Table.Briefing: Bildung

Vier-Tage-Woche in der Schule + Standortdaten bei Moodle? + Politikdidaktik und BNE

  • Lehrermangel: Modellprojekt mit Vier-Tage-Woche startet an Schulen in Sachsen-Anhalt
  • Standortdaten: Experte testet Moodles Datenflüsse
  • Bildung für Nachhaltige Entwicklung: zu unpolitisch für den Politikunterricht?
  • Neues Schulfach “Digitale Welt” in Hessen
  • Notfallplan Gas: Status von Bildungseinrichtungen
  • Julian Dorn – Informatiklehrer mit Wirtschaftsbackground
  • Presseschau
  • Termine
Liebe Leserin, lieber Leser,

die Vier-Tage-Woche, sie ist nicht nur bei immer mehr Arbeitnehmern beliebt. In Sachsen-Anhalt erhält sie Einzug in die Schulen. Dort kürzt man in einem Modellversuch den Unterricht. Am fünften Tag der Woche können Schüler ein Praktikum oder digitalen Fernunterricht machen. Das kann den Lehrermangel abfedern, den sich nun auch das Musterland Bayern eingesteht. 500 Vollzeitstellen fehlen dort, rechnet der Bayerische Lehrerverband vor und ruft nach Hilfe bei Markus Söder, wie unsere Analyse zeigt.

Tatsachen schaffen wir im Fall “Human Rights Watch vs. Moodle“. Die Menschenrechtsorganisation hatte der Lernplattform vorgeworfen, Standortdaten zu erheben. Nach unserer Berichterstattung protestierte der Open-Source-Liebling. Nun haben wir uns einen neuen Bericht von HRW angeschaut und einen Datenschutzexperten auf die Lernplattform geschickt. So viel sei verraten: Standortdaten erhebt Moodle in Baden-Württemberg nicht. Aber die Möglichkeit besteht.

Im heutigen Bildung.Table nehmen wir indes eine andere Standortbestimmung vor. Wie steht es um die Bildung für Nachhaltige Entwicklung? Von der Politik vorangetrieben, fristet sie in vielen Politikstunden nach wie vor ein Nischendasein. Moritz Baumann erkundet für Sie eine Baustelle und stößt auf mehrere Vorurteile und einen aussichtsreichen Weg.

Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht Ihnen

Ihr
Niklas Prenzel
Bild von Niklas  Prenzel

Analyse

Lehrermangel: Es droht die Vier-Tage-Schulwoche

Auch Bayern spürt den Lehrermangel zunehmend. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), Simone Fleischmann, warnt: Es könnten Kürzungen der Stundentafel, Mehrarbeit für Teilzeitlehrer und die Zusammenlegung kleiner Klassen drohen. Die Personalnot sei auch in Bayern längst ein Dauerzustand, betonte Fleischmann am Dienstag – und mahnte schnelle Abhilfe an.

Der Lehrermangel ist die Bedrohung im Hintergrund für das Lernen in Deutschland. Das zeigte auch der jüngste Nationale Bildungsbericht, nach dem zwischen rund 14.000 und 80.000 Lehrkräfte im Jahr 2030 fehlen werden. An den Antipoden Bayern und Sachsen-Anhalt kann man ablesen, wie unterschiedlich die Situation ist: In Bayern ist die Unterversorgung mit Lehrkräften bislang nur auf bestimmte Schulformen bezogen. Sachsen-Anhalt denkt bereits daran, einen Schultag pro Woche wegfallen zu lassen – für die Schüler.

BLLV zum Lehrermangel: Bayern fehlen 500 Vollzeitzeitlehrer

Bayerns BLLV prescht jetzt mit eigenen Zahlen voran: Bei den Fachlehrkräften an den Grund- und Mittelschulen würden zum neuen Schuljahr 500 Vollzeitkapazitäten (VZK) fehlen – also 500 Fachlehrer, die je 40 Stunden pro Woche arbeiten. Eine Schulart steht besonders unter Druck: “Die Mittelschule wird das große Problemkind der nächsten Jahre”, sagte Vizepräsident Gerd Nitschke. Während sich im Lehramt für die Grundschule die Zahl der neuen Studierenden seit 2016 fast verdoppelt habe, sei die Zahl der Erst- und Zweitsemester im Mittelschullehramt von 1.400 auf 570 eingebrochen.

Um die Lücken zu stopfen, brachte man in den vergangenen Jahren kontinuierlich neue Maßnahmen auf den Weg. Das ganze Bild, über das Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) nicht gerne spricht, ähnelt einem Flickenteppich, den kaum noch jemand durchschaut. Immer neue Jobbeschreibungen ploppen auf. Die Schulämter ächzen, weil sie immer mehr befristete Arbeitsverträge managen müssen. Bei der Eingruppierung in die verschiedenen Besoldungsstufen entstehen Ungerechtigkeiten, die an den Schulen für Frust sorgen.

Bayern: Markus Söder soll Schulen mit höherer Besoldung helfen

Und so hatte BLLV-Präsidentin Fleischmann mit ihrem Statement am Dienstag vor allem einen Mann im Blick: Ministerpräsident Markus Söder (CSU). “Bildung muss zur Chefsache werden“, betonte sie. Fleischmann pflegt den Kontakt zur politischen Spitze von CSU und Freien Wählern intensiv – auch am Kultusminister vorbei. Sie erhofft sich offenbar, dort mit ihren Forderungen mehr zu erreichen. Dazu gehört unter anderem: mehr Gehalt (A13) für Lehrkräfte an Grund- und Mittelschulen und Einführung des BLLV-Konzepts zur flexiblen Lehrerbildung.

In Sachsen-Anhalt wartet man vergeblich darauf, dass Gehalts-Boni oder Quereinsteiger die Situation noch retten könnten. Dort hat das Ministerium für Bildung inzwischen zu einer einzigartigen Maßnahme gegriffen: In einem Modellversuch können alle Sekundarschulen des Landes, die das wollen, einen Unterrichtstag streichen. Statt auf mehr Lehrkräfte setzt man dort auf weniger Unterricht. Das geht aus einem Papier von Landesschulamt und Bildungsministerium hervor, das Bildung.Table vorliegt. Das Dokument eröffnet den Schulen die Möglichkeit, einen Schultag einzusparen – und die Schüler stattdessen in ein Praktikum zu schicken oder per digitalem Fernunterricht zu versorgen. Nach Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) sei das Modell explizit nicht zur Bekämpfung des Lehrermangels gedacht.

Sachsen-Anhalt: Ein Digitaltag zu Hause soll Lehrer entlasten

Der Blick in die Praxis zeigt, dass dieser digitale Fernunterricht im Homeoffice sehr unterschiedlich ausfallen kann. In Bismark, einem 8.000-Einwohner-Ort im Norden Sachsen-Anhalts, praktiziert die dortige Sekundarschule bereits seit einem Jahr einen Digitaltag zu Hause. “Wir wollen, dass die Schüler beim Digitaltag selbstorganisiert arbeiten”, berichtet Schulleiterin Birgit Smirnow Bildung.Table. Sie hat ihr Kollegium, das ein Durchschnittsalter von 56 Jahren habe, extra zu einer Moodleschule fortbilden lassen. Jeder Schüler, der kein digitales Endgerät sein eigen nennt, habe die Option, im Computer-Kabinett der Schule zu arbeiten. Allerdings verfügt Smirnow nur über 75 Prozent ihrer optimalen Lehrerbesetzung. Das bedeutet: Auch sie schielt danach, dass das digitale Lernen ihr beim Kampf gegen den Lehrermangel hilft.

Auch andere Schulen nutzen den Digitaltag bereits – aber nicht so selbstorganisiert wie in Bismark. Das Modell digitales Homeschooling laufe de facto auf eine Vier-Tage-Woche hinaus, berichtet eine Lehrerin aus dem Landkreis Wittenberg. “Ich kenne Schulen, die online PDFs für ein halbes Schuljahr im Voraus zur Verfügung stellen”, sagt die Frau, die anonym bleiben will. “Die Schüler müssen diese digitalen Arbeitsblätter dann abarbeiten – ganz egal, wie der Unterrichtsfortschritt ansonsten ist.”

Digitaltag: kein Unterschied zwischen analogen Arbeitsblättern und PDFs

Der Linken-Abgeordnete Thomas Lippmann sagte, viele Schulen in Sachsen-Anhalt hätten noch immer nicht die technischen und pädagogischen Voraussetzungen für einen funktionierenden Digitaltag. Außerdem stünden in immer mehr Schulen wegen der schlechten Unterrichtsversorgung gar keine Lehrkräfte zur Verfügung, um den versprochenen Distanzunterricht abzusichern. “Schülern Aufgaben zu stellen, die zu Hause zu bearbeiten sind, weil die Lehrer in dieser Zeit andere Klassen unterrichten müssen, ist kein modernes Unterrichtskonzept, das sind potemkinsche Dörfer“, so der Bildungspolitiker. Das Ziel ist die Einschränkung der Schulpflicht, um die Schüler einen Tag in der Woche regulär zu Hause lassen zu können. Moritz Baumann und Christian Füller

  • Digitales Lernen
  • Lehrermangel
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  • Simone Fleischmann

Neue Human Rights-Studie: Was macht Moodle wirklich? 

