Im vergangenen April haben sich die EU-Mitgliedstaaten auf eine Reform der EU-Fiskalregeln geeinigt, die nun ihre Wirkung entfaltet. Dabei hatte insbesondere Finanzminister Christian Lindner auf strikte numerische Grenzen bestanden – die nun auch in Deutschland Anwendung finden müssen. Lindners Argument: Nicht nur die deutsche Schuldenbremse, sondern auch die EU-Fiskalregeln würden ihn zu Einsparungen zwingen.
In der aktuellen, wirtschaftlich unsicheren Lage auf Sparpolitik zu setzen, ist allerdings keine ökonomische Notwendigkeit, sondern eine politische Entscheidung. Als Vertreter:innen von Fiscal Future, einer NGO junger Menschen für eine zukunftsfähige Finanzpolitik, haben wir deshalb einen differenzierteren Blick: Die neuen EU-Fiskalregeln sind kein „absichtliches Eigentor“ für Lindners Sparpolitik, sondern ein echtes Eigentor für Deutschlands wirtschaftliche Zukunft.
Konkret geht es dabei um die Schuldentragfähigkeitsanalyse (Debt Sustainability Analysis, kurz: DSA), auf deren Grundlage die EU-Kommission einen Nettoausgabenpfad mit den Mitgliedstaaten vereinbart, die die Benchmarks überschreiten. Auch Deutschland sollte eigentlich bis zum 15. Oktober einen Ausgabenplan vorlegen. Diese Frist wurde vom Finanzministerium nicht eingehalten. Nun überlege man, den Anpassungszeitraum von vier auf sieben Jahre zu verlängern – eine Opt-out-Option der neuen Regelungen.
Schadenfreude kommt dazu aus Brüssel – ausgerechnet Deutschland, der Vorzeige-Sparer der EU, habe seine Staatsfinanzen nicht im Griff. Und Lindner nutzt die Lage als Rückendeckung im Streit um die Schuldenbremse, indem er darauf verweist, dass die neuen EU-Fiskalregeln noch strikter seien als die nationalen.
Aber: So einfach ist das nicht. Dass Deutschland Gefahr läuft, den Nettoausgabenpfad nicht einzuhalten, liegt nicht an staatlicher Ausgabensucht, sondern an wachstumsfeindlicher Sparpolitik. Für die DSA zählt nämlich nicht nur der Schuldenstand, sondern vor allem auch die Wachstumsprognosen. Dass diese momentan so pessimistisch sind, führen immer mehr Ökonom:innen auf den Investitionsmangel und die restriktive Haushaltspolitik zurück. Aus diesem Grund hat auch der IWF gerade die Konjunkturprognose für Deutschland für 2025 um 0,5 Prozentpunkte nach unten angepasst und empfiehlt schon länger eine Lockerung der Schuldenbremse.
Lindners Logik „Deutschland ist der kranke Mann Europas, deswegen müssen wir sparen“, gilt also nicht – und findet sich so auch nicht in der DSA. Denn: Bedingung für die Ausweitung des Anpassungszeitraumes ist, dass das Land Pläne für strukturelle Reformen sowie wachstums- und resilienzfördernde Investitionen vorweist. Verlangt wird also genau die Investitionspolitik, die Deutschland jetzt benötigt – und der die Schuldenbremse im Weg steht.
Nils Redeker vom Jacques Delors Centre empfiehlt daher, dass eine neue Regierung nach der Bundestagswahl die Ausgabenpläne neu aushandelt, und als Grundlage für eine ambitionierte Investitionspolitik nutzt. Eine Ausweitung des Anpassungszeitraumes von vier auf sieben Jahre ist also kein „Nachsitzen“, weil Deutschland seine „Hausaufgaben nicht gemacht hat“. Es ist eine Chance für eine weitsichtigere, investitionsfördernde und damit auch generationengerechtere Finanzpolitik.
Trotz des geringen zusätzlichen Spielraumes, den die neuen EU-Fiskalregeln damit lassen, verfehlen sie aber insgesamt bei Weitem ihr ursprüngliches Ziel: einen zukunftsfähigen europäischen Finanzrahmen zu schaffen. Berechnungen des New Economic Forums zufolge werden unter dem neuen Regelwerk nur drei Mitgliedstaaten in der Lage sein, ausreichend in die sozial-ökologische Transformation zu investieren.
Gleichzeitig steht die DSA auch in der Kritik, intransparent zu sein und die negativen Wachstumseffekte von fiskalischer Konsolidierung zu unterschätzen. Wie auch schon der Draghi-Report nahegelegt hat, wird die EU langfristig ein kreditfinanziertes gemeinsames Investitionsprogramm – einen Zukunftsfonds – benötigen, um den Herausforderungen der Transformation und neuer geoökonomischer Realitäten gerecht zu werden.
Für uns ist klar: Starre Schuldengrenzen gefährden den Handlungsspielraum künftiger Generationen – auf nationaler sowie auf europäischer Ebene. Sie dürfen nicht als politisches Argument genutzt werden, um die notwendigen Investitionen in die Zukunft zu blockieren.