Berlin.Table – Ausgabe 632

Rüstungsgeschäfte mit Israel + Mahnung von Peer Steinbrück + Kommentare zu 100 Tagen Schwarz-Rot

Talk of the Town

Deutschland und Israel: Ein Rüstungshandel zum beiderseitigen Nutzen – jedenfalls bis jetzt

Seit Friedrich Merz einen vorläufigen Lieferstopp für bestimmte deutsche Rüstungsgüter verhängt hat, gibt es in Deutschland wie in Israel heftige Debatten. Zum einen, weil sich viele hier wie dort fragen, ob die besonderen Beziehungen jetzt in Gefahr sind; zum anderen, weil mancher fürchtet, es könnte Israel entscheidend schwächen. Und zum dritten, weil deutsche Politiker und Experten schon davor warnen, dass Israel im Gegenzug die Lieferung wichtiger Luftabwehrwaffen an Deutschland aussetzen könnte.   

Thorsten Benner, der Direktor des Global Public Policy Institute, hält Gegenreaktionen aus Israel eher für unwahrscheinlich. Zwar sei es richtig darauf hinzuweisen, dass die deutsch-israelische Rüstungskooperation „keine Einbahnstraße“ sei und Deutschland insbesondere von Drohnentechnologie, Flugabwehr und Geheimdienstinformationen aus Israel profitiere. Doch liegt es aus seiner Sicht nicht im israelischen Interesse, „den Konflikt zu eskalieren“. Da das Abhängigkeitsverhältnis gegenseitig sei, halte er es nicht für sehr plausibel, dass Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seinerseits mit einem Exportstopp reagiere, so Benner. 

Was ein deutscher Teil-Exportstopp kurzfristig bedeutet, lässt sich nur schwer sagen. Die Bundesregierung hält sich bedeckt darüber, welche Rüstungsgüter sie für Israel genehmigt hat und welche fortan nicht mehr geliefert werden. Sie teilte zwar mit, dass sie zwischen dem 1. Januar 2024 und dem 26. Juni 2025 Einzelausfuhrgenehmigungen nach Israel für Rüstungsgüter über 250 Millionen Euro erteilt habe; sie nannte in einer Antwort auf eine Anfrage der Linken aber lediglich einzelne Titel. Wie viel wovon genehmigt wurde, geht daraus nicht hervor. Unter die aufgeführten Kategorien fallen Handfeuerwaffen, Munition, Sprengkörper, die sowohl Bomben als auch Granaten oder Torpedos sein könnten oder auch nur „zugehörige Ausrüstung“ für Sprengkörper. Unklar bleibt auch, ob Merz‘ Stopp auch für Komponenten von Korvetten gilt. Die ARD hatte im Frühling 2024 von einer in Kiel gebauten israelischen Korvette berichtet, die den Gazastreifen beschossen haben soll. 

Mittelfristig schwierig könnte es vor allem für die Funktionsfähigkeit israelischer Panzer werden. „Getriebe für Panzer sind Verschleißteile. Je stärker die Waffen im Einsatz sind, desto häufiger müssen sie ersetzt werden“, sagt Max Mutschler vom Bonn International Centre for Conflict Studies. Im Fokus ist hier der Augsburger Getriebebauer Renk. Bei ihm könnte aber nicht nur der Lieferstopp greifen. Noch im August will außerdem der Hessische Verwaltungsgerichtshof über eine Klage gegen die Lieferung von Panzergetrieben der Augsburger entscheiden. Mehr Details über die deutschen Rüstungsexporte lesen Sie im Security.Table. 

Israel exportierte umgekehrt 2024 rund 21 Prozent seiner Rüstungsgüter nach Deutschland. Insgesamt hatten sich die Ausfuhren in 88 Staaten einen Wert von 14,7 Milliarden US-Dollar. Im September vergangenen Jahres hatten Berlin und Jerusalem einen Vertrag über die Lieferung des Flugabwehrsystems Arrow 3 an die Bundeswehr unterzeichnet. Die Kosten für das von Israel Aerospace Industries (IAI) unter dem Einsatz von US-Technologie entwickelte System belaufen sich auf 4,3 Milliarden US-Dollar. Es ist der größte Rüstungsdeal in der Geschichte Israels. Auch die Exporte in andere EU-Staaten erreichten vergangenes Jahr neue Rekordwerte, sodass Israel in den Kreis der Top Ten unter den internationalen Waffenexporteuren aufstieg. 

