Table.Briefing: China

Doris Fischer: “China schottet sich nicht ab” + Kompass der EU + Reaktionen auf 6. Plenum

  • Interview mit Doris Fischer
  • Strategischer Kompass der EU zeigt auf mehr Konfrontation
  • Wie einfach wird Diplomatie mit dem neuen “Steuermann”? 
  • Verwässerter Kompromiss zu Kohle bei COP26
  • Immobilienkonzern Wanda wehrt sich gegen Gerüchte
  • Huawei forscht in Saarbrücken
  • Hoher Umsatz an Singles Day
  • Yuan bleibt auf Fünf-Jahres-Hoch
  • Tools erklärt: Beijing Stock Exchange als neuer Handelsplatz
Liebe Leserin, lieber Leser,

wie unerbittlich die Führung in China seit Mitte dieses Jahres gegen den Tech-Sektor vorgeht, überraschte viele Beobachter. Schließlich ist der Bereich hochinnovativ und eine Wachstumslokomotive für das Land. Für die Ökonomin Doris Fischer von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg ist der Schritt jedoch in gewisser Weise nachvollziehbar: “Natürlich weiß die Führung, dass das Land diese vitalen Unternehmen braucht. Zugleich schaut sie aber auch auf andere Länder und sieht, wie unkontrollierbar und gefährlich gerade auch die sozialen Netzwerke werden können. Das will sie verhindern.” Im Interview mit Felix Lee spricht Fischer über die “Bauchschmerzen” der chinesischen Regierung, wenn es um Tech-Unternehmen geht. Außerdem erklärt die Wirtschaftswissenschaftlerin, warum schlechte Nachrichten in einzelnen Sektoren nicht gleich bedeuten, dass das Wachstum zusammenbricht.

In Brüssel wurde am Montag im Rat der EU-Außen und Verteidigungsminister über ein richtungsweisendes Dokument gesprochen: Den Entwurf des Richtungspapiers der Europäischen Union zu Verteidigung und Sicherheit. Tatsächlich zeichnet sich darin eine klarere Haltung des Bündnisses gegenüber Mächten mit deutlich abweichenden Interessen ab. Die Erkenntnis: Es reicht nicht mehr aus, nett und freundlich seine “Besorgnis” über das Weltgeschehen auszudrücken. Die EU müsse militärisch handlungsfähig werden, lautet einer der Eckpunkte. Leider wird es bis dahin noch sehr lange dauern.

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

Ihre
Amelie Richter
Bild von Amelie  Richter

Interview

“China will sich nicht abschotten”

Doris Fischer China-Ökonomin an der Universität Würzburg zur Abschottung Chinas
China-Ökonomin Doris Fischer von der Universität Würzburg

Frau Fischer, Lieferengpässe, Stromausfälle, Tech-Konzerne stehen unter Druck, dann die Krise des Immobilienriesen Evergrande – die Probleme ballen sich. Wie steht es derzeit um die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt?

Ich habe neulich erst mit einem deutschen Unternehmer gesprochen, der mir schilderte, wie rasant für viele Firmen die Transportkosten von China nach Deutschland gestiegen sind. Es gibt nicht genug Container. Das hat verschiedene Gründe. Ein Problem bleibt aber Corona. Obwohl China im eigenen Land die Pandemie weitgehend im Griff hat, spielt das Virus dennoch eine gravierende Rolle. In den Sommermonaten waren es die Häfen von Ningbo und Shenzhen, die die Behörden wegen ein paar wenigen Fällen teilweise dicht machten. Nun trifft es auch den Bahnverkehr. Die chinesischen Behörden haben zuletzt zwei Grenzübergänge für Güterzüge gesperrt, weil es zwei Fälle gab. Im Bahnverkehr gibt es jetzt ebenfalls einen Rückstau.

Ein Corona-Fall in China – schon stockt der gesamte Welthandel? Wie konnte es so weit kommen?

Seit der Jahrtausendwende sind die globalen Lieferketten so fein ziseliert und perfekt aufeinander abgestimmt, dass Betriebe auch in Deutschland sofort zu spüren bekommen, wenn es nur an einer Stelle hakt. Abfertigungsprobleme gibt es derzeit auch in Großbritannien und den USA. Das gesamte System ist hoch anfällig. Und als größter Produzent nicht nur von Konsumgütern, sondern auch industriellen Vorprodukten kommt China eine Schlüsselrolle zu.

Die meisten Länder haben sich längst damit abgefunden, mit dem Virus irgendwie zu leben –  zumal es Impfstoffe gibt. Reagiert China nicht über?

Die chinesische Regierung hat sich vor anderthalb Jahren zum Ziel gesetzt, das Virus auszumerzen. Nun fällt es ihr schwer, von diesem Versprechen abzurücken.

Die Nebenwirkungen der Null-Covid-Strategie sind erheblich.

Natürlich tut das weh. Der Parteisekretär der Inneren Mongolei musste nach nur zwei Monaten im Amt gehen, weil es in seiner Provinz zu einem Ausbruch kam. Mehr als fünf Millionen Nanjinger durften wegen einigen wenigen Fällen über die Oktoberfeiertage nicht die Stadt verlassen. Der Führung geht es wirklich darum, das Virus zu unterdrücken. Besonders rigide geht sie in der Hauptstadt Peking vor. Dort greifen zum 6. Plenum des Nationalen Volkskongresses und wenige Monate vor den Olympischen Winterspielen schon wieder strengere Einreisebeschränkungen.

Anders als noch bei seinen Vorgängern scheint Xi Jinping Wirtschaftswachstum nicht über alles zu stellen?

Das Wachstum im dritten Quartal lag bei 4,9 Prozent. Das ist zwar weniger als manche erwartet haben. Aber den Glauben, dass China immer hohe Wachstumszahlen hat, halte ich für fehlgeleitet. Die absolute Basis wird ja immer größer, das würde eine exponentielle Expansion ergeben. Chinas Ansage, das Wachstum werde sich im Durchschnitt – und zwar ohne Corona – über die nächsten Jahre  erst bei sechs Prozent einpendeln und dann sukzessive zurückgehen, halte ich für realistisch.

Welche Rolle spielt die Pandemie für das Wirtschaftsgeschehen?

Natürlich hat die Pandemie auch Auswirkungen auf Chinas Wirtschaft. Es gab zudem die große Flut in Henan, und andere Auswirkungen des Klimawandels. Die Krise mit Evergrande wird den Immobilienmarkt dämpfen. Und das Vorgehen gegen die Tech-Konzerne hat wirtschaftliche Auswirkungen. Ich würde all das dennoch nicht überbewerten. China ist ja eigentlich wie ein Kontinent. Wenn es in einer Region zu Problemen kommt, bedeutet das nicht gleich einen Durchhänger für das ganze Land.

Sie klingen optimistisch.

Ich denke schon, dass die chinesische Regierung nervös ist. Sie hat im Moment recht viele Probleme gleichzeitig zu bewältigen. Einiges ist aber auch bewusst so gewollt. Die Regulierung des Tech-Sektors in China steht schon lange an. Diese großen Unternehmen hatten freie Hand und sind sehr groß und einflussreich geworden. Sie betreiben unlauteren Wettbewerb und lassen zwielichtige Gestalten Geschäfte machen. Und dann behauptet Alibaba-Chef Jack Ma auch noch in aller Öffentlichkeit, sein Unternehmen könne es besser als die Staatsbanken. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht.

Aber Chinas Tech-Sektor ist der Bereich, der wirklich hochinnovativ ist.

Natürlich weiß die Führung, dass das Land diese vitalen Unternehmen braucht. Zugleich schaut sie aber auch auf andere Länder und sieht, wie unkontrollierbar und gefährlich gerade auch die sozialen Netzwerke werden können. Das will sie verhindern. In einer zivilisierten Gesellschaft wird nicht in die Ecke gespuckt. Das wollte die KP-Führung in den achtziger Jahren unterbinden. Heute will sie eine zivilisierte Gesellschaft, in der auch in der Wirtschaft Anstand herrscht. Viele Unternehmer in China haben noch immer eine Einstellung wie im Wilden Westen. Ihre Geschäftsmodelle sind darauf ausgerichtet, möglichst viele Rechtslücken zu nutzen. Und davon gab es in China lange Zeit recht viele. Die Regierung will aber lieber Geschäftsideen, die sich im Rahmen des Regelwerks entwickeln.

Nur geht sie da nicht zu weit? Sie schränkt selbst das Online-Gaming bei Kindern ein.

Dahinter dürfte ein Stück weit Populismus stecken. Auch in China gibt es viele Eltern, die sich angesichts der Gaming-Vorlieben ihrer Kinder Sorgen machen. Sicherlich steckt hinter dieser Maßnahme auch die Vorstellung, bessere Menschen zu schaffen. Mao hatte das bereits über Kampagnen versucht. Xi versucht das jetzt über Regulierung und mit dem Sozialkreditsystem, das das Verhalten der Bürger bewertet. Einigen Unternehmen mag das nicht schmecken. Sie müssen sich an die neuen Regeln anpassen. Und sicherlich ärgern sich einige Leute, dass ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Xi wird aber sicher nicht so weit gehen, die großen Tech-Unternehmen zu zerschlagen. Das will er auf keinen Fall.

Vielleicht nicht komplett zerschlagen. Innovationskraft nimmt er ihnen aber schon.

Ich erinnere mich gut an ein Gespräch, das ich vor der Pandemie mit chinesischen regierungsnahen Experten führte. In diesem Gespräch wurde mir deutlich, dass die chinesische Regierung Bauchschmerzen mit den Tech-Konzernen hat. Einer sagte sogar: “Wenn wir eure Hidden-Champions hätten, würden wir euch unsere Alibabas gerne übergeben.” Hinter dieser Aussage steckt dieser tiefe Glaube, dass Wirtschaft etwas Reales sein muss, also was man anfassen, bauen oder essen kann. Die ganze Internet-Ökonomie ist aus dieser Warte suspekt.

Die IT-Industrie hat China technologisch aber enorm nach vorne gebracht.

Das hat sie. Aber es gibt einen weiteren Aspekt, der die chinesische Regierung umtreibt und der im Westen auch Thema ist: Die Frage der Macht dieser Plattformen. Sie sind sehr große und sehr reiche Unternehmen geworden, die unglaublich viele Daten gesammelt haben. Das macht sie sehr einflussreich. Auch wir diskutieren nicht umsonst über die Macht von Facebook und seinen Wettbewerbern. Bei uns stellt sich die Frage: Sind diese Plattformen eine Gefahr für die Demokratie? In China lautet sie: Gefährden sie die Partei? Ich finde es erstaunlich, wie lange die Führung diese Unternehmen überhaupt gewähren ließ.

China Führung folgt in ihrer Politik jedoch in vielen Fällen bekannten Mustern.

Wir kennen dieses Vorgehen aus anderen Bereichen: Man lässt es erst laufen und dann versucht man die Auswüchse zu bändigen. Im Alibaba-Fall gibt es Hinweise, dass Jack Ma wusste, was kommt und dass er im Oktober letzten Jahres diese Rede gehalten hat, um vor diesen anstehenden Regulierungen zu warnen. Damit ist er aus Sicht der Regierung aber zu weit gegangen. Ich glaube, diese Message ist bei den Tech-Unternehmen angekommen. Nach allem was ich weiß, geht es diesen Unternehmen aber weiterhin gut.

Und die Krise des Immobilienkonzerns Evergrande? Ein Crash des völlig überhitzten chinesischen Immobilienmarktes ist in den vergangenen zehn Jahren mehrmals schon vorausgesagt worden.

