eine gute Portion Technikglaube gehört dazu, Autos unter Computersteuerung auf den allgemeinen Straßenverkehr loszulassen. In Shenzhen fahren bereits Roboter-Taxis, doch diese haben bisher noch keine Lizenz für den Regelbetrieb. Hier gehen nun Chongqing und Wuhan in Führung. Sie gestatten es dem KI-Unternehmen Baidu, ihre selbstfahrenden Droschken im normalen Alltag einzusetzen, berichtet unser Team aus Peking. Das ist der Anfang vom Ende des Taxifahrers als Beruf, glauben sie. Für wenige Tausend Euro mehr können Taxifirmen künftig Fahrzeuge anschaffen und die Personalkosten aus der Gleichung streichen.
Während solche Tech-Projekte schnell vorankommen, lahmt ein guter Teil der chinesischen Wirtschaft. Der Bau schwächelt, der private Konsum kommt nicht voran und junge Leute finden keinen Job. Zur Ankurbelung der angeschlagenen Wirtschaft bedient sich die chinesische Regierung gerne gigantischen Konjunkturpaketen. Doch anders als bisher steckt sie ihre Milliarden nicht mehr nur in den Bau von noch mehr Autobahnen, Schienen und Hochhäusern, sondern in das 5G-Netzwerk, in Cloud-Computing und Erneuerbare Energien. Das ist richtig und sinnvoll, wie aus der Analyse unseres Autorenteams aus Peking hervorgeht.
Und die Europäer? Sie dürften sich nicht nur angesichts eines bevorstehenden Gasmangels in diesem Winter einmal mehr warm anziehen. Vergleichbare Programme zum Ausbau moderner Infrastrukturen, die China nun auf den Weg bringt, etwa das 5G-Netzwerk fürs Autonome Fahren, könnten wir hierzulande ebenfalls gut gebrauchen.
Viele neue Erkenntnisse beim Lesen!
Im Stadtteil Nanshan in Shenzhen gehören autonome Taxis schon zum Straßenbild dazu. Viele Menschen schauen gar nicht mehr hin, wenn eines der weißen Autos mit Knubbel auf dem Dach an ihnen vorbeifährt. In dem Aufbau sind Kameras und Sensoren untergebracht, die es möglich machen, dass die Fahrzeuge ohne menschliche Steuerung durch die Stadt fahren.
An revolutionäre Mobilitätskonzepte des 21. Jahrhunderts in Form von autonomen Robotaxis hat man sich in Shenzhen gewöhnt. Seit mehr als anderthalb Jahren prüft der Internetkonzern Baidu dort schon seine Technologie auf ausgewählten Straßen im öffentlichen Stadtverkehr – stets mit einem Sicherheitsbegleiter auf dem Beifahrersitz.
Doch während in der US-Metropole San Francisco schon seit Juni Robotaxis des Anbieters Cruise ganz allein und gegen Gebühr kommerziell operieren, hat Shenzhen die nötige Lizenz zum Verzicht auf das Notfall-Personal noch nicht erteilt. Und somit übernehmen Wuhan und Chongqing jetzt die Pinoierrolle, als erste chinesische Städte, eine autonome Taxiflotte von Baidu zu erlauben, die voll und ganz der Technologie vertraut und dafür Geld nimmt.
Baidu teilte mit, dass in Wuhan täglich zwischen 9 und 17 Uhr und in Chongqing von 9:30 bis 16:30 Uhr jeweils fünf Fahrzeuge in ausgewählten Bezirken ihre Dienste anbieten. Die Areale umfassen 13 Quadratkilometer in der Wuhan Economic & Technological Development Zone und 30 Quadratkilometer im Bezirk Yongchuan in Chongqing. Es dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, bis auch andere chinesische Städte grünes Licht geben. Verhandlungen mit Peking und Guangzhou laufen bereits.
Für Baidu ist die Genehmigung ein wichtiger Meilenstein. Der Suchmaschinen-Gigant, der unter sinkenden Werbe-Umsätzen leidet, hat sein Zukunftsgeschäft auf künstliche Intelligenz und autonomes Fahren ausgerichtet. Baidu will die Preise für herkömmliche Taxi-Fahrten deutlich unterbieten. “Wir steuern auf eine Zukunft zu, in der die Fahrt mit einem Robotaxi halb so viel wie eine normale Taxi-Fahrt kosten wird”, sagte Baidu-Gründer Robin Li anlässlich der Vorstellung des kommenden Robotaxis RT6, das ab 2023 auf chinesischen Straßen zu sehen sein wird.
Noch bis Jahresende will Baidu seine bisherige autonome Flotte auf 600 Fahrzeuge verdoppeln. Das Unternehmen plant, seinen Taxi-Dienst Apollo Go bis 2025 auf 65 chinesische Städte auszuweiten. Bis 2030 dann sogar auf 100 Städte. Dann sollen Zehntausende der autonomen Taxis im Einsatz sein. Der Apollo RT6 soll zu einem Preis von 250.000 Yuan (etwa 36.000 Euro) pro Fahrzeug in Massenproduktion gehen. Das ist laut Baidu nur noch die Hälfte der Kosten des Vorgängermodells. Erstmals soll das Lenkrad eingefahren werden können.
Für Baidu und andere Anbieter von Robotaxis ist es wichtig, die Produktionskosten für die Fahrzeuge so weit es geht zu senken, um ihre Fertigung durch den Einsatz auf Chinas Straßen zu refinanzieren. Zumal die Taxi-Fahrten in der Volksrepublik deutlich günstiger sind als etwa in Deutschland.