Experten rechnen damit, dass Israels Ausfuhrerlöse dieses Jahr auf 18 Milliarden US-Dollar steigen könnten. Neben EU-Staaten und den USA gehören Indien, aber auch arabische Staaten zu den Hauptabnehmern israelischer Rüstungsgüter. Bei Flugabwehrsystemen, Drohnen und Überwachungstechnologie zählen israelische Firmen zu den weltweit führenden Anbietern; das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri listet IAI, Elbit Systems und Rafael unter den Top 100 aller Waffenproduzenten der Welt. Dabei schreckt das israelische Verteidigungsministerium auch nicht vor Kooperationen mit autokratischen Systemen zurück. Welche das sind und warum einzelne EU-Staaten gegenüber Israel anscheinend widersprüchlich agieren, lesen Sie im Security.TableYossi Melman

News

Vor dem Alaska-Treffen: Warum Gebietsabtretungen fast unmöglich sind und doch über sie gesprochen wird. Beim Treffen von Donald Trump und Wladimir Putin am Freitag in Alaska dürfte es um Gebietsabtretungen der Ukraine an Russland gehen. Trump hat ein solches Szenario ins Spiel gebracht, und auch Nato-Generalsekretär Mark Rutte hält das nicht mehr für ausgeschlossen.  

Offizielles dazu gibt es nicht. Aber US-Medien spekulieren, dass die Ukraine Teile der Region Donezk mit größeren Städten wie Slowjansk und Kramatorsk räumen könnte, während Russland seine Truppen aus einigen ukrainischen Regionen wie Charkiw und Sumy abziehen könnte.  

Das Problem: Die Gespräche werden nach jetzigem Stand ohne Wolodymyr Selenskyj stattfinden. Dieser lehnt Gebietsabtretungen mit Verweis auf die ukrainische Verfassung ab und besteht darauf, dass Putin und Trump nicht ohne ihn darüber entscheiden dürften. Und auch Völkerrechtsexperten warnen, dass Gebietsabtretungen ohne Zustimmung der Ukraine klar gegen internationales Recht verstoßen würden. Mehr zu den Verhandlungsoptionen lesen Sie im Security.Table. Denis Trubetskoy

Staatsreform: Steinbrück wünscht sich mutige Politiker. Der frühere Finanzminister plädiert für „klare Ansagen“ der Politik. Sie könne wichtige Vorhaben so erklären, „dass viele Leute sagen: Passt mir nicht, aber bringt unser Gemeinwesen auf Vordermann“, sagte Peer Steinbrück Table.Briefings. Was die Leute nicht mehr hören könnten, seien große Versprechen, die wieder zurückgezogen werden. Er nennt das Beispiel Stromsteuer – mit Blick auf das Vertrauen der Bürger in die Verlässlichkeit von Politik „eine fatale Entscheidung“. Der entscheidende Fehler der Ampel-Koalition aus Steinbrücks Sicht: trotz ausgerufener „Zeitenwende“ so tun, als könne alles bleiben, wie es ist. Daher müsse die neue Regierung nun Reformen umsetzen. Versage sie, könne die nächste Bundestagswahl ein desaströses Ergebnis bringen – „mit höchst problematischen Auswirkungen auf die Republik“. 

Normenkontrollrat-Chef Lutz Goebel pflichtete Steinbrück bei. Es brauche eine Gesellschaft, die Wagnisse der Politik begrüßt und schon den Versuch unterstützt: „Davon sind wir im Moment weit entfernt.“ Man stehe vor großen Auseinandersetzungen vor allem in der Sozialpolitik, weil Kürzungen unabdingbar seien. Diese Legislatur sei die letzte, in der das „von Parteien der Mitte angepackt werden kann und angepackt werden muss“. Wie das Thema Staatsreform aus Sicht der beiden anzugehen ist, lesen Sie im Doppelinterview des Berlin.Table. Das Gespräch mit Steinbrück hören Sie auch im Podcast ab 5 Uhr hier

Table.Today mit Peer Steinbrück. "Wie viel Staat muss sein, Herr Steinbrück?"

