eine Milliarde Euro hat der Bund zur Verfügung gestellt, damit Lehrkräfte endlich digital ausgestattet und durch IT-Administratoren geschult werden. Das Geld, schreibt Christian Füller, liegt seit gut einem Jahr bereit. Doch an den Schulen entfaltet es noch immer kaum Wirkung. In Sachsen-Anhalt liegen stapelweise Tablets vor den Schultoren, weil im Lehrerzimmer niemand von der Auslieferung der Geräte erfahren hat (die drei Tage vor den Sommerferien ohnehin zu spät kommt). Und die Landesverwaltung Nordrhein-Westfalen hat bisher sage und schreibe 1.814,40 Euro für IT-Administratoren ausgegeben, wie sie der Grünen-Abgeordneten Sigrid Beer auf deren Nachfrage bescheinigte. 1.814,40 Euro von insgesamt 105 Millionen Euro, die dafür zur Verfügung stehen. Wenn das so weitergeht, sagt die Politikerin Beer, dann “ist die Computerzukunft unserer Kinder zu Ende, ehe sie begonnen hat”.
Welch andere – positive – Botschaft geht da von Sofie Czilwiks Bericht über die Integrierte Gesamtschule Lengede aus. Hier haben sich alle Verantwortlichen zur Nutzung einer digitalen Lernplattform entschieden, die es möglicht macht, Schülerinnen und Schüler mit ganz unterschiedlichen Lernniveaus und auch solche mit komplizierten Beeinträchtigungen zu unterrichten und individuell zu fördern. Ein Makerspace, den ich Ihnen ganz besonders ans Herz legen möchte.
In Sachsen-Anhalt geht es wie fast überall in der Republik: Lehrerinnen und Lehrer warten auf ihre neuen digitalen Dienstgeräte. Beim Ausliefern der Laptops und Tablets geht das Bundesland allerdings originell vor. Schulleiter berichten, dass die wertvollen Geräte zum Teil ohne Ankündigung einfach vor der Schule abgestellt werden. Lieferungen von mehreren Tausend Euro stehen plötzlich herum. Die Auslieferung erfolgt ohnehin zur Unzeit. Ab morgen sind in Sachsen-Anhalt Schulferien – viele der Geräte trudeln aber erst seit letzter Woche ein. Rektoren berichten, sie müssten die Geräte jetzt erst mal in den Keller stellen. Das liegt nicht nur an der unkonventionellen Zustellung, sondern auch an den IT-Administratoren. Sie sollen die Geräte einrichten, verwalten und den Lehrkräften erklären. Nicht nur in Sachsen-Anhalt wird aber man noch lange auf die Admins warten müssen.
Inzwischen beschweren sich Schulträger im Ministerium über den “sehr problematischen Ablauf der Anlieferung” der zentral bestellten Endgeräte. “Keine Schule wurde vorab über das konkrete Lieferdatum informiert, die Geräte waren plötzlich da und wurden teilweise einfach vor dem Schulgebäude abgestellt (und dann von Mitarbeitern eher zufällig entdeckt)”, heißt es im Schreiben eines Schulträgers ans Ministerium, das Bildung.Table vorliegt. “Kaum eine der Schulen hat derzeit einen Plan oder eine Handlungsanweisung Ihres Hauses (das ja Eigentümer dieser Geräte ist) zur Ausgabe und Verwendung der Geräte ggü. ihrer Lehrerschaft.” Eigentlich hatte Sachsen-Anhalt bei dem halbstaatlichen Dienstleister “Dataport” zentral bestellt, um schneller und billiger an Dienstgeräte zu kommen.
Dataport ließ auf Anfrage mitteilen, die Fälle seien dem Unternehmen nicht bekannt, würden nun aber geprüft. Zur Lieferung am Ende des Schuljahres sagte eine Sprecherin: “Für uns ist das nicht erst, sondern schon.” Dataport hat 4.000 Beschäftigte, Sachsen-Anhalt ist eines seiner Trägerländer. Auch Bildungsminister Marco Tullner (CDU) reagiert trotzig. “Die Auslieferung hat vor einigen Wochen begonnen”, sagte Tullner Bildung.Table, “und wird spätestens in der Vorbereitungswoche vor Beginn des neuen Schuljahres abgeschlossen sein.” Dieses Ziel sei allen Beteiligten stets so kommuniziert worden. Weder Tullner noch Dataport äußerten Bedauern.
Der Schulbürgerstreich Sachsen-Anhalts wirft ein bezeichnendes Licht auf die Digitalisierung der Schulen durch die Länder. Die beiden einschlägigen Verwaltungsvereinbarungen zwischen Bund und Ländern wurden ebenfalls in den Sommerferien verhandelt – allerdings denen vor einem Jahr. Im Juni 2020 war das Dienstgeräte-Programm des Bundes in Höhe von einer halben Milliarde Euro unterschriftsreif. Allerdings feilschten diverse Länder darum, bereits gekaufte Hardware mit in das Programm einzubeziehen – deswegen dauerte es bis Januar 2021, ehe die Tinte auf dem Vertrag trocken war. Die IT-Administratoren-Vereinbarung war am 3. November 2020 unterzeichnet. Das Programm, das gleichfalls 500 Millionen Euro schwer ist, dürfte eines der sinnvollsten der insgesamt vier Digitalpakte und Zusatzvereinbarungen sein: erst die IT-Admins, dann die Dienstgeräte. Aber die Länder haben das auf den Kopf gestellt – mit Folgen. In Hamburg etwa hat die falsche Reihenfolge dazu geführt, dass 7.000 Geräte unausgepackt blieben, und das mitten im zurückliegenden Schuljahr.
In Sachsen-Anhalt war zunächst unklar, ob das Geld für die sogenannten Turnschuh-Administratoren überhaupt bei den Schulträgern ankommt. In einer Verordnung hatte das Land den Kommunen mitgeteilt, die Mittel für IT-Administratoren zu behalten. “Für den Zeitraum des Digitalpakts stellen die teilnehmenden Schulträger ihre Finanzteile der Zusatzvereinbarung ‘Administration’ dem Land zur Verfügung“, heißt es einer Richtlinie, die Bildung.Table vorliegt. “Das Land informiert jährlich zur Verwendung der Mittel”. In der Schulgemeinde des Bundeslandes, wo man von einem zum anderen Ende drei Stunden unterwegs ist, war diese Zentralverwaltung aus Magdeburg nicht gut angekommen.
Vorbild für die zentrale Planwirtschaft war das Internat Schulpforta, eine Hochbegabten-Einrichtung, bei er das Land Schulträger ist. Dort gibt es bereits seit einem Jahr einen Landes-Administrator. Er kommt einmal pro Woche an die Schule. Auch auf besondere Anforderung reist der Fachmann an. Thomas Dahnke, kommissarischer Leiter von Schulpforta, ist damit grundsätzlich zufrieden. Aber er weiß, Landes-Administratoren als Springer einzusetzen ist nicht schulnah. Was er sich wünscht, wären Digitalmentoren, die direkt an der Schule angestellt sind. “Die muss man sich als eine neue Art Lehrenden vorstellen, die an der Schule sowohl direkte pädagogische, als auch technische und damit vor allem auch konzeptionelle Arbeit leisten können.” Allerdings ist das Landesinternat eh kein gutes Beispiel für eine landesweite Administration. Die Schule hat bereits seit zehn Jahren einen Vertrag mit einem IT-Dienstleister, der die Systeme der Schule vor Ort betreut.
Wegen der Kritik der Schulträger ist das Land inzwischen zu einem anderen Verfahren umgeschwenkt. Die Schulen können nun wählen, ob ihre Admins planwirtschaftlich verwaltet werden – oder ob sie sich die Mittel zuweisen lassen und sich selbst um die IT-Admins kümmern. Nur wird diese Methode zum Nachteil, wenn die Wahl sich in die Ferien ausdehnt. Es wird wohl noch Monate dauern, ehe die einzelnen Schulträger IT-Administratoren anheuern oder sich IT-Dienstleistungen bei lokalen Anbietern einkaufen.
Nutzung und Administration der Dienstgeräte ist allerdings keine Sachsen-Anhalter Spezialität. Die beiden Zuschüsse von zusammen einer Milliarde Euro des Bundes für Hardware beziehungsweise Administration stellen einen tiefen Eingriff in das Verhältnis zwischen Ländern und Schulträgern dar. Das Geld für Endgeräte und Admins entpuppt sich als Danaer-Geschenk. Bisher sind die Städte und Kreise für die sächliche Ausstattung der Schulen zuständig. Allerdings werden die Kommunen nicht in der Lage sein, Ersatzinvestitionen oder Nachkäufe von Dienstgeräten selbst zu stemmen – oder etwa IT-Administratoren für 40.000 Schulen alleine zu finanzieren. “Die Digitalisierung der Schulen stellt die Kommunen vor erhebliche finanzielle Herausforderungen“, bringt etwa die Stadt Essen das Problem auf den Punkt. Die mächtige Ruhrmetropole hat daher den Städtetag in NRW angerufen, um die “Kostenfolgeabschätzung der Investitionsprogramme” neu zu justieren.
Gibt es schon irgendwelche Fortschritte auf diesem Gebiet? Schaut man in eine Kleine Anfrage der Grünenabgeordneten Sigrid Beer über die Verwendung des Digitalpakts in NRW, die Bildung.Table exklusiv vorliegt, kann man sagen: in der Praxis funktioniert das schulische Zusammenspiel zwischen Land und Kommunen gar nicht. Für die Dienstgeräte ist der Anteil NRWs in Höhe von 105 Millionen Euro fast ausgegeben. Aber für IT-Administratoren – hier stehen ebenfalls 105 Millionen bereit – sind es gerade mal 1.814,40 Euro, und zwar in der Gemeinde Kirchlengern im Kreis Herford. “Wir müssen hier pauschale Ausgleichszahlungen festlegen”, sagte Sigrid Beer. “Vor allem aber müssen wir aus der Komplexität einer Schulverwaltung auf de facto vier Ebenen heraus. Sonst ist die Computerzukunft der Kinder zu Ende, ehe sie begonnen hat.”