Nicht nur baut Baidu seine eigene autonome Taxi-Flotte auf. Es stellt sein Apollo-System auch Dutzenden Autoherstellern in China zur Verfügung, um eigene autonome Autos zu bauen. Baidu gilt in China als führend bei der Entwicklung von Technik, die autonomes Fahren ermöglicht. Nach eigenen Angaben verfügt der Konzern über einen Datenschatz, aus mehr als 20 Millionen Kilometern überwachtem autonomen Fahren. Die Daten nutzt Baidu ähnlich wie Tesla, um seine Algorithmen zu trainieren.
Für die Nutzer ändert sich im Vergleich zu Fahrdienstleistern wie Didi Chuxing wenig. Sie können eine App samt Bezahlservice herunterladen, Abholort und Ziel eingeben, Minuten später kommt das Robotaxi angerollt. Ausländer können jedoch noch nicht mitfahren, weil die App bisher nur die Registrierung mit einer chinesischen ID-Karte erlaubt. Gregor Koppenburg/Jörn Petring
“Wer reich werden will, muss zuerst eine Straße bauen.” Das alte chinesische Sprichwort scheint ausgedient zu haben, wenn man sich die neuen Infrastruktur-Pläne Pekings vor Augen führt. Die Regierung will in der zweiten Jahreshälfte die durch die harten Corona-Maßnahmen ausgebremste Konjunktur ankurbeln. Die Wirtschaft wuchs im zweiten Quartal gerade mal noch um 0,4 Prozent. Damit will sich die Führung nicht noch einmal zufriedengeben. Mehr als eine Billion Yuan (etwa 145 Milliarden Euro) werden deshalb an zusätzlichen Mitteln bereitgestellt.
Anders als bei früheren Infrastruktur-Offensiven werden es dieses Mal allerdings weniger Straßen, Schienen und Flughäfen sein, die der Wirtschaft Schwung verleihen sollen. Peking will das Geld vor allem für den Ausbau der “neuen Infrastruktur” nutzen. “Projekte für erneuerbare Energien, im Technologie-Bereich und der Wasserwirtschaft werden zu den größten Nutznießern von Chinas neuem Infrastrukturinvestitionsboom gehören”, schreibt das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin, das gleichzeitig vom größten Konjunkturpaket seit der Finanzkrise 2008 spricht. Damals mobilisierte Peking rund vier Billionen Yuan, die einen gewaltigen Bauboom auslösten. Gleichzeitig schoss die Verschuldung von Staatsfirmen und Lokalregierungen in die Höhe.
Vierzehn Jahre später sollen andere Sektoren von den Konjunktur-Milliarden profitieren. “Das Land hat bereits ein angemessenes Netzwerk von Eisenbahnen, Autobahnen und Flughäfen”, so der Pekinger Makroökonom Zhu Changzheng. Mit Zuflüssen könnten nun Bereiche rechnen, die vom der zuständigen Pekinger Entwicklungs- und Reformkommission als “neue Infrastruktur” eingestuft werden. Die Förderung von Künstlicher Intelligenz, Blockchain-Anwendungen, Cloud-Computing, Big Data und 5G gehören hierzu. Auch erneuerbare Energiequellen dürften einen weiteren Schub erfahren.
Dass die Geldströme dieses Mal ganz anders fließen, lässt sich bereits seit einigen Monaten beobachten. Laut Caixin gingen in der ersten Jahreshälfte die Ausgaben für neue Schienen- und Straßen im Vorjahresvergleich um 4,4 Prozent beziehungsweise 0,2 Prozent zurück. Einen Boom erlebt dagegen der Ausbau neuer Energiequellen. Allein die Ausgaben für neue Fotovoltaik-Anlagen stiegen in der ersten Jahreshälfte um 173 Prozent auf umgerechnet 41 Milliarden Dollar an. 58 Milliarden Dollar oder 107 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2021 flossen derweil in neue Windprojekte, wie die Analysten von Bloomberg New Energy Finance (BNEF) errechnet haben.
“Die grüne Infrastruktur ist das derzeit wichtigste Investment, auf das China setzt, um die schwächelnde Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte wieder anzukurbeln”, sagt Bloomberg-Analyst Nannan Kou. Doch auch in anderen Feldern treibt China Investitionen voran. So soll laut Caixin ebenfalls viel Geld für den Hochwasserschutz in die Hand genommen werden. Auch die Modernisierung des maroden Gas-Netzes steht auf Pekings To-do-Liste.
Zwar sind sich Ökonomen einig, dass das Infrastruktur-Paket der Wirtschaft gewissen Rückenwind verleihen wird. Jedoch dürfte es schwierig werden, das angestrebte Wachstumsziel von rund fünf Prozent noch zu erreichen. Laut der Staatszeitung Global Times machten Chinas Infrastruktur-Ausgaben allein im Juli zwar einen Sprung um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das gesamte Infrastruktur-Paket werde bis zum Jahresende jedoch wohl nur etwa einen Prozentpunkt zusätzliches Wachstum generieren können. Gregor Koppenburg/Jörn Petring
Chinas Automarkt hat wieder an Schwung gewonnen, deutsche Autobauer haben jedoch Marktanteile verloren. China sei erneut die “Lokomotive”, schreibt Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer vom Duisburger Center Automotive Research (CAR) am Mittwoch in einer Analyse, aus der die Nachrichtenagentur dpa zitiert. Obwohl der globale Autoabsatz in diesem Jahr voraussichtlich um 3,2 Prozent zurückgehen dürfte, soll der Markt in China um fünf Prozent zulegen, schätzt Dudenhöffer.