Es gibt in der Tat mehrere Immobilienunternehmen, die große finanzielle Probleme haben. Die Evergrande-Krise wirkt sich also auf den Immobilienmarkt aus. Und ziemlich sicher werden einige Köpfe rollen. Ich habe den Eindruck, die chinesische Regierung versucht die Auswirkungen auf die Kleinanleger und privaten Hauseigentümers sozial abzufedern. Die Firma als solche wird die Regierung aber eher nicht retten. Die Führung hat im vergangenen Jahr in diesem Sektor ganz bewusst die Zügel angezogen, um zu verhindern, dass der Immobilienmarkt überhitzt. Vielleicht hat sie nicht mit einem so großen Schock gerechtet. Jetzt lautet das Motto halt: Augen zu und durch.

Schon ist vom chinesischen Lehmann die Rede.

Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Die chinesische Regierung wird den Bankensektor immer retten. Er ist ohnehin überwiegend staatlich – mit Zähneknirschen zwar und es einige Leute zur Verantwortung gezogen werden. Aber einen kompletten Zusammenbruch halte ich für unwahrscheinlich.

Schon vor Beginn der Pandemie hat China ausländischen Unternehmen suggeriert: Wir brauchen euch nicht mehr, wir können inzwischen alles selbst. Die Pandemie nutzt sie nun als Grund, sich abzuschotten. Was beobachten Sie?

Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor. Im Ergebnis kann dies aber dennoch dazu führen, dass weniger Ausländer in China sind. Das Ganze hat mit dem im letzten Jahr vorgestellten Konzept der Dual Circulation zu tun. China will seinen Binnenmarkt stärken. In dem Konzept steht viel vom Abbau von Marktbarrieren innerhalb Chinas. Damit verbunden sind zwei weitere Ziele.

Welche?

In der Tat soll das Land weniger abhängig werden von ausländischer Technologie. Peking will verhindern, dass die USA Chinas technologische Abhängigkeit als Hebel nutzen kann, um China klein zu halten. Zugleich weiß die Führung aber, dass das Land weiter Rohstoffe und Märkte im Ausland braucht. Und da will China sogar expandieren. Mit dieser Strategie erhofft sich die Führung folgendes: Der chinesische Markt soll so groß und so wichtig sein, dass die ausländischen Unternehmen von selbst kommen – allerdings ohne die Privilegien, die ausländische Firmen bisher genossen haben, sondern zu den Bedingungen, unter denen auch chinesische Privatunternehmen funktionieren müssen.

Ausländische Unternehmen in China nehmen ihre Stellung dagegen nicht unbedingt als privilegiert wahr. Sie beklagen, dass sie schon jetzt benachteiligt werden.

Dann wird es für sie nun eher noch schwieriger. Denn die chinesische Konkurrenz ist zugleich richtig gut geworden. Bei der Automobilindustrie kommt hinzu, dass die ausländischen Hersteller beim Trend zur Elektromobilität nicht gerade die Avantgarde sind. China will sich nicht abschotten, sondern die bisherige Ausrichtung der globalen Märkte verändern. In der Vergangenheit zeigte die Kompassnadel der internationalen Handelsströme letztlich in Richtung der USA und Europa. China will, dass die Kompassnadel sich dreht.

Doris Fischer, 56, ist Wirtschaftswissenschaftlerin und Sinologin an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Sie leitet dort den Lehrstuhl für China Business and Economics. Fischer ist zudem Vizepräsidentin der Universität. In ihren aktuellen Forschungsprojekten untersucht sie die Rolle und Ausgestaltung von Industriepolitik für die Energiewende sowie die Auswirkungen des chinesischen Sozialpunktesystems auf Unternehmen.

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    Analyse

    EU-Strategiepapier zu Verteidigung: Ende der “Soft Power”

    Die EU will mehr Muskeln zeigen und bereitet sich mit einem neuen Strategiepapier auf ihre künftige Sicherheits- und Verteidigungspolitik vor – China spielt dabei keine unerhebliche Rolle. Denn die Volksrepublik wird mehrfach namentlich in dem Entwurf erwähnt, der China.Table vorliegt. Am Montag wurde das Dokument bereits im Rat der EU-Außen- und Verteidigungsminister besprochen. Die Stoßrichtung ist klar gefasst: Die EU müsse künftig deutlich mehr als eine “Soft Power” sein, wie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kommentierte.

    Um das zu erreichen, wiederholt die EU in ihrem Strategiepapier einerseits bereits bekannte Einschätzungen und betont ihren Ansatz der “strategischen Autonomie” zwischen Washington und Peking. Neu sind ein Ausbau der Abwehrinstrumente gegen Cyberattacken und Desinformations-Kampagnen. Außerdem soll eine schnelle EU-Einsatztruppe aufgebaut werden. Was Peking am meisten aufstoßen könnte: Brüssel will die koordinierte maritime Präsenz im Indo-Pazifik verstärken. Geplant ist, dass die Strategie beim Dezember-Gipfel der Staats- und Regierungschefs auf die Tagesordnung kommt und dann im Frühjahr unter französischer EU-Präsidentschaft beschlossen wird.

    Diese Punkte des Papiers sind wichtig für die EU-China-Politik:

    • Einschätzung der Bedrohungslage: In der Strategie wird vor Chinas Aktivitäten im Indo-Pazifik-Raum gewarnt. Geopolitische Spannungen im Indo-Pazifik gefährdeten “die regionale regelbasierte Ordnung”. Die EU habe “ein entscheidendes Interesse daran, sicherzustellen, dass das Völkerrecht im Seeverkehr und anderen Bereichen gilt.” Das Papier wiederholt den bekannten Dreiklang von “Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale”, mit dem die EU China seit 2019 charakterisiert, mahnt jedoch: “China ist zunehmend in regionale Spannungen verwickelt und beteiligt.” Als wirtschaftlicher und systemischer Konkurrent verschaffe sich die Volksrepublik Vorteile und neige dazu, den Zugang zu seinem Markt einzuschränken. “Es verfolgt seine Politik auch durch seine wachsende Präsenz auf See, im Weltraum und online.” Zwischen den EU-Staaten müsse es deshalb eine “enge Zusammenarbeit” mit anderen regionalen und globalen Partnern geben.
    • Positionierung zu USA und China: Eine “zunehmende Bipolarität zwischen den USA und China” bestimme derzeit den internationalen Wettbewerb in nahezu allen Bereichen, heißt es in dem Entwurf. Die USA seien nach wie vor eine Weltmacht und einer der “treuesten internationalen” Partner der EU. Washington sei jedoch zunehmend in Richtung Asien orientiert. Verlagerung nach Asien ist nicht zu leugnen. China habe als globale Macht unterschiedliche “Agenden, Ambitionen und Fähigkeiten”. Das Strategiepapier legt nahe, dass sich Brüssel auf keine der beiden Seiten stellen möchte: Die “EU als Global Player” wolle eine aktive Rolle spielen, “indem sie ihre eigene wertebasierte Vision einer sichereren und gerechteren Welt fördert.”
    • Engagement im Indo-Pazifik: Wird die Strategie von den Mitgliedsstaaten angenommen, würde das dazu führen, dass die EU ab 2022 ihre “maritimen Präsenzen in Interessengebieten ausweitet, beginnend mit dem Indo-Pazifik”. Das umfasse häufigere Hafenanläufe von EU-Militärschiffen, Patrouillen sowie Seeübungen mit den regionalen Partnern Japan, Südkorea, Indien, Indonesien und Vietnam. Mit den ASEAN-Staaten soll zudem der Informationsaustausch unter anderem zu Cyber- und Seesicherheit ausgebaut werden. Auch Peking soll in Sachen Indo-Pazifik einbezogen werden: “Wir werden den Dialog und die Konsultationen mit China fortsetzen, insbesondere um die Achtung des Seerechts und eine auf Regeln basierende internationale Ordnung zu gewährleisten.”
    • Schnelle EU-Eingreiftruppe: Die “EU Rapid Deployment Capacity” soll ermöglichen, schnell bis zu 5.000 Soldaten für verschiedene Arten von Krisen zu entsenden. Der Vorschlag ist umstritten, im Zuge der Afghanistan-Krise hatten die EU-Mitgliedstaaten jedoch im Sommer bereits über Ideen für eine solche Einsatzgruppe und die Möglichkeit von ad-hoc-Militärkooperation zwischen interessierten EU-Mitgliedstaaten diskutiert. Im Krisenfall wäre die EU so auch fähig, beispielsweise in Nachbarländern Chinas wie Afghanistan tätig zu werden. Nicht geklärt ist allerdings die Frage, wie weit die EU ihre Verteidigungspolitik selbst gestalten will: Frankreich setzt sich dafür ein, langfristig vollkommen unabhängig etwa von den USA zu werden. Deutschland und vor allem die Staaten Osteuropas wollen allerdings weiter eine enge Zusammenarbeit mit Washington. Die nun vorgeschlagene EU-Eingreiftruppe ist eine Art Kompromiss. Außerdem sollen Überschneidungen mit Nato-Bereichen vermieden werden.
    • Cyber-Toolbox: Der Entwurf enthält eine Reihe neuer Wege und Mittel zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit gegen hybride Bedrohungen. So nennt er beispielsweise eine Zusage, EU-“Rapid Hybrid Response Teams” einzurichten, die bei Cyberattacken oder Desinformationskampagnen kurzfristig zum Einsatz kommen. “Wir müssen in der Lage sein, schnell auf Cyberangriffe zu reagieren”, heißt es in dem Dokument. Zuletzt gab es immer wieder Kritik daran, wie die EU mit Desinformationskampagnen aus Peking umgeht (China.Table berichtete). Anders als im Falle Russlands hat der Europäische Rat dem EEAS bisher kein offizielles Mandat erteilt, um chinesische Falschinformationen konsequent zu verfolgen. Amelie Richter

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      Reaktionen auf Machtausbau: “Xi zwingt uns zum Systemwettbewerb”

      Nach der “historischen Resolution” des 6. Plenums des Zentralkomitees erhoben Funktionäre der allein regierenden Kommunistischen Partei Staatschef Xi Jinping pathetisch zum Steuermann. “Solange wir den Kameraden Xi als den Kern anerkennen, wird das gigantische Schiff der nationalen chinesischen Verjüngung einen Steuermann haben und in der Lage sein, jedem Sturm die Stirn zu bieten”, sagte der Leiter des parteieigenen Politikforschungsbüros, Jiang Jinquan, bei einer Abschluss-Pressekonferenz des Plenums am vergangenen Freitag. Xi habe es verdient, dass man ihn als “Führer des Volkes” bezeichnet.

      Weil Protokoll, aber auch Rhetorik in sozialistischen Diktaturen von überragender symbolischer Bedeutung sind, ist das jüngste Attribut für Xi ein Zeichen für seine zentrale Rolle auf Jahre hinaus. Staatsgründer Mao Zedong war der bislang einzige Vorsitzende, den die Kader in den inoffiziellen Status des “Steuermanns” erhoben hatten, des “Großen Steuermanns” wohlgemerkt. Das Adjektiv hat Mao seinem Nachfolger in fünfter Generation noch voraus.

      “Wenn man die aktuelle sogenannte ‘historische Resolution’ mit den vorigen beiden von Mao Zedong und Deng Xiaoping vergleicht, dann gibt es einen wichtigen Unterschied: Diesmal geht es nicht darum, das bisherige politische und wirtschaftliche System Chinas durch ein neues zu ersetzen“, erklärt der China-Forscher Marc Oliver Rieger, Leiter des Konfuzius-Instituts in Trier, China.Table. Stattdessen würde im Copy&Paste-Verfahren die Kontinuität im Abschlussdokument betont. “Einzig historisch ist, dass implizit angekündigt wird, Xi Jinpings Amtszeit über das nächste Jahr hinaus zu verlängern”, sagt Rieger.

      Noah Barkin, China-Experte bei Rhodium Group und dem German Marshall Fund, blickt mit Sorge auf die Entwicklung: “Die Hauptbotschaft des 6. Plenums ist, dass sowohl Xi Jinping als auch seine Politik noch viele Jahre bestehen werden. Wir können in Zukunft ein autoritäreres China, ein nationalistischeres China, ein isolierteres China und ein selbstbewussteres China erwarten.” Europa müsse als Reaktion auch klar seine roten Linien festsetzen und diese dann einhalten, so Barkin. Für die Kooperation zwischen Brüssel und Peking sieht er eine eher komplizierte Zukunft: Die EU müsse sich auch auf eine Welt vorbereiten, in der die Zusammenarbeit viel schwieriger werden, betont Barkin.

