amt natürlich mit seiner eigenen oder ihrer eigenen Persönlichkeit prägt.
Sie sehen sich selbst als eine Vertreterin einer feministischen Außenpolitik. Der Begriff wurde auch schon von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verwendet. Warum ist eine feministische Außenpolitik derzeit so wichtig?
Wenn Frauen nicht aktiv beteiligt sind, beispielsweise an Friedensverhandlungen, an Überlegungen darüber, wie Sozialsysteme angepasst werden oder wie die Energiekrise abgefedert werden kann, dann blenden wir die Interessen und Bedürfnisse von 50 Prozent der Bevölkerung komplett aus. Wir wissen aber gleichzeitig, dass gerade Frauen die Hauptbetroffenen sind von Konflikten und von Krieg – dies kann man derzeit in der Ukraine sehen – und dass Friedensabkommen länger halten, wenn Frauen daran beteiligt waren. Deshalb braucht es eine feministische Außenpolitik.
Wie sieht das konkret aus?
In allen Themenbereichen, an welchen wir als Botschaft arbeiten, stellen wir uns die Fragen: Sind hier die Rechte aller, einschließlich der Frauen, aber auch anderer gesellschaftlicher Gruppen, gewahrt? Wie werden sie beteiligt? Sind sie repräsentiert in den Prozessen, um die es hier geht? Bekommen sie auch Ressourcen? Es gibt sehr interessante Studien, die nachgewiesen haben, dass diverse Teams – mit Männern und Frauen, mit Alt und Jung – bessere Ergebnisse bringen. Wenn wir das nicht nutzen, verlieren wir auch im Wirtschaftsleben, in der Forschung und in der Wissenschaft – und bei uns im Auswärtigen Amt.
Mit Diversität sieht es in der chinesischen Führungsriege ja eher mau aus. Wie ist denn die feministische Außenpolitik von Deutschland in China gestaltet? Und was muss dafür auch geändert werden?
In China wurde vor einigen Jahren ein neues Gesetz gegen häusliche Gewalt angenommen. Seit 30 Jahren gibt es auch ein Gesetz zum Schutz von Frauenrechten. Aber wenn man sich andere grundlegende Dokumente ansieht, wie den 14. Fünfjahresplan, dann fällt auf, dort gibt es keine konkreten Frauen- oder gleichstellungsbezogenen Ziele und Indikatoren. Die Frage, wie Gesetze umgesetzt werden und wie die gesellschaftliche Realität aussieht, stellt sich auch hier in China – wie in so vielen anderen Ländern. Auch wir in Deutschland und Europa waren ja vor einiger Zeit noch nicht so weit wie heute, und es bleibt auch bei uns noch einiges zu tun.
Was fällt Ihnen zum Thema Frauenrechte in China besonders auf?
Es gibt sehr traditionelle Rollenbilder in Fragen wie “Wer kümmert sich um die Kinder, wer ist für die Familie zuständig, wer nimmt Elternzeit?” Diese Rollenbilder sind hier noch sehr ausgeprägt. Und es gibt nach wie vor Tabuthemen. Ich werde mich bemühen, diese Themen hier aufzunehmen und den Erfahrungsaustausch mit Frauen in Deutschland und in Europa anzuregen. Denn wir haben ja Instrumente entwickelt, gesetzliche, aber auch andere Vorgaben, mit denen wir die Gleichstellung in der Praxis vorangebracht haben. Und vielleicht würde ein solcher Erfahrungsaustausch ja auch durchaus Anregungen bieten für dieses Land.
Sie blicken mittlerweile auf eine lange Diplomatinnen-Karriere zurück. Sie haben aber auch noch eine Vergangenheit als Journalistin. Gibt es bei Ihnen nicht manchmal die Momente, wo man eben einfach ganz journalistisch nicht um den heißen Brei herumreden und ganz undiplomatisch direkt sagen will, was Sache ist?
Genau das ist der Job von Diplomatinnen und Diplomaten. Es ist ja nicht so, dass man nie Klartext redet. Sondern das Entscheidende ist, dass man als Diplomatin, als Diplomat eben weiß, wann muss ich diplomatisch, vorsichtig oder höflich formulieren und wann ist der Moment, in dem ich Klartext reden kann. Natürlich ist der Unterschied zum Journalismus, dass man eher selten in der Öffentlichkeit Klartext redet. Jedenfalls dann nicht, wenn man weiß, dass man damit eben die andere Seite in einer Weise verletzt, die dann auch die bilateralen Beziehungen beeinträchtigt.
Also nach Außen dann doch lieber die Samthandschuhe?
Für mich als Diplomatin ist immer das Ziel, etwas zu erreichen. Ich war bereits in akuten Konflikten unterwegs, wo es auch darum ging, humanitäre Hilfe an einen umkämpften Ort zu bringen. Wenn diese nur über Kommunikation hinter verschlossenen Türen bewegt werden kann, dann würde ich auf klare Worte verzichten und nicht öffentlich darüber sprechen. Als Diplomatin muss man genau abwägen, wie man mit dem Instrument der Sprache umgeht – denn das ist unsere stärkste Waffe.
Wu Ken mühte sich redlich, als er das Wort an die geladenen Gäste im Ritz Carlton im Herzen Berlins richtete. Eigentlich war es der offizielle Empfang zum chinesischen Nationalfeiertag, doch Chinas Botschafter sprach fast ausschließlich über 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und China. Er lobte den Mut der Anfangsjahre und pries die gedeihliche Zusammenarbeit: So werde heute pro Minute ein Handelsvolumen von fast einer halben Million Euro erreicht, ungefähr das Tausendfache im Vergleich zu den 1970er-Jahren. Für ihn seien die Beziehungen zwischen China und Deutschland wie eine inhaltsreiche und zeitlose CD, die er auch nach unzähligem Hören immer noch gerne abspiele.
Allerdings zeigte sich an diesem Abend auch, dass man auf deutscher Seite derzeit kein gesteigertes Interesse daran hat, in die Jubel-Arien einzustimmen. Ranghöchste Vertreterin des politischen Berlins war Staatsministerin Katja Keul. Ansonsten waren vor allem Größen der Vergangenheit anwesend, wie der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder oder Ex-BND-Chef August Hanning.
Ohnehin hört man von der aktuellen Regierungsriege derzeit vor allem kritische Töne: Wirtschaftsminister Robert Habeck kündigte im Mai auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos an, man werde die Volksrepublik künftig anders behandeln als bisher. Als Grund nannte er unter anderem die Gräueltaten, die Peking an den Uiguren in Xinjiang begehe. Bei Annalena Baerbock klingt es ähnlich: China zeige immer häufiger, dass Regeln nicht unbedingt zu gelten hätten, wenn es um eigene Interessen geht. Dies gefährde die Grundlage für unser gemeinsames, friedliches Leben, sagte die Außenministerin im Juli.
Es ist frostig geworden zwischen China und Deutschland. Selbst Botschafter Wu legte bei seiner Rede ungewollt die Differenzen offen, als er das Logo lobte, dass China angesichts des 50-jährigen Jubiläums entworfen habe. Denn: Deutschland hat ein gänzlich anderes Logo entwerfen lassen für denselben Anlass. Das mag zwar nicht mehr als eine Randnotiz klingen, aber es wirft die Frage auf: Wie will man 50 Jahre gemeinsame Beziehungen feiern, wenn man sich nicht einmal auf ein gemeinsames Logo einigen kann?
Einer, der jene Beziehungen ganz persönlich mitgestaltet hat, ist Volker Stanzel. Der ehemalige deutsche Botschafter in China räumt ein, dass es derzeit schwierig bestellt sei um die chinesisch-deutschen Beziehungen. Das gilt jedoch nicht für die gesamte Gesellschaft: “Wir hören derzeit viel darüber, wie schlecht sich die Beziehungen gestalten. Gleichzeitig sagen unsere Unternehmer, dass es durchaus gut geht und vor allem auch zukünftig weiter gut laufen wird.”
Probleme habe man hingegen in Bereichen, in denen es in der Vergangenheit gut gelaufen sei, die unter Chinas Staatsführer Xi Jinping allerdings radikal beschnitten worden sind: der zivil-gesellschaftliche Austausch, sei es in Kunst, Kultur oder in der Wissenschaft. “Diese Verbindungen sind unter Xi regelrecht ausgedörrt”, sagt Stanzel, der dennoch zur Gelassenheit mahnt. Die Beziehungen zwischen China und Deutschland könne man mit Wellenbewegungen vergleichen: Auf ein Hoch folge nun mal leider auch ein Tief.