Der Absatz der deutschen Hersteller auf dem für sie wichtigsten Markt ist im ersten Halbjahr massiv eingebrochen. Der VW-Konzern verzeichnet ein Minus von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Mercedes und BMW hätten jeweils 19 Prozent weniger verkauft. Der Marktanteil von VW in China sei damit von 18,4 auf 14,2 Prozent zurückgegangen. Für Mercedes habe er sich von 4,4 auf 3,4 Prozent und für BMW von 4,7 auf 3,7 Prozent verringert, ergab die Analyse laut dpa.
“Gewinner sind klar die Chinesen und Tesla“, schreibt Dudenhöffer. Ein wichtiger Grund sei der Boom batterie-elektrischer Autos. “Da tun sich die deutschen Autobauer in China noch schwer.” Ähnliches gelte für Software-Funktionen bei Premiumfahrzeugen. Ein weiterer Grund für den Rückstand deutscher Autobauer seien die schlechteren Einkaufs- und Produktionssysteme, was sich auch im Vergleich zu Toyota zeige.
Im Interview mit ntv warnt Dudenhöffer vor einer möglichen Abkopplung der deutschen Wirtschaft von China. “Für Deutschland wäre ein China-Embargo der GAU”, sagt Dudenhöffer.” Bei einem China-Konflikt brechen die Absatzmärkte weg, möglicherweise beenden die Chinesen ihre Auslands-Engagements, Technologie-Import bleibt auf der Strecke.” flee
Der Standort für die nächste Fabrik des Akku-Marktführers CATL in Europa steht fest. Das Unternehmen aus Ningde will 7,34 Milliarden Euro in der ungarischen Stadt Debrecen investieren. Dort sollen nicht nur die Batterien entstehen, sondern auch Batteriezellen. Das ist wichtig, weil ein Großteil der Zellen bisher aus Fernost geliefert wird, auch wenn in der EU immer mehr Batteriewerke entstehen. Die Batterien bestehen im Wesentlichen aus Zellen.
CATL arbeitet derzeit an einer groß angelegten Expansion im Ausland. In Thüringen entsteht derzeit das erste deutsche Werk des großen und fortschrittlichen Herstellers (China.Table berichtete). In Ungarn befindet sich der neue Standort nun in strategischer Nähe zu Werken der deutschen Autobauer Daimler, BMW und Volkswagen. Daimler Truck arbeitet bereits mit CATL zusammen (China.Table berichtete). Jetzt tritt die Pkw-Sparte von Daimler als Erstkunde für die Batterien aus der neuen Fabrik auf. Die Fertigung dort soll CO2-neutral erfolgen. fin
Jeder vierte ausländische Angestellte in deutschen Unternehmen hat China seit 2019 verlassen. Das geht aus einer Erhebung der Außenhandelskammer (AHK) China hervor. Als Hauptursachen für den Exodus werden die Coronavirus-Politik der Regierung und ein höheres Lohnniveau angeführt. Für jedes dritte Unternehmen sind die Visa-Beschränkungen für Ausländer ein Grund, mehr lokale Arbeitskräfte einzustellen. 22 Prozent der Unternehmen wollen die Anzahl ausländischer Arbeitskräfte weiter reduzieren. Fast 42 Prozent geben an, insgesamt Arbeitsplätze abbauen zu wollen. Die AHK hat für ihren “Arbeitsmarkt- und Gehaltsbericht” 446 Unternehmen befragt. nib
Keine Verpflichtung zu “netto null” sei so wichtig wie diejenige Pekings, schreibt die Internationale Energieagentur (IEA) in einem aktuellen Bericht zu Chinas Ziel, den Höchststand der jährlichen CO2-Emissionen bis spätestens 2030 und die Klimaneutralität bis 2060 erreicht zu haben – oder wie es in China heisst: “30/60”.
Soll die Welt das Ziel der maximalen Erderwärmung um zwei Grad erreichen, bestenfalls gar um nicht mehr als 1,5 Grad Celsius, führt tatsächlich kein Weg an Peking vorbei. Nach vier Jahrzehnten des Turbowachstums ist China heute Dreh- und Angelpunkt von globalen Wertschöpfungsketten und seit 2009 der größte Energieverbraucher weltweit – Tendenz weiter steigend. Im vergangenen Jahr etwa hat der Verbrauch gegenüber dem Vorjahr um weitere 10,3 Prozent zugenommen.
Das Problem: China setzt weiterhin vorwiegend auf fossile Energieträger. Diese “schmutzigen” Energiequellen decken knapp 85 Prozent des Primärenergieverbrauchs Chinas ab – Kohle spielt mit einem Anteil von 67 Prozent zur heimischen Stromgewinnung noch immer eine dominante Rolle. Zwar beträgt der CO2-Fußabdruck in China pro Kopf weniger als die Hälfte desjenigen von US-Bürgerinnen und -Bürgern, doch das Reich der Mitte ist heute als weltweit größter Emittent von Treibhausgasen für nicht weniger als ein Drittel des jährlichen globalen CO₂-Ausstoßes verantwortlich.
Dies – so hat es Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping im September 2020 gegenüber der Uno-Generalversammlung erklärt – soll sich ändern. Hat sich Peking mit Blick auf das eigene Entwicklungsniveau lange gesträubt, Klima-Fragen resoluter anzupacken und sich international zu ambitionierten Zielen zu bekennen, findet gerade ein vorsichtiges Umdenken statt.
Peking will die Dekarbonisierung neu mit zwei zentralen Plänen koordinieren und vorantreiben: der Working Guidance for Carbon Dioxide Peaking and Carbon Neutrality in Full and Faithful Implementation of the New Development Philosophy und dem Action Plan for Reaching Carbon Dioxide Peak Before 2030. Der ‘Action Plan’ setzt dabei als ein erster von mehreren konkreten Umsetzungsplänen spezifische Ziele in zehn Bereichen fest, etwa zum Aufbau von erneuerbaren Energieträgern, zur Speicherung von Energie, zu sektorspezifischen Zielen oder zum Carbon Peak. Für sechs dieser zehn Bereiche wurden weiter spezifische 14. Fünfjahres- oder Umsetzungspläne verabschiedet.