      Machtpolitische Meisterleistung

      Dass es Xi gelungen ist, die Partei in wenigen Jahren zu einer Verfassungsänderung in seinem Sinne zu nötigen und nun auch das Zentralkomitee hinter sich zu scharen, ist zweifellos eine machtpolitische Meisterleistung. Nach fast 50 Jahren ebnete das mächtige Parteiorgan mit seinen knapp 400 Mitgliedern vermeintlich einvernehmlich den Weg der Volksrepublik in eine “personalisierte Diktatur”, wie der Politikwissenschaftler Andreas Fulda das Land unter Xis Führung bezeichnet. Beim kommenden Parteitag in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 könnte Xi eine dritte Amtszeit anstreben, was seinen Vorgängern Hu Jintao und Jiang Zemin verwehrt geblieben war.

      “Auf absehbare Zeit wird die Welt es mit Xi Jinping als chinesischem Parteikaiser zu tun haben. Damit ist auch klar, dass jegliche Hoffnung, sein harter Kurs nach innen und außen könne sich vielleicht abschwächen, auf Sand gebaut ist”, sagt Reinhard Bütikofer China.Table. Der Europaparlamentarier der Grünen wurde im Frühjahr von chinesischer Seite zur Persona non grata erklärt: Er gehört zu einer Gruppe sanktionierter Personen und Institutionen aus der EU. “Mit seiner Mischung aus aggressivem Nationalismus, Triumphalismus und Zentralismus zwingt er uns zum Systemwettbewerb, ob wir wollen oder nicht”, so Bütikofer.

      Bütikofers Kollegin im EU-Parlament, die Europa-SPD-Abgeordnete Evelyne Gebhardt, warnt: “Der Ausbau der Machtstellung von Xi Jinping hat sich bereits vor Jahren abgezeichnet und entwickelt sich zu einem Personenkult.” Durch die zentrale Steuerung sämtlicher politischer Tätigkeiten seien diplomatische Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Volksrepublik sehr erschwert, so Gebhardt, die Teil der Delegation für die Beziehungen zu China des EU-Parlaments ist. “Diplomatie braucht Kompromissbereitschaft, die wir unter der aktuellen chinesischen Führung vermissen.”

      Auch die Journalistin Qin Liwen fürchtet, dass Xis Konsolidierung der Macht die Fortsetzung einer “aggressiven und bestimmenden Außenpolitik” der Volksrepublik bedeutet. “Xi will China zur ‘bedeutendsten Nation’ der Welt machen, was in seiner Wahrnehmung heißt: China schreibt der Welt seine Regeln vor“, sagt Qin.

      Damit einher geht eine strikte Ablehnung eines demokratischen Wertesystems. Selten wenden sich Parteifunktionäre so klar gegen das dominierende politische System des Westens wie KP-Politikforscher Jiang das am Freitag tat. “Demokratie ist keine exklusive Ermächtigung westlicher Staaten und weniger noch sollte sie von westlichen Staaten definiert und auferlegt werden”, sagte Jiang. Demokratie sei ein “Spiel der Reichen”, dessen Regeln durch Geld bestimmt würden.

      “Katastrophale Fehler vermeiden”

      Das 6. Plenum warnte in seinem Kommuniqué auch davor, dass das Land “katastrophale Fehler in grundlegenden Angelegenheiten” vermeiden müsse. In der Vergangenheit berührten “grundlegende Angelegenheiten” der Volksrepublik China das Ausland meist nur marginal. Als zweitgrößte Volkswirtschaft, größter CO₂-Emittent, größter Konsumentenmarkt, größter globaler Kreditgeber, größter Handelspartner zahlreicher Regionen und Nationen oder größter atomarer Aufrüster sind die Konsequenzen chinesischer Politik inzwischen überall auf der Welt zu spüren.

      Publizistin Qin, die viele Jahre als Nachrichtenchefin eines chinesischen Onlineportals arbeitete und heute in Berlin lebt, sieht darin deutliche Signale, dass sich Peking in vielen Aspekten “nicht als der kooperative, internationale Partner erweisen wird, den die westliche Agenda für die Lösung von Problemen benötigt.”

      Dringlichstes internationales Anliegen ist der Kampf gegen den Klimawandel. “Schritt für Schritt”, heißt es in dem Beschluss, wolle das Land Klimaneutralität erreichen. Qin erwartet, dass sich die nötige Reduktion von CO₂-Emissionen Chinas wirtschaftlicher Entwicklung und damit seiner sozialen Stabilität unter allen Umständen unterordnen muss. Den Verlust ihres Machtmonopols fürchte die Kommunistische Partei mehr als mögliche Konsequenzen durch eine Erderwärmung von mehreren Graden, so Qin.

      Neue Seidenstraße eine “außenpolitische Belastung”

      Zum Machterhalt beitragen soll eine Agenda, die widerspiegelt, was Chinas Staatsführung seit Jahren als Leitfaden ausgibt. Innovativ und grün wolle das Land wachsen und dabei sowohl den öffentlichen als auch den privaten Sektor fördern. Dabei sollten Monopole und eine “ungeordnete Expansion des Kapitals” bekämpft werden. Die Partei will Anreize setzen, damit die Menschen in Land durch Unternehmertum “reich werden” können. Dabei soll gleichzeitig das Konzept des allgemeinen Wohlstands realisiert werden, wozu eine gleichmäßigere Verteilung der Einkommen erzielt werden muss.

      Auch außenpolitische Aspekte sind Teil des Dokuments. Die Situation in Hongkong habe Staatschef Xi nach den Massenprotesten “aus dem Chaos zur Kontrolle” geführt. Im Konflikt um Taiwan lobt der Beschluss Pekings Führungsrolle und Entschlusskraft. Die chinesische Regierung bezeichnet den Inselstaat als untrennbaren Teil der Volksrepublik und verurteilt dessen diplomatisches Bestreben nach größerer internationaler Anerkennung.

      Keine Erwähnung dagegen findet die Neue Seidenstraße-Initiative. Jie Yu von der Londoner Denkfabrik China at Chatham House sagte der Nachrichtenagentur Bloomberg, sie halte das für ein Indiz dafür, dass die Initiative “eher zu einer außenpolitischen Belastung” geworden sei als zu einem Gewinn. Das weltweite Investitionsprogramm hat nicht nur Befürwortung wegen möglicher Impulse für den globalen Handel ausgelöst, sondern auch viel Misstrauen gegenüber chinesischen Ambitionen. Mitarbeit: Amelie Richter

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        China schwächt COP-Zusagen ab

        China hat in letzter Minute für eine Abschwächung der Formulierungen zum Ausstieg aus Kohlekraft bei der UN-Klimakonferenz COP26 gesorgt. Gemeinsam mit Indien habe die chinesische Delegation darauf beharrt, den Klimapakt in Glasgow erst zu unterzeichnen, wenn die Verpflichtungen zur Abschaffung von Kohlekraft und Subventionen für fossile Brennstoffe verwässert wird, berichtet die Financial Times. Demnach waren die Verhandlungen in dem Bereich bis zum Schluss angespannt. Der nun geschlossene Last-Minute-Deal der COP26 beinhaltet jedoch zum ersten Mal offizielle Zusagen, den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu reduzieren.

        Der endgültige Text verpflichtet die 197 Vertragsparteien des Pariser Abkommens, die unverminderte Kohleverstromung “auslaufen” zu lassen und “ineffiziente Subventionen für fossile Brennstoffe auslaufen zu lassen”. Zwar taucht der Bereich in der Abschlusserklärung auf – die Klausel wurde im Laufe der Woche aber erheblich abgeschwächt. China und Indien bestanden Medienberichten zufolge dann am Samstag auf die kurzfristige Änderung der Formulierung von “phase out” zum unverbindlicheren und schwächer formulierten “phase down”. Der Unterschied zwischen der kompletten Ausmerzung von Kohle und lediglich derer Begrenzung war vor allem für kleinere Inselstaaten wichtig.

        Andere Teilnehmer-Staaten der COP26 seien von den chinesisch-indischen Forderungen überrumpelt worden, hieß es in Medienberichten. COP-Präsident Alok Sharma warnte am Sonntag im Fernsehsender BBC, dass China und Indien ihre politischen Machenschaften gegenüber Ländern, die vom Klimawandel härter getroffen würden, “rechtfertigen” müssten. Sharma hatte sich bereits am Samstagabend sichtlich emotional in seinem Abschluss-Statement für die abgeschwächte Zusage zum Kohleausstieg geäußert: “Ich entschuldige mich für die Art und Weise, wie sich dieser Prozess entwickelt hat. Und es tut mir zutiefst leid. Ich verstehe auch die tiefe Enttäuschung.”

        Chinas Bilanz bei der UN-Klimakonferenz ist durchwachsen: Am Mittwochabend einigten sich Peking und Washington auf die Einsetzung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe – was als wichtiges Zeichen der beiden Wirtschaftsmächte gesehen wurde. Anderen Initiativen wie “Powering Past Coal Alliance” (PPCA) oder der Verpflichtung zur Reduzierung der weltweiten Methan-Emission trat die Volksrepublik aber beispielsweise nicht bei (China.Table berichtete).

        Neben der erstmals niedergeschriebenen Verpflichtung zur Reduzierung von Kohleverbrauch und Subventionen für fossile Brennstoffe, verpflichtet das Abkommen die Teilnehmerstaaten auch, ihre Emissionsreduktionsziele für 2030 bis Ende des kommenden Jahres zu verstärken. Das Klima-Paket fordert die reichen Nationen zudem auf, den Geldbetrag, den sie Entwicklungsländern für die Anpassung an den Klimawandel zur Verfügung stellen, “mindestens zu verdoppeln”. ari

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          Wanda dementiert Gerücht über Wang Jianlins Tod

          Der Immobilienkonzern Dalian Wanda hat sich dem Gerücht entgegengestellt, dass Firmenchef Wang Jianlin verstorben sein soll. Er habe am Montag regulär einer Sitzung beigewohnt, teilte das Unternehmen mit. Ein Sprecher betonte gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg, der Firmenchef sei wohlauf. Online-Beiträge über den Tod Wangs seien falsch. Wanda habe Anzeige erstattet. fin

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            Neuer Standort: Huawei forscht zu KI in Saarbrücken

            Der Netzwerkausrüster und Smartphone-Hersteller Huawei hat ein sogenanntes Digital Competence Center in Saarbrücken eröffnet. Dabei soll ein Team im Bereich Künstliche Intelligenz und Cybersicherheit “mit Partnern aus Forschung, Wissenschaft und Wirtschaft zusammenarbeiten”, so das Unternehmen. Das Center wird auf dem Campus der Saar-Universität angesiedelt.

            Ammar Alkassar, der Bevollmächtigte für Innovation und Strategie des Bundeslands, sieht die Auswahl des Standortes als einen weiteren wichtigen Baustein für das IT- und KI-Kompetenzcluster des Saarlands. Die Ansiedlung eines Weltkonzerns unterstreiche, dass die Innovations- und Digitalisierungsstrategie in die richtige Richtung weise.