Screenshot des Human-Rights-Studie zu Datenschutz bei Moodle
Das kann die Moodle-App grundsätzlich. Was sie wirklich tut, haben Baden-Württembergs Behörden nicht untersucht (Screenshot HRW-Bericht)

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat das Land Baden-Württemberg erneut davor gewarnt, dass auch vermeintlich sichere digitale Lernanwendungen wie Moodle Schüler grundsätzlich lokalisieren können. In einem gestern vorgelegten Prüfbericht bezog sich HRW damit auch auf Moodle, das der Südstaat in seinen Schulen einsetzt. Human Rights Watch hatte kürzlich in einer Studie offengelegt, dass die Programmierung des Open-Source-Lernsystems unter anderem die Möglichkeit biete, den Standort von Schülern zu bestimmen. Moodle selbst bezeichnete den Bericht in einem Dementi als irreführend. Human Rights Watch aber insistierte: “Unsere Untersuchung ist solide.”

Die Berichte von Human Rights Watch sind in vieler Hinsicht bahnbrechend. Sie haben weltweit 73 digitale Lernanwendungen anhand des Programmiercodes der jeweiligen App auf ihre Fähigkeiten untersucht, sensible Daten von Schülerinnen und Schülern abzufragen. Dabei nahm HRW auch keine Rücksicht auf die üblicherweise als heilig betrachteten Open-Source-Produkte oder Systeme, die als besonders sicher gelten wie Threema Works. Viele zuständige Behörden lobten den Bericht zwar in allgemeiner Weise. Zu den für Bürger und Schüler offenen Fragen nehmen sie jedoch kaum Stellung. So war es schon bei den kritischen Anmerkungen von Human Rights Watch im letzten Bericht zu Moodle und Threema Works in Baden-Württemberg. Wie berichtet nutzen etwa 2.500 Schulen in Baden-Württemberg Moodle als Lernmanagementsystem

Human Rights Watch erhöht Druck auf Datenschutz

Human Rights Watch hat mit den gestern veröffentlichten Prüfprofilen den Druck auf die zuständigen Behörden erhöht. Bisher lautete die Auskunft der zuständigen Stellen, man könne nicht nachvollziehen, was HRW genau gemacht habe. Allerdings war dies im ursprünglichen Bericht bereits ausgeführt. Im Profil, das HRW von Moodle erstellt hat, heißt es nun: dessen App-Code sei grundsätzlich in der Lage, Standortdaten zu erheben, den Zeitpunkt des aktuellen Standorts zu bestimmen und den letzten bekannten Standort festzuhalten. In den gestern veröffentlichten Details zur Studie aus dem Mai 2022 listet HRW 163 Profile von digitalen Lernanwendungen. In einer sogenannten statischen Analyse durchsuchten HRW-Spezialisten den Programmcode auf dessen Möglichkeiten. Dazu zählen unter anderem die Lokalisierung von Standortdaten und das Finden von Kontakten. Dynamische Analysen von Moodle mit einer Beobachtung konkreter Datenflüsse nahm HRW hingegen nicht vor. 

Der deutsche IT-Dienstleister Eledia, der etwa die Moodle-Anwendung Nordrhein-Westfalens betreut, hält seine Vorbehalte gegen die Arbeitsweise von Human Rights Watch auch nach dem neuen Bericht aufrecht. “Das neue Dokument über Moodle bestätigt genau meine vorherigen Aussagen”, sagte Ralf Hilgenstock von Eledia. “Es gibt einen entscheidenden Unterschied, ob eine App per se bei der Installation das dauerhafte Recht fordert, Daten zu verwenden. Oder ob die App es dem Nutzer situativ erlaubt, eine Funktion zu aktivieren, zB Mikro, Kamera, Standort.” Die Systemeinstellungen von Moodle seien daher datenschutzfreundlich.

Behörden äußern sich nur allgemein über Datenflüsse in Moodle

Bildung.Table hat Human Rights Watch in New York mit der Kritik aus Deutschland konfrontiert. Eine Forscherin von HRW, Hye Jung Han, spielte den Ball an Ministerien, Behörden und Schulen zurück. “Es liegt an der Organisation, uns mitzuteilen, ob sie die Fähigkeit des Moodle-Codes, Schüler zu orten, tatsächlich nutzt”, sagte Han mit Blick auf jene, die Schüler zur Nutzung von Moodle durch den Einsatz im Unterricht verpflichten. “Sie sollten in der Lage sein zu bestätigen, ob sie jemals Standortdaten von ihren Schülern gesammelt haben. Und wenn ja, ob sie diese Daten auf eine Art und Weise sammeln, verwenden und verarbeiten, die sicher und verantwortungsvoll ist und nur für die Zwecke der Ausbildung eines Kindes verwendet wird.”

Allerdings ist es nicht so einfach, von Behörden Auskunft darüber zu bekommen, ob und wie die Schulen die Moodle-App nutzen. So teilte das Bildungsministerium pauschal mit, Moodle sei mit dem Landesdatenschutzbeauftragten vollständig abgestimmt. Wörtlich sagte ein Sprecher, “auf Datenschutz wird höchsten Wert gelegt. Die zur Diskussion stehenden Funktionen sind im Moodle-Baden-Württemberg nicht enthalten.” 

Datenschutz: Fragen Sie das Bildungsministerium zur Moodle-App

Mit den Berichten und den vorgelegten Profilen von HRW ist diese Antwort jedoch nicht vereinbar. Die HRW-Forscher hatten sich die öffentlich zugängliche Version v.3.9.4 der Moodle-App angesehen. Dabei hatten sie festgestellt, dass im Programmcode der Software sehr wohl theoretisch Möglichkeiten zur Schülerüberwachung bestehen. Die Frage ist daher vielmehr, ob Anwender sie praktisch nutzen. Dazu teilte das Ministerium jedoch mit, die Möglichkeiten einer Überwachung von Schülern oder Lehrkräften seien “in Moodle-BW nicht enthalten und auch nicht durch die Schulen nachführbar.” 

Die zuständige Behörde ist der Landesdatenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, vertreten durch Stefan Brink. Auch er gab sich zugeknöpft. Die Studie von Human Rights Watch sei extrem wichtig, sagte ein Sprecher. Allerdings sei Moodle “grundsätzlich datenschutzkonform nutzbar.” Weiter heißt es: “Sollten wir Beschwerden erhalten, gehen wir diesen nach. In Bezug auf die App bitten wir Sie, das Kulturministerium zu fragen.” Eigene Untersuchungen stellte Brink nicht an. Recherchen von Bildung.Table zeigten, dass Baden-Württembergs Schulen in der Regel zwar die Browser-Version von Moodle nutzen. Es gibt aber sehr wohl Einrichtungen, die auch die App-Version anwenden. Was dort konkret passiert, darüber scheinen die Behörden nicht besonders viel zu wissen. 

Analyse durch Bildung.Table: Moodle-App ohne auffälligen Datenanfragen

Immerhin von einer Stelle kommt Entwarnung. Datenexperte Matthias Eberl hat im Auftrag von Bildung.Table und mithilfe von Moodle-Experten aus dem Land Zugang zu Moodle Baden-Württemberg bekommen. Eberl hat sich die aktuelle Version 3.5. der Moodle-App angesehen – also eine jüngere als die von HRW gesichtete.

Der Datenjournalist hat die Moodle-App auf tatsächliche Datenflüsse untersucht. Das heißt, er unternahm eine sogenannte dynamische Analyse. Er liefert nun das Ergebnis, das Baden-Württemberg bislang nicht liefern konnte: Die Moodle-App verhalte sich im Betrieb datentechnisch korrekt, es seien keine auffälligen Verarbeitungen erkennbar. “Die Datenabfragen (Requests) sind absolut minimal”, sagte Eberl nach der Prüfung mit einem Testmobiltelefon, das der Software keine Grenzen setzte. “Bei meiner Analyse waren keine Werbe-IDs, keine Übertragungen durch eingebaute Softwaremodule von Drittanbietern (sogenannte SDKs) und keine umfangreichen Hardware-Checks zu erkennen. Der Standort wurde von der App gar nicht angefragt, entsprechend hat es mich auch nicht überrascht, dass in den Requests keine Standortdaten enthalten waren.” 

Eberls Kritik richtet sich allerdings nicht gegen Human Rights Watch. Die hätten einfach eine weltweit automatisierte Analyse von Lern-Apps vorgenommen. Eberl stößt sich vielmehr am Verhalten der zuständigen Behörden: “Wir haben nach wie vor eine Riesenlücke im deutschen Bildungssystem”, sagte der Datenexperte. Es fehle bei der Datenanalyse hierzulande eine autorisierte Institution mit Kompetenz, Sachverstand und personeller Ausstattung. Nur sie könne Schulen und Lehrern zügig Auskunft darüber geben, mit welcher Software überhaupt sicher gearbeitet werden kann – und was mit den Daten von Schülern wirklich passiert. 