Trump-Zölle: Weshalb die Schweiz die Nähe der EU sucht. Der 39-Prozent-Zoll, den Donald Trump eingeführt hat, trifft das Exportland Schweiz hart. Die Exporte in die USA machen sieben Prozent des schweizerischen BIPs aus, das ist fast zweimal so viel wie in Deutschland. Innerhalb der Schweiz geben die Zölle den pro-europäischen Kräften Aufwind. Ein hochumstrittenes Vertragspaket mit der EU dürfte nun schon 2027 statt 2028 zur Abstimmung kommen. Auch sicherheitspolitisch sucht die Schweiz eine stärkere Kooperation mit der EU. Welche Sektoren die US-Zölle am stärksten treffen und weshalb es noch dauern wird, bis in der Schweiz eine EU-Beitrittsdiskussion wieder in Gang kommt, lesen Sie im Europe.Table. János Allenbach-Ammann

Demokratie-Projekt: Warum die AfD ein Förderprogramm lahmlegen will. Die AfD-Bundestagsfraktion geht verstärkt gegen das Bundesprogramm „Demokratie leben“ vor. Allein von Mai bis Ende Juli kamen 84 Prozent aller parlamentarischen Anfragen dazu von der AfD, wie Table.Briefings herausfand. Das Förderprogramm soll Demokratie und Teilhabe stärken sowie Extremismus vorbeugen. Die 42 Anfragen gehören zu einem größeren Plan der Rechtsaußen-Fraktion gegen das Programm und die darin geförderten NGOs. Wie dieser Plan aussieht, lesen Sie im Bildung.Table.Vera Kraft

Streit über Israel und den Islam: Wie die Geopolitik die AfD spaltet. Nach Konflikten um Russland, die Ukraine und die Nato zeigt die AfD nun erneut, wie uneins sie über geopolitische Fragen ist. Einige Abgeordnete rechtfertigen Israels Agieren in Gaza und argumentieren dabei islamfeindlich. Carolin Bachmann etwa schrieb im fraktionsinternen Chat: „Es ist ein Kulturkampf. Moslems gegen Juden/Christen. (…) Mit Juden leben wir hier in Deutschland gut. (…) Moslems wollen uns vernichten!“ Der Bibel folgend hätten Israelis Anrecht auf weiteres Land. Ähnlich sieht es Beatrix von Storch. Der aus ihrem Verband stammende Marcel Goldhammer, bisher Vize-Chef der Juden in der AfD, verließ die Partei, nachdem Tino Chrupalla im ZDF-Sommerinterview das Agieren Israels als Unrecht bezeichnet hatte.  

Der größere Teil der AfD sieht es ähnlich wie Chrupalla. Der MdB und bisherige PGF im Thüringer Landtag, Torben Braga, kritisierte das Vorgehen Israels auf X scharf. Der brandenburgische MdL Dominik Kaufner erklärte, „in der Bundestagsfraktion wollen einige um Biegen und Brechen ihre zionistische Linie unkritisch unter dem Schein anti-islamistischer Grundsätze durchdrücken“. Sie wollten sich der Union anbiedern. Am Ende der Anti-Storch-Achse bewegt sich auch Maximilian Krah mit seinem Werben um einen Abbau von Islamfeindlichkeit in der AfD. Damit schaffte er es, zum Streitgespräch beim neurechten Vordenker Götz Kubitschek geladen zu werden. Viele unterstellen Krah gleichwohl, es gehe ihm lediglich darum, durch markige Aussagen wieder relevanter zu werden. Franziska Klemenz

Änderung für Saisonarbeiter: Jährlich 150 Millionen Euro weniger für die Sozialversicherung. Erntehelfer sollen künftig 90 statt 70 Tage ohne Sozialversicherungspflicht beschäftigt werden können. Das sieht ein Entwurf des BMAS vor. Demnach werden der Rentenversicherung dadurch rund 66 Millionen Euro pro Jahr fehlen, der Krankenversicherung 62 Millionen, der Pflegeversicherung 13 Millionen und der Arbeitslosenversicherung 9 Millionen. Dahinter steht laut Koalitionsvertrag das Ziel, den deutschen „Selbstversorgungsgrad“ mit Obst und Gemüse zu erhöhen. Kürzlich ließ das BMLEH auch – vergeblich – Ausnahmen vom Mindestlohn für Saisonkräfte prüfen. Die internen Dokumente dazu gibt es hier und hier. Mehr zu den Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft lesen Sie im Agrifood.Table. Okan Bellikli 