            Pläne für den Forschungsstandort Saarbrücken hatte Huawei bereits im Mai verkündet und Ministerpräsident Tobias Hans, hatte sich damals für “diesen Ansiedlungserfolg” starkgemacht. Im Oktober erst hat Huawei ein Innovationszentrum in Finnland eröffnet (China.Table berichtete). Huawei ist wegen möglicher Einflussnahme der chinesischen Regierung umstritten. niw

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              Am Singles Day trotz Crackdown hoher Umsatz

              Auf den Plattformen des Internetriesen Alibaba haben die Händler während der vergangenen elf Tage bis zum 11.11.2021 anlässlich des Singles Days Waren im Wert von 84,5 Milliarden US-Dollar verkauft. Im vergangenen Jahr hatten sie rund 74 Milliarden Dollar eingenommen. Angesicht der zunehmenden Regulierung von Technologiekonzernen (China.Table berichtete) verzichtete Alibaba in diesem Jahr auf den bisher üblichen Medienhype mit einer Gala-Show, ständigen Rabattangeboten und Live-Streaming-Verkaufsshows mit Influencern. Vielmehr versuchte Aliababa, sich mit Themen wie Nachhaltigkeit in ein besseres Licht zu rücken. Rund 400 Marken, darunter Apple und L’Oreal, haben je mehr als 15 Millionen Dollar Umsatz gemacht. niw

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                Yuan bleibt auf Rekord-Niveau

                Chinas Währung befindet sich auf einem Fünf-Jahres-Hoch im Vergleich zu 24 Vergleichswährungen. Im Verlauf des Jahres wertete der Yuan um sechs Prozent auf, wie die Wirtschaftsseite Caixin berichtet. Demnach erwarten Analysten, dass die Währung ihren starken Kurs bis ins Frühjahr 2022 fortsetzen könnte.

                Als Ursachen der Aufwertung gelten die starken Exporte und der Zinsunterschied zwischen den USA und China. Im Oktober hatte die Volksrepublik einen neuen Rekord beim monatlichen Handelsüberschuss vermeldet (China.Table berichtete). Die höheren Zinsen in China machen die Kapitalmärkte in der Volksrepublik attraktiv für internationale Investoren. Der Betrag an chinesischen Staatsanleihen, die von Ausländern gehalten werden, erreichte im Oktober mit umgerechnet 550 Milliarden US-Dollar einen neuen Höchststand. Schwächere Importe und weniger Investitionen und Übernahmen durch chinesische Unternehmen im Ausland haben zudem die Nachfrage nach ausländischen Währungen verringert. Für das Frühjahr 2022 wird eine Annäherung der Wachstumsraten Chinas und der USA erwartet. Damit könnte die Yuan-Stärke etwas abnehmen, so Caixin. nib

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                  Pekings neuer Handelsplatz – Beijing Stock Exchange

                  von Christina Gigler, Rödl & Partner Peking

                  Der wachsende chinesische Kapitalmarkt, sowohl der Aktien- als auch der Anleihemarkt, wird von ausländischen Investoren oft vernachlässigt. Viele lokale chinesische (insbesondere technologieorientierte) Unternehmen wählen allerdings ein Initial Public Offering (IPO) als Finanzierungsform. Auch für chinesische Finanzinvestoren sind IPOs die bevorzugte Exit-Form. Anfang September kündigte Präsident Xi Jinping an, dass China eine neue Börse in Peking (Beijing Stock Exchange) einrichten und sie zu einer wichtigen Handelsplattform für innovative kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ausbauen wird. Die Pekinger Börse ist nun die dritte auf dem chinesischen Festland neben den seit den 90er-Jahren bestehenden Börsen in Shanghai und Shenzhen.

                  Bereits Ende 2021 könnte der Handel mit zunächst 70 Unternehmen aus der “ausgewählten Stufe” an der National Equities Exchange and Quotations Co., Ltd. (NEEQ, auch als “New Third Board” bekannt) aufgenommen werden. Diese wurde ursprünglich als Chinas Gegenstück zum NASDAQ im Rahmen des Aufbaus eines mehrstufigen Kapitalmarktsystems gegründet. Die Pekinger Börse soll so strukturiert werden, dass sie eine verbesserte Version des New Third Board darstellt und das Potenzial hat, sich als große dritte Säule auf dem Kapitalmarkt neben der Shanghai Stock Exchange und der Shenzhen Stock Exchange zu etablieren.

                  Auf der offiziellen Website des National Enterprise Credit Information Publicity System wurde bekannt gegeben, dass die Unternehmensregistrierung für die Beijing Stock Exchange Co., Ltd., abgeschlossen und am 3. September 2021 gegründet sowie genehmigt wurde. Die neue Börse wird zu 100 Prozent im Besitz der NEEQ stehen, die alleinige Gesellschafterin ist. Das eingetragene Kapital beträgt eine Milliarde Yuan.

                  Entzerrung der Konzentration von Handelsplätzen im Süden

                  Die Ansiedlung der neuen Börse in der Hauptstadt kommt dabei nicht von ungefähr – sie hat sowohl praktische als auch politische Vorteile. Auf politischer Ebene könnte ein Faktor das Ungleichgewicht der Kapitalressourcen sein, da Chinas wichtigste Aktienmärkte derzeit in Ost- und Südchina positioniert sind. In praktischer Hinsicht hat Peking mit der NEEQ bereits den Grundstein für eine Börse gelegt, die auf KMU spezialisiert ist. Hauptziel der Gründung soll ein leichterer Zugang für KMU zum Kapitalmarkt sein, denn obwohl 99,8 Prozent der Unternehmen in China als KMU gelten und circa 50 Prozent der Steuereinnahmen Chinas stellen, hat ein Großteil der Unternehmen erhebliche Schwierigkeiten beim Zugang zu alternativen Finanzierungsquellen.

                  Die Ankündigung und Gründung erfolgt in einer Zeit, in der die Besorgnis über eine mögliche Abkopplung der chinesischen Wirtschaft zunimmt und die US-Regierung Maßnahmen ergreift, chinesischen Unternehmen den Börsengang in den USA zu erschweren. So sind seit Ende 2020 chinesische Unternehmen, die an US-Börsen notiert sind, verpflichtet, sich einer Prüfung durch eine US-Aufsichtsbehörde zu unterziehen. Viele chinesische Unternehmen sehen sich gezwungen, ihre Notierung aufzugeben, da es ihnen untersagt ist, ausländischen Aufsichtsbehörden ohne Genehmigung der chinesischen Regierung Zugang zu ihren Buchhaltungsunterlagen zu gewähren.

                  Zudem kündigte Anfang Juli 2021 die chinesische Cyberspace-Behörde an, dass Unternehmen mit mehr als eine Million Nutzern einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden müssen, bevor sie ihre Aktien im Ausland notieren dürfen. Da die Regulierungsbehörden befürchten, dass chinesische Unternehmen, die Daten ins Ausland übertragen, Risiken für die Cybersicherheit und die nationale Sicherheit verursachen könnten, ergreift China Maßnahmen, um Unternehmen zu ermutigen, ihren Börsengang im Inland zu forcieren. Die Gründung der Pekinger Börse könnte somit Teil dieser Bemühungen sein.

                  Die Rolle der Beijing Stock Exchange in Chinas Finanzsystem

                  Die Pekinger Börse wird eine andere Rolle spielen als die bestehenden Börsen in Shanghai und Shenzhen, und gleichzeitig die Verbindung mit diesen Märkten aufrechterhalten. So dürfen beispielsweise Aktien an der Pekinger Börse unter bestimmten Bedingungen auf die Börsen in Shanghai und Shenzhen übertragen werden. Die Shanghaier Börse ist heute die größte Festlandchinas und eine wichtige Säule der Volkswirtschaft. Sie ist spezialisiert auf die Listung von Unternehmen grundlegender Industrien und Schlüsselbranchen.

                  Zusätzlich wurde im Sommer 2019 mit dem Science and Technology Board (STAR Market) ein auf Start-ups und Hightech-Unternehmen spezialisierter Handelsplatz etabliert. Vor allem Unternehmen aus der Hightech-Branche, aus strategischen neuen Industrien wie Informationstechnologie der neuen Generation, High-End-Ausrüstung, neue Materialien, alternative Energiegewinnung und -einsparung, Umweltschutz sowie Biomedizin und weitere, sind am STAR Market gelistet.

                  Die Börse Shenzhen listet verschiedene Marktindizes mit unterschiedlicher Marktpositionierung, z.B. Blue Chips mit hoher Marktkapitalisierung. Als zweiter Markt – ähnlich dem amerikanischen NASDAQ – wurde 2009 der ChiNext etabliert, der auf Privat- und Technologieunternehmen spezialisiert ist. Mit der Pekinger Börse soll nun für KMU ein spezialisierter Handelsplatz geschaffen werden. Zugleich wird NEEQ, wo bis Ende 2020 rund 6.000 KMU gelistet waren, aufgewertet.

                  Mitte September gab die Pekinger Börse Leitlinien heraus, in denen die Kriterien für qualifizierte Börsenteilnehmer beschrieben sind. Kleinanleger müssen danach über ein Wertpapiervermögen von mindestens RMB 500.000 (circa 67.000 €) verfügen und eine mehr als zweijährige Investitionshistorie haben, um an der Pekinger Börse notiert werden zu können. Es wurde keine Kapitalschwelle für institutionelle Anleger festgelegt. Anfang November wurden die Beijing Stock Exchange Trading Rules (Trial) und die Beijing Stock Exchange Member Management Rules (Trial) veröffentlicht, sowie grundlegende Geschäftsregeln und Leitlinien, die am 15. November 2021 in Kraft treten, der auch darauf hindeutet, dass dies der offizielle Start der Pekinger Börse geplant war.

                  Dreistufige Kriterien für den Zugang zum Markt

                  Die NEEQ wurde vor allem für Kleinstunternehmen, KMU und Start-ups gegründet, die nicht in der Lage sind, die Notierungsstandards der Börsen in Shanghai und Shenzhen zu erfüllen. Derzeit nutzt die NEEQ ein Stufensystem für Anleger mit unterschiedlichen Schwellenwerten für die jeweilige Stufe. Nur wenn Unternehmen eine dieser Stufen erfüllen, sind sie zum Handel am New Third Board berechtigt.

                  Die Beijing Stock Exchange wird das dreistufige System zur Verwaltung der Anlegereignung übernehmen. Die drei Stufen sind:

                  1. die “ausgewählte Stufe” (derzeit 70 Unternehmen) – exklusiv und mit den strengsten Anforderungen an hochwertige Unternehmen der NEEQ, die gute Rentabilität aufweisen oder sehr innovativ sind,
                  2. die “innovative Stufe” für Unternehmen, die die Anforderungen für die ausgewählte Stufe nicht erfüllen, aber gut geführt sind, und
                  3. die “Basisstufe” für alle übrigen Unternehmen.

                  Die Pekinger Börse wird nur Unternehmen der “ausgewählten Stufe” der NEEQ integrieren. Unternehmen der beiden anderen Stufen werden weiterhin im Freiverkehrsmarkt der NEEQ bleiben. Die Notierung an der Pekinger Börse wird für Unternehmen möglich, wenn sie zwölf Monate in Folge in der “ausgewählten Stufe” der NEEQ gelistet waren, den erwarteten Marktwert und bestimmte Finanzstandards erfüllen, bei der CSRC registriert sind und ein öffentliches Angebot an nicht-spezifische qualifizierte Investoren durchgeführt haben.

                  Für ausländische Anleger gibt es derzeit keine besonderen Regeln. Es wird erwartet, dass die Regeln für den Handel ausländischer Anleger mit den einschlägigen NEEQ-Regeln übereinstimmen werden.

                  Mit der Gründung der Pekinger Börse versucht die chinesische Regierung, wie schon durch die Gründung des STAR Markets, IPOs von chinesischen, technologie- und zukunftsorientierten Unternehmen im Land zu halten. Die Regulierung für heimische (Privat-) Unternehmen, die im Ausland oder in Hongkong (S.A.R.) einen Börsengang planen, wurden in den letzten Jahren verschärft. Prominentes Beispiel ist der Fahrdienstleister Didi, der sich kurz nach seinem Börsengang in den USA einer Cybersicherheitsprüfung in China unterziehen musste und mit einem Downloadverbot seiner App in China sanktioniert wurde.

                  Christina Gigler, LL.M., ist Rechtsanwältin (Senior Associate) und Leiterin der Rechtsabteilung bei Rödl & Partner in Peking. Sie begleitet und betreut Mandanten bei ihrem Markteintritt in China. Ihre Schwerpunkte liegen im Gesellschaftsrecht, in der Restrukturierung von Unternehmen, im Arbeits- und im Vertragsrecht.