Ein Gastbeitrag von Margit Wietzorrek
Der zweite Hackathon “Wir für Schule” ist jetzt schon ein paar Tage her (Bildung.Table berichtete). Ich habe die Debatte darüber nicht wirklich verfolgt. Das liegt vor allem daran, dass mich der Hackathon im vergangenen Jahr sehr inspiriert hat – und vieles veränderte, mein Lernen, mein Arbeitsleben und mich selbst. Mir ist es auch ein bisschen egal, ob Verena Pausder, wie Kritiker behaupten, dadurch noch berühmter oder reicher wird (Bildung.Table). Für mich ist entscheidend, dass von dort ein Impuls ausgeht – einer, an dem sich jeder beteiligen kann.
Das kann ich an meiner eigenen Biografie zeigen. Ich habe bei “Wir für Schule” faszinierende und engagierte Leute getroffen, mit denen ich gleich weitere Veranstaltungen begonnen habe. Ich war, ehe ich Lehrerin wurde, zehn Jahre als Personalleiterin in einem internationalen Unternehmen tätig. Dann wechselte ich in die Schule, und mir ging es danach nicht besonders gut. In den folgenden zehn Jahren hungerte ich in dem System kognitiv aus. Ich habe trotzdem sehr guten Unterricht gemacht, sagen meine Schüler:innen. Das lag vor allem an meiner nebenberuflichen Tätigkeit. Aber der Hackathon war ein Anstoß für mich, mit anderen Bildungsenthusiasten außerhalb des Systems zusammenzuarbeiten. Gemeinsam kann man viel mehr erreichen – und die Folgen wirken.
Meine Schüler:innen etwa danken es mir. Weil sich mein Unterricht stark verändert hat. Durch “Wir für Schule” bin ich nicht nur neuen, engagierten Menschen begegnet – Lehrern, Aktivisten, Erziehern, Leuten aus der Wirtschaft, ein paar Verrückte – im positiven Sinne – sind vielleicht auch dabei gewesen. Ich nutze seitdem aber auch eine Vielzahl von digitalen Tools, die ich vorher nicht kannte. Diese anzuwenden ist für mich inzwischen selbstverständlich, ja unersetzlich geworden. Auch dadurch hat sich das Verhältnis zu meinen Schüler:innen verändert. Es hat meinen Unterricht, genauer das Lernen mit meinen Schüler:innen, viel besser gemacht. Das geht von den Video-Konferenzen mit all ihren Details bis zu den kollaborativen Plattformen wie Trello oder Miro-Bord. Das sind alles Werkzeuge, die im Wesentlichen auf eines abzielen: Kooperation. Zusammenarbeit mit Lehrer:innen, aber auch mit Schüler:innen – und zwar auf eine andere Art, auf Augenhöhe. Ich habe eine Haltung angenommen, in der Lernende zu Lehrenden und Lehrende zu Lernenden werden. Mein persönliches Lernfeuer wurde zum Glück wieder entfacht. Lebenslanges Lernen ist wieder ein Teil von mir geworden und von meinem Unterricht. Ob der Hackathon das Schulwesen verändert? Ich weiß es nicht, für mich hat er schon mal viel verändert. Und das zählt.
Es ist mir übrigens überhaupt nicht egal, ob sich das Schulsystem verändert. Denn eins ist vollkommen klar: so können wir nicht weitermachen. Sonst verlieren wir viele Schüler:innen. Wenn die Hälfte einer Institution sagt, sie fühle sich nicht selbstwirksam, dann ist das für jede Organisation schlecht – wenn laut OECD aber mehr als 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen das über Schule sagen, dann ist das in meinen Augen eine Katastrophe. Wir versagen ihnen das, was das wichtigste für sie ist – genau wie für uns als Gesellschaft: dass sie sich entwickeln können, dass sie Selbstvertrauen gewinnen und bereit sind, sich zu verändern. Und die Welt.
Es hieß, dass der Hackathon der Wirtschaft nutzt. Erstens habe ich nicht bemerkt, dass in meinen Arbeitsgruppen und Teams eine unsichtbare Hand Regie geführt oder ein Unternehmen oder ein fremdes Interesse mich an irgendwas gehindert hätte. Ich glaube, zweitens, dass wir ohne die Wirtschaft und ohne engagierte Menschen nichts verändern werden. Die Wirtschaft ist, ob wir das wollen oder nicht, der wichtigste Abnehmer junger Menschen. Was 100prozentig stimmt: Ich glaube, dass viel mehr Lehrer:innen bei Reformbemühungen von Schule mitmachen sollten. Ohne uns Lehrende wird es keinen Wandel geben. Wir stehen doch vor der Situation, dass wir eine Schule betreiben, die ihre Schüler:innen gar nicht mehr richtig ernst nimmt. Wir haben im Laufe der Zeit eine bürokratische Organisation errichtet, in der die Aktiven, die Veränderer und Innovatoren nicht mehr so richtig zum Zuge kommen. Weil die ganze Organisation eher auf die Einhaltung von Regeln zielt, als auf Anpassung an die Schüler:innen und die Welt von morgen. Im Grunde wird hier Dienst nach Vorschrift gemacht. Viele Schulleiter:innen sowie übergeordnete Stelleninhaber:innen befördern Innovationen nicht, sondern verhindern sie. Wir bewegen uns zunehmend in einer Blase, die mit der Wirklichkeit da draußen immer weniger zu tun hat.
Wie könnte man Schule verändern? Erstens, müsste man Schulen Freiheit geben. Sie müssen selber bestimmen können, was sie machen wollen. Zweitens, müssen wir dann Schulleitern:innen die Möglichkeit geben, sich fortzubilden und sich weiterzuentwickeln. Sie müssen den Mut haben, ihre Schule digital und pädagogisch neu aufzustellen. Mir geht es dabei nicht um die Digitalität als Selbstzweck, mir geht es um die pädagogische Transformation der Schule, die sich verändern muss. Wenn eine Schule die Transformation nach einem oder zwei Jahren nicht geschafft hat, dann muss aus dem Team der Schule oder von extern vielleicht jemand anderes ran. Notfalls muss man Schulleiter:innen in den Ruhestand schicken, denn der gesellschaftliche Schaden ist weit größer als die zu zahlende Pension. Die Veränderungsprozesse dauern nicht selten zu lang.
In jeder Schule gibt es sehr gute Lehrer:innen. Viele von ihnen trauen sich aber nicht mehr, Veränderungen anzustoßen oder sie arbeiten sich an den verkrusteten Strukturen ab. Das Ende ist dann nicht selten die innere Kündigung oder der Burn Out. Ohne engagierte Lehrer:innen kommen wir aber nicht weiter. Wir müssen versuchen, diese Lehrer:innen wiederzugewinnen. Wir sollten daher auf Schatzsuche gehen, denn in jedem Kollegium gibt es Schätze. Deswegen lautet mein dritter Vorschlag: Die Lehrer:innen müssen ermutigt und gestärkt werden in ihrer Veränderungsfähigkeit. Es kann nicht sein, dass bei uns viele Lehrer:innen in die innere Emigration gehen. Weil sie nicht glücklich sind, weil sie sich gelähmt fühlen, weil die Schule als bürokratische Organisation sie erstickt. Ich bin mir sicher, wir werden alle viel zufriedener und glücklicher sein, wenn wir diesen Apparat zu einer lernenden Organisation verwandeln. Wer, wenn nicht Schule, sollte eine lernende Organisation sein? Wir Lehrer:innen müssen wieder brennen für Lernen, für lebenslanges Lernen. Nur so können wir unseren Schüler:innen ein Vorbild sein und ihnen Lernen als eine tiefe, innere Befriedigung vermitteln. Ohne diese Haltung werden wir die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern.
Ich war Mitglied des Zukunftsrates des Hackathons, um einen neuen Lehrplan für das 21. Jahrhundert zu entwerfen. Interessanterweise finde ich, dass wir bereits ganz gute Lehrpläne haben. Sie sind kompetenzorientiert und enthalten Öffnungsklauseln. Das heißt, wir könnten sofort anfangen. Das können wir aber nur gemeinsam und hier liegt der Schlüssel des Wandels: die Arbeitszeit. Wenn man sich anschaut, wie Lehrer:innen bisher ihre Arbeitszeit verbringen, nämlich vor allem als Einzelkämpfer, dann ließe sich durch Kooperation viel Zeit für Innovation gewinnen. Es ist zum Beispiel nicht sinnvoll, dass in einer Berufsschule zehn Lehrer:innen dieselbe Schulstunde über die Rentenversicherung vorbereiten. Dafür reichen zwei Kollegen:innen, die für ein Team etwas vorbereiten – während andere etwas anderes zusammenstellen. Das setzt Arbeitszeit frei, vor allem aber Kreativität, Innovationsbereitschaft und Spaß. Schulverwaltungen müssen digital werden, Prozesse digital unterstützt werden. Wir brauchen nicht weitere Manpower, sondern effiziente Verwaltungsprozesse, durch die wir auch lernen.
Die große Frage für mich ist, wann gehen wir aus der kollektiven Verantwortungslosigkeit heraus und jeder übernimmt die Verantwortung, für die er auch bezahlt wird. Wir wissen, wohin wir wollen, wir kennen den Weg dorthin und wir haben genügend finanzielle Mittel. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Unser Schulsystem stammt aus einer vergangenen Zeit. Wir dürfen nicht einfach stehen bleiben im Industriezeitalter.
Margit Wietzorrek ist Lehrerin für BWL und VWL an einem Wirtschaftsgymnasium. Sie hat nach dem Hackathon “Wir für Schule” die Gesellschaft für Lebenslanges Lernen mitbegründet www.lll4future.de
750.000 Schüler:innen in Hessen erhalten einen Zugang zu Sofatutor, einer Video- und Lernplattform des gleichnamigen Berliner Anbieters. Das Bundesland ist damit das dritte nach Bremen und Sachsen, das Sofatutor als Landesangebot anschafft, allerdings nur für den Zeitraum vom 12. Juli bis 29. August 2021. Darin enthalten sind verschiedene Lerninhalte – unter anderem 11.000 Lernvideos und 39.000 Arbeitsblätter – sowie eine 24-Stunden-Hilfe durch Lehrkräfte in einem Chat. “Wir wollen Schulkinder im gesamten Bundesland dabei unterstützen, erfolgreich ins nächste Schuljahr zu starten”, sagte der Gründer von Sofatutor, Stephan Bayer. Hessen zeige damit anderen Bundesländern, wie sich Corona-Lernrückstände anpacken ließen. Mehr als eine Million Personen nutzten nach Angaben von Sofatutor die Lernplattform.
