Table.Briefing: China

Eberhard Sandschneider + Europäische Fürsprecher + Null-Covid und Lieferketten

  • Interview mit Eberhard Sandschneider zu den Risiken für Taiwan
  • Wahlausgänge in Ungarn und Serbien in Pekings Sinne
  • Corona-Maßnahmen stören Lieferketten und Produktion
  • Guangzhous Bürger rechnen mit baldigem Lockdown
  • Ratifizierung von Konventionen zur Zwangsarbeit
  • Drogeriekette Müller bietet Zahlung per Alipay+
  • Bericht zur Zwangsarbeit in der Alu-Produktion
  • London erlaubt Übernahme von Halbleiter-Fabrik
  • Corona-Blase soll Produktion bei CATL aufrechterhalten
  • Von der Leyen kündigt Treffen zu Global Gateway an
  • Im Portrait: Gunnar Wiegand – EEAS-Direktor für Asien und Pazifik
Liebe Leserin, lieber Leser,

wie gefährdet ist Taiwan? Darüber haben wir mit Eberhard Sandschneider gesprochen. Der ehemalige Professor der FU Berlin ist einer der profiliertesten Experten für Sicherheitspolitik – und für das chinesische Militär. Eine baldige Invasion der Insel befürchtet Sandschneider zwar nicht: Das Risiko sei zu hoch, sich mit den USA anzulegen, erklärt er Michael Radunski. Doch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten könnte es durchaus zu einem amerikanisch-chinesischen Krieg kommen. Da die Volksbefreiungsarmee zudem intern und extern immer stärker wird, kann dann doch noch eine Katastrophe drohen.

Gute Nachrichten für Peking gab es derweil aus Ungarn und Serbien. Mit Viktor Orbán und Aleksandar Vučić konnten zwei sehr China-freundliche Politiker die jeweilige Parlamentswahl gewinnen. Die Europäische Kommission könnte damit ungewollt Ungarn weiter in Richtung Volksrepublik treiben. Auch Serbien sieht derweil nicht mehr Russland, sondern zunehmend China als “neuen besten Freund” im Osten. Doch noch ist diese Entwicklung nicht vorgezeichnet. Vor allem ein Land, das derzeit selbst eine Wende in Bezug auf China vollzieht, könnte noch entscheidenden Einfluss nehmen: Deutschland.

Zudem blicken wir auf die strenge Null-Covid-Politik der Pekinger Regierung. Diese wird zunehmend ein Problem für die Lieferketten und Produktion. Auch Fabriken in Jiangsu, das an Shanghai grenzt, spüren schmerzhaft den Lockdown, schreibt Christiane Kühl. Überregionale Transporte sind schwierig und der Frust bei ausländischen Unternehmen steigt. Neben den gestörten Abläufen seien die Reisebeschränkungen das Schlimmste, erklärten Vertreter der EU-Kammer und AHK unserer Autorin. Denn diese bedeuten: keine Fabrikbesuche, keine Geschäftstreffen und keine Reisen in die Heimat.

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

Ihre
Amelie Richter
Bild von Amelie  Richter

Interview

“Die Zeit für Chinas Militär ist gekommen”

Eberhard Sandschneider ist Partner bei Berlin Global Advisors.
Eberhard Sandschneider ist
Partner bei Berlin Global Advisors

Herr Sandschneider, der Krieg in der Ukraine ist noch nicht zu Ende, da sieht so mancher Experte schon den nächsten Kampf bevorstehen: China wird die Ablenkung des Westens mit Russland nutzen und Taiwan endlich zurück ins Mutterland holen. Teilen Sie diese Befürchtung?

Nein, so verlockend dieser Vergleich und die Parallelen für manchen sein mag, die Ausgangslage in Asien ist doch eine völlig andere. Taiwan verfügt über die am besten ausgerüstete und die am besten ausgebildete Armee im West-Pazifik. China würde sich eine sehr blutige Nase holen. Hinzu kommt der Taiwan Relations Act, durch den die USA eng mit Taiwan verbunden sind. Es gibt ein Beistandsversprechen. Chinas Präsident Xi Jinping ist sich dieses Risikos bewusst. Insofern sind die aktuellen Spekulationen über einen möglichen Angriff Chinas auf Taiwan wirklich fehl am Platz. Das kann ich mir nicht vorstellen.

Nicht vorstellen? Gleiches hätte man vor einigen Wochen wohl auch über einen möglichen Angriff Russlands auf die Ukraine gesagt. Die Realität ist eine andere.

Ja, es stimmt, man soll niemals nie sagen. Und man muss tatsächlich mit solchen Aussagen vorsichtig umgehen, aber so wie ich die Lage einschätze, mache ich mir um die Sicherheit Taiwans derzeit keine allzu großen Sorgen.

In Bezug auf Putin heißt es nun: Hätten wir ihm mal genau zugehört, dann wären wir jetzt nicht so überrascht. Er hat doch deutlich gesagt, was er von der Ukraine hält. Und auch Xi Jinping lässt keinen Zweifel an seinen Absichten aufkommen: Taiwan gehört zu China und muss zurück zum Mutterland.

Absolut richtig. Deshalb spreche ich auch nur vom Jetzt. Wer sich die chinesischen Pläne anschaut, weiß, dass sich die kritische Phase für Taiwan bis ins Jahr 2049 erstreckt. Und dass Xi Jinping die Ambitionen hat, ähnlich Großes zu erreichen wie Mao oder Deng Xiaoping steht außer Frage.

Also doch ein Risiko?

Das Risiko ist da. Deshalb müssen wir tun, was wir im Falle der Ukraine versäumt haben: Unmissverständlich klarmachen, dass der Westen entschlossen und geschlossen reagieren würde. US-Präsident Joe Biden hat in diesem Zusammenhang zu Recht die strategische Ambivalenz seiner Vorgänger abgeräumt und klargestellt, dass man im Falle eines chinesischen Angriffs Taiwan militärisch zur Seite stehen würde.

Lassen wir mal kurz die politische Komponente beiseite und schauen auf das Militär: Wie sähe es da mit einem Angriff auf Taiwan aus?

Es gibt unzählige Simulationen, die zeigen, wie ein chinesischer Angriff auf Taiwan aussehen könnte. Alles liegt auf dem Tisch bis ins kleinste Detail, von einer Internetblockade bis hin zu einer Seeblockade. Und in all diesen Szenarien wäre China derzeit der Verlierer.

Tatsächlich? In welcher Verfassung befindet sich denn das chinesische Militär?

Es holt dramatisch schnell auf. Wir alle waren dieses Jahr doch überrascht, dass der Militäretat nur moderat ansteigt. In den Jahren davor ist das Budget mal um 11 Prozent, mal um 17 Prozent gewachsen. Wenn man das in US-Dollar übersetzt, sind das offiziell rund 230 Milliarden Dollar – pro Jahr.

Klingt viel. Ist im Vergleich zu den USA mit seinen Militärausgaben von rund 770 Milliarden US-Dollar aber doch deutlich weniger.

Stimmt. Aber die Entwicklung ist eindeutig und schnell. Zu Beginn des Reformprozesses wurde das Militär hinten angestellt, allerdings verbunden mit dem Versprechen: Wenn die wirtschaftliche Leistung es hergibt, bekommt ihr Geld und Aufmerksamkeit. Das ist jetzt der Fall, wie beispielsweise die Liaoning zeigt. Chinas erster Flugzeugträger aus ursprünglich russischen Beständen, der zweite stammt aus Chinas Eigenproduktion. Sechs weitere sollen gebaut werden.

Dennoch gilt vielen die Volksbefreiungsarmee aber als schwach und in ihrer Struktur veraltet. Wo liegen die Probleme?

Die Volksbefreiungsarmee hat einen riesigen Wasserkopf, nämlich das überdimensionierte Landheer, welches zudem technisch nicht einmal sonderlich gut ausgestattet ist. Aber täuschen Sie sich nicht. Die Zeit für Chinas Militär ist gekommen. Der Umbau läuft, die Schwerpunkte liegen mittlerweile auf Marine, Luftwaffe, Weltraumrüstung und Cyberwar. Also auf Bereichen, in denen sie relativ schnell den amerikanischen Streitkräften großen Schaden zufügen können.

Das ist das große Ziel?

Ja. China misst sich nur mit einem Land, den USA. Aktuell hat China eine Militärbasis im Ausland, in Djibouti. Die Angaben zu den US-Stützpunkten variieren, je nachdem, welche Maßstäbe man an eine Militäreinrichtung anlegt. Zurückhaltend gezählt sind es 163 Basen, auf der gesamten Welt verteilt. Das muss für China wie eine Einkreisung wirken. Und deshalb wird China neue Militärstützpunkte im Ausland aufbauen.

Was glauben Sie, wo das sein wird?

Es gibt eine ganze Reihe an ausgebauten Tiefseehäfen, die sich anbieten, zum Beispiel in Hambantota auf Sri Lanka. Der chinesische Bau des dortigen Tiefseehafens ist doch aberwitzig. Bevor China kam, landeten dort vielleicht mal fünf Schiffe im Jahr an. Aber der Hafen liegt geostrategisch ideal für chinesische Kriegsschiffe. Oh, ich sehe schon. Jetzt werden Sie das gleich wieder kritisieren.

Okay, dann mache ich das. Eine Militarisierung der Seewege kann nicht im Interesse des internationalen Freihandels sein.

Richtig, aber hier geht es um Chinas Interessen. Betrachten Sie es mal welthistorisch: Ein Land von dieser Größe, mit diesem wirtschaftlichen Erfolg über viele Jahre hinweg, das übersetzt irgendwann zwangsläufig wirtschaftliche Stärke in militärische Macht. Das Versprechen, das Deng Xiaoping einst den chinesischen Generälen gegeben hat, wird nun umgesetzt.

Das wird zwangsläufig zu Reibereien mit der Weltmacht USA führen.

Das wird nicht dazu führen, das ist schon jetzt der Fall. Was derzeit im Südchinesischen Meer passiert, ist nur ein harmloses Vorgeplänkel. Die Konflikte werden zunehmen, so wie China sein gesteigertes Selbstbewusstsein immer mehr nach außen tragen wird.

So mancher fürchtet, dass auch einem Zwischenfall im Südchinesischen Meer unversehens mal ein Krieg zwischen den USA und China entstehen kann.

Aktuell wäre es nicht ratsam für China, einen Konflikt mit den USA einzugehen. Das werden sie auch nicht tun. Aber Sie haben recht. Ben Hodges, der ehemalige Oberkommandierende der US-Streitkräfte, wird nicht müde, darauf hinzuweisen, er rechne in den nächsten zehn Jahren mit einem Krieg zwischen China und den USA. Das wäre dann der Dritte Weltkrieg.

Sie sind da entspannter?

Na ja. Aus meiner Sicht gibt es vor allem zwei Gefahren: das Zufallsrisiko und das Risiko einer falschen Perzeption, wenn man die andere Seite falsch einschätzt und dann Fehler macht. So wie es aktuell mit Putin der Fall ist. Aber ich bleibe dabei: Derzeit schätzt Xi Jinping das Risiko richtig ein. Nur ob das in zehn Jahren noch so ist, weiß ich nicht.

Das Problem hierbei: Bei einem möglichen Konflikt gibt es zwei Seiten.

Ja, und genau das bereitet mir dann doch ein paar Sorgen. Die China-Debatte in den USA hat enorm an Schärfe gewonnen. Es gibt kaum einen Politiker, der China nicht als die größte Herausforderung der Zeit ansieht. Und im Unterschied zu Deutschland und Europa beinhaltet das auch immer die militärische Komponente. Ich war bei einer Diskussionsrunde im Dirkson Senate Building in Washington D.C., da sagte eine US-Kollegin: War is not the worst option – Krieg ist nicht die schlechteste Option. Ich dachte, ich höre nicht richtig. Mir hat es total die Sprache verschlagen. Aber um mich herum hat keiner auch nur gezuckt.

