Table.Briefing: Bildung

Kiewer Online-Schule ausgebremst + Digitalpakt-Lehren + Einblick in BIRD

  • Ukrainisches Lernportal Optima: Warten auf die Deutschen
  • Nationale Bildungsplattform: Interview mit Leiterin des größten Pilotprojekts BIRD
  • Bildungsökonom Dieter Dohmen über Geburtsfehler des Digitalpakts
  • Vier von zehn Schulträgern haben noch keine Digitalpakt-Mittel beantragt
  • Metastudie sieht große Defizite in Europas digitaler Bildung
  • Österreich führt informatische Bildung ab 1. Klasse ein
  • Abiturienten fühlen sich schlecht vorbereitet
  • Im Porträt: Tim Kantereit – Digitaler Vordenker und Lehrer
  • Presseschau
  • Termine
Liebe Leserin, lieber Leser,

die Ukraine hat eine tadellose Online-Schule, in der man sogar Abschlüsse machen kann. Das klingt so gut, dass auch die KMK die Plattform in höchsten Tönen lobte. Einen Monat ist das nun her. Die Schule verzehnfachte seit Kriegsbeginn ihre Nutzerzahlen – und bietet geflüchteten Schüler:innen Kontinuität. Doch wartet die Optima-Schule nach wie vor vergebens auf Unterstützung staatlicher Stellen in Deutschland, wie die Recherchen von Christian Füller zeigen. Es wird geprüft, geprüft und noch mal geprüft, während der Realitätsdruck längst entschiedenes Handeln verlangt.

Die Nationale Bildungsplattform, Prestigevorhaben der alten Bundesregierung, gewinnt allmählich an Kontur. BIRD, das größte Pilotprojekt, feiert derzeit Bergfest. Im Interview zieht Projektleiterin Ulrike Lucke eine erste Bilanz, antwortet Kritikern des Projekts und verrät, was sie sich für die zweite Phase wünscht.

Zudem möchte ich Ihnen den Blogpost des Bildungsökonomen Dieter Dohmen ans Herz legen. Er seziert die Geburtsfehler des Digitalpakts und erklärt, warum das Vorhaben scheitern musste. Eine Umfrage von Bildung.Table unter den Ländern, in denen die Fristen bald enden, ergibt: Vier von zehn Schulträgern haben noch keinen Antrag gestellt. Für Verantwortliche, die sich in den Osterferien durch den Antrags-Dschungel schlagen, wurde unlängst diese aufschlussreiche Broschüre zum Vergaberecht beim Digitalpakt veröffentlicht. Hoffen wir, dass der Digitalpakt 2.0 solches Material obsolet machen wird.

Frohe Feiertage wünscht Ihnen

Ihr
Niklas Prenzel
Bild von Niklas  Prenzel

Analyse

Kiewer Online-Schule Optima: Warten auf die Deutschen

Karin Prien war voll des Lobes. Die Lernportale der Ukraine und insbesondere eines seien weit fortgeschritten, pries die Präsidentin der Konferenz der Kultusminister (KMK), nämlich die – wie wir heute wissen – Online-Schule Optima. Seitdem durchläuft die ukrainische Plattform eine widersprüchliche Entwicklung: Weil in der Ukraine ein grausamer Krieg tobt, loggen sich jeden Tag 1.000 neue Schülerinnen und Schüler auf dem Portal ein – aus ganz Europa. Inzwischen sind 100.000 junge Ukrainerinnen Nutzer der Distanzschule, in der man auch ukrainische Abschlüsse ablegen kann. Aus Deutschland besuchen inzwischen fast 10.000 geflüchtete Schüler die Plattform. Die staatlichen deutschen Stellen allerdings warten. Es gab inzwischen Verhandlungen mit der Kultusbürokratie – bisher ohne eine konkrete Hilfezusage. “Wir sind dankbar für den Prozess”, sagte Optima-Sprecher Yuriy Balkin Bildung.Table, “aber es geht, ehrlich gesagt, zu langsam.” 

Die Deutschen prüfen, prüfen und prüfen Optima

Das Verfahren mutet an wie beim Boykott von Rohstoffen aus Russland oder der Lieferung von Waffen an die Ukraine. Das angegriffene Land mahnt ohne Unterlass. Aber die Deutschen prüfen, prüfen und prüfen. Am Montag hat Hans Beckmann, der Vorsitzende der “Taskforce Ukraine” der Kultusminister, die extra eingerichtet wurde, um den Hilfeprozess zu beschleunigen, mit den Vertretern von Optima gesprochen. In einer Videokonferenz ging es darum, was Optima eigentlich ist und viele Schüler in der Online-Schule lernen könnten. Die Repräsentanten der privaten, aber staatlich lizenzierten Fernschule, können die Fragen inzwischen wohl im Schlaf aufsagen

Zuletzt hatte vor ungefähr drei Wochen Michael Frost vom Medieninstitut der Länder (FWU) diese Fragen gestellt. Die KMK hatte eigens ihn beauftragt, weil er den technischen Sachverstand hat, um Optima zu prüfen. Aber dann geschah: nichts. “Wir können das ja nicht entscheiden, deswegen haben wir es an die Taskforce abgegeben”, sagte ein Sprecher der FWU auf Nachfrage. Am Montag stellte nun Hans Beckmann wieder dieselben Fragen. 

40 Prozent der 100.000 Nutzer von Optima nicht mehr in der Ukraine

Bei all diesen Fragen geht Optima die Zeit aus. Das Angebot ist nicht nur, wie bei den Lernmanagementsystemen der Bundesländer üblich, ein Kommunikationssystem und eine Ablage für Lerninhalte. Optima ist eine richtige Fern-Schule. Es gibt dort auch Kurse, in denen Lehrer:innen ihre Schüler online betreuen. Vor dem Krieg hatte Optima nur 9.500 Nutzer:innen. Inzwischen sind es fast 100.000. Rund 40 Prozent der Schüler:innen greifen von außerhalb der Ukraine auf die Angebote zu – die meisten aus Polen und Deutschland. 

Das Ganze ist kostenfrei. Denn Optima hat mit Kriegsbeginn seine pädagogischen Angebote auf Gratis umgestellt. Und die Fernschule hat dafür gesorgt, dass auch im Fall des Einschlagens einer Bombe auf die Server in der Ukraine das Angebot gesichert bliebe. Genauer hat “Amazon Web Services” Optima geholfen. AWS hat das ganze Angebot auf seine Server geladen – als Nothilfe und umsonst. Die Unterstützung aus Deutschland lässt indes auf sich warten. “Wir brauchen finanzielle Hilfe, damit wir unsere Lernangebote weiter abhalten können”, sagte Yuriy Balkin. “Es ist wichtig, dass die Lehrer und die Techniker Geld bekommen.” Doch das scheiterte bisher an der deutschen Gründlichkeit. “Wir haben gute Gespräche mit Deutschland. Nur gibt es noch keinen Abschluss.” 

“Taskforce Ukraine”: 16 Vertreter beraten – und entscheiden nichts

Ein Teil des Problems der Verhandlungen mit Optima könnte die sogenannte “Taskforce Ukraine” der KMK sein. Es ist für Journalisten kaum möglich, zu erfahren, was diese Taskforce eigentlich macht. Der Leiter Hans Beckmann ist persönlich nicht zu konsultieren, weil er so viel zu tun habe. Das Beispiel der Online-Schule Optima zeigt allerdings, dass möglicherweise nicht besonders viel Force in der KMK-Taskforce steckt. Die Runde um Beckmann, einem pensionierten Staatssekretär, ist so etwas wie eine kleine KMK. Jedes Bundesland entsendet dorthin, so die Auskunft, “Abteilungsleiter- bzw. Referentenebene in das Arbeitsgremium TFU, die die unterschiedlichen Fachexpertisen der Ministerien repräsentieren.” Das bedeutet, dass vor der sehr langsam entscheidenden Kultusministerkonferenz nun eine weitere nichtoperative Einheit vorgeschaltet ist, die genau dasselbe tut: beraten. Entscheiden kann die Taskforce nichts. Sie kann selbst im Ernstfall Krieg in die Belange einzelner Länder nicht eingreifen. 

Vergangene Woche schien es so, dass die Online-Schule Optima bei der KMK vom Tisch sei. Ländervertreter bestätigten den Vorbehalt gegen das private Optima. Man konzentriere sich auf Gespräche mit der Plattform “All Ukrainian School Online”, hieß es. Das ist eine staatliche Plattform, die viel kleiner ist als Optima und keine Abschlüsse anbietet. Der Grund für die Kooperation liegt wohl darin, dass diese Plattform umsonst ist. Daneben führten einzelne Länder auch “erste Gespräche” mit Optima – vier Wochen nach dem großen Lob von Karin Prien. Am Montag freilich hat sich das Blatt gewendet. Nun wurde mitgeteilt, dass intensiv an einer Vereinbarung mit Optima gearbeitet werde. Und plötzlich wurde auch Taskforce-Boss Beckmann aktiv. Er schaltete sich in ein Meeting mit Vertretern von Optima ein. 

Eine Stiftung will monatlich 150.000 Euro geben, um den Betrieb zu gewährleisten

Bildung.Table wollte von der Taskforce erfahren, wie es mit dem Online-Unterricht durch ukrainische Portale nun weitergeht. Die Antwort aus dem Haus von Kultuspräsidentin Karin Prien, die die Kommunikation für die Taskforce übernommen hat: “Die Task Force Ukraine (TFU) beschäftigt sich auch mit diesem Thema und wird es strukturiert aufarbeiten und beraten.” Es gebe noch keine Entscheidung. 

Es bleibt eine Hoffnung für Optima, die mit der richtigen Förderung eine halbe Million Schüler betreuen könnte. Die Bosch-Stiftung wird die Schule mit 150.000 Euro bezuschussen – übergangsweise. Dazu kommt weiteres Geld von der Initiative Alliance4Ukraine, “um den Betrieb zunächst bis zum Ende des ukrainischen Schuljahres Ende Mai zu stabilisieren.” Dann sollten hoffentlich die staatlichen Stellen in Deutschland so weit sein, die Weiterfinanzierung zu übernehmen. 

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“Wir bauen die Infrastruktur für die digitale Bildung”

Auf dem Foto ist Ulrike Lucke zu sehen, Leiterin von BIRD der Nationale Bildungsplattform
Feiert Bergfest mit ihrem BIRD-Projekt: Leiterin Ulrike Lucke

Frau Lucke, es herrscht ein gewisses Informationsdefizit. So richtig verstehen nur wenige, was die Nationale Bildungsplattform sein wird und wie der Stand der Umsetzung ist. Beginnen wir simpel: Wie lautet derzeit ihr Elevatorpitch?

