Interview
Erscheinungsdatum: 24. November 2024

Dena-Chefin: „Die Dänen schütteln über unsere Diskussionen nur den Kopf"

Corinna Enders, 47, Vorsitzende Geschäftsführerin der Deutschen Energieagentur (dena), über den Veränderungsdruck im Energiebereich, Desinformationskampagnen gegen die Wärmepumpe und eine spezifisch deutsche Mentalität.

Frau Enders, nun endet die Regierung ein Jahr früher als geplant. Was geht der Energiewende dadurch verloren?

So ein plötzliches Ende kann auch eine Chance sein. Immerhin bleibt uns jetzt ein langer, zermürbender Wahlkampf erspart. Und es besteht die Chance, dass eine neue Regierung mit neuem Schwung startet. Aber natürlich sollten vorher noch einige Gesetze unter Dach und Fach gebracht werden.

An was denken Sie?

Das Kraftwerksicherheitsgesetz, also die Frage von Gaskraftwerken und Großspeichern, ist eines der Themen, bei denen eine Einigung wichtig wäre. Wir müssen dringend die Ausschreibungen für diese Kraftwerke starten, die für Anfang nächsten Jahres geplant waren. Gleiches gilt für den Beschluss des Energiewirtschaftsgesetzes.

Glauben Sie an eine Einigung?

Weil dies Themen sind, an denen die Union ihrerseits großes Interesse hat, wie auch die CO2-Speicherung, könnte es da einen Deal geben. Aber das ist nur eine Mutmaßung.

Und wie groß wäre der Schaden, wenn beide Projekte – Kraftwerksicherheits- und Energiewirtschaftsgesetz – erst ein Jahr später kommen?

Naja, wenn es in der Übergangszeit nicht kommt, muss das nicht automatisch ein Jahr Verzögerung bedeuten. Vielleicht bildet sich die neue Regierung schnell.

Eine Verabschiedung vor der Sommerpause wäre aber extrem ambitioniert, oder?

In jedem Fall. Aber jede neue Regierung wird eine eigene Handschrift einbringen wollen. Ich denke, beim Kraftwerksicherheitsgesetz stehen die Chancen ganz gut. Dieses Gesetz hat auch die Union immer gepusht und eingefordert. Zumal wir da schon riesige Verzögerungen haben. Wir müssen ja Kapazitäten vorhalten, allein nach dem Kraftwerkssicherungsgesetz 12,5 Gigawatt plus Speicher.

Welche Auswirkungen hat es, wenn die Ausschreibungen später starten?

Weil wir eine Reserve brauchen, stellt sich dann die Frage, ob der Kohleausstieg 2030 noch zu halten ist.

Beim Energiewirtschaftsgesetz gibt es die Warnung vor einem Solarinfarkt, wenn nicht die Regeln für die neuen Solaranlagen angepasst werden. Wie dringend ist das?

Dass die Zahl der PV-Anlagen zuletzt so stark zugelegt hat, ist ja gewünscht. Deshalb brauchen wir auch schnell eine Anpassung der Regulatorik. Nicht umsonst ist das eine Hauptforderung von BDEW und BDI.

Sie nehmen die Union da beim Wort?

Ja.

Und wenn nicht, geht Parteitaktik über Versorgungssicherheit?

Es wäre von Seiten der Union sehr widersprüchlich. Beim BDEW-Kongress haben Jens Spahn und Friedrich Merz die Regierung angegriffen, weil noch nichts vorlag. Jetzt stehen wir kurz vor einer Verabschiedung. Da müsste sich die CDU schon fragen, ob sie in ihren Forderungen konsistent sein und dem jetzt zustimmen will.

Wo besteht beim Strommarkt der größte Handlungsbedarf?

Klar ist, dass sich der Strommarkt mit dem Ausbau der Erneuerbaren komplett umwälzt. Nicht umsonst gibt es das BMWK-Papier zum Strommarktdesign, in dem viele Fragen aufgegriffen werden: Flexibilisierung, Digitalisierung, Vergütung der Erneuerbaren – das sind alles riesige Themen.