Hessens Kultusminister Alexander Lorz sagte, die Ferien-Lernhilfe sei Teil des landesweiten Corona-Aufholprogramms “Löwenstark”. Er vermied es aber, Sofatutor namentlich zu erwähnen. “Wir freuen uns, dass wir allen Schülerinnen und Schülern eine umfangreiche Online-Lernplattform zur Verfügung stellen können”, meinte Lorz. Sie könnten damit individuell Unterrichtsinhalte vertiefen oder wiederholen. Für Sofatutor ist das ein Erfolg. Bayer hatte vor über zehn Jahren Sofatutor gegründet, er versuchte jahrelang vergeblich, als Lernangebot für den Vormittag zugelassen zu werden. Der Gründer ist Teil der Initiative deutscher digitaler Bildungsanbieter, die den Kultusministern und der Bundesbildungsministerin im Mai einen Runden Tisch angeboten hatten, um gemeinsam über ein Programm zur Behebung der Lernlücken zu beraten (Bildung.Table berichtete). Bis jetzt ist das Treffen nicht zustande gekommen.
Nach Informationen von Bildung.Table konnte auch der zweite etablierte Anbieter einer Inhalte-Lernplattform, Bettermarks, in der Coronakrise eine Reihe von Bundesländern dazugewinnen. Zu Hamburg und Rheinland-Pfalz kamen Bremen, Berlin und Niedersachsen mit einer Landeslizenz hinzu. Da Bettermarks Teil der HPI-Schulcloud ist, könnten auch deren neue Träger Brandenburg und Thüringen ohne großen Aufwand das Programm Bettermarks nutzen. Auch Schleswig-Holstein kooperiert mit Bettermarks, das als das erste intelligente tutorielle Lernsystem gilt, das an Schulen im großen Umfang zum Einsatz kommt. Bettermarks ist eine spezielle Anwendung für Mathematik, die auch in den Niederlanden und Uruguay genutzt wird. Sofatutor bietet 13 Schulfächer an. Beide sehen die Inhalte ihrer Plattformen als Ersatz für Schulbücher. red
Der bayerische Philologenverband hat davor gewarnt, dass die Folgen von Corona in den Schulen und bei Jugendlichen erst noch bevorstehen. “Corona-Krise heißt auch psychosoziale Krise und die ist jetzt voll in der Schule angekommen”, sagte die Coburger Schulpsychologin Regina Knape. Sie führte einen Teil der auftretenden Entwicklungsverzögerungen und Konzentrationsstörungen auf die dramatisch erhöhte Zeit vor den Bildschirmen zurück. “Wir saßen ja alle die ganze Zeit vor diesem grauen Kasten”. Bayerns Standesvertretung der Gymnasiallehrer stellte am Montag eine Umfrage unter 2.000 Lehrkräften an Gymnasien vor. Ein Fünftel der Befragten gab an, dass in ihren Gymnasialklassen vier und mehr hilfsbedürftige Schüler:innen zu finden seien. Das habe ihn überrascht, sagte der Vorsitzende der bayerischen Gymnasiallehrer Michael Schwägerl. “Wir waren blauäugig.” Auch am Gymnasium hätten “die Krisenzustände die breite Mittelschicht erreicht”.
Für die Studie der Philologen gilt wie für viele Veröffentlichungen, dass nicht Schüler:innen befragt oder gar getestet wurden, sondern die Meinung der Lehrenden erhoben wurde. Nur ein Viertel der Gymnasiallehrer in Bayern hält die derzeitigen Lernstanderhebungen für sinnvoll. Als Maßnahmen gegen Lernrückstände empfahlen vier Fünftel der Lehrkräfte kleinere Lerngruppen. Als Hilfe für Schüler mit Unterstützungsbedarf forderten 53 Prozent mehr Schulpsychologen, 45 Prozent mehr Arbeitsgruppen und 33 Prozent mehr Klassenfahrten und Ausflüge. Regina Knape und ein Kollege berichteten von den Erfahrungen aus Schulpsychologie und -beratung. “Ich möchte fast von einem Schüler-Burnout sprechen”, sagte Knape, deren Coburger schulpsychologische Stelle 200 Klient:innen betreut und ihnen noch hilft. Es sei eine psychologische Notfallversorgung nötig, gerade bei Fällen von Kindern und Jugendlichen, die auf die Coronalage depressiv reagiert hätten.
Knape legte einen Ursachenschwerpunkt auf das Medienverhalten. “Wir haben alle mit dem Medium gearbeitet, dem Computer, dem Smartphone, das am stärksten abhängig macht und einen Suchtcharakter hat”, sagte sie. “In dieser Sogwirkung seien manche Kinder richtiggehend verloren gegangen“. Es sei mehr Medienerziehung und Wissen über mediale Manipulationseffekte bei Kindern und Jugendlichen nötig. “Wir müssen aufklären, was hier passiert an Manipulation schon bei Kindergarten- und Grundschulkindern“. Knape sagte, die Kinder litten je nach Altersgruppe anders. In der Unterstufe hätten Lern- und Leistungsstörungen die Mehrheit der Fälle ausgemacht, in der Mittelstufe gehe es häufig um Entwicklungsstörungen, um Depressionen, Selbstverletzungen und Suizidalität. “Ab der zehnten, elften, zwölften Klasse gibt es eine extreme Zunahme von Mediensucht zu beobachten”, berichtete die Schulpsychologin aus ihrer Corona-Praxis. Besondere Sorgen bereiteten ihr Jugendliche, die über das Netz gruppenpsychologische Phänomene durchmachten. “Ich erlebe jetzt gerade bei Klientinnen Kinder und Jugendliche, die sich befassen mit Depression, damit, wie verletze ich mich selbst, wie kann man Suizid begehen und solche Dinge”. Es werde erhebliche Anstrengungen verlangen, die Mediennutzung wieder in Balance zu bringen. Dazu brauche man auch die Eltern. cif
Die Digitalisierung stellt Schulen, Eltern und Schüler vor viele Fragen. Der Digitalverein “Digitalcourage” bietet nun Antworten. Seit Juli ist der Verein aus Bielefeld mit einem “Netzwerk Freie Schulsoftware: Schulen helfen Schulen” online. Dort bekommen all jene Rat, die digitale Bildung umsetzen und sich von Politik, Ministern und Schulträgern im Stich gelassen fühlen. Der Bedarf und zugleich die Hilfebereitschaft sind groß: Nur eine Woche nach Start waren 400 Hilfsangebote eingegangen, teilt der Digitalverein mit. Die Nutzer sind LehrerInnen, die nicht wissen, wie sie digitalen Unterricht gestalten können, ohne in Konflikt mit dem Datenschutz zu kommen. Oder Eltern auf der Suche nach alternativen Tools, die wirklich funktionieren. Auch Schulen brauchten Orientierung, um sich bei der Ausrüstung mit Endgeräten nicht willenlos den Microsofts und Apples hinzugeben. “Dass Schulen sich von den Big Playern des Marktes bezirzen lassen, ohne nachzudenken, was mit den Daten der Lehrer und Schülerinnen passiert, kann man ihnen nicht einmal verübeln”, sagte die Medienpädagogin Jessica Wawrzyniak. “Wir müssen aber schleunigst gegensteuern und Kinder so vorbereiten, dass sie ihre Grundrechte verstehen und ihre Privatsphäre achten”.
Das Netzwerk Freie Schulsoftware funktioniert so, dass Einzelpersonen, Schulen oder auch Vereine digitale Tools vorschlagen und sich als Experte inklusive Kontaktdaten für dieses Programm eintragen. Sie nutzen dabei ein recht umfangreiches Online-Formular, das mobil in der Anwendung noch nicht ganz überzeugen kann. Es wird, alphabetisch sortiert, eine Liste aller bisher eingereichten Werkzeuge mit möglichen Ansprechpartnern vorgestellt. Gezielt kann man nach einem bestimmten Tool recherchieren; allerdings muss man bereits recht genau wissen, wonach man sucht und wie die mögliche Alternative heißt, die anstelle eines kommerziellen Angebots genutzt werden soll. Hier fehlt die Suche nach Kategorien oder mit Hilfe geeigneter Filter, um ganz frei unbekannte Angebote zu Themen wie “Kollaboratives Arbeiten” oder “digitales Klassenbuch” zu finden.
Auch wenn der Ansatz des Voneinander-Lernens vielversprechend für den Schulalltag klingt – die Seite bietet in Funktion und Aufmachung noch Luft nach oben. Insbesondere wenn das Ziel ist, Ratsuchenden ohne viel Vorerfahrung lizenzfreie und datensparsame Alternativen zu den US-Tech-Anbietern von Google bis WhatsApp bereitzustellen. “Wir fühlen uns verantwortlich, Bildung in eine Richtung zu lenken, die digital mündige Bürgerinnen und Bürger hervorbringt”, sagt Leena Simon. Die Netzphilosophin bei Digitalcourage sieht es als “digital-bildungspolitisches Totalversagen der Politik“, dass dieser Impuls nicht von den Ministerien kommt. Bereits 2020 hat der Digitalverein Digitalcourage, den es schon seit 1987 gibt, ein Bildungspaket herausgebracht, das Informationen zur digitalen Bildung bündelt. Das Netzwerk ist nun die Fortsetzung mit praktischer Hilfe. chk/neis
Als Jan-Peter Braun vor elf Jahren die Integrierte Gesamtschule Lengede(IGS Lengede) aufbaute, sprach er mit den Besten. Zum Beispiel einer deutschen Auswandererfamilie in Schweden. Und mit den Trägern des deutschen Schulpreises, weil er verstehen wollte, was fortschrittlich gedachte Schulen auszeichnet. Und mit der deutschen Familie in Schweden, die die Schulsysteme beider Länder kannte und berichtete, dass die Kinder in Schweden in ihren Ranzen längst keine schweren Bücher mehr schleppten, sondern ganz einfach ein Notebook. Darauf aufgespielt: ein Lernmanagementsystem und alle Materialien. “Das war damals für mich wirklich neu. Für uns alle! Denn so etwas gab es in Deutschland an Schulen noch nicht!”, sagt Braun. Er hat es sich abgeguckt.