Als Mutter von drei Kindern habe ich in zwei Jahren Corona gesehen, wie verschiedenartig die Schulen mit dem digitalen Unterricht umgegangen sind. Wir haben in der Forschung in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte in der digitalen Bildung gemacht. Es schmerzt mich, zu sehen, wie wenig dieser Fortschritte in der digitalen Bildung tatsächlich in der Schulpraxis angekommen sind. Hier setzt die Plattform an.

Und wie will die Nationale Bildungsplattform diesen Schmerz lindern?

Sie ist eine große Vernetzungsplattform. Es soll nicht neu gebaut werden, was es schon gibt, sondern das, was es schon gibt, miteinander verbunden werden. Bildung funktioniert überall anders. Ob berufliche Bildung, Studium, Weiterbildung oder Schule: Sie soll in ihrer Verschiedenartigkeit Bestand haben dürfen. Im Moment haben wir viele einzelne Lösungen für digitale Bildung. Darunter liegt nichts anderes als das nackte Internet. Es ist so, als würde es viele tolle Busse und Autos geben, aber kein ausgefeiltes Straßennetz, sodass sie auf dem blanken Erdboden fahren müssen. Wir bauen die Infrastruktur für die digitale Bildung.

Vielleicht ist es die klassische German Angst, aber der Vorwurf der Gigantomanie oder des Werkelns an einem neuen endlosen Infrastrukturprojekt, wie dem BER, wird von Kritikern oft erhoben.

Leute, mit denen ich fachlich im Austausch stehe, erheben diesen Vorwurf mir gegenüber nicht. Meistens wird mit Blick auf BIRD gesagt, dass wir eher zu klein denken würden, weil wir dies und das und jenes noch nicht mit reinnehmen. Deutschland hat so einen riesigen Rückstand beim Thema Digitalisierung in der Bildung – oder überhaupt Innovationen in der Bildung -, dass wir nicht schnell genug beginnen können aufzuholen.

Mit dem Bildungsraum Bildung, kurz: BIRD, verantworten Sie das größte der vier Pilotprojekte. Es feiert derzeit Bergfest und wird noch ein weiteres Jahr vom BMBF gefördert. Fliegt der Vogel schon?

Ja, im Käfig flog er schon nach einem halben Jahr. Mein Auftrag ist es aber, “nur” einen Prototyp zu entwickeln, mit dem das BMBF dann weiterarbeiten und Ausschreibungen verfassen kann. BIRD stellt die Middleware bereit, das technische Rückgrat für die Plattform. Die Nationale Bildungsplattform soll kein neues Lernmanagementsystem werden, sondern die LMS dieser Welt miteinander verknüpfen können. Die Oberflächen bleiben für die User gleich. Im Hintergrund können sich die Anwendungen aber mit der Plattform verbinden. Sie tauschen nur Metadaten, keine personenbezogenen Daten, aus.

Sehen Sie wirklich so viele Usecases für diese Anwendung? Die Metaplattform wird eine Parallelstruktur sein, die sich gegen bestehende Angebote wird durchsetzen müssen.

Die Anwendungen, die es schon gibt, kommunizieren nicht miteinander. Sie sollen weiter bestehen, aber eine leicht zu implementierende Schnittstelle anbieten. Durch die Interoperabilität benötigen Nutzer zum Beispiel nur noch einen Login, um sich bei den verschiedenen Lernplattformen anzumelden. Im Bildungsbereich nutzen wir aus gutem Grund keinen Google-Account, mit dem ich mich in allen Schulen und Hochschulen anmelden kann. Auf etwas Ähnliches, nur ohne das Abfließen personenbezogener Daten, bauen wir.

Ich habe meine Zugangsdaten für den digitalen Personalausweis verlegt, weil ich ihn nie benötige. Wer wird sich auf der staatlichen Metaplattform wirklich einloggen?

Mein Lieblingsbeispiel ist die Lehramtsstudentin. Sie kann die verschiedenen Plattformen als Studentin in ihren Unikursen und als Lehrerin für ihr Schulpraktikum dann durchgängig nutzen, ohne händisch Material zu übertragen. Lehrerinnen und Lehrern stünden auf einer solchen Plattform mehr Materialien zur Verfügung. Die digitalen Bildungsanbieter bekommen eine höhere Reichweite und damit mehr Nutzende. Ich sehe viele Vorteile und damit viele Usecases.

Einige kommerzielle Anbieter, wie die Initiative der deutschen digitalen Bildungsanbieter, werfen dem BMBF-Projekt vor, zu wenig bei der Planung mit einbezogen zu werden. Könne Sie die Kritik nachvollziehen?

Nein, überhaupt nicht. Wenn sie von Schulträgern käme, schon eher. Die haben wir in unserem Projektkonsortium nicht dabei. Aber die kommerziellen Anbieter haben wir mit dem Bündnis für Bildung sehr wohl an Bord. Ich kann den Kolleginnen und Kollegen, die sich nicht vertreten fühlen, nur raten: Wenden Sie sich an das Bündnis für Bildung. Inhaltlich habe ich aus der Richtung übrigens noch keine Sorge gehört, die sich nicht entkräften ließe.

Setzen Sie auch auf neue Technologien wie Learning Analytics oder Blockchain, zum Beispiel für die digitale Zeugniswallet?

Nein, wenn ich mir den Klimawandel anschaue, weiß ich nicht, warum wir dafür eine Blockchain, mit ihrem immensen Energieverbrauch einsetzen sollten. Learning Analytics sind möglich, aber derzeit noch nicht vorgesehen. Sie bringen Vorteile, könnten Empfehlungen für nächste Bildungsbausteine aussprechen oder Lehrenden sagen, an welcher Stelle im Lernprozess sie noch mal hinschauen müssten. Hier bewegt man sich aber immer im Spannungsverhältnis mit personenbezogenen Daten. BIRD arbeitet nur an der verknüpfenden Schicht. Wenn einzelne Bildungsanbieter auf Learning Analytics setzen, könnten wir das auch unterstützen.

Was würde eine Phase Zwei der Nationalen Bildungsplattform noch in den Fokus nehmen?

Im Moment sind wir in der Laborphase und dadurch sehr aufs Technische konzentriert. In einer zweiten Phase wünsche ich mir noch mehr pädagogische und mediendidaktische Begleitforschung. Wie nutzen Lehrerinnen und Schüler eine solche Plattform? Wichtig ist mir auch eine Evaluation, damit wir am Ende zeigen können, dass die Steuermillionen, die in diese Plattform fließen, wirklich einen positiven Effekt haben. Wenn wir alles richtig gemacht haben, kommt am Ende mehr Gewinn als die sieben Millionen Euro, die ins Projekt geflossen sind, heraus.

Ulrike Lucke ist Informatikerin und Professorin für Komplexe Multimediale Anwendungsarchitekturen an der Universität Potsdam. Sie koordiniert das Verbundprojekt BIRD, in dem unter anderem der DAAD, die TU Berlin und Bündnis für Bildung zusammenarbeiten.

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Blogpost

Der Digitalpakt hatte nie eine Chance

Länder Kommunen Digitalpakt
Bildungsforscher Dieter Dohmen

Ein Gastbeitrag von Dieter Dohmen

Vor sechs Jahren brachte die damalige Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) den Digitalpakt für Länder und Kommunen ins Spiel. Es war das Angebot, Bundesmittel bereitzustellen, um die Schulen zu digitalisieren. Dieser Digitalpakt-Vorstoß bedeutete gleichsam, dass Länder und Kommunen zuvor ihre Aufgaben nicht bzw. nur unzureichend wahrgenommen hatten. Sie haben die Digitalisierung der Schulen schlichtweg verschlafen.

Man muss ihnen zugutehalten, dass dieses Vorhaben mit sehr hohen investiven und laufenden Kosten verbunden ist. Die Digitalisierung von Schulen ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten – und damit ein Alptraum für Haushälter wie Verantwortliche. Zudem stehen bundesweit viele Kommunen unter Haushaltssicherung. Sie dürfen nur zwingend notwendige zusätzliche Ausgaben übernehmen. Und dabei gibt es eine ganze Reihe an unterschiedlichen finanzwirksamen Anforderungen an die Kommunen wie Kita-Ausbau und Flüchtlingskrisen. Alleine beim Schulbau haben die Kommunen laut KfW einen Investitionsstau von rund 45 Milliarden Euro.

Hatte der Digitalpakt überhaupt Aussicht auf Erfolg?

Der “Digitalpakt I” traf und trifft also auf ohnehin finanziell überforderte Schulträger. Sie können ihren vielen Aufgaben nicht mehr nachkommen, solange es für sie keine bessere Finanzausstattung gibt. Der Vorschlag von Ministerin Wanka legte den Finger in die Wunde der Länder und Kommunen. Praktisch kann der Bund aber nur dann tätig werden, wenn die Länder allesamt zugestimmt haben. Dabei ist jedes Land in der Pflicht, das Bestmögliche aus der Bundesfinanzierung herauszuholen. Grundsätzlich ist die Position der Länder ohnehin: Wir nehmen das Geld des Bundes gerne, insbesondere, wenn wir damit machen, was wir wollen. Deswegen wollen die Länder am liebsten eine Erhöhung ihres Anteils an der Umsatzsteuer.

Diese Kombination von Faktoren erklärt, warum es satte drei Jahre bis zum Mai 2019 dauerte, ehe der Digitalpakt das Licht der Welt erblickte. Der Bund gab fünf Milliarden Euro, die Länder waren gefordert, mindestens zehn Prozent obendrauf zu legen, kommunales Geld ist dabei Landesgeld. Im Schnitt standen somit für jede der 40.000 Schulen 137.500 Euro zur Verfügung – oder 500 Euro je Schüler:in.

Monatelange Antragsstellung für den Digitalpakt

Mit diesen Mitteln konnte insbesondere Infrastruktur und “Hardware” beschafft werden. Die Verwaltungsvereinbarungen mit den 16 Ländern waren die Basis für die Landesregelungen, die die entsprechenden Fördervoraussetzungen weiter spezifizierten. Dazu gehörten unter anderem Medien- und Fortbildungskonzepte. Schulen mussten in Vorleistung gehen, um die geforderten Konzepte zu entwickeln. 