Peking ist es also ernst. Doch trotz dieser positiven Zeichen bleibt Chinas Ambitionslevel bescheiden. Denn obschon der 14. Fünfjahresplan erstmals den absoluten Treibhausgas-Ausstoß ins Visier nimmt, ein eigentlich stärkerer Hebel als der bisherige Fokus auf den relativen Ausstoßes pro BIP-Einheit, fehlen in den jüngeren Plänen entsprechende Ziele. So enthält der Umsetzungsplan für die verarbeitende Industrie etwa gerade einmal ein quantitatives Ziel zur Reduktion der Energieintensität, ohne jedoch einen totalen CO2-Ausstoß für Industriebetriebe festzulegen.
China will derzeit also für die heimische Industrie den absoluten Ausstoß weder deckeln noch ein Ziel für die Energieintensität vorschreiben. Das Wirtschaftswachstum soll nicht gefährdet werden. Entsprechend wurden zuletzt auch die Ziele für den gesamten Energieverbrauch fallen gelassen.
Und nun droht ein erneuter Rückfall zur Kohle. Die schmerzhaften Engpässe vom letzten Herbst haben einmal mehr gezeigt, wie fragil die Energieversorgung in China nach wie vor ist, und welche Risiken eine zu schnelle Abkehr von der Kohle für die Wirtschaft bergen kann. Hinzu kommt, dass China noch über kein effektives und flächendeckendes Stromnetz verfügt, wo Engpässe mit Überschüssen woanders ausgeglichen werden könnten.
Um die Energieversorgung zu garantieren, hat Peking die ökologisch motivierten Einschränkungen bei der Produktion heimischer Kohle kurzerhand rückgängig gemacht. Der diesjährige 14. Fünfjahresplan für Energie hat zudem die Limiten beim Kohleverbrauch wieder aufgehoben.
Die Verwerfungen und Preiserhöhungen auf den internationalen Energiemärkten im Zuge des russischen Einmarsches in der Ukraine haben die Dringlichkeit für Peking noch weiter erhöht, auf heimische Energie zu setzen. So wurden in den ersten sechs Monaten des Jahres elf Prozent mehr Kohle im Vergleich zur Vorjahresperiode gefördert. Der Import des Energieträgers ist dagegen um 17,5 Prozent eingebrochen.
Doch Peking setzt auch weiterhin auf erneuerbare Energieträger. Kein anderes Land hat die Kapazität in der Fotovoltaik zuletzt so schnell ausgebaut wie China. Zwischen Januar und Juni 2022 hat China zudem die Kapazitäten von Wind- und Solarkraft im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um weitere 17,2 Prozent beziehungsweise 25,8 Prozent ausgebaut.
Der im März von der NDRC und der National Energy Administration (NEA) – Chinas Energiebehörde – ausgearbeitete sektorielle 14. Fünfjahresplan für Energie will den Anteil der nicht fossilen Energieträger bis 2025 auf 39 Prozent der Stromgewinnung und 20 Prozent des Energieverbrauchs erhöhen. Neben Solar- und Wind- ist das im Moment insbesondere auch die Wasserkraft. Daneben baut Peking auch seine Nuklearkapazität mit Hochdruck aus.
Erneuerbare Technologien sind für Peking neben der Bekämpfung von Luftverschmutzung und der Energiesicherheit auch für die Dominanz in Zukunftstechnologien zentral. Hier gehen Industrie- und Umweltpolitik oft Hand in Hand. So will China die Wirtschaft weg von der Abhängigkeit von Infrastruktur und Exporten hin zu einem “qualitativ hochwertigen” Wachstum mit verstärktem heimischem Konsum umgestalten, mit mehr Rücksicht auf Umwelt und die Gesundheit. Stark verschmutzende Industrien sollen zunehmend Hightech-Industrien weichen, die weitaus energieeffizienter und somit umweltschonender sind.
Das heißt: Will Peking bis 2035 die “sozialistische Modernisierung” erreichen, die heimische Wirtschaft auf gesündere Beine stellen und zu den Marktführern bei Zukunftstechnologien gehören, wird es trotz des derzeitigen Rückfalls zur Kohle nicht von seinen mittel- und langfristigen Zielen abrücken (können). So kann die auf Legitimität bedachte Regierung die weniger ambitionierten Ziele auch eher übererfüllen, statt zu ambitionierte Ziele zu verpassen.
Michael Settelen ist Direktor des Schweizer Consulting-Unternehmens China Macro Group und Projektleiter China an der Fachhochschule Nordwestschweiz.
Dieser Beitrag steht im Rahmen der Veranstaltungsreihe Global China Conversations des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Am Donnerstag, 18. August 2022 (11.00 Uhr, MESZ), diskutieren Sebastian Eckardt, Praxismanager für Makroökonomie, Handel und Investitionen der Weltbank, und Prof. Dr. Xiliang Zhang, Professor für Wirtschaftswissenschaften und Ingenieurwesen und Direktor des Instituts für Energie, Umwelt und Wirtschaft an der Tsinghua-Universität, über das Thema: “Grünes Wachstum: Was können wir von China Erwarten?”. China.Table ist der Medienpartner dieser Veranstaltungsreihe.
Dietmar Rambau ist seit 1. August der Vize President für den Bereich Sales VW Group China bei dem Autozulieferer Bosch am Standort Shanghai. Der Informatiker ist seit sechs Jahren im Vertrieb tätig.