Eberhard Sandschneider war von 1998 bis 2020 Professor für Politik Chinas und internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin. Von 2003 bis 2016 war er zudem Otto-Wolff-Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Inzwischen ist er Partner bei der Beratungsfirma “Berlin Global Advisors”.

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Analyse

Ungarn und Serbien bleiben auf Peking-Kurs

Viktor Orbán, Ungarn und Aleksandar Vučić, Serbien bei der Eröffnung einer Teilstrecke der Schnelltrasse Budapest-Belgrad Mitte März - die Trasse wird von China finanziert.
Viktor Orbán und Aleksandar Vučić bei der Eröffnung einer Teilstrecke der Schnelltrasse Budapest-Belgrad Mitte März.

In Wochen der angespannten Kommunikation zwischen der EU und China dürften die aktuellen Nachrichten aus Ungarn in Peking zumindest zu einem kleinen Aufatmen geführt haben. Ministerpräsident Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei konnten bei der Parlamentswahl in Ungarn vor gut einer Woche einen großen Sieg einfahren – und der Volksrepublik bleibt damit der eifrigste Unterstützer innerhalb der Europäischen Union erhalten. 

Orbán tritt nun bereits seine fünfte Amtszeit an, im Parlament hält seine Partei zwei Drittel der Sitze und damit eine “Supermehrheit”. China werde Ungarn weiterhin dabei unterstützen, den “selbst gewählten Entwicklungsweg zu bewahren”, sagte Chinas Außenminister Wang Yi beim Gratulations-Telefonat mit seinem ungarischen Kollegen Péter Szijjártó vergangene Woche. Peking hofft – oder pocht – also auf eine Fortsetzung der bisherigen China-Politik. Mit Orbán an der Spitze stehen die Chancen dafür jedenfalls gut.

China war kein Wahlkampfthema

Dabei hatte es 2021 und zu Beginn dieses Jahres zeitweise danach ausgesehen, dass die China-kritische Opposition bei der Parlamentswahl dieses Mal eine reale Chance gegen Orbán hat. Die Bauabsichten für einen Ableger der chinesischen Fudan-Universität in Budapest führten zu Protesten.

Die Opposition habe die Regierung aus diesem Anlass erstmals mit der China-Frage konfrontiert, erklärt Roland Freudenstein, Vizepräsident und Leiter des Brüsseler Büros des zentraleuropäischen Thinktanks Globsec. “Aber in den ersten Monaten des Jahres 2022 gelang es Fidesz dank ihrer überwältigenden Dominanz im Medienraum und der russischen Invasion in der Ukraine, die Themen der öffentlichen Debatte vor den Wahlen festzulegen, und China war kein Teil davon”, sagt Freudenstein gegenüber China.Table.

Nach dem Wahlerfolg sei Orbán “wie auf Steroiden”, sagt Freudenstein – ein Abrücken von der bisherigen China-Politik sei unwahrscheinlich. Eher im Gegenteil: “Er wird versuchen, bei den meisten seiner Politikstrategien noch eines draufzusetzen. Einschließlich bei seiner Idee, dass ein zunehmend totalitäres China die Zukunft und der ‘alte Westen’ die Vergangenheit ist.” Ungarn diene China als Trojanisches Pferd in der EU, so Freudenstein.

Zukunft des Fudan-Campus noch unklar

Ein mächtiges Werkzeug der Softpower wäre dabei der Fudan-Campus mitten in der ungarischen Hauptstadt. Das Schicksal des Milliarden-Projekts ist derzeit noch unklar. Der Bürgermeister von Budapest, Gergely Karácsony, hat genügend Stimmen für ein Referendum gesammelt, um den Bau noch abzuwenden (China.Table berichtete). Lokalen Medienberichten zufolge könnte die Abstimmung frühestens im Sommer stattfinden. Vermutet wird ein Termin im Oktober – falls das von Fidesz dominierte Parlament dem Referendum zustimmt.

Globsec-Büroleiter Freudenstein geht davon aus, dass der Fudan-Ableger gebaut wird. “Gerade, weil sich Fidesz so unangreifbar fühlt.” Das könnte sich aber noch ändern: Ungarn schlittere unter anderem wegen der möglichen Kürzung von EU-Geldern aus rechtsstaatlichen Gründen in große finanzielle Schwierigkeiten, warnt Freudenstein. Ungarn muss sich als erstes EU-Land wegen möglicher Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit einem Verfahren stellen.

Die EU-Kommission wirft Orbáns Regierung vor, EU-Mittel in dunklen Kanälen versickern zu lassen. Der langwierige Mechanismus, den Brüssel vergangene Woche gegen Budapest eingeleitet hat, könnte dazu führen, dass Ungarns jährlicher Anteil am EU-Haushalt in Höhe von 6,14 Milliarden Euro eingefroren wird.

Die geschmälerten finanziellen Aussichten könnten dazu führen, dass Budapest sich nach anderen Geldgebern umsieht, erklärt Matej Šimalčík geschäftsführender Direktor der Denkfabrik Central European Institute of Asian Studies: “Das kann Ungarn natürlich näher an China als alternative Finanzierungsquelle heranführen”, sagt Šimalčík der Zeitung South China Morning Post.

China ersetzt Russland als Serbiens wichtigster Partner

Und auch aus Ungarns Nachbarland Serbien gab es Anfang April gute Nachrichten für Peking. Dort konnte sich Präsident Aleksandar Vučić eine weitere Amtszeit sichern. Vučić und Orbán waren Mitte März sogar zusammen auf Wahlkampftour – bei der Eröffnung der Schnellbahnstrecke von Belgrad nach Novi Sad. Mit der neuen Zugverbindung gehe Serbien Schritte “in die Zukunft”, freute sich Vučić bei der Einweihung des ersten Teilabschnitts der von China finanzierten Schnellbahntrasse.

Angesichts der russischen Invasion in der Ukraine werde China für den Nicht-EU-Staat Serbien immer wichtiger, erklärte der Politikwissenschaftler Vuk Vuksanovic vom Thinktank Belgrade Centre for Security Policy schon vor der Wahl: “Tatsächlich bietet der Krieg in der Ukraine Serbien die Gelegenheit, die bereits vor dem Krieg verfolgte Politik, Russland durch China als wichtigsten nicht-westlichen Partner Serbiens zu ersetzen, fortzusetzen und zu verstärken”, schreibt Vuksanovic in The Diplomat.

Spätestens seit dem Beginn der Covid-19-Pandemie habe Serbien Russland schrittweise durch China als seinen “besten Freund im Osten” ersetzt, so der Politikwissenschaftler. Er nennt ein anschauliches Beispiel: Serbiens Präsident Vučić küsste aus Dankbarkeit für Pekings medizinische Hilfe die chinesische Flagge – medizinische Hilfe aus Russland wurde nicht mit der gleichen Begeisterung aufgenommen. “Diese Episode zeigte, dass Peking über Ressourcen verfügte, die Moskau nicht hatte, und deckt das verborgene Misstrauen zwischen Serbien und Russland auf”, sagt Vuksanovic.

Chinesische Luftabwehr-Systeme in Belgrad?

Serbien erhält derzeit auch militärische Unterstützung aus Peking: Am Wochenende wurden sechs Y-20-Transportflugzeuge der chinesischen Luftwaffe auf dem Zivilflughafen von Belgrad gesichtet, wie staatliche und westliche Medien berichteten. Sie sollen das chinesische Boden-Luft-Raketensystem HQ-22 nach Serbien geliefert haben, schreibt die chinesische Zeitung Global Times. Die offiziell zunächst nicht bestätigte Waffenlieferung über das Territorium von mindestens zwei Nato-Mitgliedstaaten, der Türkei und Bulgarien, wurde von Beobachtern als Pekings Demonstration für seinen wachsenden globalen Einfluss angesehen.

Russlands Krieg in der Ukraine entwickelt sich mehr und mehr zu einem Wendepunkt für die China-Beziehungen in Ost- und Mitteleuropa. Die Forderung nach einer Neubewertung der Abhängigkeit von anderen autokratischen Regimen, allen voran China, wird zunehmend lauter. Ungarn scheint sich dem EU-Trend allerdings zu widersetzen. Orbán stimmte zwar für EU-Sanktionen gegen Russland, zog dann jedoch eine rote Linie als es um Waffentransporte durch ungarisches Territorium ging. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte Orbán während des letzten EU-Gipfels explizit für seine unklare Haltung gerügt.

Durch sein Verhalten isoliere sich Orbán noch weiter innerhalb der EU, schlussfolgert die Plattform China Observers in Central and Eastern Europe (Choice). Er könne seine Verbindungen zu autoritären Regimen immer weniger als Druckmittel einsetzen. Bemerkenswert im Zusammenhang sei die “aktuelle Neukalibrierung der außenpolitischen Agenda Berlins“, meinen die Mitarbeiter von Choice. Da Deutschland Ungarns Wirtschaftspartner Nummer eins bleibe, komme Berlin in den außenpolitischen Überlegungen Budapests eine besondere Rolle zu. Deutschlands Haltung gegenüber China signalisiert also, wie viel Spielraum Orbán in seinem Spagat haben wird.

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Null-Covid: Reiseprobleme und gestörte Lieferketten

Firmen in ganz China leiden zunehmend unter den Omikron-Ausbrüchen im Land. Die strikten Null-Covid-Maßnahmen stören Lieferketten und Produktion. Mitarbeiter oder Logistiker können von einem Tag auf den anderen nicht mehr aufs Werksgelände. Oder sie dürfen plötzlich Stadt- oder Distriktgrenzen nicht mehr überschreiten. In Shanghai kommt die allgegenwärtige Angst vor einem positiven Coronatest und der damit einhergehenden Isolation in einem der riesigen Quarantänezentren der Stadt hinzu.

Einschränkungen gibt es inzwischen im ganzen Land. Überregionale Transporte sind schwierig, weil alle Gebiete umfahren werden müssen, die als “mittleres Risiko” oder “hohes Risiko” eingestuft sind. Durchquere ein Fahrer ein solches Gebiet, erzeuge der Health Code in seinem Smartphone automatisch ein Sternchen, erklärt Jens Hildebrandt, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Außenhandelskammer (AHK) für Nordchina. “Das bedeutet, der Fahrer würde dann am nächsten Ort – also dort, wo er von der Autobahn abfährt – mit Quarantäne rechnen müssen.”

Auch halten Covid-Tests bei Warensendungen den Transport auf. “Container sind teilweise wegen solchen Tests einen Monat länger im Hafen oder im Stau an der Grenze, etwa zwischen China und Kasachstan”, sagt Hildebrandt gegenüber China.Table. Die Empfänger der Ware – also beispielsweise eine deutsche Firma in China – müssten strikte Desinfektionsmaßnahmen einhalten. Dazu gehören die keimfreie Reinigung aller Transportboxen sowie regelmäßige Coronavirus-Tests des dafür zuständigen Personals. “Diese Regelung variiert von Provinz zu Provinz. In den letzten Wochen wurden die Prozesse besonders in den Provinzen Jiangsu und Shandong verschärft.” Das desinfizierende Personal müsse sich dort getrennt von anderen Mitarbeitern halten. Ziel sei eine sogenannte “Closed Loop”, aus der keine Krankheitserreger herauskommen können. Ansonsten müsse die gesamte Warensendung beim Empfänger zehn Tage in Quarantäne.

Auch an Chinas Häfen und Flughäfen bleibt Fracht hängen. Vor allem im abgeriegelten Shanghai arbeiten die beiden Häfen Yangshan und Waigaoqiao mit reduzierter Kapazität. Schlimmer aber sind die Tests sowie massive Beschränkungen beim Abtransport einkommender Ware auf der Straße. Beim Export sei aus den umliegenden Provinzen Shanghais von Versuchen zu hören, auf den Tiefseehafen von Ningbo auszuweichen, berichtet Hildebrandt. “Inwieweit das klappen wird, bleibt abzuwarten.”