Korrektur: Wir haben am Montagabend über prägende Verbindungen zwischen der alten Merkel- und der aktuellen Merz-Regierung geschrieben. Dabei ist uns ein Fehler unterlaufen: Merz’ enger Mitarbeiter Jacob Schrot war in den letzten zwei Jahren unter Merkel in der außenpolitischen Abteilung. Er arbeitete aber unter Jan Hecker, nicht mehr unter Christoph Heusgen. Hecker hatte mehrere Jahre an der Seite von Heusgen im Kanzleramt gearbeitet und dessen differenzierte Sicht auf Israel und Netanjahu fortgeschrieben. Heusgen selbst war zu der Zeit schon deutscher Botschafter in New York, und sein damaliger „Schüler“ an der UN-Vertretung war Günter Sautter, der heutige außenpolitische Berater des Kanzlers. Wir bedauern den Fehler.

100 Tage Schwarz-Rot

Die schwarz-rote Bundesregierung ist an diesem Mittwoch genau 100 Tage im Amt. Die Wähler stellen der Koalition ein kritisches Zwischenzeugnis aus. Nach einer Forsa-Umfrage würden sich zwei Millionen Wähler weniger für eine der beiden Regierungsparteien entscheiden als noch bei der Bundestagswahl. Die Union kommt nur noch auf 27 Prozent, die SPD liegt bei 13 Prozent. Wir haben Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft nach ihrer Einschätzung gefragt. 

Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft:
„Die Regierung hat für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit mit dem Investitionsbooster geliefert und bei der Stromsteuer enttäuscht. Alles andere sind Hoffnungswerte mit unbestimmter Wahrscheinlichkeit. Die Energie, die ins Rentenpaket ging, hätte man sinnvoller für Besserung der Standortbedingungen eingesetzt. Mehr als weitere 100 Tage hat die Regierung nicht, um auf Wachstum umzuschalten.“ 

Franziska Brantner, Grünen-Parteivorsitzende:  
„Diese Regierung steht für Rückschritt und Chaos. Sie zieht uns Jahre zurück in die fossile Vergangenheit, führt den Kampf gegen den Häuslebauer und seine Solaranlage, statt konsequent die Innovationskraft unseres Landes voranzubringen. Sie belastet die sozialen Sicherungssysteme um Milliarden, statt sie generationenfest zu machen. Statt europäischem Kanzler nur nette Worte an europäische Partner, aber in der Praxis Grenzen und Blockade.“ 

Tim Klüssendorf, SPD-Generalsekretär:  
„Die Koalition hat in der Sachpolitik ordentlich gearbeitet. Ich denke da an das Sondervermögen Infrastruktur, die günstigeren Abschreibungen, das Rentenpaket, das Tariftreuegesetz oder die Entlastungen bei den Energiepreisen. Mit Blick auf die anstehenden Diskussionen um den Wert unseres Sozialstaats können wir aber nur bestehen, wenn wir uns aufeinander verlassen können. Die letzten Wochen haben in unseren Reihen tiefe Spuren hinterlassen. Um zu beweisen, dass diese Koalition das Land zusammenhalten kann, braucht es deshalb auch neues Vertrauen.“ 

Tanja Gönner, Hauptgeschäftsführerin des BDI:
„Die Bundesregierung ist mit Tempo und ersten wichtigen Aufbruchsignalen für den Wirtschaftsstandort gestartet. Der Investitionsbooster schafft Planungssicherheit. Die Entlastung bei Energiekosten und geplante Investitionen setzen wichtige Wachstumsimpulse. Jetzt muss sie zeigen, wie ernst sie es mit notwendigen, aber unbequemen Strukturreformen meint.  

Die Wirtschaftswende ist bislang nur angekündigt, jetzt muss die Bundesregierung liefern. Die Wirtschaft vermisst klare Signale für Strukturreformen und einen spürbaren Bürokratieabbau. Was Unternehmen brauchen, ist ein Sofortprogramm Bürokratierückbau. Die Regierung muss ihren Worten endlich Taten folgen lassen, das deutsche Lieferkettengesetz aussetzen und entlang europäischer Vorgaben verschlanken.“ 

Kai Niebert, Präsident des Umwelt-Dachverbands DNR und Professor an der Universität Zürich:
„Nach 100 Tagen bleibt Klimapolitik im schwarz-roten Kabinett ein Nebenschauplatz: Der Kanzler wirkt, als sei ihm die Partitur noch fremd; Carsten Schneider hat sich als Neuling schnell eingearbeitet, wirbt für eine Klimapolitik mit Akzeptanz und scheut sich nicht, an den entscheidenden Stellen in den Wind zu stellen. Energieministerin Katherina Reiche bringt das Rüstzeug mit, die Energiewende zu dirigieren, testet aber in Reden und Interviews immer wieder neue, und alte Ideen – jedoch ohne ihr Ministerium einzubinden oder den Koalitionsvertrag als Taktgeber zu nutzen. 