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eine gute Portion Technikglaube gehört dazu, Autos unter Computersteuerung auf den allgemeinen Straßenverkehr loszulassen. In Shenzhen fahren bereits Roboter-Taxis, doch diese haben bisher noch keine Lizenz für den Regelbetrieb. Hier gehen nun Chongqing und Wuhan in Führung. Sie gestatten es dem KI-Unternehmen Baidu, ihre selbstfahrenden Droschken im normalen Alltag einzusetzen, berichtet unser Team aus Peking. Das ist der Anfang vom Ende des Taxifahrers als Beruf, glauben sie. Für wenige Tausend Euro mehr können Taxifirmen künftig Fahrzeuge anschaffen und die Personalkosten aus der Gleichung streichen.
Während solche Tech-Projekte schnell vorankommen, lahmt ein guter Teil der chinesischen Wirtschaft. Der Bau schwächelt, der private Konsum kommt nicht voran und junge Leute finden keinen Job. Zur Ankurbelung der angeschlagenen Wirtschaft bedient sich die chinesische Regierung gerne gigantischen Konjunkturpaketen. Doch anders als bisher steckt sie ihre Milliarden nicht mehr nur in den Bau von noch mehr Autobahnen, Schienen und Hochhäusern, sondern in das 5G-Netzwerk, in Cloud-Computing und Erneuerbare Energien. Das ist richtig und sinnvoll, wie aus der Analyse unseres Autorenteams aus Peking hervorgeht.
Und die Europäer? Sie dürften sich nicht nur angesichts eines bevorstehenden Gasmangels in diesem Winter einmal mehr warm anziehen. Vergleichbare Programme zum Ausbau moderner Infrastrukturen, die China nun auf den Weg bringt, etwa das 5G-Netzwerk fürs Autonome Fahren, könnten wir hierzulande ebenfalls gut gebrauchen.
Viele neue Erkenntnisse beim Lesen!
Im Stadtteil Nanshan in Shenzhen gehören autonome Taxis schon zum Straßenbild dazu. Viele Menschen schauen gar nicht mehr hin, wenn eines der weißen Autos mit Knubbel auf dem Dach an ihnen vorbeifährt. In dem Aufbau sind Kameras und Sensoren untergebracht, die es möglich machen, dass die Fahrzeuge ohne menschliche Steuerung durch die Stadt fahren.
An revolutionäre Mobilitätskonzepte des 21. Jahrhunderts in Form von autonomen Robotaxis hat man sich in Shenzhen gewöhnt. Seit mehr als anderthalb Jahren prüft der Internetkonzern Baidu dort schon seine Technologie auf ausgewählten Straßen im öffentlichen Stadtverkehr – stets mit einem Sicherheitsbegleiter auf dem Beifahrersitz.
Doch während in der US-Metropole San Francisco schon seit Juni Robotaxis des Anbieters Cruise ganz allein und gegen Gebühr kommerziell operieren, hat Shenzhen die nötige Lizenz zum Verzicht auf das Notfall-Personal noch nicht erteilt. Und somit übernehmen Wuhan und Chongqing jetzt die Pinoierrolle, als erste chinesische Städte, eine autonome Taxiflotte von Baidu zu erlauben, die voll und ganz der Technologie vertraut und dafür Geld nimmt.
Baidu teilte mit, dass in Wuhan täglich zwischen 9 und 17 Uhr und in Chongqing von 9:30 bis 16:30 Uhr jeweils fünf Fahrzeuge in ausgewählten Bezirken ihre Dienste anbieten. Die Areale umfassen 13 Quadratkilometer in der Wuhan Economic & Technological Development Zone und 30 Quadratkilometer im Bezirk Yongchuan in Chongqing. Es dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, bis auch andere chinesische Städte grünes Licht geben. Verhandlungen mit Peking und Guangzhou laufen bereits.
Für Baidu ist die Genehmigung ein wichtiger Meilenstein. Der Suchmaschinen-Gigant, der unter sinkenden Werbe-Umsätzen leidet, hat sein Zukunftsgeschäft auf künstliche Intelligenz und autonomes Fahren ausgerichtet. Baidu will die Preise für herkömmliche Taxi-Fahrten deutlich unterbieten. “Wir steuern auf eine Zukunft zu, in der die Fahrt mit einem Robotaxi halb so viel wie eine normale Taxi-Fahrt kosten wird”, sagte Baidu-Gründer Robin Li anlässlich der Vorstellung des kommenden Robotaxis RT6, das ab 2023 auf chinesischen Straßen zu sehen sein wird.
Noch bis Jahresende will Baidu seine bisherige autonome Flotte auf 600 Fahrzeuge verdoppeln. Das Unternehmen plant, seinen Taxi-Dienst Apollo Go bis 2025 auf 65 chinesische Städte auszuweiten. Bis 2030 dann sogar auf 100 Städte. Dann sollen Zehntausende der autonomen Taxis im Einsatz sein. Der Apollo RT6 soll zu einem Preis von 250.000 Yuan (etwa 36.000 Euro) pro Fahrzeug in Massenproduktion gehen. Das ist laut Baidu nur noch die Hälfte der Kosten des Vorgängermodells. Erstmals soll das Lenkrad eingefahren werden können.
Für Baidu und andere Anbieter von Robotaxis ist es wichtig, die Produktionskosten für die Fahrzeuge so weit es geht zu senken, um ihre Fertigung durch den Einsatz auf Chinas Straßen zu refinanzieren. Zumal die Taxi-Fahrten in der Volksrepublik deutlich günstiger sind als etwa in Deutschland.