China: Steigende Fallzahlen, wachsende Sorgen der Firmen

Die Gesundheitskommission in Peking meldete am Mittwoch mit mehr als 20.000 Fällen landesweit einen Höchststand. Allein am Hotspot Shanghai kamen mehr als 17.000 Ansteckungen hinzu. Das war ein neuer Hochstand. Die Mehrheit sind zwar weiterhin asymptomatische Fälle. Doch wegen der strikten Null-Covid-Politik in China befinden sich die Metropolen Shanghai, Changchun und Shenyang mit ihren insgesamt rund 38 Millionen Einwohnern im Lockdown. In vielen anderen Städten gibt es weitere Restriktionen.

Mehr als die Hälfte (51 Prozent) der deutschen Firmen in China haben vergangene Woche in einer AHK-Blitzumfrage Behinderungen bei Logistik und Lagerhaltung gemeldet. Ganze 46 Prozent leiden unter Störungen der Lieferketten. Dabei haben nach Angaben der AHK vor allem Firmen der Branche Maschinenbau und Industrieanlagen Probleme. Für 54 Prozent waren in diesem Sektor Logistik und Lagerhaltung beeinträchtigt, für 55 Prozent die Lieferketten. Das bedeutet zum Beispiel, dass wichtige Vorprodukte bei den Fabriken nicht ankommen. Ebenfalls stark betroffen ist laut AHK die Automobil- und Mobilitätsbranche. Kleinere Firmen leiden laut AHK zudem generell stärker als Großunternehmen, da ihre Kapazitäten zur Anpassung geringer sind.

In Shanghai dürfen allerdings nur noch wenige Branchen überhaupt produzieren, wie Bettina Schön-Behanzin von der EU-Kammer in Shanghai am Mittwoch auf einem Webinar der Kammer (EUCCC) berichtete. Zu den arbeitsfähigen Sektoren gehören Lebensmittel, Pharmazie und Chemie. “Ein Chemiewerk kann man ja nicht einfach herunterfahren”, so Schön-Behanzin. Bedingung sei in Shanghai wie anderswo die Closed Loop: Mitarbeiter übernachten tagelang auf dem Firmengelände und rotieren dann. “Wir hören, dass es immer weniger Freiwillige für diese Closed Loops gibt”, sagt Schön-Behanzin.

EU-Kammer: Störungen in ganz China

Das Webinar brachte die lokalen Vorsitzenden aller Kammer-Standorte in China zusammen. Ihre Anekdoten unterschieden sich, doch die wichtigsten Sorgen waren die gleichen. Die Lieferketten der Provinz Jiangsu nahe Shanghai mit ihren vielen Produktionsstandorten leide mit unter dem Lockdown der Metropole, sagte etwa Andreas Risch, EU-Kammerchef in der Provinzhauptstadt Nanjing. Jiangsu ist eine Hochburg deutscher Firmen; viele Mittelständler fertigen dort. Risch berichtete über einen Flickenteppich unterschiedlicher Zugangsregeln oder Quarantänevorschriften in den verschiedenen Standorten. “Eine Harmonisierung wäre gut.”

Das Joint Venture von BMW in Shenyang habe in Closed Loop produziert, solange es möglich war, erzählt Harald Kumpfert, Kammerchef in Shenyang. Doch dann musste es wegen der Störungen in der Lieferkette stoppen. Lieferprobleme aber sind laut Kumpfert nun schon wieder zweitrangig. “Denn niemand kann überhaupt zur Arbeit kommen.” Seit zwei Wochen ist Shenyang im Lockdown; Straßen dürfen nur mit Sondererlaubnis befahren werden.

Im Südwesten Chinas gebe es bislang kaum lokale Fälle und Einschränkungen, erzählte Massimo Bagnasco, EU-Kammervorsitzender in Chengdu. Aber es gebe “ein Gefühl der Unsicherheit über die künftige Entwicklung.” Die Sorge ist groß, dass die Omikron-Welle von der Ostküste herüberschwappen könne. Mehrere Unternehmen seien ohnehin landesweit aktiv. “Diese sind bereits von den Lieferkettenproblemen betroffen.”

Firmen in China akzeptieren Corona-Politik

Grundsätzlich gibt es bei den Betrieben in China laut Hildebrandt trotz allem Akzeptanz für die Covid-Maßnahmen. “Frust entsteht vor allem, wenn es kurzfristige Änderungen gibt und diese nicht transparent sind – Unternehmen sich also nur reaktiv darauf einstellen können.” Neben den immer wiederkehrenden Einschränkungen vor Ort in China bereiten den Unternehmen vor allem die Einreisebeschränkungen große Kopfschmerzen, so Hildebrandt. “Es gibt so gut wie keinen geschäftlichen Austausch vor Ort mehr.”

Ähnlich äußerten sich die EU-Vertreter quer durchs Land: Die Reisebeschränkungen seien mit das Schlimmste. Keine Fabrikbesuche, keine persönlichen Verhandlungen mit Kunden, kein Heimaturlaub: Weder im Land noch ins Ausland kann man reisen. Die bekannten Probleme durch die Beschränkungen würden immer größer, sagten sie. Die Schwierigkeiten, Talente anzuwerben und zu halten, der Mangel an persönlicher Kontaktpflege, die Entkopplung vom Hauptquartier in Europa mitsamt eines gewissen Vertrauensverlustes. Die Kammerchefs vor Ort fordern angesichts der Situation vor allem eins: Den Einsatz besserer Impfungen in China.

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News

Hinweise auf Lockdown: Hamsterkäufe in Guangzhou

Die 16-Millionen-Metropole Guangzhou stellt sich als nächste chinesische Großstadt auf einen Lockdown ein. Die Stadtverwaltung hat für den Bezirk Baiyun bereits eine lange Liste von Kontrollmaßnahmen erlassen. Zudem wurden im gesamten Stadtgebiete Pandemie-Packs mit Masken und Schnelltests an die Haushalte verteilt. Grundschulen wechseln auf Distanzunterricht. Die Stadt kann nur noch bei Vorlage eines negativen Testergebnisses verlassen werden. Besonders ominös: Im Pazhou International Convention and Exhibition Center entsteht eine riesige Quarantäne-Einrichtung – zusätzlich zu bestehenden Isolationszentren.

Massentestungen in Guangzhou: Die Stadt bereitet sich auf einen Lockdown vor.
Shanghai? Nein, Guangzhou.

Viele Bürger von Guangzhou reagierten mit Hamsterkäufen. Die Bilder und Berichte vom Lockdown in Shanghai, wo Lebensmittel knapp sind, veranlassten die Menschen dazu, sich möglichst umfangreich mit Vorräten einzudecken. Aktuelle Videos von leeren Supermarktregalen sorgen für weitere Nervosität. Die Behörden versichern derweil, es gebe ausreichend Lebensmittel für alle – und befeuern damit wohl eher noch das Misstrauen.

Derweil startete in Guangzhou die erste Runde von Massentests – wie in Shanghai zur Anlaufphase des großen Lockdowns. Vor den Entnahmestellen der Proben bildeten sich lange Schlangen. Und die Behörden schickten einige Stadtviertel bereits in den Vor-Lockdown. Auch in Shanghai hatte sich die Situation schrittweise verschärft.

Damit reagierte die Stadtverwaltung von Guangzhou auf bisher 22 bestätigte Coronavirus-Fälle. Da die Omikron-Variante von Sars-CoV-2 hochansteckend ist, könnten die laufenden Massentests eine ganze Reihe von symptomfreien Fällen zutage fördern. Diese würden nach Null-Covid-Logik einen Lockdown nötig machen.

Shanghais KP-Chef wird auf der Straße beschimpft

Insgesamt verdichtet sich der Eindruck, dass andere chinesischen Metropolen vom Debakel in Shanghai lernen. Während dort die Hunde von Covid-positiven Bürgern auf offener Straße getötet werden, betreibt Shenzhen ein Quarantänezentrum für Haustiere. Während in Shanghai die Verteilung von Lebensmitteln nicht klappt, boostert die Provinz Guangdong ihre Lieferfahrer.

Aus Shanghai sind derweil abermals beunruhigende Entwicklungen zu hören. Die Zahl der binnen Tagesfrist bestätigten Infektionen stieg am Montag auf 26.087. Am Sonntag lag die Zahl noch knapp unter 25.000. Die Quarantänelager werden zum Teil als chaotisch und verschmutzt beschrieben. Parteisekretär Li Qiang musste sich auf offener Straße wegen der schlechten Versorgungslage beschimpfen lassen.

Die Stadt begann bezirksweise mit vorsichtigen Lockerungen, um den Druck etwas abzubauen. Sie führte dazu drei Risikokategorien ein und kündigte eine “situationsbezogene Anpassung der Maßnahmen” an. Noch am Montag veröffentlichen die Bezirke Jing’an im Zentrum und Jinshan im Südwesten Listen von Compounds mit ihrer Einstufung. Diese befanden sich zunächst mehrheitlich in den Kategorien eines “mittleren” und “hohen” Risikos. Noch ist unklar, wo die Bewohner freigegebener Compounds nach der Lockerung hingehen dürfen.

Der Lockdown in der überforderten Stadt ist gekennzeichnet von persönlichen Tragödien. Viel Aufmerksamkeit erhielt der Fall der Mutter des in Hongkong tätigen Ökonomen Larry Hsien Ping Lang. Offenbar verstarb sie in einer Notaufnahme, weil sich im Krankenhaus vier Stunden niemand um sie gekümmert hatte. Sie konnte keinen negativen Test vorlegen. fin

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China will Konventionen über Zwangsarbeit ratifizieren

China will offenbar nächste Woche während eines Treffens seiner obersten Legislative zwei Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über Zwangsarbeit ratifizieren. Das Vorhaben gilt als wichtiger Schritt zur Verbesserung der Beziehungen zu Europa.

Einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua zufolge, würden während einer Sitzung des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses die Konvention über Zwangsarbeit von 1930 und die Konvention zur Abschaffung der Zwangsarbeit von 1957 ratifiziert. Die Entscheidung wurde laut Xinhua am Montag bekannt gegeben.

Die beiden Konventionen gehören zu den größten Streitpunkten in den nun schon fast acht Jahre andauernden Verhandlungen über das umfassende Investitionsabkommen zwischen der EU und China (CAI) – über das Ende 2020 eigentlich eine grundsätzliche Einigung erzielt wurde. In der im Dezember 2020 veröffentlichten Vereinbarung hatte China zugestimmt, die Ratifizierung der beiden ILO-Konventionen als Kompromiss über Zwangsarbeit voranzutreiben.

Das CAI-Abkommen ist allerdings in der Schwebe, seit sich Brüssel und Peking im vergangenen Jahr gegenseitig mit Sanktionen belegt haben. Ausgangspunkt sind Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang, die China allerdings vehement bestreitet.

China hatte damals weitreichende Sanktionen gegen EU-Diplomaten, Gesetzgeber und Forscher verhängt, was das Europäische Parlament dazu veranlasste, die Ratifizierung des Investitionsabkommens auszusetzen (China.Table berichtete). Die Zeitung “South China Morning Post” zitierte einen EU-Beamten, der sagte, dass das Investitionsabkommen “keine Chance hat, solange es Sanktionen” gegen Mitglieder des Europäischen Parlaments gäbe. In dem Bericht wird auch Francesca Ghiretti von der deutschen Denkfabrik Merics, zitiert. Sie ist überzeugt, dass die Ratifizierung der Konventionen “nicht ausreichen” werde, um das CAI freizuschalten. Es wäre allerdings ein “wichtiges Signal Chinas an die EU” nach dem von Misstrauen geprägten bilateralen Gipfel Anfang des Monats (China.Table berichtete). rad

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Alipay gewinnt neuen Partner in Deutschland

Alipay+ (支付宝 zhīfùbǎo) ist eine Partnerschaft mit der deutschen Drogerie-Kette Müller eingegangen. Damit können Kunden von nun an ihren Einkauf über den digitalen Zahlungsdienst der chinesischen Ant Group bezahlen. Die Ant Group ist eine Tochterfirma des chinesischen Konzerns Alibaba. Alipay ist mit rund 640 Millionen aktiven Nutzern der führende Bezahldienst in China.