Der große Spielball der Regierung, das Sondervermögen, hätte die Grundlage für die Infrastruktur von morgen legen können, hat aber die Chance verpasst, sich einen klaren Rahmen zu geben. So spielt Schwarz-Rot klimapolitisch ohne klare Abstimmung. Ob Schneider das Orchester auf seine völkerrechtlichen Verpflichtungen im Klimaschutz einstimmen kann, hängt erkennbar nicht an seinem Willen, sondern daran, ob Merz und Klingbeil ihm das Mandat und die passenden Instrumente geben.“  

Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer Verband der Chemieindustrie: 
„Die Bilanz ist gemischt. Ein Merz alleine macht noch keinen Sommer. Die Standortkrise lässt sich nicht mit Worten beheben, nur mit schnellen Taten. Die Herausforderungen für die Unternehmen steigen, der politische Rückenwind ist aber noch nicht an den Werkstoren angekommen. Maßnahmen wie die ersten Senkungen bei den Energiekosten, das Steuerpaket und das CO₂-Management sind Lichtblicke. Aber: vom Bürokratieabbau ist noch keine Spur. Stattdessen gibt es teure Wahlgeschenke, die unsere Wirtschaft kein Stück voranbringen. Der Sturm nimmt zu und unser Standort ist noch lange nicht wetterfest.“ 

Martin Huber, CSU-Generalsekretär: 
„Die Bundesregierung kann nach 100 Tagen bereits viele Erfolge aufweisen: Die Wende bei der Migrationspolitik ist vollzogen, wir entlasten die Menschen bei den Energiekosten und bringen die Wirtschaft wieder in Schwung. Die CSU ist der Treiber des Politikwechsels. Mit der Vollendung der Mütterrente, der Wiedereinführung der Agrardieselrückvergütung und der Senkung der Gastro-Steuer entlasten wir die breite Mitte und sorgen für Gerechtigkeit. Weitere Projekte sind bereits in der Umsetzung, die Deutschland weiter voranbringen.“ 

Reinhard Tweer, Unternehmer aus Bielefeld: 
„Die neue Bundesregierung ist gut gestartet und hat richtige Maßnahmen wie den Investitionsbooster durch verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten und die Senkung der Stromsteuer für die Industrie auf den Weg gebracht. Die Richtung stimmt. Es fehlt aber nach wie vor ein dringend erforderlicher, international wettbewerbsfähiger Industriestrompreis. Aber es wird immer noch zusätzliche Bürokratie aufgebaut. Auch wird der Mindestlohn durch die völlig inakzeptable Einmischung der Politik in die Arbeit der unabhängigen Kommission für viele Branchen schmerzhaft in die Höhe getrieben.“ 

Ines Schwerdtner, Linken-Parteivorsitzende:
„Die ersten 100 Tage der Regierung Merz waren ein klassischer Fehlstart. Steuergeld wird an Unternehmen verschenkt, während die Mehrheit bei Entlastungen leer ausgeht. Für Waffen ist unbegrenzt Geld da, bei Menschen in Not wird gegeizt. Sinnvolle in die Zukunft gerichtete Ausgaben wie Bildung, Nahverkehr, Kinderarmut bleiben liegen. Das ist die abgehobene Politik eines Lobby-Kanzlers, der mit dem Privatjet einfliegt und kein Interesse an der Lebensrealität der einfachen Menschen hat. In der Außenpolitik wird Merz gerade zum Meister des wirkungslosen Händeschüttelns. Dass Merz seinen Antrittsbesuch im Weißen Haus ohne größere Peinlichkeit überstand, hat jedenfalls nicht dazu geführt, dass er der EU in den Zollverhandlungen den Rücken gestärkt hätte – im Gegenteil.“

Konstantin Kuhle, Vorsitzender der FDP Niedersachsen:
„So sehr man einer neuen Regierung angesichts internationaler Krisen viel Erfolg wünscht, so sehr muss man nach 100 Tagen festhalten: Schwarz-Rot bleibt die erforderlichen Reformen für neues Wirtschaftswachstum weitgehend schuldig. Statt Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit werden die Kosten der ohnehin schon maroden sozialen Sicherungssysteme weiter in die Höhe getrieben — vor allem durch eine Rentenpolitik, die nicht mal mehr den Versuch unternimmt, auch an die junge Generation zu denken. 