Dafür mussten sich Schulträger und Schulen zusammensetzen, neben Schulamt und -leitung auch das Bauamt oder die Finanzabteilung. Alle Beteiligten mussten sich in die Förderlogik einarbeiten. Am Ende sollten Konzepte zur Mediendidaktik und Lehrkräftefortbildung stehen. Beides setzt voraus, dass man das Projekt vollständig durchdenkt – oder Expert:innen an der Hand hat. Letztere tun dies aber selten ohne Honorierung. 

Die Erstellung dieser konzeptionellen Dokumente wie auch des Antrags mit den technischen Komponenten und der Kostenangaben dauert bereits unter normalen Umständen viele Monate. Um die Kosten zu ermitteln, braucht es Marktsichtung und die Spezifikation der Anforderungen. All dies verzögert die Antragstellung beim Digitalpakt.

Folgekosten bleiben bei Kommunen hängen

Ein weiterer wichtiger Faktor für die Zurückhaltung vieler Kommunen sind die Folgekosten. Sie bleiben fast vollständig bei ihnen hängen: laufende Kosten für den Breitbandzugang und das Internet, für Software-Lizenzen und für die so wichtigen IT-Administratoren. Die 2020 bereitgestellten 500 Mio. Euro für den Administratoren-Pakt sollten die Lücke teilweise schließen, erwiesen sich als unzureichend, jenseits der Frage, ob es überhaupt genügend qualifizierte Personen gibt. Umgerechnet stehen jeder der 40.000 Schulen gerade einmal 12.500 Euro zur Verfügung.

Als wäre dies alles nicht bereits Anforderung genug, bestimmte ab März 2020 die Corona-Pandemie das gesamte Leben. Hierdurch wurden nicht nur die Schulen massiv gefordert, die genauso wie die kommunalen und Landesbehörden im Lockdown waren. Die bereits für den Normalbetrieb unzureichende technische Ausrüstung führte in dieser Krise dazu, dass das Land oft wirklich stillstand, Behörden nicht mehr erreichbar, Mitarbeitende ohne Ausstattung im Homeoffice waren.

Radikale Vereinfachung der Vorschriften

Was mit Blick auf die schnelle technische Ausstattung der Schulen hätte passieren müssen, erfolgte nicht: Budgets heraufsetzen, Vorschriften radikal vereinfachen, Anforderungen herabsetzen. Stattdessen mussten die Schulen trotz zumeist völlig unzureichender Rahmenbedingungen auf Distanzunterricht umstellen – von jetzt auf gleich. Eine solche Umstellung geht nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Während Unternehmen im Zweifel einiges an Druck entfalten können, damit die Mitarbeiter:innen das tun, was sie sollen, ist dies in Schulen nur bedingt möglich. 

Warum wurde an überhöhten und praxisfernen Vorgaben festgehalten? Grundaufgabe der öffentlichen Verantwortungsträger ist, ausnahmslos alle Schulen angemessen für einen digitaleren Unterricht auszustatten. Der Bund kann sich daran beteiligen, aber es sollte nicht Aufgabe des Bundes sein, dafür Sorge zu tragen, dass Länder und Kommunen ihren Kernaufgaben nachkommen – und dies dann in Form eines überkomplexen, antragsbasierten Verfahrens tut. Das Vorgehen scheint nur sinnvoll, wenn man einerseits den guten Willen bekunden und sich ein Programm auf die Fahnen schreiben möchte, aber andererseits nicht will, dass die Mittel auch wirklich abgerufen werden.

Der Digitalpakt ist ein Beispiel, dass die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen nicht gut funktioniert. Da dies aber kein Einzelfall ist, muss die Kooperation grundlegend überdacht und auf andere Füße gestellt werden. Da für Bildung formal die Länder zuständig sind, und dies auch regelmäßig einfordern, gibt es m. E. zwei Optionen: Entweder setzen sich alle drei Ebenen ernsthaft an einen Tisch und hören mit dem politischen Pille-Palle-Spiel auf. Oder der Bund überweist seinen Anteil an der Finanzierung des Bildungssystems und überträgt den Ländern die volle Verantwortung für die Bildung. Mir wäre ersteres lieber, ich weiß aber nicht, ob es wirklich erfolgversprechend ist.

Der Bildungsforscher und -ökonom Dieter Dohmen ist Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie in Berlin. Der Text ist eine gekürzte Fassung einer Analyse auf http://www.fibs.eu/.

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News

Digitalpakt: Vier von zehn Schulträgern ohne Antrag

In den Ländern, wo die Antragsfrist für den Digitalpakt bald abläuft, haben bis zu 40 Prozent noch keinen Antrag gestellt. (Bildung.Table berichtete) Das ergab eine Umfrage unter den Ländern mit kurzen Fristen. Vor allem die beiden großen Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern hinken hinterher. In Baden-Württemberg endet die Antragsfrist am 30. April – dort haben 773 Schulträger noch keinen Antrag gestellt (von 1.580).

In Bayern ist zwar noch zwei Monate länger Zeit. Aber auch dort fehlen noch die Antragspapiere von rund 1.000 Schulträgern. Von 2.559 Trägern haben bisher 1.600 Anträge eingereicht. In Bayern und Baden-Württemberg sind noch über eine Milliarde aus dem Digitalpakt zu haben; wenig Zeit für viel Geld. Aber auch in Rheinland-Pfalz und Saarland, wo die Schulträger bis 16. Mai ihre Anträge fertig haben müssen, fehlen noch etliche Schulträger. In Rheinland-Pfalz gibt es 387 Schulträger – 85 von ihnen haben noch nichts abgegeben. Im Saarland gibt es 59 Schulträger, von denen acht noch keinen Antrag gestellt haben.

Länder und Bündnis für Bildung helfen Schulträgern

Alle Bundesländer, deren Schulträger im Verzug sind, helfen den Schulen. “Wir bieten diesen Kommunen erneut Beratung an“, sagte ein Sprecher des Bildungsministeriums im Saarland. In Rheinland-Pfalz wurde eine Informationsveranstaltung abgehalten. “Wir sprechen auch Schulträger gezielt telefonisch an und beantworten offene Fragen“, sagte ein Sprecher von Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD). Der Sprecher des bayerischen Bildungsministers Michael Piazolo (Freie Wähler) kündigte an, “über das Verfahren zur Vergabe eventueller Restmittel nach Ablauf der ersten Antragsfrist zu entscheiden.” Das bedeutet: Ab 1. Juli beginnt in Bayern das Hauen und Stechen um die verbleibenden Millionen – und zugleich um die Zukunft von Minister Piazolo. Wie es heißt, warten viele im Freistaat nur darauf, dass die Freien Wähler den Digitalpakt nicht erfolgreich zu Ende bringen.

Das “Bündnis für Bildung” fordert indes einen grundlegenden Kurswechsel beim Digitalpakt. Unter der Überschrift “DigitalPakt 2.0 besser machen” listete der aus Gebietskörperschaften und Unternehmen bestehende Verband Fehler und Verbesserungsvorschläge auf. Das Bündnis verlangt, “Ausschreibungsunterlagen, Vergaberegeln und Antragsverfahren zu vereinfachen” sowie mit Rahmenverträgen zu arbeiten. Die Abrechnungsmodalitäten seien zu vereinfachen und praxisnäher zu gestalten. Zudem sei “bei Vorfinanzierung sowie kommunalen Eigenanteilen darauf zu achten, dass dies aus den kommunalen Haushalten leistbar ist.” Der Grund: Viele Schulträger sind finanziell so knapp, dass sie keine Anträge stellen können. cif

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Österreichs Masterplan: Informatische Bildung wird Pflichtfach ab 1. Klasse

Österreichs Schüler:innen bekommen mehr Unterricht im Themenfeld Digitalisierung. Neue Lehrpläne für das Schuljahr 2022/23 sehen die Einführung des Pflichtfachs “Digitale Grundbildung” mit einer Wochenstunde für Fünf- bis Siebtklässler vor. Dieses Pflichtfach gibt es bereits an Mittelschulen, bisher allerdings ohne Benotung. Mit Beginn des Schuljahrs 2023/24 werden die übergreifenden Themen “Informatische Bildung” und “Medienbildung” ab der 1. Klasse zur Pflicht. Das und mehr ergaben die Antworten auf eine parlamentarische Anfrage der liberalen Neos-Partei. Die Neos bezogen sich bei Ihrer Anfrage auf die Inhalte des Masterplan Digitalisierung in der Bildung, dessen Erstellung das österreichische Parlament vor vier Jahren beschlossen hatte. Welche Inhalte in den neuen Fächern unterrichtet werden, steht noch nicht vollständig fest, berichtet der Standard mit Verweis auf die APA.

Dieser Plan sieht unter anderem eine grundlegende Überarbeitung bestehender Lehrpläne, Modernisierungen für Hardware und IT-Infrastruktur und Fortbildungen vor. Auf diesem Weg will das österreichische Bildungsministerium die digitale Transformation der Bildungslandschaft vorantreiben. Das Papier ist vergleichbar mit der KMK-Strategie Bildung in der Digitalen Welt. Der österreichische Plan steht seit 2018, zwei Jahre später kam ein Acht-Punkte-Plan für den digitalen Unterricht hinzu. 250 Millionen Euro Budget stehen für “den nächsten Entwicklungsschritt” beim digital gestützten Lehren und Lernen bis 2024 bereit. Enno Eidens

Abiturienten fühlen sich schlecht vorbereitet

Er ist der erste Abiturjahrgang, der seine komplette Oberstufen-Zeit in der Pandemie bestritten hat. Zwei Drittel (67 Prozent) der Schülerinnen und Schüler, die in den kommenden Wochen ihre Abiturprüfungen ablegen, fühlen sich nicht gut vorbereitet. 15,9 Prozent beklagen, viel verpasst und Angst vor einem schlechten Abschneiden zu haben. Lediglich etwa jede:r Zehnte (12,6 Prozent) ist positiv gestimmt und fühlt sich ausreichend von den Lehrenden unterstützt. Die Zahlen hat der Bildungsanbieter simpleclub erhoben und dazu eine Umfrage auf seiner Lernplattform und via Social Media unter 1.200 Absolvent:innen durchgeführt.