  • Baden-Württemberg
  • Human Rights Watch
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Die Jungen Wilden der Politikdidaktik: Muss BNE politischer werden?

Schon 1992 erklärten die Vereinten Nationen Bildung zu einer zentralen Stellschraube, um den Klimawandel zu bremsen, Umweltzerstörung und die Ausbeutung von Rohstoffen zu beenden. Dennoch sickerten BNE-Inhalte (Bildung für nachhaltige Entwicklung) nur langsam in die Lehrpläne – bis heute. Nun brodelt parallel eine neue Debatte: Muss BNE politischer werden? Einige Didaktiker sträuben sich dagegen.

Es ist eine lange Tradition, dass die politische Bildung Themen wie ‘Nachhaltigkeit’, ‘Umweltschutz’ oder ‘Globales Lernen’ mit Skepsis begegnet. Zu groß ist die Angst, gegen den heiligen Gral des neutralen Politikunterrichts zu verstoßen. Bloß nicht parteiisch werden, auch wenn es um die Klimakatastrophe geht. So ließe sich, folgt man den kritischen Stimmen, der Politikunterricht an vielen (nicht allen!) Schulen wohl zusammenfassen. Wer nur erklärt, wie viele Abgeordnete im Bundestag sitzen und welche Aufgaben der Bundeskanzler hat, muss sich nicht auf dünnes Eis begeben. Klimawandel ist dagegen längst ein Thema geworden, bei dem die Gemüter heiß laufen.

BNE ist politisches Ziel – zumindest auf dem Papier

Der Politikdidaktiker Bernd Overwien, Seniorprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin, nennt das “mehr als skurril”. “In der politischen Bildung gibt es eine panische Angst vor Überwältigung”, sagt er im Gespräch mit Bildung.Table. Gemeint ist einer der Grundsätze des Beutelsbacher Konsens, wonach es Lehrern untersagt ist, Schülern eine bestimmte Meinung aufzuzwingen. Nichts fürchten Politiklehrer mehr als Indoktrination – eine Lehre aus der NS-Zeit.

Aus dieser Tradition heraus hat die politische Bildung ihre Probleme mit der BNE-Agenda, die seit einigen Jahren von oberster politischer Ebene, zumindest auf dem Papier, vorangetrieben wird. Seit 2015 koordiniert das Bundesbildungsministerium die Umsetzung der UNESCO-Programme und verabschiedete 2017 den Nationalen Aktionsplan. Ergänzend hat die Kultusministerkonferenz 2016 einen Orientierungsrahmen “Globale Entwicklung” verabschiedet. Das ist das Fundament, doch im Schulunterricht ist BNE noch längst nicht flächendeckend angekommen.

Eine Riege junger Wissenschaftler an den Universitäten und engagierte Lehrkräfte wollen die politische Bildung stärker für die BNE öffnen. Auf Einladung der Stiftung Bildung kamen Ende Mai viele von ihnen zur Konferenz #zukunftbilden in Berlin zusammen, um neue Ideen und Ansätze zu entwickeln. Blöd nur, dass bei 200 Teilnehmenden die Bildungsverwaltung, die an den Lehrplänen bastelt, kaum vertreten war. Am Ende war es doch wieder eine Blase, die dort diskutierte.

BNE fokussiert individuelles Konsumverhalten

Ein zentraler Kritikpunkt, der sich durch das Programm zog: Die Bildung für nachhaltige Entwicklung sei bislang zu sehr auf das Individuum fokussiert – einen problematischen “instrumentellen Ansatz” nennen das die Didaktiker. Gemeint ist, dass Lehrer den Schülern zwar erklären, wie sie Energie einsparen, nachhaltig einkaufen und den Müll richtig trennen. Doch oft blieben die dahinter liegenden politischen (Macht-)Strukturen, globale wirtschaftliche Prozesse und gesellschaftliche Zusammenhänge auf der Strecke.

“Hier fehlt den Verantwortlichen in Ministerien und Verwaltungen der Kompass”, kritisiert Thomas Hohn aus dem Bildungsteam von Greenpeace. “BNE zielt auf viel mehr ab, als nur ein individuelles Umweltverhalten. Das Bildungskonzept BNE ist ohne politische Bildung nicht denkbar”, betont Hohn.

In der Bildungspraxis bliebe die BNE oft beim individuellen Konsumverhalten stehen, analysiert auch Bernd Overwien, der im Forum ,Schule’ der Nationalen Plattform BNE sitzt. Befragungen hätten offenbart, dass Schüler bei nachhaltiger Entwicklung zuerst an fairen Einkauf und Spendenprojekte denken. “Das reicht nicht”, betont der emeritierte Didaktiker, der die politische Dimension vermisst. Stattdessen, sagt er, geistert das “Phantasma des Neutralen” durch die Schulen. Dabei ist Klimaschutz klarer Verfassungsauftrag, wie das Bundesverfassungsgericht erst 2021 urteilte (Art. 20a GG).

Einen neuen Weg, den die BNE einschlagen könnte

BNE ist keinem einzelnen Fach zugeordnet. In vielen Ländern ist es ein fächerübergreifendes Bildungsziel, das sich vom Biologie- bis zum Politikunterricht erstreckt. Dabei, so die Kritik, könne es aber nicht nur um reines Wissen gehen. Was es brauche, sei Urteils- und Handlungskompetenz. Auf dem #zukunftbilden-Kongress war daher häufig von einem neuen, “emanzipatorisch-befähigenden” Ansatz die Rede. Es wäre ein neuer Weg, den die BNE einschlagen würde. Im Abschlussbericht heißt es: “Wenn Zukunftsbildung als transformative Bildung gesehen wird, wird eine kritische, auch machtkritische Perspektive auf die notwendigen gesellschaftlichen Transformationen benötigt.”

In diesem Sinne schreitet unter anderem Berlin voran: Unter der Überschrift “Lernen in globalen Zusammenhängen” beschreibt die Senatsverwaltung in einer Broschüre, wie Lehrer BNE und politische Bildung im Unterricht verbinden können. “Immer mehr Kinder und Jugendliche verstehen Klimabildung eng mit Fragen politischer Partizipation verknüpft”, erklärt Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse darin. Es ist ein Satz, den Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer und ihre Mitstreiter wohl mit Freude unterschreiben würden.

Lesen Sie auch diese Analyse: Schulen auf dem Weg zur Klimaneutralität – wozu all die Labels?

  • Didaktik
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  • Politische Bildung

News

Hessen startet Pilot-Schulfach für angewandte Informatik

Etwa 70 fünfte Klassen werden im Hessen ab September im Schulfach “Digitale Welt” unterrichtet, das verkündeten am Montag der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU) und Digitalministerin Kristina Simenus (CDU). Über reine IT-Kompetenzen hinaus sollen Schüler in wöchentlich zwei Schulstunden lernen, wie digitale Technologien bei der Lösung von Problemen helfen können, der Fokus liegt dabei auf ökonomischen und ökologischen Fragestellungen. “Vor dem Hintergrund der großen Herausforderungen von Globalisierung, dem Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen sowie der Auswirkungen der Digitalisierung sind diese Kompetenzen erforderlich, damit junge Menschen gut gerüstet in die Arbeitswelt der Zukunft starten können”, sagte Kultusminister Lorz.

Konkret könnten die Kinder zum Beispiel einen Rasenmäher so programmieren, dass er Krokusse auf einer Wiese nicht mäht – und dabei lernen, dass ein entsprechend programmierter Roboter gezielt Unkraut entfernen könnte, womit sich Pestizide einsparen ließen. Auch Themen wie Datenschutz, Cyberkriminalität und eine verantwortungsbewusste Mediennutzung soll das neue Schulfach aufgreifen. Noten bekommen die Fünftklässler vorerst keine. Für den Pilotversuch ausgewählt wurden zwölf Schulen, die in der digitalen, ökonomischen und ökologischen Bildung bereits aktiv sind. Die beteiligten Lehrkräfte erhalten Fortbildungen und sollen Inhalte und Formate des neuen Fachs mit weiterentwickeln.