Der Kanzler beschäftigt sich im Wesentlichen mit der Außenpolitik und überlässt das Management der Koalition anderen. Als Folge dieser Strategie ist ihm seine eigene Fraktion schon jetzt entglitten, was sich zuletzt am unterirdischen Umgang mit der Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf für das Bundesverfassungsgericht und am Alleingang des Kanzlers beim Umgang mit Israel gezeigt hat. Bleibt zu hoffen, dass Friedrich Merz irgendwann wenigstens in der Wirtschaftspolitik an seine Rhetorik aus Oppositionszeiten anknüpft. Bisher sieht es leider nicht danach aus.“ 

Claudia Major, Politikwissenschaftlerin: 
„Außenpolitisch tritt der Kanzler führungsstärker auf, das führt zu Anpassungsschmerzen im System. Friedrich Merz will Deutschland zu einer führenden Mittelmacht machen, das ist zum Teil gelungen: Die Bundesregierung hat sich die Mittel gegeben, die Strukturen, und die Prozesse, um international zu entscheiden und gestalten. Die Umsetzung ist bislang aber durchwachsen.“ 

Prälat Karl Jüsten, Kommissariat der deutschen Bischöfe: 
„Mit vielen neuen Gesichter startete das Kabinett: nahbar, offen, zielstrebig und gewillt, unser Land auf Reformkurs zu bringen. Mich beeindruckte, wie viele Kabinettsmitglieder die Eidesformel mit dem Zusatz sprachen: so wahr mir Gott helfe. Daraus spricht Demut und Zuversicht. Bei so manchem, was die Koalition sich vorgenommen hat, wurde der Anfang gemacht und zahlreiche Gesetze werden im Herbst in den Bundestag eingebracht. Dass wir als Kirchen die Migrationswende kritisch sehen, verwundert nicht, auch die Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit halten wir für falsch, in der Klima- und Umweltpolitik müssen wir viel ambitionierter werden.“ 

Table.Documents

Entwurf und Synopse des BMAS zu Änderungen für Saisonarbeiter  

Entwurf für ein Gesetz zur Umsetzung der EU-Batterieverordnung 

Mitteilung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung: Arbeitszeit pro Kopf auf Rekordhoch

Antwort auf Kleine Anfrage zur Erhöhung der Pendlerpauschale: Zwei Milliarden Euro Steuermindereinnahmen 

Heads

Anja Hagen lobbyiert seit gut einem Jahr für Bildungsunternehmen. Die Vorsitzende des 2023 gegründeten EdTech-Verbands schöpft dabei aus ihrer langjährigen Erfahrung in der Entwicklung digitaler Bildungsprodukte. Mit der Gründung ihres Unternehmens Online-Vertretungsstunden reagierte sie vor fünf Jahren auf den Lehrkräftemangel. Nebenher berät Hagen auch junge Unternehmen der Bildungswirtschaft. Was sie von der Bildungspolitik fordert und wie sie mit ihrem Unternehmen Schulen unterstützt, lesen Sie im Bildung.Table. Anna Parrisius

Liu Jianchao, als künftiger chinesischer Außenminister gehandelt und bekannt für seinen moderaten Ton, ist nach einer Auslandsreise „zu Befragungen abgeholt“ worden. Der erfahrene Parteidiplomat galt als Hoffnungsträger für einen freundlicheren Kurs in Chinas Außenpolitik. Ob Korruption, nationale Sicherheit oder parteiinternes Misstrauen die Gründe für sein Verschwinden sind, ist unklar. Was der Fall für Pekings außenpolitische Strategie bedeutet und welche Parallelen es zum Sturz von Qin Gang 2023 gibt, lesen Sie im China.Table. Andreas Landwehr  

