Table.Briefing: Bildung

Grundgesetzänderung wackelt + KI in der Hochschule + Rekordjahr für EduTechs

  • Exklusive Umfrage: große Mehrheit für Grundgesetzänderung
  • KI in der Hochschullehre
  • EduTechs verdreifachen Wagniskapital
  • Studie bemängelt fachdidaktische digitale Lehrerbildung
  • DAAD vernetzt Europas digitale Bildungseinrichtungen
  • Makerspace: Digitalisierungs-Professor Fares Kayali über Spielen und Lernen
Liebe Leserin, lieber Leser,

auf ihn wurde geschimpft und getreten: Der Bildungsföderalismus geht gebeutelt aus der Corona-Krise hervor. 85 Prozent der Deutschen möchten, dass der Bund mehr bildungspolitische Kompetenzen erhält. Die exklusive Civey-Umfrage für Bildung.Table zeigt auch: Zwei Drittel der Befragten befürworten eine Grundgesetzänderung. Bundesbildungsminister Stark-Watzinger dürfte sich bestätigt fühlen. Mehrmals sprach sie in den ersten Wochen ihrer Amtszeit von einer Verfassungsänderung. Doch halten mit diesem Sprinttempo längst nicht alle Beteiligten mit. Es zeichnet sich ab: Die Länder blockieren. Und das Bundesbildungsministerium denkt längst über einen vielversprechenderen Weg nach, den Kommunen bei der digitalen Bildung zu helfen.

Helfen – das sollen auch Dozierende und Tutoren zu Studienbeginn. Aber in einer Massenvorlesung fehlen dafür meist die Ressourcen. Ein Verbundprojekt feilt nun an einer Lösung: Künstliche Intelligenz soll die Hochschullehre in Deutschland verbessern. Ist das erlösende Hoffnung oder technologische Apokalypse der universitären Lehre? Lesen Sie im heutigen Briefing, warum Hendrik Drachsler, Projektleiter und EduTech-Professor an der Frankfurter Goethe-Universität, mit viel Gegenwind rechnet – und dennoch vorwiegend Chancen sieht.

Viele Einsichten wünscht Ihnen

Ihr
Niklas Prenzel
Bild von Niklas  Prenzel

Analyse

Bildungsföderalismus: Die Revolution bleibt aus

Auf dem Foto sieht man eine Grafik zu dem Thema: Ob man das Grundgesetz verändert und dadurch eine Revolution im Bildungsföderalismus auslöst?
Eine große Mehrheit begrüßt die Änderung des Grundgesetzes für mehr Kooperation in der Bildungspolitik.

Ein Schüler, dem in der Pandemie guter Distanzunterricht geboten wurde, hatte vor allem eines: Glück. Die Digitalisierung an deutschen Schulen lahmt und ist von Bundesland zu Bundesland und Schule zu Schule volatil und unterschiedlich. Das führte die Pandemie vor Augen und rückte den Bildungsföderalismus einmal mehr ins Rampenlicht. Dabei war er vor drei Jahren, zum Start des Digitalpakts Schule, reformiert worden. Zeitlich befristet darf der Bund den Ländern und Kommunen bildungspolitisch unter die Arme greifen. Nur, wer wartet die Geräte nach Auslaufen des Digitalpakts im Jahr 2024? Sind es die Kommunen, die die Folgekosten des Digitalisierungsschubs dann tragen werden?

Scholz im Bundesrat: keine Rückendeckung für Stark-Watzinger

Ein Digitalpakt 2.0 ist längst angekündigt. Im Tosen der bildungspolitischen Versprechungen zu Beginn der Post-Merkel-Ära stellte Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) gleich mehrmals eine erneute Grundgesetzänderung in Aussicht. Im Bundestag kündigte die CDU ihre Mithilfe an. Doch was mit dem Koalitionsmotto “Mehr Fortschritt wagen” begann, versandet, noch bevor die Ampelregierung ihre 100-Tage-Bilanz ziehen kann. 

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stimmte bei seiner Antrittsrede im Bundesrat am 11. Februar leisere Töne an. Mit Blick auf die bildungspolitische Kooperation von Bund und Ländern sagte er: “Es geht nicht darum, an Zuständigkeiten der Länder zu rütteln, sondern darum, auch hier unsere Kräfte zu bündeln, mit dem Ziel, bestmögliche Bildungschancen für alle zu ermöglichen.” Das klingt nicht nach großer Verfassungsänderung, wie sie seiner Bildungsministerin als “klarste Lösung” (SPIEGEL-Interview, 5.2.22) vorschwebt. 

Auch der Koalitionsvertrag formuliert zurückhaltend diplomatisch, dass man Gespräche “soweit erforderlich” anbieten werde. Gesprächsangebote habe Stark-Watzinger den Ländern bereits unterbreitet, wie sie dem Bildungsausschuss im Bundestag vergangene Woche berichtete. Doch heißt es aus dem Bildungsministerium, dass man die Grundgesetzänderung nicht mehr mit oberster Priorität vorantreibe. Es ist die Ankunft der neuen Bildungsministerien in den Niederungen der föderalen Bildungspolitik.

Exklusive Umfrage: große Mehrheit für mehr Kooperation

In wenig Politikfeldern dürfte sich die Bundesregierung derart komfortablen in den Fahrtwind der öffentlichen Meinung setzen können, wie beim Thema Bildungsföderalismus. Eine repräsentative Umfrage des Instituts Civey im Auftrag von Bildung.Table zeigt, wie enttäuscht die Befragten nach zwei Jahren Pandemie von der Bildungspolitik sind. Mit 85 Prozent ist die große Mehrheit der befragten Deutschen dafür, dass es bundesweit einheitliche Standards für das Schulsystem gibt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Befragten Kinder haben oder nicht.

Auch bei der Frage, ob das Bundesbildungsministerium dauerhaft mehr Geld in den Ausbau digitaler Schulbildung investieren sollte, sind sich die Deutschen einig: 83 Prozent stimmten dafür. Für die dauerhaften Gelder aus Christian Lindners Finanzministerium wäre eine Grundgesetzänderung notwendig. Eine Verfassungsreform befürworten zwei Drittel der Befragten. Dass es mehr Kooperation in der Bildungspolitik geben sollte: Darüber herrscht in der Bevölkerung und unter Politikern große Einigkeit. Die Frage ist wohl eher, wie die Bundesregierung dieses Ziel zusammen mit den Kommunen und Ländern umsetzt.

Länder blockieren und bleiben vage

Stark-Watzingers “klarste Lösung”, eine Verfassungsänderung, schließen die meisten Länder aus. Selbst in Rheinland-Pfalz, wo eine Koalition aus SPD, FDP und Grünen regiert, sieht Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) eine Änderung des Grundgesetzes nur als letztes Mittel. Sie sagte gegenüber Bildung.Table: Es brauche für die stärkere föderale Kooperation beim Thema Bildung in erster Linie Synergien sowie neue und tragfähige Strukturen. “Diese können innerhalb des bestehenden rechtlichen Rahmens und mit den im Koalitionsvertrag vereinbarten Formaten (Arbeitsgruppe, Bildungsgipfel) effektiv festgelegt werden.” 

Das Baden-Württemberger Bildungsministerium äußerte sich vage, wohl auch, weil zum Thema Grundgesetzänderung innerhalb der Partei die Grünen auf Landes- und Bundesebene keine Einigkeit herrscht. Bildungsministerin Theresa Schopper (Grüne) sagte: “Auf kurze Zeit befristete Programme sollten der Vergangenheit angehören und wir müssen uns überlegen, ob wir bürokratische Hürden abbauen können.” Vergangene Woche hatte Bayerns Kultusminister Piazolo im Interview mit Bildung.Table eine Grundgesetzänderung ausgeschlossen.

Letzter Ausweg: Umsatzsteuer neu verteilen

KMK-Präsidentin Karin Prien (CDU), Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, erteilte einer Grundgesetzänderung “als Selbstzweck” eine Absage. Es brauche vorher gemeinsame Ziele von Bund und Ländern, sagte sie Bildung.Table. “Der Bund sollte sich bestenfalls verpflichten, deutlich mehr finanzielle Verantwortung zu übernehmen.” Schülerinnen und Schüler könnten vor allem bei der Ausstattung der Schulträger mehr von den finanziellen Zuschüssen des Bundes profitieren. Priens Antwort liest sich, als hätte sie ein bewährtes politisches Mittel im Sinn, auf das in der Vergangenheit Länderchefs mehrmals pochten.