Nicht nur baut Baidu seine eigene autonome Taxi-Flotte auf. Es stellt sein Apollo-System auch Dutzenden Autoherstellern in China zur Verfügung, um eigene autonome Autos zu bauen. Baidu gilt in China als führend bei der Entwicklung von Technik, die autonomes Fahren ermöglicht. Nach eigenen Angaben verfügt der Konzern über einen Datenschatz, aus mehr als 20 Millionen Kilometern überwachtem autonomen Fahren. Die Daten nutzt Baidu ähnlich wie Tesla, um seine Algorithmen zu trainieren.
Für die Nutzer ändert sich im Vergleich zu Fahrdienstleistern wie Didi Chuxing wenig. Sie können eine App samt Bezahlservice herunterladen, Abholort und Ziel eingeben, Minuten später kommt das Robotaxi angerollt. Ausländer können jedoch noch nicht mitfahren, weil die App bisher nur die Registrierung mit einer chinesischen ID-Karte erlaubt. Gregor Koppenburg/Jörn Petring
“Wer reich werden will, muss zuerst eine Straße bauen.” Das alte chinesische Sprichwort scheint ausgedient zu haben, wenn man sich die neuen Infrastruktur-Pläne Pekings vor Augen führt. Die Regierung will in der zweiten Jahreshälfte die durch die harten Corona-Maßnahmen ausgebremste Konjunktur ankurbeln. Die Wirtschaft wuchs im zweiten Quartal gerade mal noch um 0,4 Prozent. Damit will sich die Führung nicht noch einmal zufriedengeben. Mehr als eine Billion Yuan (etwa 145 Milliarden Euro) werden deshalb an zusätzlichen Mitteln bereitgestellt.
Anders als bei früheren Infrastruktur-Offensiven werden es dieses Mal allerdings weniger Straßen, Schienen und Flughäfen sein, die der Wirtschaft Schwung verleihen sollen. Peking will das Geld vor allem für den Ausbau der “neuen Infrastruktur” nutzen. “Projekte für erneuerbare Energien, im Technologie-Bereich und der Wasserwirtschaft werden zu den größten Nutznießern von Chinas neuem Infrastrukturinvestitionsboom gehören”, schreibt das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin, das gleichzeitig vom größten Konjunkturpaket seit der Finanzkrise 2008 spricht. Damals mobilisierte Peking rund vier Billionen Yuan, die einen gewaltigen Bauboom auslösten. Gleichzeitig schoss die Verschuldung von Staatsfirmen und Lokalregierungen in die Höhe.
Vierzehn Jahre später sollen andere Sektoren von den Konjunktur-Milliarden profitieren. “Das Land hat bereits ein angemessenes Netzwerk von Eisenbahnen, Autobahnen und Flughäfen”, so der Pekinger Makroökonom Zhu Changzheng. Mit Zuflüssen könnten nun Bereiche rechnen, die vom der zuständigen Pekinger Entwicklungs- und Reformkommission als “neue Infrastruktur” eingestuft werden. Die Förderung von Künstlicher Intelligenz, Blockchain-Anwendungen, Cloud-Computing, Big Data und 5G gehören hierzu. Auch erneuerbare Energiequellen dürften einen weiteren Schub erfahren.
Dass die Geldströme dieses Mal ganz anders fließen, lässt sich bereits seit einigen Monaten beobachten. Laut Caixin gingen in der ersten Jahreshälfte die Ausgaben für neue Schienen- und Straßen im Vorjahresvergleich um 4,4 Prozent beziehungsweise 0,2 Prozent zurück. Einen Boom erlebt dagegen der Ausbau neuer Energiequellen. Allein die Ausgaben für neue Fotovoltaik-Anlagen stiegen in der ersten Jahreshälfte um 173 Prozent auf umgerechnet 41 Milliarden Dollar an. 58 Milliarden Dollar oder 107 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2021 flossen derweil in neue Windprojekte, wie die Analysten von Bloomberg New Energy Finance (BNEF) errechnet haben.
“Die grüne Infrastruktur ist das derzeit wichtigste Investment, auf das China setzt, um die schwächelnde Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte wieder anzukurbeln”, sagt Bloomberg-Analyst Nannan Kou. Doch auch in anderen Feldern treibt China Investitionen voran. So soll laut Caixin ebenfalls viel Geld für den Hochwasserschutz in die Hand genommen werden. Auch die Modernisierung des maroden Gas-Netzes steht auf Pekings To-do-Liste.
Zwar sind sich Ökonomen einig, dass das Infrastruktur-Paket der Wirtschaft gewissen Rückenwind verleihen wird. Jedoch dürfte es schwierig werden, das angestrebte Wachstumsziel von rund fünf Prozent noch zu erreichen. Laut der Staatszeitung Global Times machten Chinas Infrastruktur-Ausgaben allein im Juli zwar einen Sprung um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das gesamte Infrastruktur-Paket werde bis zum Jahresende jedoch wohl nur etwa einen Prozentpunkt zusätzliches Wachstum generieren können. Gregor Koppenburg/Jörn Petring
Chinas Automarkt hat wieder an Schwung gewonnen, deutsche Autobauer haben jedoch Marktanteile verloren. China sei erneut die “Lokomotive”, schreibt Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer vom Duisburger Center Automotive Research (CAR) am Mittwoch in einer Analyse, aus der die Nachrichtenagentur dpa zitiert. Obwohl der globale Autoabsatz in diesem Jahr voraussichtlich um 3,2 Prozent zurückgehen dürfte, soll der Markt in China um fünf Prozent zulegen, schätzt Dudenhöffer.