Im vergangenen Jahr hatte das Unternehmen die Daten ebenso erhoben. Abiturient:innen äußerten ähnliche Sorgen. Wie berechtigt diese sind, ist mit Blick auf die endgültigen Ergebnisse fraglich. Der Abiturjahrgang 2021 erzielte mit 2,27 die beste Durchschnittsnote. Seit Jahren steigt sie kontinuierlich und hatte 2020 bei 2,37 gelegen. “Auch wenn man den gebeutelten Abschluss­jahrgängen gute Noten gönnt, darf man nicht die Augen davor verschließen, dass diese Noteninflation nicht nur gute Seiten hat”, hatte Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, dazu dem RND gesagt. npr

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Europas Schulen vermitteln wenig Medienkompetenz

Europäische Schüler:innen erwerben ihre digitalen Kompetenzen größtenteils außerhalb der Schule. Zudem fehlen ihnen wichtige Skills für den Beruf, sowie Medienkompetenz und Wissen über Datenschutz. Deshalb haben Arbeitgeber wenig Vertrauen in die digitalen Fähigkeiten der Berufsanfänger. Das ergab eine europaweite Metastudie, die das Fujitsu Program for International Digital Skill Assessment (FIDA) durchgeführt hat und vom japanischen Großkonzern Fujitsu in Auftrag gegeben wurde.

Europa braucht ein angemessenes Rahmenwerk für digitale Bildung fordern die Studienmacher Sven Kommer (RWTH Aachen), Niels Brüggen (JFF Institut für Medienpädagogik) und Christian Swertz (Universität Wien). Digitale Medien würden immer noch kaum im Unterricht eingesetzt. Lehrkräfte setzten sie selten in Verbindung mit digitalen Schlüsselfähigkeiten wie dem kollaborativen Arbeiten im Internet ein. Deutsche Schüler:innen lernen nur 12 Prozent der im Berufsleben geforderten Skills.

Nur 9 Prozent der deutschen Lehrer priorisieren den Einsatz digitaler Medien im Unterricht – in Dänemark sind es 64 Prozent. Hier arbeiten 86 Prozent der Schüler:innen mindestens einmal pro Woche kollaborativ im Netz. In Deutschland herrscht eine große Diskrepanz im individuellen Einsatz digitaler Medien von Schüler:innen. Für außerschulische Zwecke nutzen 92 Prozent digitale Medien, in der Schule hingegen nur 21 Prozent. Die Deutschen denken nicht, dass ihre Lehrer:innen guten Unterricht über digitale Medien machen können. Zudem sind nur 30 Prozent der deutschen Schulleitungen mit der Geschwindigkeit ihres Internetanschlusses zufrieden. Bei der Vermittlung von Medienkompetenz steche das Vereinigte Königreich heraus, weil es dort seit Juli 2021 ein landesweites Programm für Medienkompetenz gibt. Enno Eidens

Makerspace

Tim Kantereit: Digitaler Vordenker und Lehrer

Tim Kantereit: Lehrer und digitaler Vordenker
Tim Kantereit

Die Digitalisierung der Bildung geht schleppend voran, in den Fokus der Kritik rücken oft Lehrkräfte und ihre mangelnde Kompetenz. Tim Kantereit, selbst Lehrer, bildet zukünftige Lehrkräfte im Fach Mathematik am Landesinstitut für Schule Bremen aus. Wer sich über digitale Lehre und hybriden Unterricht informieren möchte, kommt kaum an ihm vorbei. Er weiß: Wenige angehende Lehrkräfte sind digital-affin. Nicht alle von ihnen sind aber hartgesottene Digitalisierungsverweigerer. Sie sind schlicht überfordert. “Es mangelt nicht an Informationen, es mangelt an Zeit“, sagt Kantereit.

Er selbst hat früh gelernt, sich im digitalen Raum zu bewegen. Schon als Kind hat er viel Zeit vor dem Computer verbracht. Viele Prozesse lassen sich vereinfachen, wenn man sie digitalisiert – davon ist der 39-Jährige überzeugt. Das fängt bei ihm bei der Terminvereinbarung an. Calendly, ein Online-Kalender, übernimmt das für ihn. Digitalisierung spart Zeit, betont Kantereit immer wieder. Kollaborative Whiteboard-Tools, am besten solche, die auch die Option eines Online-Meetings bieten, seien ein Beispiel dafür. Für die kollegiale Zusammenarbeit sei das eine Erleichterung. Keine lose Zettelwirtschaft mehr und die Anfahrtswege für Besprechungen am Abend fallen auch weg.

Digitalisierung hängt von äußeren Faktoren ab

Nun ist Kantereit einer, der in Sachen Digitalisierung schon früh dabei war. Seit seinem Referendariat vor mehr als zehn Jahren, versucht er Lernplattformen im Unterricht zu etablieren. Als das iPad 2 herauskam, fing Kantereit, der Geografie und Mathe unterrichtet, mit digitalen Lernpfaden und Erklärvideos für seine Schüler:innen an. Damals mangelte es aber schlicht noch an Endgeräten. 2020 kauft der Bremer Senat schließlich für mehrere Millionen Euro iPads ein. Der ausschlaggebende Faktor dafür war die Corona-Pandemie und der Distanzunterricht. Ohne solche externen Faktoren geht es nicht, sagt Kantereit. Und sobald der Präsenzunterricht wieder vollständig zurückkehre, liefen höchstwahrscheinlich viele dieser Entwicklungen Gefahr, wieder zu verschwinden.

Und das, obwohl Online-Communities wie das #twitterlehrerzimmer wachsen. Seit drei Jahren ist Kantereit dabei und tauscht sich mit Gleichgesinnten über Bildung und Digitalisierung aus. Ursprünglich auf der Suche nach innovativen Ideen für das Mathe-Referendariat, findet er dort mittlerweile auch Mitstreiter:innen für Buch- und Seminarideen. Im Laufe der Pandemie sei die Community zwar etwas unübersichtlich gewachsen und viele diskutieren ohne Klarnamen mit. Doch für Kantereit ist es immer noch eine nette Bubble für neue Impulse.

Auch junge Lehrkräfte von Digitalisierung überfordert

Außerhalb der Twitter-Bubble überwiegt aber noch immer das Gefühl der Überforderung. Von Gewöhnung oder Alltag kann noch lange nicht die Rede sein. Das merkt Kantereit auch bei den Lehrkräften, die er ausbildet. “Viele wissen nach den zwei Jahren immer noch nicht, wie sie zwischen zwei Browserfenstern wechseln”, sagt er, “oder sind überfordert, wenn sie von Teams auf Zoom und dann auf Webex wechseln müssen.” Und dabei spreche er nicht nur von den älteren Jahrgängen, die Unsicherheiten zeigten sich unabhängig vom Alter.

Für das Land Bremen kann er den Grund dafür schnell identifizieren: Digitalisierung ist kein fester Bestandteil des Studiums. Interessierte können sich über Zusatzangebote fortbilden. Für den klassischen Präsenzunterricht braucht es diese Fähigkeiten in der Regel allerdings nicht. Lehrkräfte kommen auch gut mit Kreide und Overheadprojektor durch – zum Nachteil der Schüler:innen.

Kantereits Tipps und Tricks für (angehende) Lehrkräfte

Doch Kantereit macht seinen Kolleg:innen, die nicht von Fortbildung zu Fortbildung rennen, keinen Vorwurf. Vielmehr ruft er dazu auf, sich auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen. Das Gefühl, nur noch auf Trends zu reagieren, kann er nachvollziehen. In der Ausbildung bleibe schlicht keine Zeit für eine tiefgehende Auseinandersetzung.

Er selbst bietet diese Möglichkeit in vielfacher Form. In seinem Podcast “Lauschcafe” spricht er mit verschiedenen Gästen über Bildung in der digitalisierten Welt. Darunter auch viele praktische Tipps, wie die webbasierte Quizanwendung Classtime, eine Plattform für digitale Lernzielkontrollen bei Prüfungen, Hausaufgaben und Übungen. Oder DigitalSchoolStory, womit Schüler:innen aus Lerninhalten Videos im Social Media-Format entwickeln können und ihre Medienkompetenz sowie Präsentations- und Storytelling-Fähigkeiten verbessern.

Einen richtigen Leitfaden zu hybridem Unterricht für angehende Lehrkräfte bietet Kantereits Buch “Hybridunterricht 101”. Im ersten Jahr der Pandemie veröffentlichte Kantereit als Herausgeber in Zusammenarbeit mit anderen Autor:innen, die sich über Twitter und Instagram kennen, den Sammelband. Das Buch versammelt viele Ideen und Impulse, wie man hybriden Unterricht umsetzen kann. Denn dahinter steckt mehr als Schüler:innen von zu Hause dazuzuschalten. Damit dieser gelingt, brauche es vor allem drei Dinge: die entsprechende digitale Ausstattung – besonders unter der Berücksichtigung der Bedürftigkeit mancher Schüler:innen, ein Umdenken im Konzept des Unterrichtens und eine starke Beziehung zwischen Lehrkraft und Schüler:innen.

Und schlussendlich sei digitale Bildung einfach ganz viel Ausprobieren -oder wie Kantereit gerne zu sich und seinen Kolleg:innen sagt: “Scheitert voran!” Lisa Winter

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Presseschau

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Experteninterview zu Schwächen der aktuellen Prüfungskultur BILDUNGSKLICK

Termine

25. April 2022, 14:00 Uhr
Seminarreihe: Leinen los für unsere Schulentwicklungsreise
Auch im zweiten Modul “Vision” der Seminarreihe begleitet das Team des Deutschen Schulpreises Maren Krempin und Simon Moses Schleimer bei der Vorbereitung auf einen nachhaltigen Schul- oder Unterrichtsentwicklungsprozess. INFOS & ANMELDUNG

27. April 2022, 10:00-12:00 Uhr
Online-Workshop: OER
Fachexpertin Dr. Sabine Preusse wirft einen Blick auf Chancen und Risiken von Open Educational Resources (OER). Es sollen Antworten auf Fragen nach der Erstellung, der rechtskonformen Nutzung und der zukünftigen Bedeutung von freien Lernmaterialien gegeben werden. INFOS & ANMELDUNG

Licenses:
    • Ukrainisches Lernportal Optima: Warten auf die Deutschen
    • Nationale Bildungsplattform: Interview mit Leiterin des größten Pilotprojekts BIRD
    • Bildungsökonom Dieter Dohmen über Geburtsfehler des Digitalpakts
    • Vier von zehn Schulträgern haben noch keine Digitalpakt-Mittel beantragt
    • Metastudie sieht große Defizite in Europas digitaler Bildung
    • Österreich führt informatische Bildung ab 1. Klasse ein
    • Abiturienten fühlen sich schlecht vorbereitet
    • Im Porträt: Tim Kantereit – Digitaler Vordenker und Lehrer
    • Presseschau
    • Termine
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Ukraine hat eine tadellose Online-Schule, in der man sogar Abschlüsse machen kann. Das klingt so gut, dass auch die KMK die Plattform in höchsten Tönen lobte. Einen Monat ist das nun her. Die Schule verzehnfachte seit Kriegsbeginn ihre Nutzerzahlen – und bietet geflüchteten Schüler:innen Kontinuität. Doch wartet die Optima-Schule nach wie vor vergebens auf Unterstützung staatlicher Stellen in Deutschland, wie die Recherchen von Christian Füller zeigen. Es wird geprüft, geprüft und noch mal geprüft, während der Realitätsdruck längst entschiedenes Handeln verlangt.