Best of Table

ESG.Table: Warum es andere Unternehmensberatungen braucht. Damit die Transformation gelingt, sollten Berater integrativer sein und dürfen ökonomische, ökologische, soziale, technologische und kulturelle Fragen nicht gegeneinander ausspielen, erklären drei Experten. Wie das klappen kann, lesen Sie hier

ESG.Table: Wie die USA beim Tiefseebergbau vorpreschen. Wissenschaftler warnen davor, Rohstoffe aus der Tiefsee zu holen. Zu unklar sind noch die Folgen. Die USA lassen sich von den Bedenken nicht abhalten. Was sie planen, lesen Sie hier

Bildung.Table: Wie Demokratiebildung an der Schule gelingt. Die Ernst-Reuter-Gemeinschaftsschule in Karlsruhe lässt ihre Schüler vieles mitentscheiden. Wie der für den Schulpreis nominierten Schule der Wandel gelungen ist, lesen Sie hier

China.Table: Pekings Probleme im KI-Rennen. Chinesische Unternehmen wollen mit GTP 5, dem neuen Spitzen-KI-Modell des Westens, gleichziehen. Doch der Zugang zu fortschrittlichen KI-Chips ist ein Problem. Woran das liegt, lesen Sie hier

Must-Reads

Kommentare zu 100 Tage Schwarz-Rot:  

Tagesspiegel: Friedrich Merz sei im Eiltempo vom „konservativen Reformer zum Kompromissschmied der Mitte“ geworden, bilanziert Felix Hackenbruch. Dass er seine Versprechen aus dem Wahlkampf nicht einlösen konnte, habe seine Anhängerschaft enttäuscht, dazu kamen handwerkliche Fehler bei Stromsteuer, Richterwahl und Israel-Politik. Für einen Abgesang sei es aber noch zu früh. („Aus dem Fehlstart die richtigen Lehren ziehen“

Taz: Schwarz-Rot sei mit dem Versprechen angetreten, ein „Schutzschirm gegen rechts“ zu sein, doch dieses werde nicht eingelöst, analysiert Stefan Reinecke. Auf den Versuch von Rechtsaußen, die Union mit Kulturkampf-Kampagnen zu spalten, reagiere diese hilflos, wie der Fall Brosius-Gersdorf gezeigt habe. Der Versuch, die AfD mit harter Anti-Migrations-Politik auf ihrem eigenen Feld zu schlagen, sei nicht erfolgreich, und auch die SPD, die sich als Bastion des Antifaschismus feiere, habe in Wahrheit kein Konzept gegen rechts. („Kein Rezept gegen rechts“

FAZ: Nach hundert Tagen sei die Gefahr des Scheiterns der schwarz-roten Koalition größer als die Hoffnung, dass es doch noch einen Politikwechsel gibt, lautet das Resümee von Jasper von Altenbockum. Einen Grund dafür sieht er in der veränderten Rolle von Union und SPD: Diese seien „nicht mehr die Platzhirsche der Bundesrepublik, sondern von Extremen verunsicherte Parteien, die um ihre Reviere kämpfen müssen“. Die großen Sondervermögen sorgten dafür, dass Reformen nicht angegangen würden, die SPD regiere „mit Lars Klingbeil an der Spitze geradewegs so weiter wie unter Olaf Scholz“. („Eine Koalition der Verunsicherten“

RND: Das Versprechen, dass die Menschen im Land nach 100 Tagen bereits deutliche Veränderungen spüren, habe Friedrich Merz nicht eingehalten, meint Eva Quadbeck. Damit sich das ändere, müsse der Kanzler den Mut und die Entschlusskraft, mit dem er in der Außenpolitik agiere, auch innenpolitisch zeigen. Wahlgeschenke wie die Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie und eine erneute Erhöhung der Mütterrente seien dabei nicht die richtigen Lösungen; stattdessen brauche es mutige Entscheidungen, die Deutschland wirtschaftlich wieder stabiler machen. („Ernüchternde Bilanz nach 100 Tagen“)

SZ: Zwar sei die Kommunikation von Friedrich Merz verständlicher als die seines Vorgängers, kommentiert Nicolas Richter. „Oft schafft er mit weniger Worten mehr Klarheit als Olaf Scholz.“ Doch innerhalb der Koalition ein Gefühl der Gemeinsamkeit zu schaffen, gelinge ihm noch weniger als zu Ampel-Zeiten. Besonders besorgniserregend sei, dass er nicht mal seine eigene Partei überzeugen könne. Im Fall der gescheiterten Richterwahl sei das Versagen „so offensichtlich, dass der von Merz als ‘Klempner der Macht’ gescholtene Scholz im Vergleich wie ein Virtuose seines Handwerks wirkte“.  („Merz hat ‘CDU pur’ versprochen und ‘CDU Schorle’ geliefert“