Auch im Bundesbildungsministerium denkt man darüber nach, diese andere denkbare Stellschraube in Bewegung zu setzen: die Verteilung der Umsatzsteuer. Derzeit teilt das Finanzausgleichsgesetz den Gemeinden rund zwei Prozent des Umsatzsteueraufkommens zu. Diese Verteilung wurde immer wieder angepasst, etwa zur Finanzierung der Hochwasserhilfen im vergangenen Jahr, des “Gute-KiTa-Gesetzes” oder des Corona-Aufholprogramms. So könnten die Schulträger langfristig mehr Bundesmittel für den Ausbau der digitalen Bildung erhalten – sofern Stark-Watzinger Parteifreund Christian Linder im Finanzministerium mitspielt.

Eine neue Bildungsministerin, die mit Großprojekten die Legislaturperiode eröffnet und schnell zurückrudern muss: Beobachter dürften sich an den gescheiterten Nationalen Bildungsrat erinnert fühlen. Die damalige Bildungsministerin Anja Karliczek war vorangeprescht, hatte das Gremium als bildungspolitisches Prestigeprojekt der Großen Koalition umrissen. Hier sollten Wissenschaftlerinnen und Vertreter von Bund und Ländern gemeinsame bildungspolitische Vorschläge erarbeiten. Getagt hat der Rat nie. Die Bundesministerin hatte die Länder nicht mitgenommen: Bayern und Baden-Württemberg blockierten das Vorhaben. Niklas Prenzel und Antje Sirleschtov

“KI darf nur unterstützen, niemals entscheiden”

Auf dem Foto sieht man Hendrik Drachsler, er arbeitet in einem Projekt zu KI (Künstlicher Intellligenz).
Hendrik Drachsler

Im Dezember 2020 hat die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz eine KI-Förderinitiative beschlossen. Sie will die “Qualität, Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit der Hochschulbildung durch den Einsatz von KI” verbessern. Wie trägt Ihr Projekt dazu bei? 

Hendrik Drachsler: Wir wollen Künstliche Intelligenz dazu einsetzten, dass Lehrende und Studierende individuell unterstützt werden, um gute Entscheidungen zu treffen. Konkret heißt das zum Beispiel: Das am häufigsten genutzte Medium an der Hochschule ist Text. Studierende produzieren Texte von der ersten Übung zu Studienbeginn bis zur Abschlussarbeit. Diese Texte sind aber recht aufwendig auszuwerten. Das Verbundprojekt IMPACT erforscht daher unter anderem, wie das Medium in der Hochschulbildung besser verarbeitet werden kann. Mit dem Ziel, die Lehrenden zu entlasten und den Studierenden hochinformatives Feedback geben zu können.  

Im Januar startete IMPACT in die heiße Phase. Die Goethe-Universität Frankfurt, die Humboldt-Universität und Freie Universität Berlin, sowie die Universität Bremen und Fernuniversität Hagen arbeiten dabei zusammen. Sie stellen Anwendungen von KI im gesamten Studienverlauf in Aussicht. Wo überall könnte Studierenden in Zukunft KI begegnen? 

Wir entwickeln einen Chatbot für die Studieneingangsphase, der Studienanfängern und -interessierten hilft, sich zu orientieren. Man stellt dem Chatbot Fragen – und er gibt schlaue Antworten. Einen ersten Prototypen mit dem Namen GUDI haben wir an der Frankfurter Uni bereits im Einsatz. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt auf Formativem Assessment, also der Rückmeldung zum Lernstand während des Lernprozesses. In Einführungsveranstaltungen steht ein Professor häufig 1.000 Studierenden gegenüber. Es ist unmöglich, jedem und jeder einzeln persönliches Feedback zu geben. KI kann da helfen. Mit den Trusted Learning Analytics, wie wir sie im Projekt entwickeln, sollen Studierende Feedback erhalten. Dafür müssen Indikatoren identifiziert werden, die zeigen, ob eine Lerneinheit funktioniert. Diese werden dann von Maschinen und Algorithmen verarbeitet und senden personalisiertes Feedback an die Studierenden. 

Sollen Ihre KI-Anwendungen auch im Summative Assessment, also für Prüfungen oder Hausarbeiten, eingesetzt werden? 

Ja, denken Sie an Freitextaufgaben in einer Klausur. KI kann die Antworten vorsortieren und klassifizieren und die Lehrenden entlasten. Wichtig ist uns, und übrigens auch dem Gesetz: KI darf nur unterstützen, niemals entscheiden. Die Lehrenden gehen die Aufgaben noch einmal durch und nehmen die Vorschläge der KI an oder nicht. Damit trainieren sie die Maschine oder einen Algorithmus fortlaufend. Durch diese Auswertungsmethode erhalten Studierende ein detailliertes Feedback. Es heißt dann nicht mehr nur nach einer Klause: “bestanden/nicht bestanden”. 

Ich höre schon Gewerkschaften protestieren, die fürchten, dass durch den Einsatz von Algorithmen in der Lehre Stellen gekürzt werden.  

Schon jetzt ist das Betreuungsverhältnis, also die Relation von Lehrenden zu Studierenden, an deutschen Universitäten unterdurchschnittlich. Wir können uns nicht leisten, weitere Stellen zu streichen. Unser Projekt arbeitet an einem Unterstützungssystem, das Dozierende entlastet. 50 Prozent ihrer Zeit fließt momentan ins Korrigieren von Klausuren, Übungen  und dem Entwickeln von Prüfungen. KI kann helfen, Zeit einzusparen. Damit ist auch mehr Freiraum für den Kontakt mit den Studierenden möglich.  

Einige Universitäten testen KI-gestützte Systeme bereits, um Studierenden individuelles Feedback zu geben. Diese Pilotprojekte laufen in MINT-Fächern. Können Sie sich KI-Anwendungen auch in Geisteswissenschaften vorstellen, nach dem Motto “Mit KI Kant verstehen oder die Maltechnik der Impressionisten erlernen”? 

Ob die Anwendung an einer Kunsthochschule sinnvoll ist, hängt vom Anwendungsfall ab. Ich würde nie den Anspruch erheben, dass alle Fächer KI einsetzen sollten. Man muss von Fall zu Fall entscheiden, ob sich KI-Anwendungen zielführend sind. Wenn Sie einen Studiengang haben, in dem der Professor fünf Studenten gegenübersitzt, brauchen Sie keine KI. Da haben Sie die beste Betreuung, die Sie bekommen können – und die menschlichste. Neue Technologie in der Bildung messe ich an drei Kriterien: Effizienz, Effektivität und Attraktivität. Sie müssen eine gute, ansprechende Lernerfahrung bieten. Wenn eine Technologie keine der Kriterien erfüllt, sollte man besser bei alt bewährten bleiben.  

Bekommen Sie Gegenwind aus anderen Fachrichtungen? 

Oh ja, natürlich. Es gibt immer Vorbehalte und diese sind auch berechtigt. Als wir vor 12 Jahren die Evaluation von Lehrveranstaltungen eingeführt haben, protestierten manche Fachbereiche lautstark. Das Ende der freien Lehre sahen Sie kommen. Heute ist die Lehrveranstaltungsevaluation ein Standardservice, der weit verbreitet ist bei allen Fachbereichen – auch weil wir die Evaluationsergebnisse nur den Lehrenden anonymisiert bereitstellen. Es ist also kein Kontrollsystem, sondern ein Unterstützungssystem, unsere KI-Systeme müssen dieses Vertrauen auch erst verdienen. “Wer kontrolliert das System?”, diese Frage ist bei KI-Anwendungen mehr als berechtigt und gehen wir offen an.  

Wer kontrolliert das System? 

Unser Anspruch ist es, KI in den Dienst der Menschen zu stellen, die es nutzen und das zu erforschen. Das Thema Kontrollstrukturen werden wir umfassend angehen und die Stakeholdergruppen von Anfang an mitnehmen. Wie der Bundesregierung in ihrer KI-Strategie geht es auch in unserem Projekt darum, Data Literacy zu schaffen und die Vor- und Nachteile von KI beurteilen zu können. Wenn ein Unternehmen einem Lehrenden das neueste KI-Tool verkaufen will, soll die Person mündig sein und das Angebot kritisch beurteilen können. Große technische Entwicklungen können immer auch eine Büchse der Pandora sein. Bei der ersten Spaltung eines Atoms wurde nicht unbedingt an die Atombombe gedacht. Mit Impact beabsichtigen wir, selbst Erfahrung aufzubauen, damit wir sehen, was Grenzen und Möglichkeiten von KI in der Lehre sind. Es soll ein kritischer Umgang mit KI an der Hochschule entstehen, der zeigt, welche Rolle sie dort einnehmen kann und soll. Wir sind bei dieser Frage an vorderster Front. Berechtigten Gegenwind werden wir sicherlich von Datenschutzbeauftragten, aber auch von anderen Stakeholdergruppen, bekommen. Das ist aber Teil des Forschungsauftrags, der Datenschutz und Ethik als Ausgangspunkt sieht. 