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                      Liebe Leserin, lieber Leser,

                      wie unerbittlich die Führung in China seit Mitte dieses Jahres gegen den Tech-Sektor vorgeht, überraschte viele Beobachter. Schließlich ist der Bereich hochinnovativ und eine Wachstumslokomotive für das Land. Für die Ökonomin Doris Fischer von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg ist der Schritt jedoch in gewisser Weise nachvollziehbar: “Natürlich weiß die Führung, dass das Land diese vitalen Unternehmen braucht. Zugleich schaut sie aber auch auf andere Länder und sieht, wie unkontrollierbar und gefährlich gerade auch die sozialen Netzwerke werden können. Das will sie verhindern.” Im Interview mit Felix Lee spricht Fischer über die “Bauchschmerzen” der chinesischen Regierung, wenn es um Tech-Unternehmen geht. Außerdem erklärt die Wirtschaftswissenschaftlerin, warum schlechte Nachrichten in einzelnen Sektoren nicht gleich bedeuten, dass das Wachstum zusammenbricht.

                      In Brüssel wurde am Montag im Rat der EU-Außen und Verteidigungsminister über ein richtungsweisendes Dokument gesprochen: Den Entwurf des Richtungspapiers der Europäischen Union zu Verteidigung und Sicherheit. Tatsächlich zeichnet sich darin eine klarere Haltung des Bündnisses gegenüber Mächten mit deutlich abweichenden Interessen ab. Die Erkenntnis: Es reicht nicht mehr aus, nett und freundlich seine “Besorgnis” über das Weltgeschehen auszudrücken. Die EU müsse militärisch handlungsfähig werden, lautet einer der Eckpunkte. Leider wird es bis dahin noch sehr lange dauern.

                      Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

                      Ihre
                      Amelie Richter
                      Bild von Amelie  Richter

                      Interview

                      “China will sich nicht abschotten”

                      Doris Fischer China-Ökonomin an der Universität Würzburg zur Abschottung Chinas
                      China-Ökonomin Doris Fischer von der Universität Würzburg

                      Frau Fischer, Lieferengpässe, Stromausfälle, Tech-Konzerne stehen unter Druck, dann die Krise des Immobilienriesen Evergrande – die Probleme ballen sich. Wie steht es derzeit um die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt?

                      Ich habe neulich erst mit einem deutschen Unternehmer gesprochen, der mir schilderte, wie rasant für viele Firmen die Transportkosten von China nach Deutschland gestiegen sind. Es gibt nicht genug Container. Das hat verschiedene Gründe. Ein Problem bleibt aber Corona. Obwohl China im eigenen Land die Pandemie weitgehend im Griff hat, spielt das Virus dennoch eine gravierende Rolle. In den Sommermonaten waren es die Häfen von Ningbo und Shenzhen, die die Behörden wegen ein paar wenigen Fällen teilweise dicht machten. Nun trifft es auch den Bahnverkehr. Die chinesischen Behörden haben zuletzt zwei Grenzübergänge für Güterzüge gesperrt, weil es zwei Fälle gab. Im Bahnverkehr gibt es jetzt ebenfalls einen Rückstau.

                      Ein Corona-Fall in China – schon stockt der gesamte Welthandel? Wie konnte es so weit kommen?

                      Seit der Jahrtausendwende sind die globalen Lieferketten so fein ziseliert und perfekt aufeinander abgestimmt, dass Betriebe auch in Deutschland sofort zu spüren bekommen, wenn es nur an einer Stelle hakt. Abfertigungsprobleme gibt es derzeit auch in Großbritannien und den USA. Das gesamte System ist hoch anfällig. Und als größter Produzent nicht nur von Konsumgütern, sondern auch industriellen Vorprodukten kommt China eine Schlüsselrolle zu.

                      Die meisten Länder haben sich längst damit abgefunden, mit dem Virus irgendwie zu leben –  zumal es Impfstoffe gibt. Reagiert China nicht über?

                      Die chinesische Regierung hat sich vor anderthalb Jahren zum Ziel gesetzt, das Virus auszumerzen. Nun fällt es ihr schwer, von diesem Versprechen abzurücken.

                      Die Nebenwirkungen der Null-Covid-Strategie sind erheblich.

                      Natürlich tut das weh. Der Parteisekretär der Inneren Mongolei musste nach nur zwei Monaten im Amt gehen, weil es in seiner Provinz zu einem Ausbruch kam. Mehr als fünf Millionen Nanjinger durften wegen einigen wenigen Fällen über die Oktoberfeiertage nicht die Stadt verlassen. Der Führung geht es wirklich darum, das Virus zu unterdrücken. Besonders rigide geht sie in der Hauptstadt Peking vor. Dort greifen zum 6. Plenum des Nationalen Volkskongresses und wenige Monate vor den Olympischen Winterspielen schon wieder strengere Einreisebeschränkungen.

                      Anders als noch bei seinen Vorgängern scheint Xi Jinping Wirtschaftswachstum nicht über alles zu stellen?

                      Das Wachstum im dritten Quartal lag bei 4,9 Prozent. Das ist zwar weniger als manche erwartet haben. Aber den Glauben, dass China immer hohe Wachstumszahlen hat, halte ich für fehlgeleitet. Die absolute Basis wird ja immer größer, das würde eine exponentielle Expansion ergeben. Chinas Ansage, das Wachstum werde sich im Durchschnitt – und zwar ohne Corona – über die nächsten Jahre  erst bei sechs Prozent einpendeln und dann sukzessive zurückgehen, halte ich für realistisch.

                      Welche Rolle spielt die Pandemie für das Wirtschaftsgeschehen?

                      Natürlich hat die Pandemie auch Auswirkungen auf Chinas Wirtschaft. Es gab zudem die große Flut in Henan, und andere Auswirkungen des Klimawandels. Die Krise mit Evergrande wird den Immobilienmarkt dämpfen. Und das Vorgehen gegen die Tech-Konzerne hat wirtschaftliche Auswirkungen. Ich würde all das dennoch nicht überbewerten. China ist ja eigentlich wie ein Kontinent. Wenn es in einer Region zu Problemen kommt, bedeutet das nicht gleich einen Durchhänger für das ganze Land.

                      Sie klingen optimistisch.

                      Ich denke schon, dass die chinesische Regierung nervös ist. Sie hat im Moment recht viele Probleme gleichzeitig zu bewältigen. Einiges ist aber auch bewusst so gewollt. Die Regulierung des Tech-Sektors in China steht schon lange an. Diese großen Unternehmen hatten freie Hand und sind sehr groß und einflussreich geworden. Sie betreiben unlauteren Wettbewerb und lassen zwielichtige Gestalten Geschäfte machen. Und dann behauptet Alibaba-Chef Jack Ma auch noch in aller Öffentlichkeit, sein Unternehmen könne es besser als die Staatsbanken. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht.

                      Aber Chinas Tech-Sektor ist der Bereich, der wirklich hochinnovativ ist.

                      Natürlich weiß die Führung, dass das Land diese vitalen Unternehmen braucht. Zugleich schaut sie aber auch auf andere Länder und sieht, wie unkontrollierbar und gefährlich gerade auch die sozialen Netzwerke werden können. Das will sie verhindern. In einer zivilisierten Gesellschaft wird nicht in die Ecke gespuckt. Das wollte die KP-Führung in den achtziger Jahren unterbinden. Heute will sie eine zivilisierte Gesellschaft, in der auch in der Wirtschaft Anstand herrscht. Viele Unternehmer in China haben noch immer eine Einstellung wie im Wilden Westen. Ihre Geschäftsmodelle sind darauf ausgerichtet, möglichst viele Rechtslücken zu nutzen. Und davon gab es in China lange Zeit recht viele. Die Regierung will aber lieber Geschäftsideen, die sich im Rahmen des Regelwerks entwickeln.

                      Nur geht sie da nicht zu weit? Sie schränkt selbst das Online-Gaming bei Kindern ein.

                      Dahinter dürfte ein Stück weit Populismus stecken. Auch in China gibt es viele Eltern, die sich angesichts der Gaming-Vorlieben ihrer Kinder Sorgen machen. Sicherlich steckt hinter dieser Maßnahme auch die Vorstellung, bessere Menschen zu schaffen. Mao hatte das bereits über Kampagnen versucht. Xi versucht das jetzt über Regulierung und mit dem Sozialkreditsystem, das das Verhalten der Bürger bewertet. Einigen Unternehmen mag das nicht schmecken. Sie müssen sich an die neuen Regeln anpassen. Und sicherlich ärgern sich einige Leute, dass ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Xi wird aber sicher nicht so weit gehen, die großen Tech-Unternehmen zu zerschlagen. Das will er auf keinen Fall.

                      Vielleicht nicht komplett zerschlagen. Innovationskraft nimmt er ihnen aber schon.

                      Ich erinnere mich gut an ein Gespräch, das ich vor der Pandemie mit chinesischen regierungsnahen Experten führte. In diesem Gespräch wurde mir deutlich, dass die chinesische Regierung Bauchschmerzen mit den Tech-Konzernen hat. Einer sagte sogar: “Wenn wir eure Hidden-Champions hätten, würden wir euch unsere Alibabas gerne übergeben.” Hinter dieser Aussage steckt dieser tiefe Glaube, dass Wirtschaft etwas Reales sein muss, also was man anfassen, bauen oder essen kann. Die ganze Internet-Ökonomie ist aus dieser Warte suspekt.

                      Die IT-Industrie hat China technologisch aber enorm nach vorne gebracht.

                      Das hat sie. Aber es gibt einen weiteren Aspekt, der die chinesische Regierung umtreibt und der im Westen auch Thema ist: Die Frage der Macht dieser Plattformen. Sie sind sehr große und sehr reiche Unternehmen geworden, die unglaublich viele Daten gesammelt haben. Das macht sie sehr einflussreich. Auch wir diskutieren nicht umsonst über die Macht von Facebook und seinen Wettbewerbern. Bei uns stellt sich die Frage: Sind diese Plattformen eine Gefahr für die Demokratie? In China lautet sie: Gefährden sie die Partei? Ich finde es erstaunlich, wie lange die Führung diese Unternehmen überhaupt gewähren ließ.

                      China Führung folgt in ihrer Politik jedoch in vielen Fällen bekannten Mustern.

                      Wir kennen dieses Vorgehen aus anderen Bereichen: Man lässt es erst laufen und dann versucht man die Auswüchse zu bändigen. Im Alibaba-Fall gibt es Hinweise, dass Jack Ma wusste, was kommt und dass er im Oktober letzten Jahres diese Rede gehalten hat, um vor diesen anstehenden Regulierungen zu warnen. Damit ist er aus Sicht der Regierung aber zu weit gegangen. Ich glaube, diese Message ist bei den Tech-Unternehmen angekommen. Nach allem was ich weiß, geht es diesen Unternehmen aber weiterhin gut.

                      Und die Krise des Immobilienkonzerns Evergrande? Ein Crash des völlig überhitzten chinesischen Immobilienmarktes ist in den vergangenen zehn Jahren mehrmals schon vorausgesagt worden.

                      Es gibt in der Tat mehrere Immobilienunternehmen, die große finanzielle Probleme haben. Die Evergrande-Krise wirkt sich also auf den Immobilienmarkt aus. Und ziemlich sicher werden einige Köpfe rollen. Ich habe den Eindruck, die chinesische Regierung versucht die Auswirkungen auf die Kleinanleger und privaten Hauseigentümers sozial abzufedern. Die Firma als solche wird die Regierung aber eher nicht retten. Die Führung hat im vergangenen Jahr in diesem Sektor ganz bewusst die Zügel angezogen, um zu verhindern, dass der Immobilienmarkt überhitzt. Vielleicht hat sie nicht mit einem so großen Schock gerechtet. Jetzt lautet das Motto halt: Augen zu und durch.