Die Integration von Alipay+ im Kassenterminal erfolgt über epay, welches die Annahme von mobilen Zahlungen über QR- und Barcodes in den Märkten ermöglicht. Kunden, die mit Alipay+ bezahlen wollen, müssen auf ihrem Smartphone den zugeordneten QR-Code öffnen. Das Kassenpersonal scannt den Code, und der zu zahlende Betrag wird direkt in der App angezeigt und muss vom Kunden bestätigt werden.

Schon seit September 2021 können Kunden des Discounters Aldi Süd das mobile Zahlverfahren Alipay nutzen. Aldi Süd war damals der erste Lebensmitteleinzelhändler in Deutschland, der das Online-Bezahlsystem der chinesischen Ant Group anbot. Datenschützer warnen jedoch vor den Bezahl-Apps aus China. International tätige chinesische Anbieter wie Alipay oder auch Wechat Pay seien dem Zugriff nationaler Geheimdienste und Sicherheitsbehörden ausgesetzt. rad

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Verdacht auf Zwangsarbeit bei Auto-Zulieferern

Die Beratungsfirma Horizon bringt die Herstellung von Aluminium in der Region Xinjiang mit Zwangsarbeit in Verbindung. Falls die Darstellung richtig ist, drohen auf längere Sicht Auswirkungen auf die deutsche Autoindustrie, die Vorprodukte aus dem Metall von chinesischen Zulieferern beziehen. Horizon zufolge könnten acht führende Aluminium-Produzenten vom “Arbeitskräftetransfers” des Aufbau- und Produktionscorps in Xinjiang profitieren. Das gehe aus Regierungs- und Firmendokumenten hervor. Die Beratungsfirma gibt aber ausdrücklich zu, keine harten Belege für den Einsatz von Zwangsarbeit zu haben.

Als Beispiel nennt der Horizon-Bericht die Firma Xinjiang Zhonghe 新疆众和. Es handelt sich um einen staatseigenen und militärnahen Betrieb aus Urumqi. Er nimmt an Berufsausbildungsprogrammen für Wanderarbeiter teil, die unter Menschenrechtsexperten keinen guten Ruf genießen. Xinjiang Zhonghe beliefert Autozulieferer wie Beijing WKW Automotive Parts. WKW wiederum produziert für VW, BMW, BYD und Nio. Die EU plant in ihrem Lieferkettengesetz eine Sorgfaltspflicht für Menschenrechtsaspekte in der Produktion (China.Table berichtete). fin

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Großbritannien erlaubt Übernahme von Chip-Fabrik

In Großbritannien ist ein politischer Disput über die Übernahmepläne für die Mikrochip-Fabrik Newport Wafer Fab losgebrochen. Die britische Regierung hatte den umstrittenen Verkauf der walisischen Halbleiter-Fabrik an Nexperia, einer niederländischen Tochtergesellschaft der chinesischen Wingtech-Gruppe, genehmigt. Im Juli 2021 hatte London den Nationalen Sicherheitsberater Sir Stephen Lovegrove beauftragt, den Deal zu überprüfen (China.Table berichtete). Lokale Medien berichteten nun, Lovegrove sei zu dem Schluss gekommen, dass es nicht genügend Sicherheitsbedenken gegeben habe, um den Verkauf zu blockieren. Newport Wafer Fab ist eine der wenigen Anlagen in Großbritannien, die noch Halbleiter herstellen. Wann genau die Übernahme vonstattengehen wird, war zunächst nicht öffentlich bekannt.

Bei der Überprüfung des Deals sei eine zu enge Definition für “nationale Sicherheit” verwendet worden, kritisierte unter anderem der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des britischen Unterhauses, Tom Tugendhat. “Während wir Deutschland und andere drängen, aus russischem Gas auszusteigen, erscheint es seltsam, dass wir China erlauben, Halbleiterunternehmen in Großbritannien zu kaufen”, so Tugendhat. Der konservative Politiker kritisierte, dass unter dem seit Januar in Kraft getretenen National Security and Investment Act die Übernahme nicht nochmals näher untersucht wurde. “Die Regierung hat keine klare Strategie, um die Überreste unserer Halbleiterindustrie zu schützen”, so Tugendhat. ari

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Batterie-Hersteller führt Corona-Blase für Arbeitskräfte ein

Contemporary Amperex Technology Limited (CATL) hat in seinem Hauptwerk in Ningde ein “Closed-Loop-Management”-System eingeführt. Damit soll die Produktion aufrechterhalten werden, während das Land mit scharfen Lockdowns gegen weitere Coronavirus-Ausbrüche kämpft. CATL ist der weltweit größte Lieferant von Elektroauto-Batterien, unter anderem für den US-Autobauer Tesla.

“Um die Versorgung des Marktes bestmöglich zu gewährleisten, haben wir strenge Netzmanagementmaßnahmen für den ordnungsgemäßen Betrieb der Produktionsbasis in Ningde ergriffen”, sagte ein Vertreter des Unternehmens. Man habe das System am Samstagabend eingeführt.

Das “Closed-Loop-Management”-Verfahren ähnelt einer Blase, in der die Arbeiter isoliert schlafen, leben und arbeiten, um die Übertragung von Viren zu verhindern. Ein ähnliches System wurde bei den Olympischen Winterspielen in Peking eingesetzt, um das Veranstaltungspersonal sowie Athleten und andere Angereiste von der Öffentlichkeit abzuschotten.

In Shanghai konnte das Joint Venture von General Motors mit einem solchen System trotz hartem Lockdown die Produktion aufrechterhalten. Tesla und Volkswagens Joint Venture mit SAIC Motor mussten hingegen ihren Betrieb einstellen, da der Lockdown weiter gilt. In der 25-Millionen-Metropole fürchten sich immer mehr Menschen vor einer Einlieferung in eines der städtischen Quarantänezentren (China.Table berichtete). rad/rtr

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EU kündigt Treffen zu “Global Gateway” an

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat für Juni ein großes Treffen zur Infrastruktur-Initiative und selbst ernannter “Belt and Road”-Alternative “Global Gateway” angekündigt. Zu der Veranstaltung Ende Juni würden rund 2.500 Teilnehmer in Brüssel erwartet, teilte die EU-Kommission am Montag mit. Online sollen sich demnach weitere 10.000 Menschen dem Hybrid-Event im Rahmen der Europäischen Entwicklungstage (EDD) zuschalten, hieß es in der Ankündigung. Wer die Teilnehmer genau sein werden, ließ die Brüsseler Behörde zunächst noch offen.

Die Europäische Kommission will bei dem Treffen auch ihre Strategie zur Mobilisierung von Investitionen für “Global Gateway” überprüfen. Die EU-Kommission hatte angekündigt, für die Seidenstraßen-Konkurrenz rund 300 Milliarden Euro aufzubringen (China.Table berichtete). Ein großer Teil davon soll von der Privatwirtschaft zur Verfügung gestellt werden. Brüssel will bis Mitte des Jahres erste konkrete Projekte vorstellen, die mit “Global Gateway” finanziert werden.

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Portrait

Gunnar Wiegand – Kontakt zwischen Brüssel und Asien

Gunnar Wiegand ist Managing Director für Asien und den Pazifik im EEAS und für die EU-Beziehungen zu 41 Staaten zuständig.
Gunnar Wiegand vom Europäischen Auswärtigen Dienst

Gunnar Wiegand ist als Managing Director für Asien und den Pazifik im Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) verantwortlich für die EU-Beziehungen zu 41 Staaten, von Afghanistan bis Fiji – und er hat spannende Stationen in seinem beruflichen Leben durchlaufen. Als Politikberater war er dabei, als Spanien der EU beitrat. Als Mitarbeiter einer politischen Stiftung hat er sich mit an der Unterstützung für die Konsolidierung neuer Demokratien in Südeuropa und Osteuropa beteiligt. Im Jahr 1990, kurz vor der Wiedervereinigung, begann er seine Arbeit für die Europäische Kommission, zunächst als sogenannter DDR-Referent, dann mit Fokus auf die Transformationsprozesse in der ehemaligen Sowjetunion. 

Gunnar Wiegand war vor Beginn der Corona-Pandemie im Schnitt zweimal monatlich in Asien. Er pflegt zahlreiche berufliche und auch einige persönliche Kontakte in die Region. Seine drei Söhne reisen gerne nach Asien und seine Frau kommt aus dem Libanon, der ja immerhin zu Vorderasien gehört. Mit China selbst hat er auf den ersten Blick gar nicht so viel zu tun.

Erster Posten in Hongkong beim letzten britischen Gouverneur

Er hat nicht Chinesisch studiert, sondern Jura und Internationale Beziehungen in Italien und den USA. Mandarin gehört nicht zu den sechs Sprachen, die er gelernt hat. Und seine ersten Auslandsstationen haben ihn nicht etwa nach Hongkong oder Peking geführt, sondern nach Lateinamerika und Spanien. “Ich bin kein Experte für Asien, sondern für EU-Außenbeziehungen, wo es um das Zusammenführen von EU-Außen- und Sicherheitspolitik und der Mitgliedstaaten mit Handelspolitik, Entwicklungszusammenarbeit und sektoralen Politiken der Europäischen Kommission geht”, sagt er. 

China taucht in seiner Vita erstmals Ende der 90er-Jahre auf. Damals war er Sprecher des EU-Außenkommissars Chris Patten, der zuvor der letzte britische Gouverneur des British Empire von Hongkong gewesen war. “Patten war sehr bekannt in China, aber er war damals eine unerwünschte Figur. Ich habe gesehen, wie beliebt er dagegen in Hongkong war, als wir eine Reise dorthin machten”, erinnert sich Wiegand, der mit ihm außerdem unter anderem in Indien, Pakistan und Korea unterwegs war. Später war er als Direktor bei der Europäischen Kommission für Russland, Osteuropa und Zentralasien zuständig und war unter anderem Chefverhandler für die Assoziierungsverträge der EU mit Georgien und Moldawien.

Federführend bei Indo-Pazifik-Strategie der EU

Auch die erste “Assoziierungsagenda”, das Dokument zur konkreten Umsetzung des Assoziierungsvertrags, der EU mit der Ukraine hat er ausgehandelt. 2016 wurde ihm im Europäischen Auswärtigen Dienst die Zuständigkeit für Asien und den Pazifik übertragen, wo er 2017 das neue Strategische Partnerschaftsabkommen mit Japan aushandelte, 2018 maßgeblich zur ersten Konnektivitätsstrategie EU-Asien beitrug, 2019 an der Neuausrichtung der EU-Politik gegenüber China mitwirkte (“Kooperation-Wettbewerb-systemische Rivalität”) und 2021 für die Ausarbeitung der EU-Strategie für Kooperation im Indo-Pazifik verantwortlich war.

Seinen Karriereweg in der europäischen Politik bezeichnet Gunnar Wiegand selbst als ungewöhnlich: “Der normale diplomatische Gang ist, dass die Leute zwischen der Zentrale und dem Ausland wechseln. Ich selbst habe immer mehr Inhalte in Brüssel entwickelt und verhandelt und so nach innen und außen wirken können”, sagt er.