Gibt es Prioritäten oder muss alles gleichzeitig angepackt werden?

Das ist für mich die große Frage der Transformation. Können wir noch priorisieren oder müssen wir nicht alles gleichzeitig anpacken? Wir stehen unter enormem Druck. Beim Strommarktdesign müssen wir schnell die zentrale Frage klären, ob wir einen zentralen, dezentralen oder einen Mix aus beidem für den künftigen Strommarkt wollen.

Was wollen Sie?

Weil wir das BMWK hier sehr eng beraten haben, äußern wir uns dazu nicht. Wichtig ist, dass wir jetzt schnell ins Machen kommen.

Warum tun wir uns mit der Digitalisierung im Strommarkt so schwer? Jetzt verzögert sich auch das Ausrollen der Smartmeter wieder. Warum hinken wir anderen Ländern so hinterher?

Ab 1. Januar 2025 soll es ja verpflichtend werden – für alle, die mehr als 6.000 Kilowattstunden im Jahr verbrauchen.

Die meisten Privathaushalte, die gern einen flexiblen Tarif nutzen würden, haben davon nichts.

Ja, wir tun uns schwer. Trotzdem ist dieses Gesetz ein Riesenfortschritt.Meine Hoffnung ist, dass die Netzbetreiber das größer angehen und vielleicht proaktiv ganze Blöcke in einem Zug ausstatten.

Warum dauert das bei uns so viel länger als in anderen Ländern?

Bei uns steht immer die Sorge um die Sicherheit im Vordergrund – und der Datenschutz. Zudem haben wir uns noch nicht genügend Gedanken darüber gemacht, wie denn ein Datenaustausch funktionieren kann. Zwar heißt es immer: Ohne Digitalisierung keine Energiewende; aber konzentriert angepackt wird es nicht. Wir gehen das Ganze sehr komplex an, anstatt uns pragmatisch vorzuarbeiten.

Scheitert es vielleicht auch daran, dass wir fast 900 Netzbetreiber haben, von denen jeder eigene Vorstellungen bei der Digitalisierung hat?

Das deutsche System ist tatsächlich komplex.

Die Netzbetreiber rechnen für die nächsten 20 Jahre mit einem Investitionsbedarf von mehreren 100 Milliarden Euro, die entweder die Steuerzahler oder die Stromverbraucher übernehmen müssen, während sie selbst mit enormen Renditen kalkulieren. Ist das noch zeitgemäß?

Ich glaube nicht, dass es zielführend ist, an das Finanzierungsmodell der Netzbetreiber heranzugehen. Sie sind zentral für die Energieversorgung, bringen sich hervorragend ein, kooperieren eng mit der Bundesnetzagentur und leisten da ganz wesentliche Arbeit. Deswegen würde ich die Diskussion nicht führen wollen. Grundsätzlich müssen wir zur Kostenoptimierung die bestehenden Netze so gut wie möglich ausnutzen und so wenig wie möglich neu bauen.

Sollen eher die Steuerzahler oder eher die Konsumenten für die Netzinvestitionen aufkommen?

Natürlich zahlen die Netzentgelte weiterhin die Konsumenten. Wenn die aber zu stark steigen, sehe da eine stärkere Rolle des Staates.

Der hat allerdings auch kein Geld.

Daher ist die Frage zentral, wie sich die Union zur Schuldenbremse positioniert und was bis zur Wahl noch möglich ist. Mit einer möglichen Sperrminorität im Bundestag nach der Wahl dürfte alles schwieriger werden. Dass wir die in den kommenden Jahren notwendigen Investitionen mit dem aktuellen Finanzregime nicht bewältigen können, war gerade auf unserem Kongress ein Thema. Und zu dieser Einschätzung gab es da einen breiten Konsens.

Zu einer zentralen Frage der Energieversorgung werden die Stromspeicher werden. Wir haben Millionen von Elektroautos, die aber dürfen bisher nicht ins Netz zurückspeisen. Müssen wir da nicht nachjustieren?