Lengede liegt im Landkreis Peine im Osten Niedersachsens. Weder städtisch, noch ländlich, weder reich, noch arm – die Gesamtschule besuchen Kinder, denen das Lernen leicht fällt, genauso wie Kinder mit Förderbedarf. Circa 60 der 1050 Lengeder Gesamtschülerinnen und -schüler haben eine geistige Entwicklungsverzögerung, eine Sehbeeinträchtigung, eine Lese-Rechtschreibschwäche oder eine Hörbeeinträchtigung. “Wir bilden den Idealzustand einer Gesamtschule ab,” sagt Schulleiter Braun, der sich aus seinem Büro per Video zugeschaltet hat. Eine Schule für wirklich alle.
Damit all die unterschiedlichen Kinder an der IGS Lengede am Unterricht teilnehmen können, setzt Jan-Peter Braun auf individualisiertes und eigenverantwortliches Lernen. Oder wie es auf der Homepage heißt: Es werden keine Fächer, sondern Kinder unterrichtet.
Jan-Peter Braun bedient sich dabei dabei einer Lernplattform namens “itslearning” aus Norwegen. Alle Schülerinnen und Schüler, alle Lehrerinnen und Lehrer, aber auch die Eltern, die Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter können auf die Plattform von jedem Gerät aus zugreifen. Denn die Anwendung ist über jeden Browser zugänglich. Itslearning selbst ist Teil einer Entwicklung, die die Schule vorangetrieben hat: den digitalen Werkzeugkasten. Da steckt, über das Tablet erreichbar, alles drin, was die Mitglieder der Schulgemeinde brauchen: die Lehrer können ihre Dateien hochladen, die Schüler Multimedia-Inhalte teilen, die Eltern an Umfragen teilnehmen und alle zusammen in digitalen Räumen diskutieren, selbst die Schulverwaltung findet hierüber statt. “Das ist wesentlich praktischer, als wenn man den ganzen Papierkrams und so mitschleppen muss“, sagt Kübra* aus der 5b.
Die Schülerinnen und Schüler bearbeiten ihre Aufgaben gemäß ihres Zugangs und ihrer Kenntnisse. Wenn sie beispielsweise einen Zeitungsartikel über den Klimawandel zusammenfassen müssen, bekommen die einen den Originalbericht, die anderen eine gekürzte Version. Früher als sie noch auf Papier arbeiteten, hätten manche Schüler Angst gehabt, dass ihren Mitschüler auffallen würde, dass sie die leichteren Aufgaben bearbeiteten, so Braun. Um nicht abzuweichen, hätten sie dann Aufgaben bearbeitet, “die einfach zu schwierig für sie waren.”
Nicht nur für unterschiedliche Stärken, sondern auch für Kinder mit Beeinträchtigungen bietet die Plattform unterschiedliche Zugänge. Schüler mit Legasthenie, die die Buchstaben ihrer Texte so stark verdrehen, dass Lehrkräfte das Geschriebene nicht verstehen können, haben die Möglichkeit über itslearning nach dem Schreiben ihren Text noch einzusprechen. So kann die Leistung des oder der Jugendlichen trotzdem beurteilt werden, unabhängig von der Beeinträchtigung.
Weil jedes Kind über ein internetfähiges Gerät auf die Lernplattform zugreifen kann, brauchen sie keine Apps herunterzuladen, die mit jedem Update eine aktuelle Betriebssoftware brauchen, die ohne Passwörter, Berechtigungen und ausreichend Speicherplatz nicht installiert werden können. Das Digitale so einfach wie möglich zu gestalten, das war dem Schulleiter wichtig. So gibt es für die Schülerinnen und Schüler auch keine Tablets von der Schule, sondern sie bringen ihre eigenen Geräte mit. “Ein Tablet ist genauso ein Lerngerät wie ein Füller“, sagt Braun. Es sei nicht die Aufgabe der Schule, die Kinder auf eine bestimmte Marke oder ein bestimmtes System zu schulen.
Dass die Schule sich für diese multifunktionale Lernplattform entschied, war ein monatelanger gemeinsamer Prozess. Die Schülerinnen wurden genauso befragt wie die Lehrer. Für das Kollegium war es wichtig, dass die Plattform leicht zu bedienen war, die Schüler befürchteten, sie dürften jetzt nicht mehr in der Schulküche kochen, sondern müssten fortan die Zutaten nur noch per “drag an drop” am Computer zusammen mixen. Doch die technischen Geräte mit Zugang zum “World Wide Web” sind an der IGS Lengede kein Ersatz, sondern eine Ergänzung zum Unterricht. Und im Kochkurs können sie jetzt nicht nur viel schneller Lieblingsrezepte online suchen, sondern sogar den Ort, an dem das Gericht entstanden ist, über einen Kartendienst mit Satellitenaufnahmen virtuell bereisen.
Und dass die Lehrenden überfordert gewesen wären mit neuer Technik, mit neuen Anwendungen, mit digitalen Listen anstatt der kleinen roten Notenbüchlein, hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil. Dass Lehrmaterialen über itslearning gespeichert werden und für alle einsehbar sind, nützt jedem Lehrer und jeder Lehrerin. “Dass Lehrkräfte in Deutschland immer noch Einzelkämpfer sind, ist ein altbekanntes Problem,” meint Braun. Mit der Digitalisierung kam zumindest an seine Schule mehr Transparenz. Diejenigen, die eine fünfte Klasse übernehmen, können sich die Materialien und Arbeitsblätter der letzten fünften Klasse einsehen und sie übernehmen. Mitbestimmung, Transparenz und geteiltes Wissen – für Braun ist das gelebte Demokratie.
Nach einem Jahrzehnt IGS Lengede guckt sich Schulleiter Braun nicht mehr viel von ausgezeichneten Schulen ab. Eher gilt seine Schule mittlerweile als Vorbild. Denn den Schulpreis hat er dieses Jahr selbst abgeräumt. Auch die Corona-Krise hat seinem Schulkonzept Recht gegeben. Anders als andere Schulen, die die im Homeoffice buchstäblich ihre Schülerinnen und Schüler verloren, konnte der Unterricht an der IGS Lengede fast ohne Brüche weitergeführt werden. Das hat sich auch in der Region mittlerweile rumgesprochen. In diesem Sommer hatte die Schule so viele Anmeldungen wie noch nie. Sofie Czilwik
* Name von der Redaktion geändert
Zunächst lerne ich dabei mein eigenes Kollegium neu kennen. Bei einem Barcamp in der Schule wird sichtbar, über welchen Reichtum an Wissen wir im Kollegium verfügen. Man kommt in Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen, mit denen man vorher wenig zu tun hatte. Plötzlich geht es über die Kontakte mit Leuten des gleichen Faches hinaus. Man ahnte gar nicht so recht, was die alles wissen. Ich begegne Leuten, die aus der Praxis berichten, und es werden viele Experten ihres jeweiligen Gebiets sichtbar. In einem Barcamp kann ich gut in ein neues Thema einsteigen – oder, je nach Sessionangebot, auf einem Level einsteigen, das nicht mehr Anfänger-Niveau ist. Im Idealfall werden die berühmten 4K abgedeckt: Man kommt in eine Kommunikation und man kann kollaborieren. Wenn es gut läuft, entsteht etwas Neues, Kreatives – und über die Diskussion kommt man auch an kritische Punkte.
Man kann ein Barcamp komplett offline machen. Aber man möchte ja unter Umständen Tools vorstellen, die online nutzbar sind. Von daher ist es sinnvoll, ein stabiles Wlan für die Kolleginnen und Kollegen anzubieten, damit diese Tools direkt anwendbar sind. Lehrende sind manchmal nicht ganz so spontan – deswegen hilft es, im Vorhinein online Werbung zu machen und erste Sessionsangebote zu sammeln. Die Dokumentation einer Session erfolgt meist über Etherpads – dann hat das Kollegium online etwas, auf das alle gemeinsam zugreifen können. Feedback ist so auch ex post ganz einfach.
Das Barcamp war vor dem Coronavirus eine super Fortbildungsform und auch währenddessen haben wir es an der Schule gemacht – nur halt online, ein großer Vorteil für die Vernetzung. Ich freue mich aber schon darauf, jetzt wieder in Präsenz ganz vielen Menschen begegnen zu können, also nicht nur den Kolleginnen und Kollegen. Der Vernetzungsgedanke ist für mich besser gegeben, wenn man sich nicht nur online sieht. Ich begegne zum Beispiel Kolleg:nnen aus dem Twitterlehrerzimmer noch einmal anders, wenn ich ihnen schon einmal live begegnet bin.
Vor einem Jahr haben wir bei uns an einer kooperativen Gesamtschule mit Oberstufe im Osten von Frankfurt einen pädagogischen Tag als Barcamp gestaltet. Da haben wir uns noch nicht getraut, von Sessions oder Slots zu sprechen. Ein Jahr später, mitten im Corona-Lockdown, war das kein Thema mehr – da stand der Austausch im Vordergrund, alle hatten großen Bedarf. Vieles lief ganz einfach, in zwei Stunden boten wir drei Zeit-Slots á 30 Minuten mit sechs parallel stattfindenden Sessions an. Es war wunderbar, wie man auf den Erfahrungen der Kolleg:nnen aufbauen konnte. Das war ein erfreulicher Moment – und ein sehr nützlicher.
Wenn man ein Thema oder Tool richtig vertiefen will, dann geht das nicht in 30 oder 45 Minuten, da muss man schon mal zwei Zeitslots zusammenlegen. Und: die Kolleg:innen beschwerten sich fast, dass sie bei von den vielen zur Auswahl stehenden Sessions nur eine besuchen konnten.