Aktuell beschäftigen den EU-Beamten neben der Umsetzung der indopazifischen Strategie und der Frage, wie die EU am besten dazu beitragen kann, Afghanistan zu stabilisieren, vor allem die Beziehungen der EU zu China. Und diese Arbeit steht in den vergangenen Tagen – wie sollte es anders sein – ganz besonders im Zeichen des Krieges in der Ukraine, wo es gilt, so schnell wie möglich einen Waffenstillstand zu erreichen und humanitäre Korridore einzurichten. Janna Degener-Storr

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China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Interview mit Eberhard Sandschneider zu den Risiken für Taiwan
    • Wahlausgänge in Ungarn und Serbien in Pekings Sinne
    • Corona-Maßnahmen stören Lieferketten und Produktion
    • Guangzhous Bürger rechnen mit baldigem Lockdown
    • Ratifizierung von Konventionen zur Zwangsarbeit
    • Drogeriekette Müller bietet Zahlung per Alipay+
    • Bericht zur Zwangsarbeit in der Alu-Produktion
    • London erlaubt Übernahme von Halbleiter-Fabrik
    • Corona-Blase soll Produktion bei CATL aufrechterhalten
    • Von der Leyen kündigt Treffen zu Global Gateway an
    • Im Portrait: Gunnar Wiegand – EEAS-Direktor für Asien und Pazifik
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    wie gefährdet ist Taiwan? Darüber haben wir mit Eberhard Sandschneider gesprochen. Der ehemalige Professor der FU Berlin ist einer der profiliertesten Experten für Sicherheitspolitik – und für das chinesische Militär. Eine baldige Invasion der Insel befürchtet Sandschneider zwar nicht: Das Risiko sei zu hoch, sich mit den USA anzulegen, erklärt er Michael Radunski. Doch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten könnte es durchaus zu einem amerikanisch-chinesischen Krieg kommen. Da die Volksbefreiungsarmee zudem intern und extern immer stärker wird, kann dann doch noch eine Katastrophe drohen.

    Gute Nachrichten für Peking gab es derweil aus Ungarn und Serbien. Mit Viktor Orbán und Aleksandar Vučić konnten zwei sehr China-freundliche Politiker die jeweilige Parlamentswahl gewinnen. Die Europäische Kommission könnte damit ungewollt Ungarn weiter in Richtung Volksrepublik treiben. Auch Serbien sieht derweil nicht mehr Russland, sondern zunehmend China als “neuen besten Freund” im Osten. Doch noch ist diese Entwicklung nicht vorgezeichnet. Vor allem ein Land, das derzeit selbst eine Wende in Bezug auf China vollzieht, könnte noch entscheidenden Einfluss nehmen: Deutschland.

    Zudem blicken wir auf die strenge Null-Covid-Politik der Pekinger Regierung. Diese wird zunehmend ein Problem für die Lieferketten und Produktion. Auch Fabriken in Jiangsu, das an Shanghai grenzt, spüren schmerzhaft den Lockdown, schreibt Christiane Kühl. Überregionale Transporte sind schwierig und der Frust bei ausländischen Unternehmen steigt. Neben den gestörten Abläufen seien die Reisebeschränkungen das Schlimmste, erklärten Vertreter der EU-Kammer und AHK unserer Autorin. Denn diese bedeuten: keine Fabrikbesuche, keine Geschäftstreffen und keine Reisen in die Heimat.

    Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

    Ihre
    Amelie Richter
    Bild von Amelie  Richter

    Interview

    “Die Zeit für Chinas Militär ist gekommen”

    Eberhard Sandschneider ist Partner bei Berlin Global Advisors.
    Eberhard Sandschneider ist
    Partner bei Berlin Global Advisors

    Herr Sandschneider, der Krieg in der Ukraine ist noch nicht zu Ende, da sieht so mancher Experte schon den nächsten Kampf bevorstehen: China wird die Ablenkung des Westens mit Russland nutzen und Taiwan endlich zurück ins Mutterland holen. Teilen Sie diese Befürchtung?

    Nein, so verlockend dieser Vergleich und die Parallelen für manchen sein mag, die Ausgangslage in Asien ist doch eine völlig andere. Taiwan verfügt über die am besten ausgerüstete und die am besten ausgebildete Armee im West-Pazifik. China würde sich eine sehr blutige Nase holen. Hinzu kommt der Taiwan Relations Act, durch den die USA eng mit Taiwan verbunden sind. Es gibt ein Beistandsversprechen. Chinas Präsident Xi Jinping ist sich dieses Risikos bewusst. Insofern sind die aktuellen Spekulationen über einen möglichen Angriff Chinas auf Taiwan wirklich fehl am Platz. Das kann ich mir nicht vorstellen.

    Nicht vorstellen? Gleiches hätte man vor einigen Wochen wohl auch über einen möglichen Angriff Russlands auf die Ukraine gesagt. Die Realität ist eine andere.

    Ja, es stimmt, man soll niemals nie sagen. Und man muss tatsächlich mit solchen Aussagen vorsichtig umgehen, aber so wie ich die Lage einschätze, mache ich mir um die Sicherheit Taiwans derzeit keine allzu großen Sorgen.

    In Bezug auf Putin heißt es nun: Hätten wir ihm mal genau zugehört, dann wären wir jetzt nicht so überrascht. Er hat doch deutlich gesagt, was er von der Ukraine hält. Und auch Xi Jinping lässt keinen Zweifel an seinen Absichten aufkommen: Taiwan gehört zu China und muss zurück zum Mutterland.

    Absolut richtig. Deshalb spreche ich auch nur vom Jetzt. Wer sich die chinesischen Pläne anschaut, weiß, dass sich die kritische Phase für Taiwan bis ins Jahr 2049 erstreckt. Und dass Xi Jinping die Ambitionen hat, ähnlich Großes zu erreichen wie Mao oder Deng Xiaoping steht außer Frage.

    Also doch ein Risiko?

    Das Risiko ist da. Deshalb müssen wir tun, was wir im Falle der Ukraine versäumt haben: Unmissverständlich klarmachen, dass der Westen entschlossen und geschlossen reagieren würde. US-Präsident Joe Biden hat in diesem Zusammenhang zu Recht die strategische Ambivalenz seiner Vorgänger abgeräumt und klargestellt, dass man im Falle eines chinesischen Angriffs Taiwan militärisch zur Seite stehen würde.

    Lassen wir mal kurz die politische Komponente beiseite und schauen auf das Militär: Wie sähe es da mit einem Angriff auf Taiwan aus?

    Es gibt unzählige Simulationen, die zeigen, wie ein chinesischer Angriff auf Taiwan aussehen könnte. Alles liegt auf dem Tisch bis ins kleinste Detail, von einer Internetblockade bis hin zu einer Seeblockade. Und in all diesen Szenarien wäre China derzeit der Verlierer.

    Tatsächlich? In welcher Verfassung befindet sich denn das chinesische Militär?

    Es holt dramatisch schnell auf. Wir alle waren dieses Jahr doch überrascht, dass der Militäretat nur moderat ansteigt. In den Jahren davor ist das Budget mal um 11 Prozent, mal um 17 Prozent gewachsen. Wenn man das in US-Dollar übersetzt, sind das offiziell rund 230 Milliarden Dollar – pro Jahr.

    Klingt viel. Ist im Vergleich zu den USA mit seinen Militärausgaben von rund 770 Milliarden US-Dollar aber doch deutlich weniger.

    Stimmt. Aber die Entwicklung ist eindeutig und schnell. Zu Beginn des Reformprozesses wurde das Militär hinten angestellt, allerdings verbunden mit dem Versprechen: Wenn die wirtschaftliche Leistung es hergibt, bekommt ihr Geld und Aufmerksamkeit. Das ist jetzt der Fall, wie beispielsweise die Liaoning zeigt. Chinas erster Flugzeugträger aus ursprünglich russischen Beständen, der zweite stammt aus Chinas Eigenproduktion. Sechs weitere sollen gebaut werden.

    Dennoch gilt vielen die Volksbefreiungsarmee aber als schwach und in ihrer Struktur veraltet. Wo liegen die Probleme?

    Die Volksbefreiungsarmee hat einen riesigen Wasserkopf, nämlich das überdimensionierte Landheer, welches zudem technisch nicht einmal sonderlich gut ausgestattet ist. Aber täuschen Sie sich nicht. Die Zeit für Chinas Militär ist gekommen. Der Umbau läuft, die Schwerpunkte liegen mittlerweile auf Marine, Luftwaffe, Weltraumrüstung und Cyberwar. Also auf Bereichen, in denen sie relativ schnell den amerikanischen Streitkräften großen Schaden zufügen können.

    Das ist das große Ziel?

    Ja. China misst sich nur mit einem Land, den USA. Aktuell hat China eine Militärbasis im Ausland, in Djibouti. Die Angaben zu den US-Stützpunkten variieren, je nachdem, welche Maßstäbe man an eine Militäreinrichtung anlegt. Zurückhaltend gezählt sind es 163 Basen, auf der gesamten Welt verteilt. Das muss für China wie eine Einkreisung wirken. Und deshalb wird China neue Militärstützpunkte im Ausland aufbauen.

    Was glauben Sie, wo das sein wird?

    Es gibt eine ganze Reihe an ausgebauten Tiefseehäfen, die sich anbieten, zum Beispiel in Hambantota auf Sri Lanka. Der chinesische Bau des dortigen Tiefseehafens ist doch aberwitzig. Bevor China kam, landeten dort vielleicht mal fünf Schiffe im Jahr an. Aber der Hafen liegt geostrategisch ideal für chinesische Kriegsschiffe. Oh, ich sehe schon. Jetzt werden Sie das gleich wieder kritisieren.

    Okay, dann mache ich das. Eine Militarisierung der Seewege kann nicht im Interesse des internationalen Freihandels sein.

    Richtig, aber hier geht es um Chinas Interessen. Betrachten Sie es mal welthistorisch: Ein Land von dieser Größe, mit diesem wirtschaftlichen Erfolg über viele Jahre hinweg, das übersetzt irgendwann zwangsläufig wirtschaftliche Stärke in militärische Macht. Das Versprechen, das Deng Xiaoping einst den chinesischen Generälen gegeben hat, wird nun umgesetzt.

    Das wird zwangsläufig zu Reibereien mit der Weltmacht USA führen.

    Das wird nicht dazu führen, das ist schon jetzt der Fall. Was derzeit im Südchinesischen Meer passiert, ist nur ein harmloses Vorgeplänkel. Die Konflikte werden zunehmen, so wie China sein gesteigertes Selbstbewusstsein immer mehr nach außen tragen wird.

    So mancher fürchtet, dass auch einem Zwischenfall im Südchinesischen Meer unversehens mal ein Krieg zwischen den USA und China entstehen kann.

    Aktuell wäre es nicht ratsam für China, einen Konflikt mit den USA einzugehen. Das werden sie auch nicht tun. Aber Sie haben recht. Ben Hodges, der ehemalige Oberkommandierende der US-Streitkräfte, wird nicht müde, darauf hinzuweisen, er rechne in den nächsten zehn Jahren mit einem Krieg zwischen China und den USA. Das wäre dann der Dritte Weltkrieg.

    Sie sind da entspannter?

    Na ja. Aus meiner Sicht gibt es vor allem zwei Gefahren: das Zufallsrisiko und das Risiko einer falschen Perzeption, wenn man die andere Seite falsch einschätzt und dann Fehler macht. So wie es aktuell mit Putin der Fall ist. Aber ich bleibe dabei: Derzeit schätzt Xi Jinping das Risiko richtig ein. Nur ob das in zehn Jahren noch so ist, weiß ich nicht.

    Das Problem hierbei: Bei einem möglichen Konflikt gibt es zwei Seiten.

    Ja, und genau das bereitet mir dann doch ein paar Sorgen. Die China-Debatte in den USA hat enorm an Schärfe gewonnen. Es gibt kaum einen Politiker, der China nicht als die größte Herausforderung der Zeit ansieht. Und im Unterschied zu Deutschland und Europa beinhaltet das auch immer die militärische Komponente. Ich war bei einer Diskussionsrunde im Dirkson Senate Building in Washington D.C., da sagte eine US-Kollegin: War is not the worst option – Krieg ist nicht die schlechteste Option. Ich dachte, ich höre nicht richtig. Mir hat es total die Sprache verschlagen. Aber um mich herum hat keiner auch nur gezuckt.

    Eberhard Sandschneider war von 1998 bis 2020 Professor für Politik Chinas und internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin. Von 2003 bis 2016 war er zudem Otto-Wolff-Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Inzwischen ist er Partner bei der Beratungsfirma “Berlin Global Advisors”.