Grundsätzlich: Elektroautos oder das bidirektionale Laden sind nur ein Teil des Ganzen. Wir brauchen aber, wenn es um Systemstabilität geht, die großen Speicher. Bidirektionales Laden kann eher in den örtlichen Netzen eine Rolle zur Stabilisierung spielen.

Das Speicherptenzial dabei, das sich ja mit einer funktionierenden Digitalisierung auch gut steuern ließe, spielt in Ihren Überlegungen keine Rolle?

Die Frage ist, ob das bidirektionale Laden in erster Linie den privaten Verbrauch optimiert oder die Netzebenen entlastet werden können. Ja, die Debatte ist gerade sehr aktuell, aber für das Gesamtsystem wird es aus meiner Sicht keine so entscheidende Rolle spielen.

Aber auch da wieder die Frage: Anderswo ist das kein Problem, in Deutschland schon. Warum?

Weil einerseits viele Fragen, rechtliche und technische, noch ungelöst sind. Und weil wir andererseits oft erst das perfekte System entwickeln wollen und uns selten trauen zu sagen: Wir gehen jetzt einfach mal ins Machen und Korrigieren dann im Prozess. Das ist leider oft auch auf europäischer Ebene so.

Eine Mentalitätsfrage?

Ja, wir sind aufgeregter und wir wollen es perfekter machen als andere. Im Bereich Wärme etwa haben wir eine enge Zusammenarbeit mit den Dänen. Die schütteln nur den Kopf, wenn sie unsere Diskussionen verfolgen. Die haben unaufgeregt vor 40 Jahren begonnen ihr Wärmesystem zu dekarbonisieren, sogar mit Anschlusszwang. Für uns ist das ein Tabu. Ja, es ist eine Mentalitätsfrage, das zeigt sich auch in anderen Bereichen, etwa beim Thema CCS.

Da hat sich auch bei uns in kurzer Zeit einiges bewegt.

Richtig. CCS ist kein Tabu mehr, wir sagen offen, wir werden das brauchen. Ab2045 brauchen wir auch Negativ-Emissionen. Ob wir wirklich in Deutschland selbst in die Speicherung gehen oder Pipelines bauen, um das CO2 woanders einzulagern, ist eine andere Frage. Für mich ist nicht ausgemacht, dass alles reibungslos verlaufen wird, wenn es zum Beispiel um einen Speicherort irgendwo in Norddeutschland geht. Aber es hat sich was bewegt im Vergleich zu 2008.

Es gibt ein enormes Speicherpotenzial in den deutschen Kellern – die Heimspeicher. Im Moment sind sie nur bedingt nutzbar, weil sie nicht aus dem Netz geladen werden dürfen. Was braucht es, um sie systemdienlich einsetzen zu können?

Wir müssten den regulatorischen Rahmen anpassen. Und wir müssen die Netze weiter ausbauen. Die Heimspeicher sind prima, aber sie sind nicht die Lösung, um das gesamte Netz zu stabilisieren. Wir kommen nicht ohne die großen Speicher aus. Und wir müssen endlich bei der Digitalisierung vorankommen. Bei der Smart Meter-Anbindung etwa sind wir schlicht zu langsam.

Brauchen wir wirklich die perfekten Geräte, die dem Netzbetreiber das Runterregeln ermöglichen oder geht es auch einfacher? Andere Länder arbeiten ja auch mit einfacheren Modellen.

Wenn wir jetzt den Smart Meter-Rollout machen, wäre es schon wichtig, dass wir die Modelle nehmen, die wir auch zukünftig brauchen. Insofern hinkt der Vergleich mit anderen Ländern, wo die Geräte andere Funktionen erfüllen als bei uns.

Also doch wieder eine perfekte Lösung?

Es wäre auch nicht zielführend, wenn wir viele parallele Standards haben. Da bin ich für ein System, das zukunftsfähig ist.

Auch beim Thema Wärme geht es bisher nur langsam voran. Haben Sie das Gefühl, dass die Nachwirkungen der Anti-Wärmepumpen-Kampagne allmählich nachlassen?