    Die Nationale Bildungsplattform, Prestigevorhaben der alten Bundesregierung, gewinnt allmählich an Kontur. BIRD, das größte Pilotprojekt, feiert derzeit Bergfest. Im Interview zieht Projektleiterin Ulrike Lucke eine erste Bilanz, antwortet Kritikern des Projekts und verrät, was sie sich für die zweite Phase wünscht.

    Zudem möchte ich Ihnen den Blogpost des Bildungsökonomen Dieter Dohmen ans Herz legen. Er seziert die Geburtsfehler des Digitalpakts und erklärt, warum das Vorhaben scheitern musste. Eine Umfrage von Bildung.Table unter den Ländern, in denen die Fristen bald enden, ergibt: Vier von zehn Schulträgern haben noch keinen Antrag gestellt. Für Verantwortliche, die sich in den Osterferien durch den Antrags-Dschungel schlagen, wurde unlängst diese aufschlussreiche Broschüre zum Vergaberecht beim Digitalpakt veröffentlicht. Hoffen wir, dass der Digitalpakt 2.0 solches Material obsolet machen wird.

    Frohe Feiertage wünscht Ihnen

    Ihr
    Niklas Prenzel
    Bild von Niklas  Prenzel

    Analyse

    Kiewer Online-Schule Optima: Warten auf die Deutschen

    Karin Prien war voll des Lobes. Die Lernportale der Ukraine und insbesondere eines seien weit fortgeschritten, pries die Präsidentin der Konferenz der Kultusminister (KMK), nämlich die – wie wir heute wissen – Online-Schule Optima. Seitdem durchläuft die ukrainische Plattform eine widersprüchliche Entwicklung: Weil in der Ukraine ein grausamer Krieg tobt, loggen sich jeden Tag 1.000 neue Schülerinnen und Schüler auf dem Portal ein – aus ganz Europa. Inzwischen sind 100.000 junge Ukrainerinnen Nutzer der Distanzschule, in der man auch ukrainische Abschlüsse ablegen kann. Aus Deutschland besuchen inzwischen fast 10.000 geflüchtete Schüler die Plattform. Die staatlichen deutschen Stellen allerdings warten. Es gab inzwischen Verhandlungen mit der Kultusbürokratie – bisher ohne eine konkrete Hilfezusage. “Wir sind dankbar für den Prozess”, sagte Optima-Sprecher Yuriy Balkin Bildung.Table, “aber es geht, ehrlich gesagt, zu langsam.” 

    Die Deutschen prüfen, prüfen und prüfen Optima

    Das Verfahren mutet an wie beim Boykott von Rohstoffen aus Russland oder der Lieferung von Waffen an die Ukraine. Das angegriffene Land mahnt ohne Unterlass. Aber die Deutschen prüfen, prüfen und prüfen. Am Montag hat Hans Beckmann, der Vorsitzende der “Taskforce Ukraine” der Kultusminister, die extra eingerichtet wurde, um den Hilfeprozess zu beschleunigen, mit den Vertretern von Optima gesprochen. In einer Videokonferenz ging es darum, was Optima eigentlich ist und viele Schüler in der Online-Schule lernen könnten. Die Repräsentanten der privaten, aber staatlich lizenzierten Fernschule, können die Fragen inzwischen wohl im Schlaf aufsagen

    Zuletzt hatte vor ungefähr drei Wochen Michael Frost vom Medieninstitut der Länder (FWU) diese Fragen gestellt. Die KMK hatte eigens ihn beauftragt, weil er den technischen Sachverstand hat, um Optima zu prüfen. Aber dann geschah: nichts. “Wir können das ja nicht entscheiden, deswegen haben wir es an die Taskforce abgegeben”, sagte ein Sprecher der FWU auf Nachfrage. Am Montag stellte nun Hans Beckmann wieder dieselben Fragen. 

    40 Prozent der 100.000 Nutzer von Optima nicht mehr in der Ukraine

    Bei all diesen Fragen geht Optima die Zeit aus. Das Angebot ist nicht nur, wie bei den Lernmanagementsystemen der Bundesländer üblich, ein Kommunikationssystem und eine Ablage für Lerninhalte. Optima ist eine richtige Fern-Schule. Es gibt dort auch Kurse, in denen Lehrer:innen ihre Schüler online betreuen. Vor dem Krieg hatte Optima nur 9.500 Nutzer:innen. Inzwischen sind es fast 100.000. Rund 40 Prozent der Schüler:innen greifen von außerhalb der Ukraine auf die Angebote zu – die meisten aus Polen und Deutschland. 

    Das Ganze ist kostenfrei. Denn Optima hat mit Kriegsbeginn seine pädagogischen Angebote auf Gratis umgestellt. Und die Fernschule hat dafür gesorgt, dass auch im Fall des Einschlagens einer Bombe auf die Server in der Ukraine das Angebot gesichert bliebe. Genauer hat “Amazon Web Services” Optima geholfen. AWS hat das ganze Angebot auf seine Server geladen – als Nothilfe und umsonst. Die Unterstützung aus Deutschland lässt indes auf sich warten. “Wir brauchen finanzielle Hilfe, damit wir unsere Lernangebote weiter abhalten können”, sagte Yuriy Balkin. “Es ist wichtig, dass die Lehrer und die Techniker Geld bekommen.” Doch das scheiterte bisher an der deutschen Gründlichkeit. “Wir haben gute Gespräche mit Deutschland. Nur gibt es noch keinen Abschluss.” 

    “Taskforce Ukraine”: 16 Vertreter beraten – und entscheiden nichts

    Ein Teil des Problems der Verhandlungen mit Optima könnte die sogenannte “Taskforce Ukraine” der KMK sein. Es ist für Journalisten kaum möglich, zu erfahren, was diese Taskforce eigentlich macht. Der Leiter Hans Beckmann ist persönlich nicht zu konsultieren, weil er so viel zu tun habe. Das Beispiel der Online-Schule Optima zeigt allerdings, dass möglicherweise nicht besonders viel Force in der KMK-Taskforce steckt. Die Runde um Beckmann, einem pensionierten Staatssekretär, ist so etwas wie eine kleine KMK. Jedes Bundesland entsendet dorthin, so die Auskunft, “Abteilungsleiter- bzw. Referentenebene in das Arbeitsgremium TFU, die die unterschiedlichen Fachexpertisen der Ministerien repräsentieren.” Das bedeutet, dass vor der sehr langsam entscheidenden Kultusministerkonferenz nun eine weitere nichtoperative Einheit vorgeschaltet ist, die genau dasselbe tut: beraten. Entscheiden kann die Taskforce nichts. Sie kann selbst im Ernstfall Krieg in die Belange einzelner Länder nicht eingreifen. 

    Vergangene Woche schien es so, dass die Online-Schule Optima bei der KMK vom Tisch sei. Ländervertreter bestätigten den Vorbehalt gegen das private Optima. Man konzentriere sich auf Gespräche mit der Plattform “All Ukrainian School Online”, hieß es. Das ist eine staatliche Plattform, die viel kleiner ist als Optima und keine Abschlüsse anbietet. Der Grund für die Kooperation liegt wohl darin, dass diese Plattform umsonst ist. Daneben führten einzelne Länder auch “erste Gespräche” mit Optima – vier Wochen nach dem großen Lob von Karin Prien. Am Montag freilich hat sich das Blatt gewendet. Nun wurde mitgeteilt, dass intensiv an einer Vereinbarung mit Optima gearbeitet werde. Und plötzlich wurde auch Taskforce-Boss Beckmann aktiv. Er schaltete sich in ein Meeting mit Vertretern von Optima ein. 

    Eine Stiftung will monatlich 150.000 Euro geben, um den Betrieb zu gewährleisten

    Bildung.Table wollte von der Taskforce erfahren, wie es mit dem Online-Unterricht durch ukrainische Portale nun weitergeht. Die Antwort aus dem Haus von Kultuspräsidentin Karin Prien, die die Kommunikation für die Taskforce übernommen hat: “Die Task Force Ukraine (TFU) beschäftigt sich auch mit diesem Thema und wird es strukturiert aufarbeiten und beraten.” Es gebe noch keine Entscheidung. 

    Es bleibt eine Hoffnung für Optima, die mit der richtigen Förderung eine halbe Million Schüler betreuen könnte. Die Bosch-Stiftung wird die Schule mit 150.000 Euro bezuschussen – übergangsweise. Dazu kommt weiteres Geld von der Initiative Alliance4Ukraine, “um den Betrieb zunächst bis zum Ende des ukrainischen Schuljahres Ende Mai zu stabilisieren.” Dann sollten hoffentlich die staatlichen Stellen in Deutschland so weit sein, die Weiterfinanzierung zu übernehmen. 

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    “Wir bauen die Infrastruktur für die digitale Bildung”

    Auf dem Foto ist Ulrike Lucke zu sehen, Leiterin von BIRD der Nationale Bildungsplattform
    Feiert Bergfest mit ihrem BIRD-Projekt: Leiterin Ulrike Lucke

    Frau Lucke, es herrscht ein gewisses Informationsdefizit. So richtig verstehen nur wenige, was die Nationale Bildungsplattform sein wird und wie der Stand der Umsetzung ist. Beginnen wir simpel: Wie lautet derzeit ihr Elevatorpitch?

    Als Mutter von drei Kindern habe ich in zwei Jahren Corona gesehen, wie verschiedenartig die Schulen mit dem digitalen Unterricht umgegangen sind. Wir haben in der Forschung in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte in der digitalen Bildung gemacht. Es schmerzt mich, zu sehen, wie wenig dieser Fortschritte in der digitalen Bildung tatsächlich in der Schulpraxis angekommen sind. Hier setzt die Plattform an.