Weshalb Sie ein eigenes Team zusammengestellt haben, das sich um Fragen der Ethik und des Datenschutzes kümmert.  

Wir arbeiten fächerübergreifend mit Informatikern, Psychologinnen oder auch Bildungswissenschaftlern zusammen. Um KI nicht als Überwachungssystem zu entwickeln,  haben wir uns von Anfang an einen eigenen Verhaltenskodex gegeben. Der Trusted Learning Analytics Kodex beinhaltet sieben Prinzipien, die uns in unserem Handeln leiten. Er sieht etwa eine Ombudsperson vor, an die sich Menschen wenden können, die Zweifel oder Kritik haben, und wir gehen mit Daten sparsam und transparent um.  

Mit welchen Daten lernen denn die IMPACT-Anwendungen? 

Wir werden im nächsten Wintersemester in allen beteiligten Hochschulen Lehrveranstaltungen anbieten, in denen Lerndaten gesammelt werden. Mit denen erstellen wir dann die Pilot-Systeme, die an Studierenden der gleichen Lehrveranstaltung im Folgejahr getestet werden.  

Sie sind Koautor der im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie “KI@Bildung”. Blicken wir zum Schluss ins Klassenzimmer: Werden Ihre Forschungsergebnisse auch einen Impact auf die Schule haben?  

Alles, was wir in der Hochschule machen, ist auch für die Schule relevant. Wir setzen mit dem EduTec-Team des DIPF auch Projekte um, in denen Lerneinheiten für Biologie, Chemie, Physik und Mathematik entwickelt werden. Die liegen auf Moodle-Servern und werden in der Pandemie stark nachgefragt. Dort arbeiten wir auch mit Textanalysen. Kurze Textabschnitte, die die Schüler selbst eingeben, um zu Beispiel ein physikalisches Phänomen zu erklären, kann die KI sehr erfolgreich darstellen. Das heißt: Sie erkennt akkurat die Konstrukte der Schüler und gibt ihnen individuell Rückmeldung.  

  • Digitalisierung
  • Gemeinsame Wissenschaftskonferenz
  • Künstliche Intelligenz
  • Technologie
  • Unterricht

News

Rekordjahr für Europas EduTechs: Wagniskapital verdreifacht

Im Jahr 2021 haben Investoren 2,5 Milliarden US-Dollar Venture-Capital (VC, Wagniskapital) in europäische EduTechs gesteckt. Das berichtet Brighteye Ventures, ein europäisches Venture-Capital-Unternehmen für EduTech, in seinem European Edtech Funding Report 2022. Die Summe des Wagniskapitals für europäische EduTechs habe sich damit von 785 Millionen US-Dollar in 2020 verdreifacht – ein “explosives” Wachstum laut Brighteye Ventures. Das sah in den Vorjahren anders aus. Von 2019 auf 2020 steigerten sich die Investments gerade mal um 60 Millionen US-Dollar. 

Weltweit stiegen die VC-Finanzierungen von 15 Milliarden US-Dollar in 2020 auf 20,1 Milliarden US-Dollar in 2021. Eine sechsfache Steigerung von 2014 (3,4 Milliarden US-Dollar), betont Bighteye Ventures. In Europa und den USA stiegen die Summen stark, während sie in China von 8,1 Milliarden US-Dollar in 2020 auf nur 1,9 Milliarden in 2021 abfielen. Europa überholt die Chinesen damit erstmals. Fast die Hälfte aller weltweiten VC-Investitionen in EduTech wurden in US-amerikanische Firmen gemacht. Der Rückgang chinesischer Risikoinvestitionen hängt laut Report vermutlich mit neuen Regulationen in China zusammen. 

Europas EduTech-Markt wird erwachsen

Die individuelle Größe der Beteiligungen in Europa ist ebenfalls gestiegen. Im Jahr 2020 investierten Kapitalgeber pro Geschäft rund 2,9 Millionen US-Dollar – 2021 waren es pro Geschäft 8,4 Millionen US-Dollar. Die Menge der Transaktionen stieg dabei nur leicht, von 273 in 2020 zu 299 in 2021. Brighteye Ventures sagt, dass die höheren Summen die “zunehmende Reife des Sektors” zeigen.

Größter europäischer EduTech-Markt ist das Vereinigte Königreich. Im Jahr 2021 haben Investoren 609 Millionen US-Dollar Venture-Capital eingesetzt. Deutschland ist noch hinter Frankreich und Österreich auf dem vierten Platz. 297 Millionen US-Dollar Venture-Capital gingen an deutsche EduTech-Startups.

Weniger Geld für Gründerinnen von Europas EduTechs

“Edtech boomt, das Geld geht an die Männer“, titelt Journalistin Gudrun Porath bei Haufe, einer Wirtschaftszeitung. Sie kritisiert, dass Gründerinnen im EduTech-Sektor geringere Chancen auf “auskömmliche oder gar große Finanzierungsrunden” haben. Männliche Gründerteams haben laut den Zahlen von Brighteye Ventures rund 80 Prozent der europäischen VC-Investionen eingesammelt; weibliche Gründerteams nur drei Prozent. Auch die durchschnittliche Beteiligung fällt bei Gründerinnen deutlich geringer aus. Männer sammelten pro Geschäft rund 9,4 Millionen Dollar; Frauen nur 1,8 Millionen Dollar. 

“Wollen Frauen nicht gründen, steigen sie frühzeitig wieder aus oder liegt es daran, dass immer noch Männer die technischen Disziplinen beherrschen?”, fragt Porath. Eindeutige Gründe nennt sie nicht und fordert stattdessen Gründerinnen und VC-Investoren zu mehr Mut auf. Enno Eidens

Digitalisierungs-Studie: Wenig fachdidaktische Lehrerfortbildungen

Weiterbildungen zum Einsatz digitaler Medien im Unterricht finden zu 70 Prozent fachunabhängig statt. Das geht aus einer Studie des Forschungsinstituts Bildung Digital (FoBiD) der Universität des Saarlandes hervor. Das vom BMBF geförderte Projekt analysierte 41.000 Fortbildungs-Veranstaltungen, die im laufenden Schuljahr stattfanden. Ein Viertel davon beschäftigte sich mit dem Thema Digitalisierung. Dabei werde ein breites Themenfeld abgedeckt, wobei die inhaltlichen Schwerpunkte auf dem Umgang mit Softwares und digitalen Tools liegen. Dem gegenüber stünden wenige Angebote zu Differenzierung, Individualisierung, Schülernähe und sozialem Lernen im digitalen Unterricht. Auch fachdidaktische Fragestellungen seien selten behandelt worden.

Die Ergebnisse wurden vergangene Woche auf der educate 2022, einer Tagung zur digitalen Lehrkräftefortbildung, vorgestellt. “Was heute in unseren Klassenzimmern geschieht, das entscheidet über unsere Zukunft von morgen!”, eröffnete Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger die digital durchgeführte Tagung. Zu Gast waren außerdem KMK-Präsidentin Karin Prien und der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger. Die Anwesenden waren sich darüber einig, dass Digitalisierungsaspekte stärker in die Lehrkräftefortbildungen integriert werden müssen.

“Die Digitalisierung ist nicht gekommen, um zu gehen. Sie wird uns auch in Zukunft beschäftigen”, so Stark-Watzinger. Karin Prien fügte hinzu: “Dabei kommt es maßgeblich auf die Lehrkräfte an. Wir müssen das Thema aus technischer und pädagogischer Perspektive angehen.” Denn der angestrebte Kulturwandel erfordere eine neue Form von Didaktik und eine andere Art von Unterrichtsmethoden. Die geladenen Expert:innen forderten, dass digitale Aspekte in Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften integraler Bestandteil von Schulentwicklung werden. Anouk Schlung

  • Bildungspolitik
  • Digitalisierung
  • Digitalpakt
  • Fortbildung

DAAD vernetzt digitale Bildung in Europa

Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) will Schulen, Universitäten und Weiterbildungseinrichtungen aus ganz Europa miteinander vernetzen, um die digitale Bildung zu verbessern. Dazu gründet er im Auftrag der Europäischen Kommission, die das Vorhaben mit rund fünf Millionen Euro unterstützt, einen “Digital Education Hub”. Darin soll sich eine wachsende “Community of Practice” miteinander austauschen. “Mit der ‘Community of Practice’ bauen wir mit starken Partnern ein Netzwerk für lösungsorientierte Zusammenarbeit in allen Bildungssektoren auf”, sagte DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee. Zu den Partnern gehören unter anderem der “Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft” aus Deutschland, die “European Association of the Distance Teaching Universities” aus den Niederlanden und das “European Distance and E-Learning Network“.