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    Analyse

    Ungarn und Serbien bleiben auf Peking-Kurs

    Viktor Orbán, Ungarn und Aleksandar Vučić, Serbien bei der Eröffnung einer Teilstrecke der Schnelltrasse Budapest-Belgrad Mitte März - die Trasse wird von China finanziert.
    Viktor Orbán und Aleksandar Vučić bei der Eröffnung einer Teilstrecke der Schnelltrasse Budapest-Belgrad Mitte März.

    In Wochen der angespannten Kommunikation zwischen der EU und China dürften die aktuellen Nachrichten aus Ungarn in Peking zumindest zu einem kleinen Aufatmen geführt haben. Ministerpräsident Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei konnten bei der Parlamentswahl in Ungarn vor gut einer Woche einen großen Sieg einfahren – und der Volksrepublik bleibt damit der eifrigste Unterstützer innerhalb der Europäischen Union erhalten. 

    Orbán tritt nun bereits seine fünfte Amtszeit an, im Parlament hält seine Partei zwei Drittel der Sitze und damit eine “Supermehrheit”. China werde Ungarn weiterhin dabei unterstützen, den “selbst gewählten Entwicklungsweg zu bewahren”, sagte Chinas Außenminister Wang Yi beim Gratulations-Telefonat mit seinem ungarischen Kollegen Péter Szijjártó vergangene Woche. Peking hofft – oder pocht – also auf eine Fortsetzung der bisherigen China-Politik. Mit Orbán an der Spitze stehen die Chancen dafür jedenfalls gut.

    China war kein Wahlkampfthema

    Dabei hatte es 2021 und zu Beginn dieses Jahres zeitweise danach ausgesehen, dass die China-kritische Opposition bei der Parlamentswahl dieses Mal eine reale Chance gegen Orbán hat. Die Bauabsichten für einen Ableger der chinesischen Fudan-Universität in Budapest führten zu Protesten.

    Die Opposition habe die Regierung aus diesem Anlass erstmals mit der China-Frage konfrontiert, erklärt Roland Freudenstein, Vizepräsident und Leiter des Brüsseler Büros des zentraleuropäischen Thinktanks Globsec. “Aber in den ersten Monaten des Jahres 2022 gelang es Fidesz dank ihrer überwältigenden Dominanz im Medienraum und der russischen Invasion in der Ukraine, die Themen der öffentlichen Debatte vor den Wahlen festzulegen, und China war kein Teil davon”, sagt Freudenstein gegenüber China.Table.

    Nach dem Wahlerfolg sei Orbán “wie auf Steroiden”, sagt Freudenstein – ein Abrücken von der bisherigen China-Politik sei unwahrscheinlich. Eher im Gegenteil: “Er wird versuchen, bei den meisten seiner Politikstrategien noch eines draufzusetzen. Einschließlich bei seiner Idee, dass ein zunehmend totalitäres China die Zukunft und der ‘alte Westen’ die Vergangenheit ist.” Ungarn diene China als Trojanisches Pferd in der EU, so Freudenstein.

    Zukunft des Fudan-Campus noch unklar

    Ein mächtiges Werkzeug der Softpower wäre dabei der Fudan-Campus mitten in der ungarischen Hauptstadt. Das Schicksal des Milliarden-Projekts ist derzeit noch unklar. Der Bürgermeister von Budapest, Gergely Karácsony, hat genügend Stimmen für ein Referendum gesammelt, um den Bau noch abzuwenden (China.Table berichtete). Lokalen Medienberichten zufolge könnte die Abstimmung frühestens im Sommer stattfinden. Vermutet wird ein Termin im Oktober – falls das von Fidesz dominierte Parlament dem Referendum zustimmt.

    Globsec-Büroleiter Freudenstein geht davon aus, dass der Fudan-Ableger gebaut wird. “Gerade, weil sich Fidesz so unangreifbar fühlt.” Das könnte sich aber noch ändern: Ungarn schlittere unter anderem wegen der möglichen Kürzung von EU-Geldern aus rechtsstaatlichen Gründen in große finanzielle Schwierigkeiten, warnt Freudenstein. Ungarn muss sich als erstes EU-Land wegen möglicher Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit einem Verfahren stellen.

    Die EU-Kommission wirft Orbáns Regierung vor, EU-Mittel in dunklen Kanälen versickern zu lassen. Der langwierige Mechanismus, den Brüssel vergangene Woche gegen Budapest eingeleitet hat, könnte dazu führen, dass Ungarns jährlicher Anteil am EU-Haushalt in Höhe von 6,14 Milliarden Euro eingefroren wird.

    Die geschmälerten finanziellen Aussichten könnten dazu führen, dass Budapest sich nach anderen Geldgebern umsieht, erklärt Matej Šimalčík geschäftsführender Direktor der Denkfabrik Central European Institute of Asian Studies: “Das kann Ungarn natürlich näher an China als alternative Finanzierungsquelle heranführen”, sagt Šimalčík der Zeitung South China Morning Post.

    China ersetzt Russland als Serbiens wichtigster Partner

    Und auch aus Ungarns Nachbarland Serbien gab es Anfang April gute Nachrichten für Peking. Dort konnte sich Präsident Aleksandar Vučić eine weitere Amtszeit sichern. Vučić und Orbán waren Mitte März sogar zusammen auf Wahlkampftour – bei der Eröffnung der Schnellbahnstrecke von Belgrad nach Novi Sad. Mit der neuen Zugverbindung gehe Serbien Schritte “in die Zukunft”, freute sich Vučić bei der Einweihung des ersten Teilabschnitts der von China finanzierten Schnellbahntrasse.

    Angesichts der russischen Invasion in der Ukraine werde China für den Nicht-EU-Staat Serbien immer wichtiger, erklärte der Politikwissenschaftler Vuk Vuksanovic vom Thinktank Belgrade Centre for Security Policy schon vor der Wahl: “Tatsächlich bietet der Krieg in der Ukraine Serbien die Gelegenheit, die bereits vor dem Krieg verfolgte Politik, Russland durch China als wichtigsten nicht-westlichen Partner Serbiens zu ersetzen, fortzusetzen und zu verstärken”, schreibt Vuksanovic in The Diplomat.

    Spätestens seit dem Beginn der Covid-19-Pandemie habe Serbien Russland schrittweise durch China als seinen “besten Freund im Osten” ersetzt, so der Politikwissenschaftler. Er nennt ein anschauliches Beispiel: Serbiens Präsident Vučić küsste aus Dankbarkeit für Pekings medizinische Hilfe die chinesische Flagge – medizinische Hilfe aus Russland wurde nicht mit der gleichen Begeisterung aufgenommen. “Diese Episode zeigte, dass Peking über Ressourcen verfügte, die Moskau nicht hatte, und deckt das verborgene Misstrauen zwischen Serbien und Russland auf”, sagt Vuksanovic.

    Chinesische Luftabwehr-Systeme in Belgrad?

    Serbien erhält derzeit auch militärische Unterstützung aus Peking: Am Wochenende wurden sechs Y-20-Transportflugzeuge der chinesischen Luftwaffe auf dem Zivilflughafen von Belgrad gesichtet, wie staatliche und westliche Medien berichteten. Sie sollen das chinesische Boden-Luft-Raketensystem HQ-22 nach Serbien geliefert haben, schreibt die chinesische Zeitung Global Times. Die offiziell zunächst nicht bestätigte Waffenlieferung über das Territorium von mindestens zwei Nato-Mitgliedstaaten, der Türkei und Bulgarien, wurde von Beobachtern als Pekings Demonstration für seinen wachsenden globalen Einfluss angesehen.

    Russlands Krieg in der Ukraine entwickelt sich mehr und mehr zu einem Wendepunkt für die China-Beziehungen in Ost- und Mitteleuropa. Die Forderung nach einer Neubewertung der Abhängigkeit von anderen autokratischen Regimen, allen voran China, wird zunehmend lauter. Ungarn scheint sich dem EU-Trend allerdings zu widersetzen. Orbán stimmte zwar für EU-Sanktionen gegen Russland, zog dann jedoch eine rote Linie als es um Waffentransporte durch ungarisches Territorium ging. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte Orbán während des letzten EU-Gipfels explizit für seine unklare Haltung gerügt.

    Durch sein Verhalten isoliere sich Orbán noch weiter innerhalb der EU, schlussfolgert die Plattform China Observers in Central and Eastern Europe (Choice). Er könne seine Verbindungen zu autoritären Regimen immer weniger als Druckmittel einsetzen. Bemerkenswert im Zusammenhang sei die “aktuelle Neukalibrierung der außenpolitischen Agenda Berlins“, meinen die Mitarbeiter von Choice. Da Deutschland Ungarns Wirtschaftspartner Nummer eins bleibe, komme Berlin in den außenpolitischen Überlegungen Budapests eine besondere Rolle zu. Deutschlands Haltung gegenüber China signalisiert also, wie viel Spielraum Orbán in seinem Spagat haben wird.

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    Null-Covid: Reiseprobleme und gestörte Lieferketten

    Firmen in ganz China leiden zunehmend unter den Omikron-Ausbrüchen im Land. Die strikten Null-Covid-Maßnahmen stören Lieferketten und Produktion. Mitarbeiter oder Logistiker können von einem Tag auf den anderen nicht mehr aufs Werksgelände. Oder sie dürfen plötzlich Stadt- oder Distriktgrenzen nicht mehr überschreiten. In Shanghai kommt die allgegenwärtige Angst vor einem positiven Coronatest und der damit einhergehenden Isolation in einem der riesigen Quarantänezentren der Stadt hinzu.

    Einschränkungen gibt es inzwischen im ganzen Land. Überregionale Transporte sind schwierig, weil alle Gebiete umfahren werden müssen, die als “mittleres Risiko” oder “hohes Risiko” eingestuft sind. Durchquere ein Fahrer ein solches Gebiet, erzeuge der Health Code in seinem Smartphone automatisch ein Sternchen, erklärt Jens Hildebrandt, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Außenhandelskammer (AHK) für Nordchina. “Das bedeutet, der Fahrer würde dann am nächsten Ort – also dort, wo er von der Autobahn abfährt – mit Quarantäne rechnen müssen.”

    Auch halten Covid-Tests bei Warensendungen den Transport auf. “Container sind teilweise wegen solchen Tests einen Monat länger im Hafen oder im Stau an der Grenze, etwa zwischen China und Kasachstan”, sagt Hildebrandt gegenüber China.Table. Die Empfänger der Ware – also beispielsweise eine deutsche Firma in China – müssten strikte Desinfektionsmaßnahmen einhalten. Dazu gehören die keimfreie Reinigung aller Transportboxen sowie regelmäßige Coronavirus-Tests des dafür zuständigen Personals. “Diese Regelung variiert von Provinz zu Provinz. In den letzten Wochen wurden die Prozesse besonders in den Provinzen Jiangsu und Shandong verschärft.” Das desinfizierende Personal müsse sich dort getrennt von anderen Mitarbeitern halten. Ziel sei eine sogenannte “Closed Loop”, aus der keine Krankheitserreger herauskommen können. Ansonsten müsse die gesamte Warensendung beim Empfänger zehn Tage in Quarantäne.

    Auch an Chinas Häfen und Flughäfen bleibt Fracht hängen. Vor allem im abgeriegelten Shanghai arbeiten die beiden Häfen Yangshan und Waigaoqiao mit reduzierter Kapazität. Schlimmer aber sind die Tests sowie massive Beschränkungen beim Abtransport einkommender Ware auf der Straße. Beim Export sei aus den umliegenden Provinzen Shanghais von Versuchen zu hören, auf den Tiefseehafen von Ningbo auszuweichen, berichtet Hildebrandt. “Inwieweit das klappen wird, bleibt abzuwarten.”