Das war seit 1972 so, als alles begann. Damals fädelten der Xinhua-Journalist Wang Shu (王殊) und der mit dem späteren Bundeskanzler gleichnamige CDU-Politiker Gerhard Schröder innerhalb weniger Wochen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen ein (China.Table berichtete). Helmut Schmidt drängte Kanzler Willy Brandt als Minister dazu, ein entsprechendes Angebot der Chinesen anzunehmen. Am 11. Oktober 1972 wurde das offizielle Kommuniqué unterzeichnet.
Es war ein historischer Zufall. Denn obwohl ein regelrechtes Wettrennen nach Peking ausgebrochen war – 1971 wurde China in die UN aufgenommen, im Februar 1972 reiste mit Nixon erstmals ein US-Präsident in die Volksrepublik, im September nahmen Peking und Tokio Beziehungen auf – hatte Deutschland weder ein wirtschaftliches noch ein geopolitisches Interesse an der Volksrepublik. China war bitterarm und seit sechs Jahren im politische Chaos versunken. Nach einer katastrophalen Hungersnot, ein Jahrzehnt zuvor, hatte Mao Zedong Mitte der 1960er-Jahre die Kulturrevolution losgetreten. Rotgardisten wüteten im ganzen Land, Millionen Menschen kamen ums Leben.
Und so lag die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor allem im Interesse Chinas, Peking wollte sich aus der Umklammerung der Sowjetunion lösen und im Westen eine rasche Anerkennung erreichen. “Unsere Beziehungen mit China nahmen dementsprechend einen sehr vorsichtigen Anfang”, formuliert des Stanzel denn auch diplomatisch.
Es folgte der große Aufschwung mit der Reform- und Öffnungspolitik unter Deng Xiaoping. Mutige Unternehmen wie beispielsweise von Volkswagen wagten den Sprung nach China. Doch schon wenige Jahre später schien das Ende gekommen, mit der blutigen Niederschlagung der Proteste rund um den Tian’anmen Platz im Juni 1989. “Damals schien alles kaputtzugehen”, erinnert sich Stanzel. “Wir alle waren tief schockiert und verzweifelt. Keiner von uns wusste, wie es mit China überhaupt weitergehen sollte.” Stanzel selbst wurde 1990 nach Peking geschickt und sollte genau das herausfinden.
Und auch in den 2000er-Jahren folgte auf eine China-Euphorie die große Ernüchterung: China war gerade der Welthandelsorganisation beigetreten – und machte klar, dass Peking sich keinesfalls an die vielen Versprechen bezüglich einer marktwirtschaftlichen Entwicklung halten wollte.
Doch auch wir in Deutschland erlebten wechselnde Haltungen gegenüber China. Um nur zwei durchaus konträre Beispiele zu nennen: Einerseits besuchte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl nur wenige Jahre nach Tianan’men die chinesische Volksbefreiungsarmee. Andererseits wurde der Dalai Lama eingeladen, im Deutschen Bundestag zu sprechen.
Doch nicht nur in der deutschen Politik lassen sich China-Extreme feststellen: Deutschland breites mediales Spektrum zum Beispiel preist an einem Ende intensiv das Wirtschaftswunderland China an, als sei der Pfad in die Zukunft nur an der Hand der Volksrepublik möglich, und warnt an seinem anderen Ende vor der Gefahr aus Fernost.
Manche Unternehmen investieren Milliarden in ihre “zweite Heimat”, andere ziehen sich vorsorglich aus dem Land zurück oder lassen sich gar nicht erst nieder, weil sie unfaire Wettbewerbsbedingungen beklagen. Ein anderes Mal wird der chinesische Film zur Reinkarnation der reinen Cineastik verklärt. Es scheint, als würde Deutschland regelmäßig von einem immer wiederkehrenden Phänomen ergriffen: Chinoiserie – der Inspiration durch ein Land, das einem dennoch fremd ist – in all ihren unterschiedlichen Facetten.
Und so mag nun manch einer bemängeln, dass es zu “50 Jahre diplomatische Beziehungen” keine großen Feiern gab. Ja, es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, den derzeit überaus frostigen Beziehungen zumindest wieder etwas Wärme zu geben.
Doch statt um ein konkretes Datum sollte es in Wirklichkeit um etwas Anderes gehen: um einen wirklichen Austausch. Dazu gehört selbstverständlich die viel zitierte Neugierde. Aber auch eine gewisse Selbstsicherheit. Denn nur, wenn man über sich selbst, seine Werte und seine Ziele im Klaren ist, kann man in einen echten Austausch mit seinem Gegenüber treten. Andernfalls lässt man sich allzu schnell lenken – und auf ungläubige Euphorie folgt zwangsläufig die nächste große Enttäuschung. Seit Monaten wird eine China-Strategie der Bundesregierung angekündigt. Seit Monaten wird sie verschoben.
Nicht von ungefähr hört man immer in Deutschland immer wieder den Vorwurf, China habe einen Plan, den es zielstrebig verfolge. Das ist richtig – und doch wohlfeil. Denn: Statt sich über Chinas Strategie zu beklagen, wäre es höchste Zeit, selbst eine Strategie zu entwickeln. Damit zum nächsten Jubiläum beide Seiten Lust zu feiern haben.
Bundeskanzler Olaf Scholz will am 3. November zu Gesprächen nach Peking reisen, wie Table.Media aus Berliner Politikkreisen erfuhr. Es wäre seine erste China-Reise als Bundeskanzler. Im April hatte er in Ostasien zunächst Japan besucht. Scholz hat gute Chancen, der erste ausländische Regierungschef zu sein, den Präsident Xi Jinping nach seinem großen Parteitag empfängt. Der 20. Parteitag beginnt am kommenden Wochenende; Xi will sich für eine dritte Amtszeit als Parteichef wiederwählen lassen. Zu den Themen des Besuchs werden der Krieg in der Ukraine und Handelsfragen gehören.
Die Visite soll wesentlich kürzer sein als die traditionellen Besuche von Kanzlerin Angela Merkel, die meist mehrere Städte bereiste. Scholz muss wie andere hochrangige Besucher bei der Einreise nicht in Quarantäne, sondern bewegt sich zum Schutz vor Covid-19 in einer Blase. US-Präsident Joe Biden hat China seit Amtsantritt noch nicht besucht. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron war 2019 zuletzt dort. fin
Angesichts der Spannungen mit China hat Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen die kommunistische Führung in Peking vor Fehleinschätzungen und einem militärischen Konflikt gewarnt. “Eine bewaffnete Konfrontation ist absolut keine Option für beide Seiten“, sagte Tsai in Taipeh in einer Rede zum Nationalfeiertag. “Nur indem die Bindung des taiwanischen Volkes an Souveränität, Demokratie und Freiheit geachtet wird, kann es eine Grundlage zur Wiederaufnahme konstruktiver Interaktion über die Taiwanstraße hinweg geben.” Im Juli hatte sich der Inselstaat mit einem großen Militärmanöver und Übungen zum Zivilschutz auf einen möglichen chinesischen Angriff vorbereitet (China.Table berichtete).
Die Warnung erfolgte vor dem anstehenden Parteitag der KP China. Von dem einwöchigen Treffen werden Signale erwartet, wie die chinesische Führung unter Staats- und Parteichef Xi Jinping weiter mit Taiwan umgehen will. China droht mit einer Eroberung der demokratischen Inselrepublik, weil es Taiwan als Teil der Volksrepublik ansieht. Die 23 Millionen Taiwaner hingegen verstehen sich schon lange als unabhängig.
Chinas Führung sollte nicht fälschlicherweise annehmen, dass das taiwanische Volk Kompromisse in seinem Engagement für Demokratie und Freiheit eingehen würden, sagte Tsai und rief zu einer Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Insel auf. Im Hinblick auf Russlands Einmarsch in die Ukraine sowie Chinas militärische Aktivitäten im Ost- und Südchinesischen Meer und gegenüber Taiwan sagte Tsai Ing-wen: “Wir können nicht die Herausforderungen ignorieren, die diese militärischen Expansionen für die freie und demokratische Weltordnung darstellen.” mw
Der Handelsausschuss des Europaparlaments hat seinen Entwurf für ein Instrument gegen wirtschaftlichen Zwang mit großer Mehrheit durchgewunken. Damit hat das sogenannte Anti-Coercion-Instrument, das vor allem gegen China zum Einsatz kommen könnte, am Montag eine wichtige Hürde genommen. Die Abgeordneten des Ausschusses stimmten zudem für eine sofortige Aufnahme von Trilog-Gesprächen mit der EU-Kommission und dem Rat der Mitgliedsländer, um das Handelsinstrument schneller voranzubringen. Eine Abstimmung im Europaparlament entfällt damit.