                      Schon ist vom chinesischen Lehmann die Rede.

                      Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Die chinesische Regierung wird den Bankensektor immer retten. Er ist ohnehin überwiegend staatlich – mit Zähneknirschen zwar und es einige Leute zur Verantwortung gezogen werden. Aber einen kompletten Zusammenbruch halte ich für unwahrscheinlich.

                      Schon vor Beginn der Pandemie hat China ausländischen Unternehmen suggeriert: Wir brauchen euch nicht mehr, wir können inzwischen alles selbst. Die Pandemie nutzt sie nun als Grund, sich abzuschotten. Was beobachten Sie?

                      Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor. Im Ergebnis kann dies aber dennoch dazu führen, dass weniger Ausländer in China sind. Das Ganze hat mit dem im letzten Jahr vorgestellten Konzept der Dual Circulation zu tun. China will seinen Binnenmarkt stärken. In dem Konzept steht viel vom Abbau von Marktbarrieren innerhalb Chinas. Damit verbunden sind zwei weitere Ziele.

                      Welche?

                      In der Tat soll das Land weniger abhängig werden von ausländischer Technologie. Peking will verhindern, dass die USA Chinas technologische Abhängigkeit als Hebel nutzen kann, um China klein zu halten. Zugleich weiß die Führung aber, dass das Land weiter Rohstoffe und Märkte im Ausland braucht. Und da will China sogar expandieren. Mit dieser Strategie erhofft sich die Führung folgendes: Der chinesische Markt soll so groß und so wichtig sein, dass die ausländischen Unternehmen von selbst kommen – allerdings ohne die Privilegien, die ausländische Firmen bisher genossen haben, sondern zu den Bedingungen, unter denen auch chinesische Privatunternehmen funktionieren müssen.

                      Ausländische Unternehmen in China nehmen ihre Stellung dagegen nicht unbedingt als privilegiert wahr. Sie beklagen, dass sie schon jetzt benachteiligt werden.

                      Dann wird es für sie nun eher noch schwieriger. Denn die chinesische Konkurrenz ist zugleich richtig gut geworden. Bei der Automobilindustrie kommt hinzu, dass die ausländischen Hersteller beim Trend zur Elektromobilität nicht gerade die Avantgarde sind. China will sich nicht abschotten, sondern die bisherige Ausrichtung der globalen Märkte verändern. In der Vergangenheit zeigte die Kompassnadel der internationalen Handelsströme letztlich in Richtung der USA und Europa. China will, dass die Kompassnadel sich dreht.

                      Doris Fischer, 56, ist Wirtschaftswissenschaftlerin und Sinologin an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Sie leitet dort den Lehrstuhl für China Business and Economics. Fischer ist zudem Vizepräsidentin der Universität. In ihren aktuellen Forschungsprojekten untersucht sie die Rolle und Ausgestaltung von Industriepolitik für die Energiewende sowie die Auswirkungen des chinesischen Sozialpunktesystems auf Unternehmen.

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                        Analyse

                        EU-Strategiepapier zu Verteidigung: Ende der “Soft Power”

                        Die EU will mehr Muskeln zeigen und bereitet sich mit einem neuen Strategiepapier auf ihre künftige Sicherheits- und Verteidigungspolitik vor – China spielt dabei keine unerhebliche Rolle. Denn die Volksrepublik wird mehrfach namentlich in dem Entwurf erwähnt, der China.Table vorliegt. Am Montag wurde das Dokument bereits im Rat der EU-Außen- und Verteidigungsminister besprochen. Die Stoßrichtung ist klar gefasst: Die EU müsse künftig deutlich mehr als eine “Soft Power” sein, wie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kommentierte.

                        Um das zu erreichen, wiederholt die EU in ihrem Strategiepapier einerseits bereits bekannte Einschätzungen und betont ihren Ansatz der “strategischen Autonomie” zwischen Washington und Peking. Neu sind ein Ausbau der Abwehrinstrumente gegen Cyberattacken und Desinformations-Kampagnen. Außerdem soll eine schnelle EU-Einsatztruppe aufgebaut werden. Was Peking am meisten aufstoßen könnte: Brüssel will die koordinierte maritime Präsenz im Indo-Pazifik verstärken. Geplant ist, dass die Strategie beim Dezember-Gipfel der Staats- und Regierungschefs auf die Tagesordnung kommt und dann im Frühjahr unter französischer EU-Präsidentschaft beschlossen wird.

                        Diese Punkte des Papiers sind wichtig für die EU-China-Politik:

                        • Einschätzung der Bedrohungslage: In der Strategie wird vor Chinas Aktivitäten im Indo-Pazifik-Raum gewarnt. Geopolitische Spannungen im Indo-Pazifik gefährdeten “die regionale regelbasierte Ordnung”. Die EU habe “ein entscheidendes Interesse daran, sicherzustellen, dass das Völkerrecht im Seeverkehr und anderen Bereichen gilt.” Das Papier wiederholt den bekannten Dreiklang von “Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale”, mit dem die EU China seit 2019 charakterisiert, mahnt jedoch: “China ist zunehmend in regionale Spannungen verwickelt und beteiligt.” Als wirtschaftlicher und systemischer Konkurrent verschaffe sich die Volksrepublik Vorteile und neige dazu, den Zugang zu seinem Markt einzuschränken. “Es verfolgt seine Politik auch durch seine wachsende Präsenz auf See, im Weltraum und online.” Zwischen den EU-Staaten müsse es deshalb eine “enge Zusammenarbeit” mit anderen regionalen und globalen Partnern geben.
                        • Positionierung zu USA und China: Eine “zunehmende Bipolarität zwischen den USA und China” bestimme derzeit den internationalen Wettbewerb in nahezu allen Bereichen, heißt es in dem Entwurf. Die USA seien nach wie vor eine Weltmacht und einer der “treuesten internationalen” Partner der EU. Washington sei jedoch zunehmend in Richtung Asien orientiert. Verlagerung nach Asien ist nicht zu leugnen. China habe als globale Macht unterschiedliche “Agenden, Ambitionen und Fähigkeiten”. Das Strategiepapier legt nahe, dass sich Brüssel auf keine der beiden Seiten stellen möchte: Die “EU als Global Player” wolle eine aktive Rolle spielen, “indem sie ihre eigene wertebasierte Vision einer sichereren und gerechteren Welt fördert.”
                        • Engagement im Indo-Pazifik: Wird die Strategie von den Mitgliedsstaaten angenommen, würde das dazu führen, dass die EU ab 2022 ihre “maritimen Präsenzen in Interessengebieten ausweitet, beginnend mit dem Indo-Pazifik”. Das umfasse häufigere Hafenanläufe von EU-Militärschiffen, Patrouillen sowie Seeübungen mit den regionalen Partnern Japan, Südkorea, Indien, Indonesien und Vietnam. Mit den ASEAN-Staaten soll zudem der Informationsaustausch unter anderem zu Cyber- und Seesicherheit ausgebaut werden. Auch Peking soll in Sachen Indo-Pazifik einbezogen werden: “Wir werden den Dialog und die Konsultationen mit China fortsetzen, insbesondere um die Achtung des Seerechts und eine auf Regeln basierende internationale Ordnung zu gewährleisten.”
                        • Schnelle EU-Eingreiftruppe: Die “EU Rapid Deployment Capacity” soll ermöglichen, schnell bis zu 5.000 Soldaten für verschiedene Arten von Krisen zu entsenden. Der Vorschlag ist umstritten, im Zuge der Afghanistan-Krise hatten die EU-Mitgliedstaaten jedoch im Sommer bereits über Ideen für eine solche Einsatzgruppe und die Möglichkeit von ad-hoc-Militärkooperation zwischen interessierten EU-Mitgliedstaaten diskutiert. Im Krisenfall wäre die EU so auch fähig, beispielsweise in Nachbarländern Chinas wie Afghanistan tätig zu werden. Nicht geklärt ist allerdings die Frage, wie weit die EU ihre Verteidigungspolitik selbst gestalten will: Frankreich setzt sich dafür ein, langfristig vollkommen unabhängig etwa von den USA zu werden. Deutschland und vor allem die Staaten Osteuropas wollen allerdings weiter eine enge Zusammenarbeit mit Washington. Die nun vorgeschlagene EU-Eingreiftruppe ist eine Art Kompromiss. Außerdem sollen Überschneidungen mit Nato-Bereichen vermieden werden.
                        • Cyber-Toolbox: Der Entwurf enthält eine Reihe neuer Wege und Mittel zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit gegen hybride Bedrohungen. So nennt er beispielsweise eine Zusage, EU-“Rapid Hybrid Response Teams” einzurichten, die bei Cyberattacken oder Desinformationskampagnen kurzfristig zum Einsatz kommen. “Wir müssen in der Lage sein, schnell auf Cyberangriffe zu reagieren”, heißt es in dem Dokument. Zuletzt gab es immer wieder Kritik daran, wie die EU mit Desinformationskampagnen aus Peking umgeht (China.Table berichtete). Anders als im Falle Russlands hat der Europäische Rat dem EEAS bisher kein offizielles Mandat erteilt, um chinesische Falschinformationen konsequent zu verfolgen. Amelie Richter

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                          Reaktionen auf Machtausbau: “Xi zwingt uns zum Systemwettbewerb”

                          Nach der “historischen Resolution” des 6. Plenums des Zentralkomitees erhoben Funktionäre der allein regierenden Kommunistischen Partei Staatschef Xi Jinping pathetisch zum Steuermann. “Solange wir den Kameraden Xi als den Kern anerkennen, wird das gigantische Schiff der nationalen chinesischen Verjüngung einen Steuermann haben und in der Lage sein, jedem Sturm die Stirn zu bieten”, sagte der Leiter des parteieigenen Politikforschungsbüros, Jiang Jinquan, bei einer Abschluss-Pressekonferenz des Plenums am vergangenen Freitag. Xi habe es verdient, dass man ihn als “Führer des Volkes” bezeichnet.

                          Weil Protokoll, aber auch Rhetorik in sozialistischen Diktaturen von überragender symbolischer Bedeutung sind, ist das jüngste Attribut für Xi ein Zeichen für seine zentrale Rolle auf Jahre hinaus. Staatsgründer Mao Zedong war der bislang einzige Vorsitzende, den die Kader in den inoffiziellen Status des “Steuermanns” erhoben hatten, des “Großen Steuermanns” wohlgemerkt. Das Adjektiv hat Mao seinem Nachfolger in fünfter Generation noch voraus.

                          “Wenn man die aktuelle sogenannte ‘historische Resolution’ mit den vorigen beiden von Mao Zedong und Deng Xiaoping vergleicht, dann gibt es einen wichtigen Unterschied: Diesmal geht es nicht darum, das bisherige politische und wirtschaftliche System Chinas durch ein neues zu ersetzen“, erklärt der China-Forscher Marc Oliver Rieger, Leiter des Konfuzius-Instituts in Trier, China.Table. Stattdessen würde im Copy&Paste-Verfahren die Kontinuität im Abschlussdokument betont. “Einzig historisch ist, dass implizit angekündigt wird, Xi Jinpings Amtszeit über das nächste Jahr hinaus zu verlängern”, sagt Rieger.

                          Noah Barkin, China-Experte bei Rhodium Group und dem German Marshall Fund, blickt mit Sorge auf die Entwicklung: “Die Hauptbotschaft des 6. Plenums ist, dass sowohl Xi Jinping als auch seine Politik noch viele Jahre bestehen werden. Wir können in Zukunft ein autoritäreres China, ein nationalistischeres China, ein isolierteres China und ein selbstbewussteres China erwarten.” Europa müsse als Reaktion auch klar seine roten Linien festsetzen und diese dann einhalten, so Barkin. Für die Kooperation zwischen Brüssel und Peking sieht er eine eher komplizierte Zukunft: Die EU müsse sich auch auf eine Welt vorbereiten, in der die Zusammenarbeit viel schwieriger werden, betont Barkin.

