Der Kanzler in Usbekistan – und ein Thema schwingt mit: Kann das Land bei der Abschiebung von Afghanen nach Afghanistan helfen? Wie realistisch ist diese Hoffnung der Regierung?
Usbekistan ist Nachbarland zu Afghanistan, insofern mag das plausibel klingen. Trotzdem sind die Chancen nicht riesig. Es gibt nur einen einzigen Grenzübergang zwischen den beiden Staaten. Schon die räumliche Begrenztheit kann da schnell zum Problem werden. Insbesondere wenn es um die Durchführung von Abschiebungen geht, bei denen sichere Transitzonen und eine enge Koordination mit afghanischen Behörden nötig sein könnten. Außerdem könnte eine Unterstützung von Abschiebungen in der Region negative Reaktionen hervorrufen und die Beziehungen zu Afghanistan weiter belasten. Die Hoffnung der Bundesregierung ist nachvollziehbar. Ihre Umsetzung ist aber in vielerlei Hinsicht problematisch.
Berlin ist bemüht, mit möglichst vielen Staaten Migrationsabkommen zu schließen – zum Zurückschicken von Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung, aber auch zur Anwerbung von Fachkräften. Von welchen Größenordnungen sprechen wir?
Deutschland bietet Usbekistan aktuell 50.000 Stellen in Bereichen an, die von erheblichem Fachkräftemangel betroffen sind. Dazu gehören insbesondere die Alten- und Krankenpflege, Lkw-Fahrdienste, Wartung von Lastkraftwagen und landwirtschaftlichen Maschinen, Hotelmanagement, Gastronomie, Tourismus sowie Handwerk und Bauwesen. Aber ob diese Zahl auch nur annähernd realistisch ist, kann hier zurzeit niemand sagen. Das Migrationsabkommen ist ein Standarddokument, das Deutschland regelmäßig mit verschiedenen Ländern abschließt.
Gibt es viele Usbeken, die geflohen sind, aber in Deutschland keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen?
Dieses Abkommen impliziert nicht automatisch, dass eine erhebliche Anzahl usbekischer illegaler Migranten in Deutschland vorhanden ist, die abgeschoben werden müssen. Die Zahl der usbekischen Migranten in Deutschland ist aktuell sehr gering.
Olaf Scholz hat angekündigt, er wolle von den Gastgebern auch lernen, wie sie die Lage in der Ukraine einschätzen. Was wird er da zu hören bekommen, sofern seine Gesprächspartner ehrlich sind?
Die enge Verknüpfung der zentralasiatischen Länder mit Russland ist bekannt, ebenso wie ihre lange gemeinsame Geschichte. Daher glaube ich nicht, dass die Antworten, die Olaf Scholz von seinen zentralasiatischen Gesprächspartnern erhält, signifikante Veränderungen herbeiführen werden. Dennoch bemühen sich Usbekistan und Kasachstan als zentrale Akteure der Region, ihre Beziehungen zu diversifizieren und sich nicht allein auf Russland zu stützen. Sie suchen dabei die Unterstützung des Westens, insbesondere Deutschlands. Wenn diese Länder sich hoffnungsvoll an Europa wenden, muss ihnen eine angemessene und verlässliche Antwort gegeben werden, um zu verhindern, dass sie enttäuscht werden. Es ist entscheidend, dass die Region nicht allein Russland und China überlassen wird.
Auf welcher Seite stehen Usbekistan und Kasachstan im Ukrainekrieg – und kann der Kanzler daran irgendwas ändern?
Usbekistan ist bemüht, eine außenpolitische Balance zu verfolgen, indem es sich sowohl am Westen als auch an Russland und China orientiert. Kasachstan ist ebenfalls auf einem vielversprechenden Weg, seine Beziehungen viel breiter aufzustellen. Im Gegensatz dazu sind Kirgisistan und Tadschikistan enger an Russland gebunden, wobei in diesen Ländern sogar russische Militärstützpunkte vorhanden sind. Usbekistan und Kasachstan dagegen streben an, von internationalen Partnerschaften und wirtschaftlichen Kooperationen zu profitieren, ohne sich eindeutig einer Seite zuzuordnen. Mit dieser Strategie möchten sie ihre wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen sichern und sich zugleich ihre Unabhängigkeit und Souveränität bewahren.
Was also tun?
Ich bin überzeugt, dass es sinnvoller ist, den Ländern der Region eine Zusammenarbeit und Partnerschaft anzubieten, statt sie unter Druck zu setzen und zu zwingen, sich klar auf eine Seite zu stellen. Handeln nach dem Motto „wer nicht mit uns ist, ist gegen uns“ wäre absolut kontraproduktiv. Usbekistan und Kasachstan haben klargemacht, dass sie die Republiken Donezk und Luhansk nicht anerkennen und sich für eine diplomatische und friedliche Beilegung des Konflikts aussprechen. Das ist absolut bemerkenswert. Zugleich bleibt die Region, bleiben auch diese beiden Länder wirtschaftlich stark an Russland gebunden. Ohne konkrete wirtschaftliche Angebote wird sich dies kaum ändern.
Zum Thema Energie: Kasachstan und Usbekistan gelten als mögliche Partner für die Zukunft, vor allem bei grünem Wasserstoff. Welche Größenordnungen sind da realistisch?
Usbekistan hat ein kaum ausgeschöpftes Potenzial für erneuerbare Energien. Mit rund 330 Sonnentagen im Jahr bietet sich insbesondere die Solarenergie an. Potenziale gibt es auch für den grünen Wasserstoff. Mit deutscher Unterstützung wird zurzeit die erste grüne Wasserstoffanlage im Land gebaut. Über Größenordnungen lässt sich nur spekulieren. Vieles wird davon abhängen, inwieweit die Infrastruktur ausgebaut werden kann.
Wenn Sie könnten, wie Sie wollten: Wo und wie müsste Deutschland seine Politik gegenüber Zentralasien ändern, damit es besser, enger, verlässlicher würde als bisher?
Deutschland muss stärker als bisher erkennen, dass Zentralasien als Brücke zwischen Europa und Asien eine geopolitisch relevante Region ist. Neben dem Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen wird es entscheidend sein, die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zu intensivieren. Gemeinsame Herausforderungen, beispielsweise beim Kampf gegen Terrorismus und Extremismus, bieten eine langfristige Zusammenarbeit an. Zukünftig müssen die Beziehungen konkreter und effektiver gestaltet werden, damit auch nachhaltige Resultate verzeichnet werden können. Der Besuch von Bundeskanzler Scholz kann dazu den Auftakt bilden. Daran gilt es anzuknüpfen.
Gibt es eine solche Chance überhaupt? Oder ist Zentralasien beim Blick auf Russland und China längst auf einem ganz anderen Trip – also immer weiter weg von Europa?
Der These, dass sich Zentralasien immer weiter von Europa weg entwickelt, kann man nicht pauschal auf alle Staaten der Region übertragen. Für Tadschikistan und Kirgisistan stimmt das. Aber Usbekistan und Kasachstan haben ihre Abhängigkeiten verringert. Insbesondere in der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik bieten sich Chancen für eine engere Zusammenarbeit mit Europa. Brüssel sollte sein Engagement in Zentralasien steigern und die Region nicht Peking und Moskau überlassen. Eine Aktualisierung der Zentralasienstrategie der EU ist dringend erforderlich.