Wir hatten gerade die Woche der Wärmepumpe, und die ist sehr gut gelaufen. Die Diskussionen waren sehr sachlich. Das macht Hoffnung, denn die Wärmepumpe ist vollkommen zu Unrecht so in Verruf geraten.

In Deutschland gab es einen Shitstorm, während die Wärmepumpe im kälteren Skandinavien längst selbstverständlich ist. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Da haben leider einige Akteure eine unrühmliche Rolle gespielt. Die Erzählung, Habeck möchte an meine Heizung ran, hat natürlich überhaupt nicht geholfen. Im Gegenteil, viele haben eine neue Gasheizung bestellt, und auch Ölheizungen wurden en masse eingebaut. Völlig absurd, wenn man überlegt, wie die CO2-Preise steigen und wie teuer das werden wird. Das war eine breit angelegte Desinformationskampagne. Dazu kamen zwischenzeitig die Stopps der Förderung. Das war auch nicht hilfreich.

Mitgewirkt an dieser Desinformationskampagne haben ja auch Union und FDP. Haben Sie die Sorge, dass das neu aufflammt, wenn die Union die Wahl gewinnen sollte?

Naja, es gab schon die Äußerungen, dass das Gebäudeenergiegesetz (GEG) zurückgedreht werden soll. Ich hoffe, dass diese Stimmen die Ausnahme bleiben.

Im Energiekonzept der Union findet sich genau diese Forderung.

Davon würde ich dringend abraten. Man muss immer wieder sagen, dass das GEG ursprünglich unter der Großen Koalition erlassen worden ist. Und weil es mutmaßlich keine Alleinregierung der Union geben wird, wird es auch Stimmen geben, die dagegen argumentieren. Ich hoffe wirklich, dass da nichts zurückgeschraubt wird. Es wäre dramatisch für die Wärmewende, weil wir jetzt wieder eine gewisse Verlässlichkeit in den Regeln haben. Die Wärmewende braucht Verlässlichkeit, um den nötigen Schwung reinzubringen.

Die Union hofft ja, dass, wenn man auf Freiwilligkeit setzt, am Ende mehr Leute eine Wärmepumpe einbauen. Jedenfalls mehr als bei einer Verpflichtung. Überzeugt Sie das?

Daran glaube ich nicht. Es bauen sich doch nicht mehr Menschen eine Wärmepumpe ein, nur weil es freiwillig ist. Und niemand ist dazu gezwungen, es gibt auch andere Optionen. Ein gesetzlicher Rahmen mit zusätzlicher Förderung, so wie wir es jetzt haben, ist eine gute Regelung.

Bei den Wärmenetzen wurden auch wasserstofffähige Heizungen als Option in das Gesetz aufgenommen, in der Hoffnung, dass es bis dahin auch ein Wasserstoffnetz gibt. Lange Zeit hatte auch die dena diese Position. Inzwischen gehen die meisten Experten davon aus, dass Wasserstoff im privaten Wärmebereich keine Rolle spielen wird. Hat sich da auch die dena korrigiert?

Wir brauchen langfristig sehr große Mengen an Wasserstoff. Klar ist, davon werden wir rund 70 Prozent importieren müssen, direkt über Pipelines oder über Derivate von Übersee. Zuerst werden wir diesen Wasserstoff für Industrieprozesse nutzen, so dass ein Geschäftsmodell für die private Wärmenutzung schwer zu realisieren ist. Schon weil wir Wasserstoff absehbar nicht in diesen Mengen zur Verfügung haben, müssen wir priorisieren.

So dass alle, die eine wasserstofffähige Heizung kaufen, sie am Ende dann doch mit Gas betreiben müssen?

Wer heute eine Gasheizung einbaut, muss sich zwei Dinge bewusst machen: Fossile Kraftstoffe werden vorhersehbar teurer. Und auch diese Anlagen müssen schrittweise fossilfrei werden. Aber wenn wir mit Stadtwerken und Wärmeversorgern sprechen: Niemand glaubt da an eine große Zukunft von Wasserstoff im Wärmebereich. Deshalb wird diese Variante recht teuer im Betrieb.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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