Christine Skupsch ist Lehrerin an der Schule am Ried in Frankfurt am Main
eine Milliarde Euro hat der Bund zur Verfügung gestellt, damit Lehrkräfte endlich digital ausgestattet und durch IT-Administratoren geschult werden. Das Geld, schreibt Christian Füller, liegt seit gut einem Jahr bereit. Doch an den Schulen entfaltet es noch immer kaum Wirkung. In Sachsen-Anhalt liegen stapelweise Tablets vor den Schultoren, weil im Lehrerzimmer niemand von der Auslieferung der Geräte erfahren hat (die drei Tage vor den Sommerferien ohnehin zu spät kommt). Und die Landesverwaltung Nordrhein-Westfalen hat bisher sage und schreibe 1.814,40 Euro für IT-Administratoren ausgegeben, wie sie der Grünen-Abgeordneten Sigrid Beer auf deren Nachfrage bescheinigte. 1.814,40 Euro von insgesamt 105 Millionen Euro, die dafür zur Verfügung stehen. Wenn das so weitergeht, sagt die Politikerin Beer, dann “ist die Computerzukunft unserer Kinder zu Ende, ehe sie begonnen hat”.
Welch andere – positive – Botschaft geht da von Sofie Czilwiks Bericht über die Integrierte Gesamtschule Lengede aus. Hier haben sich alle Verantwortlichen zur Nutzung einer digitalen Lernplattform entschieden, die es möglicht macht, Schülerinnen und Schüler mit ganz unterschiedlichen Lernniveaus und auch solche mit komplizierten Beeinträchtigungen zu unterrichten und individuell zu fördern. Ein Makerspace, den ich Ihnen ganz besonders ans Herz legen möchte.
In Sachsen-Anhalt geht es wie fast überall in der Republik: Lehrerinnen und Lehrer warten auf ihre neuen digitalen Dienstgeräte. Beim Ausliefern der Laptops und Tablets geht das Bundesland allerdings originell vor. Schulleiter berichten, dass die wertvollen Geräte zum Teil ohne Ankündigung einfach vor der Schule abgestellt werden. Lieferungen von mehreren Tausend Euro stehen plötzlich herum. Die Auslieferung erfolgt ohnehin zur Unzeit. Ab morgen sind in Sachsen-Anhalt Schulferien – viele der Geräte trudeln aber erst seit letzter Woche ein. Rektoren berichten, sie müssten die Geräte jetzt erst mal in den Keller stellen. Das liegt nicht nur an der unkonventionellen Zustellung, sondern auch an den IT-Administratoren. Sie sollen die Geräte einrichten, verwalten und den Lehrkräften erklären. Nicht nur in Sachsen-Anhalt wird aber man noch lange auf die Admins warten müssen.
Inzwischen beschweren sich Schulträger im Ministerium über den “sehr problematischen Ablauf der Anlieferung” der zentral bestellten Endgeräte. “Keine Schule wurde vorab über das konkrete Lieferdatum informiert, die Geräte waren plötzlich da und wurden teilweise einfach vor dem Schulgebäude abgestellt (und dann von Mitarbeitern eher zufällig entdeckt)”, heißt es im Schreiben eines Schulträgers ans Ministerium, das Bildung.Table vorliegt. “Kaum eine der Schulen hat derzeit einen Plan oder eine Handlungsanweisung Ihres Hauses (das ja Eigentümer dieser Geräte ist) zur Ausgabe und Verwendung der Geräte ggü. ihrer Lehrerschaft.” Eigentlich hatte Sachsen-Anhalt bei dem halbstaatlichen Dienstleister “Dataport” zentral bestellt, um schneller und billiger an Dienstgeräte zu kommen.
Dataport ließ auf Anfrage mitteilen, die Fälle seien dem Unternehmen nicht bekannt, würden nun aber geprüft. Zur Lieferung am Ende des Schuljahres sagte eine Sprecherin: “Für uns ist das nicht erst, sondern schon.” Dataport hat 4.000 Beschäftigte, Sachsen-Anhalt ist eines seiner Trägerländer. Auch Bildungsminister Marco Tullner (CDU) reagiert trotzig. “Die Auslieferung hat vor einigen Wochen begonnen”, sagte Tullner Bildung.Table, “und wird spätestens in der Vorbereitungswoche vor Beginn des neuen Schuljahres abgeschlossen sein.” Dieses Ziel sei allen Beteiligten stets so kommuniziert worden. Weder Tullner noch Dataport äußerten Bedauern.
Der Schulbürgerstreich Sachsen-Anhalts wirft ein bezeichnendes Licht auf die Digitalisierung der Schulen durch die Länder. Die beiden einschlägigen Verwaltungsvereinbarungen zwischen Bund und Ländern wurden ebenfalls in den Sommerferien verhandelt – allerdings denen vor einem Jahr. Im Juni 2020 war das Dienstgeräte-Programm des Bundes in Höhe von einer halben Milliarde Euro unterschriftsreif. Allerdings feilschten diverse Länder darum, bereits gekaufte Hardware mit in das Programm einzubeziehen – deswegen dauerte es bis Januar 2021, ehe die Tinte auf dem Vertrag trocken war. Die IT-Administratoren-Vereinbarung war am 3. November 2020 unterzeichnet. Das Programm, das gleichfalls 500 Millionen Euro schwer ist, dürfte eines der sinnvollsten der insgesamt vier Digitalpakte und Zusatzvereinbarungen sein: erst die IT-Admins, dann die Dienstgeräte. Aber die Länder haben das auf den Kopf gestellt – mit Folgen. In Hamburg etwa hat die falsche Reihenfolge dazu geführt, dass 7.000 Geräte unausgepackt blieben, und das mitten im zurückliegenden Schuljahr.
In Sachsen-Anhalt war zunächst unklar, ob das Geld für die sogenannten Turnschuh-Administratoren überhaupt bei den Schulträgern ankommt. In einer Verordnung hatte das Land den Kommunen mitgeteilt, die Mittel für IT-Administratoren zu behalten. “Für den Zeitraum des Digitalpakts stellen die teilnehmenden Schulträger ihre Finanzteile der Zusatzvereinbarung ‘Administration’ dem Land zur Verfügung“, heißt es einer Richtlinie, die Bildung.Table vorliegt. “Das Land informiert jährlich zur Verwendung der Mittel”. In der Schulgemeinde des Bundeslandes, wo man von einem zum anderen Ende drei Stunden unterwegs ist, war diese Zentralverwaltung aus Magdeburg nicht gut angekommen.
Vorbild für die zentrale Planwirtschaft war das Internat Schulpforta, eine Hochbegabten-Einrichtung, bei er das Land Schulträger ist. Dort gibt es bereits seit einem Jahr einen Landes-Administrator. Er kommt einmal pro Woche an die Schule. Auch auf besondere Anforderung reist der Fachmann an. Thomas Dahnke, kommissarischer Leiter von Schulpforta, ist damit grundsätzlich zufrieden. Aber er weiß, Landes-Administratoren als Springer einzusetzen ist nicht schulnah. Was er sich wünscht, wären Digitalmentoren, die direkt an der Schule angestellt sind. “Die muss man sich als eine neue Art Lehrenden vorstellen, die an der Schule sowohl direkte pädagogische, als auch technische und damit vor allem auch konzeptionelle Arbeit leisten können.” Allerdings ist das Landesinternat eh kein gutes Beispiel für eine landesweite Administration. Die Schule hat bereits seit zehn Jahren einen Vertrag mit einem IT-Dienstleister, der die Systeme der Schule vor Ort betreut.
Wegen der Kritik der Schulträger ist das Land inzwischen zu einem anderen Verfahren umgeschwenkt. Die Schulen können nun wählen, ob ihre Admins planwirtschaftlich verwaltet werden – oder ob sie sich die Mittel zuweisen lassen und sich selbst um die IT-Admins kümmern. Nur wird diese Methode zum Nachteil, wenn die Wahl sich in die Ferien ausdehnt. Es wird wohl noch Monate dauern, ehe die einzelnen Schulträger IT-Administratoren anheuern oder sich IT-Dienstleistungen bei lokalen Anbietern einkaufen.
Nutzung und Administration der Dienstgeräte ist allerdings keine Sachsen-Anhalter Spezialität. Die beiden Zuschüsse von zusammen einer Milliarde Euro des Bundes für Hardware beziehungsweise Administration stellen einen tiefen Eingriff in das Verhältnis zwischen Ländern und Schulträgern dar. Das Geld für Endgeräte und Admins entpuppt sich als Danaer-Geschenk. Bisher sind die Städte und Kreise für die sächliche Ausstattung der Schulen zuständig. Allerdings werden die Kommunen nicht in der Lage sein, Ersatzinvestitionen oder Nachkäufe von Dienstgeräten selbst zu stemmen – oder etwa IT-Administratoren für 40.000 Schulen alleine zu finanzieren. “Die Digitalisierung der Schulen stellt die Kommunen vor erhebliche finanzielle Herausforderungen“, bringt etwa die Stadt Essen das Problem auf den Punkt. Die mächtige Ruhrmetropole hat daher den Städtetag in NRW angerufen, um die “Kostenfolgeabschätzung der Investitionsprogramme” neu zu justieren.
Gibt es schon irgendwelche Fortschritte auf diesem Gebiet? Schaut man in eine Kleine Anfrage der Grünenabgeordneten Sigrid Beer über die Verwendung des Digitalpakts in NRW, die Bildung.Table exklusiv vorliegt, kann man sagen: in der Praxis funktioniert das schulische Zusammenspiel zwischen Land und Kommunen gar nicht. Für die Dienstgeräte ist der Anteil NRWs in Höhe von 105 Millionen Euro fast ausgegeben. Aber für IT-Administratoren – hier stehen ebenfalls 105 Millionen bereit – sind es gerade mal 1.814,40 Euro, und zwar in der Gemeinde Kirchlengern im Kreis Herford. “Wir müssen hier pauschale Ausgleichszahlungen festlegen”, sagte Sigrid Beer. “Vor allem aber müssen wir aus der Komplexität einer Schulverwaltung auf de facto vier Ebenen heraus. Sonst ist die Computerzukunft der Kinder zu Ende, ehe sie begonnen hat.”