    China: Steigende Fallzahlen, wachsende Sorgen der Firmen

    Die Gesundheitskommission in Peking meldete am Mittwoch mit mehr als 20.000 Fällen landesweit einen Höchststand. Allein am Hotspot Shanghai kamen mehr als 17.000 Ansteckungen hinzu. Das war ein neuer Hochstand. Die Mehrheit sind zwar weiterhin asymptomatische Fälle. Doch wegen der strikten Null-Covid-Politik in China befinden sich die Metropolen Shanghai, Changchun und Shenyang mit ihren insgesamt rund 38 Millionen Einwohnern im Lockdown. In vielen anderen Städten gibt es weitere Restriktionen.

    Mehr als die Hälfte (51 Prozent) der deutschen Firmen in China haben vergangene Woche in einer AHK-Blitzumfrage Behinderungen bei Logistik und Lagerhaltung gemeldet. Ganze 46 Prozent leiden unter Störungen der Lieferketten. Dabei haben nach Angaben der AHK vor allem Firmen der Branche Maschinenbau und Industrieanlagen Probleme. Für 54 Prozent waren in diesem Sektor Logistik und Lagerhaltung beeinträchtigt, für 55 Prozent die Lieferketten. Das bedeutet zum Beispiel, dass wichtige Vorprodukte bei den Fabriken nicht ankommen. Ebenfalls stark betroffen ist laut AHK die Automobil- und Mobilitätsbranche. Kleinere Firmen leiden laut AHK zudem generell stärker als Großunternehmen, da ihre Kapazitäten zur Anpassung geringer sind.

    In Shanghai dürfen allerdings nur noch wenige Branchen überhaupt produzieren, wie Bettina Schön-Behanzin von der EU-Kammer in Shanghai am Mittwoch auf einem Webinar der Kammer (EUCCC) berichtete. Zu den arbeitsfähigen Sektoren gehören Lebensmittel, Pharmazie und Chemie. “Ein Chemiewerk kann man ja nicht einfach herunterfahren”, so Schön-Behanzin. Bedingung sei in Shanghai wie anderswo die Closed Loop: Mitarbeiter übernachten tagelang auf dem Firmengelände und rotieren dann. “Wir hören, dass es immer weniger Freiwillige für diese Closed Loops gibt”, sagt Schön-Behanzin.

    EU-Kammer: Störungen in ganz China

    Das Webinar brachte die lokalen Vorsitzenden aller Kammer-Standorte in China zusammen. Ihre Anekdoten unterschieden sich, doch die wichtigsten Sorgen waren die gleichen. Die Lieferketten der Provinz Jiangsu nahe Shanghai mit ihren vielen Produktionsstandorten leide mit unter dem Lockdown der Metropole, sagte etwa Andreas Risch, EU-Kammerchef in der Provinzhauptstadt Nanjing. Jiangsu ist eine Hochburg deutscher Firmen; viele Mittelständler fertigen dort. Risch berichtete über einen Flickenteppich unterschiedlicher Zugangsregeln oder Quarantänevorschriften in den verschiedenen Standorten. “Eine Harmonisierung wäre gut.”

    Das Joint Venture von BMW in Shenyang habe in Closed Loop produziert, solange es möglich war, erzählt Harald Kumpfert, Kammerchef in Shenyang. Doch dann musste es wegen der Störungen in der Lieferkette stoppen. Lieferprobleme aber sind laut Kumpfert nun schon wieder zweitrangig. “Denn niemand kann überhaupt zur Arbeit kommen.” Seit zwei Wochen ist Shenyang im Lockdown; Straßen dürfen nur mit Sondererlaubnis befahren werden.

    Im Südwesten Chinas gebe es bislang kaum lokale Fälle und Einschränkungen, erzählte Massimo Bagnasco, EU-Kammervorsitzender in Chengdu. Aber es gebe “ein Gefühl der Unsicherheit über die künftige Entwicklung.” Die Sorge ist groß, dass die Omikron-Welle von der Ostküste herüberschwappen könne. Mehrere Unternehmen seien ohnehin landesweit aktiv. “Diese sind bereits von den Lieferkettenproblemen betroffen.”

    Firmen in China akzeptieren Corona-Politik

    Grundsätzlich gibt es bei den Betrieben in China laut Hildebrandt trotz allem Akzeptanz für die Covid-Maßnahmen. “Frust entsteht vor allem, wenn es kurzfristige Änderungen gibt und diese nicht transparent sind – Unternehmen sich also nur reaktiv darauf einstellen können.” Neben den immer wiederkehrenden Einschränkungen vor Ort in China bereiten den Unternehmen vor allem die Einreisebeschränkungen große Kopfschmerzen, so Hildebrandt. “Es gibt so gut wie keinen geschäftlichen Austausch vor Ort mehr.”

    Ähnlich äußerten sich die EU-Vertreter quer durchs Land: Die Reisebeschränkungen seien mit das Schlimmste. Keine Fabrikbesuche, keine persönlichen Verhandlungen mit Kunden, kein Heimaturlaub: Weder im Land noch ins Ausland kann man reisen. Die bekannten Probleme durch die Beschränkungen würden immer größer, sagten sie. Die Schwierigkeiten, Talente anzuwerben und zu halten, der Mangel an persönlicher Kontaktpflege, die Entkopplung vom Hauptquartier in Europa mitsamt eines gewissen Vertrauensverlustes. Die Kammerchefs vor Ort fordern angesichts der Situation vor allem eins: Den Einsatz besserer Impfungen in China.

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    News

    Hinweise auf Lockdown: Hamsterkäufe in Guangzhou

    Die 16-Millionen-Metropole Guangzhou stellt sich als nächste chinesische Großstadt auf einen Lockdown ein. Die Stadtverwaltung hat für den Bezirk Baiyun bereits eine lange Liste von Kontrollmaßnahmen erlassen. Zudem wurden im gesamten Stadtgebiete Pandemie-Packs mit Masken und Schnelltests an die Haushalte verteilt. Grundschulen wechseln auf Distanzunterricht. Die Stadt kann nur noch bei Vorlage eines negativen Testergebnisses verlassen werden. Besonders ominös: Im Pazhou International Convention and Exhibition Center entsteht eine riesige Quarantäne-Einrichtung – zusätzlich zu bestehenden Isolationszentren.

    Massentestungen in Guangzhou: Die Stadt bereitet sich auf einen Lockdown vor.
    Shanghai? Nein, Guangzhou.

    Viele Bürger von Guangzhou reagierten mit Hamsterkäufen. Die Bilder und Berichte vom Lockdown in Shanghai, wo Lebensmittel knapp sind, veranlassten die Menschen dazu, sich möglichst umfangreich mit Vorräten einzudecken. Aktuelle Videos von leeren Supermarktregalen sorgen für weitere Nervosität. Die Behörden versichern derweil, es gebe ausreichend Lebensmittel für alle – und befeuern damit wohl eher noch das Misstrauen.

    Derweil startete in Guangzhou die erste Runde von Massentests – wie in Shanghai zur Anlaufphase des großen Lockdowns. Vor den Entnahmestellen der Proben bildeten sich lange Schlangen. Und die Behörden schickten einige Stadtviertel bereits in den Vor-Lockdown. Auch in Shanghai hatte sich die Situation schrittweise verschärft.

    Damit reagierte die Stadtverwaltung von Guangzhou auf bisher 22 bestätigte Coronavirus-Fälle. Da die Omikron-Variante von Sars-CoV-2 hochansteckend ist, könnten die laufenden Massentests eine ganze Reihe von symptomfreien Fällen zutage fördern. Diese würden nach Null-Covid-Logik einen Lockdown nötig machen.

    Shanghais KP-Chef wird auf der Straße beschimpft

    Insgesamt verdichtet sich der Eindruck, dass andere chinesischen Metropolen vom Debakel in Shanghai lernen. Während dort die Hunde von Covid-positiven Bürgern auf offener Straße getötet werden, betreibt Shenzhen ein Quarantänezentrum für Haustiere. Während in Shanghai die Verteilung von Lebensmitteln nicht klappt, boostert die Provinz Guangdong ihre Lieferfahrer.

    Aus Shanghai sind derweil abermals beunruhigende Entwicklungen zu hören. Die Zahl der binnen Tagesfrist bestätigten Infektionen stieg am Montag auf 26.087. Am Sonntag lag die Zahl noch knapp unter 25.000. Die Quarantänelager werden zum Teil als chaotisch und verschmutzt beschrieben. Parteisekretär Li Qiang musste sich auf offener Straße wegen der schlechten Versorgungslage beschimpfen lassen.

    Die Stadt begann bezirksweise mit vorsichtigen Lockerungen, um den Druck etwas abzubauen. Sie führte dazu drei Risikokategorien ein und kündigte eine “situationsbezogene Anpassung der Maßnahmen” an. Noch am Montag veröffentlichen die Bezirke Jing’an im Zentrum und Jinshan im Südwesten Listen von Compounds mit ihrer Einstufung. Diese befanden sich zunächst mehrheitlich in den Kategorien eines “mittleren” und “hohen” Risikos. Noch ist unklar, wo die Bewohner freigegebener Compounds nach der Lockerung hingehen dürfen.

    Der Lockdown in der überforderten Stadt ist gekennzeichnet von persönlichen Tragödien. Viel Aufmerksamkeit erhielt der Fall der Mutter des in Hongkong tätigen Ökonomen Larry Hsien Ping Lang. Offenbar verstarb sie in einer Notaufnahme, weil sich im Krankenhaus vier Stunden niemand um sie gekümmert hatte. Sie konnte keinen negativen Test vorlegen. fin

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    China will Konventionen über Zwangsarbeit ratifizieren

    China will offenbar nächste Woche während eines Treffens seiner obersten Legislative zwei Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über Zwangsarbeit ratifizieren. Das Vorhaben gilt als wichtiger Schritt zur Verbesserung der Beziehungen zu Europa.

    Einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua zufolge, würden während einer Sitzung des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses die Konvention über Zwangsarbeit von 1930 und die Konvention zur Abschaffung der Zwangsarbeit von 1957 ratifiziert. Die Entscheidung wurde laut Xinhua am Montag bekannt gegeben.

    Die beiden Konventionen gehören zu den größten Streitpunkten in den nun schon fast acht Jahre andauernden Verhandlungen über das umfassende Investitionsabkommen zwischen der EU und China (CAI) – über das Ende 2020 eigentlich eine grundsätzliche Einigung erzielt wurde. In der im Dezember 2020 veröffentlichten Vereinbarung hatte China zugestimmt, die Ratifizierung der beiden ILO-Konventionen als Kompromiss über Zwangsarbeit voranzutreiben.

    Das CAI-Abkommen ist allerdings in der Schwebe, seit sich Brüssel und Peking im vergangenen Jahr gegenseitig mit Sanktionen belegt haben. Ausgangspunkt sind Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang, die China allerdings vehement bestreitet.

    China hatte damals weitreichende Sanktionen gegen EU-Diplomaten, Gesetzgeber und Forscher verhängt, was das Europäische Parlament dazu veranlasste, die Ratifizierung des Investitionsabkommens auszusetzen (China.Table berichtete). Die Zeitung “South China Morning Post” zitierte einen EU-Beamten, der sagte, dass das Investitionsabkommen “keine Chance hat, solange es Sanktionen” gegen Mitglieder des Europäischen Parlaments gäbe. In dem Bericht wird auch Francesca Ghiretti von der deutschen Denkfabrik Merics, zitiert. Sie ist überzeugt, dass die Ratifizierung der Konventionen “nicht ausreichen” werde, um das CAI freizuschalten. Es wäre allerdings ein “wichtiges Signal Chinas an die EU” nach dem von Misstrauen geprägten bilateralen Gipfel Anfang des Monats (China.Table berichtete). rad

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    Alipay gewinnt neuen Partner in Deutschland

    Alipay+ (支付宝 zhīfùbǎo) ist eine Partnerschaft mit der deutschen Drogerie-Kette Müller eingegangen. Damit können Kunden von nun an ihren Einkauf über den digitalen Zahlungsdienst der chinesischen Ant Group bezahlen. Die Ant Group ist eine Tochterfirma des chinesischen Konzerns Alibaba. Alipay ist mit rund 640 Millionen aktiven Nutzern der führende Bezahldienst in China.