Die EU-Abgeordneten wollen den Kommissionsvorschlag an einigen Stellen verschärfen (China.Table berichtete): Schon die Androhung von Zwangsmaßnahmen durch Drittstaaten soll nach dem Willen der EU-Abgeordneten ausreichen, damit die EU-Kommission tätig werden kann. Außerdem fordern die EU-Parlamentarier weiterreichende Maßnahmen, um den entstandenen Schaden in einem EU-Land zu kompensieren. Wehren können soll sich die EU gegen aggressiv auftretende Ländern mit höheren Zöllen oder indem deren Unternehmen von öffentlichen Aufträgen in der EU ausgeschlossen werden.
“Wenn Drittstaaten versuchen, durch gezielte Handels-Restriktionen Einfluss auf politische Entscheidungen von Mitgliedstaaten zu nehmen, darf die EU nicht am kürzeren Hebel sitzen”, sagte CDU-Europapolitiker Daniel Caspary. “Auf Handelsblockaden, wie China sie wegen der Eröffnung der Vertretung Taiwans gegen Litauen verhängt hat, kann die EU in Zukunft robust reagieren und Gegenmaßnahmen verhängen.” Eine Einigung des Europaparlaments, der EU-Kommission und des EU-Rats in der Sache wird noch für dieses Jahr erwartet. ari
China mahnt wenige Tage vor dem Parteitag der KP zu Geduld mit seiner strikten Null-Covid-Politik. Die Zahl der lokalen Corona-Fälle ist zuletzt auf den höchsten Stand seit August gestiegen und der Druck auf die Behörden, Ausbrüche so schnell wie möglich zu stoppen, hat in den vergangenen Wochen mit dem Auftauchen der Omikron-Untervarianten BF.7 und BA.5.1.7 wieder zugenommen.
“Die Übertragung und die Pathogenität haben sich nicht abgeschwächt, und es stellt immer noch eine relativ große Gefahr für ältere Menschen und Menschen mit Grunderkrankungen dar“, hieß es in einem Kommentar des Parteiorgans Volkszeitung. “Aus diesem Grund müssen wir weiter wachsam gegenüber der Ausbreitung der Epidemie sein, unser Vertrauen und unsere Geduld in die Seuchenprävention und -bekämpfung in unserem Land stärken.” In der jüngeren Vergangenheit hatte die chinesische Parteiführung die Bevölkerung auf eine langfristige Null-Covid-Normalität aus Lockdowns, Massentests und geschlossenen Grenzen eingestellt (China.Table berichtete).
Tausende von BF.7-Fällen wurden seit dem 1. Oktober aus der Inneren Mongolei gemeldet, was die Region zu Chinas neuestem Covid-Epizentrum macht und zu örtlichen Abriegelungen führte. In den Stadtbezirken Putuo und Changning der Wirtschaftsmetropole Shanghai wurden am Montag Freizeit- und Unterhaltungseinrichtungen gesperrt. In der westlichen Region Xinjiang war ein Ausreiseverbot verhängt worden, nachdem die Zahl der Fälle immer weiter gestiegen war. Gestrandeten Touristen wurde von den Behörden vorübergehend Arbeit als Elektriker, Köche oder Handwerker angeboten. In Yining wurden im vergangenen Monat Menschen in Gewahrsam genommen, die in sozialen Medien kritische Kommentare zum Lockdown in Xinjiang gepostet hatten (China.Table berichtete). mw
Tesla hat in China einen weiteren Rekord erzielt. Im September hat der amerikanische E-Autohersteller 83.135 Fahrzeuge verkauft. Das sind rund acht Prozent mehr als im Vormonat und ein Plus von 48,4 Prozent innerhalb eines Jahres. Damit bricht Tesla seinen bisherigen Rekord an monatlichen Verkäufen von 78.906 Fahrzeugen aus dem Juni dieses Jahres. Die Zahlen wurden von der China Passenger Car Association (CPCA) erhoben.
Grund für den Erfolg von Tesla ist auch die Gigafactory 3 in Shanghai. Man ist damit das einzige ausländische Unternehmen, das eine vollständige Fahrzeugmontage innerhalb Chinas besitzt. Zuletzt hatte man die Einrichtungen in der Freihandelszone Lingang modernisiert und konnte so die Kapazität um etwa 30 Prozent steigern. Tesla kann dort inzwischen pro Jahr etwa eine Million Fahrzeuge des Modells 3 und des Modells Y bauen.
Allerdings herrscht zu den chinesischen Marktführern noch ein gewaltiger Abstand. So verkaufte der chinesische Hersteller BYD im September 200.973 Fahrzeuge – knapp 15 Prozent mehr als noch im August.
Wie die South China Morning Post berichtet, gehen Analysten davon aus, dass Tesla die Preise der in Shanghai hergestellten Fahrzeuge bald senken werde, um sich so einen größeren Anteil am chinesischen Markt für E-Autos zu sichern. rad
Elon Musk sorgt wieder für Aufregung. Nach seinen umstrittenen Vorschlägen zum Ende des Ukraine-Krieges hat der US-Milliardär zu Wochenbeginn mit Ideen zur Lösung des Taiwan-Konflikts für neuen Wirbel gesorgt. Die Regierung in Taipeh nannte am Montag Musks Idee, aus Taiwan eine “Sonderverwaltungszone” unter chinesischer Herrschaft zu machen, “inakzeptabel”.
Aus solchen Vorschlägen sprächen die Geschäftsinteressen des Tesla-Chefs in China. Der kollektive Wille des Volkes in Taiwan würde von Musk hingegen komplett ignoriert, sagte ein Sprecher des Rates für die Beziehungen zu Festlandchina (MAC) in Taipeh. Musk hatte zuvor seine Ideen in einem Interview mit der britischen Zeitung “Financial Times” geäußert. In dem Interview hatte Musk einen Konflikt um Taiwan unausweichlich genannt und seine Sorge gezeigt, dass die Weltwirtschaft einen schweren Schlag erleiden würde.
Ganz anders wurde das Interview hingegen in China aufgenommen. Die Regierung in Peking begrüßte den Vorschlag, der auf einer Linie mit ihrem Lösungsansatz “ein Land, zwei Systeme” liege. Ein Sprecher stellte Taiwan “ein hohes Maß an Autonomie” in Aussicht, sollte sich die Insel als “Sonderverwaltungszone” in die Volksrepublik eingliedern. rad
Ioana Kraft gehörte 2003 auf eine Weise zu den China-Pionieren, deren Bedeutung sich erst im Rückblick erschließt. Sie wurde seinerzeit bei ihrer ersten Ankunft in Shanghai von weißen Gestalten in Ganzkörper-Schutzanzügen empfangen. Damals wütete das erste ursprüngliche SARS (noch ohne “-CoV-2”) in China. “Ich wusste nicht, dass dieses Bild 20 Jahre später unser Leben so prägen würde”, sagt Kraft. Die Da Bai stehen heute ikonisch für die Lockdowns in Shanghai und anderswo. Als Phänomen sind sie jedoch nicht neu, wie Kraft von damals weiß.
Geboren in Rumänien, aufgewachsen in Deutschland und Algerien, heimisch geworden in China. So in etwa lässt sich der Lebensweg von Ioana Kraft in aller Kürze zusammenfassen. Die Juristin leitet seit 2009 das regionale Büro der European Union Chamber of Commerce in Shanghai.
Nach ihrem Jurastudium arbeitete Kraft zunächst am Lehrstuhl für Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung in Düsseldorf. Im Jahr 2003 flatterte dann das Angebot herein, für eine Anwaltskanzlei in Shanghai tätig zu werden. Sie zögerte keinen Moment, stellte sich ihre Ankunft in ihrer neuen Heimat aber gewiss anders vor. Doch auch SARS ging vorüber und ein normales Shanghai-Leben begann – eine Wende, die sie sich heute wieder herbeiwünscht.
Einmal in Shanghai angekommen, führte sie der Weg 2004 zur EU-Handelskammer, wo sie 2009 zur Leiterin des Shanghai-Büros aufstieg. “Was mich fasziniert hat, war die Neugierde der Chinesen auf alles Neue. Es war eine Aufbruchstimmung, wie ich sie noch nie erlebt hatte”, erinnert sich Kraft an jene Zeit, als sie China und speziell die Metropole Shanghai nach und nach für sich entdeckte.