                          Machtpolitische Meisterleistung

                          Dass es Xi gelungen ist, die Partei in wenigen Jahren zu einer Verfassungsänderung in seinem Sinne zu nötigen und nun auch das Zentralkomitee hinter sich zu scharen, ist zweifellos eine machtpolitische Meisterleistung. Nach fast 50 Jahren ebnete das mächtige Parteiorgan mit seinen knapp 400 Mitgliedern vermeintlich einvernehmlich den Weg der Volksrepublik in eine “personalisierte Diktatur”, wie der Politikwissenschaftler Andreas Fulda das Land unter Xis Führung bezeichnet. Beim kommenden Parteitag in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 könnte Xi eine dritte Amtszeit anstreben, was seinen Vorgängern Hu Jintao und Jiang Zemin verwehrt geblieben war.

                          “Auf absehbare Zeit wird die Welt es mit Xi Jinping als chinesischem Parteikaiser zu tun haben. Damit ist auch klar, dass jegliche Hoffnung, sein harter Kurs nach innen und außen könne sich vielleicht abschwächen, auf Sand gebaut ist”, sagt Reinhard Bütikofer China.Table. Der Europaparlamentarier der Grünen wurde im Frühjahr von chinesischer Seite zur Persona non grata erklärt: Er gehört zu einer Gruppe sanktionierter Personen und Institutionen aus der EU. “Mit seiner Mischung aus aggressivem Nationalismus, Triumphalismus und Zentralismus zwingt er uns zum Systemwettbewerb, ob wir wollen oder nicht”, so Bütikofer.

                          Bütikofers Kollegin im EU-Parlament, die Europa-SPD-Abgeordnete Evelyne Gebhardt, warnt: “Der Ausbau der Machtstellung von Xi Jinping hat sich bereits vor Jahren abgezeichnet und entwickelt sich zu einem Personenkult.” Durch die zentrale Steuerung sämtlicher politischer Tätigkeiten seien diplomatische Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Volksrepublik sehr erschwert, so Gebhardt, die Teil der Delegation für die Beziehungen zu China des EU-Parlaments ist. “Diplomatie braucht Kompromissbereitschaft, die wir unter der aktuellen chinesischen Führung vermissen.”

                          Auch die Journalistin Qin Liwen fürchtet, dass Xis Konsolidierung der Macht die Fortsetzung einer “aggressiven und bestimmenden Außenpolitik” der Volksrepublik bedeutet. “Xi will China zur ‘bedeutendsten Nation’ der Welt machen, was in seiner Wahrnehmung heißt: China schreibt der Welt seine Regeln vor“, sagt Qin.

                          Damit einher geht eine strikte Ablehnung eines demokratischen Wertesystems. Selten wenden sich Parteifunktionäre so klar gegen das dominierende politische System des Westens wie KP-Politikforscher Jiang das am Freitag tat. “Demokratie ist keine exklusive Ermächtigung westlicher Staaten und weniger noch sollte sie von westlichen Staaten definiert und auferlegt werden”, sagte Jiang. Demokratie sei ein “Spiel der Reichen”, dessen Regeln durch Geld bestimmt würden.

                          “Katastrophale Fehler vermeiden”

                          Das 6. Plenum warnte in seinem Kommuniqué auch davor, dass das Land “katastrophale Fehler in grundlegenden Angelegenheiten” vermeiden müsse. In der Vergangenheit berührten “grundlegende Angelegenheiten” der Volksrepublik China das Ausland meist nur marginal. Als zweitgrößte Volkswirtschaft, größter CO₂-Emittent, größter Konsumentenmarkt, größter globaler Kreditgeber, größter Handelspartner zahlreicher Regionen und Nationen oder größter atomarer Aufrüster sind die Konsequenzen chinesischer Politik inzwischen überall auf der Welt zu spüren.

                          Publizistin Qin, die viele Jahre als Nachrichtenchefin eines chinesischen Onlineportals arbeitete und heute in Berlin lebt, sieht darin deutliche Signale, dass sich Peking in vielen Aspekten “nicht als der kooperative, internationale Partner erweisen wird, den die westliche Agenda für die Lösung von Problemen benötigt.”

                          Dringlichstes internationales Anliegen ist der Kampf gegen den Klimawandel. “Schritt für Schritt”, heißt es in dem Beschluss, wolle das Land Klimaneutralität erreichen. Qin erwartet, dass sich die nötige Reduktion von CO₂-Emissionen Chinas wirtschaftlicher Entwicklung und damit seiner sozialen Stabilität unter allen Umständen unterordnen muss. Den Verlust ihres Machtmonopols fürchte die Kommunistische Partei mehr als mögliche Konsequenzen durch eine Erderwärmung von mehreren Graden, so Qin.

                          Neue Seidenstraße eine “außenpolitische Belastung”

                          Zum Machterhalt beitragen soll eine Agenda, die widerspiegelt, was Chinas Staatsführung seit Jahren als Leitfaden ausgibt. Innovativ und grün wolle das Land wachsen und dabei sowohl den öffentlichen als auch den privaten Sektor fördern. Dabei sollten Monopole und eine “ungeordnete Expansion des Kapitals” bekämpft werden. Die Partei will Anreize setzen, damit die Menschen in Land durch Unternehmertum “reich werden” können. Dabei soll gleichzeitig das Konzept des allgemeinen Wohlstands realisiert werden, wozu eine gleichmäßigere Verteilung der Einkommen erzielt werden muss.

                          Auch außenpolitische Aspekte sind Teil des Dokuments. Die Situation in Hongkong habe Staatschef Xi nach den Massenprotesten “aus dem Chaos zur Kontrolle” geführt. Im Konflikt um Taiwan lobt der Beschluss Pekings Führungsrolle und Entschlusskraft. Die chinesische Regierung bezeichnet den Inselstaat als untrennbaren Teil der Volksrepublik und verurteilt dessen diplomatisches Bestreben nach größerer internationaler Anerkennung.

                          Keine Erwähnung dagegen findet die Neue Seidenstraße-Initiative. Jie Yu von der Londoner Denkfabrik China at Chatham House sagte der Nachrichtenagentur Bloomberg, sie halte das für ein Indiz dafür, dass die Initiative “eher zu einer außenpolitischen Belastung” geworden sei als zu einem Gewinn. Das weltweite Investitionsprogramm hat nicht nur Befürwortung wegen möglicher Impulse für den globalen Handel ausgelöst, sondern auch viel Misstrauen gegenüber chinesischen Ambitionen. Mitarbeit: Amelie Richter

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                            News

                            China schwächt COP-Zusagen ab

                            China hat in letzter Minute für eine Abschwächung der Formulierungen zum Ausstieg aus Kohlekraft bei der UN-Klimakonferenz COP26 gesorgt. Gemeinsam mit Indien habe die chinesische Delegation darauf beharrt, den Klimapakt in Glasgow erst zu unterzeichnen, wenn die Verpflichtungen zur Abschaffung von Kohlekraft und Subventionen für fossile Brennstoffe verwässert wird, berichtet die Financial Times. Demnach waren die Verhandlungen in dem Bereich bis zum Schluss angespannt. Der nun geschlossene Last-Minute-Deal der COP26 beinhaltet jedoch zum ersten Mal offizielle Zusagen, den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu reduzieren.

                            Der endgültige Text verpflichtet die 197 Vertragsparteien des Pariser Abkommens, die unverminderte Kohleverstromung “auslaufen” zu lassen und “ineffiziente Subventionen für fossile Brennstoffe auslaufen zu lassen”. Zwar taucht der Bereich in der Abschlusserklärung auf – die Klausel wurde im Laufe der Woche aber erheblich abgeschwächt. China und Indien bestanden Medienberichten zufolge dann am Samstag auf die kurzfristige Änderung der Formulierung von “phase out” zum unverbindlicheren und schwächer formulierten “phase down”. Der Unterschied zwischen der kompletten Ausmerzung von Kohle und lediglich derer Begrenzung war vor allem für kleinere Inselstaaten wichtig.

                            Andere Teilnehmer-Staaten der COP26 seien von den chinesisch-indischen Forderungen überrumpelt worden, hieß es in Medienberichten. COP-Präsident Alok Sharma warnte am Sonntag im Fernsehsender BBC, dass China und Indien ihre politischen Machenschaften gegenüber Ländern, die vom Klimawandel härter getroffen würden, “rechtfertigen” müssten. Sharma hatte sich bereits am Samstagabend sichtlich emotional in seinem Abschluss-Statement für die abgeschwächte Zusage zum Kohleausstieg geäußert: “Ich entschuldige mich für die Art und Weise, wie sich dieser Prozess entwickelt hat. Und es tut mir zutiefst leid. Ich verstehe auch die tiefe Enttäuschung.”

                            Chinas Bilanz bei der UN-Klimakonferenz ist durchwachsen: Am Mittwochabend einigten sich Peking und Washington auf die Einsetzung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe – was als wichtiges Zeichen der beiden Wirtschaftsmächte gesehen wurde. Anderen Initiativen wie “Powering Past Coal Alliance” (PPCA) oder der Verpflichtung zur Reduzierung der weltweiten Methan-Emission trat die Volksrepublik aber beispielsweise nicht bei (China.Table berichtete).

                            Neben der erstmals niedergeschriebenen Verpflichtung zur Reduzierung von Kohleverbrauch und Subventionen für fossile Brennstoffe, verpflichtet das Abkommen die Teilnehmerstaaten auch, ihre Emissionsreduktionsziele für 2030 bis Ende des kommenden Jahres zu verstärken. Das Klima-Paket fordert die reichen Nationen zudem auf, den Geldbetrag, den sie Entwicklungsländern für die Anpassung an den Klimawandel zur Verfügung stellen, “mindestens zu verdoppeln”. ari

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                              Wanda dementiert Gerücht über Wang Jianlins Tod

                              Der Immobilienkonzern Dalian Wanda hat sich dem Gerücht entgegengestellt, dass Firmenchef Wang Jianlin verstorben sein soll. Er habe am Montag regulär einer Sitzung beigewohnt, teilte das Unternehmen mit. Ein Sprecher betonte gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg, der Firmenchef sei wohlauf. Online-Beiträge über den Tod Wangs seien falsch. Wanda habe Anzeige erstattet. fin

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                                Neuer Standort: Huawei forscht zu KI in Saarbrücken

                                Der Netzwerkausrüster und Smartphone-Hersteller Huawei hat ein sogenanntes Digital Competence Center in Saarbrücken eröffnet. Dabei soll ein Team im Bereich Künstliche Intelligenz und Cybersicherheit “mit Partnern aus Forschung, Wissenschaft und Wirtschaft zusammenarbeiten”, so das Unternehmen. Das Center wird auf dem Campus der Saar-Universität angesiedelt.

                                Ammar Alkassar, der Bevollmächtigte für Innovation und Strategie des Bundeslands, sieht die Auswahl des Standortes als einen weiteren wichtigen Baustein für das IT- und KI-Kompetenzcluster des Saarlands. Die Ansiedlung eines Weltkonzerns unterstreiche, dass die Innovations- und Digitalisierungsstrategie in die richtige Richtung weise.