    Die Integration von Alipay+ im Kassenterminal erfolgt über epay, welches die Annahme von mobilen Zahlungen über QR- und Barcodes in den Märkten ermöglicht. Kunden, die mit Alipay+ bezahlen wollen, müssen auf ihrem Smartphone den zugeordneten QR-Code öffnen. Das Kassenpersonal scannt den Code, und der zu zahlende Betrag wird direkt in der App angezeigt und muss vom Kunden bestätigt werden.

    Schon seit September 2021 können Kunden des Discounters Aldi Süd das mobile Zahlverfahren Alipay nutzen. Aldi Süd war damals der erste Lebensmitteleinzelhändler in Deutschland, der das Online-Bezahlsystem der chinesischen Ant Group anbot. Datenschützer warnen jedoch vor den Bezahl-Apps aus China. International tätige chinesische Anbieter wie Alipay oder auch Wechat Pay seien dem Zugriff nationaler Geheimdienste und Sicherheitsbehörden ausgesetzt. rad

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    Verdacht auf Zwangsarbeit bei Auto-Zulieferern

    Die Beratungsfirma Horizon bringt die Herstellung von Aluminium in der Region Xinjiang mit Zwangsarbeit in Verbindung. Falls die Darstellung richtig ist, drohen auf längere Sicht Auswirkungen auf die deutsche Autoindustrie, die Vorprodukte aus dem Metall von chinesischen Zulieferern beziehen. Horizon zufolge könnten acht führende Aluminium-Produzenten vom “Arbeitskräftetransfers” des Aufbau- und Produktionscorps in Xinjiang profitieren. Das gehe aus Regierungs- und Firmendokumenten hervor. Die Beratungsfirma gibt aber ausdrücklich zu, keine harten Belege für den Einsatz von Zwangsarbeit zu haben.

    Als Beispiel nennt der Horizon-Bericht die Firma Xinjiang Zhonghe 新疆众和. Es handelt sich um einen staatseigenen und militärnahen Betrieb aus Urumqi. Er nimmt an Berufsausbildungsprogrammen für Wanderarbeiter teil, die unter Menschenrechtsexperten keinen guten Ruf genießen. Xinjiang Zhonghe beliefert Autozulieferer wie Beijing WKW Automotive Parts. WKW wiederum produziert für VW, BMW, BYD und Nio. Die EU plant in ihrem Lieferkettengesetz eine Sorgfaltspflicht für Menschenrechtsaspekte in der Produktion (China.Table berichtete). fin

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    Großbritannien erlaubt Übernahme von Chip-Fabrik

    In Großbritannien ist ein politischer Disput über die Übernahmepläne für die Mikrochip-Fabrik Newport Wafer Fab losgebrochen. Die britische Regierung hatte den umstrittenen Verkauf der walisischen Halbleiter-Fabrik an Nexperia, einer niederländischen Tochtergesellschaft der chinesischen Wingtech-Gruppe, genehmigt. Im Juli 2021 hatte London den Nationalen Sicherheitsberater Sir Stephen Lovegrove beauftragt, den Deal zu überprüfen (China.Table berichtete). Lokale Medien berichteten nun, Lovegrove sei zu dem Schluss gekommen, dass es nicht genügend Sicherheitsbedenken gegeben habe, um den Verkauf zu blockieren. Newport Wafer Fab ist eine der wenigen Anlagen in Großbritannien, die noch Halbleiter herstellen. Wann genau die Übernahme vonstattengehen wird, war zunächst nicht öffentlich bekannt.

    Bei der Überprüfung des Deals sei eine zu enge Definition für “nationale Sicherheit” verwendet worden, kritisierte unter anderem der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des britischen Unterhauses, Tom Tugendhat. “Während wir Deutschland und andere drängen, aus russischem Gas auszusteigen, erscheint es seltsam, dass wir China erlauben, Halbleiterunternehmen in Großbritannien zu kaufen”, so Tugendhat. Der konservative Politiker kritisierte, dass unter dem seit Januar in Kraft getretenen National Security and Investment Act die Übernahme nicht nochmals näher untersucht wurde. “Die Regierung hat keine klare Strategie, um die Überreste unserer Halbleiterindustrie zu schützen”, so Tugendhat. ari

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    Batterie-Hersteller führt Corona-Blase für Arbeitskräfte ein

    Contemporary Amperex Technology Limited (CATL) hat in seinem Hauptwerk in Ningde ein “Closed-Loop-Management”-System eingeführt. Damit soll die Produktion aufrechterhalten werden, während das Land mit scharfen Lockdowns gegen weitere Coronavirus-Ausbrüche kämpft. CATL ist der weltweit größte Lieferant von Elektroauto-Batterien, unter anderem für den US-Autobauer Tesla.

    “Um die Versorgung des Marktes bestmöglich zu gewährleisten, haben wir strenge Netzmanagementmaßnahmen für den ordnungsgemäßen Betrieb der Produktionsbasis in Ningde ergriffen”, sagte ein Vertreter des Unternehmens. Man habe das System am Samstagabend eingeführt.

    Das “Closed-Loop-Management”-Verfahren ähnelt einer Blase, in der die Arbeiter isoliert schlafen, leben und arbeiten, um die Übertragung von Viren zu verhindern. Ein ähnliches System wurde bei den Olympischen Winterspielen in Peking eingesetzt, um das Veranstaltungspersonal sowie Athleten und andere Angereiste von der Öffentlichkeit abzuschotten.

    In Shanghai konnte das Joint Venture von General Motors mit einem solchen System trotz hartem Lockdown die Produktion aufrechterhalten. Tesla und Volkswagens Joint Venture mit SAIC Motor mussten hingegen ihren Betrieb einstellen, da der Lockdown weiter gilt. In der 25-Millionen-Metropole fürchten sich immer mehr Menschen vor einer Einlieferung in eines der städtischen Quarantänezentren (China.Table berichtete). rad/rtr

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    EU kündigt Treffen zu “Global Gateway” an

    EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat für Juni ein großes Treffen zur Infrastruktur-Initiative und selbst ernannter “Belt and Road”-Alternative “Global Gateway” angekündigt. Zu der Veranstaltung Ende Juni würden rund 2.500 Teilnehmer in Brüssel erwartet, teilte die EU-Kommission am Montag mit. Online sollen sich demnach weitere 10.000 Menschen dem Hybrid-Event im Rahmen der Europäischen Entwicklungstage (EDD) zuschalten, hieß es in der Ankündigung. Wer die Teilnehmer genau sein werden, ließ die Brüsseler Behörde zunächst noch offen.

    Die Europäische Kommission will bei dem Treffen auch ihre Strategie zur Mobilisierung von Investitionen für “Global Gateway” überprüfen. Die EU-Kommission hatte angekündigt, für die Seidenstraßen-Konkurrenz rund 300 Milliarden Euro aufzubringen (China.Table berichtete). Ein großer Teil davon soll von der Privatwirtschaft zur Verfügung gestellt werden. Brüssel will bis Mitte des Jahres erste konkrete Projekte vorstellen, die mit “Global Gateway” finanziert werden.

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    Portrait

    Gunnar Wiegand – Kontakt zwischen Brüssel und Asien

    Gunnar Wiegand ist Managing Director für Asien und den Pazifik im EEAS und für die EU-Beziehungen zu 41 Staaten zuständig.
    Gunnar Wiegand vom Europäischen Auswärtigen Dienst

    Gunnar Wiegand ist als Managing Director für Asien und den Pazifik im Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) verantwortlich für die EU-Beziehungen zu 41 Staaten, von Afghanistan bis Fiji – und er hat spannende Stationen in seinem beruflichen Leben durchlaufen. Als Politikberater war er dabei, als Spanien der EU beitrat. Als Mitarbeiter einer politischen Stiftung hat er sich mit an der Unterstützung für die Konsolidierung neuer Demokratien in Südeuropa und Osteuropa beteiligt. Im Jahr 1990, kurz vor der Wiedervereinigung, begann er seine Arbeit für die Europäische Kommission, zunächst als sogenannter DDR-Referent, dann mit Fokus auf die Transformationsprozesse in der ehemaligen Sowjetunion. 

    Gunnar Wiegand war vor Beginn der Corona-Pandemie im Schnitt zweimal monatlich in Asien. Er pflegt zahlreiche berufliche und auch einige persönliche Kontakte in die Region. Seine drei Söhne reisen gerne nach Asien und seine Frau kommt aus dem Libanon, der ja immerhin zu Vorderasien gehört. Mit China selbst hat er auf den ersten Blick gar nicht so viel zu tun.

    Erster Posten in Hongkong beim letzten britischen Gouverneur

    Er hat nicht Chinesisch studiert, sondern Jura und Internationale Beziehungen in Italien und den USA. Mandarin gehört nicht zu den sechs Sprachen, die er gelernt hat. Und seine ersten Auslandsstationen haben ihn nicht etwa nach Hongkong oder Peking geführt, sondern nach Lateinamerika und Spanien. “Ich bin kein Experte für Asien, sondern für EU-Außenbeziehungen, wo es um das Zusammenführen von EU-Außen- und Sicherheitspolitik und der Mitgliedstaaten mit Handelspolitik, Entwicklungszusammenarbeit und sektoralen Politiken der Europäischen Kommission geht”, sagt er. 

    China taucht in seiner Vita erstmals Ende der 90er-Jahre auf. Damals war er Sprecher des EU-Außenkommissars Chris Patten, der zuvor der letzte britische Gouverneur des British Empire von Hongkong gewesen war. “Patten war sehr bekannt in China, aber er war damals eine unerwünschte Figur. Ich habe gesehen, wie beliebt er dagegen in Hongkong war, als wir eine Reise dorthin machten”, erinnert sich Wiegand, der mit ihm außerdem unter anderem in Indien, Pakistan und Korea unterwegs war. Später war er als Direktor bei der Europäischen Kommission für Russland, Osteuropa und Zentralasien zuständig und war unter anderem Chefverhandler für die Assoziierungsverträge der EU mit Georgien und Moldawien.

    Federführend bei Indo-Pazifik-Strategie der EU

    Auch die erste “Assoziierungsagenda”, das Dokument zur konkreten Umsetzung des Assoziierungsvertrags, der EU mit der Ukraine hat er ausgehandelt. 2016 wurde ihm im Europäischen Auswärtigen Dienst die Zuständigkeit für Asien und den Pazifik übertragen, wo er 2017 das neue Strategische Partnerschaftsabkommen mit Japan aushandelte, 2018 maßgeblich zur ersten Konnektivitätsstrategie EU-Asien beitrug, 2019 an der Neuausrichtung der EU-Politik gegenüber China mitwirkte (“Kooperation-Wettbewerb-systemische Rivalität”) und 2021 für die Ausarbeitung der EU-Strategie für Kooperation im Indo-Pazifik verantwortlich war.

    Seinen Karriereweg in der europäischen Politik bezeichnet Gunnar Wiegand selbst als ungewöhnlich: “Der normale diplomatische Gang ist, dass die Leute zwischen der Zentrale und dem Ausland wechseln. Ich selbst habe immer mehr Inhalte in Brüssel entwickelt und verhandelt und so nach innen und außen wirken können”, sagt er.

    Aktuell beschäftigen den EU-Beamten neben der Umsetzung der indopazifischen Strategie und der Frage, wie die EU am besten dazu beitragen kann, Afghanistan zu stabilisieren, vor allem die Beziehungen der EU zu China. Und diese Arbeit steht in den vergangenen Tagen – wie sollte es anders sein – ganz besonders im Zeichen des Krieges in der Ukraine, wo es gilt, so schnell wie möglich einen Waffenstillstand zu erreichen und humanitäre Korridore einzurichten. Janna Degener-Storr

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    China.Table Redaktion

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