Die EU-Kammer baut ihre Arbeit so ähnlich auf wie etwa die deutschen Auslandshandelskammern, nur mit den Interessen der gesamten Union im Blick. “Wir haben gute Kontakte zu den lokalen Regierungsbehörden und bringen die Probleme und Empfehlungen unserer Mitglieder in regelmäßigen Dialogen vor”, erklärt Kraft.
Dabei müsse die Kammer stets einen konstruktiven Ton anschlagen, damit Empfehlungen auch wirklich in die Tat umgesetzt würden. Die Grenzen für das Shanghai-Büro beginnen dort, wo politische Themen nationale Belange betreffen und entsprechend in Peking behandelt werden.
Wie so viele andere Europäerinnen und Europäer, die aktuell in China tätig sind, berichtet auch sie von den akuten Problemen. “Nicht nur der Ukraine-Krieg, sondern auch Chinas anhaltende Null-Covid-Politik und Themen wie mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen und die Ausübung von Handelszwang auf einzelne Mitgliedsstaaten werden die Beziehungen weiter belasten”, glaubt Kraft.
Allerdings habe die jüngere Vergangenheit auch gezeigt, dass trotz wachsender Meinungsverschiedenheiten auf politischer Ebene der Dialog auf technischer Ebene weiterhin Früchte trägt. Dies betreffe beispielsweise den Bereich der Finanzdienstleistungen sowie die Umsetzung des EU-China-Abkommens zum Schutz der geografischen Angaben (GI). Auch die beidseitige Verpflichtung gehört dazu, Kommunikationsmechanismen zu kritischen Rohstoffen aufzubauen.
Allerdings bleiben nicht zuletzt wegen der strikten Zero-Covid-Politik große Hürden bestehen. Für Kraft, die einst bei ihrer Ankunft von Chinesen in Schutzanzügen begrüßt wurde, hat sich seit Ausbruch der Pandemie auch ihr Bild von Shanghai verändert. “Teil dessen, was mich fasziniert hat, sind leider in den letzten Monaten mit den Covid-Restriktionen verloren gegangen.” Die Stadt sei lethargisch geworden, beobachtet sie.
Andererseits verhalten sich die sonst so distanziert wirkenden Großstädter fürsorglicher und würden nun stärker auf den Zusammenhalt in der Nachbarschaft achten. “Einen solchen Zusammenhalt haben viele nicht erwartet”, sagt Kraft. Auch nach fast 20 Jahren ist die große Metropole immer noch für Überraschungen gut. Constantin Eckner
Julian Thormählen hat bei Airbus als Global Material Manager Final Assembly Line für USA und China angeheuert.
Jürgen Knott hat den Aschaffenburger Automobilzulieferer SAF-Holland verlassen, für den er als China-Chef tätig war. Knott arbeitet künftig für den japanischen Batterie- und Brennstoffzellen-Spezialisten Horiba als Managing Director.
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Zum zehnten Mal in Folge haben Chinas Tischtennis-Herren WM-Gold im Teamwettbewerb gewonnen. Zum sechsten Mal blieb der deutschen Mannschaft während dieser imposanten Serie im Finale nur das Nachsehen. 0:3 unterlagen Dang Qiu (Vordergrund) und die deutsche Nationalmannschaft am Wochenende in Chengdu gegen die unbestritten besten Tischtennisspieler der Welt.
am 11. Oktober 1972 haben China und Deutschland offiziell diplomatische Beziehungen miteinander aufgenommen. Und es hat tatsächlich fast genau jener 50 Jahre bedurft, bis die Bundesregierung in Peking erstmals durch eine Frau vertreten wird. Patricia Flor ist erst seit wenigen Monaten auf Posten – und ihr Start war alles andere als gewöhnlich: Wegen der begrenzten Einreisemöglichkeiten flog die Botschafterin mit einem Charterflug nach China und musste noch ohne offizielle Akkreditierung zunächst in Quarantäne. Nun gibt Flor ihr erstes Interview mit einem deutschen Medium: dem China.Table.
Im Gespräch mit Amelie Richter erklärt Berlins erste Frau in der Volksrepublik, wie sie Chinas Zensur umgehen will, welche Rolle die EU bei Deutschlands Haltung gegenüber China spielt und wie eine feministische Außenpolitik Chinas Gesellschaft verändern soll.
Im Jahr 1972 war wirtschaftspolitische Weitsicht offenbar kein deutsches Qualitätsmerkmal. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit China waren eher das Resultat chinesischer Lobbyarbeit als eines entschlossenen deutschen Handelns. Konnte ja auch keiner ahnen, dass nach dem Tod Mao Zedongs binnen weniger Jahrzehnte aus dem Armenhaus der Welt die zweitgrößte Volkswirtschaft erwachsen würde.
50 Jahre danach tappen wir anscheinend immer noch im Dunkeln. Dass sich in China eine Menge Geld verdienen lässt, hat sich zwar herumgesprochen. Aber wie man als liberale Demokratie und von Diktaturen schwer gezeichnetes Land wie unserem mit dem zunehmend lautstark formulierten Führungsanspruch eines autoritären Staates mit ziemlich magerer Bürger- und Menschenrechtsbilanz umgehen soll, ist uns bis heute ein Rätsel.
Michael Radunski zieht deshalb ein kritisches Fazit in seinem Essay zu den komplizierten Beziehungen zwischen Deutschland und China: Wir wissen offenbar selbst nicht, wofür wir stehen wollen. Und solange wir uns darüber nicht im Klaren sind, werden im Umgang mit der Volksrepublik weitere Enttäuschungen folgen.
Ihr Lieblingsrestaurant mit den besten Jiaozi hat Patricia Flor in Peking noch nicht gefunden – für kulinarische Erkundungen blieb in den ersten zwei Monaten der neuen deutschen Botschafterin in Peking kaum Zeit. Vor gut drei Monaten hat die 60-Jährige ihren neuen Posten angetreten. “Ich habe sofort sehr viele meiner Botschafter-Kolleginnen und Kollegen getroffen, was sehr interessant war. Die Botschafter aus hiesigen Ländern, also Indonesien, Malaysia, Singapur, Südkorea haben ihren eigenen Blick auf Dinge. Das war für mich sehr wertvoll.”
Flors Ernennung zur Botschafterin erfolgte unter besonderen Umständen. Die gebürtige Nürnbergerin folgte auf Jan Hecker, der im vergangenen Jahr nach nur wenigen Wochen im Amt überraschend verstorben war. Flors Amtsantritt verlief zudem alles andere als regulär. Wegen der immer noch begrenzten Einreisemöglichkeiten flog die Botschafterin mit einem Charterflug der Auslandshandelskammer nach China. Bevor sie ihre Akkreditierung einreichen konnte, saß sie in ihrer Residenz in Quarantäne.
Mit ihr als erster Frau auf dem höchsten repräsentativen Posten Deutschlands in der Volksrepublik haben sich bereits einige Dinge geändert. Die Botschafterin ist aktiv auf Twitter und in chinesischen sozialen Netzwerken unterwegs. Sie kommentiert und teilt auch kritische Inhalte. In Peking hat sie bereits die deutsche Schule besucht, sich mit dem DAAD und chinesischen Alumni getroffen.
Frau Botschafterin, Sie sind die erste deutsche Vertreterin in China, die sehr aktiv Fotos auf Weibo und Twitter teilt. Warum?
Die deutsche Botschaft war schon vorher auf Weibo, WeChat und auf Toutiao unterwegs und hatte dort bereits rund 800.000 Follower. Insofern war das jetzt kein Neubeginn. Neu ist Twitter, ein Social-Media-Account, der eben auch persönlich mit mir verbunden ist. Ich habe bereits in Japan festgestellt, dass man mit Twitter ein großes Publikum erreicht.
Soziale Medien als Sprachrohre für diplomatische Kommunikation?
Aus meiner Sicht sind wir in China in einem Land, wo es nicht ganz einfach ist, ein breites Publikum mit allen Themen anzusprechen. Deshalb war es mir sehr wichtig, dass wir auch Twitter nutzen. Natürlich setzt das für chinesische Nutzer voraus, dass sie sich über ein VPN zuschalten. Und wir erreichen so auch im Ausland und weltweit viele Menschen über diesen Kanal. Über Twitter können wir auch Inhalte lancieren, die aus den chinesischen Netzwerken relativ schnell verschwinden, weil sie von der Zensur blockiert werden.
Gibt es denn eine Öffentlichkeitsstrategie mit Ihnen als Botschafterin?
Strategische Kommunikation ist in Zeiten von Desinformation wichtiger denn je. Zum einen haben wir ein Interesse daran, die deutsche Außenpolitik in die Öffentlichkeit zu tragen. Zum anderen wollen wir erklären, was in Deutschland im Moment passiert. “Zeitenwende” als Begriff sagt hier in China ja zum Beispiel erst mal niemandem etwas. Das heißt, man muss erläutern, weshalb sich für uns in Deutschland viele Dinge geändert haben – durch Corona, Unterbrechung der Lieferketten, aber eben auch durch den russischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine.