Bei deren Konzeption beteiligt war das Hasso-Plattner-Institut in Potsdam. Direktor Christoph Meinel äußerte die Hoffnung, durch die Anwendungsorientierung mehr Mädchen als gewöhnlich für Informatik begeistern zu können. Wissenschaftlich begleiten und evaluieren soll das Projekt die Goethe-Universität Frankfurt. Kultusminister Lorz zeigte sich optimistisch, das neue Unterrichtsfach 2023/24 auf weitere Klassen ausweiten zu können. Bis es jedoch fester Bestandteil der Schultafel wird, könne es noch einige Jahre dauern. Kritik daran kam aus der Opposition: FDP-Bildungsexperte Moritz Promny forderte, die schwarz-grüne Landesregierung solle Informatik endlich für alle flächendeckend und verpflichtend einführen, dafür brauche es kein Pilotprojekt. Hessen ist neben Bremen das einzige Bundesland, das in der Sekundarstufe I bisher keinerlei Informatikunterricht anbietet. Anna Parrisius

  • Technologie
  • Unterricht

Notfallplan Gas: Unklarer Status von Bildungseinrichtungen

Einige Kommunen stellen Warmwasser in Schulen ab oder kündigen kühle Turnhallen an, um Energie und Kosten zu sparen. Da liegt der Gedanke nah: Sollte Energie knapp werden, könnten auch gesamte Schulen kalt bleiben. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) warnte vergangene Woche vorsorglich vor Unterrichtsausfällen durch einen möglichen Gasmangel. Eine Sprecherin des BMBF bekräftigte gegenüber Bildung.Table die Forderung, Schulen zur kritischen Infrastruktur zu zählen. Doch ob diese Einstufung notwendig ist, ist fraglich. Denn schon jetzt gelten laut Bundesnetzagentur Schulen und Kindergärten als “geschützte Kunden”. Es ist ein Status, den die EU-Verordnung zur “Gewährleistung der sicheren Gasversorgung” definiert. Dort heißt es allgemein, dass der Bereich “Bildung” dazuzähle. Welche Einrichtungen konkret darunter fallen, müssen die Mitgliedstaaten definieren. Mit Blick auf den Vorrang von privaten Verbrauchern gegenüber der Industrie stellte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die entsprechende Verordnung gestern erstmals infrage (Hintergründe im Europe.Table).

Kalte Unis, warme Schulen

Für den Fall, dass die Notfallstufe ausgerufen wird, ist es die Bundesnetzagentur, die festlegt, nach welcher Priorität das Gas verteilt wird. Das teilt das Bundeswirtschaftsministerium mit. In der Erläuterung des Notfallplans erwähnt die Netzagentur indes nur Schulen und Kindergärten explizit. Universitäten listet sie nicht auf. Hinter vorgehaltener Hand befürchten Hochschulleitungen bereits erneute Lehre in Distanz; nicht wegen Corona, sondern wegen kalt bleibender Hörsäle, wie der Bildungsjournalist Jan-Martin Wiarda berichtet. Eine Anfrage zum Status der Universitäten ließ die Bundesnetzagentur bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Welche Bildungseinrichtung mit weniger Gas zurechtkommen müsste, lässt sich, Stand jetzt, nicht abschließend klären. Die Zuständigkeiten ziehen sich durch viele Ebenen, von der EU über Bund, Länder, Kommunen bis hin zur Bundesnetzagentur. Es obliege dem Bundeswirtschaftsministerium, neue Gesetzeslagen zu schaffen und die Gasversorgung im Rahmen der EU-Verordnung neu zu sortieren, heißt es aus der Bundesnetzagentur. Die Kommunen erarbeiten bereits Krisenpläne, teilt der Deutsche Städtetag mit. Sein Hauptgeschäftsführer, Helmut Dedy, sagt: “Wenn die Heizperiode beginnt, wird es auch um die Temperatur in öffentlichen Gebäuden, Verwaltungen und Schulen gehen.” Sollte es zu einem Gasengpass kommen, ist ein politisches Ringen um die Versorgung von Bildungseinrichtungen zu erwarten. So viel ist sicher: An kalte Klassenzimmer und Seminarräume haben sie sich in der Pandemie bereits gewöhnt. Niklas Prenzel

  • Distanzunterricht
  • Schule

Makerspace

Julian Dorn – Informatiklehrer mit Wirtschaftsbackground

Man sieht das Gesicht von Julian Dorn, Gründer der Open-Source-Plattform InstaHub
Julian Dorn ist Quereinsteiger und Informatiklehrer.

Bilder hochladen, liken und kommentieren gehört zu den Hobbys vieler Schülerinnen und Schüler. Hinter die Kulissen der großen sozialen Netzwerke können jedoch die wenigsten blicken. Der Informatiklehrer Julian Dorn hat mit seiner selbst programmierten Open-Source-Plattform InstaHub genau das möglich gemacht. Der große Unterschied zwischen dem Unterrichtstool und seinem Namensvetter Instagram: Die Plattform erlaubt den Usern, selbst Administrator zu sein. Die Lernenden können die gesamte Datenbank und Nutzerprofile durchsuchen, Werbeanzeigen schalten oder Kommentare moderieren. Ein medienpädagogisches Planspiel, für das Julian Dorn mehrere Preise gewann.

Von der Wirtschaft in die Schule – oder vom Lehramtsstudium ins Unternehmen

In seinem früheren Leben war Julian Dorn als Wirtschaftsinformatiker bei Firmen wie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers, der Deutschen Post oder dem Software– und Beratungsunternehmen Erdgas-Consult tätig. “Bei meinen letzten Arbeitgebern habe ich mich damit beschäftigt, wie Gas gehandelt wird. Das hört sich vielleicht langweilig an, war für mich aber noch viel langweiliger”, sagt er augenzwinkernd. Auf der Suche nach einer sinnvollen Berufsperspektive fand er bei einer privaten Fachoberschule den Einstieg ins Lehramt. Nachdem er berufsbegleitend seinen Master gemacht hatte, konnte er als Quereinsteiger in den Staatsdienst eintreten.

Neben seiner Arbeit für ein Gymnasium in Leipzig gibt Julian Dorn heute als Fachausbildungsleiter Seminare für zukünftige Informatiklehrkräfte. Daher weiß er, wie schwierig es ist, Leute aus der Wirtschaft in die Schulen zu locken. Viel häufiger beobachtet er, dass Kollegen sich genau in die andere Richtung bewegen: Sie studieren auf Lehramt, gehen dann aber nach dem Bachelor in ein Unternehmen, wo sie direkt anständig bezahlt werden. “So verliert das Bildungssystem auch noch die wenigen Menschen, die Technik mögen und gleichzeitig Anderen gerne etwas erklären”, sagt der 31-Jährige.

Schulverwaltung digitalisieren – im Start-up neben dem Lehrerberuf

Außerdem hat Julian Dorn gemeinsam mit zwei Mitstreitern das Start-up ,Schulverwalter’ gegründet, das unter anderem digitale Noten- und Klassenbücher anbietet. Die Corona-Pandemie bot für die Firma eine große Chance. “Viele Schulen waren richtig aufgeschmissen, weil die Lehrer ihre Klassenbücher nicht zuhause hatten”, erzählt Julian Dorn. Aber die digitale Verwaltung sei auch im ganz normalen Schulalltag hilfreich. Über hundert Schulen in Sachsen, so Julian Dorn, setzen die Software inzwischen ein. Träger, die sich für diese Software entscheiden, brauchen keine Papierprodukte mehr zu kaufen. Für die digitalen Produkte müssen sie allerdings etwas mehr zahlen, 40 Euro kosten alle Notenbücher pro Monat, 60 Euro alle Klassenbücher. Reich werde man damit nicht. Doch Julian Dorn betont, es gehe ihm um die Sache: “Wir wollen, dass die Schulen digital vorankommen. Denn dann können sich die Lehrer auf das konzentrieren, wofür sie da sind: Schülerinnen und Schüler optimal zu unterstützen.” Janna Degener-Storr

Presseschau

Lehrermangel: Sachsen-Anhalt testet 4-Tage-Woche an Schulen SPIEGEL
Forderung nach kreativen Lösungen um Lehrkräftemangel zu lindern ZEIT
Über eine mögliche Reform der Kultusministerkonferenz ZEIT
Wie Schule Themen sexueller Vielfalt Platz geben kann WELT
Quote der Studienanfänger stabilisiert sich: 45 Prozent des Jahrgangs HANDELSBLATT
Neues E-Book: Das unvergleichliche Abitur IQB
Die Rolle von Nachhilfelehrern in Pandemiezeiten SZ
Über 146.000 ukrainische Schüler an deutschen Schulen RPONLINE
Was ein Münchner Verein Betroffenen von Rassismus in der Schule rät SZ
Lehrermangel an Schweizer Primarschulen ZEIT
Björn Nölte über Notendruck in der Schule ZEIT
Thüringen: Landesrechnungshof will beim Digitalpakt Schule sparen NEWS4TEACHERS
Mittelkürzungen beim DAAD: 6.000 Stipendien weniger TAZ
Corona: Münchner Schulen von Sommerwelle erwischt SZ
Portrait von drei Neuköllner Einser-Abiturienten WELT

Termine

13. bis 15. Juli 2022
Bildungscamp der GEW Bayern
Das unter dem Motto “Endlich gute Bildung für Alle” stehende Bildungscamp der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Bayern widmet sich Themen wie Investitionsstau, Chancenungerechtigkeit oder Fachkräftemangel. Am Abend des 13. Juli findet eine Diskussionsrunde mit Bildungspolitikerinnen und -politikern aller demokratischen Parteien statt. INFOS

19. Juli 2022, 17:00 bis 18:30 Uhr
Online-Inforunde: Seiteneinstieg Schuldienst – eine Option für mich?
Um dem Lehrermangel entgegenzutreten, liefert die GEW Sachsen in diesem Online-Format Informationen und Tipps, die Interessentinnen und Interessenten den Seiteneinstieg in den Schuldienst erleichtern können. INFOS & ANMELDUNG

20. Juli 2022, 09:00 bis 16:00 Uhr
Argumentations- und Handlungstraining gegen menschenverachtende Einstellungen
Das Netzwerk für Demokratie und Courage will mit diesem Argumentations- und Handlungstraining ein Bewusstsein dafür schaffen, an welchem Punkt menschenverachtende Einstellungen beginnen und vor allem wie ihnen wirksam entgegengetreten werden kann. INFOS & ANMELDUNG

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    • Lehrermangel: Modellprojekt mit Vier-Tage-Woche startet an Schulen in Sachsen-Anhalt
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    die Vier-Tage-Woche, sie ist nicht nur bei immer mehr Arbeitnehmern beliebt. In Sachsen-Anhalt erhält sie Einzug in die Schulen. Dort kürzt man in einem Modellversuch den Unterricht. Am fünften Tag der Woche können Schüler ein Praktikum oder digitalen Fernunterricht machen. Das kann den Lehrermangel abfedern, den sich nun auch das Musterland Bayern eingesteht. 500 Vollzeitstellen fehlen dort, rechnet der Bayerische Lehrerverband vor und ruft nach Hilfe bei Markus Söder, wie unsere Analyse zeigt.