Ein Gastbeitrag von Margit Wietzorrek
Der zweite Hackathon “Wir für Schule” ist jetzt schon ein paar Tage her (Bildung.Table berichtete). Ich habe die Debatte darüber nicht wirklich verfolgt. Das liegt vor allem daran, dass mich der Hackathon im vergangenen Jahr sehr inspiriert hat – und vieles veränderte, mein Lernen, mein Arbeitsleben und mich selbst. Mir ist es auch ein bisschen egal, ob Verena Pausder, wie Kritiker behaupten, dadurch noch berühmter oder reicher wird (Bildung.Table). Für mich ist entscheidend, dass von dort ein Impuls ausgeht – einer, an dem sich jeder beteiligen kann.
Das kann ich an meiner eigenen Biografie zeigen. Ich habe bei “Wir für Schule” faszinierende und engagierte Leute getroffen, mit denen ich gleich weitere Veranstaltungen begonnen habe. Ich war, ehe ich Lehrerin wurde, zehn Jahre als Personalleiterin in einem internationalen Unternehmen tätig. Dann wechselte ich in die Schule, und mir ging es danach nicht besonders gut. In den folgenden zehn Jahren hungerte ich in dem System kognitiv aus. Ich habe trotzdem sehr guten Unterricht gemacht, sagen meine Schüler:innen. Das lag vor allem an meiner nebenberuflichen Tätigkeit. Aber der Hackathon war ein Anstoß für mich, mit anderen Bildungsenthusiasten außerhalb des Systems zusammenzuarbeiten. Gemeinsam kann man viel mehr erreichen – und die Folgen wirken.
Meine Schüler:innen etwa danken es mir. Weil sich mein Unterricht stark verändert hat. Durch “Wir für Schule” bin ich nicht nur neuen, engagierten Menschen begegnet – Lehrern, Aktivisten, Erziehern, Leuten aus der Wirtschaft, ein paar Verrückte – im positiven Sinne – sind vielleicht auch dabei gewesen. Ich nutze seitdem aber auch eine Vielzahl von digitalen Tools, die ich vorher nicht kannte. Diese anzuwenden ist für mich inzwischen selbstverständlich, ja unersetzlich geworden. Auch dadurch hat sich das Verhältnis zu meinen Schüler:innen verändert. Es hat meinen Unterricht, genauer das Lernen mit meinen Schüler:innen, viel besser gemacht. Das geht von den Video-Konferenzen mit all ihren Details bis zu den kollaborativen Plattformen wie Trello oder Miro-Bord. Das sind alles Werkzeuge, die im Wesentlichen auf eines abzielen: Kooperation. Zusammenarbeit mit Lehrer:innen, aber auch mit Schüler:innen – und zwar auf eine andere Art, auf Augenhöhe. Ich habe eine Haltung angenommen, in der Lernende zu Lehrenden und Lehrende zu Lernenden werden. Mein persönliches Lernfeuer wurde zum Glück wieder entfacht. Lebenslanges Lernen ist wieder ein Teil von mir geworden und von meinem Unterricht. Ob der Hackathon das Schulwesen verändert? Ich weiß es nicht, für mich hat er schon mal viel verändert. Und das zählt.
Es ist mir übrigens überhaupt nicht egal, ob sich das Schulsystem verändert. Denn eins ist vollkommen klar: so können wir nicht weitermachen. Sonst verlieren wir viele Schüler:innen. Wenn die Hälfte einer Institution sagt, sie fühle sich nicht selbstwirksam, dann ist das für jede Organisation schlecht – wenn laut OECD aber mehr als 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen das über Schule sagen, dann ist das in meinen Augen eine Katastrophe. Wir versagen ihnen das, was das wichtigste für sie ist – genau wie für uns als Gesellschaft: dass sie sich entwickeln können, dass sie Selbstvertrauen gewinnen und bereit sind, sich zu verändern. Und die Welt.
Es hieß, dass der Hackathon der Wirtschaft nutzt. Erstens habe ich nicht bemerkt, dass in meinen Arbeitsgruppen und Teams eine unsichtbare Hand Regie geführt oder ein Unternehmen oder ein fremdes Interesse mich an irgendwas gehindert hätte. Ich glaube, zweitens, dass wir ohne die Wirtschaft und ohne engagierte Menschen nichts verändern werden. Die Wirtschaft ist, ob wir das wollen oder nicht, der wichtigste Abnehmer junger Menschen. Was 100prozentig stimmt: Ich glaube, dass viel mehr Lehrer:innen bei Reformbemühungen von Schule mitmachen sollten. Ohne uns Lehrende wird es keinen Wandel geben. Wir stehen doch vor der Situation, dass wir eine Schule betreiben, die ihre Schüler:innen gar nicht mehr richtig ernst nimmt. Wir haben im Laufe der Zeit eine bürokratische Organisation errichtet, in der die Aktiven, die Veränderer und Innovatoren nicht mehr so richtig zum Zuge kommen. Weil die ganze Organisation eher auf die Einhaltung von Regeln zielt, als auf Anpassung an die Schüler:innen und die Welt von morgen. Im Grunde wird hier Dienst nach Vorschrift gemacht. Viele Schulleiter:innen sowie übergeordnete Stelleninhaber:innen befördern Innovationen nicht, sondern verhindern sie. Wir bewegen uns zunehmend in einer Blase, die mit der Wirklichkeit da draußen immer weniger zu tun hat.
Wie könnte man Schule verändern? Erstens, müsste man Schulen Freiheit geben. Sie müssen selber bestimmen können, was sie machen wollen. Zweitens, müssen wir dann Schulleitern:innen die Möglichkeit geben, sich fortzubilden und sich weiterzuentwickeln. Sie müssen den Mut haben, ihre Schule digital und pädagogisch neu aufzustellen. Mir geht es dabei nicht um die Digitalität als Selbstzweck, mir geht es um die pädagogische Transformation der Schule, die sich verändern muss. Wenn eine Schule die Transformation nach einem oder zwei Jahren nicht geschafft hat, dann muss aus dem Team der Schule oder von extern vielleicht jemand anderes ran. Notfalls muss man Schulleiter:innen in den Ruhestand schicken, denn der gesellschaftliche Schaden ist weit größer als die zu zahlende Pension. Die Veränderungsprozesse dauern nicht selten zu lang.
In jeder Schule gibt es sehr gute Lehrer:innen. Viele von ihnen trauen sich aber nicht mehr, Veränderungen anzustoßen oder sie arbeiten sich an den verkrusteten Strukturen ab. Das Ende ist dann nicht selten die innere Kündigung oder der Burn Out. Ohne engagierte Lehrer:innen kommen wir aber nicht weiter. Wir müssen versuchen, diese Lehrer:innen wiederzugewinnen. Wir sollten daher auf Schatzsuche gehen, denn in jedem Kollegium gibt es Schätze. Deswegen lautet mein dritter Vorschlag: Die Lehrer:innen müssen ermutigt und gestärkt werden in ihrer Veränderungsfähigkeit. Es kann nicht sein, dass bei uns viele Lehrer:innen in die innere Emigration gehen. Weil sie nicht glücklich sind, weil sie sich gelähmt fühlen, weil die Schule als bürokratische Organisation sie erstickt. Ich bin mir sicher, wir werden alle viel zufriedener und glücklicher sein, wenn wir diesen Apparat zu einer lernenden Organisation verwandeln. Wer, wenn nicht Schule, sollte eine lernende Organisation sein? Wir Lehrer:innen müssen wieder brennen für Lernen, für lebenslanges Lernen. Nur so können wir unseren Schüler:innen ein Vorbild sein und ihnen Lernen als eine tiefe, innere Befriedigung vermitteln. Ohne diese Haltung werden wir die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern.
Ich war Mitglied des Zukunftsrates des Hackathons, um einen neuen Lehrplan für das 21. Jahrhundert zu entwerfen. Interessanterweise finde ich, dass wir bereits ganz gute Lehrpläne haben. Sie sind kompetenzorientiert und enthalten Öffnungsklauseln. Das heißt, wir könnten sofort anfangen. Das können wir aber nur gemeinsam und hier liegt der Schlüssel des Wandels: die Arbeitszeit. Wenn man sich anschaut, wie Lehrer:innen bisher ihre Arbeitszeit verbringen, nämlich vor allem als Einzelkämpfer, dann ließe sich durch Kooperation viel Zeit für Innovation gewinnen. Es ist zum Beispiel nicht sinnvoll, dass in einer Berufsschule zehn Lehrer:innen dieselbe Schulstunde über die Rentenversicherung vorbereiten. Dafür reichen zwei Kollegen:innen, die für ein Team etwas vorbereiten – während andere etwas anderes zusammenstellen. Das setzt Arbeitszeit frei, vor allem aber Kreativität, Innovationsbereitschaft und Spaß. Schulverwaltungen müssen digital werden, Prozesse digital unterstützt werden. Wir brauchen nicht weitere Manpower, sondern effiziente Verwaltungsprozesse, durch die wir auch lernen.
Die große Frage für mich ist, wann gehen wir aus der kollektiven Verantwortungslosigkeit heraus und jeder übernimmt die Verantwortung, für die er auch bezahlt wird. Wir wissen, wohin wir wollen, wir kennen den Weg dorthin und wir haben genügend finanzielle Mittel. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Unser Schulsystem stammt aus einer vergangenen Zeit. Wir dürfen nicht einfach stehen bleiben im Industriezeitalter.
Margit Wietzorrek ist Lehrerin für BWL und VWL an einem Wirtschaftsgymnasium. Sie hat nach dem Hackathon “Wir für Schule” die Gesellschaft für Lebenslanges Lernen mitbegründet www.lll4future.de
750.000 Schüler:innen in Hessen erhalten einen Zugang zu Sofatutor, einer Video- und Lernplattform des gleichnamigen Berliner Anbieters. Das Bundesland ist damit das dritte nach Bremen und Sachsen, das Sofatutor als Landesangebot anschafft, allerdings nur für den Zeitraum vom 12. Juli bis 29. August 2021. Darin enthalten sind verschiedene Lerninhalte – unter anderem 11.000 Lernvideos und 39.000 Arbeitsblätter – sowie eine 24-Stunden-Hilfe durch Lehrkräfte in einem Chat. “Wir wollen Schulkinder im gesamten Bundesland dabei unterstützen, erfolgreich ins nächste Schuljahr zu starten”, sagte der Gründer von Sofatutor, Stephan Bayer. Hessen zeige damit anderen Bundesländern, wie sich Corona-Lernrückstände anpacken ließen. Mehr als eine Million Personen nutzten nach Angaben von Sofatutor die Lernplattform.