Gibt es ein Ziel hinter der Kommunikation in den sozialen Netzwerken?
Wir wollen unsere Positionen, Werte, Prinzipien und Interessen vermitteln. Und deshalb teile ich auch Inhalte, wie zum Beispiel den Bericht der ehemaligen UN-Kommissarin für Menschenrechte zu Xinjiang, oder zu anderen Menschenrechtsthemen. Auch Themen wie Gleichstellung, Gender, Nichtdiskriminierung, Diversität sind für uns wichtig und wollen wir auch aktiv hier in die gesellschaftliche Diskussion hineingeben. Was für uns auch wichtig ist: globale Themen. Stichwort Klimakrise. Wir haben auf unseren Kanälen jeden Freitag einen Beitrag zur Klimakrise. Denn ich persönlich finde, dass hier in China das Bewusstsein für das Thema noch nicht ausreichend ausgeprägt ist.
Sie haben bereits die deutschen Auslandskorrespondenten, Wirtschaftsvertreter und den DAAD getroffen. Es waren aber auch chinesische Menschenrechtsaktivisten dabei, und Sie haben Fotos davon geteilt. Wollten Sie damit ein Zeichen setzen, gleich zum Beginn Ihrer Amtszeit?
Natürlich. Mir war es wichtig zu kommunizieren, dass dies ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist. Wir suchen den Kontakt und das Zusammentreffen mit allen Vertreterinnen und Vertretern Chinas. Natürlich auch mit den offiziellen Vertreterinnen und Vertretern, mit der Regierung, mit dem Außenministerium und anderen Ministerien, aber auch mit Menschenrechtsaktivistinnen und Menschenrechtsaktivisten in China. Das ist wichtig. In dem genannten Fall ging es um Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger im wörtlichen Sinne, nämlich um Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die sich vor Gerichten hier für Menschenrechte eingesetzt haben. Ich glaube, es ist ganz wichtig, hier zu zeigen: Wir sind mit diesen Vertreterinnen und Vertretern Chinas solidarisch. Wir suchen und pflegen den Kontakt mit ihnen und werden das auch weiter tun. Kurz, Deutschland steht zu seinen Werten und Prinzipien, auch wenn das nicht immer leicht ist.
Sie waren vor Ihrem jetzigen Posten im EU-Dienst in Japan. Wie unterscheidet sich denn die EU-Diplomatie gegenüber der deutschen China-Strategie im Moment?
Aus meiner Sicht sind das zwei Seiten derselben Medaille. Die EU hat 2019 eine Strategie zu China angenommen, in der bereits der Dreiklang festgehalten wurde: China als Partner, aber auch als Wettbewerber und als systemischer Rivale. Dazu kommt natürlich der Rahmen des EU-Binnenmarktes und der EU-Menschenrechtspolitik. Die deutsche Strategie ist eingebettet in diesen EU-Rahmen. Wir sollten nicht vergessen, dass wir gemeinsam stärker sind. Vor allem da, wo wir auch als EU eine gemeinsame Sprache sprechen – Deutschland, alle anderen Mitgliedsstaaten und die EU zusammen, so werden wir auch immer Gehör finden. Wir sollten außerdem das Gewicht des europäischen Marktes nicht unterschätzen. Die Wirtschaftsbeziehungen haben doch einen ganz großen Anteil an unserem Verhältnis zu China.
Wird dieser Dreiklang denn so auch in der deutschen Strategie auftauchen? Und wann können wir mit der China-Strategie aus Berlin rechnen?
Die Strategie wird gerade in Berlin unter Federführung des Auswärtigen Amtes erarbeitet. Zu den Inhalten oder auch zum Zeitpunkt kann ich derzeit noch nichts sagen. Aber wie die Ministerin bereits gesagt hat: China hat sich in den letzten Jahren verändert, daher muss sich auch unser Umgang mit China verändern.
Sie sind in 50 Jahren diplomatischen Beziehungen die erste deutsche Botschafterin in Peking. Was machen Sie anders als Frau?
Grundsätzlich ist es für mich immer wichtig gewesen, dass ich auch öffentlich sehr sichtbar bin. Warum? Die erste deutsche Botschafterin oder die erste Frau auf einem Posten hat immer auch eine Symbolkraft. Man ist Rollenvorbild für viele Frauen in dem jeweiligen Land. Das finde ich sehr wichtig, weil man damit Frauen ermutigt, auch solche Ämter anzustreben. Das ist kein reines Frauenthema, sondern es ist ein Querschnittsthema.
Inwiefern?
Es geht nicht darum, sich nur mit Fragen zu beschäftigen, zu denen speziell Frauen einen Bezug haben. Sondern darum, dass man zum Beispiel die Frage stellt, wie viele Frauen in den Vorständen der chinesischen Unternehmen sind, im Politbüro sitzen oder eine herausragende öffentliche Stellung haben. Das hilft, die gesellschaftliche Diskussion zu Fragen der Gleichstellung in dem jeweiligen Gastland anzureichern und auch zu fördern. Gleichzeitig aber gilt: Ob Mann oder Frau, als Botschafter oder Botschafterin hat man bestimmte Aufgaben und daran ändert sich natürlich durch das Geschlecht nichts. Auch wenn jeder Botschafter oder jede Botschafterin das Amt natürlich mit seiner eigenen oder ihrer eigenen Persönlichkeit prägt.
Sie sehen sich selbst als eine Vertreterin einer feministischen Außenpolitik. Der Begriff wurde auch schon von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verwendet. Warum ist eine feministische Außenpolitik derzeit so wichtig?
Wenn Frauen nicht aktiv beteiligt sind, beispielsweise an Friedensverhandlungen, an Überlegungen darüber, wie Sozialsysteme angepasst werden oder wie die Energiekrise abgefedert werden kann, dann blenden wir die Interessen und Bedürfnisse von 50 Prozent der Bevölkerung komplett aus. Wir wissen aber gleichzeitig, dass gerade Frauen die Hauptbetroffenen sind von Konflikten und von Krieg – dies kann man derzeit in der Ukraine sehen – und dass Friedensabkommen länger halten, wenn Frauen daran beteiligt waren. Deshalb braucht es eine feministische Außenpolitik.
Wie sieht das konkret aus?
In allen Themenbereichen, an welchen wir als Botschaft arbeiten, stellen wir uns die Fragen: Sind hier die Rechte aller, einschließlich der Frauen, aber auch anderer gesellschaftlicher Gruppen, gewahrt? Wie werden sie beteiligt? Sind sie repräsentiert in den Prozessen, um die es hier geht? Bekommen sie auch Ressourcen? Es gibt sehr interessante Studien, die nachgewiesen haben, dass diverse Teams – mit Männern und Frauen, mit Alt und Jung – bessere Ergebnisse bringen. Wenn wir das nicht nutzen, verlieren wir auch im Wirtschaftsleben, in der Forschung und in der Wissenschaft – und bei uns im Auswärtigen Amt.
Mit Diversität sieht es in der chinesischen Führungsriege ja eher mau aus. Wie ist denn die feministische Außenpolitik von Deutschland in China gestaltet? Und was muss dafür auch geändert werden?
In China wurde vor einigen Jahren ein neues Gesetz gegen häusliche Gewalt angenommen. Seit 30 Jahren gibt es auch ein Gesetz zum Schutz von Frauenrechten. Aber wenn man sich andere grundlegende Dokumente ansieht, wie den 14. Fünfjahresplan, dann fällt auf, dort gibt es keine konkreten Frauen- oder gleichstellungsbezogenen Ziele und Indikatoren. Die Frage, wie Gesetze umgesetzt werden und wie die gesellschaftliche Realität aussieht, stellt sich auch hier in China – wie in so vielen anderen Ländern. Auch wir in Deutschland und Europa waren ja vor einiger Zeit noch nicht so weit wie heute, und es bleibt auch bei uns noch einiges zu tun.
Was fällt Ihnen zum Thema Frauenrechte in China besonders auf?
Es gibt sehr traditionelle Rollenbilder in Fragen wie “Wer kümmert sich um die Kinder, wer ist für die Familie zuständig, wer nimmt Elternzeit?” Diese Rollenbilder sind hier noch sehr ausgeprägt. Und es gibt nach wie vor Tabuthemen. Ich werde mich bemühen, diese Themen hier aufzunehmen und den Erfahrungsaustausch mit Frauen in Deutschland und in Europa anzuregen. Denn wir haben ja Instrumente entwickelt, gesetzliche, aber auch andere Vorgaben, mit denen wir die Gleichstellung in der Praxis vorangebracht haben. Und vielleicht würde ein solcher Erfahrungsaustausch ja auch durchaus Anregungen bieten für dieses Land.