    Tatsachen schaffen wir im Fall “Human Rights Watch vs. Moodle“. Die Menschenrechtsorganisation hatte der Lernplattform vorgeworfen, Standortdaten zu erheben. Nach unserer Berichterstattung protestierte der Open-Source-Liebling. Nun haben wir uns einen neuen Bericht von HRW angeschaut und einen Datenschutzexperten auf die Lernplattform geschickt. So viel sei verraten: Standortdaten erhebt Moodle in Baden-Württemberg nicht. Aber die Möglichkeit besteht.

    Im heutigen Bildung.Table nehmen wir indes eine andere Standortbestimmung vor. Wie steht es um die Bildung für Nachhaltige Entwicklung? Von der Politik vorangetrieben, fristet sie in vielen Politikstunden nach wie vor ein Nischendasein. Moritz Baumann erkundet für Sie eine Baustelle und stößt auf mehrere Vorurteile und einen aussichtsreichen Weg.

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    Lehrermangel: Es droht die Vier-Tage-Schulwoche

    Auch Bayern spürt den Lehrermangel zunehmend. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), Simone Fleischmann, warnt: Es könnten Kürzungen der Stundentafel, Mehrarbeit für Teilzeitlehrer und die Zusammenlegung kleiner Klassen drohen. Die Personalnot sei auch in Bayern längst ein Dauerzustand, betonte Fleischmann am Dienstag – und mahnte schnelle Abhilfe an.

    Der Lehrermangel ist die Bedrohung im Hintergrund für das Lernen in Deutschland. Das zeigte auch der jüngste Nationale Bildungsbericht, nach dem zwischen rund 14.000 und 80.000 Lehrkräfte im Jahr 2030 fehlen werden. An den Antipoden Bayern und Sachsen-Anhalt kann man ablesen, wie unterschiedlich die Situation ist: In Bayern ist die Unterversorgung mit Lehrkräften bislang nur auf bestimmte Schulformen bezogen. Sachsen-Anhalt denkt bereits daran, einen Schultag pro Woche wegfallen zu lassen – für die Schüler.

    BLLV zum Lehrermangel: Bayern fehlen 500 Vollzeitzeitlehrer

    Bayerns BLLV prescht jetzt mit eigenen Zahlen voran: Bei den Fachlehrkräften an den Grund- und Mittelschulen würden zum neuen Schuljahr 500 Vollzeitkapazitäten (VZK) fehlen – also 500 Fachlehrer, die je 40 Stunden pro Woche arbeiten. Eine Schulart steht besonders unter Druck: “Die Mittelschule wird das große Problemkind der nächsten Jahre”, sagte Vizepräsident Gerd Nitschke. Während sich im Lehramt für die Grundschule die Zahl der neuen Studierenden seit 2016 fast verdoppelt habe, sei die Zahl der Erst- und Zweitsemester im Mittelschullehramt von 1.400 auf 570 eingebrochen.

    Um die Lücken zu stopfen, brachte man in den vergangenen Jahren kontinuierlich neue Maßnahmen auf den Weg. Das ganze Bild, über das Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) nicht gerne spricht, ähnelt einem Flickenteppich, den kaum noch jemand durchschaut. Immer neue Jobbeschreibungen ploppen auf. Die Schulämter ächzen, weil sie immer mehr befristete Arbeitsverträge managen müssen. Bei der Eingruppierung in die verschiedenen Besoldungsstufen entstehen Ungerechtigkeiten, die an den Schulen für Frust sorgen.

    Bayern: Markus Söder soll Schulen mit höherer Besoldung helfen

    Und so hatte BLLV-Präsidentin Fleischmann mit ihrem Statement am Dienstag vor allem einen Mann im Blick: Ministerpräsident Markus Söder (CSU). “Bildung muss zur Chefsache werden“, betonte sie. Fleischmann pflegt den Kontakt zur politischen Spitze von CSU und Freien Wählern intensiv – auch am Kultusminister vorbei. Sie erhofft sich offenbar, dort mit ihren Forderungen mehr zu erreichen. Dazu gehört unter anderem: mehr Gehalt (A13) für Lehrkräfte an Grund- und Mittelschulen und Einführung des BLLV-Konzepts zur flexiblen Lehrerbildung.

    In Sachsen-Anhalt wartet man vergeblich darauf, dass Gehalts-Boni oder Quereinsteiger die Situation noch retten könnten. Dort hat das Ministerium für Bildung inzwischen zu einer einzigartigen Maßnahme gegriffen: In einem Modellversuch können alle Sekundarschulen des Landes, die das wollen, einen Unterrichtstag streichen. Statt auf mehr Lehrkräfte setzt man dort auf weniger Unterricht. Das geht aus einem Papier von Landesschulamt und Bildungsministerium hervor, das Bildung.Table vorliegt. Das Dokument eröffnet den Schulen die Möglichkeit, einen Schultag einzusparen – und die Schüler stattdessen in ein Praktikum zu schicken oder per digitalem Fernunterricht zu versorgen. Nach Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) sei das Modell explizit nicht zur Bekämpfung des Lehrermangels gedacht.

    Sachsen-Anhalt: Ein Digitaltag zu Hause soll Lehrer entlasten

    Der Blick in die Praxis zeigt, dass dieser digitale Fernunterricht im Homeoffice sehr unterschiedlich ausfallen kann. In Bismark, einem 8.000-Einwohner-Ort im Norden Sachsen-Anhalts, praktiziert die dortige Sekundarschule bereits seit einem Jahr einen Digitaltag zu Hause. “Wir wollen, dass die Schüler beim Digitaltag selbstorganisiert arbeiten”, berichtet Schulleiterin Birgit Smirnow Bildung.Table. Sie hat ihr Kollegium, das ein Durchschnittsalter von 56 Jahren habe, extra zu einer Moodleschule fortbilden lassen. Jeder Schüler, der kein digitales Endgerät sein eigen nennt, habe die Option, im Computer-Kabinett der Schule zu arbeiten. Allerdings verfügt Smirnow nur über 75 Prozent ihrer optimalen Lehrerbesetzung. Das bedeutet: Auch sie schielt danach, dass das digitale Lernen ihr beim Kampf gegen den Lehrermangel hilft.

    Auch andere Schulen nutzen den Digitaltag bereits – aber nicht so selbstorganisiert wie in Bismark. Das Modell digitales Homeschooling laufe de facto auf eine Vier-Tage-Woche hinaus, berichtet eine Lehrerin aus dem Landkreis Wittenberg. “Ich kenne Schulen, die online PDFs für ein halbes Schuljahr im Voraus zur Verfügung stellen”, sagt die Frau, die anonym bleiben will. “Die Schüler müssen diese digitalen Arbeitsblätter dann abarbeiten – ganz egal, wie der Unterrichtsfortschritt ansonsten ist.”

    Digitaltag: kein Unterschied zwischen analogen Arbeitsblättern und PDFs

    Der Linken-Abgeordnete Thomas Lippmann sagte, viele Schulen in Sachsen-Anhalt hätten noch immer nicht die technischen und pädagogischen Voraussetzungen für einen funktionierenden Digitaltag. Außerdem stünden in immer mehr Schulen wegen der schlechten Unterrichtsversorgung gar keine Lehrkräfte zur Verfügung, um den versprochenen Distanzunterricht abzusichern. “Schülern Aufgaben zu stellen, die zu Hause zu bearbeiten sind, weil die Lehrer in dieser Zeit andere Klassen unterrichten müssen, ist kein modernes Unterrichtskonzept, das sind potemkinsche Dörfer“, so der Bildungspolitiker. Das Ziel ist die Einschränkung der Schulpflicht, um die Schüler einen Tag in der Woche regulär zu Hause lassen zu können. Moritz Baumann und Christian Füller

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    Neue Human Rights-Studie: Was macht Moodle wirklich? 