Der Absatz der deutschen Hersteller auf dem für sie wichtigsten Markt ist im ersten Halbjahr massiv eingebrochen. Der VW-Konzern verzeichnet ein Minus von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Mercedes und BMW hätten jeweils 19 Prozent weniger verkauft. Der Marktanteil von VW in China sei damit von 18,4 auf 14,2 Prozent zurückgegangen. Für Mercedes habe er sich von 4,4 auf 3,4 Prozent und für BMW von 4,7 auf 3,7 Prozent verringert, ergab die Analyse laut dpa.
“Gewinner sind klar die Chinesen und Tesla“, schreibt Dudenhöffer. Ein wichtiger Grund sei der Boom batterie-elektrischer Autos. “Da tun sich die deutschen Autobauer in China noch schwer.” Ähnliches gelte für Software-Funktionen bei Premiumfahrzeugen. Ein weiterer Grund für den Rückstand deutscher Autobauer seien die schlechteren Einkaufs- und Produktionssysteme, was sich auch im Vergleich zu Toyota zeige.
Im Interview mit ntv warnt Dudenhöffer vor einer möglichen Abkopplung der deutschen Wirtschaft von China. “Für Deutschland wäre ein China-Embargo der GAU”, sagt Dudenhöffer.” Bei einem China-Konflikt brechen die Absatzmärkte weg, möglicherweise beenden die Chinesen ihre Auslands-Engagements, Technologie-Import bleibt auf der Strecke.” flee
Der Standort für die nächste Fabrik des Akku-Marktführers CATL in Europa steht fest. Das Unternehmen aus Ningde will 7,34 Milliarden Euro in der ungarischen Stadt Debrecen investieren. Dort sollen nicht nur die Batterien entstehen, sondern auch Batteriezellen. Das ist wichtig, weil ein Großteil der Zellen bisher aus Fernost geliefert wird, auch wenn in der EU immer mehr Batteriewerke entstehen. Die Batterien bestehen im Wesentlichen aus Zellen.
CATL arbeitet derzeit an einer groß angelegten Expansion im Ausland. In Thüringen entsteht derzeit das erste deutsche Werk des großen und fortschrittlichen Herstellers (China.Table berichtete). In Ungarn befindet sich der neue Standort nun in strategischer Nähe zu Werken der deutschen Autobauer Daimler, BMW und Volkswagen. Daimler Truck arbeitet bereits mit CATL zusammen (China.Table berichtete). Jetzt tritt die Pkw-Sparte von Daimler als Erstkunde für die Batterien aus der neuen Fabrik auf. Die Fertigung dort soll CO2-neutral erfolgen. fin
Jeder vierte ausländische Angestellte in deutschen Unternehmen hat China seit 2019 verlassen. Das geht aus einer Erhebung der Außenhandelskammer (AHK) China hervor. Als Hauptursachen für den Exodus werden die Coronavirus-Politik der Regierung und ein höheres Lohnniveau angeführt. Für jedes dritte Unternehmen sind die Visa-Beschränkungen für Ausländer ein Grund, mehr lokale Arbeitskräfte einzustellen. 22 Prozent der Unternehmen wollen die Anzahl ausländischer Arbeitskräfte weiter reduzieren. Fast 42 Prozent geben an, insgesamt Arbeitsplätze abbauen zu wollen. Die AHK hat für ihren “Arbeitsmarkt- und Gehaltsbericht” 446 Unternehmen befragt. nib
Keine Verpflichtung zu “netto null” sei so wichtig wie diejenige Pekings, schreibt die Internationale Energieagentur (IEA) in einem aktuellen Bericht zu Chinas Ziel, den Höchststand der jährlichen CO2-Emissionen bis spätestens 2030 und die Klimaneutralität bis 2060 erreicht zu haben – oder wie es in China heisst: “30/60”.
Soll die Welt das Ziel der maximalen Erderwärmung um zwei Grad erreichen, bestenfalls gar um nicht mehr als 1,5 Grad Celsius, führt tatsächlich kein Weg an Peking vorbei. Nach vier Jahrzehnten des Turbowachstums ist China heute Dreh- und Angelpunkt von globalen Wertschöpfungsketten und seit 2009 der größte Energieverbraucher weltweit – Tendenz weiter steigend. Im vergangenen Jahr etwa hat der Verbrauch gegenüber dem Vorjahr um weitere 10,3 Prozent zugenommen.
Das Problem: China setzt weiterhin vorwiegend auf fossile Energieträger. Diese “schmutzigen” Energiequellen decken knapp 85 Prozent des Primärenergieverbrauchs Chinas ab – Kohle spielt mit einem Anteil von 67 Prozent zur heimischen Stromgewinnung noch immer eine dominante Rolle. Zwar beträgt der CO2-Fußabdruck in China pro Kopf weniger als die Hälfte desjenigen von US-Bürgerinnen und -Bürgern, doch das Reich der Mitte ist heute als weltweit größter Emittent von Treibhausgasen für nicht weniger als ein Drittel des jährlichen globalen CO₂-Ausstoßes verantwortlich.
Dies – so hat es Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping im September 2020 gegenüber der Uno-Generalversammlung erklärt – soll sich ändern. Hat sich Peking mit Blick auf das eigene Entwicklungsniveau lange gesträubt, Klima-Fragen resoluter anzupacken und sich international zu ambitionierten Zielen zu bekennen, findet gerade ein vorsichtiges Umdenken statt.
Peking will die Dekarbonisierung neu mit zwei zentralen Plänen koordinieren und vorantreiben: der Working Guidance for Carbon Dioxide Peaking and Carbon Neutrality in Full and Faithful Implementation of the New Development Philosophy und dem Action Plan for Reaching Carbon Dioxide Peak Before 2030. Der ‘Action Plan’ setzt dabei als ein erster von mehreren konkreten Umsetzungsplänen spezifische Ziele in zehn Bereichen fest, etwa zum Aufbau von erneuerbaren Energieträgern, zur Speicherung von Energie, zu sektorspezifischen Zielen oder zum Carbon Peak. Für sechs dieser zehn Bereiche wurden weiter spezifische 14. Fünfjahres- oder Umsetzungspläne verabschiedet.