Sie blicken mittlerweile auf eine lange Diplomatinnen-Karriere zurück. Sie haben aber auch noch eine Vergangenheit als Journalistin. Gibt es bei Ihnen nicht manchmal die Momente, wo man eben einfach ganz journalistisch nicht um den heißen Brei herumreden und ganz undiplomatisch direkt sagen will, was Sache ist?
Genau das ist der Job von Diplomatinnen und Diplomaten. Es ist ja nicht so, dass man nie Klartext redet. Sondern das Entscheidende ist, dass man als Diplomatin, als Diplomat eben weiß, wann muss ich diplomatisch, vorsichtig oder höflich formulieren und wann ist der Moment, in dem ich Klartext reden kann. Natürlich ist der Unterschied zum Journalismus, dass man eher selten in der Öffentlichkeit Klartext redet. Jedenfalls dann nicht, wenn man weiß, dass man damit eben die andere Seite in einer Weise verletzt, die dann auch die bilateralen Beziehungen beeinträchtigt.
Also nach Außen dann doch lieber die Samthandschuhe?
Für mich als Diplomatin ist immer das Ziel, etwas zu erreichen. Ich war bereits in akuten Konflikten unterwegs, wo es auch darum ging, humanitäre Hilfe an einen umkämpften Ort zu bringen. Wenn diese nur über Kommunikation hinter verschlossenen Türen bewegt werden kann, dann würde ich auf klare Worte verzichten und nicht öffentlich darüber sprechen. Als Diplomatin muss man genau abwägen, wie man mit dem Instrument der Sprache umgeht – denn das ist unsere stärkste Waffe.
Wu Ken mühte sich redlich, als er das Wort an die geladenen Gäste im Ritz Carlton im Herzen Berlins richtete. Eigentlich war es der offizielle Empfang zum chinesischen Nationalfeiertag, doch Chinas Botschafter sprach fast ausschließlich über 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und China. Er lobte den Mut der Anfangsjahre und pries die gedeihliche Zusammenarbeit: So werde heute pro Minute ein Handelsvolumen von fast einer halben Million Euro erreicht, ungefähr das Tausendfache im Vergleich zu den 1970er-Jahren. Für ihn seien die Beziehungen zwischen China und Deutschland wie eine inhaltsreiche und zeitlose CD, die er auch nach unzähligem Hören immer noch gerne abspiele.
Allerdings zeigte sich an diesem Abend auch, dass man auf deutscher Seite derzeit kein gesteigertes Interesse daran hat, in die Jubel-Arien einzustimmen. Ranghöchste Vertreterin des politischen Berlins war Staatsministerin Katja Keul. Ansonsten waren vor allem Größen der Vergangenheit anwesend, wie der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder oder Ex-BND-Chef August Hanning.
Ohnehin hört man von der aktuellen Regierungsriege derzeit vor allem kritische Töne: Wirtschaftsminister Robert Habeck kündigte im Mai auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos an, man werde die Volksrepublik künftig anders behandeln als bisher. Als Grund nannte er unter anderem die Gräueltaten, die Peking an den Uiguren in Xinjiang begehe. Bei Annalena Baerbock klingt es ähnlich: China zeige immer häufiger, dass Regeln nicht unbedingt zu gelten hätten, wenn es um eigene Interessen geht. Dies gefährde die Grundlage für unser gemeinsames, friedliches Leben, sagte die Außenministerin im Juli.
Es ist frostig geworden zwischen China und Deutschland. Selbst Botschafter Wu legte bei seiner Rede ungewollt die Differenzen offen, als er das Logo lobte, dass China angesichts des 50-jährigen Jubiläums entworfen habe. Denn: Deutschland hat ein gänzlich anderes Logo entwerfen lassen für denselben Anlass. Das mag zwar nicht mehr als eine Randnotiz klingen, aber es wirft die Frage auf: Wie will man 50 Jahre gemeinsame Beziehungen feiern, wenn man sich nicht einmal auf ein gemeinsames Logo einigen kann?
Einer, der jene Beziehungen ganz persönlich mitgestaltet hat, ist Volker Stanzel. Der ehemalige deutsche Botschafter in China räumt ein, dass es derzeit schwierig bestellt sei um die chinesisch-deutschen Beziehungen. Das gilt jedoch nicht für die gesamte Gesellschaft: “Wir hören derzeit viel darüber, wie schlecht sich die Beziehungen gestalten. Gleichzeitig sagen unsere Unternehmer, dass es durchaus gut geht und vor allem auch zukünftig weiter gut laufen wird.”
Probleme habe man hingegen in Bereichen, in denen es in der Vergangenheit gut gelaufen sei, die unter Chinas Staatsführer Xi Jinping allerdings radikal beschnitten worden sind: der zivil-gesellschaftliche Austausch, sei es in Kunst, Kultur oder in der Wissenschaft. “Diese Verbindungen sind unter Xi regelrecht ausgedörrt”, sagt Stanzel, der dennoch zur Gelassenheit mahnt. Die Beziehungen zwischen China und Deutschland könne man mit Wellenbewegungen vergleichen: Auf ein Hoch folge nun mal leider auch ein Tief.
Das war seit 1972 so, als alles begann. Damals fädelten der Xinhua-Journalist Wang Shu (王殊) und der mit dem späteren Bundeskanzler gleichnamige CDU-Politiker Gerhard Schröder innerhalb weniger Wochen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen ein (China.Table berichtete). Helmut Schmidt drängte Kanzler Willy Brandt als Minister dazu, ein entsprechendes Angebot der Chinesen anzunehmen. Am 11. Oktober 1972 wurde das offizielle Kommuniqué unterzeichnet.
Es war ein historischer Zufall. Denn obwohl ein regelrechtes Wettrennen nach Peking ausgebrochen war – 1971 wurde China in die UN aufgenommen, im Februar 1972 reiste mit Nixon erstmals ein US-Präsident in die Volksrepublik, im September nahmen Peking und Tokio Beziehungen auf – hatte Deutschland weder ein wirtschaftliches noch ein geopolitisches Interesse an der Volksrepublik. China war bitterarm und seit sechs Jahren im politische Chaos versunken. Nach einer katastrophalen Hungersnot, ein Jahrzehnt zuvor, hatte Mao Zedong Mitte der 1960er-Jahre die Kulturrevolution losgetreten. Rotgardisten wüteten im ganzen Land, Millionen Menschen kamen ums Leben.
Und so lag die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor allem im Interesse Chinas, Peking wollte sich aus der Umklammerung der Sowjetunion lösen und im Westen eine rasche Anerkennung erreichen. “Unsere Beziehungen mit China nahmen dementsprechend einen sehr vorsichtigen Anfang”, formuliert des Stanzel denn auch diplomatisch.
Es folgte der große Aufschwung mit der Reform- und Öffnungspolitik unter Deng Xiaoping. Mutige Unternehmen wie beispielsweise von Volkswagen wagten den Sprung nach China. Doch schon wenige Jahre später schien das Ende gekommen, mit der blutigen Niederschlagung der Proteste rund um den Tian’anmen Platz im Juni 1989. “Damals schien alles kaputtzugehen”, erinnert sich Stanzel. “Wir alle waren tief schockiert und verzweifelt. Keiner von uns wusste, wie es mit China überhaupt weitergehen sollte.” Stanzel selbst wurde 1990 nach Peking geschickt und sollte genau das herausfinden.
Und auch in den 2000er-Jahren folgte auf eine China-Euphorie die große Ernüchterung: China war gerade der Welthandelsorganisation beigetreten – und machte klar, dass Peking sich keinesfalls an die vielen Versprechen bezüglich einer marktwirtschaftlichen Entwicklung halten wollte.
Doch auch wir in Deutschland erlebten wechselnde Haltungen gegenüber China. Um nur zwei durchaus konträre Beispiele zu nennen: Einerseits besuchte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl nur wenige Jahre nach Tianan’men die chinesische Volksbefreiungsarmee. Andererseits wurde der Dalai Lama eingeladen, im Deutschen Bundestag zu sprechen.
Doch nicht nur in der deutschen Politik lassen sich China-Extreme feststellen: Deutschland breites mediales Spektrum zum Beispiel preist an einem Ende intensiv das Wirtschaftswunderland China an, als sei der Pfad in die Zukunft nur an der Hand der Volksrepublik möglich, und warnt an seinem anderen Ende vor der Gefahr aus Fernost.