    Screenshot des Human-Rights-Studie zu Datenschutz bei Moodle
    Das kann die Moodle-App grundsätzlich. Was sie wirklich tut, haben Baden-Württembergs Behörden nicht untersucht (Screenshot HRW-Bericht)

    Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat das Land Baden-Württemberg erneut davor gewarnt, dass auch vermeintlich sichere digitale Lernanwendungen wie Moodle Schüler grundsätzlich lokalisieren können. In einem gestern vorgelegten Prüfbericht bezog sich HRW damit auch auf Moodle, das der Südstaat in seinen Schulen einsetzt. Human Rights Watch hatte kürzlich in einer Studie offengelegt, dass die Programmierung des Open-Source-Lernsystems unter anderem die Möglichkeit biete, den Standort von Schülern zu bestimmen. Moodle selbst bezeichnete den Bericht in einem Dementi als irreführend. Human Rights Watch aber insistierte: “Unsere Untersuchung ist solide.”

    Die Berichte von Human Rights Watch sind in vieler Hinsicht bahnbrechend. Sie haben weltweit 73 digitale Lernanwendungen anhand des Programmiercodes der jeweiligen App auf ihre Fähigkeiten untersucht, sensible Daten von Schülerinnen und Schülern abzufragen. Dabei nahm HRW auch keine Rücksicht auf die üblicherweise als heilig betrachteten Open-Source-Produkte oder Systeme, die als besonders sicher gelten wie Threema Works. Viele zuständige Behörden lobten den Bericht zwar in allgemeiner Weise. Zu den für Bürger und Schüler offenen Fragen nehmen sie jedoch kaum Stellung. So war es schon bei den kritischen Anmerkungen von Human Rights Watch im letzten Bericht zu Moodle und Threema Works in Baden-Württemberg. Wie berichtet nutzen etwa 2.500 Schulen in Baden-Württemberg Moodle als Lernmanagementsystem

    Human Rights Watch erhöht Druck auf Datenschutz

    Human Rights Watch hat mit den gestern veröffentlichten Prüfprofilen den Druck auf die zuständigen Behörden erhöht. Bisher lautete die Auskunft der zuständigen Stellen, man könne nicht nachvollziehen, was HRW genau gemacht habe. Allerdings war dies im ursprünglichen Bericht bereits ausgeführt. Im Profil, das HRW von Moodle erstellt hat, heißt es nun: dessen App-Code sei grundsätzlich in der Lage, Standortdaten zu erheben, den Zeitpunkt des aktuellen Standorts zu bestimmen und den letzten bekannten Standort festzuhalten. In den gestern veröffentlichten Details zur Studie aus dem Mai 2022 listet HRW 163 Profile von digitalen Lernanwendungen. In einer sogenannten statischen Analyse durchsuchten HRW-Spezialisten den Programmcode auf dessen Möglichkeiten. Dazu zählen unter anderem die Lokalisierung von Standortdaten und das Finden von Kontakten. Dynamische Analysen von Moodle mit einer Beobachtung konkreter Datenflüsse nahm HRW hingegen nicht vor. 

    Der deutsche IT-Dienstleister Eledia, der etwa die Moodle-Anwendung Nordrhein-Westfalens betreut, hält seine Vorbehalte gegen die Arbeitsweise von Human Rights Watch auch nach dem neuen Bericht aufrecht. “Das neue Dokument über Moodle bestätigt genau meine vorherigen Aussagen”, sagte Ralf Hilgenstock von Eledia. “Es gibt einen entscheidenden Unterschied, ob eine App per se bei der Installation das dauerhafte Recht fordert, Daten zu verwenden. Oder ob die App es dem Nutzer situativ erlaubt, eine Funktion zu aktivieren, zB Mikro, Kamera, Standort.” Die Systemeinstellungen von Moodle seien daher datenschutzfreundlich.

    Behörden äußern sich nur allgemein über Datenflüsse in Moodle

    Bildung.Table hat Human Rights Watch in New York mit der Kritik aus Deutschland konfrontiert. Eine Forscherin von HRW, Hye Jung Han, spielte den Ball an Ministerien, Behörden und Schulen zurück. “Es liegt an der Organisation, uns mitzuteilen, ob sie die Fähigkeit des Moodle-Codes, Schüler zu orten, tatsächlich nutzt”, sagte Han mit Blick auf jene, die Schüler zur Nutzung von Moodle durch den Einsatz im Unterricht verpflichten. “Sie sollten in der Lage sein zu bestätigen, ob sie jemals Standortdaten von ihren Schülern gesammelt haben. Und wenn ja, ob sie diese Daten auf eine Art und Weise sammeln, verwenden und verarbeiten, die sicher und verantwortungsvoll ist und nur für die Zwecke der Ausbildung eines Kindes verwendet wird.”

    Allerdings ist es nicht so einfach, von Behörden Auskunft darüber zu bekommen, ob und wie die Schulen die Moodle-App nutzen. So teilte das Bildungsministerium pauschal mit, Moodle sei mit dem Landesdatenschutzbeauftragten vollständig abgestimmt. Wörtlich sagte ein Sprecher, “auf Datenschutz wird höchsten Wert gelegt. Die zur Diskussion stehenden Funktionen sind im Moodle-Baden-Württemberg nicht enthalten.” 

    Datenschutz: Fragen Sie das Bildungsministerium zur Moodle-App

    Mit den Berichten und den vorgelegten Profilen von HRW ist diese Antwort jedoch nicht vereinbar. Die HRW-Forscher hatten sich die öffentlich zugängliche Version v.3.9.4 der Moodle-App angesehen. Dabei hatten sie festgestellt, dass im Programmcode der Software sehr wohl theoretisch Möglichkeiten zur Schülerüberwachung bestehen. Die Frage ist daher vielmehr, ob Anwender sie praktisch nutzen. Dazu teilte das Ministerium jedoch mit, die Möglichkeiten einer Überwachung von Schülern oder Lehrkräften seien “in Moodle-BW nicht enthalten und auch nicht durch die Schulen nachführbar.” 

    Die zuständige Behörde ist der Landesdatenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, vertreten durch Stefan Brink. Auch er gab sich zugeknöpft. Die Studie von Human Rights Watch sei extrem wichtig, sagte ein Sprecher. Allerdings sei Moodle “grundsätzlich datenschutzkonform nutzbar.” Weiter heißt es: “Sollten wir Beschwerden erhalten, gehen wir diesen nach. In Bezug auf die App bitten wir Sie, das Kulturministerium zu fragen.” Eigene Untersuchungen stellte Brink nicht an. Recherchen von Bildung.Table zeigten, dass Baden-Württembergs Schulen in der Regel zwar die Browser-Version von Moodle nutzen. Es gibt aber sehr wohl Einrichtungen, die auch die App-Version anwenden. Was dort konkret passiert, darüber scheinen die Behörden nicht besonders viel zu wissen. 

    Analyse durch Bildung.Table: Moodle-App ohne auffälligen Datenanfragen

    Immerhin von einer Stelle kommt Entwarnung. Datenexperte Matthias Eberl hat im Auftrag von Bildung.Table und mithilfe von Moodle-Experten aus dem Land Zugang zu Moodle Baden-Württemberg bekommen. Eberl hat sich die aktuelle Version 3.5. der Moodle-App angesehen – also eine jüngere als die von HRW gesichtete.

    Der Datenjournalist hat die Moodle-App auf tatsächliche Datenflüsse untersucht. Das heißt, er unternahm eine sogenannte dynamische Analyse. Er liefert nun das Ergebnis, das Baden-Württemberg bislang nicht liefern konnte: Die Moodle-App verhalte sich im Betrieb datentechnisch korrekt, es seien keine auffälligen Verarbeitungen erkennbar. “Die Datenabfragen (Requests) sind absolut minimal”, sagte Eberl nach der Prüfung mit einem Testmobiltelefon, das der Software keine Grenzen setzte. “Bei meiner Analyse waren keine Werbe-IDs, keine Übertragungen durch eingebaute Softwaremodule von Drittanbietern (sogenannte SDKs) und keine umfangreichen Hardware-Checks zu erkennen. Der Standort wurde von der App gar nicht angefragt, entsprechend hat es mich auch nicht überrascht, dass in den Requests keine Standortdaten enthalten waren.” 

    Eberls Kritik richtet sich allerdings nicht gegen Human Rights Watch. Die hätten einfach eine weltweit automatisierte Analyse von Lern-Apps vorgenommen. Eberl stößt sich vielmehr am Verhalten der zuständigen Behörden: “Wir haben nach wie vor eine Riesenlücke im deutschen Bildungssystem”, sagte der Datenexperte. Es fehle bei der Datenanalyse hierzulande eine autorisierte Institution mit Kompetenz, Sachverstand und personeller Ausstattung. Nur sie könne Schulen und Lehrern zügig Auskunft darüber geben, mit welcher Software überhaupt sicher gearbeitet werden kann – und was mit den Daten von Schülern wirklich passiert. 

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    Die Jungen Wilden der Politikdidaktik: Muss BNE politischer werden?

    Schon 1992 erklärten die Vereinten Nationen Bildung zu einer zentralen Stellschraube, um den Klimawandel zu bremsen, Umweltzerstörung und die Ausbeutung von Rohstoffen zu beenden. Dennoch sickerten BNE-Inhalte (Bildung für nachhaltige Entwicklung) nur langsam in die Lehrpläne – bis heute. Nun brodelt parallel eine neue Debatte: Muss BNE politischer werden? Einige Didaktiker sträuben sich dagegen.