Ziel sei es, über Ländergrenzen hinweg Erfahrungen auszutauschen, Wissen aufzubauen und Lösungen für die vielfältigen Herausforderungen der Digitalisierung im Bildungssektor zu finden. Dadurch sollen die europäischen Bildungssysteme im internationalen Vergleich leistungs- und wettbewerbsfähiger werden. Der “Digital Education Hub” bietet unter anderem Mentoring-Programme, Workshops zu Design Thinking und “Erste Hilfe”-Sprechstunden für Fragen rund um die Digitalisierung an. Im Frühjahr sollen die Formate entwickelt werden und ab Sommer als Präsenzveranstaltungen in Tallinn, Brüssel und Berlin stattfinden. Sofie Czilwik

  • Bildungspolitik
  • Digitalisierung

Makerspace

Fares Kayali: Lernen und Spielen haben viel gemeinsam

Auf dem Foto zu sehen ist Fares Kayali, er arbeitet zu Game-based Learning.
Farey Kayali ist Professor für Digitalisierung im Bildungsbereich an der Universität Wien.

Der Commodore 64 war sein erster Computer. Damals bekannt als Spielcomputer und zur Softwareentwicklung. Mit zwölf Jahren tippte Fares Kayali noch die Codes aus den Programmierzeitschriften ab, später entwickelte und verkaufte er im Rausch der “Goldgräberstimmung” eigene Spiele. Mittlerweile ist er Professor für Digitalisierung im Bildungsbereich an der Universität Wien. Er arbeitet vor allem zu Game-based Learning, Human-Computer Interaction in der Bildung und technologiegestütztem, forschenden Lehren und Lernen.

Wenn er an seine Schulzeit zurückdenkt, kann er sich nur an ein Spiel aus dem Englischunterricht erinnern: Hot Dogs verkaufen, um Vokabeln zu lernen. Die Spiele, die er für den Unterricht mitentwickelt, sind komplexer und abwechslungsreicher: Bei seinem Musikspiel YourTurn setzen Schülerinnen und Schüler etwa Musikvideos zu einem kreativen Mix zusammen. Das soll den interkulturellen Austausch und Empathie zwischen Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft, Geschlechter und Wohnorte fördern.

Spiele müssen Lerntransfer schaffen

“Ich wehre mich gegen den Ansatz, Spielen als Selbstzweck einzusetzen”, sagt Kayali, der über “Game Design and Education” habilitierte. Sie sollten nicht nur für Entspannung oder zur Auflockerung eingesetzt werden. “Da sollen Schüler:innen lieber herausgehen oder Kniebeugen machen.” Spiele im Unterricht seien nur sinnvoll, wenn sie einen Lerntransfer schaffen. Das bedeutet: Schüler:innen nehmen im besten Fall etwas für ihr eigenes Leben mit. Es sei ein Fehler, Spiele nur einzusetzen, um das Lernen weniger fad zu gestalten. Lernen ist nicht nur fad und Spielen nicht nur spaßig!” Beides habe mehr gemeinsam als auf den ersten Blick ersichtlich: Neugier, Exploration, Herausforderung.

Kayali, Mitbegründer des Positive Impact Games Lab der Technischen Universität Wien, ist selbst begeisterter Spieler. Jeden Tag spielt er etwas. Ob lieber digital oder analog, das mag er nicht festlegen. Hauptsache ein soziales Spiel, in dem er mit Menschen interagiert. Schon im Informatikstudium merkte er, dass ihn auch beim Spieleprogrammieren besonders die kreativen und gesellschaftlichen Aspekte reizen.

In Sachen spielebasierter digitaler Unterrichtsentwicklung ist es ihm wichtig, den gesellschaftspolitischen Kontext mitzudenken. “Es ist unser neoliberales Denken und das kapitalistische System, die dafür sorgen, dass die technischen Entwicklungen so schnell gehen”, antwortet er auf die Frage, ob die Innovation die Schulen überfordert. Es bringt nichts, wenn Lehrkräfte nun mit tollen Geräten dasitzen und nicht wissen, wie sie diese einsetzen, kritisiert er den Achtpunkteplan zur Umsetzung der digitalen Schule des österreichischen Bildungsministeriums. “Es ist sowieso ein fordernder Beruf, besonders unter den Bedingungen der Pandemie. Mit der Digitalisierung sagt man den Lehrkräften: ‘So, hier noch ein Paket zum Tragen.'” Nicht Zwang und Druck, sondern Geduld, Weiterbildung, unterstützende Ressourcen und Multiplikator:innen brauche es.

Veraltetes Bildungssystem steht der Technologie im Weg

Obwohl Kayali in seiner Forschung mehr mit Lehrkräften und Schüler:innen zu tun hat, die Lust auf neue Unterrichtsformen haben, weiß er, dass die Realität an den Schulen eine andere ist. Viele, oft ältere Lehrkräfte, fühlen sich überfordert. “Eine Protesthaltung bringt da aber gar nichts”, stellt er klar. Auch wenn sich das Gefühl einschleiche, der digitalen Transformation ausgeliefert zu sein. “Wir müssen am Diskurs teilnehmen und mitentscheiden”, so sein Appell.

Es sind aber keineswegs nur Lehrkräfte, die an Tafel und Kreide festhalten. Auch das Schulsystem an sich propagiere ein konservatives Prinzip mit veralteten Bildungsidealen. Mit der Folge, dass Bildungserfolg an sozioökonomische und ethnische Herkunft geknüpft ist. Kinder aus nicht-akademischen Haushalten haben geringere Chancen auf einen hohen Schulabschluss oder eine akademische Laufbahn. Das Leseverständnis sowie die Sprache, die zu Hause gesprochen wird, beeinflussen den Bildungserfolg – nicht nur in Österreich, auch in Deutschland.

Digitale Bildung könne ein weiteres Spektrum an Unterrichtsmethoden anbieten, um auf verschiedene Lerntypen eingehen zu können. Wenn man diese verantwortungsvoll einsetze, könne das helfen, individuell zu fördern. Dabei sei es jedoch essenziell, so Kayali, diskriminierende Strukturen nicht zu (re-)produzieren. Ein klassischer Fall dafür seien technologieimmanente Diskriminierungen, also Algorithmen, die aufgrund der Daten, mit denen sie trainiert werden, Bias reproduzieren. In den sogenannten Learning Analytics sei das ein relevantes Thema. Aber auch in der Spielentwicklung sollte man diskriminierende Kategorien und Strukturen mitdenken. Nur wie? Sich weiterbilden, sensibilisieren und Zielgruppen frühzeitig einbinden, rät der Experte. Lisa Winter

Presseschau

Lehrer und Expertenrat gegen Lockerungskurs NEWS4TEACHERS
Denkwerkstatt diskutiert demokratische Beteiligung von Schülerinnen und Schülern BILDUNGSKLICK
Pandemie belastet Studierende noch immer T-ONLINE
Debatte: Bildungseinrichtungen als kritische Infrastruktur einstufen FAZ

Termine

23.02.2022, 09:30-17:00 Uhr
Podiumsdiskussion: #D21talk – Webkongress Digitale Gesellschaft 2022
Beim D21talk – Webkongress Digitale Gesellschaft 2022 am 23.02.2022 liegt der Fokus auf Umwelt- und Klimaschutz durch ökologische Nachhaltigkeit. Anlässlich der Veröffentlichung des D21-Digital-Index 2021/2022 finden zu den Themen Digitale Nachhaltigkeit und Digitalkompetenzen Expert:innen-Diskussionen statt. Die Speaker:innen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Journalismus und Wissenschaft thematisieren die Rolle von Digitalisierung, Nachhaltigkeit und digitalen Kompetenzen. Eine virtuelle Dachterrasse lädt zum Netzwerken ein. Anmeldung

Licenses:
    • Exklusive Umfrage: große Mehrheit für Grundgesetzänderung
    • KI in der Hochschullehre
    • EduTechs verdreifachen Wagniskapital
    • Studie bemängelt fachdidaktische digitale Lehrerbildung
    • DAAD vernetzt Europas digitale Bildungseinrichtungen
    • Makerspace: Digitalisierungs-Professor Fares Kayali über Spielen und Lernen
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    auf ihn wurde geschimpft und getreten: Der Bildungsföderalismus geht gebeutelt aus der Corona-Krise hervor. 85 Prozent der Deutschen möchten, dass der Bund mehr bildungspolitische Kompetenzen erhält. Die exklusive Civey-Umfrage für Bildung.Table zeigt auch: Zwei Drittel der Befragten befürworten eine Grundgesetzänderung. Bundesbildungsminister Stark-Watzinger dürfte sich bestätigt fühlen. Mehrmals sprach sie in den ersten Wochen ihrer Amtszeit von einer Verfassungsänderung. Doch halten mit diesem Sprinttempo längst nicht alle Beteiligten mit. Es zeichnet sich ab: Die Länder blockieren. Und das Bundesbildungsministerium denkt längst über einen vielversprechenderen Weg nach, den Kommunen bei der digitalen Bildung zu helfen.