Manche Unternehmen investieren Milliarden in ihre “zweite Heimat”, andere ziehen sich vorsorglich aus dem Land zurück oder lassen sich gar nicht erst nieder, weil sie unfaire Wettbewerbsbedingungen beklagen. Ein anderes Mal wird der chinesische Film zur Reinkarnation der reinen Cineastik verklärt. Es scheint, als würde Deutschland regelmäßig von einem immer wiederkehrenden Phänomen ergriffen: Chinoiserie – der Inspiration durch ein Land, das einem dennoch fremd ist – in all ihren unterschiedlichen Facetten.
Und so mag nun manch einer bemängeln, dass es zu “50 Jahre diplomatische Beziehungen” keine großen Feiern gab. Ja, es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, den derzeit überaus frostigen Beziehungen zumindest wieder etwas Wärme zu geben.
Doch statt um ein konkretes Datum sollte es in Wirklichkeit um etwas Anderes gehen: um einen wirklichen Austausch. Dazu gehört selbstverständlich die viel zitierte Neugierde. Aber auch eine gewisse Selbstsicherheit. Denn nur, wenn man über sich selbst, seine Werte und seine Ziele im Klaren ist, kann man in einen echten Austausch mit seinem Gegenüber treten. Andernfalls lässt man sich allzu schnell lenken – und auf ungläubige Euphorie folgt zwangsläufig die nächste große Enttäuschung. Seit Monaten wird eine China-Strategie der Bundesregierung angekündigt. Seit Monaten wird sie verschoben.
Nicht von ungefähr hört man immer in Deutschland immer wieder den Vorwurf, China habe einen Plan, den es zielstrebig verfolge. Das ist richtig – und doch wohlfeil. Denn: Statt sich über Chinas Strategie zu beklagen, wäre es höchste Zeit, selbst eine Strategie zu entwickeln. Damit zum nächsten Jubiläum beide Seiten Lust zu feiern haben.
Bundeskanzler Olaf Scholz will am 3. November zu Gesprächen nach Peking reisen, wie Table.Media aus Berliner Politikkreisen erfuhr. Es wäre seine erste China-Reise als Bundeskanzler. Im April hatte er in Ostasien zunächst Japan besucht. Scholz hat gute Chancen, der erste ausländische Regierungschef zu sein, den Präsident Xi Jinping nach seinem großen Parteitag empfängt. Der 20. Parteitag beginnt am kommenden Wochenende; Xi will sich für eine dritte Amtszeit als Parteichef wiederwählen lassen. Zu den Themen des Besuchs werden der Krieg in der Ukraine und Handelsfragen gehören.
Die Visite soll wesentlich kürzer sein als die traditionellen Besuche von Kanzlerin Angela Merkel, die meist mehrere Städte bereiste. Scholz muss wie andere hochrangige Besucher bei der Einreise nicht in Quarantäne, sondern bewegt sich zum Schutz vor Covid-19 in einer Blase. US-Präsident Joe Biden hat China seit Amtsantritt noch nicht besucht. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron war 2019 zuletzt dort. fin
Angesichts der Spannungen mit China hat Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen die kommunistische Führung in Peking vor Fehleinschätzungen und einem militärischen Konflikt gewarnt. “Eine bewaffnete Konfrontation ist absolut keine Option für beide Seiten“, sagte Tsai in Taipeh in einer Rede zum Nationalfeiertag. “Nur indem die Bindung des taiwanischen Volkes an Souveränität, Demokratie und Freiheit geachtet wird, kann es eine Grundlage zur Wiederaufnahme konstruktiver Interaktion über die Taiwanstraße hinweg geben.” Im Juli hatte sich der Inselstaat mit einem großen Militärmanöver und Übungen zum Zivilschutz auf einen möglichen chinesischen Angriff vorbereitet (China.Table berichtete).
Die Warnung erfolgte vor dem anstehenden Parteitag der KP China. Von dem einwöchigen Treffen werden Signale erwartet, wie die chinesische Führung unter Staats- und Parteichef Xi Jinping weiter mit Taiwan umgehen will. China droht mit einer Eroberung der demokratischen Inselrepublik, weil es Taiwan als Teil der Volksrepublik ansieht. Die 23 Millionen Taiwaner hingegen verstehen sich schon lange als unabhängig.
Chinas Führung sollte nicht fälschlicherweise annehmen, dass das taiwanische Volk Kompromisse in seinem Engagement für Demokratie und Freiheit eingehen würden, sagte Tsai und rief zu einer Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Insel auf. Im Hinblick auf Russlands Einmarsch in die Ukraine sowie Chinas militärische Aktivitäten im Ost- und Südchinesischen Meer und gegenüber Taiwan sagte Tsai Ing-wen: “Wir können nicht die Herausforderungen ignorieren, die diese militärischen Expansionen für die freie und demokratische Weltordnung darstellen.” mw
Der Handelsausschuss des Europaparlaments hat seinen Entwurf für ein Instrument gegen wirtschaftlichen Zwang mit großer Mehrheit durchgewunken. Damit hat das sogenannte Anti-Coercion-Instrument, das vor allem gegen China zum Einsatz kommen könnte, am Montag eine wichtige Hürde genommen. Die Abgeordneten des Ausschusses stimmten zudem für eine sofortige Aufnahme von Trilog-Gesprächen mit der EU-Kommission und dem Rat der Mitgliedsländer, um das Handelsinstrument schneller voranzubringen. Eine Abstimmung im Europaparlament entfällt damit.
Die EU-Abgeordneten wollen den Kommissionsvorschlag an einigen Stellen verschärfen (China.Table berichtete): Schon die Androhung von Zwangsmaßnahmen durch Drittstaaten soll nach dem Willen der EU-Abgeordneten ausreichen, damit die EU-Kommission tätig werden kann. Außerdem fordern die EU-Parlamentarier weiterreichende Maßnahmen, um den entstandenen Schaden in einem EU-Land zu kompensieren. Wehren können soll sich die EU gegen aggressiv auftretende Ländern mit höheren Zöllen oder indem deren Unternehmen von öffentlichen Aufträgen in der EU ausgeschlossen werden.
“Wenn Drittstaaten versuchen, durch gezielte Handels-Restriktionen Einfluss auf politische Entscheidungen von Mitgliedstaaten zu nehmen, darf die EU nicht am kürzeren Hebel sitzen”, sagte CDU-Europapolitiker Daniel Caspary. “Auf Handelsblockaden, wie China sie wegen der Eröffnung der Vertretung Taiwans gegen Litauen verhängt hat, kann die EU in Zukunft robust reagieren und Gegenmaßnahmen verhängen.” Eine Einigung des Europaparlaments, der EU-Kommission und des EU-Rats in der Sache wird noch für dieses Jahr erwartet. ari
China mahnt wenige Tage vor dem Parteitag der KP zu Geduld mit seiner strikten Null-Covid-Politik. Die Zahl der lokalen Corona-Fälle ist zuletzt auf den höchsten Stand seit August gestiegen und der Druck auf die Behörden, Ausbrüche so schnell wie möglich zu stoppen, hat in den vergangenen Wochen mit dem Auftauchen der Omikron-Untervarianten BF.7 und BA.5.1.7 wieder zugenommen.
“Die Übertragung und die Pathogenität haben sich nicht abgeschwächt, und es stellt immer noch eine relativ große Gefahr für ältere Menschen und Menschen mit Grunderkrankungen dar“, hieß es in einem Kommentar des Parteiorgans Volkszeitung. “Aus diesem Grund müssen wir weiter wachsam gegenüber der Ausbreitung der Epidemie sein, unser Vertrauen und unsere Geduld in die Seuchenprävention und -bekämpfung in unserem Land stärken.” In der jüngeren Vergangenheit hatte die chinesische Parteiführung die Bevölkerung auf eine langfristige Null-Covid-Normalität aus Lockdowns, Massentests und geschlossenen Grenzen eingestellt (China.Table berichtete).