Schlagzeilen von morgen

Meistgelesenes von heute

Interviews von morgen

Deutschlandfunk 

6:50 Uhr: Hans-Lothar Domröse, Ex-Nato-General: militärische Lage im Ukraine-Krieg 

7:15 Uhr: Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Europaparlament (FDP): USA-EU-Ukraine-Gespräche 

8:10 Uhr: Grisha Alroi-Arloser, Ex-Geschäftsführer der Israelisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer: Wie sehr belasten Einschränkungen bei deutschen Waffenlieferungen das Verhältnis zu Israel? 

 

ARD 

7:10 Uhr: Jens Spahn, Unionsfraktionsvorsitzender: 100 Tage Koalition – Bilanz der Regierung 

7:40 Uhr Dirk Wiese, erster parlamentarischer Geschäftsführer SPD-Fraktion: 100 Tage Koalition – Bilanz der Regierung

 

rbb24–Inforadio 

7:05 Uhr: Sergey Lagodinsky, MdEP (Grüne): USA-EU-Ukraine-Gespräche 

7:25 Uhr: Achim Truger, Mitglied im Sachverständigenrat: Aktuelle Wirtschaftslage 

9:05 Uhr: Isabella Spiesberger, Geschäftsführerin im Berliner Zentrum für Gewaltprävention: Gewaltprävention in Berlin 

 

phoenix 

9:05 Uhr: Sergey Lagodinsky, MdEP (Grüne): USA-EU-Ukraine-Gespräche 

Time.Table

Ukraine: Friedrich Merz lädt zu virtuellen Ukraine-Beratungen vor dem für Freitag geplanten Treffen von Donald Trump mit Wladimir Putin in Alaska. Die Videokonferenzen starten um 14 Uhr; mit voraussichtlichem Ende gegen 18 Uhr. Geladen sind die Staats- und Regierungschefs von Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Polen sowie Ursula von der Leyen, António Costa, Mark Rutte, Wolodymyr Selenskyj, Donald Trump und J.D. Vance. Im Anschluss gibt es eine Pressekonferenz. 

Schifffahrt: Eröffnung der Sail Bremerhaven 2025 durch Frank-Walter Steinmeier. Pontonanlage Seebäderkaje, 9:45 Uhr. Weitere Informationen

Geschichte: Zentrale Gedenkveranstaltung zum 64. Jahrestag des Mauerbaus. Mit Kai Wegner und der Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur, Evelyn Zupke. Gedenkstätte Berliner Mauer, 11:15 Uhr 

Geburtstage

Moritz Bleibtreu, Schauspieler, 54 

Heike Makatsch, Schauspielerin, 54

Nachttisch

Unser Tipp führt Sie heute zu Musiktipps für ein ganzes Jahr. Passend zu Anlässen wie Geburtstagen berühmter Komponisten und Nationalfeiertagen aus aller Welt hat die britische Musikerin und Moderatorin Clemency Burton-Hill für jeden Tag ein Stück herausgesucht. Es geht es nicht nur um klassische Musik, sondern auch um Film-Soundtracks, Jazz und andere Genres aus den vergangenen 1.000 Jahren. Mit ansteckender Begeisterung beschreibt sie jedes Stück, zudem gibt es eine Playlist zum Nachhören. Okan Bellikli  

Clemency Burton-Hill: Ein Jahr voller Wunder | Diogenes

Das war’s für heute. Good Night and Good Luck!

Heute haben János Allenbach-Ammann, Okan Bellikli, Stefan Braun, Nana Brink, Michael Bröcker, Helene Bubrowski, Damir Fras, Daniel Friesen, Franziska Klemenz, Angela Köckritz, Horand Knaup, Malte Kreutzfeldt, Carli Bess Kutschera, Manuel Liu, Vincent Mikoteit, Bernhard Pötter, David Renke, Leonard Schulz, Maximilian Stascheit, Wilhelmine Stenglin, Vincent Vogel und Alexander Wiedmann mitgewirkt.

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