Hessens Kultusminister Alexander Lorz sagte, die Ferien-Lernhilfe sei Teil des landesweiten Corona-Aufholprogramms “Löwenstark”. Er vermied es aber, Sofatutor namentlich zu erwähnen. “Wir freuen uns, dass wir allen Schülerinnen und Schülern eine umfangreiche Online-Lernplattform zur Verfügung stellen können”, meinte Lorz. Sie könnten damit individuell Unterrichtsinhalte vertiefen oder wiederholen. Für Sofatutor ist das ein Erfolg. Bayer hatte vor über zehn Jahren Sofatutor gegründet, er versuchte jahrelang vergeblich, als Lernangebot für den Vormittag zugelassen zu werden. Der Gründer ist Teil der Initiative deutscher digitaler Bildungsanbieter, die den Kultusministern und der Bundesbildungsministerin im Mai einen Runden Tisch angeboten hatten, um gemeinsam über ein Programm zur Behebung der Lernlücken zu beraten (Bildung.Table berichtete). Bis jetzt ist das Treffen nicht zustande gekommen.
Nach Informationen von Bildung.Table konnte auch der zweite etablierte Anbieter einer Inhalte-Lernplattform, Bettermarks, in der Coronakrise eine Reihe von Bundesländern dazugewinnen. Zu Hamburg und Rheinland-Pfalz kamen Bremen, Berlin und Niedersachsen mit einer Landeslizenz hinzu. Da Bettermarks Teil der HPI-Schulcloud ist, könnten auch deren neue Träger Brandenburg und Thüringen ohne großen Aufwand das Programm Bettermarks nutzen. Auch Schleswig-Holstein kooperiert mit Bettermarks, das als das erste intelligente tutorielle Lernsystem gilt, das an Schulen im großen Umfang zum Einsatz kommt. Bettermarks ist eine spezielle Anwendung für Mathematik, die auch in den Niederlanden und Uruguay genutzt wird. Sofatutor bietet 13 Schulfächer an. Beide sehen die Inhalte ihrer Plattformen als Ersatz für Schulbücher. red
Der bayerische Philologenverband hat davor gewarnt, dass die Folgen von Corona in den Schulen und bei Jugendlichen erst noch bevorstehen. “Corona-Krise heißt auch psychosoziale Krise und die ist jetzt voll in der Schule angekommen”, sagte die Coburger Schulpsychologin Regina Knape. Sie führte einen Teil der auftretenden Entwicklungsverzögerungen und Konzentrationsstörungen auf die dramatisch erhöhte Zeit vor den Bildschirmen zurück. “Wir saßen ja alle die ganze Zeit vor diesem grauen Kasten”. Bayerns Standesvertretung der Gymnasiallehrer stellte am Montag eine Umfrage unter 2.000 Lehrkräften an Gymnasien vor. Ein Fünftel der Befragten gab an, dass in ihren Gymnasialklassen vier und mehr hilfsbedürftige Schüler:innen zu finden seien. Das habe ihn überrascht, sagte der Vorsitzende der bayerischen Gymnasiallehrer Michael Schwägerl. “Wir waren blauäugig.” Auch am Gymnasium hätten “die Krisenzustände die breite Mittelschicht erreicht”.
Für die Studie der Philologen gilt wie für viele Veröffentlichungen, dass nicht Schüler:innen befragt oder gar getestet wurden, sondern die Meinung der Lehrenden erhoben wurde. Nur ein Viertel der Gymnasiallehrer in Bayern hält die derzeitigen Lernstanderhebungen für sinnvoll. Als Maßnahmen gegen Lernrückstände empfahlen vier Fünftel der Lehrkräfte kleinere Lerngruppen. Als Hilfe für Schüler mit Unterstützungsbedarf forderten 53 Prozent mehr Schulpsychologen, 45 Prozent mehr Arbeitsgruppen und 33 Prozent mehr Klassenfahrten und Ausflüge. Regina Knape und ein Kollege berichteten von den Erfahrungen aus Schulpsychologie und -beratung. “Ich möchte fast von einem Schüler-Burnout sprechen”, sagte Knape, deren Coburger schulpsychologische Stelle 200 Klient:innen betreut und ihnen noch hilft. Es sei eine psychologische Notfallversorgung nötig, gerade bei Fällen von Kindern und Jugendlichen, die auf die Coronalage depressiv reagiert hätten.
Knape legte einen Ursachenschwerpunkt auf das Medienverhalten. “Wir haben alle mit dem Medium gearbeitet, dem Computer, dem Smartphone, das am stärksten abhängig macht und einen Suchtcharakter hat”, sagte sie. “In dieser Sogwirkung seien manche Kinder richtiggehend verloren gegangen“. Es sei mehr Medienerziehung und Wissen über mediale Manipulationseffekte bei Kindern und Jugendlichen nötig. “Wir müssen aufklären, was hier passiert an Manipulation schon bei Kindergarten- und Grundschulkindern“. Knape sagte, die Kinder litten je nach Altersgruppe anders. In der Unterstufe hätten Lern- und Leistungsstörungen die Mehrheit der Fälle ausgemacht, in der Mittelstufe gehe es häufig um Entwicklungsstörungen, um Depressionen, Selbstverletzungen und Suizidalität. “Ab der zehnten, elften, zwölften Klasse gibt es eine extreme Zunahme von Mediensucht zu beobachten”, berichtete die Schulpsychologin aus ihrer Corona-Praxis. Besondere Sorgen bereiteten ihr Jugendliche, die über das Netz gruppenpsychologische Phänomene durchmachten. “Ich erlebe jetzt gerade bei Klientinnen Kinder und Jugendliche, die sich befassen mit Depression, damit, wie verletze ich mich selbst, wie kann man Suizid begehen und solche Dinge”. Es werde erhebliche Anstrengungen verlangen, die Mediennutzung wieder in Balance zu bringen. Dazu brauche man auch die Eltern. cif
Die Digitalisierung stellt Schulen, Eltern und Schüler vor viele Fragen. Der Digitalverein “Digitalcourage” bietet nun Antworten. Seit Juli ist der Verein aus Bielefeld mit einem “Netzwerk Freie Schulsoftware: Schulen helfen Schulen” online. Dort bekommen all jene Rat, die digitale Bildung umsetzen und sich von Politik, Ministern und Schulträgern im Stich gelassen fühlen. Der Bedarf und zugleich die Hilfebereitschaft sind groß: Nur eine Woche nach Start waren 400 Hilfsangebote eingegangen, teilt der Digitalverein mit. Die Nutzer sind LehrerInnen, die nicht wissen, wie sie digitalen Unterricht gestalten können, ohne in Konflikt mit dem Datenschutz zu kommen. Oder Eltern auf der Suche nach alternativen Tools, die wirklich funktionieren. Auch Schulen brauchten Orientierung, um sich bei der Ausrüstung mit Endgeräten nicht willenlos den Microsofts und Apples hinzugeben. “Dass Schulen sich von den Big Playern des Marktes bezirzen lassen, ohne nachzudenken, was mit den Daten der Lehrer und Schülerinnen passiert, kann man ihnen nicht einmal verübeln”, sagte die Medienpädagogin Jessica Wawrzyniak. “Wir müssen aber schleunigst gegensteuern und Kinder so vorbereiten, dass sie ihre Grundrechte verstehen und ihre Privatsphäre achten”.
Das Netzwerk Freie Schulsoftware funktioniert so, dass Einzelpersonen, Schulen oder auch Vereine digitale Tools vorschlagen und sich als Experte inklusive Kontaktdaten für dieses Programm eintragen. Sie nutzen dabei ein recht umfangreiches Online-Formular, das mobil in der Anwendung noch nicht ganz überzeugen kann. Es wird, alphabetisch sortiert, eine Liste aller bisher eingereichten Werkzeuge mit möglichen Ansprechpartnern vorgestellt. Gezielt kann man nach einem bestimmten Tool recherchieren; allerdings muss man bereits recht genau wissen, wonach man sucht und wie die mögliche Alternative heißt, die anstelle eines kommerziellen Angebots genutzt werden soll. Hier fehlt die Suche nach Kategorien oder mit Hilfe geeigneter Filter, um ganz frei unbekannte Angebote zu Themen wie “Kollaboratives Arbeiten” oder “digitales Klassenbuch” zu finden.
Auch wenn der Ansatz des Voneinander-Lernens vielversprechend für den Schulalltag klingt – die Seite bietet in Funktion und Aufmachung noch Luft nach oben. Insbesondere wenn das Ziel ist, Ratsuchenden ohne viel Vorerfahrung lizenzfreie und datensparsame Alternativen zu den US-Tech-Anbietern von Google bis WhatsApp bereitzustellen. “Wir fühlen uns verantwortlich, Bildung in eine Richtung zu lenken, die digital mündige Bürgerinnen und Bürger hervorbringt”, sagt Leena Simon. Die Netzphilosophin bei Digitalcourage sieht es als “digital-bildungspolitisches Totalversagen der Politik“, dass dieser Impuls nicht von den Ministerien kommt. Bereits 2020 hat der Digitalverein Digitalcourage, den es schon seit 1987 gibt, ein Bildungspaket herausgebracht, das Informationen zur digitalen Bildung bündelt. Das Netzwerk ist nun die Fortsetzung mit praktischer Hilfe. chk/neis
Als Jan-Peter Braun vor elf Jahren die Integrierte Gesamtschule Lengede(IGS Lengede) aufbaute, sprach er mit den Besten. Zum Beispiel einer deutschen Auswandererfamilie in Schweden. Und mit den Trägern des deutschen Schulpreises, weil er verstehen wollte, was fortschrittlich gedachte Schulen auszeichnet. Und mit der deutschen Familie in Schweden, die die Schulsysteme beider Länder kannte und berichtete, dass die Kinder in Schweden in ihren Ranzen längst keine schweren Bücher mehr schleppten, sondern ganz einfach ein Notebook. Darauf aufgespielt: ein Lernmanagementsystem und alle Materialien. “Das war damals für mich wirklich neu. Für uns alle! Denn so etwas gab es in Deutschland an Schulen noch nicht!”, sagt Braun. Er hat es sich abgeguckt.