Tausende von BF.7-Fällen wurden seit dem 1. Oktober aus der Inneren Mongolei gemeldet, was die Region zu Chinas neuestem Covid-Epizentrum macht und zu örtlichen Abriegelungen führte. In den Stadtbezirken Putuo und Changning der Wirtschaftsmetropole Shanghai wurden am Montag Freizeit- und Unterhaltungseinrichtungen gesperrt. In der westlichen Region Xinjiang war ein Ausreiseverbot verhängt worden, nachdem die Zahl der Fälle immer weiter gestiegen war. Gestrandeten Touristen wurde von den Behörden vorübergehend Arbeit als Elektriker, Köche oder Handwerker angeboten. In Yining wurden im vergangenen Monat Menschen in Gewahrsam genommen, die in sozialen Medien kritische Kommentare zum Lockdown in Xinjiang gepostet hatten (China.Table berichtete). mw
Tesla hat in China einen weiteren Rekord erzielt. Im September hat der amerikanische E-Autohersteller 83.135 Fahrzeuge verkauft. Das sind rund acht Prozent mehr als im Vormonat und ein Plus von 48,4 Prozent innerhalb eines Jahres. Damit bricht Tesla seinen bisherigen Rekord an monatlichen Verkäufen von 78.906 Fahrzeugen aus dem Juni dieses Jahres. Die Zahlen wurden von der China Passenger Car Association (CPCA) erhoben.
Grund für den Erfolg von Tesla ist auch die Gigafactory 3 in Shanghai. Man ist damit das einzige ausländische Unternehmen, das eine vollständige Fahrzeugmontage innerhalb Chinas besitzt. Zuletzt hatte man die Einrichtungen in der Freihandelszone Lingang modernisiert und konnte so die Kapazität um etwa 30 Prozent steigern. Tesla kann dort inzwischen pro Jahr etwa eine Million Fahrzeuge des Modells 3 und des Modells Y bauen.
Allerdings herrscht zu den chinesischen Marktführern noch ein gewaltiger Abstand. So verkaufte der chinesische Hersteller BYD im September 200.973 Fahrzeuge – knapp 15 Prozent mehr als noch im August.
Wie die South China Morning Post berichtet, gehen Analysten davon aus, dass Tesla die Preise der in Shanghai hergestellten Fahrzeuge bald senken werde, um sich so einen größeren Anteil am chinesischen Markt für E-Autos zu sichern. rad
Elon Musk sorgt wieder für Aufregung. Nach seinen umstrittenen Vorschlägen zum Ende des Ukraine-Krieges hat der US-Milliardär zu Wochenbeginn mit Ideen zur Lösung des Taiwan-Konflikts für neuen Wirbel gesorgt. Die Regierung in Taipeh nannte am Montag Musks Idee, aus Taiwan eine “Sonderverwaltungszone” unter chinesischer Herrschaft zu machen, “inakzeptabel”.
Aus solchen Vorschlägen sprächen die Geschäftsinteressen des Tesla-Chefs in China. Der kollektive Wille des Volkes in Taiwan würde von Musk hingegen komplett ignoriert, sagte ein Sprecher des Rates für die Beziehungen zu Festlandchina (MAC) in Taipeh. Musk hatte zuvor seine Ideen in einem Interview mit der britischen Zeitung “Financial Times” geäußert. In dem Interview hatte Musk einen Konflikt um Taiwan unausweichlich genannt und seine Sorge gezeigt, dass die Weltwirtschaft einen schweren Schlag erleiden würde.
Ganz anders wurde das Interview hingegen in China aufgenommen. Die Regierung in Peking begrüßte den Vorschlag, der auf einer Linie mit ihrem Lösungsansatz “ein Land, zwei Systeme” liege. Ein Sprecher stellte Taiwan “ein hohes Maß an Autonomie” in Aussicht, sollte sich die Insel als “Sonderverwaltungszone” in die Volksrepublik eingliedern. rad
Ioana Kraft gehörte 2003 auf eine Weise zu den China-Pionieren, deren Bedeutung sich erst im Rückblick erschließt. Sie wurde seinerzeit bei ihrer ersten Ankunft in Shanghai von weißen Gestalten in Ganzkörper-Schutzanzügen empfangen. Damals wütete das erste ursprüngliche SARS (noch ohne “-CoV-2”) in China. “Ich wusste nicht, dass dieses Bild 20 Jahre später unser Leben so prägen würde”, sagt Kraft. Die Da Bai stehen heute ikonisch für die Lockdowns in Shanghai und anderswo. Als Phänomen sind sie jedoch nicht neu, wie Kraft von damals weiß.
Geboren in Rumänien, aufgewachsen in Deutschland und Algerien, heimisch geworden in China. So in etwa lässt sich der Lebensweg von Ioana Kraft in aller Kürze zusammenfassen. Die Juristin leitet seit 2009 das regionale Büro der European Union Chamber of Commerce in Shanghai.
Nach ihrem Jurastudium arbeitete Kraft zunächst am Lehrstuhl für Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung in Düsseldorf. Im Jahr 2003 flatterte dann das Angebot herein, für eine Anwaltskanzlei in Shanghai tätig zu werden. Sie zögerte keinen Moment, stellte sich ihre Ankunft in ihrer neuen Heimat aber gewiss anders vor. Doch auch SARS ging vorüber und ein normales Shanghai-Leben begann – eine Wende, die sie sich heute wieder herbeiwünscht.
Einmal in Shanghai angekommen, führte sie der Weg 2004 zur EU-Handelskammer, wo sie 2009 zur Leiterin des Shanghai-Büros aufstieg. “Was mich fasziniert hat, war die Neugierde der Chinesen auf alles Neue. Es war eine Aufbruchstimmung, wie ich sie noch nie erlebt hatte”, erinnert sich Kraft an jene Zeit, als sie China und speziell die Metropole Shanghai nach und nach für sich entdeckte.
Die EU-Kammer baut ihre Arbeit so ähnlich auf wie etwa die deutschen Auslandshandelskammern, nur mit den Interessen der gesamten Union im Blick. “Wir haben gute Kontakte zu den lokalen Regierungsbehörden und bringen die Probleme und Empfehlungen unserer Mitglieder in regelmäßigen Dialogen vor”, erklärt Kraft.
Dabei müsse die Kammer stets einen konstruktiven Ton anschlagen, damit Empfehlungen auch wirklich in die Tat umgesetzt würden. Die Grenzen für das Shanghai-Büro beginnen dort, wo politische Themen nationale Belange betreffen und entsprechend in Peking behandelt werden.
Wie so viele andere Europäerinnen und Europäer, die aktuell in China tätig sind, berichtet auch sie von den akuten Problemen. “Nicht nur der Ukraine-Krieg, sondern auch Chinas anhaltende Null-Covid-Politik und Themen wie mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen und die Ausübung von Handelszwang auf einzelne Mitgliedsstaaten werden die Beziehungen weiter belasten”, glaubt Kraft.
Allerdings habe die jüngere Vergangenheit auch gezeigt, dass trotz wachsender Meinungsverschiedenheiten auf politischer Ebene der Dialog auf technischer Ebene weiterhin Früchte trägt. Dies betreffe beispielsweise den Bereich der Finanzdienstleistungen sowie die Umsetzung des EU-China-Abkommens zum Schutz der geografischen Angaben (GI). Auch die beidseitige Verpflichtung gehört dazu, Kommunikationsmechanismen zu kritischen Rohstoffen aufzubauen.
Allerdings bleiben nicht zuletzt wegen der strikten Zero-Covid-Politik große Hürden bestehen. Für Kraft, die einst bei ihrer Ankunft von Chinesen in Schutzanzügen begrüßt wurde, hat sich seit Ausbruch der Pandemie auch ihr Bild von Shanghai verändert. “Teil dessen, was mich fasziniert hat, sind leider in den letzten Monaten mit den Covid-Restriktionen verloren gegangen.” Die Stadt sei lethargisch geworden, beobachtet sie.
Andererseits verhalten sich die sonst so distanziert wirkenden Großstädter fürsorglicher und würden nun stärker auf den Zusammenhalt in der Nachbarschaft achten. “Einen solchen Zusammenhalt haben viele nicht erwartet”, sagt Kraft. Auch nach fast 20 Jahren ist die große Metropole immer noch für Überraschungen gut. Constantin Eckner
Julian Thormählen hat bei Airbus als Global Material Manager Final Assembly Line für USA und China angeheuert.
Jürgen Knott hat den Aschaffenburger Automobilzulieferer SAF-Holland verlassen, für den er als China-Chef tätig war. Knott arbeitet künftig für den japanischen Batterie- und Brennstoffzellen-Spezialisten Horiba als Managing Director.
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Zum zehnten Mal in Folge haben Chinas Tischtennis-Herren WM-Gold im Teamwettbewerb gewonnen. Zum sechsten Mal blieb der deutschen Mannschaft während dieser imposanten Serie im Finale nur das Nachsehen. 0:3 unterlagen Dang Qiu (Vordergrund) und die deutsche Nationalmannschaft am Wochenende in Chengdu gegen die unbestritten besten Tischtennisspieler der Welt.