    Helfen – das sollen auch Dozierende und Tutoren zu Studienbeginn. Aber in einer Massenvorlesung fehlen dafür meist die Ressourcen. Ein Verbundprojekt feilt nun an einer Lösung: Künstliche Intelligenz soll die Hochschullehre in Deutschland verbessern. Ist das erlösende Hoffnung oder technologische Apokalypse der universitären Lehre? Lesen Sie im heutigen Briefing, warum Hendrik Drachsler, Projektleiter und EduTech-Professor an der Frankfurter Goethe-Universität, mit viel Gegenwind rechnet – und dennoch vorwiegend Chancen sieht.

    Viele Einsichten wünscht Ihnen

    Ihr
    Niklas Prenzel
    Bild von Niklas  Prenzel

    Analyse

    Bildungsföderalismus: Die Revolution bleibt aus

    Auf dem Foto sieht man eine Grafik zu dem Thema: Ob man das Grundgesetz verändert und dadurch eine Revolution im Bildungsföderalismus auslöst?
    Eine große Mehrheit begrüßt die Änderung des Grundgesetzes für mehr Kooperation in der Bildungspolitik.

    Ein Schüler, dem in der Pandemie guter Distanzunterricht geboten wurde, hatte vor allem eines: Glück. Die Digitalisierung an deutschen Schulen lahmt und ist von Bundesland zu Bundesland und Schule zu Schule volatil und unterschiedlich. Das führte die Pandemie vor Augen und rückte den Bildungsföderalismus einmal mehr ins Rampenlicht. Dabei war er vor drei Jahren, zum Start des Digitalpakts Schule, reformiert worden. Zeitlich befristet darf der Bund den Ländern und Kommunen bildungspolitisch unter die Arme greifen. Nur, wer wartet die Geräte nach Auslaufen des Digitalpakts im Jahr 2024? Sind es die Kommunen, die die Folgekosten des Digitalisierungsschubs dann tragen werden?

    Scholz im Bundesrat: keine Rückendeckung für Stark-Watzinger

    Ein Digitalpakt 2.0 ist längst angekündigt. Im Tosen der bildungspolitischen Versprechungen zu Beginn der Post-Merkel-Ära stellte Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) gleich mehrmals eine erneute Grundgesetzänderung in Aussicht. Im Bundestag kündigte die CDU ihre Mithilfe an. Doch was mit dem Koalitionsmotto “Mehr Fortschritt wagen” begann, versandet, noch bevor die Ampelregierung ihre 100-Tage-Bilanz ziehen kann. 

    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stimmte bei seiner Antrittsrede im Bundesrat am 11. Februar leisere Töne an. Mit Blick auf die bildungspolitische Kooperation von Bund und Ländern sagte er: “Es geht nicht darum, an Zuständigkeiten der Länder zu rütteln, sondern darum, auch hier unsere Kräfte zu bündeln, mit dem Ziel, bestmögliche Bildungschancen für alle zu ermöglichen.” Das klingt nicht nach großer Verfassungsänderung, wie sie seiner Bildungsministerin als “klarste Lösung” (SPIEGEL-Interview, 5.2.22) vorschwebt. 

    Auch der Koalitionsvertrag formuliert zurückhaltend diplomatisch, dass man Gespräche “soweit erforderlich” anbieten werde. Gesprächsangebote habe Stark-Watzinger den Ländern bereits unterbreitet, wie sie dem Bildungsausschuss im Bundestag vergangene Woche berichtete. Doch heißt es aus dem Bildungsministerium, dass man die Grundgesetzänderung nicht mehr mit oberster Priorität vorantreibe. Es ist die Ankunft der neuen Bildungsministerien in den Niederungen der föderalen Bildungspolitik.

    Exklusive Umfrage: große Mehrheit für mehr Kooperation

    In wenig Politikfeldern dürfte sich die Bundesregierung derart komfortablen in den Fahrtwind der öffentlichen Meinung setzen können, wie beim Thema Bildungsföderalismus. Eine repräsentative Umfrage des Instituts Civey im Auftrag von Bildung.Table zeigt, wie enttäuscht die Befragten nach zwei Jahren Pandemie von der Bildungspolitik sind. Mit 85 Prozent ist die große Mehrheit der befragten Deutschen dafür, dass es bundesweit einheitliche Standards für das Schulsystem gibt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Befragten Kinder haben oder nicht.

    Auch bei der Frage, ob das Bundesbildungsministerium dauerhaft mehr Geld in den Ausbau digitaler Schulbildung investieren sollte, sind sich die Deutschen einig: 83 Prozent stimmten dafür. Für die dauerhaften Gelder aus Christian Lindners Finanzministerium wäre eine Grundgesetzänderung notwendig. Eine Verfassungsreform befürworten zwei Drittel der Befragten. Dass es mehr Kooperation in der Bildungspolitik geben sollte: Darüber herrscht in der Bevölkerung und unter Politikern große Einigkeit. Die Frage ist wohl eher, wie die Bundesregierung dieses Ziel zusammen mit den Kommunen und Ländern umsetzt.

    Länder blockieren und bleiben vage

    Stark-Watzingers “klarste Lösung”, eine Verfassungsänderung, schließen die meisten Länder aus. Selbst in Rheinland-Pfalz, wo eine Koalition aus SPD, FDP und Grünen regiert, sieht Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) eine Änderung des Grundgesetzes nur als letztes Mittel. Sie sagte gegenüber Bildung.Table: Es brauche für die stärkere föderale Kooperation beim Thema Bildung in erster Linie Synergien sowie neue und tragfähige Strukturen. “Diese können innerhalb des bestehenden rechtlichen Rahmens und mit den im Koalitionsvertrag vereinbarten Formaten (Arbeitsgruppe, Bildungsgipfel) effektiv festgelegt werden.” 

    Das Baden-Württemberger Bildungsministerium äußerte sich vage, wohl auch, weil zum Thema Grundgesetzänderung innerhalb der Partei die Grünen auf Landes- und Bundesebene keine Einigkeit herrscht. Bildungsministerin Theresa Schopper (Grüne) sagte: “Auf kurze Zeit befristete Programme sollten der Vergangenheit angehören und wir müssen uns überlegen, ob wir bürokratische Hürden abbauen können.” Vergangene Woche hatte Bayerns Kultusminister Piazolo im Interview mit Bildung.Table eine Grundgesetzänderung ausgeschlossen.

    Letzter Ausweg: Umsatzsteuer neu verteilen

    KMK-Präsidentin Karin Prien (CDU), Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, erteilte einer Grundgesetzänderung “als Selbstzweck” eine Absage. Es brauche vorher gemeinsame Ziele von Bund und Ländern, sagte sie Bildung.Table. “Der Bund sollte sich bestenfalls verpflichten, deutlich mehr finanzielle Verantwortung zu übernehmen.” Schülerinnen und Schüler könnten vor allem bei der Ausstattung der Schulträger mehr von den finanziellen Zuschüssen des Bundes profitieren. Priens Antwort liest sich, als hätte sie ein bewährtes politisches Mittel im Sinn, auf das in der Vergangenheit Länderchefs mehrmals pochten.