Lengede liegt im Landkreis Peine im Osten Niedersachsens. Weder städtisch, noch ländlich, weder reich, noch arm – die Gesamtschule besuchen Kinder, denen das Lernen leicht fällt, genauso wie Kinder mit Förderbedarf. Circa 60 der 1050 Lengeder Gesamtschülerinnen und -schüler haben eine geistige Entwicklungsverzögerung, eine Sehbeeinträchtigung, eine Lese-Rechtschreibschwäche oder eine Hörbeeinträchtigung. “Wir bilden den Idealzustand einer Gesamtschule ab,” sagt Schulleiter Braun, der sich aus seinem Büro per Video zugeschaltet hat. Eine Schule für wirklich alle.
Damit all die unterschiedlichen Kinder an der IGS Lengede am Unterricht teilnehmen können, setzt Jan-Peter Braun auf individualisiertes und eigenverantwortliches Lernen. Oder wie es auf der Homepage heißt: Es werden keine Fächer, sondern Kinder unterrichtet.
Jan-Peter Braun bedient sich dabei dabei einer Lernplattform namens “itslearning” aus Norwegen. Alle Schülerinnen und Schüler, alle Lehrerinnen und Lehrer, aber auch die Eltern, die Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter können auf die Plattform von jedem Gerät aus zugreifen. Denn die Anwendung ist über jeden Browser zugänglich. Itslearning selbst ist Teil einer Entwicklung, die die Schule vorangetrieben hat: den digitalen Werkzeugkasten. Da steckt, über das Tablet erreichbar, alles drin, was die Mitglieder der Schulgemeinde brauchen: die Lehrer können ihre Dateien hochladen, die Schüler Multimedia-Inhalte teilen, die Eltern an Umfragen teilnehmen und alle zusammen in digitalen Räumen diskutieren, selbst die Schulverwaltung findet hierüber statt. “Das ist wesentlich praktischer, als wenn man den ganzen Papierkrams und so mitschleppen muss“, sagt Kübra* aus der 5b.
Die Schülerinnen und Schüler bearbeiten ihre Aufgaben gemäß ihres Zugangs und ihrer Kenntnisse. Wenn sie beispielsweise einen Zeitungsartikel über den Klimawandel zusammenfassen müssen, bekommen die einen den Originalbericht, die anderen eine gekürzte Version. Früher als sie noch auf Papier arbeiteten, hätten manche Schüler Angst gehabt, dass ihren Mitschüler auffallen würde, dass sie die leichteren Aufgaben bearbeiteten, so Braun. Um nicht abzuweichen, hätten sie dann Aufgaben bearbeitet, “die einfach zu schwierig für sie waren.”
Nicht nur für unterschiedliche Stärken, sondern auch für Kinder mit Beeinträchtigungen bietet die Plattform unterschiedliche Zugänge. Schüler mit Legasthenie, die die Buchstaben ihrer Texte so stark verdrehen, dass Lehrkräfte das Geschriebene nicht verstehen können, haben die Möglichkeit über itslearning nach dem Schreiben ihren Text noch einzusprechen. So kann die Leistung des oder der Jugendlichen trotzdem beurteilt werden, unabhängig von der Beeinträchtigung.
Weil jedes Kind über ein internetfähiges Gerät auf die Lernplattform zugreifen kann, brauchen sie keine Apps herunterzuladen, die mit jedem Update eine aktuelle Betriebssoftware brauchen, die ohne Passwörter, Berechtigungen und ausreichend Speicherplatz nicht installiert werden können. Das Digitale so einfach wie möglich zu gestalten, das war dem Schulleiter wichtig. So gibt es für die Schülerinnen und Schüler auch keine Tablets von der Schule, sondern sie bringen ihre eigenen Geräte mit. “Ein Tablet ist genauso ein Lerngerät wie ein Füller“, sagt Braun. Es sei nicht die Aufgabe der Schule, die Kinder auf eine bestimmte Marke oder ein bestimmtes System zu schulen.
Dass die Schule sich für diese multifunktionale Lernplattform entschied, war ein monatelanger gemeinsamer Prozess. Die Schülerinnen wurden genauso befragt wie die Lehrer. Für das Kollegium war es wichtig, dass die Plattform leicht zu bedienen war, die Schüler befürchteten, sie dürften jetzt nicht mehr in der Schulküche kochen, sondern müssten fortan die Zutaten nur noch per “drag an drop” am Computer zusammen mixen. Doch die technischen Geräte mit Zugang zum “World Wide Web” sind an der IGS Lengede kein Ersatz, sondern eine Ergänzung zum Unterricht. Und im Kochkurs können sie jetzt nicht nur viel schneller Lieblingsrezepte online suchen, sondern sogar den Ort, an dem das Gericht entstanden ist, über einen Kartendienst mit Satellitenaufnahmen virtuell bereisen.
Und dass die Lehrenden überfordert gewesen wären mit neuer Technik, mit neuen Anwendungen, mit digitalen Listen anstatt der kleinen roten Notenbüchlein, hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil. Dass Lehrmaterialen über itslearning gespeichert werden und für alle einsehbar sind, nützt jedem Lehrer und jeder Lehrerin. “Dass Lehrkräfte in Deutschland immer noch Einzelkämpfer sind, ist ein altbekanntes Problem,” meint Braun. Mit der Digitalisierung kam zumindest an seine Schule mehr Transparenz. Diejenigen, die eine fünfte Klasse übernehmen, können sich die Materialien und Arbeitsblätter der letzten fünften Klasse einsehen und sie übernehmen. Mitbestimmung, Transparenz und geteiltes Wissen – für Braun ist das gelebte Demokratie.
Nach einem Jahrzehnt IGS Lengede guckt sich Schulleiter Braun nicht mehr viel von ausgezeichneten Schulen ab. Eher gilt seine Schule mittlerweile als Vorbild. Denn den Schulpreis hat er dieses Jahr selbst abgeräumt. Auch die Corona-Krise hat seinem Schulkonzept Recht gegeben. Anders als andere Schulen, die die im Homeoffice buchstäblich ihre Schülerinnen und Schüler verloren, konnte der Unterricht an der IGS Lengede fast ohne Brüche weitergeführt werden. Das hat sich auch in der Region mittlerweile rumgesprochen. In diesem Sommer hatte die Schule so viele Anmeldungen wie noch nie. Sofie Czilwik
* Name von der Redaktion geändert
Zunächst lerne ich dabei mein eigenes Kollegium neu kennen. Bei einem Barcamp in der Schule wird sichtbar, über welchen Reichtum an Wissen wir im Kollegium verfügen. Man kommt in Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen, mit denen man vorher wenig zu tun hatte. Plötzlich geht es über die Kontakte mit Leuten des gleichen Faches hinaus. Man ahnte gar nicht so recht, was die alles wissen. Ich begegne Leuten, die aus der Praxis berichten, und es werden viele Experten ihres jeweiligen Gebiets sichtbar. In einem Barcamp kann ich gut in ein neues Thema einsteigen – oder, je nach Sessionangebot, auf einem Level einsteigen, das nicht mehr Anfänger-Niveau ist. Im Idealfall werden die berühmten 4K abgedeckt: Man kommt in eine Kommunikation und man kann kollaborieren. Wenn es gut läuft, entsteht etwas Neues, Kreatives – und über die Diskussion kommt man auch an kritische Punkte.
Man kann ein Barcamp komplett offline machen. Aber man möchte ja unter Umständen Tools vorstellen, die online nutzbar sind. Von daher ist es sinnvoll, ein stabiles Wlan für die Kolleginnen und Kollegen anzubieten, damit diese Tools direkt anwendbar sind. Lehrende sind manchmal nicht ganz so spontan – deswegen hilft es, im Vorhinein online Werbung zu machen und erste Sessionsangebote zu sammeln. Die Dokumentation einer Session erfolgt meist über Etherpads – dann hat das Kollegium online etwas, auf das alle gemeinsam zugreifen können. Feedback ist so auch ex post ganz einfach.
Das Barcamp war vor dem Coronavirus eine super Fortbildungsform und auch währenddessen haben wir es an der Schule gemacht – nur halt online, ein großer Vorteil für die Vernetzung. Ich freue mich aber schon darauf, jetzt wieder in Präsenz ganz vielen Menschen begegnen zu können, also nicht nur den Kolleginnen und Kollegen. Der Vernetzungsgedanke ist für mich besser gegeben, wenn man sich nicht nur online sieht. Ich begegne zum Beispiel Kolleg:nnen aus dem Twitterlehrerzimmer noch einmal anders, wenn ich ihnen schon einmal live begegnet bin.
Vor einem Jahr haben wir bei uns an einer kooperativen Gesamtschule mit Oberstufe im Osten von Frankfurt einen pädagogischen Tag als Barcamp gestaltet. Da haben wir uns noch nicht getraut, von Sessions oder Slots zu sprechen. Ein Jahr später, mitten im Corona-Lockdown, war das kein Thema mehr – da stand der Austausch im Vordergrund, alle hatten großen Bedarf. Vieles lief ganz einfach, in zwei Stunden boten wir drei Zeit-Slots á 30 Minuten mit sechs parallel stattfindenden Sessions an. Es war wunderbar, wie man auf den Erfahrungen der Kolleg:nnen aufbauen konnte. Das war ein erfreulicher Moment – und ein sehr nützlicher.
Wenn man ein Thema oder Tool richtig vertiefen will, dann geht das nicht in 30 oder 45 Minuten, da muss man schon mal zwei Zeitslots zusammenlegen. Und: die Kolleg:innen beschwerten sich fast, dass sie bei von den vielen zur Auswahl stehenden Sessions nur eine besuchen konnten.
Christine Skupsch ist Lehrerin an der Schule am Ried in Frankfurt am Main