                                Pläne für den Forschungsstandort Saarbrücken hatte Huawei bereits im Mai verkündet und Ministerpräsident Tobias Hans, hatte sich damals für “diesen Ansiedlungserfolg” starkgemacht. Im Oktober erst hat Huawei ein Innovationszentrum in Finnland eröffnet (China.Table berichtete). Huawei ist wegen möglicher Einflussnahme der chinesischen Regierung umstritten. niw

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                                  Am Singles Day trotz Crackdown hoher Umsatz

                                  Auf den Plattformen des Internetriesen Alibaba haben die Händler während der vergangenen elf Tage bis zum 11.11.2021 anlässlich des Singles Days Waren im Wert von 84,5 Milliarden US-Dollar verkauft. Im vergangenen Jahr hatten sie rund 74 Milliarden Dollar eingenommen. Angesicht der zunehmenden Regulierung von Technologiekonzernen (China.Table berichtete) verzichtete Alibaba in diesem Jahr auf den bisher üblichen Medienhype mit einer Gala-Show, ständigen Rabattangeboten und Live-Streaming-Verkaufsshows mit Influencern. Vielmehr versuchte Aliababa, sich mit Themen wie Nachhaltigkeit in ein besseres Licht zu rücken. Rund 400 Marken, darunter Apple und L’Oreal, haben je mehr als 15 Millionen Dollar Umsatz gemacht. niw

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                                    Yuan bleibt auf Rekord-Niveau

                                    Chinas Währung befindet sich auf einem Fünf-Jahres-Hoch im Vergleich zu 24 Vergleichswährungen. Im Verlauf des Jahres wertete der Yuan um sechs Prozent auf, wie die Wirtschaftsseite Caixin berichtet. Demnach erwarten Analysten, dass die Währung ihren starken Kurs bis ins Frühjahr 2022 fortsetzen könnte.

                                    Als Ursachen der Aufwertung gelten die starken Exporte und der Zinsunterschied zwischen den USA und China. Im Oktober hatte die Volksrepublik einen neuen Rekord beim monatlichen Handelsüberschuss vermeldet (China.Table berichtete). Die höheren Zinsen in China machen die Kapitalmärkte in der Volksrepublik attraktiv für internationale Investoren. Der Betrag an chinesischen Staatsanleihen, die von Ausländern gehalten werden, erreichte im Oktober mit umgerechnet 550 Milliarden US-Dollar einen neuen Höchststand. Schwächere Importe und weniger Investitionen und Übernahmen durch chinesische Unternehmen im Ausland haben zudem die Nachfrage nach ausländischen Währungen verringert. Für das Frühjahr 2022 wird eine Annäherung der Wachstumsraten Chinas und der USA erwartet. Damit könnte die Yuan-Stärke etwas abnehmen, so Caixin. nib

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                                      Pekings neuer Handelsplatz – Beijing Stock Exchange

                                      von Christina Gigler, Rödl & Partner Peking

                                      Der wachsende chinesische Kapitalmarkt, sowohl der Aktien- als auch der Anleihemarkt, wird von ausländischen Investoren oft vernachlässigt. Viele lokale chinesische (insbesondere technologieorientierte) Unternehmen wählen allerdings ein Initial Public Offering (IPO) als Finanzierungsform. Auch für chinesische Finanzinvestoren sind IPOs die bevorzugte Exit-Form. Anfang September kündigte Präsident Xi Jinping an, dass China eine neue Börse in Peking (Beijing Stock Exchange) einrichten und sie zu einer wichtigen Handelsplattform für innovative kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ausbauen wird. Die Pekinger Börse ist nun die dritte auf dem chinesischen Festland neben den seit den 90er-Jahren bestehenden Börsen in Shanghai und Shenzhen.

                                      Bereits Ende 2021 könnte der Handel mit zunächst 70 Unternehmen aus der “ausgewählten Stufe” an der National Equities Exchange and Quotations Co., Ltd. (NEEQ, auch als “New Third Board” bekannt) aufgenommen werden. Diese wurde ursprünglich als Chinas Gegenstück zum NASDAQ im Rahmen des Aufbaus eines mehrstufigen Kapitalmarktsystems gegründet. Die Pekinger Börse soll so strukturiert werden, dass sie eine verbesserte Version des New Third Board darstellt und das Potenzial hat, sich als große dritte Säule auf dem Kapitalmarkt neben der Shanghai Stock Exchange und der Shenzhen Stock Exchange zu etablieren.

                                      Auf der offiziellen Website des National Enterprise Credit Information Publicity System wurde bekannt gegeben, dass die Unternehmensregistrierung für die Beijing Stock Exchange Co., Ltd., abgeschlossen und am 3. September 2021 gegründet sowie genehmigt wurde. Die neue Börse wird zu 100 Prozent im Besitz der NEEQ stehen, die alleinige Gesellschafterin ist. Das eingetragene Kapital beträgt eine Milliarde Yuan.

                                      Entzerrung der Konzentration von Handelsplätzen im Süden

                                      Die Ansiedlung der neuen Börse in der Hauptstadt kommt dabei nicht von ungefähr – sie hat sowohl praktische als auch politische Vorteile. Auf politischer Ebene könnte ein Faktor das Ungleichgewicht der Kapitalressourcen sein, da Chinas wichtigste Aktienmärkte derzeit in Ost- und Südchina positioniert sind. In praktischer Hinsicht hat Peking mit der NEEQ bereits den Grundstein für eine Börse gelegt, die auf KMU spezialisiert ist. Hauptziel der Gründung soll ein leichterer Zugang für KMU zum Kapitalmarkt sein, denn obwohl 99,8 Prozent der Unternehmen in China als KMU gelten und circa 50 Prozent der Steuereinnahmen Chinas stellen, hat ein Großteil der Unternehmen erhebliche Schwierigkeiten beim Zugang zu alternativen Finanzierungsquellen.

                                      Die Ankündigung und Gründung erfolgt in einer Zeit, in der die Besorgnis über eine mögliche Abkopplung der chinesischen Wirtschaft zunimmt und die US-Regierung Maßnahmen ergreift, chinesischen Unternehmen den Börsengang in den USA zu erschweren. So sind seit Ende 2020 chinesische Unternehmen, die an US-Börsen notiert sind, verpflichtet, sich einer Prüfung durch eine US-Aufsichtsbehörde zu unterziehen. Viele chinesische Unternehmen sehen sich gezwungen, ihre Notierung aufzugeben, da es ihnen untersagt ist, ausländischen Aufsichtsbehörden ohne Genehmigung der chinesischen Regierung Zugang zu ihren Buchhaltungsunterlagen zu gewähren.

                                      Zudem kündigte Anfang Juli 2021 die chinesische Cyberspace-Behörde an, dass Unternehmen mit mehr als eine Million Nutzern einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden müssen, bevor sie ihre Aktien im Ausland notieren dürfen. Da die Regulierungsbehörden befürchten, dass chinesische Unternehmen, die Daten ins Ausland übertragen, Risiken für die Cybersicherheit und die nationale Sicherheit verursachen könnten, ergreift China Maßnahmen, um Unternehmen zu ermutigen, ihren Börsengang im Inland zu forcieren. Die Gründung der Pekinger Börse könnte somit Teil dieser Bemühungen sein.

                                      Die Rolle der Beijing Stock Exchange in Chinas Finanzsystem

                                      Die Pekinger Börse wird eine andere Rolle spielen als die bestehenden Börsen in Shanghai und Shenzhen, und gleichzeitig die Verbindung mit diesen Märkten aufrechterhalten. So dürfen beispielsweise Aktien an der Pekinger Börse unter bestimmten Bedingungen auf die Börsen in Shanghai und Shenzhen übertragen werden. Die Shanghaier Börse ist heute die größte Festlandchinas und eine wichtige Säule der Volkswirtschaft. Sie ist spezialisiert auf die Listung von Unternehmen grundlegender Industrien und Schlüsselbranchen.

                                      Zusätzlich wurde im Sommer 2019 mit dem Science and Technology Board (STAR Market) ein auf Start-ups und Hightech-Unternehmen spezialisierter Handelsplatz etabliert. Vor allem Unternehmen aus der Hightech-Branche, aus strategischen neuen Industrien wie Informationstechnologie der neuen Generation, High-End-Ausrüstung, neue Materialien, alternative Energiegewinnung und -einsparung, Umweltschutz sowie Biomedizin und weitere, sind am STAR Market gelistet.

                                      Die Börse Shenzhen listet verschiedene Marktindizes mit unterschiedlicher Marktpositionierung, z.B. Blue Chips mit hoher Marktkapitalisierung. Als zweiter Markt – ähnlich dem amerikanischen NASDAQ – wurde 2009 der ChiNext etabliert, der auf Privat- und Technologieunternehmen spezialisiert ist. Mit der Pekinger Börse soll nun für KMU ein spezialisierter Handelsplatz geschaffen werden. Zugleich wird NEEQ, wo bis Ende 2020 rund 6.000 KMU gelistet waren, aufgewertet.

                                      Mitte September gab die Pekinger Börse Leitlinien heraus, in denen die Kriterien für qualifizierte Börsenteilnehmer beschrieben sind. Kleinanleger müssen danach über ein Wertpapiervermögen von mindestens RMB 500.000 (circa 67.000 €) verfügen und eine mehr als zweijährige Investitionshistorie haben, um an der Pekinger Börse notiert werden zu können. Es wurde keine Kapitalschwelle für institutionelle Anleger festgelegt. Anfang November wurden die Beijing Stock Exchange Trading Rules (Trial) und die Beijing Stock Exchange Member Management Rules (Trial) veröffentlicht, sowie grundlegende Geschäftsregeln und Leitlinien, die am 15. November 2021 in Kraft treten, der auch darauf hindeutet, dass dies der offizielle Start der Pekinger Börse geplant war.

                                      Dreistufige Kriterien für den Zugang zum Markt

                                      Die NEEQ wurde vor allem für Kleinstunternehmen, KMU und Start-ups gegründet, die nicht in der Lage sind, die Notierungsstandards der Börsen in Shanghai und Shenzhen zu erfüllen. Derzeit nutzt die NEEQ ein Stufensystem für Anleger mit unterschiedlichen Schwellenwerten für die jeweilige Stufe. Nur wenn Unternehmen eine dieser Stufen erfüllen, sind sie zum Handel am New Third Board berechtigt.

                                      Die Beijing Stock Exchange wird das dreistufige System zur Verwaltung der Anlegereignung übernehmen. Die drei Stufen sind:

                                      1. die “ausgewählte Stufe” (derzeit 70 Unternehmen) – exklusiv und mit den strengsten Anforderungen an hochwertige Unternehmen der NEEQ, die gute Rentabilität aufweisen oder sehr innovativ sind,
                                      2. die “innovative Stufe” für Unternehmen, die die Anforderungen für die ausgewählte Stufe nicht erfüllen, aber gut geführt sind, und
                                      3. die “Basisstufe” für alle übrigen Unternehmen.

                                      Die Pekinger Börse wird nur Unternehmen der “ausgewählten Stufe” der NEEQ integrieren. Unternehmen der beiden anderen Stufen werden weiterhin im Freiverkehrsmarkt der NEEQ bleiben. Die Notierung an der Pekinger Börse wird für Unternehmen möglich, wenn sie zwölf Monate in Folge in der “ausgewählten Stufe” der NEEQ gelistet waren, den erwarteten Marktwert und bestimmte Finanzstandards erfüllen, bei der CSRC registriert sind und ein öffentliches Angebot an nicht-spezifische qualifizierte Investoren durchgeführt haben.

                                      Für ausländische Anleger gibt es derzeit keine besonderen Regeln. Es wird erwartet, dass die Regeln für den Handel ausländischer Anleger mit den einschlägigen NEEQ-Regeln übereinstimmen werden.

                                      Mit der Gründung der Pekinger Börse versucht die chinesische Regierung, wie schon durch die Gründung des STAR Markets, IPOs von chinesischen, technologie- und zukunftsorientierten Unternehmen im Land zu halten. Die Regulierung für heimische (Privat-) Unternehmen, die im Ausland oder in Hongkong (S.A.R.) einen Börsengang planen, wurden in den letzten Jahren verschärft. Prominentes Beispiel ist der Fahrdienstleister Didi, der sich kurz nach seinem Börsengang in den USA einer Cybersicherheitsprüfung in China unterziehen musste und mit einem Downloadverbot seiner App in China sanktioniert wurde.

                                      Christina Gigler, LL.M., ist Rechtsanwältin (Senior Associate) und Leiterin der Rechtsabteilung bei Rödl & Partner in Peking. Sie begleitet und betreut Mandanten bei ihrem Markteintritt in China. Ihre Schwerpunkte liegen im Gesellschaftsrecht, in der Restrukturierung von Unternehmen, im Arbeits- und im Vertragsrecht.

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