    Es ist eine lange Tradition, dass die politische Bildung Themen wie ‘Nachhaltigkeit’, ‘Umweltschutz’ oder ‘Globales Lernen’ mit Skepsis begegnet. Zu groß ist die Angst, gegen den heiligen Gral des neutralen Politikunterrichts zu verstoßen. Bloß nicht parteiisch werden, auch wenn es um die Klimakatastrophe geht. So ließe sich, folgt man den kritischen Stimmen, der Politikunterricht an vielen (nicht allen!) Schulen wohl zusammenfassen. Wer nur erklärt, wie viele Abgeordnete im Bundestag sitzen und welche Aufgaben der Bundeskanzler hat, muss sich nicht auf dünnes Eis begeben. Klimawandel ist dagegen längst ein Thema geworden, bei dem die Gemüter heiß laufen.

    BNE ist politisches Ziel – zumindest auf dem Papier

    Der Politikdidaktiker Bernd Overwien, Seniorprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin, nennt das “mehr als skurril”. “In der politischen Bildung gibt es eine panische Angst vor Überwältigung”, sagt er im Gespräch mit Bildung.Table. Gemeint ist einer der Grundsätze des Beutelsbacher Konsens, wonach es Lehrern untersagt ist, Schülern eine bestimmte Meinung aufzuzwingen. Nichts fürchten Politiklehrer mehr als Indoktrination – eine Lehre aus der NS-Zeit.

    Aus dieser Tradition heraus hat die politische Bildung ihre Probleme mit der BNE-Agenda, die seit einigen Jahren von oberster politischer Ebene, zumindest auf dem Papier, vorangetrieben wird. Seit 2015 koordiniert das Bundesbildungsministerium die Umsetzung der UNESCO-Programme und verabschiedete 2017 den Nationalen Aktionsplan. Ergänzend hat die Kultusministerkonferenz 2016 einen Orientierungsrahmen “Globale Entwicklung” verabschiedet. Das ist das Fundament, doch im Schulunterricht ist BNE noch längst nicht flächendeckend angekommen.

    Eine Riege junger Wissenschaftler an den Universitäten und engagierte Lehrkräfte wollen die politische Bildung stärker für die BNE öffnen. Auf Einladung der Stiftung Bildung kamen Ende Mai viele von ihnen zur Konferenz #zukunftbilden in Berlin zusammen, um neue Ideen und Ansätze zu entwickeln. Blöd nur, dass bei 200 Teilnehmenden die Bildungsverwaltung, die an den Lehrplänen bastelt, kaum vertreten war. Am Ende war es doch wieder eine Blase, die dort diskutierte.

    BNE fokussiert individuelles Konsumverhalten

    Ein zentraler Kritikpunkt, der sich durch das Programm zog: Die Bildung für nachhaltige Entwicklung sei bislang zu sehr auf das Individuum fokussiert – einen problematischen “instrumentellen Ansatz” nennen das die Didaktiker. Gemeint ist, dass Lehrer den Schülern zwar erklären, wie sie Energie einsparen, nachhaltig einkaufen und den Müll richtig trennen. Doch oft blieben die dahinter liegenden politischen (Macht-)Strukturen, globale wirtschaftliche Prozesse und gesellschaftliche Zusammenhänge auf der Strecke.

    “Hier fehlt den Verantwortlichen in Ministerien und Verwaltungen der Kompass”, kritisiert Thomas Hohn aus dem Bildungsteam von Greenpeace. “BNE zielt auf viel mehr ab, als nur ein individuelles Umweltverhalten. Das Bildungskonzept BNE ist ohne politische Bildung nicht denkbar”, betont Hohn.

    In der Bildungspraxis bliebe die BNE oft beim individuellen Konsumverhalten stehen, analysiert auch Bernd Overwien, der im Forum ,Schule’ der Nationalen Plattform BNE sitzt. Befragungen hätten offenbart, dass Schüler bei nachhaltiger Entwicklung zuerst an fairen Einkauf und Spendenprojekte denken. “Das reicht nicht”, betont der emeritierte Didaktiker, der die politische Dimension vermisst. Stattdessen, sagt er, geistert das “Phantasma des Neutralen” durch die Schulen. Dabei ist Klimaschutz klarer Verfassungsauftrag, wie das Bundesverfassungsgericht erst 2021 urteilte (Art. 20a GG).

    Einen neuen Weg, den die BNE einschlagen könnte

    BNE ist keinem einzelnen Fach zugeordnet. In vielen Ländern ist es ein fächerübergreifendes Bildungsziel, das sich vom Biologie- bis zum Politikunterricht erstreckt. Dabei, so die Kritik, könne es aber nicht nur um reines Wissen gehen. Was es brauche, sei Urteils- und Handlungskompetenz. Auf dem #zukunftbilden-Kongress war daher häufig von einem neuen, “emanzipatorisch-befähigenden” Ansatz die Rede. Es wäre ein neuer Weg, den die BNE einschlagen würde. Im Abschlussbericht heißt es: “Wenn Zukunftsbildung als transformative Bildung gesehen wird, wird eine kritische, auch machtkritische Perspektive auf die notwendigen gesellschaftlichen Transformationen benötigt.”

    In diesem Sinne schreitet unter anderem Berlin voran: Unter der Überschrift “Lernen in globalen Zusammenhängen” beschreibt die Senatsverwaltung in einer Broschüre, wie Lehrer BNE und politische Bildung im Unterricht verbinden können. “Immer mehr Kinder und Jugendliche verstehen Klimabildung eng mit Fragen politischer Partizipation verknüpft”, erklärt Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse darin. Es ist ein Satz, den Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer und ihre Mitstreiter wohl mit Freude unterschreiben würden.

    Lesen Sie auch diese Analyse: Schulen auf dem Weg zur Klimaneutralität – wozu all die Labels?

    • Didaktik
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    • Politische Bildung

    News

    Hessen startet Pilot-Schulfach für angewandte Informatik

    Etwa 70 fünfte Klassen werden im Hessen ab September im Schulfach “Digitale Welt” unterrichtet, das verkündeten am Montag der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU) und Digitalministerin Kristina Simenus (CDU). Über reine IT-Kompetenzen hinaus sollen Schüler in wöchentlich zwei Schulstunden lernen, wie digitale Technologien bei der Lösung von Problemen helfen können, der Fokus liegt dabei auf ökonomischen und ökologischen Fragestellungen. “Vor dem Hintergrund der großen Herausforderungen von Globalisierung, dem Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen sowie der Auswirkungen der Digitalisierung sind diese Kompetenzen erforderlich, damit junge Menschen gut gerüstet in die Arbeitswelt der Zukunft starten können”, sagte Kultusminister Lorz.

    Konkret könnten die Kinder zum Beispiel einen Rasenmäher so programmieren, dass er Krokusse auf einer Wiese nicht mäht – und dabei lernen, dass ein entsprechend programmierter Roboter gezielt Unkraut entfernen könnte, womit sich Pestizide einsparen ließen. Auch Themen wie Datenschutz, Cyberkriminalität und eine verantwortungsbewusste Mediennutzung soll das neue Schulfach aufgreifen. Noten bekommen die Fünftklässler vorerst keine. Für den Pilotversuch ausgewählt wurden zwölf Schulen, die in der digitalen, ökonomischen und ökologischen Bildung bereits aktiv sind. Die beteiligten Lehrkräfte erhalten Fortbildungen und sollen Inhalte und Formate des neuen Fachs mit weiterentwickeln.

    Bei deren Konzeption beteiligt war das Hasso-Plattner-Institut in Potsdam. Direktor Christoph Meinel äußerte die Hoffnung, durch die Anwendungsorientierung mehr Mädchen als gewöhnlich für Informatik begeistern zu können. Wissenschaftlich begleiten und evaluieren soll das Projekt die Goethe-Universität Frankfurt. Kultusminister Lorz zeigte sich optimistisch, das neue Unterrichtsfach 2023/24 auf weitere Klassen ausweiten zu können. Bis es jedoch fester Bestandteil der Schultafel wird, könne es noch einige Jahre dauern. Kritik daran kam aus der Opposition: FDP-Bildungsexperte Moritz Promny forderte, die schwarz-grüne Landesregierung solle Informatik endlich für alle flächendeckend und verpflichtend einführen, dafür brauche es kein Pilotprojekt. Hessen ist neben Bremen das einzige Bundesland, das in der Sekundarstufe I bisher keinerlei Informatikunterricht anbietet. Anna Parrisius

    • Technologie
    • Unterricht

    Notfallplan Gas: Unklarer Status von Bildungseinrichtungen

    Einige Kommunen stellen Warmwasser in Schulen ab oder kündigen kühle Turnhallen an, um Energie und Kosten zu sparen. Da liegt der Gedanke nah: Sollte Energie knapp werden, könnten auch gesamte Schulen kalt bleiben. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) warnte vergangene Woche vorsorglich vor Unterrichtsausfällen durch einen möglichen Gasmangel. Eine Sprecherin des BMBF bekräftigte gegenüber Bildung.Table die Forderung, Schulen zur kritischen Infrastruktur zu zählen. Doch ob diese Einstufung notwendig ist, ist fraglich. Denn schon jetzt gelten laut Bundesnetzagentur Schulen und Kindergärten als “geschützte Kunden”. Es ist ein Status, den die EU-Verordnung zur “Gewährleistung der sicheren Gasversorgung” definiert. Dort heißt es allgemein, dass der Bereich “Bildung” dazuzähle. Welche Einrichtungen konkret darunter fallen, müssen die Mitgliedstaaten definieren. Mit Blick auf den Vorrang von privaten Verbrauchern gegenüber der Industrie stellte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die entsprechende Verordnung gestern erstmals infrage (Hintergründe im Europe.Table).