    Und wie will die Nationale Bildungsplattform diesen Schmerz lindern?

    Sie ist eine große Vernetzungsplattform. Es soll nicht neu gebaut werden, was es schon gibt, sondern das, was es schon gibt, miteinander verbunden werden. Bildung funktioniert überall anders. Ob berufliche Bildung, Studium, Weiterbildung oder Schule: Sie soll in ihrer Verschiedenartigkeit Bestand haben dürfen. Im Moment haben wir viele einzelne Lösungen für digitale Bildung. Darunter liegt nichts anderes als das nackte Internet. Es ist so, als würde es viele tolle Busse und Autos geben, aber kein ausgefeiltes Straßennetz, sodass sie auf dem blanken Erdboden fahren müssen. Wir bauen die Infrastruktur für die digitale Bildung.

    Vielleicht ist es die klassische German Angst, aber der Vorwurf der Gigantomanie oder des Werkelns an einem neuen endlosen Infrastrukturprojekt, wie dem BER, wird von Kritikern oft erhoben.

    Leute, mit denen ich fachlich im Austausch stehe, erheben diesen Vorwurf mir gegenüber nicht. Meistens wird mit Blick auf BIRD gesagt, dass wir eher zu klein denken würden, weil wir dies und das und jenes noch nicht mit reinnehmen. Deutschland hat so einen riesigen Rückstand beim Thema Digitalisierung in der Bildung – oder überhaupt Innovationen in der Bildung -, dass wir nicht schnell genug beginnen können aufzuholen.

    Mit dem Bildungsraum Bildung, kurz: BIRD, verantworten Sie das größte der vier Pilotprojekte. Es feiert derzeit Bergfest und wird noch ein weiteres Jahr vom BMBF gefördert. Fliegt der Vogel schon?

    Ja, im Käfig flog er schon nach einem halben Jahr. Mein Auftrag ist es aber, “nur” einen Prototyp zu entwickeln, mit dem das BMBF dann weiterarbeiten und Ausschreibungen verfassen kann. BIRD stellt die Middleware bereit, das technische Rückgrat für die Plattform. Die Nationale Bildungsplattform soll kein neues Lernmanagementsystem werden, sondern die LMS dieser Welt miteinander verknüpfen können. Die Oberflächen bleiben für die User gleich. Im Hintergrund können sich die Anwendungen aber mit der Plattform verbinden. Sie tauschen nur Metadaten, keine personenbezogenen Daten, aus.

    Sehen Sie wirklich so viele Usecases für diese Anwendung? Die Metaplattform wird eine Parallelstruktur sein, die sich gegen bestehende Angebote wird durchsetzen müssen.

    Die Anwendungen, die es schon gibt, kommunizieren nicht miteinander. Sie sollen weiter bestehen, aber eine leicht zu implementierende Schnittstelle anbieten. Durch die Interoperabilität benötigen Nutzer zum Beispiel nur noch einen Login, um sich bei den verschiedenen Lernplattformen anzumelden. Im Bildungsbereich nutzen wir aus gutem Grund keinen Google-Account, mit dem ich mich in allen Schulen und Hochschulen anmelden kann. Auf etwas Ähnliches, nur ohne das Abfließen personenbezogener Daten, bauen wir.

    Ich habe meine Zugangsdaten für den digitalen Personalausweis verlegt, weil ich ihn nie benötige. Wer wird sich auf der staatlichen Metaplattform wirklich einloggen?

    Mein Lieblingsbeispiel ist die Lehramtsstudentin. Sie kann die verschiedenen Plattformen als Studentin in ihren Unikursen und als Lehrerin für ihr Schulpraktikum dann durchgängig nutzen, ohne händisch Material zu übertragen. Lehrerinnen und Lehrern stünden auf einer solchen Plattform mehr Materialien zur Verfügung. Die digitalen Bildungsanbieter bekommen eine höhere Reichweite und damit mehr Nutzende. Ich sehe viele Vorteile und damit viele Usecases.

    Einige kommerzielle Anbieter, wie die Initiative der deutschen digitalen Bildungsanbieter, werfen dem BMBF-Projekt vor, zu wenig bei der Planung mit einbezogen zu werden. Könne Sie die Kritik nachvollziehen?

    Nein, überhaupt nicht. Wenn sie von Schulträgern käme, schon eher. Die haben wir in unserem Projektkonsortium nicht dabei. Aber die kommerziellen Anbieter haben wir mit dem Bündnis für Bildung sehr wohl an Bord. Ich kann den Kolleginnen und Kollegen, die sich nicht vertreten fühlen, nur raten: Wenden Sie sich an das Bündnis für Bildung. Inhaltlich habe ich aus der Richtung übrigens noch keine Sorge gehört, die sich nicht entkräften ließe.

    Setzen Sie auch auf neue Technologien wie Learning Analytics oder Blockchain, zum Beispiel für die digitale Zeugniswallet?

    Nein, wenn ich mir den Klimawandel anschaue, weiß ich nicht, warum wir dafür eine Blockchain, mit ihrem immensen Energieverbrauch einsetzen sollten. Learning Analytics sind möglich, aber derzeit noch nicht vorgesehen. Sie bringen Vorteile, könnten Empfehlungen für nächste Bildungsbausteine aussprechen oder Lehrenden sagen, an welcher Stelle im Lernprozess sie noch mal hinschauen müssten. Hier bewegt man sich aber immer im Spannungsverhältnis mit personenbezogenen Daten. BIRD arbeitet nur an der verknüpfenden Schicht. Wenn einzelne Bildungsanbieter auf Learning Analytics setzen, könnten wir das auch unterstützen.

    Was würde eine Phase Zwei der Nationalen Bildungsplattform noch in den Fokus nehmen?

    Im Moment sind wir in der Laborphase und dadurch sehr aufs Technische konzentriert. In einer zweiten Phase wünsche ich mir noch mehr pädagogische und mediendidaktische Begleitforschung. Wie nutzen Lehrerinnen und Schüler eine solche Plattform? Wichtig ist mir auch eine Evaluation, damit wir am Ende zeigen können, dass die Steuermillionen, die in diese Plattform fließen, wirklich einen positiven Effekt haben. Wenn wir alles richtig gemacht haben, kommt am Ende mehr Gewinn als die sieben Millionen Euro, die ins Projekt geflossen sind, heraus.

    Ulrike Lucke ist Informatikerin und Professorin für Komplexe Multimediale Anwendungsarchitekturen an der Universität Potsdam. Sie koordiniert das Verbundprojekt BIRD, in dem unter anderem der DAAD, die TU Berlin und Bündnis für Bildung zusammenarbeiten.

    • Bildungspolitik
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    Blogpost

    Der Digitalpakt hatte nie eine Chance

    Länder Kommunen Digitalpakt
    Bildungsforscher Dieter Dohmen

    Ein Gastbeitrag von Dieter Dohmen

    Vor sechs Jahren brachte die damalige Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) den Digitalpakt für Länder und Kommunen ins Spiel. Es war das Angebot, Bundesmittel bereitzustellen, um die Schulen zu digitalisieren. Dieser Digitalpakt-Vorstoß bedeutete gleichsam, dass Länder und Kommunen zuvor ihre Aufgaben nicht bzw. nur unzureichend wahrgenommen hatten. Sie haben die Digitalisierung der Schulen schlichtweg verschlafen.

    Man muss ihnen zugutehalten, dass dieses Vorhaben mit sehr hohen investiven und laufenden Kosten verbunden ist. Die Digitalisierung von Schulen ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten – und damit ein Alptraum für Haushälter wie Verantwortliche. Zudem stehen bundesweit viele Kommunen unter Haushaltssicherung. Sie dürfen nur zwingend notwendige zusätzliche Ausgaben übernehmen. Und dabei gibt es eine ganze Reihe an unterschiedlichen finanzwirksamen Anforderungen an die Kommunen wie Kita-Ausbau und Flüchtlingskrisen. Alleine beim Schulbau haben die Kommunen laut KfW einen Investitionsstau von rund 45 Milliarden Euro.

    Hatte der Digitalpakt überhaupt Aussicht auf Erfolg?

    Der “Digitalpakt I” traf und trifft also auf ohnehin finanziell überforderte Schulträger. Sie können ihren vielen Aufgaben nicht mehr nachkommen, solange es für sie keine bessere Finanzausstattung gibt. Der Vorschlag von Ministerin Wanka legte den Finger in die Wunde der Länder und Kommunen. Praktisch kann der Bund aber nur dann tätig werden, wenn die Länder allesamt zugestimmt haben. Dabei ist jedes Land in der Pflicht, das Bestmögliche aus der Bundesfinanzierung herauszuholen. Grundsätzlich ist die Position der Länder ohnehin: Wir nehmen das Geld des Bundes gerne, insbesondere, wenn wir damit machen, was wir wollen. Deswegen wollen die Länder am liebsten eine Erhöhung ihres Anteils an der Umsatzsteuer.

    Diese Kombination von Faktoren erklärt, warum es satte drei Jahre bis zum Mai 2019 dauerte, ehe der Digitalpakt das Licht der Welt erblickte. Der Bund gab fünf Milliarden Euro, die Länder waren gefordert, mindestens zehn Prozent obendrauf zu legen, kommunales Geld ist dabei Landesgeld. Im Schnitt standen somit für jede der 40.000 Schulen 137.500 Euro zur Verfügung – oder 500 Euro je Schüler:in.

    Monatelange Antragsstellung für den Digitalpakt

    Mit diesen Mitteln konnte insbesondere Infrastruktur und “Hardware” beschafft werden. Die Verwaltungsvereinbarungen mit den 16 Ländern waren die Basis für die Landesregelungen, die die entsprechenden Fördervoraussetzungen weiter spezifizierten. Dazu gehörten unter anderem Medien- und Fortbildungskonzepte. Schulen mussten in Vorleistung gehen, um die geforderten Konzepte zu entwickeln. 

    Dafür mussten sich Schulträger und Schulen zusammensetzen, neben Schulamt und -leitung auch das Bauamt oder die Finanzabteilung. Alle Beteiligten mussten sich in die Förderlogik einarbeiten. Am Ende sollten Konzepte zur Mediendidaktik und Lehrkräftefortbildung stehen. Beides setzt voraus, dass man das Projekt vollständig durchdenkt – oder Expert:innen an der Hand hat. Letztere tun dies aber selten ohne Honorierung. 