    Auch im Bundesbildungsministerium denkt man darüber nach, diese andere denkbare Stellschraube in Bewegung zu setzen: die Verteilung der Umsatzsteuer. Derzeit teilt das Finanzausgleichsgesetz den Gemeinden rund zwei Prozent des Umsatzsteueraufkommens zu. Diese Verteilung wurde immer wieder angepasst, etwa zur Finanzierung der Hochwasserhilfen im vergangenen Jahr, des “Gute-KiTa-Gesetzes” oder des Corona-Aufholprogramms. So könnten die Schulträger langfristig mehr Bundesmittel für den Ausbau der digitalen Bildung erhalten – sofern Stark-Watzinger Parteifreund Christian Linder im Finanzministerium mitspielt.

    Eine neue Bildungsministerin, die mit Großprojekten die Legislaturperiode eröffnet und schnell zurückrudern muss: Beobachter dürften sich an den gescheiterten Nationalen Bildungsrat erinnert fühlen. Die damalige Bildungsministerin Anja Karliczek war vorangeprescht, hatte das Gremium als bildungspolitisches Prestigeprojekt der Großen Koalition umrissen. Hier sollten Wissenschaftlerinnen und Vertreter von Bund und Ländern gemeinsame bildungspolitische Vorschläge erarbeiten. Getagt hat der Rat nie. Die Bundesministerin hatte die Länder nicht mitgenommen: Bayern und Baden-Württemberg blockierten das Vorhaben. Niklas Prenzel und Antje Sirleschtov

    “KI darf nur unterstützen, niemals entscheiden”

    Auf dem Foto sieht man Hendrik Drachsler, er arbeitet in einem Projekt zu KI (Künstlicher Intellligenz).
    Hendrik Drachsler

    Im Dezember 2020 hat die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz eine KI-Förderinitiative beschlossen. Sie will die “Qualität, Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit der Hochschulbildung durch den Einsatz von KI” verbessern. Wie trägt Ihr Projekt dazu bei? 

    Hendrik Drachsler: Wir wollen Künstliche Intelligenz dazu einsetzten, dass Lehrende und Studierende individuell unterstützt werden, um gute Entscheidungen zu treffen. Konkret heißt das zum Beispiel: Das am häufigsten genutzte Medium an der Hochschule ist Text. Studierende produzieren Texte von der ersten Übung zu Studienbeginn bis zur Abschlussarbeit. Diese Texte sind aber recht aufwendig auszuwerten. Das Verbundprojekt IMPACT erforscht daher unter anderem, wie das Medium in der Hochschulbildung besser verarbeitet werden kann. Mit dem Ziel, die Lehrenden zu entlasten und den Studierenden hochinformatives Feedback geben zu können.  

    Im Januar startete IMPACT in die heiße Phase. Die Goethe-Universität Frankfurt, die Humboldt-Universität und Freie Universität Berlin, sowie die Universität Bremen und Fernuniversität Hagen arbeiten dabei zusammen. Sie stellen Anwendungen von KI im gesamten Studienverlauf in Aussicht. Wo überall könnte Studierenden in Zukunft KI begegnen? 

    Wir entwickeln einen Chatbot für die Studieneingangsphase, der Studienanfängern und -interessierten hilft, sich zu orientieren. Man stellt dem Chatbot Fragen – und er gibt schlaue Antworten. Einen ersten Prototypen mit dem Namen GUDI haben wir an der Frankfurter Uni bereits im Einsatz. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt auf Formativem Assessment, also der Rückmeldung zum Lernstand während des Lernprozesses. In Einführungsveranstaltungen steht ein Professor häufig 1.000 Studierenden gegenüber. Es ist unmöglich, jedem und jeder einzeln persönliches Feedback zu geben. KI kann da helfen. Mit den Trusted Learning Analytics, wie wir sie im Projekt entwickeln, sollen Studierende Feedback erhalten. Dafür müssen Indikatoren identifiziert werden, die zeigen, ob eine Lerneinheit funktioniert. Diese werden dann von Maschinen und Algorithmen verarbeitet und senden personalisiertes Feedback an die Studierenden. 

    Sollen Ihre KI-Anwendungen auch im Summative Assessment, also für Prüfungen oder Hausarbeiten, eingesetzt werden? 

    Ja, denken Sie an Freitextaufgaben in einer Klausur. KI kann die Antworten vorsortieren und klassifizieren und die Lehrenden entlasten. Wichtig ist uns, und übrigens auch dem Gesetz: KI darf nur unterstützen, niemals entscheiden. Die Lehrenden gehen die Aufgaben noch einmal durch und nehmen die Vorschläge der KI an oder nicht. Damit trainieren sie die Maschine oder einen Algorithmus fortlaufend. Durch diese Auswertungsmethode erhalten Studierende ein detailliertes Feedback. Es heißt dann nicht mehr nur nach einer Klause: “bestanden/nicht bestanden”. 

    Ich höre schon Gewerkschaften protestieren, die fürchten, dass durch den Einsatz von Algorithmen in der Lehre Stellen gekürzt werden.  

    Schon jetzt ist das Betreuungsverhältnis, also die Relation von Lehrenden zu Studierenden, an deutschen Universitäten unterdurchschnittlich. Wir können uns nicht leisten, weitere Stellen zu streichen. Unser Projekt arbeitet an einem Unterstützungssystem, das Dozierende entlastet. 50 Prozent ihrer Zeit fließt momentan ins Korrigieren von Klausuren, Übungen  und dem Entwickeln von Prüfungen. KI kann helfen, Zeit einzusparen. Damit ist auch mehr Freiraum für den Kontakt mit den Studierenden möglich.  

    Einige Universitäten testen KI-gestützte Systeme bereits, um Studierenden individuelles Feedback zu geben. Diese Pilotprojekte laufen in MINT-Fächern. Können Sie sich KI-Anwendungen auch in Geisteswissenschaften vorstellen, nach dem Motto “Mit KI Kant verstehen oder die Maltechnik der Impressionisten erlernen”? 

    Ob die Anwendung an einer Kunsthochschule sinnvoll ist, hängt vom Anwendungsfall ab. Ich würde nie den Anspruch erheben, dass alle Fächer KI einsetzen sollten. Man muss von Fall zu Fall entscheiden, ob sich KI-Anwendungen zielführend sind. Wenn Sie einen Studiengang haben, in dem der Professor fünf Studenten gegenübersitzt, brauchen Sie keine KI. Da haben Sie die beste Betreuung, die Sie bekommen können – und die menschlichste. Neue Technologie in der Bildung messe ich an drei Kriterien: Effizienz, Effektivität und Attraktivität. Sie müssen eine gute, ansprechende Lernerfahrung bieten. Wenn eine Technologie keine der Kriterien erfüllt, sollte man besser bei alt bewährten bleiben.  

    Bekommen Sie Gegenwind aus anderen Fachrichtungen? 

    Oh ja, natürlich. Es gibt immer Vorbehalte und diese sind auch berechtigt. Als wir vor 12 Jahren die Evaluation von Lehrveranstaltungen eingeführt haben, protestierten manche Fachbereiche lautstark. Das Ende der freien Lehre sahen Sie kommen. Heute ist die Lehrveranstaltungsevaluation ein Standardservice, der weit verbreitet ist bei allen Fachbereichen – auch weil wir die Evaluationsergebnisse nur den Lehrenden anonymisiert bereitstellen. Es ist also kein Kontrollsystem, sondern ein Unterstützungssystem, unsere KI-Systeme müssen dieses Vertrauen auch erst verdienen. “Wer kontrolliert das System?”, diese Frage ist bei KI-Anwendungen mehr als berechtigt und gehen wir offen an.  

    Wer kontrolliert das System? 

    Unser Anspruch ist es, KI in den Dienst der Menschen zu stellen, die es nutzen und das zu erforschen. Das Thema Kontrollstrukturen werden wir umfassend angehen und die Stakeholdergruppen von Anfang an mitnehmen. Wie der Bundesregierung in ihrer KI-Strategie geht es auch in unserem Projekt darum, Data Literacy zu schaffen und die Vor- und Nachteile von KI beurteilen zu können. Wenn ein Unternehmen einem Lehrenden das neueste KI-Tool verkaufen will, soll die Person mündig sein und das Angebot kritisch beurteilen können. Große technische Entwicklungen können immer auch eine Büchse der Pandora sein. Bei der ersten Spaltung eines Atoms wurde nicht unbedingt an die Atombombe gedacht. Mit Impact beabsichtigen wir, selbst Erfahrung aufzubauen, damit wir sehen, was Grenzen und Möglichkeiten von KI in der Lehre sind. Es soll ein kritischer Umgang mit KI an der Hochschule entstehen, der zeigt, welche Rolle sie dort einnehmen kann und soll. Wir sind bei dieser Frage an vorderster Front. Berechtigten Gegenwind werden wir sicherlich von Datenschutzbeauftragten, aber auch von anderen Stakeholdergruppen, bekommen. Das ist aber Teil des Forschungsauftrags, der Datenschutz und Ethik als Ausgangspunkt sieht. 