Peking ist es also ernst. Doch trotz dieser positiven Zeichen bleibt Chinas Ambitionslevel bescheiden. Denn obschon der 14. Fünfjahresplan erstmals den absoluten Treibhausgas-Ausstoß ins Visier nimmt, ein eigentlich stärkerer Hebel als der bisherige Fokus auf den relativen Ausstoßes pro BIP-Einheit, fehlen in den jüngeren Plänen entsprechende Ziele. So enthält der Umsetzungsplan für die verarbeitende Industrie etwa gerade einmal ein quantitatives Ziel zur Reduktion der Energieintensität, ohne jedoch einen totalen CO2-Ausstoß für Industriebetriebe festzulegen.
China will derzeit also für die heimische Industrie den absoluten Ausstoß weder deckeln noch ein Ziel für die Energieintensität vorschreiben. Das Wirtschaftswachstum soll nicht gefährdet werden. Entsprechend wurden zuletzt auch die Ziele für den gesamten Energieverbrauch fallen gelassen.
Und nun droht ein erneuter Rückfall zur Kohle. Die schmerzhaften Engpässe vom letzten Herbst haben einmal mehr gezeigt, wie fragil die Energieversorgung in China nach wie vor ist, und welche Risiken eine zu schnelle Abkehr von der Kohle für die Wirtschaft bergen kann. Hinzu kommt, dass China noch über kein effektives und flächendeckendes Stromnetz verfügt, wo Engpässe mit Überschüssen woanders ausgeglichen werden könnten.
Um die Energieversorgung zu garantieren, hat Peking die ökologisch motivierten Einschränkungen bei der Produktion heimischer Kohle kurzerhand rückgängig gemacht. Der diesjährige 14. Fünfjahresplan für Energie hat zudem die Limiten beim Kohleverbrauch wieder aufgehoben.
Die Verwerfungen und Preiserhöhungen auf den internationalen Energiemärkten im Zuge des russischen Einmarsches in der Ukraine haben die Dringlichkeit für Peking noch weiter erhöht, auf heimische Energie zu setzen. So wurden in den ersten sechs Monaten des Jahres elf Prozent mehr Kohle im Vergleich zur Vorjahresperiode gefördert. Der Import des Energieträgers ist dagegen um 17,5 Prozent eingebrochen.
Doch Peking setzt auch weiterhin auf erneuerbare Energieträger. Kein anderes Land hat die Kapazität in der Fotovoltaik zuletzt so schnell ausgebaut wie China. Zwischen Januar und Juni 2022 hat China zudem die Kapazitäten von Wind- und Solarkraft im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um weitere 17,2 Prozent beziehungsweise 25,8 Prozent ausgebaut.
Der im März von der NDRC und der National Energy Administration (NEA) – Chinas Energiebehörde – ausgearbeitete sektorielle 14. Fünfjahresplan für Energie will den Anteil der nicht fossilen Energieträger bis 2025 auf 39 Prozent der Stromgewinnung und 20 Prozent des Energieverbrauchs erhöhen. Neben Solar- und Wind- ist das im Moment insbesondere auch die Wasserkraft. Daneben baut Peking auch seine Nuklearkapazität mit Hochdruck aus.
Erneuerbare Technologien sind für Peking neben der Bekämpfung von Luftverschmutzung und der Energiesicherheit auch für die Dominanz in Zukunftstechnologien zentral. Hier gehen Industrie- und Umweltpolitik oft Hand in Hand. So will China die Wirtschaft weg von der Abhängigkeit von Infrastruktur und Exporten hin zu einem “qualitativ hochwertigen” Wachstum mit verstärktem heimischem Konsum umgestalten, mit mehr Rücksicht auf Umwelt und die Gesundheit. Stark verschmutzende Industrien sollen zunehmend Hightech-Industrien weichen, die weitaus energieeffizienter und somit umweltschonender sind.
Das heißt: Will Peking bis 2035 die “sozialistische Modernisierung” erreichen, die heimische Wirtschaft auf gesündere Beine stellen und zu den Marktführern bei Zukunftstechnologien gehören, wird es trotz des derzeitigen Rückfalls zur Kohle nicht von seinen mittel- und langfristigen Zielen abrücken (können). So kann die auf Legitimität bedachte Regierung die weniger ambitionierten Ziele auch eher übererfüllen, statt zu ambitionierte Ziele zu verpassen.
Michael Settelen ist Direktor des Schweizer Consulting-Unternehmens China Macro Group und Projektleiter China an der Fachhochschule Nordwestschweiz.
Dieser Beitrag steht im Rahmen der Veranstaltungsreihe Global China Conversations des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Am Donnerstag, 18. August 2022 (11.00 Uhr, MESZ), diskutieren Sebastian Eckardt, Praxismanager für Makroökonomie, Handel und Investitionen der Weltbank, und Prof. Dr. Xiliang Zhang, Professor für Wirtschaftswissenschaften und Ingenieurwesen und Direktor des Instituts für Energie, Umwelt und Wirtschaft an der Tsinghua-Universität, über das Thema: “Grünes Wachstum: Was können wir von China Erwarten?”. China.Table ist der Medienpartner dieser Veranstaltungsreihe.
Dietmar Rambau ist seit 1. August der Vize President für den Bereich Sales VW Group China bei dem Autozulieferer Bosch am Standort Shanghai. Der Informatiker ist seit sechs Jahren im Vertrieb tätig.
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