    Die Erstellung dieser konzeptionellen Dokumente wie auch des Antrags mit den technischen Komponenten und der Kostenangaben dauert bereits unter normalen Umständen viele Monate. Um die Kosten zu ermitteln, braucht es Marktsichtung und die Spezifikation der Anforderungen. All dies verzögert die Antragstellung beim Digitalpakt.

    Folgekosten bleiben bei Kommunen hängen

    Ein weiterer wichtiger Faktor für die Zurückhaltung vieler Kommunen sind die Folgekosten. Sie bleiben fast vollständig bei ihnen hängen: laufende Kosten für den Breitbandzugang und das Internet, für Software-Lizenzen und für die so wichtigen IT-Administratoren. Die 2020 bereitgestellten 500 Mio. Euro für den Administratoren-Pakt sollten die Lücke teilweise schließen, erwiesen sich als unzureichend, jenseits der Frage, ob es überhaupt genügend qualifizierte Personen gibt. Umgerechnet stehen jeder der 40.000 Schulen gerade einmal 12.500 Euro zur Verfügung.

    Als wäre dies alles nicht bereits Anforderung genug, bestimmte ab März 2020 die Corona-Pandemie das gesamte Leben. Hierdurch wurden nicht nur die Schulen massiv gefordert, die genauso wie die kommunalen und Landesbehörden im Lockdown waren. Die bereits für den Normalbetrieb unzureichende technische Ausrüstung führte in dieser Krise dazu, dass das Land oft wirklich stillstand, Behörden nicht mehr erreichbar, Mitarbeitende ohne Ausstattung im Homeoffice waren.

    Radikale Vereinfachung der Vorschriften

    Was mit Blick auf die schnelle technische Ausstattung der Schulen hätte passieren müssen, erfolgte nicht: Budgets heraufsetzen, Vorschriften radikal vereinfachen, Anforderungen herabsetzen. Stattdessen mussten die Schulen trotz zumeist völlig unzureichender Rahmenbedingungen auf Distanzunterricht umstellen – von jetzt auf gleich. Eine solche Umstellung geht nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Während Unternehmen im Zweifel einiges an Druck entfalten können, damit die Mitarbeiter:innen das tun, was sie sollen, ist dies in Schulen nur bedingt möglich. 

    Warum wurde an überhöhten und praxisfernen Vorgaben festgehalten? Grundaufgabe der öffentlichen Verantwortungsträger ist, ausnahmslos alle Schulen angemessen für einen digitaleren Unterricht auszustatten. Der Bund kann sich daran beteiligen, aber es sollte nicht Aufgabe des Bundes sein, dafür Sorge zu tragen, dass Länder und Kommunen ihren Kernaufgaben nachkommen – und dies dann in Form eines überkomplexen, antragsbasierten Verfahrens tut. Das Vorgehen scheint nur sinnvoll, wenn man einerseits den guten Willen bekunden und sich ein Programm auf die Fahnen schreiben möchte, aber andererseits nicht will, dass die Mittel auch wirklich abgerufen werden.

    Der Digitalpakt ist ein Beispiel, dass die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen nicht gut funktioniert. Da dies aber kein Einzelfall ist, muss die Kooperation grundlegend überdacht und auf andere Füße gestellt werden. Da für Bildung formal die Länder zuständig sind, und dies auch regelmäßig einfordern, gibt es m. E. zwei Optionen: Entweder setzen sich alle drei Ebenen ernsthaft an einen Tisch und hören mit dem politischen Pille-Palle-Spiel auf. Oder der Bund überweist seinen Anteil an der Finanzierung des Bildungssystems und überträgt den Ländern die volle Verantwortung für die Bildung. Mir wäre ersteres lieber, ich weiß aber nicht, ob es wirklich erfolgversprechend ist.

    Der Bildungsforscher und -ökonom Dieter Dohmen ist Direktor des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie in Berlin. Der Text ist eine gekürzte Fassung einer Analyse auf http://www.fibs.eu/.

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    News

    Digitalpakt: Vier von zehn Schulträgern ohne Antrag

    In den Ländern, wo die Antragsfrist für den Digitalpakt bald abläuft, haben bis zu 40 Prozent noch keinen Antrag gestellt. (Bildung.Table berichtete) Das ergab eine Umfrage unter den Ländern mit kurzen Fristen. Vor allem die beiden großen Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern hinken hinterher. In Baden-Württemberg endet die Antragsfrist am 30. April – dort haben 773 Schulträger noch keinen Antrag gestellt (von 1.580).

    In Bayern ist zwar noch zwei Monate länger Zeit. Aber auch dort fehlen noch die Antragspapiere von rund 1.000 Schulträgern. Von 2.559 Trägern haben bisher 1.600 Anträge eingereicht. In Bayern und Baden-Württemberg sind noch über eine Milliarde aus dem Digitalpakt zu haben; wenig Zeit für viel Geld. Aber auch in Rheinland-Pfalz und Saarland, wo die Schulträger bis 16. Mai ihre Anträge fertig haben müssen, fehlen noch etliche Schulträger. In Rheinland-Pfalz gibt es 387 Schulträger – 85 von ihnen haben noch nichts abgegeben. Im Saarland gibt es 59 Schulträger, von denen acht noch keinen Antrag gestellt haben.

    Länder und Bündnis für Bildung helfen Schulträgern

    Alle Bundesländer, deren Schulträger im Verzug sind, helfen den Schulen. “Wir bieten diesen Kommunen erneut Beratung an“, sagte ein Sprecher des Bildungsministeriums im Saarland. In Rheinland-Pfalz wurde eine Informationsveranstaltung abgehalten. “Wir sprechen auch Schulträger gezielt telefonisch an und beantworten offene Fragen“, sagte ein Sprecher von Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD). Der Sprecher des bayerischen Bildungsministers Michael Piazolo (Freie Wähler) kündigte an, “über das Verfahren zur Vergabe eventueller Restmittel nach Ablauf der ersten Antragsfrist zu entscheiden.” Das bedeutet: Ab 1. Juli beginnt in Bayern das Hauen und Stechen um die verbleibenden Millionen – und zugleich um die Zukunft von Minister Piazolo. Wie es heißt, warten viele im Freistaat nur darauf, dass die Freien Wähler den Digitalpakt nicht erfolgreich zu Ende bringen.

    Das “Bündnis für Bildung” fordert indes einen grundlegenden Kurswechsel beim Digitalpakt. Unter der Überschrift “DigitalPakt 2.0 besser machen” listete der aus Gebietskörperschaften und Unternehmen bestehende Verband Fehler und Verbesserungsvorschläge auf. Das Bündnis verlangt, “Ausschreibungsunterlagen, Vergaberegeln und Antragsverfahren zu vereinfachen” sowie mit Rahmenverträgen zu arbeiten. Die Abrechnungsmodalitäten seien zu vereinfachen und praxisnäher zu gestalten. Zudem sei “bei Vorfinanzierung sowie kommunalen Eigenanteilen darauf zu achten, dass dies aus den kommunalen Haushalten leistbar ist.” Der Grund: Viele Schulträger sind finanziell so knapp, dass sie keine Anträge stellen können. cif

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    Österreichs Masterplan: Informatische Bildung wird Pflichtfach ab 1. Klasse

    Österreichs Schüler:innen bekommen mehr Unterricht im Themenfeld Digitalisierung. Neue Lehrpläne für das Schuljahr 2022/23 sehen die Einführung des Pflichtfachs “Digitale Grundbildung” mit einer Wochenstunde für Fünf- bis Siebtklässler vor. Dieses Pflichtfach gibt es bereits an Mittelschulen, bisher allerdings ohne Benotung. Mit Beginn des Schuljahrs 2023/24 werden die übergreifenden Themen “Informatische Bildung” und “Medienbildung” ab der 1. Klasse zur Pflicht. Das und mehr ergaben die Antworten auf eine parlamentarische Anfrage der liberalen Neos-Partei. Die Neos bezogen sich bei Ihrer Anfrage auf die Inhalte des Masterplan Digitalisierung in der Bildung, dessen Erstellung das österreichische Parlament vor vier Jahren beschlossen hatte. Welche Inhalte in den neuen Fächern unterrichtet werden, steht noch nicht vollständig fest, berichtet der Standard mit Verweis auf die APA.

    Dieser Plan sieht unter anderem eine grundlegende Überarbeitung bestehender Lehrpläne, Modernisierungen für Hardware und IT-Infrastruktur und Fortbildungen vor. Auf diesem Weg will das österreichische Bildungsministerium die digitale Transformation der Bildungslandschaft vorantreiben. Das Papier ist vergleichbar mit der KMK-Strategie Bildung in der Digitalen Welt. Der österreichische Plan steht seit 2018, zwei Jahre später kam ein Acht-Punkte-Plan für den digitalen Unterricht hinzu. 250 Millionen Euro Budget stehen für “den nächsten Entwicklungsschritt” beim digital gestützten Lehren und Lernen bis 2024 bereit. Enno Eidens

    Abiturienten fühlen sich schlecht vorbereitet

    Er ist der erste Abiturjahrgang, der seine komplette Oberstufen-Zeit in der Pandemie bestritten hat. Zwei Drittel (67 Prozent) der Schülerinnen und Schüler, die in den kommenden Wochen ihre Abiturprüfungen ablegen, fühlen sich nicht gut vorbereitet. 15,9 Prozent beklagen, viel verpasst und Angst vor einem schlechten Abschneiden zu haben. Lediglich etwa jede:r Zehnte (12,6 Prozent) ist positiv gestimmt und fühlt sich ausreichend von den Lehrenden unterstützt. Die Zahlen hat der Bildungsanbieter simpleclub erhoben und dazu eine Umfrage auf seiner Lernplattform und via Social Media unter 1.200 Absolvent:innen durchgeführt.

    Im vergangenen Jahr hatte das Unternehmen die Daten ebenso erhoben. Abiturient:innen äußerten ähnliche Sorgen. Wie berechtigt diese sind, ist mit Blick auf die endgültigen Ergebnisse fraglich. Der Abiturjahrgang 2021 erzielte mit 2,27 die beste Durchschnittsnote. Seit Jahren steigt sie kontinuierlich und hatte 2020 bei 2,37 gelegen. “Auch wenn man den gebeutelten Abschluss­jahrgängen gute Noten gönnt, darf man nicht die Augen davor verschließen, dass diese Noteninflation nicht nur gute Seiten hat”, hatte Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, dazu dem RND gesagt. npr

    • Coronavirus

    Europas Schulen vermitteln wenig Medienkompetenz

    Europäische Schüler:innen erwerben ihre digitalen Kompetenzen größtenteils außerhalb der Schule. Zudem fehlen ihnen wichtige Skills für den Beruf, sowie Medienkompetenz und Wissen über Datenschutz. Deshalb haben Arbeitgeber wenig Vertrauen in die digitalen Fähigkeiten der Berufsanfänger. Das ergab eine europaweite Metastudie, die das Fujitsu Program for International Digital Skill Assessment (FIDA) durchgeführt hat und vom japanischen Großkonzern Fujitsu in Auftrag gegeben wurde.