    Weshalb Sie ein eigenes Team zusammengestellt haben, das sich um Fragen der Ethik und des Datenschutzes kümmert.  

    Wir arbeiten fächerübergreifend mit Informatikern, Psychologinnen oder auch Bildungswissenschaftlern zusammen. Um KI nicht als Überwachungssystem zu entwickeln,  haben wir uns von Anfang an einen eigenen Verhaltenskodex gegeben. Der Trusted Learning Analytics Kodex beinhaltet sieben Prinzipien, die uns in unserem Handeln leiten. Er sieht etwa eine Ombudsperson vor, an die sich Menschen wenden können, die Zweifel oder Kritik haben, und wir gehen mit Daten sparsam und transparent um.  

    Mit welchen Daten lernen denn die IMPACT-Anwendungen? 

    Wir werden im nächsten Wintersemester in allen beteiligten Hochschulen Lehrveranstaltungen anbieten, in denen Lerndaten gesammelt werden. Mit denen erstellen wir dann die Pilot-Systeme, die an Studierenden der gleichen Lehrveranstaltung im Folgejahr getestet werden.  

    Sie sind Koautor der im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie “KI@Bildung”. Blicken wir zum Schluss ins Klassenzimmer: Werden Ihre Forschungsergebnisse auch einen Impact auf die Schule haben?  

    Alles, was wir in der Hochschule machen, ist auch für die Schule relevant. Wir setzen mit dem EduTec-Team des DIPF auch Projekte um, in denen Lerneinheiten für Biologie, Chemie, Physik und Mathematik entwickelt werden. Die liegen auf Moodle-Servern und werden in der Pandemie stark nachgefragt. Dort arbeiten wir auch mit Textanalysen. Kurze Textabschnitte, die die Schüler selbst eingeben, um zu Beispiel ein physikalisches Phänomen zu erklären, kann die KI sehr erfolgreich darstellen. Das heißt: Sie erkennt akkurat die Konstrukte der Schüler und gibt ihnen individuell Rückmeldung.  

    • Digitalisierung
    • Gemeinsame Wissenschaftskonferenz
    • Künstliche Intelligenz
    • Technologie
    • Unterricht

    News

    Rekordjahr für Europas EduTechs: Wagniskapital verdreifacht

    Im Jahr 2021 haben Investoren 2,5 Milliarden US-Dollar Venture-Capital (VC, Wagniskapital) in europäische EduTechs gesteckt. Das berichtet Brighteye Ventures, ein europäisches Venture-Capital-Unternehmen für EduTech, in seinem European Edtech Funding Report 2022. Die Summe des Wagniskapitals für europäische EduTechs habe sich damit von 785 Millionen US-Dollar in 2020 verdreifacht – ein “explosives” Wachstum laut Brighteye Ventures. Das sah in den Vorjahren anders aus. Von 2019 auf 2020 steigerten sich die Investments gerade mal um 60 Millionen US-Dollar. 

    Weltweit stiegen die VC-Finanzierungen von 15 Milliarden US-Dollar in 2020 auf 20,1 Milliarden US-Dollar in 2021. Eine sechsfache Steigerung von 2014 (3,4 Milliarden US-Dollar), betont Bighteye Ventures. In Europa und den USA stiegen die Summen stark, während sie in China von 8,1 Milliarden US-Dollar in 2020 auf nur 1,9 Milliarden in 2021 abfielen. Europa überholt die Chinesen damit erstmals. Fast die Hälfte aller weltweiten VC-Investitionen in EduTech wurden in US-amerikanische Firmen gemacht. Der Rückgang chinesischer Risikoinvestitionen hängt laut Report vermutlich mit neuen Regulationen in China zusammen. 

    Europas EduTech-Markt wird erwachsen

    Die individuelle Größe der Beteiligungen in Europa ist ebenfalls gestiegen. Im Jahr 2020 investierten Kapitalgeber pro Geschäft rund 2,9 Millionen US-Dollar – 2021 waren es pro Geschäft 8,4 Millionen US-Dollar. Die Menge der Transaktionen stieg dabei nur leicht, von 273 in 2020 zu 299 in 2021. Brighteye Ventures sagt, dass die höheren Summen die “zunehmende Reife des Sektors” zeigen.

    Größter europäischer EduTech-Markt ist das Vereinigte Königreich. Im Jahr 2021 haben Investoren 609 Millionen US-Dollar Venture-Capital eingesetzt. Deutschland ist noch hinter Frankreich und Österreich auf dem vierten Platz. 297 Millionen US-Dollar Venture-Capital gingen an deutsche EduTech-Startups.

    Weniger Geld für Gründerinnen von Europas EduTechs

    “Edtech boomt, das Geld geht an die Männer“, titelt Journalistin Gudrun Porath bei Haufe, einer Wirtschaftszeitung. Sie kritisiert, dass Gründerinnen im EduTech-Sektor geringere Chancen auf “auskömmliche oder gar große Finanzierungsrunden” haben. Männliche Gründerteams haben laut den Zahlen von Brighteye Ventures rund 80 Prozent der europäischen VC-Investionen eingesammelt; weibliche Gründerteams nur drei Prozent. Auch die durchschnittliche Beteiligung fällt bei Gründerinnen deutlich geringer aus. Männer sammelten pro Geschäft rund 9,4 Millionen Dollar; Frauen nur 1,8 Millionen Dollar. 

    “Wollen Frauen nicht gründen, steigen sie frühzeitig wieder aus oder liegt es daran, dass immer noch Männer die technischen Disziplinen beherrschen?”, fragt Porath. Eindeutige Gründe nennt sie nicht und fordert stattdessen Gründerinnen und VC-Investoren zu mehr Mut auf. Enno Eidens

    Digitalisierungs-Studie: Wenig fachdidaktische Lehrerfortbildungen

    Weiterbildungen zum Einsatz digitaler Medien im Unterricht finden zu 70 Prozent fachunabhängig statt. Das geht aus einer Studie des Forschungsinstituts Bildung Digital (FoBiD) der Universität des Saarlandes hervor. Das vom BMBF geförderte Projekt analysierte 41.000 Fortbildungs-Veranstaltungen, die im laufenden Schuljahr stattfanden. Ein Viertel davon beschäftigte sich mit dem Thema Digitalisierung. Dabei werde ein breites Themenfeld abgedeckt, wobei die inhaltlichen Schwerpunkte auf dem Umgang mit Softwares und digitalen Tools liegen. Dem gegenüber stünden wenige Angebote zu Differenzierung, Individualisierung, Schülernähe und sozialem Lernen im digitalen Unterricht. Auch fachdidaktische Fragestellungen seien selten behandelt worden.

    Die Ergebnisse wurden vergangene Woche auf der educate 2022, einer Tagung zur digitalen Lehrkräftefortbildung, vorgestellt. “Was heute in unseren Klassenzimmern geschieht, das entscheidet über unsere Zukunft von morgen!”, eröffnete Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger die digital durchgeführte Tagung. Zu Gast waren außerdem KMK-Präsidentin Karin Prien und der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger. Die Anwesenden waren sich darüber einig, dass Digitalisierungsaspekte stärker in die Lehrkräftefortbildungen integriert werden müssen.

    “Die Digitalisierung ist nicht gekommen, um zu gehen. Sie wird uns auch in Zukunft beschäftigen”, so Stark-Watzinger. Karin Prien fügte hinzu: “Dabei kommt es maßgeblich auf die Lehrkräfte an. Wir müssen das Thema aus technischer und pädagogischer Perspektive angehen.” Denn der angestrebte Kulturwandel erfordere eine neue Form von Didaktik und eine andere Art von Unterrichtsmethoden. Die geladenen Expert:innen forderten, dass digitale Aspekte in Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften integraler Bestandteil von Schulentwicklung werden. Anouk Schlung

    • Bildungspolitik
    • Digitalisierung
    • Digitalpakt
    • Fortbildung

    DAAD vernetzt digitale Bildung in Europa

    Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) will Schulen, Universitäten und Weiterbildungseinrichtungen aus ganz Europa miteinander vernetzen, um die digitale Bildung zu verbessern. Dazu gründet er im Auftrag der Europäischen Kommission, die das Vorhaben mit rund fünf Millionen Euro unterstützt, einen “Digital Education Hub”. Darin soll sich eine wachsende “Community of Practice” miteinander austauschen. “Mit der ‘Community of Practice’ bauen wir mit starken Partnern ein Netzwerk für lösungsorientierte Zusammenarbeit in allen Bildungssektoren auf”, sagte DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee. Zu den Partnern gehören unter anderem der “Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft” aus Deutschland, die “European Association of the Distance Teaching Universities” aus den Niederlanden und das “European Distance and E-Learning Network“.