    Kalte Unis, warme Schulen

    Für den Fall, dass die Notfallstufe ausgerufen wird, ist es die Bundesnetzagentur, die festlegt, nach welcher Priorität das Gas verteilt wird. Das teilt das Bundeswirtschaftsministerium mit. In der Erläuterung des Notfallplans erwähnt die Netzagentur indes nur Schulen und Kindergärten explizit. Universitäten listet sie nicht auf. Hinter vorgehaltener Hand befürchten Hochschulleitungen bereits erneute Lehre in Distanz; nicht wegen Corona, sondern wegen kalt bleibender Hörsäle, wie der Bildungsjournalist Jan-Martin Wiarda berichtet. Eine Anfrage zum Status der Universitäten ließ die Bundesnetzagentur bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

    Welche Bildungseinrichtung mit weniger Gas zurechtkommen müsste, lässt sich, Stand jetzt, nicht abschließend klären. Die Zuständigkeiten ziehen sich durch viele Ebenen, von der EU über Bund, Länder, Kommunen bis hin zur Bundesnetzagentur. Es obliege dem Bundeswirtschaftsministerium, neue Gesetzeslagen zu schaffen und die Gasversorgung im Rahmen der EU-Verordnung neu zu sortieren, heißt es aus der Bundesnetzagentur. Die Kommunen erarbeiten bereits Krisenpläne, teilt der Deutsche Städtetag mit. Sein Hauptgeschäftsführer, Helmut Dedy, sagt: “Wenn die Heizperiode beginnt, wird es auch um die Temperatur in öffentlichen Gebäuden, Verwaltungen und Schulen gehen.” Sollte es zu einem Gasengpass kommen, ist ein politisches Ringen um die Versorgung von Bildungseinrichtungen zu erwarten. So viel ist sicher: An kalte Klassenzimmer und Seminarräume haben sie sich in der Pandemie bereits gewöhnt. Niklas Prenzel

    • Distanzunterricht
    • Schule

    Makerspace

    Julian Dorn – Informatiklehrer mit Wirtschaftsbackground

    Man sieht das Gesicht von Julian Dorn, Gründer der Open-Source-Plattform InstaHub
    Julian Dorn ist Quereinsteiger und Informatiklehrer.

    Bilder hochladen, liken und kommentieren gehört zu den Hobbys vieler Schülerinnen und Schüler. Hinter die Kulissen der großen sozialen Netzwerke können jedoch die wenigsten blicken. Der Informatiklehrer Julian Dorn hat mit seiner selbst programmierten Open-Source-Plattform InstaHub genau das möglich gemacht. Der große Unterschied zwischen dem Unterrichtstool und seinem Namensvetter Instagram: Die Plattform erlaubt den Usern, selbst Administrator zu sein. Die Lernenden können die gesamte Datenbank und Nutzerprofile durchsuchen, Werbeanzeigen schalten oder Kommentare moderieren. Ein medienpädagogisches Planspiel, für das Julian Dorn mehrere Preise gewann.

    Von der Wirtschaft in die Schule – oder vom Lehramtsstudium ins Unternehmen

    In seinem früheren Leben war Julian Dorn als Wirtschaftsinformatiker bei Firmen wie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers, der Deutschen Post oder dem Software– und Beratungsunternehmen Erdgas-Consult tätig. “Bei meinen letzten Arbeitgebern habe ich mich damit beschäftigt, wie Gas gehandelt wird. Das hört sich vielleicht langweilig an, war für mich aber noch viel langweiliger”, sagt er augenzwinkernd. Auf der Suche nach einer sinnvollen Berufsperspektive fand er bei einer privaten Fachoberschule den Einstieg ins Lehramt. Nachdem er berufsbegleitend seinen Master gemacht hatte, konnte er als Quereinsteiger in den Staatsdienst eintreten.

    Neben seiner Arbeit für ein Gymnasium in Leipzig gibt Julian Dorn heute als Fachausbildungsleiter Seminare für zukünftige Informatiklehrkräfte. Daher weiß er, wie schwierig es ist, Leute aus der Wirtschaft in die Schulen zu locken. Viel häufiger beobachtet er, dass Kollegen sich genau in die andere Richtung bewegen: Sie studieren auf Lehramt, gehen dann aber nach dem Bachelor in ein Unternehmen, wo sie direkt anständig bezahlt werden. “So verliert das Bildungssystem auch noch die wenigen Menschen, die Technik mögen und gleichzeitig Anderen gerne etwas erklären”, sagt der 31-Jährige.

    Schulverwaltung digitalisieren – im Start-up neben dem Lehrerberuf

    Außerdem hat Julian Dorn gemeinsam mit zwei Mitstreitern das Start-up ,Schulverwalter’ gegründet, das unter anderem digitale Noten- und Klassenbücher anbietet. Die Corona-Pandemie bot für die Firma eine große Chance. “Viele Schulen waren richtig aufgeschmissen, weil die Lehrer ihre Klassenbücher nicht zuhause hatten”, erzählt Julian Dorn. Aber die digitale Verwaltung sei auch im ganz normalen Schulalltag hilfreich. Über hundert Schulen in Sachsen, so Julian Dorn, setzen die Software inzwischen ein. Träger, die sich für diese Software entscheiden, brauchen keine Papierprodukte mehr zu kaufen. Für die digitalen Produkte müssen sie allerdings etwas mehr zahlen, 40 Euro kosten alle Notenbücher pro Monat, 60 Euro alle Klassenbücher. Reich werde man damit nicht. Doch Julian Dorn betont, es gehe ihm um die Sache: “Wir wollen, dass die Schulen digital vorankommen. Denn dann können sich die Lehrer auf das konzentrieren, wofür sie da sind: Schülerinnen und Schüler optimal zu unterstützen.” Janna Degener-Storr

    Presseschau

    Lehrermangel: Sachsen-Anhalt testet 4-Tage-Woche an Schulen SPIEGEL
    Forderung nach kreativen Lösungen um Lehrkräftemangel zu lindern ZEIT
    Über eine mögliche Reform der Kultusministerkonferenz ZEIT
    Wie Schule Themen sexueller Vielfalt Platz geben kann WELT
    Quote der Studienanfänger stabilisiert sich: 45 Prozent des Jahrgangs HANDELSBLATT
    Neues E-Book: Das unvergleichliche Abitur IQB
    Die Rolle von Nachhilfelehrern in Pandemiezeiten SZ
    Über 146.000 ukrainische Schüler an deutschen Schulen RPONLINE
    Was ein Münchner Verein Betroffenen von Rassismus in der Schule rät SZ
    Lehrermangel an Schweizer Primarschulen ZEIT
    Björn Nölte über Notendruck in der Schule ZEIT
    Thüringen: Landesrechnungshof will beim Digitalpakt Schule sparen NEWS4TEACHERS
    Mittelkürzungen beim DAAD: 6.000 Stipendien weniger TAZ
    Corona: Münchner Schulen von Sommerwelle erwischt SZ
    Portrait von drei Neuköllner Einser-Abiturienten WELT

    Termine

    13. bis 15. Juli 2022
    Bildungscamp der GEW Bayern
    Das unter dem Motto “Endlich gute Bildung für Alle” stehende Bildungscamp der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Bayern widmet sich Themen wie Investitionsstau, Chancenungerechtigkeit oder Fachkräftemangel. Am Abend des 13. Juli findet eine Diskussionsrunde mit Bildungspolitikerinnen und -politikern aller demokratischen Parteien statt. INFOS

    19. Juli 2022, 17:00 bis 18:30 Uhr
    Online-Inforunde: Seiteneinstieg Schuldienst – eine Option für mich?
    Um dem Lehrermangel entgegenzutreten, liefert die GEW Sachsen in diesem Online-Format Informationen und Tipps, die Interessentinnen und Interessenten den Seiteneinstieg in den Schuldienst erleichtern können. INFOS & ANMELDUNG

    20. Juli 2022, 09:00 bis 16:00 Uhr
    Argumentations- und Handlungstraining gegen menschenverachtende Einstellungen
    Das Netzwerk für Demokratie und Courage will mit diesem Argumentations- und Handlungstraining ein Bewusstsein dafür schaffen, an welchem Punkt menschenverachtende Einstellungen beginnen und vor allem wie ihnen wirksam entgegengetreten werden kann. INFOS & ANMELDUNG

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