    Europa braucht ein angemessenes Rahmenwerk für digitale Bildung fordern die Studienmacher Sven Kommer (RWTH Aachen), Niels Brüggen (JFF Institut für Medienpädagogik) und Christian Swertz (Universität Wien). Digitale Medien würden immer noch kaum im Unterricht eingesetzt. Lehrkräfte setzten sie selten in Verbindung mit digitalen Schlüsselfähigkeiten wie dem kollaborativen Arbeiten im Internet ein. Deutsche Schüler:innen lernen nur 12 Prozent der im Berufsleben geforderten Skills.

    Nur 9 Prozent der deutschen Lehrer priorisieren den Einsatz digitaler Medien im Unterricht – in Dänemark sind es 64 Prozent. Hier arbeiten 86 Prozent der Schüler:innen mindestens einmal pro Woche kollaborativ im Netz. In Deutschland herrscht eine große Diskrepanz im individuellen Einsatz digitaler Medien von Schüler:innen. Für außerschulische Zwecke nutzen 92 Prozent digitale Medien, in der Schule hingegen nur 21 Prozent. Die Deutschen denken nicht, dass ihre Lehrer:innen guten Unterricht über digitale Medien machen können. Zudem sind nur 30 Prozent der deutschen Schulleitungen mit der Geschwindigkeit ihres Internetanschlusses zufrieden. Bei der Vermittlung von Medienkompetenz steche das Vereinigte Königreich heraus, weil es dort seit Juli 2021 ein landesweites Programm für Medienkompetenz gibt. Enno Eidens

    Makerspace

    Tim Kantereit: Digitaler Vordenker und Lehrer

    Tim Kantereit: Lehrer und digitaler Vordenker
    Tim Kantereit

    Die Digitalisierung der Bildung geht schleppend voran, in den Fokus der Kritik rücken oft Lehrkräfte und ihre mangelnde Kompetenz. Tim Kantereit, selbst Lehrer, bildet zukünftige Lehrkräfte im Fach Mathematik am Landesinstitut für Schule Bremen aus. Wer sich über digitale Lehre und hybriden Unterricht informieren möchte, kommt kaum an ihm vorbei. Er weiß: Wenige angehende Lehrkräfte sind digital-affin. Nicht alle von ihnen sind aber hartgesottene Digitalisierungsverweigerer. Sie sind schlicht überfordert. “Es mangelt nicht an Informationen, es mangelt an Zeit“, sagt Kantereit.

    Er selbst hat früh gelernt, sich im digitalen Raum zu bewegen. Schon als Kind hat er viel Zeit vor dem Computer verbracht. Viele Prozesse lassen sich vereinfachen, wenn man sie digitalisiert – davon ist der 39-Jährige überzeugt. Das fängt bei ihm bei der Terminvereinbarung an. Calendly, ein Online-Kalender, übernimmt das für ihn. Digitalisierung spart Zeit, betont Kantereit immer wieder. Kollaborative Whiteboard-Tools, am besten solche, die auch die Option eines Online-Meetings bieten, seien ein Beispiel dafür. Für die kollegiale Zusammenarbeit sei das eine Erleichterung. Keine lose Zettelwirtschaft mehr und die Anfahrtswege für Besprechungen am Abend fallen auch weg.

    Digitalisierung hängt von äußeren Faktoren ab

    Nun ist Kantereit einer, der in Sachen Digitalisierung schon früh dabei war. Seit seinem Referendariat vor mehr als zehn Jahren, versucht er Lernplattformen im Unterricht zu etablieren. Als das iPad 2 herauskam, fing Kantereit, der Geografie und Mathe unterrichtet, mit digitalen Lernpfaden und Erklärvideos für seine Schüler:innen an. Damals mangelte es aber schlicht noch an Endgeräten. 2020 kauft der Bremer Senat schließlich für mehrere Millionen Euro iPads ein. Der ausschlaggebende Faktor dafür war die Corona-Pandemie und der Distanzunterricht. Ohne solche externen Faktoren geht es nicht, sagt Kantereit. Und sobald der Präsenzunterricht wieder vollständig zurückkehre, liefen höchstwahrscheinlich viele dieser Entwicklungen Gefahr, wieder zu verschwinden.

    Und das, obwohl Online-Communities wie das #twitterlehrerzimmer wachsen. Seit drei Jahren ist Kantereit dabei und tauscht sich mit Gleichgesinnten über Bildung und Digitalisierung aus. Ursprünglich auf der Suche nach innovativen Ideen für das Mathe-Referendariat, findet er dort mittlerweile auch Mitstreiter:innen für Buch- und Seminarideen. Im Laufe der Pandemie sei die Community zwar etwas unübersichtlich gewachsen und viele diskutieren ohne Klarnamen mit. Doch für Kantereit ist es immer noch eine nette Bubble für neue Impulse.

    Auch junge Lehrkräfte von Digitalisierung überfordert

    Außerhalb der Twitter-Bubble überwiegt aber noch immer das Gefühl der Überforderung. Von Gewöhnung oder Alltag kann noch lange nicht die Rede sein. Das merkt Kantereit auch bei den Lehrkräften, die er ausbildet. “Viele wissen nach den zwei Jahren immer noch nicht, wie sie zwischen zwei Browserfenstern wechseln”, sagt er, “oder sind überfordert, wenn sie von Teams auf Zoom und dann auf Webex wechseln müssen.” Und dabei spreche er nicht nur von den älteren Jahrgängen, die Unsicherheiten zeigten sich unabhängig vom Alter.

    Für das Land Bremen kann er den Grund dafür schnell identifizieren: Digitalisierung ist kein fester Bestandteil des Studiums. Interessierte können sich über Zusatzangebote fortbilden. Für den klassischen Präsenzunterricht braucht es diese Fähigkeiten in der Regel allerdings nicht. Lehrkräfte kommen auch gut mit Kreide und Overheadprojektor durch – zum Nachteil der Schüler:innen.

    Kantereits Tipps und Tricks für (angehende) Lehrkräfte

    Doch Kantereit macht seinen Kolleg:innen, die nicht von Fortbildung zu Fortbildung rennen, keinen Vorwurf. Vielmehr ruft er dazu auf, sich auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen. Das Gefühl, nur noch auf Trends zu reagieren, kann er nachvollziehen. In der Ausbildung bleibe schlicht keine Zeit für eine tiefgehende Auseinandersetzung.

    Er selbst bietet diese Möglichkeit in vielfacher Form. In seinem Podcast “Lauschcafe” spricht er mit verschiedenen Gästen über Bildung in der digitalisierten Welt. Darunter auch viele praktische Tipps, wie die webbasierte Quizanwendung Classtime, eine Plattform für digitale Lernzielkontrollen bei Prüfungen, Hausaufgaben und Übungen. Oder DigitalSchoolStory, womit Schüler:innen aus Lerninhalten Videos im Social Media-Format entwickeln können und ihre Medienkompetenz sowie Präsentations- und Storytelling-Fähigkeiten verbessern.

    Einen richtigen Leitfaden zu hybridem Unterricht für angehende Lehrkräfte bietet Kantereits Buch “Hybridunterricht 101”. Im ersten Jahr der Pandemie veröffentlichte Kantereit als Herausgeber in Zusammenarbeit mit anderen Autor:innen, die sich über Twitter und Instagram kennen, den Sammelband. Das Buch versammelt viele Ideen und Impulse, wie man hybriden Unterricht umsetzen kann. Denn dahinter steckt mehr als Schüler:innen von zu Hause dazuzuschalten. Damit dieser gelingt, brauche es vor allem drei Dinge: die entsprechende digitale Ausstattung – besonders unter der Berücksichtigung der Bedürftigkeit mancher Schüler:innen, ein Umdenken im Konzept des Unterrichtens und eine starke Beziehung zwischen Lehrkraft und Schüler:innen.

    Und schlussendlich sei digitale Bildung einfach ganz viel Ausprobieren -oder wie Kantereit gerne zu sich und seinen Kolleg:innen sagt: “Scheitert voran!” Lisa Winter

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    Presseschau

    Berliner Senat prüft Aufbau von deutsch-ukrainischer Europaschule TAGESSPIEGEL
    Staatssekretär Thomas Sattelberger mit Details zu neuer Innovationsagentur DATI FAZ
    Erfolgschancen der Berliner Lehrerstreiks SZ
    GEW Baden-Württemberg fordert mehr Unterstützung für Realschulen BILDUNGSKLICK
    Bafög-Reform: Lebenslanges Lernen und Anpassung der Sätze SZ
    Studie: Digitale Medien im Unterricht BILDUNGSKLICK
    Nach Anwendung in Berufsorientierung für Schüler: Einsatz von KI nun auch für Studenten BILDUNGSKLICK
    Humboldt-Stiftung fordert finanzielle Unterstützung für geflüchtete Forschende BILDUNGSKLICK
    Für Erstorientierungskurse und Deutschkurse: Vhs-Portal nun auch in ukrainischer Sprache BILDUNGSKLICK
    Experteninterview zu Schwächen der aktuellen Prüfungskultur BILDUNGSKLICK

    Termine

    25. April 2022, 14:00 Uhr
    Seminarreihe: Leinen los für unsere Schulentwicklungsreise
    Auch im zweiten Modul “Vision” der Seminarreihe begleitet das Team des Deutschen Schulpreises Maren Krempin und Simon Moses Schleimer bei der Vorbereitung auf einen nachhaltigen Schul- oder Unterrichtsentwicklungsprozess. INFOS & ANMELDUNG

    27. April 2022, 10:00-12:00 Uhr
    Online-Workshop: OER
    Fachexpertin Dr. Sabine Preusse wirft einen Blick auf Chancen und Risiken von Open Educational Resources (OER). Es sollen Antworten auf Fragen nach der Erstellung, der rechtskonformen Nutzung und der zukünftigen Bedeutung von freien Lernmaterialien gegeben werden. INFOS & ANMELDUNG

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