    Ziel sei es, über Ländergrenzen hinweg Erfahrungen auszutauschen, Wissen aufzubauen und Lösungen für die vielfältigen Herausforderungen der Digitalisierung im Bildungssektor zu finden. Dadurch sollen die europäischen Bildungssysteme im internationalen Vergleich leistungs- und wettbewerbsfähiger werden. Der “Digital Education Hub” bietet unter anderem Mentoring-Programme, Workshops zu Design Thinking und “Erste Hilfe”-Sprechstunden für Fragen rund um die Digitalisierung an. Im Frühjahr sollen die Formate entwickelt werden und ab Sommer als Präsenzveranstaltungen in Tallinn, Brüssel und Berlin stattfinden. Sofie Czilwik

    • Bildungspolitik
    • Digitalisierung

    Makerspace

    Fares Kayali: Lernen und Spielen haben viel gemeinsam

    Auf dem Foto zu sehen ist Fares Kayali, er arbeitet zu Game-based Learning.
    Farey Kayali ist Professor für Digitalisierung im Bildungsbereich an der Universität Wien.

    Der Commodore 64 war sein erster Computer. Damals bekannt als Spielcomputer und zur Softwareentwicklung. Mit zwölf Jahren tippte Fares Kayali noch die Codes aus den Programmierzeitschriften ab, später entwickelte und verkaufte er im Rausch der “Goldgräberstimmung” eigene Spiele. Mittlerweile ist er Professor für Digitalisierung im Bildungsbereich an der Universität Wien. Er arbeitet vor allem zu Game-based Learning, Human-Computer Interaction in der Bildung und technologiegestütztem, forschenden Lehren und Lernen.

    Wenn er an seine Schulzeit zurückdenkt, kann er sich nur an ein Spiel aus dem Englischunterricht erinnern: Hot Dogs verkaufen, um Vokabeln zu lernen. Die Spiele, die er für den Unterricht mitentwickelt, sind komplexer und abwechslungsreicher: Bei seinem Musikspiel YourTurn setzen Schülerinnen und Schüler etwa Musikvideos zu einem kreativen Mix zusammen. Das soll den interkulturellen Austausch und Empathie zwischen Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft, Geschlechter und Wohnorte fördern.

    Spiele müssen Lerntransfer schaffen

    “Ich wehre mich gegen den Ansatz, Spielen als Selbstzweck einzusetzen”, sagt Kayali, der über “Game Design and Education” habilitierte. Sie sollten nicht nur für Entspannung oder zur Auflockerung eingesetzt werden. “Da sollen Schüler:innen lieber herausgehen oder Kniebeugen machen.” Spiele im Unterricht seien nur sinnvoll, wenn sie einen Lerntransfer schaffen. Das bedeutet: Schüler:innen nehmen im besten Fall etwas für ihr eigenes Leben mit. Es sei ein Fehler, Spiele nur einzusetzen, um das Lernen weniger fad zu gestalten. Lernen ist nicht nur fad und Spielen nicht nur spaßig!” Beides habe mehr gemeinsam als auf den ersten Blick ersichtlich: Neugier, Exploration, Herausforderung.

    Kayali, Mitbegründer des Positive Impact Games Lab der Technischen Universität Wien, ist selbst begeisterter Spieler. Jeden Tag spielt er etwas. Ob lieber digital oder analog, das mag er nicht festlegen. Hauptsache ein soziales Spiel, in dem er mit Menschen interagiert. Schon im Informatikstudium merkte er, dass ihn auch beim Spieleprogrammieren besonders die kreativen und gesellschaftlichen Aspekte reizen.

    In Sachen spielebasierter digitaler Unterrichtsentwicklung ist es ihm wichtig, den gesellschaftspolitischen Kontext mitzudenken. “Es ist unser neoliberales Denken und das kapitalistische System, die dafür sorgen, dass die technischen Entwicklungen so schnell gehen”, antwortet er auf die Frage, ob die Innovation die Schulen überfordert. Es bringt nichts, wenn Lehrkräfte nun mit tollen Geräten dasitzen und nicht wissen, wie sie diese einsetzen, kritisiert er den Achtpunkteplan zur Umsetzung der digitalen Schule des österreichischen Bildungsministeriums. “Es ist sowieso ein fordernder Beruf, besonders unter den Bedingungen der Pandemie. Mit der Digitalisierung sagt man den Lehrkräften: ‘So, hier noch ein Paket zum Tragen.'” Nicht Zwang und Druck, sondern Geduld, Weiterbildung, unterstützende Ressourcen und Multiplikator:innen brauche es.

    Veraltetes Bildungssystem steht der Technologie im Weg

    Obwohl Kayali in seiner Forschung mehr mit Lehrkräften und Schüler:innen zu tun hat, die Lust auf neue Unterrichtsformen haben, weiß er, dass die Realität an den Schulen eine andere ist. Viele, oft ältere Lehrkräfte, fühlen sich überfordert. “Eine Protesthaltung bringt da aber gar nichts”, stellt er klar. Auch wenn sich das Gefühl einschleiche, der digitalen Transformation ausgeliefert zu sein. “Wir müssen am Diskurs teilnehmen und mitentscheiden”, so sein Appell.

    Es sind aber keineswegs nur Lehrkräfte, die an Tafel und Kreide festhalten. Auch das Schulsystem an sich propagiere ein konservatives Prinzip mit veralteten Bildungsidealen. Mit der Folge, dass Bildungserfolg an sozioökonomische und ethnische Herkunft geknüpft ist. Kinder aus nicht-akademischen Haushalten haben geringere Chancen auf einen hohen Schulabschluss oder eine akademische Laufbahn. Das Leseverständnis sowie die Sprache, die zu Hause gesprochen wird, beeinflussen den Bildungserfolg – nicht nur in Österreich, auch in Deutschland.

    Digitale Bildung könne ein weiteres Spektrum an Unterrichtsmethoden anbieten, um auf verschiedene Lerntypen eingehen zu können. Wenn man diese verantwortungsvoll einsetze, könne das helfen, individuell zu fördern. Dabei sei es jedoch essenziell, so Kayali, diskriminierende Strukturen nicht zu (re-)produzieren. Ein klassischer Fall dafür seien technologieimmanente Diskriminierungen, also Algorithmen, die aufgrund der Daten, mit denen sie trainiert werden, Bias reproduzieren. In den sogenannten Learning Analytics sei das ein relevantes Thema. Aber auch in der Spielentwicklung sollte man diskriminierende Kategorien und Strukturen mitdenken. Nur wie? Sich weiterbilden, sensibilisieren und Zielgruppen frühzeitig einbinden, rät der Experte. Lisa Winter

    Presseschau

    Lehrer und Expertenrat gegen Lockerungskurs NEWS4TEACHERS
    Denkwerkstatt diskutiert demokratische Beteiligung von Schülerinnen und Schülern BILDUNGSKLICK
    Pandemie belastet Studierende noch immer T-ONLINE
    Debatte: Bildungseinrichtungen als kritische Infrastruktur einstufen FAZ

    Termine

    23.02.2022, 09:30-17:00 Uhr
    Podiumsdiskussion: #D21talk – Webkongress Digitale Gesellschaft 2022
    Beim D21talk – Webkongress Digitale Gesellschaft 2022 am 23.02.2022 liegt der Fokus auf Umwelt- und Klimaschutz durch ökologische Nachhaltigkeit. Anlässlich der Veröffentlichung des D21-Digital-Index 2021/2022 finden zu den Themen Digitale Nachhaltigkeit und Digitalkompetenzen Expert:innen-Diskussionen statt. Die Speaker:innen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Journalismus und Wissenschaft thematisieren die Rolle von Digitalisierung, Nachhaltigkeit und digitalen Kompetenzen. Eine virtuelle Dachterrasse lädt zum Netzwerken ein. Anmeldung

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen