Table.Briefing: Europe

Zitterwahl für Macron + China liefert Moskau keine Waffen + DSA-Streit

  • Parlament: Macron muss um Mehrheit bangen
  • China: Unterstützen Russland nicht materiell
  • US-Datentransfer: Abkommen ins Ungewisse
  • DSA: Streit um Änderungen spitzt sich zu
  • EU-Beitritt: Von der Leyen lobt Anstrengungen Kiews
  • Scholz dringt auf Verhandlungen mit Nordmazedonien
  • Schweiz schließt sich Ölembargo an
  • Presseschau
  • Daniel Gros: Warum das Ölembargo wenig bewirken wird
Liebe Leserin, lieber Leser,

für Emmanuel Macron war der gestrige Wahlabend kein sonderlich guter: Frankreichs Präsident dürfte mit seinem Bündnis Ensemble zwar die meisten Sitze in der Nationalversammlung erringen, eine eigene Mehrheit ist ihm aber nicht sicher. Das Linksbündnis um den EU- und Deutschlandkritiker Jean-Luc Mélenchon legte im ersten Wahlgang gestern stark zu, wie Tanja Kuchenbecker aus Paris berichtet. Abgerechnet wird nach dem zweiten Wahlgang in einer Woche – ohne Mehrheit wäre der Handlungsspielraum Macrons in seiner zweiten Amtszeit stark eingeschränkt.

Reist Macron bald gemeinsam mit Olaf Scholz und Mario Draghi nach Kiew zu Wolodymyr Selenskyj? Das pfeifen die Spatzen von den Dächern, eine Bestätigung steht aber aus. Selenskyj wartet sehnlich auf ein klares Signal der Unterstützung von Macron und Scholz für den EU-Beitrittsantrag der Ukraine. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen weilte am Wochenende bereits zum zweiten Mal in Kiew – und lobte die “enormen Anstrengungen” der Regierung. Am Freitag dürfte sie die Empfehlung der Kommission zum Kandidatenstatus vorstellen.

Zwischen Wladimir Putin und Xi Jinping passt kein Blatt Papier – das war jedenfalls das Bild, das die beiden Präsidenten öffentlich vermittelten. Die Verbrüderung geht aber offenbar nicht so weit, dass China Russland in seinem Feldzug gegen die Ukraine mit Waffen helfen würde. Chinas Verteidigungsminister Wei Fenghe betonte beim Shangri-La-Dialog in Singapur, sein Land habe keinerlei materielle Unterstützung geleistet. Die Verbindung zwischen beiden Staaten sei eine Partnerschaft, aber kein Bündnis. Michael Radunski und Felix Lee haben die Einzelheiten von der Konferenz, die stark von der Rivalität zwischen den USA und China geprägt war.

Eigentlich war der Digital Services Act (DSA) fertig. Doch bevor Rat und Parlament ihn abschließend absegnen können, gibt es Ärger: Einige von der französischen Ratspräsidentschaft als Ergebnis vorgeschlagene Formulierungen sind für weite Teile der Parlamentsvertreter inakzeptabel. Falk Steiner hat mehr dazu in den News.

Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre und einen guten Start in die Woche!

Ihr
Till Hoppe
Bild von Till  Hoppe

Analyse

Macron muss um Mehrheit bangen

Emmanuel Macron wurde im April wiedergewählt, doch der Staatspräsident muss noch um eine eigene Mehrheit in der Nationalversammlung bangen. Bei den Parlamentswahlen am Sonntag erreichte das von Jean-Luc Mélenchon angeführte Linksbündnis NUPES mehr Stimmen als Macrons Lager. Laut Hochrechnungen kam es auf mehr als 25 Prozent und lag knapp vor dem Bündnis von Macron. Die rechtsextreme Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen erreichte rund 19 Prozent der Stimmen.

Der Grund: Nach dem Mehrheitswahlrecht zählen für die Verteilung der Sitze nur die Stimmen für den Gewinner im jeweiligen Bezirk, alle anderen fallen unter den Tisch. Wenn im ersten Wahldurchgang kein Kandidat die absolute Mehrheit erreicht, gelangen alle in den zweiten Wahlgang, die mindestens 12,5 Prozent der eingeschriebenen Wähler erreicht haben. Die relative Mehrheit reicht dann für den Sieg aus.

Macron darf auf Stimmen in vielen Landesteilen rechen. Mélenchon ist mit dem Linksbündnis hingegen in weniger Wahlkreisen in Großstädten und Vorstädten stark. Laut den Prognosen dürfte NUPES auf 180 bis 230 Sitze in der Nationalversammlung kommen. Für Macrons Bündnis Ensemble sagen die Meinungsforscher 270 bis 305 Sitze voraus. Le Pens RN dürfte demnach 34 Sitzen erreichen.

Macron bräuchte Stimmen der Opposition

Für den Präsidenten könnte es knapp werden mit der absoluten Mehrheit von 289 Sitzen. Dann müsste der Präsident darauf hoffen, dass er bei Gesetzestexten von Parteien der Opposition von Fall zu Fall unterstützt wird. In dem Fall könnte es schwierig werden, Vorhaben wie seine unpopuläre Rentenreform durchzubringen.

Macrons Bündnis stellt bisher noch knapp 350 Abgeordnete in der Nationalversammlung. Traditionell ist es meist so, dass der gewählte Präsident auch die Mehrheit im Parlament erlangt. Doch viele Franzosen stehen Macron kritisch gegenüber und empfinden seine Politik als zu wenig sozial.

Macron bezeichnet Jean-Luc Mélenchon als Bedrohung

Für Jean-Luc Mélenchon ist die Wahl ein Erfolg, auch wenn es nicht zum angestrebten Posten des Premierministers reichen sollte. Seine Linke kommt in der Nationalversammlung bislang nur auf 60 Abgeordnete. Dem Antikapitalisten ist es gelungen, ein Bündnis mit Sozialisten, Grünen und Kommunisten zu bilden. Seit der Präsidentschaftswahl am 24. April hat Macron in den Umfragen verloren, NUPES zugelegt.

Mélenchon verwies zur Begründung auf sein “soziales Programm”. Der 70-Jährige hatte bei den Präsidentschaftswahlen die Stichwahl knapp verpasst und landete auf dem dritten Platz hinter Macron und Le Pen. Das hat ihn angespornt. Er ist derzeit die treibende Kraft im linken politischen Spektrum. Das Bündnis Nouvelle Union Populaire Écologique et Sociale (Neue ökologische und soziale Arbeiterunion), das Mélenchon ins Leben gerufen hat, setzte auf die Unzufriedenen unter den Bürgern.

Sollte das Bündnis gewinnen, müsste Macron einen Premierminister aus der Opposition benennen – er käme kaum an Mélenchon vorbei. Macron bezeichnete ihn deshalb immer wieder als Bedrohung und stellte ihn mit der Rechtsextremen Le Pen gleich. Beide hätten ein “Projekt der Unordnung und Unterwerfung”. Mélenchon ist EU-kritisch und erklärte häufiger, dass man gegen Verträge in der EU verstoßen könne. Dabei geht es vor allem um Defizitregeln gegen übermäßige Staatsverschuldung. Mélenchon kritisierte auch schon häufiger ein “deutsches Diktat” in Finanzfragen in der EU.

  • Europapolitik

China: Unterstützen Russland nicht materiell

Moskau und Peking haben ihre engen Verbindungen wiederholt öffentlich zelebriert. Die Allianz trägt aber offenbar nicht so weit, wie von den Verantwortlichen in Europa und den USA befürchtet: Der Verteidigungsminister in China Wei Fenghe betonte am Wochenende, sein Land habe während des Ukraine-Krieges keinerlei materielle Unterstützung für Russland geleistet. Die Verbindung zwischen beiden Staaten sei eine Partnerschaft, aber kein Bündnis, sagte er beim Shangri-La-Dialog in Singapur.

Damit wollte Wei offenbar Vermutungen entgegentreten, China werde sich auf Seiten Russland schlagen, um gemeinsame Sache gegen den Westen zu machen. China hat nach offizieller Lesart die russische Invasion in der Ukraine bislang nicht offen kritisiert, aber auch keine Unterstützung für die Militäroffensive Russlands erklärt. China hoffe, dass die USA und die Nato mit Russland sprächen, um die Voraussetzungen für einen Waffenstillstand zu schaffen, sagte Wei. Er übt heftige Kritik an die EU und den Nato-Staaten, die die Ukraine mit Kriegsgerät unterstützen. Wer der Ukraine Waffen liefere, schütte Benzin ins Feuer, sagte der Verteidigungsminister.

Die Bemerkungen zur Ukraine waren vor allem in Richtung Washington gerichtet. Insgesamt stand die asiatische Sicherheitskonferenz in Singapur ganz im Zeichen der Spannungen zwischen China und den USA. Beide Seiten versuchten, für ihre konkurrierenden Visionen von regionaler Ordnung und Stabilität zu werben. Wei Fenghe und sein US-Kollege Llyod Austin lieferten sich einen Schlagabtausch.

Die Verteidigungsminister der beiden Mächte hatten sich am Wochenende erstmals persönlich getroffen. Die Beziehungen zwischen China und den USA sind äußerst angespannt. Die Konflikte reichen von den Uiguren in Xinjiang über das Südchinesische Meer und Taiwan bis hin zu Chinas Haltung im Ukraine-Krieg.

Am Freitag hatte Chinas oberster Militär im direkten Gespräch mit Austin eindringlich vor einem möglichen Krieg gewarnt. “Falls es irgendjemand wagt, Taiwan von China zu trennen, wird die chinesische Armee definitiv nicht zögern, einen Krieg zu beginnen. Koste es, was es wolle.” Jedes Komplott zur Unabhängigkeit Taiwans werde zerschmettert und die Vereinigung des Mutterlandes entschlossen aufrechterhalten. Wei stellt unmissverständlich klar: “Taiwan ist Chinas Taiwan.”

Als Chinas Verteidigungsminister dann am Sonntag seine offizielle Rede auf dem Shangri-La-Forum hielt, legte er im gleichen Tonfall nach – ebenso entschlossen und ebenso unmissverständlich: “Wenn es jemand wagt, Taiwan von China abzuspalten, werden wir nicht zögern, zu kämpfen”, sagte Wei. “Wir werden um jeden Preis kämpfen. Wir werden bis zum Ende kämpfen.” Niemand solle die Entschlossenheit und Fähigkeit der chinesischen Streitkräfte unterschätzen, ihre territoriale Integrität zu wahren.

Vergleiche zwischen China & Russlands Vorgehen in der Ukraine

Gemeint sind damit vor allem die USA. Am Tag zuvor hatte Lloyd Austin die amerikanische Sichtweise auf Taiwan und die Region dargelegt. In seiner Rede zog Austin immer wieder Vergleiche zwischen Russlands Vorgehen in der Ukraine und Chinas “stärkerer und aggressiverer Herangehensweise” im Indopazifik. “Russlands Invasion in der Ukraine ist das, was passiert, wenn Unterdrücker die Regeln, die uns alle schützen, mit Füßen treten”, sagte Austin in Singapur. “Das passiert, wenn Großmächte entscheiden, dass ihr imperialer Appetit wichtiger ist als die Rechte ihrer friedlichen Nachbarn. Und es ist eine Vorschau auf eine mögliche Welt des Chaos und Aufruhrs, in der keiner von uns leben möchte.”

Und so versprach Austin, dass die USA den Ländern in Asien helfen werde, sich gegen chinesisches “Mobbing” zu wehren. Das sei notwendig, damit sich eine Ukraine-Krise nicht im Pazifik wiederhole. Mit Blick auf Russland und China sagte er: “Wir spüren den Gegenwind – von Drohungen und Einschüchterungen – und den überholten Glauben an eine Welt, die in Einflusssphären unterteilt ist.”

Austin nannte unter anderen Chinas Militäraktivitäten rund um Taiwan, wie etwa die regelmäßigen Militärflüge und warnte seinerseits vor einer Destabilisierung in der Region. Erst vor wenigen Tagen waren 30 chinesische Flugzeuge in den sogenannten Verteidigungsluftraum Taiwans eingedrungen; Angaben des taiwanischen Verteidigungsministeriums zufolge hätten sich darunter mehr als 20 Kampfjets befunden (China.Table berichtete).

Beobachter konnten zuletzt eine Verschärfung der amerikanischen Politik bezüglich Taiwan feststellen. Als US-Präsident Joe Biden Ende Mai in Japan gefragt wurde, ob die USA Taiwan auch durch einen Einsatz der US-Armee verteidigen würde (China.Table berichtete), sagte Biden: “Ja, wir haben diese Verpflichtung.” Kurz zuvor hatte das US-Außenministerium die Beschreibung Taiwans auf seiner Internetseite geändert (China.Table berichtete): Der Hinweis auf “ein China” fiel weg – eine vermeintlich kleine, aber überaus symbolträchtige Änderung. Bisher bestand die US-Strategie darin, absichtlich vage zu bleiben: So soll China im Unklaren bleiben über die Handlungsbereitschaft der USA; und gleichzeitig soll Taiwan keinen Anreiz erhalten, mit einer vermeintlich amerikanischen Rückendeckung die Unabhängigkeit auszurufen.

China: USA verursacht weltweit Konflikte

US-Verteidigungsminister Austin beteuerte am Samstag jedoch: “Unsere Politik hat sich nicht geändert. Aber leider scheint das für China nicht zu gelten.” Frieden und Stabilität in der Taiwanstraße aufrechtzuerhalten sei nicht nur ein US-Interesse, sondern eine Angelegenheit von internationaler Bedeutung. “Wir suchen keine Konfrontation oder Konflikte. Und wir suchen keinen neuen Kalten Krieg, keine asiatische Nato und auch keine in feindliche Blöcke gespaltene Region”, sagte Austin. Die Worte des US-Verteidigungsministers sollten allen auf der Konferenz wie auch den Menschen in der Region zeigen, wer die Guten und wer die Bösen sind.

Das konnte China so nicht stehen lassen. Nur wenige Momente nach der Rede des US-Verteidigungsministers folgte denn auch die erste wütende Reaktion Chinas. Generalleutnant Zhang Zhenzhong bezeichnete Austins Ausführungen als eine Reihe von Unwahrheiten und bösartigen Unterstellungen, die allesamt auf Konfrontation abzielten. “Die USA verstärken ihre Militärpräsenz in der Region, sie schmieden Militärallianzen wie Aukus, Quad oder die Five-Eyes-Allianz und wollen offen Chinas strategisches Umfeld verändern. Wie sollten wir das anders nennen als Konfrontation!?” Es seien die USA, die Chaos im Nahen Osten angerichtet und Instabilität nach Europa gebracht hätten. Und nun würden sie versuchen, den asiatisch-pazifischen Raum zu destabilisieren, sagte der stellvertretende Leiter der gemeinsamen Stabsabteilung der Zentralen Militärkommission Chinas.

Auch Verteidigungsminister Wei präsentierte den Delegierten am Sonntag nochmals diese Argumentationskette: Amerikas Verhalten sei die Hauptursache für Spannungen – und zwar auf der gesamten Welt, von der Ukraine bis hin zum Südchinesischen Meer. Michael Radunski, Felix Lee

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Datentransfer: Abkommen ins Ungewisse

Mit der Zusicherung einer politischen Einigung signalisierten Joe Biden und Ursula von der Leyen im März höchste Priorität (Europe.Table berichtete) und transatlantische Einigkeit. Noch aber steht das Trans-Atlantic Data Privacy Framework (TADPF) nicht – auf der Arbeitsebene sind noch viele Fragen zu klären. Den betroffenen Unternehmen läuft die Zeit davon.

Zuletzt kamen aus den USA aber positive Signale, die der EU-Position entgegenkommen. Der Europäische Gerichtshof hatte bei der Annullierung der Vereinbarungen Safe Harbor und Privacy Shield die Adäquanz-Bescheinigungen der Kommission auch deshalb verworfen, weil in den USA kein verlässlicher Rechtsrahmen auf Bundesebene besteht. Vor gut einer Woche stellten US-Kongressabgeordnete lager- und kammerübergreifend nun den Entwurf eines Data Privacy and Protection Act vor. Dieses Gesetz wäre, wenn es so oder ähnlich käme, das erste bundesweite Datenschutzrecht der USA.

Dass es kommt, ist nicht garantiert. Obwohl das Vorhaben sowohl von US-Senatoren wie Mitgliedern des Repräsentantenhauses, von Republikanern wie Demokraten getragen wird, sind noch nicht alle maßgeblichen US-Politiker an Bord. So hat etwa die demokratische Vorsitzende des Handelsausschusses im Kongress noch keine Unterstützung signalisiert. Und die Midterms, die Zwischenwahlen am 8. November, bei denen das Repräsentantenhaus neu gewählt wird und auch ein Drittel des Senats zur Wahl steht, lassen das Vorhaben auch zeitlich ambitioniert erscheinen.

Als besonders prominenter Fürsprecher trat Tim Cook am Freitag in Erscheinung: Per Brief wandte sich der Apple-Chef an die US-Abgeordneten und forderte sie auf, die verbleibenden Streitpunkte schnell auszuräumen: “Nur der Kongress kann einen starken Schutz der Privatsphäre für alle Amerikaner gewährleisten”, heißt es in dem Brief unter anderem. Ansonsten, so Cook, drohe der Patchwork-Ansatz einzelstaatlicher Gesetze noch weiter anzuwachsen: “Wir fordern Sie nachdrücklich auf, so bald wie möglich ein umfassendes Gesetz zum Schutz der Privatsphäre zu verabschieden, und wir sind bereit, diesen Prozess zu unterstützen”.

Der Apple-Konzern verfolgt seit einigen Jahren wirtschaftlich, technologisch wie politisch das Ziel, besseren Datenschutz zu gewährleisten als die Konkurrenz und ist damit offenkundig am Markt erfolgreich. Doch auch für Apple ist die Möglichkeit, personenbezogene Daten aus Europa auch in den USA verarbeiten zu können, ein wichtiger Faktor.

US-Vorschlag bietet Anknüpfungspunkte

Rechtlich soll das US-Vorhaben dabei nicht direkt die Hauptkritikpunkte der Richter am EuGH aufgreifen. Insbesondere geht es darin nicht um die von den Richtern kritisierten staatlichen Befugnisse und den fehlenden Rechtsschutz für EU-Bürger.

Aber: Zum einen sind die im Entwurf enthaltenen Prinzipien wie Datensparsamkeit und Nutzerrechte grundsätzlich dem europäischen Datenschutzrecht ähnlich. So soll es etwa ein weitgehendes Zustimmungserfordernis und eine Verpflichtung zur Datensparsamkeit und zu Privacy by Design geben. Zum anderen sieht der Gesetzentwurf auch keine Beschränkung auf US-Bürger vor. Stattdessen knüpft das Recht am Aufenthaltsstatus in den USA als Voraussetzung zur Wahrnehmung der Rechte bis hin zur Sammelklage an, was etwa die Datenschutzexperten des Electronic Privacy Information Center (EPIC) grundsätzlich positiv erachten.

Mit diesem Vorschlag könnte die Menge an Daten von vornherein stärker beschränkt werden, die US-Unternehmen überhaupt verarbeiten. Die Datenhalde würde kleiner, aus der sich US-Nachrichtendienste und Strafverfolger bedienen können. Das könnte auch für das TADPF förderlich sein.

Noch sind viele Details zum geplanten Trans-Atlantic Data Privacy Framework nicht öffentlich bekannt. Hinter den Kulissen herrscht jedoch reger Betrieb. Zuletzt wollte EU-Justizkommissar Didier Reynders Anfang Juni in Washington mit dortigen Vertretern über die Ausgestaltung der Vereinbarung sprechen. Ergebnisse dieser Reise sind nicht bekannt.

Kritik am Trans-Atlantic Data Privacy Framework wird lauter

Kritiker wie der österreichische Datenschutzaktivist Maximilian Schrems mit seiner Organisation None of Your Business (NOYB) warnen bereits vor unzureichenden Zusicherungen. In einem Ende Mai veröffentlichten offenen Brief an Reynders, US-Handelsministerin Gina Raimondo und weitere Akteure warnte Schrems vor einer faktischen Neuauflage des von ihm zuletzt zu Fall gebrachten Privacy-Shield-Abkommens.

In einem Sachstandsbericht des wissenschaftlichen Dienstes des US-Kongresses sind die US-Perspektiven zum TADPF am 2. Juni noch einmal zusammengefasst worden. Schrems Befürchtung, dass die sieben Privacy-Shield-Prinzipien ohne Anpassungen übernommen werden sollen, wird darin bestätigt.

Schrems warnt auch ganz grundsätzlich davor, dass das TADPF unverändert auf den Prinzipien des Privacy Shields aufbauen soll. Dieses wurde jedoch entworfen, als Schrems – damals noch Jurastudent – das erste Mal 2015 eine EU-US-Vereinbarung vor dem EuGH zu Fall brachte. Die heutige Rechtsgrundlage, die Datenschutzgrundverordnung DSGVO, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft. Ohne Anpassungen könnten hier alte Probleme erneut zum Stolperstein werden.

Nach den bisher bekannt gewordenen Einzelheiten würden zudem wesentliche Kritikpunkte des EuGH nicht auf gesetzlicher Ebene adressiert, sondern über Präsidialverfügungen, sogenannte Executive Orders. Diese können jederzeit vom US-Präsidenten geändert werden. Zum einen betrifft das die Frage, wie US-Behörden mit Daten von EU-Bürgern umgehen. Zum anderen, welche Möglichkeiten Europäer haben sollen, gegen eine vermutete unzulässige Überwachung und Datenerhebung vorzugehen. Kritiker wie Schrems sehen keine tragfähige Lösung ohne parallele Änderungen am materiellen US-Recht, insbesondere am Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA).

Konkrete Rechtstexte weiterhin in Arbeit

Doch die werden nicht kommen – zumindest nicht als Teil des Trans-Atlantic Data Privacy Framework. Die EU-Kommission bestätigt auf Anfrage, dass das Framework ausschließlich auf Präsidialverfügungen gestützt sein wird. Diese würden die Grundlage für eine neue Angemessenheitsentscheidung, die die EU-Kommission anschließend als Entwurf erarbeitet. Wenn dieser die notwendigen Gremien passiert, wäre der Weg vorgezeichnet für eine neue Auseinandersetzung vor dem Europäischen Gerichtshof – und von Rechtssicherheit blieben die Datenübertragungen weiterhin weit entfernt.

In einer am vergangenen Freitag veröffentlichten Antwort auf Fragen der sozialdemokratischen EP-Abgeordneten Paul Tang und Birgit Sippel erläuterte Justizkommissar Reynders zwar zum wiederholten Male das weitere Verfahren, das auch ein Einspruchsrecht des Parlaments bei der Adäquanzentscheidung vorsieht. Inhaltliche Antworten auf die konkreten Fragen der Abgeordneten blieb die Generaldirektion Justiz aber sechs Wochen nach Eingang der “Priority Question” auch hier schuldig.

Den betroffenen Unternehmen droht aber konkretes Ungemach: Ein maßgebliches Verfahren der irischen Datenschutzbehörde DPC gegen die Facebook-Mutter Meta (Europe.Table berichtete) könnte dem derzeit verbliebenen Weg der Übertragung personenbezogener Daten per Standardvertragsklauseln (SCC) ein Ende bereiten. Auf Anfrage teilte die DPC Ireland mit, dass sie mit einem Abschluss des Verfahrens in den kommenden Wochen rechne. Es sei weit fortgeschritten.

Sollte die irische Datenschutzaufsicht die Rechtsgrundlage für ungültig erklären, müssten US-Konzerne wie Meta, Google, Microsoft oder Amazon prüfen, ob sie überhaupt noch personenbezogene Daten aus der EU verarbeiten wollen. Oder ob sie angesichts drohender Strafen hiervon absehen müssen.

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News

DSA: Streit um Änderungen spitzt sich zu

Eigentlich war der Digital Services Act (DSA) der EU fertig ausverhandelt. Doch bevor Rat und Parlament ihn abschließend absegnen können, muss die politische Einigung, die kurz vor den Präsidentschaftswahlen in Frankreich gefunden wurde, noch in die abschließende Rechtsförmlichkeit gebracht werden. Hier aber kommt es seit Wochen zu Ärger: Einige von der französischen Ratspräsidentschaft als Ergebnis vorgeschlagene Formulierungen sind für weite Teile der Parlamentsvertreter inakzeptabel.

Am Freitag ging ein seltenes Bündnis der zuständigen Parlamentarier von ganz links bis ganz rechts auf Konfrontationskurs und forderte Nachbesserungen vom Rat. Die Berichterstatterin Christel Schaldemose (S&D) schloss sich dem nicht an. Die Dänin wird aus dem Kollegenkreis für das aktuelle Debakel um das DSA-Finale mitverantwortlich gemacht.

EU-Kritik an Erwägungsgründen zum Digital Services Act

Die Kritik betrifft vor allem zwei Erwägungsgründe (Recitals), die Interpretationshilfen zum eigentlichen Rechtstext. In Erwägungsgrund 28 sollen die Diensteanbieter im vorerst letzten Vorschlag der Ratspräsidentschaft doch unter Umständen zu sogenannten Stay-Down-Filtern verpflichtet werden. Das Parlament hatte dies eigentlich für ausgeschlossen erklärt.

Und in Erwägungsgrund 29 findet sich plötzlich eine weitgehende Ausnahme der Glückspiel- und Wettbranche von den Durchsetzungslogiken des DSA. Während der erste Teil in ansonsten zum Vorgang weitgehend schweigsamen Parlamentarierkreisen vor allem als unglücklich interpretiert wird, wird die zweite Änderung als klarer Affront gewertet: Dies hätte bereits in den Verhandlungen thematisiert sein müssen, eine Ergänzung durch die Hintertür sei unzulässig.

Das als ungebührlich klassifizierte Vorgehen der französischen Ratspräsidentschaft könnte im schlimmsten Fall zu Verzögerungen führen. Frühestens 15 Monate nach Verkündung im Amtsblatt soll der DSA in Kraft treten. Doch erst mit der Verkündung können die EU-Kommission, die für die besonders großen Anbieter unmittelbar zuständig sein soll, und die Mitgliedstaaten, die ihrerseits Behörden mit der Durchsetzung betrauen und dafür einiges leisten müssen, an die Umsetzung gehen. Sollte Frankreich die Probleme bis Ende Juni nicht in den Griff bekommen, müsste die dann folgende tschechische Ratspräsidentschaft das eigentlich ausverhandelte Dossier noch einmal auf die Tagesordnung heben.

BNetzA und Landesmedienanstalten zu Aufgaben bereit

Vollständig offen bleibt derweil, wie genau der deutsche Umsetzungsmechanismus zum DSA aussehen soll. Einerseits könnte die Rolle des Digital Services Coordinators an die Landesmedienanstalten gehen, die im Auftrag der Länder für Medienregulierung zuständig sind und dem DSA-Kriterium der Unabhängigkeit bereits seit Jahren entsprechen. Zugleich aber spricht auch einiges für die Bundesnetzagentur, die als Aufsichtsbehörde gegenüber sehr großen und schwierigen Unternehmen viel Erfahrung hat. Für sie soll nach einem EuGH-Urteil 2021 noch in diesem Jahr per Gesetz mehr Unabhängigkeit geschaffen werden.

Vertreter beider regulatorischen Welten erklärten bei einem Podium im Rahmen der Republica-Konferenz, dass es verschiedene zu erledigende Aufgaben gebe. Es gebe eine verfassungsrechtliche Aufgabenteilung, so die Direktorin der Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg Eva Flecken (MABB), und die Trennlinie sei entlang der Meinungsbildungsaufgaben gut zu ziehen. Er wolle keine Bewerbungsrede halten, so Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur. Es werde aber kaum ein Land geben, in dem alle Aufgaben in einer Hand lägen. Für die Wirtschaft erläuterte Bitkom-Vorständin Susanne Dehmel, dass Unternehmen sich nicht aussuchen könnten, wer sie beaufsichtige: “Aber wichtig wären Kompetenzen in der jeweiligen Behörde und ein Level Playing Field in den Mitgliedstaaten sowie Rechtssicherheit für Unternehmen.”

Unterdessen hat der österreichische Verwaltungsgerichtshof am Freitag den dortigen Verwandten des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes dem EuGH vorgelegt: Die österreichischen Richter wollen vom EuGH wissen, ob die Wiener Gesetzgeber mit ihrem Kommunikationsplattformen-Gesetz gegen Europarecht verstoßen haben. Unter anderem fragen sie die Luxemburger Richter, ob nationale Gesetzgeber derart spezifische Vorschriften im Rahmen der E-Commerce-Richtlinie, die mit dem DSA ja nun überarbeitet wird, überhaupt erlassen dürfen. Gegen das österreichische Gesetz geklagt hatten die europäischen Töchter von Google, Twitter und der Facebook-Mutter Meta. fst

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EU-Beitritt: Von der Leyen lobt Anstrengungen Kiews

Voraussichtlich am kommenden Freitag wird die EU-Kommission ihre Empfehlungen zum EU-Beitritt der Ukraine veröffentlichen. Vieles deutet darauf hin, dass die Brüsseler Behörde den Mitgliedstaaten empfehlen wird, Kiew den Status eines Beitrittskandidaten zu geben. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen würdigte bei ihrem Besuch in Kiew am Samstag, die “enormen Anstrengungen und die Entschlossenheit” der Ukraine auf dem Weg in die EU. Die Regierung habe bereits viel getan für die Stärkung des Rechtsstaats, sagte sie bei einer Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. “Aber weitere Reformen müssen umgesetzt werden, zum Beispiel, um die Korruption zu bekämpfen.”

Von der Leyen war am Wochenende zum zweiten Mal nach Kiew gereist, um Fragen zum ukrainischen Antrag auf Aufnahme in die EU zu diskutieren. Die Einschätzung der Kommission werde bis Ende dieser Woche fertiggestellt, kündigte sie an. Selenskyj betonte, die Ukrainer seien sich darüber im Klaren, dass der Kandidatenstatus nur der Anfang des europäischen Wegs wäre.

Nach der Kommission sind dann die EU-Staaten am Zuge: Sie müssten beim Gipfel am 23. und 24. Juni einstimmig entscheiden, Kiew den Kandidatenstatus zu geben. Das Votum nimmt dabei nicht die Entscheidung über die Aufnahme vorweg.

Scholz: Keine Sonderregeln für EU-Beitritt der Ukraine

Die Herausforderung werde sein, aus dem EU-Gipfel mit einer einheitlichen Position hervorzugehen, “die die Tragweite dieser historischen Entscheidungen widerspiegelt”, sagte von der Leyen. “Ich hoffe, dass wir in 20 Jahren, wenn wir zurückblicken, sagen können, dass wir das Richtige getan haben.”

Bislang gehen die Ansichten der EU-Staaten jedoch auseinander. Staaten wie Estland, Litauen und Lettland, aber auch Italien oder Irland machen sich dafür stark, die Ukraine zügig zum EU-Kandidaten zu machen. EVP-Fraktionschef Manfred Weber plädierte ebenfalls dafür: “Es braucht eine Botschaft ohne Hintertüren, dass die Ukraine EU-Beitrittskandidat wird”, sagt der CSU-Politiker der Funke Mediengruppe.

Andere Staaten sind skeptischer, etwa die Niederlande und Dänemark. Noch offen ist, wie sich Frankreich und Deutschland positionieren werden (Europe.Table berichtete). Während etwa Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) für den Kandidatenstatus ist, hat sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) bislang nicht klar geäußert. Er betonte lediglich, dass er keine Sonderregeln für einen beschleunigten EU-Beitritt der Ukraine akzeptieren werde. Dabei verwies er auch darauf, dass dies nicht fair gegenüber den sechs Ländern des westlichen Balkans sei, die auch auf einen Beitritt zur EU hoffen.

Womöglich wird Scholz im Umfeld des EU-Gipfels noch nach Kiew reisen. Laut “Bild am Sonntag” diskutiert Scholz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem italienischen Regierungschef Mario Draghi über einen gemeinsamen Besuch bei Selenskyj noch vor dem G7-Gipfel in Elmau, der am 26. Juni beginnt. Eine Bestätigung dafür gab es am Wochenende aber nicht. tho/dpa

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Scholz dringt auf Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien

Bundeskanzler Olaf Scholz dringt auf eine sofortige Aufnahme von Verhandlungen zum EU-Beitritt mit Nordmazedonien. Bei einem Doppelbesuch in den Hauptstädten Skopje und Sofia versuchte er am Samstag, die Blockade durch das EU-Mitglied Bulgarien aufzuweichen. “Die vor zwei Jahren fest zugesagten Beitrittsverhandlungen müssen jetzt beginnen. Ich werde mich jedenfalls dafür starkmachen”, sagte der SPD-Politiker.

Nordmazedonien und Bulgarien waren die letzten beiden Stationen einer zweitägigen Balkan-Reise des Kanzlers, bei der es um die EU-Perspektive für insgesamt sechs Länder der Region ging: Neben Nordmazedonien wollen auch Montenegro, Albanien, Serbien, das Kosovo und Bosnien-Herzegowina Mitglied werden.

Scholz will nun für eine neue Dynamik sorgen und den sogenannten Berlin-Prozess mit den Anwärtern auf einen EU-Beitritt wieder in Gang bringen. “Alle haben mich dazu aufgefordert. Wir werden dieser Forderung entsprechen”, sagte er. Der Kanzler sieht nach dem russischen Angriff auf die Ukraine auch eine neue Bereitschaft bei vielen anderen EU-Staaten, “dass sie diesen Weg des westlichen Balkans in die Europäische Union aktiver unterstützen als das viele Jahre lang der Fall war”.

Scholz: Nordmazedonien habe hart für EU-Beitritt gearbeitet

Der nordmazedonische Regierungschef Dimitar Kovacevski machte nach seinem Treffen mit Scholz deutlich, dass sein Land vom EU-Gipfel im Juni eine Bestätigung für den Beginn der Beitrittsverhandlungen erhalten wolle. Nordmazedonien habe große Anstrengungen unternommen und Verwaltung und Justiz reformiert. Auch Scholz erkannte an, dass die Bürger und die Regierung des Landes “sehr hart gearbeitet” hätten, um den Weg für Beitrittsverhandlungen freizumachen. Nun sollte für diese Anstrengungen die Ernte anstehen.

Nordmazedonien ist seit 17 Jahren Beitrittskandidat. Im Juli 2020 gab die EU-Kommission im Prinzip grünes Licht für konkrete Verhandlungen. Diese werden aber von Bulgarien wegen eines Streits um Geschichtsschreibung und Rechte der bulgarischen Minderheit in Nordmazedonien blockiert. Der bulgarische Regierungschef Kiril Petkow beharrte auf Vorbedingungen seines Landes für EU-Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien. Dafür müsse die EU unter anderem garantieren, dass die in Nordmazedonien lebenden Bulgaren in die Verfassung aufgenommen werden, damit ihre Rechte eingehalten würden. dpa

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  • Nordmazedonien

Schweiz schließt sich Ölembargo an

Die Schweiz als eine der wichtigsten Drehscheiben für den internationalen Ölhandel übernimmt die neuen Sanktionen der EU gegenüber Russland und Belarus – unter anderem das Öl-Embargo. Das teilte die Regierung am Freitag in Bern mit. Die EU-Sanktionen treten mit Übergangsfristen bis Anfang 2023 schrittweise in Kraft.

Rund 50 bis 80 Prozent der Produkte des Rohstofflieferanten Russland werden laut einem Bericht des Schweizer Wirtschaftsmagazins “Bilanz” über die Schweiz gehandelt. Der weltweit größte unabhängige Ölhändler ist der niederländische Handelskonzern Vitol mit Sitz in Genf. Das Unternehmen hat wie auch Konkurrent Trafigura den Handel mit russischem Rohöl und Erdölprodukten nach eigenen Angaben bereits deutlich reduziert oder ganz aufgegeben. dpa

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Presseschau

Noch vor G-7-Gipfel – Scholz will mit Macron und Draghi nach Kiew reisen WELT
Robert Habeck will Gewinne von Mineralölkonzernen abschöpfen ZEIT
Volker Wissing muss Digitalpolitik mit mehreren Ressorts koordinieren ZEIT
Dutch watchdog says Apple to offer other payment methods in dating apps REUTERS
Digital Services Act: Streit in der EU über Inhaltsfilter und Glücksspiel HEISE
Anpassungen an Google Analytics reichen zur Legalisierung nicht aus EURACTIV
Ungarn gibt nach Raffinerie-Unfall Treibstoffreserven frei SPIEGEL
EU car bill highlights Poland’s lack of charging points DW
Niederländische Bauern laufen Sturm: Stickstoffreduktion um bis zu 95 % beschlossen EURONEWS

Standpunkt

Warum das Ölembargo wenig bewirken wird

Von Daniel Gros
Daniel Gros, Vorstandsmitglied und Distinguished Fellow des Centre for European Policy Studies, im Standpunkt über das Öl-Embargo gegen Russland.
Daniel Gros ist Distinguished Fellow und Mitglieds des Boards beim Centre for European Policy Studies.

Nach hundert Tagen Krieg in der Ukraine sollten wir uns fragen, wie sehr die westlichen Sanktionen Russland geschadet haben, und ob wir die Strategie des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit weiteren Maßnahmen verändern können – insbesondere mit dem gerade angekündigten Embargo gegen russisches Öl (Europe.Table berichtete).

Früher sorgte Öl für den größten Teil der russischen Exporterlöse: Im Dezember 2021 exportierte das Land 7,8 Millionen Barrel pro Tag – jährlich also über 2,8 Milliarden. Dies war zwar vor der Invasion, aber Russland wird wohl auch weiterhin eine robuste Exportkapazität behalten, bis der Mangel an hochwertiger westlicher Ausrüstung die Förderung begrenzt.

Kurzfristig werden die westlichen Sanktionen die russische Ölförderung nicht bremsen. Außerdem wird aufgrund des Rückgangs der russischen Wirtschaft die Inlandsnachfrage zurückgehen. Momentan kann Russland daher seine Rohölexporte aufrechterhalten und bei Preisen von 110-120 Dollar pro Barrel allein dadurch mehr als 300 Milliarden Dollar jährlich einnehmen – genug, um seine Regierung zu finanzieren und weiterhin Krieg zu führen.

Dies soll durch das EU-Embargo verhindert werden. Die Rechnung, die in diplomatischen Kreisen kursiert, ist einfach: Hört die EU – in die die Hälfte der russischen Ölexporte fließt – auf, russisches Rohöl zu importieren, verliert Putin 150 Milliarden Dollar. Aber die Wirklichkeit ist komplizierter.

Schon kleine Verringerung der Ölmenge treibt Preise

Da die Nachfrage nach Öl kurzfristig sehr unelastisch ist, kann bereits eine kleine Verringerung der Ölmenge, die die globalen Märkte erreicht, zu massiv steigenden Preisen führen. Tatsächlich zeigen Studien, dass die Einnahmen, wenn weniger Öl verfügbar ist, sogar steigen. Anders ausgedrückt: Stark steigende Preise werden die russischen Exporteinnahmen in neue Höhen treiben und den Eindruck erwecken, die Sanktionen seien gescheitert.

Natürlich werden die Preise dann nach und nach wieder fallen, da andere Länder, um von den hohen Preisen zu profitieren, ihre Ölförderung ankurbeln. Der Hauptgrund für die jüngste Entscheidung der OPEC, ihre Förderziele auszuweiten, war wahrscheinlich nicht der politische Druck aus den USA, sondern reines Profitstreben. Trotzdem wird Russland, bis die Preise fallen, erhebliche Einnahmen erzielen.

EU-Embargo gilt nicht für Pipeline-Öl aus Russland

Dafür, dass das EU-Embargo gegen Öl aus Russland nur begrenzte Wirkung haben wird, gibt es noch einen weiteren wichtigen Grund: Öl ist ein fungibler Rohstoff. Das Öl, das Europa importiert hätte, könnte nun an Länder wie Indien und China verkauft werden – die gemeinsam doppelt so viel Öl verbrauchen wie die EU. Daher ist es nicht möglich, Russlands Ölexporte zu stoppen.

Außerdem muss betont werden, dass das EU-Embargo nur für per Schiff geliefertes russisches Rohöl gilt und nicht für Importe über Pipelines. Dieses Teilverbot – das Ergebnis eines mühsamen Kompromisses – dürfte weitgehend unwirksam sein, da das verschiffte Öl, das sowieso in Tanker geladen werden muss, leicht an andere Orte umgeleitet werden kann.

Der Schlüssel liegt in niedrigeren Preisen

Der Erfolg solcher Sanktionen sollte nicht nur anhand der Menge des in den Westen importierten russischen Öls gemessen werden, sondern auch daran, wieviel Einnahmen Russland durch seine Exporte erzielt. Der Schlüssel liegt nicht in einer Verringerung der Menge, sondern in niedrigeren Preisen.

Auch sollten Einschätzungen der potenziellen russischen Exporteinnahmen nicht auf dem Weltmarktpreis beruhen, sondern auf dem Preis, zu dem das Land Rohöl verkaufen kann. Hier gibt es bessere Nachrichten: Zwischen dem europäischen Ölpreis und dem Preis russischen Öls hat sich eine große Lücke aufgetan. Russland muss momentan Abschläge von etwa 30 Dollar pro Barrel in Kauf nehmen. Diese Divergenz entstand direkt nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Das deutet darauf hin, dass sie nicht durch die offiziellen Sanktionen verursacht wurde, sondern durch Selbstsanktionierung von Händlern, Reedern und Importeuren, die nicht mit Russland in Verbindung gebracht werden wollten.

Wegen der hohen Weltmarktpreise kann Russland trotz dieses Abschlags 80 bis 90 Dollar pro Barrel erzielen. Dies ist mindestens das Doppelte der Förderkosten (etwa 40 Dollar pro Barrel) und liegt viel höher als noch vor einem Jahr. Aber obwohl Russland von seinen Ölexporten profitiert, verliert es – verglichen mit einem Verkauf zum vollen Preis – jährlich fast 100 Milliarden Dollar.

Versicherungsverbot für Tanker

Und aufgrund einer weniger beachteten, aber vielleicht wichtigeren Entscheidung, die gleichzeitig mit dem EU-Embargo getroffen wurde, könnten sich diese Verluste noch vergrößern: Die EU und Großbritannien haben sich darauf geeinigt, dass Tanker, die russisches Öl transportieren, nicht mehr versichert werden dürfen. Dies wird Russlands Möglichkeiten, sein Öl in alle Welt zu exportieren, erheblich behindern, und das Land zu noch größeren Preisnachlässen zwingen.

Der Ölpreis hat für Russlands geopolitische Berechnungen eine erhebliche Bedeutung: Ende 2014 hat sich das Land offensiver an den Kämpfen in der ostukrainischen Donbas-Region beteiligt. Wäre es zu dieser Zeit weiter in die Ukraine vorgedrungen, hätte das noch junge ukrainische Militär nicht viel Widerstand leisten können. Aber die Ölpreise gaben damals von über 100 Dollar auf weniger als 50 Dollar pro Barrel nach – und Putin stimmte den Minsker Abkommen zu, die den russischen Vormarsch stoppten.

Obwohl die internationalen Preise heute deutlich höher liegen, ist die gute Nachricht, dass sie aufgrund der Preisabschläge, die Russland hinnehmen muss, lediglich auf 80 Dollar pro Barrel fallen müssten, um dem Land erhebliche wirtschaftliche Probleme zu bereiten. Eine deutliche Erhöhung der Ölfördermengen anderer Länder könnte dazu beitragen, ein Embargo gegen russisches Öl hingegen nicht. Die westlichen Politiker sollten diese Wirklichkeit akzeptieren und zugeben, dass sie nicht in der Lage sind, der russischen Wirtschaft einen schweren Schlag zu versetzen.

In Kooperation mit Project Syndicate. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff.

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    • Parlament: Macron muss um Mehrheit bangen
    • China: Unterstützen Russland nicht materiell
    • US-Datentransfer: Abkommen ins Ungewisse
    • DSA: Streit um Änderungen spitzt sich zu
    • EU-Beitritt: Von der Leyen lobt Anstrengungen Kiews
    • Scholz dringt auf Verhandlungen mit Nordmazedonien
    • Schweiz schließt sich Ölembargo an
    • Presseschau
    • Daniel Gros: Warum das Ölembargo wenig bewirken wird
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    für Emmanuel Macron war der gestrige Wahlabend kein sonderlich guter: Frankreichs Präsident dürfte mit seinem Bündnis Ensemble zwar die meisten Sitze in der Nationalversammlung erringen, eine eigene Mehrheit ist ihm aber nicht sicher. Das Linksbündnis um den EU- und Deutschlandkritiker Jean-Luc Mélenchon legte im ersten Wahlgang gestern stark zu, wie Tanja Kuchenbecker aus Paris berichtet. Abgerechnet wird nach dem zweiten Wahlgang in einer Woche – ohne Mehrheit wäre der Handlungsspielraum Macrons in seiner zweiten Amtszeit stark eingeschränkt.

    Reist Macron bald gemeinsam mit Olaf Scholz und Mario Draghi nach Kiew zu Wolodymyr Selenskyj? Das pfeifen die Spatzen von den Dächern, eine Bestätigung steht aber aus. Selenskyj wartet sehnlich auf ein klares Signal der Unterstützung von Macron und Scholz für den EU-Beitrittsantrag der Ukraine. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen weilte am Wochenende bereits zum zweiten Mal in Kiew – und lobte die “enormen Anstrengungen” der Regierung. Am Freitag dürfte sie die Empfehlung der Kommission zum Kandidatenstatus vorstellen.

    Zwischen Wladimir Putin und Xi Jinping passt kein Blatt Papier – das war jedenfalls das Bild, das die beiden Präsidenten öffentlich vermittelten. Die Verbrüderung geht aber offenbar nicht so weit, dass China Russland in seinem Feldzug gegen die Ukraine mit Waffen helfen würde. Chinas Verteidigungsminister Wei Fenghe betonte beim Shangri-La-Dialog in Singapur, sein Land habe keinerlei materielle Unterstützung geleistet. Die Verbindung zwischen beiden Staaten sei eine Partnerschaft, aber kein Bündnis. Michael Radunski und Felix Lee haben die Einzelheiten von der Konferenz, die stark von der Rivalität zwischen den USA und China geprägt war.

    Eigentlich war der Digital Services Act (DSA) fertig. Doch bevor Rat und Parlament ihn abschließend absegnen können, gibt es Ärger: Einige von der französischen Ratspräsidentschaft als Ergebnis vorgeschlagene Formulierungen sind für weite Teile der Parlamentsvertreter inakzeptabel. Falk Steiner hat mehr dazu in den News.

    Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre und einen guten Start in die Woche!

    Ihr
    Till Hoppe
    Bild von Till  Hoppe

    Analyse

    Macron muss um Mehrheit bangen

    Emmanuel Macron wurde im April wiedergewählt, doch der Staatspräsident muss noch um eine eigene Mehrheit in der Nationalversammlung bangen. Bei den Parlamentswahlen am Sonntag erreichte das von Jean-Luc Mélenchon angeführte Linksbündnis NUPES mehr Stimmen als Macrons Lager. Laut Hochrechnungen kam es auf mehr als 25 Prozent und lag knapp vor dem Bündnis von Macron. Die rechtsextreme Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen erreichte rund 19 Prozent der Stimmen.

    Der Grund: Nach dem Mehrheitswahlrecht zählen für die Verteilung der Sitze nur die Stimmen für den Gewinner im jeweiligen Bezirk, alle anderen fallen unter den Tisch. Wenn im ersten Wahldurchgang kein Kandidat die absolute Mehrheit erreicht, gelangen alle in den zweiten Wahlgang, die mindestens 12,5 Prozent der eingeschriebenen Wähler erreicht haben. Die relative Mehrheit reicht dann für den Sieg aus.

    Macron darf auf Stimmen in vielen Landesteilen rechen. Mélenchon ist mit dem Linksbündnis hingegen in weniger Wahlkreisen in Großstädten und Vorstädten stark. Laut den Prognosen dürfte NUPES auf 180 bis 230 Sitze in der Nationalversammlung kommen. Für Macrons Bündnis Ensemble sagen die Meinungsforscher 270 bis 305 Sitze voraus. Le Pens RN dürfte demnach 34 Sitzen erreichen.

    Macron bräuchte Stimmen der Opposition

    Für den Präsidenten könnte es knapp werden mit der absoluten Mehrheit von 289 Sitzen. Dann müsste der Präsident darauf hoffen, dass er bei Gesetzestexten von Parteien der Opposition von Fall zu Fall unterstützt wird. In dem Fall könnte es schwierig werden, Vorhaben wie seine unpopuläre Rentenreform durchzubringen.

    Macrons Bündnis stellt bisher noch knapp 350 Abgeordnete in der Nationalversammlung. Traditionell ist es meist so, dass der gewählte Präsident auch die Mehrheit im Parlament erlangt. Doch viele Franzosen stehen Macron kritisch gegenüber und empfinden seine Politik als zu wenig sozial.

    Macron bezeichnet Jean-Luc Mélenchon als Bedrohung

    Für Jean-Luc Mélenchon ist die Wahl ein Erfolg, auch wenn es nicht zum angestrebten Posten des Premierministers reichen sollte. Seine Linke kommt in der Nationalversammlung bislang nur auf 60 Abgeordnete. Dem Antikapitalisten ist es gelungen, ein Bündnis mit Sozialisten, Grünen und Kommunisten zu bilden. Seit der Präsidentschaftswahl am 24. April hat Macron in den Umfragen verloren, NUPES zugelegt.

    Mélenchon verwies zur Begründung auf sein “soziales Programm”. Der 70-Jährige hatte bei den Präsidentschaftswahlen die Stichwahl knapp verpasst und landete auf dem dritten Platz hinter Macron und Le Pen. Das hat ihn angespornt. Er ist derzeit die treibende Kraft im linken politischen Spektrum. Das Bündnis Nouvelle Union Populaire Écologique et Sociale (Neue ökologische und soziale Arbeiterunion), das Mélenchon ins Leben gerufen hat, setzte auf die Unzufriedenen unter den Bürgern.

    Sollte das Bündnis gewinnen, müsste Macron einen Premierminister aus der Opposition benennen – er käme kaum an Mélenchon vorbei. Macron bezeichnete ihn deshalb immer wieder als Bedrohung und stellte ihn mit der Rechtsextremen Le Pen gleich. Beide hätten ein “Projekt der Unordnung und Unterwerfung”. Mélenchon ist EU-kritisch und erklärte häufiger, dass man gegen Verträge in der EU verstoßen könne. Dabei geht es vor allem um Defizitregeln gegen übermäßige Staatsverschuldung. Mélenchon kritisierte auch schon häufiger ein “deutsches Diktat” in Finanzfragen in der EU.

    • Europapolitik

    China: Unterstützen Russland nicht materiell

    Moskau und Peking haben ihre engen Verbindungen wiederholt öffentlich zelebriert. Die Allianz trägt aber offenbar nicht so weit, wie von den Verantwortlichen in Europa und den USA befürchtet: Der Verteidigungsminister in China Wei Fenghe betonte am Wochenende, sein Land habe während des Ukraine-Krieges keinerlei materielle Unterstützung für Russland geleistet. Die Verbindung zwischen beiden Staaten sei eine Partnerschaft, aber kein Bündnis, sagte er beim Shangri-La-Dialog in Singapur.

    Damit wollte Wei offenbar Vermutungen entgegentreten, China werde sich auf Seiten Russland schlagen, um gemeinsame Sache gegen den Westen zu machen. China hat nach offizieller Lesart die russische Invasion in der Ukraine bislang nicht offen kritisiert, aber auch keine Unterstützung für die Militäroffensive Russlands erklärt. China hoffe, dass die USA und die Nato mit Russland sprächen, um die Voraussetzungen für einen Waffenstillstand zu schaffen, sagte Wei. Er übt heftige Kritik an die EU und den Nato-Staaten, die die Ukraine mit Kriegsgerät unterstützen. Wer der Ukraine Waffen liefere, schütte Benzin ins Feuer, sagte der Verteidigungsminister.

    Die Bemerkungen zur Ukraine waren vor allem in Richtung Washington gerichtet. Insgesamt stand die asiatische Sicherheitskonferenz in Singapur ganz im Zeichen der Spannungen zwischen China und den USA. Beide Seiten versuchten, für ihre konkurrierenden Visionen von regionaler Ordnung und Stabilität zu werben. Wei Fenghe und sein US-Kollege Llyod Austin lieferten sich einen Schlagabtausch.

    Die Verteidigungsminister der beiden Mächte hatten sich am Wochenende erstmals persönlich getroffen. Die Beziehungen zwischen China und den USA sind äußerst angespannt. Die Konflikte reichen von den Uiguren in Xinjiang über das Südchinesische Meer und Taiwan bis hin zu Chinas Haltung im Ukraine-Krieg.

    Am Freitag hatte Chinas oberster Militär im direkten Gespräch mit Austin eindringlich vor einem möglichen Krieg gewarnt. “Falls es irgendjemand wagt, Taiwan von China zu trennen, wird die chinesische Armee definitiv nicht zögern, einen Krieg zu beginnen. Koste es, was es wolle.” Jedes Komplott zur Unabhängigkeit Taiwans werde zerschmettert und die Vereinigung des Mutterlandes entschlossen aufrechterhalten. Wei stellt unmissverständlich klar: “Taiwan ist Chinas Taiwan.”

    Als Chinas Verteidigungsminister dann am Sonntag seine offizielle Rede auf dem Shangri-La-Forum hielt, legte er im gleichen Tonfall nach – ebenso entschlossen und ebenso unmissverständlich: “Wenn es jemand wagt, Taiwan von China abzuspalten, werden wir nicht zögern, zu kämpfen”, sagte Wei. “Wir werden um jeden Preis kämpfen. Wir werden bis zum Ende kämpfen.” Niemand solle die Entschlossenheit und Fähigkeit der chinesischen Streitkräfte unterschätzen, ihre territoriale Integrität zu wahren.

    Vergleiche zwischen China & Russlands Vorgehen in der Ukraine

    Gemeint sind damit vor allem die USA. Am Tag zuvor hatte Lloyd Austin die amerikanische Sichtweise auf Taiwan und die Region dargelegt. In seiner Rede zog Austin immer wieder Vergleiche zwischen Russlands Vorgehen in der Ukraine und Chinas “stärkerer und aggressiverer Herangehensweise” im Indopazifik. “Russlands Invasion in der Ukraine ist das, was passiert, wenn Unterdrücker die Regeln, die uns alle schützen, mit Füßen treten”, sagte Austin in Singapur. “Das passiert, wenn Großmächte entscheiden, dass ihr imperialer Appetit wichtiger ist als die Rechte ihrer friedlichen Nachbarn. Und es ist eine Vorschau auf eine mögliche Welt des Chaos und Aufruhrs, in der keiner von uns leben möchte.”

    Und so versprach Austin, dass die USA den Ländern in Asien helfen werde, sich gegen chinesisches “Mobbing” zu wehren. Das sei notwendig, damit sich eine Ukraine-Krise nicht im Pazifik wiederhole. Mit Blick auf Russland und China sagte er: “Wir spüren den Gegenwind – von Drohungen und Einschüchterungen – und den überholten Glauben an eine Welt, die in Einflusssphären unterteilt ist.”

    Austin nannte unter anderen Chinas Militäraktivitäten rund um Taiwan, wie etwa die regelmäßigen Militärflüge und warnte seinerseits vor einer Destabilisierung in der Region. Erst vor wenigen Tagen waren 30 chinesische Flugzeuge in den sogenannten Verteidigungsluftraum Taiwans eingedrungen; Angaben des taiwanischen Verteidigungsministeriums zufolge hätten sich darunter mehr als 20 Kampfjets befunden (China.Table berichtete).

    Beobachter konnten zuletzt eine Verschärfung der amerikanischen Politik bezüglich Taiwan feststellen. Als US-Präsident Joe Biden Ende Mai in Japan gefragt wurde, ob die USA Taiwan auch durch einen Einsatz der US-Armee verteidigen würde (China.Table berichtete), sagte Biden: “Ja, wir haben diese Verpflichtung.” Kurz zuvor hatte das US-Außenministerium die Beschreibung Taiwans auf seiner Internetseite geändert (China.Table berichtete): Der Hinweis auf “ein China” fiel weg – eine vermeintlich kleine, aber überaus symbolträchtige Änderung. Bisher bestand die US-Strategie darin, absichtlich vage zu bleiben: So soll China im Unklaren bleiben über die Handlungsbereitschaft der USA; und gleichzeitig soll Taiwan keinen Anreiz erhalten, mit einer vermeintlich amerikanischen Rückendeckung die Unabhängigkeit auszurufen.

    China: USA verursacht weltweit Konflikte

    US-Verteidigungsminister Austin beteuerte am Samstag jedoch: “Unsere Politik hat sich nicht geändert. Aber leider scheint das für China nicht zu gelten.” Frieden und Stabilität in der Taiwanstraße aufrechtzuerhalten sei nicht nur ein US-Interesse, sondern eine Angelegenheit von internationaler Bedeutung. “Wir suchen keine Konfrontation oder Konflikte. Und wir suchen keinen neuen Kalten Krieg, keine asiatische Nato und auch keine in feindliche Blöcke gespaltene Region”, sagte Austin. Die Worte des US-Verteidigungsministers sollten allen auf der Konferenz wie auch den Menschen in der Region zeigen, wer die Guten und wer die Bösen sind.

    Das konnte China so nicht stehen lassen. Nur wenige Momente nach der Rede des US-Verteidigungsministers folgte denn auch die erste wütende Reaktion Chinas. Generalleutnant Zhang Zhenzhong bezeichnete Austins Ausführungen als eine Reihe von Unwahrheiten und bösartigen Unterstellungen, die allesamt auf Konfrontation abzielten. “Die USA verstärken ihre Militärpräsenz in der Region, sie schmieden Militärallianzen wie Aukus, Quad oder die Five-Eyes-Allianz und wollen offen Chinas strategisches Umfeld verändern. Wie sollten wir das anders nennen als Konfrontation!?” Es seien die USA, die Chaos im Nahen Osten angerichtet und Instabilität nach Europa gebracht hätten. Und nun würden sie versuchen, den asiatisch-pazifischen Raum zu destabilisieren, sagte der stellvertretende Leiter der gemeinsamen Stabsabteilung der Zentralen Militärkommission Chinas.

    Auch Verteidigungsminister Wei präsentierte den Delegierten am Sonntag nochmals diese Argumentationskette: Amerikas Verhalten sei die Hauptursache für Spannungen – und zwar auf der gesamten Welt, von der Ukraine bis hin zum Südchinesischen Meer. Michael Radunski, Felix Lee

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    Datentransfer: Abkommen ins Ungewisse

    Mit der Zusicherung einer politischen Einigung signalisierten Joe Biden und Ursula von der Leyen im März höchste Priorität (Europe.Table berichtete) und transatlantische Einigkeit. Noch aber steht das Trans-Atlantic Data Privacy Framework (TADPF) nicht – auf der Arbeitsebene sind noch viele Fragen zu klären. Den betroffenen Unternehmen läuft die Zeit davon.

    Zuletzt kamen aus den USA aber positive Signale, die der EU-Position entgegenkommen. Der Europäische Gerichtshof hatte bei der Annullierung der Vereinbarungen Safe Harbor und Privacy Shield die Adäquanz-Bescheinigungen der Kommission auch deshalb verworfen, weil in den USA kein verlässlicher Rechtsrahmen auf Bundesebene besteht. Vor gut einer Woche stellten US-Kongressabgeordnete lager- und kammerübergreifend nun den Entwurf eines Data Privacy and Protection Act vor. Dieses Gesetz wäre, wenn es so oder ähnlich käme, das erste bundesweite Datenschutzrecht der USA.

    Dass es kommt, ist nicht garantiert. Obwohl das Vorhaben sowohl von US-Senatoren wie Mitgliedern des Repräsentantenhauses, von Republikanern wie Demokraten getragen wird, sind noch nicht alle maßgeblichen US-Politiker an Bord. So hat etwa die demokratische Vorsitzende des Handelsausschusses im Kongress noch keine Unterstützung signalisiert. Und die Midterms, die Zwischenwahlen am 8. November, bei denen das Repräsentantenhaus neu gewählt wird und auch ein Drittel des Senats zur Wahl steht, lassen das Vorhaben auch zeitlich ambitioniert erscheinen.

    Als besonders prominenter Fürsprecher trat Tim Cook am Freitag in Erscheinung: Per Brief wandte sich der Apple-Chef an die US-Abgeordneten und forderte sie auf, die verbleibenden Streitpunkte schnell auszuräumen: “Nur der Kongress kann einen starken Schutz der Privatsphäre für alle Amerikaner gewährleisten”, heißt es in dem Brief unter anderem. Ansonsten, so Cook, drohe der Patchwork-Ansatz einzelstaatlicher Gesetze noch weiter anzuwachsen: “Wir fordern Sie nachdrücklich auf, so bald wie möglich ein umfassendes Gesetz zum Schutz der Privatsphäre zu verabschieden, und wir sind bereit, diesen Prozess zu unterstützen”.

    Der Apple-Konzern verfolgt seit einigen Jahren wirtschaftlich, technologisch wie politisch das Ziel, besseren Datenschutz zu gewährleisten als die Konkurrenz und ist damit offenkundig am Markt erfolgreich. Doch auch für Apple ist die Möglichkeit, personenbezogene Daten aus Europa auch in den USA verarbeiten zu können, ein wichtiger Faktor.

    US-Vorschlag bietet Anknüpfungspunkte

    Rechtlich soll das US-Vorhaben dabei nicht direkt die Hauptkritikpunkte der Richter am EuGH aufgreifen. Insbesondere geht es darin nicht um die von den Richtern kritisierten staatlichen Befugnisse und den fehlenden Rechtsschutz für EU-Bürger.

    Aber: Zum einen sind die im Entwurf enthaltenen Prinzipien wie Datensparsamkeit und Nutzerrechte grundsätzlich dem europäischen Datenschutzrecht ähnlich. So soll es etwa ein weitgehendes Zustimmungserfordernis und eine Verpflichtung zur Datensparsamkeit und zu Privacy by Design geben. Zum anderen sieht der Gesetzentwurf auch keine Beschränkung auf US-Bürger vor. Stattdessen knüpft das Recht am Aufenthaltsstatus in den USA als Voraussetzung zur Wahrnehmung der Rechte bis hin zur Sammelklage an, was etwa die Datenschutzexperten des Electronic Privacy Information Center (EPIC) grundsätzlich positiv erachten.

    Mit diesem Vorschlag könnte die Menge an Daten von vornherein stärker beschränkt werden, die US-Unternehmen überhaupt verarbeiten. Die Datenhalde würde kleiner, aus der sich US-Nachrichtendienste und Strafverfolger bedienen können. Das könnte auch für das TADPF förderlich sein.

    Noch sind viele Details zum geplanten Trans-Atlantic Data Privacy Framework nicht öffentlich bekannt. Hinter den Kulissen herrscht jedoch reger Betrieb. Zuletzt wollte EU-Justizkommissar Didier Reynders Anfang Juni in Washington mit dortigen Vertretern über die Ausgestaltung der Vereinbarung sprechen. Ergebnisse dieser Reise sind nicht bekannt.

    Kritik am Trans-Atlantic Data Privacy Framework wird lauter

    Kritiker wie der österreichische Datenschutzaktivist Maximilian Schrems mit seiner Organisation None of Your Business (NOYB) warnen bereits vor unzureichenden Zusicherungen. In einem Ende Mai veröffentlichten offenen Brief an Reynders, US-Handelsministerin Gina Raimondo und weitere Akteure warnte Schrems vor einer faktischen Neuauflage des von ihm zuletzt zu Fall gebrachten Privacy-Shield-Abkommens.

    In einem Sachstandsbericht des wissenschaftlichen Dienstes des US-Kongresses sind die US-Perspektiven zum TADPF am 2. Juni noch einmal zusammengefasst worden. Schrems Befürchtung, dass die sieben Privacy-Shield-Prinzipien ohne Anpassungen übernommen werden sollen, wird darin bestätigt.

    Schrems warnt auch ganz grundsätzlich davor, dass das TADPF unverändert auf den Prinzipien des Privacy Shields aufbauen soll. Dieses wurde jedoch entworfen, als Schrems – damals noch Jurastudent – das erste Mal 2015 eine EU-US-Vereinbarung vor dem EuGH zu Fall brachte. Die heutige Rechtsgrundlage, die Datenschutzgrundverordnung DSGVO, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft. Ohne Anpassungen könnten hier alte Probleme erneut zum Stolperstein werden.

    Nach den bisher bekannt gewordenen Einzelheiten würden zudem wesentliche Kritikpunkte des EuGH nicht auf gesetzlicher Ebene adressiert, sondern über Präsidialverfügungen, sogenannte Executive Orders. Diese können jederzeit vom US-Präsidenten geändert werden. Zum einen betrifft das die Frage, wie US-Behörden mit Daten von EU-Bürgern umgehen. Zum anderen, welche Möglichkeiten Europäer haben sollen, gegen eine vermutete unzulässige Überwachung und Datenerhebung vorzugehen. Kritiker wie Schrems sehen keine tragfähige Lösung ohne parallele Änderungen am materiellen US-Recht, insbesondere am Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA).

    Konkrete Rechtstexte weiterhin in Arbeit

    Doch die werden nicht kommen – zumindest nicht als Teil des Trans-Atlantic Data Privacy Framework. Die EU-Kommission bestätigt auf Anfrage, dass das Framework ausschließlich auf Präsidialverfügungen gestützt sein wird. Diese würden die Grundlage für eine neue Angemessenheitsentscheidung, die die EU-Kommission anschließend als Entwurf erarbeitet. Wenn dieser die notwendigen Gremien passiert, wäre der Weg vorgezeichnet für eine neue Auseinandersetzung vor dem Europäischen Gerichtshof – und von Rechtssicherheit blieben die Datenübertragungen weiterhin weit entfernt.

    In einer am vergangenen Freitag veröffentlichten Antwort auf Fragen der sozialdemokratischen EP-Abgeordneten Paul Tang und Birgit Sippel erläuterte Justizkommissar Reynders zwar zum wiederholten Male das weitere Verfahren, das auch ein Einspruchsrecht des Parlaments bei der Adäquanzentscheidung vorsieht. Inhaltliche Antworten auf die konkreten Fragen der Abgeordneten blieb die Generaldirektion Justiz aber sechs Wochen nach Eingang der “Priority Question” auch hier schuldig.

    Den betroffenen Unternehmen droht aber konkretes Ungemach: Ein maßgebliches Verfahren der irischen Datenschutzbehörde DPC gegen die Facebook-Mutter Meta (Europe.Table berichtete) könnte dem derzeit verbliebenen Weg der Übertragung personenbezogener Daten per Standardvertragsklauseln (SCC) ein Ende bereiten. Auf Anfrage teilte die DPC Ireland mit, dass sie mit einem Abschluss des Verfahrens in den kommenden Wochen rechne. Es sei weit fortgeschritten.

    Sollte die irische Datenschutzaufsicht die Rechtsgrundlage für ungültig erklären, müssten US-Konzerne wie Meta, Google, Microsoft oder Amazon prüfen, ob sie überhaupt noch personenbezogene Daten aus der EU verarbeiten wollen. Oder ob sie angesichts drohender Strafen hiervon absehen müssen.

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    DSA: Streit um Änderungen spitzt sich zu

    Eigentlich war der Digital Services Act (DSA) der EU fertig ausverhandelt. Doch bevor Rat und Parlament ihn abschließend absegnen können, muss die politische Einigung, die kurz vor den Präsidentschaftswahlen in Frankreich gefunden wurde, noch in die abschließende Rechtsförmlichkeit gebracht werden. Hier aber kommt es seit Wochen zu Ärger: Einige von der französischen Ratspräsidentschaft als Ergebnis vorgeschlagene Formulierungen sind für weite Teile der Parlamentsvertreter inakzeptabel.

    Am Freitag ging ein seltenes Bündnis der zuständigen Parlamentarier von ganz links bis ganz rechts auf Konfrontationskurs und forderte Nachbesserungen vom Rat. Die Berichterstatterin Christel Schaldemose (S&D) schloss sich dem nicht an. Die Dänin wird aus dem Kollegenkreis für das aktuelle Debakel um das DSA-Finale mitverantwortlich gemacht.

    EU-Kritik an Erwägungsgründen zum Digital Services Act

    Die Kritik betrifft vor allem zwei Erwägungsgründe (Recitals), die Interpretationshilfen zum eigentlichen Rechtstext. In Erwägungsgrund 28 sollen die Diensteanbieter im vorerst letzten Vorschlag der Ratspräsidentschaft doch unter Umständen zu sogenannten Stay-Down-Filtern verpflichtet werden. Das Parlament hatte dies eigentlich für ausgeschlossen erklärt.

    Und in Erwägungsgrund 29 findet sich plötzlich eine weitgehende Ausnahme der Glückspiel- und Wettbranche von den Durchsetzungslogiken des DSA. Während der erste Teil in ansonsten zum Vorgang weitgehend schweigsamen Parlamentarierkreisen vor allem als unglücklich interpretiert wird, wird die zweite Änderung als klarer Affront gewertet: Dies hätte bereits in den Verhandlungen thematisiert sein müssen, eine Ergänzung durch die Hintertür sei unzulässig.

    Das als ungebührlich klassifizierte Vorgehen der französischen Ratspräsidentschaft könnte im schlimmsten Fall zu Verzögerungen führen. Frühestens 15 Monate nach Verkündung im Amtsblatt soll der DSA in Kraft treten. Doch erst mit der Verkündung können die EU-Kommission, die für die besonders großen Anbieter unmittelbar zuständig sein soll, und die Mitgliedstaaten, die ihrerseits Behörden mit der Durchsetzung betrauen und dafür einiges leisten müssen, an die Umsetzung gehen. Sollte Frankreich die Probleme bis Ende Juni nicht in den Griff bekommen, müsste die dann folgende tschechische Ratspräsidentschaft das eigentlich ausverhandelte Dossier noch einmal auf die Tagesordnung heben.

    BNetzA und Landesmedienanstalten zu Aufgaben bereit

    Vollständig offen bleibt derweil, wie genau der deutsche Umsetzungsmechanismus zum DSA aussehen soll. Einerseits könnte die Rolle des Digital Services Coordinators an die Landesmedienanstalten gehen, die im Auftrag der Länder für Medienregulierung zuständig sind und dem DSA-Kriterium der Unabhängigkeit bereits seit Jahren entsprechen. Zugleich aber spricht auch einiges für die Bundesnetzagentur, die als Aufsichtsbehörde gegenüber sehr großen und schwierigen Unternehmen viel Erfahrung hat. Für sie soll nach einem EuGH-Urteil 2021 noch in diesem Jahr per Gesetz mehr Unabhängigkeit geschaffen werden.

    Vertreter beider regulatorischen Welten erklärten bei einem Podium im Rahmen der Republica-Konferenz, dass es verschiedene zu erledigende Aufgaben gebe. Es gebe eine verfassungsrechtliche Aufgabenteilung, so die Direktorin der Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg Eva Flecken (MABB), und die Trennlinie sei entlang der Meinungsbildungsaufgaben gut zu ziehen. Er wolle keine Bewerbungsrede halten, so Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur. Es werde aber kaum ein Land geben, in dem alle Aufgaben in einer Hand lägen. Für die Wirtschaft erläuterte Bitkom-Vorständin Susanne Dehmel, dass Unternehmen sich nicht aussuchen könnten, wer sie beaufsichtige: “Aber wichtig wären Kompetenzen in der jeweiligen Behörde und ein Level Playing Field in den Mitgliedstaaten sowie Rechtssicherheit für Unternehmen.”

    Unterdessen hat der österreichische Verwaltungsgerichtshof am Freitag den dortigen Verwandten des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes dem EuGH vorgelegt: Die österreichischen Richter wollen vom EuGH wissen, ob die Wiener Gesetzgeber mit ihrem Kommunikationsplattformen-Gesetz gegen Europarecht verstoßen haben. Unter anderem fragen sie die Luxemburger Richter, ob nationale Gesetzgeber derart spezifische Vorschriften im Rahmen der E-Commerce-Richtlinie, die mit dem DSA ja nun überarbeitet wird, überhaupt erlassen dürfen. Gegen das österreichische Gesetz geklagt hatten die europäischen Töchter von Google, Twitter und der Facebook-Mutter Meta. fst

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    EU-Beitritt: Von der Leyen lobt Anstrengungen Kiews

    Voraussichtlich am kommenden Freitag wird die EU-Kommission ihre Empfehlungen zum EU-Beitritt der Ukraine veröffentlichen. Vieles deutet darauf hin, dass die Brüsseler Behörde den Mitgliedstaaten empfehlen wird, Kiew den Status eines Beitrittskandidaten zu geben. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen würdigte bei ihrem Besuch in Kiew am Samstag, die “enormen Anstrengungen und die Entschlossenheit” der Ukraine auf dem Weg in die EU. Die Regierung habe bereits viel getan für die Stärkung des Rechtsstaats, sagte sie bei einer Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. “Aber weitere Reformen müssen umgesetzt werden, zum Beispiel, um die Korruption zu bekämpfen.”

    Von der Leyen war am Wochenende zum zweiten Mal nach Kiew gereist, um Fragen zum ukrainischen Antrag auf Aufnahme in die EU zu diskutieren. Die Einschätzung der Kommission werde bis Ende dieser Woche fertiggestellt, kündigte sie an. Selenskyj betonte, die Ukrainer seien sich darüber im Klaren, dass der Kandidatenstatus nur der Anfang des europäischen Wegs wäre.

    Nach der Kommission sind dann die EU-Staaten am Zuge: Sie müssten beim Gipfel am 23. und 24. Juni einstimmig entscheiden, Kiew den Kandidatenstatus zu geben. Das Votum nimmt dabei nicht die Entscheidung über die Aufnahme vorweg.

    Scholz: Keine Sonderregeln für EU-Beitritt der Ukraine

    Die Herausforderung werde sein, aus dem EU-Gipfel mit einer einheitlichen Position hervorzugehen, “die die Tragweite dieser historischen Entscheidungen widerspiegelt”, sagte von der Leyen. “Ich hoffe, dass wir in 20 Jahren, wenn wir zurückblicken, sagen können, dass wir das Richtige getan haben.”

    Bislang gehen die Ansichten der EU-Staaten jedoch auseinander. Staaten wie Estland, Litauen und Lettland, aber auch Italien oder Irland machen sich dafür stark, die Ukraine zügig zum EU-Kandidaten zu machen. EVP-Fraktionschef Manfred Weber plädierte ebenfalls dafür: “Es braucht eine Botschaft ohne Hintertüren, dass die Ukraine EU-Beitrittskandidat wird”, sagt der CSU-Politiker der Funke Mediengruppe.

    Andere Staaten sind skeptischer, etwa die Niederlande und Dänemark. Noch offen ist, wie sich Frankreich und Deutschland positionieren werden (Europe.Table berichtete). Während etwa Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) für den Kandidatenstatus ist, hat sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) bislang nicht klar geäußert. Er betonte lediglich, dass er keine Sonderregeln für einen beschleunigten EU-Beitritt der Ukraine akzeptieren werde. Dabei verwies er auch darauf, dass dies nicht fair gegenüber den sechs Ländern des westlichen Balkans sei, die auch auf einen Beitritt zur EU hoffen.

    Womöglich wird Scholz im Umfeld des EU-Gipfels noch nach Kiew reisen. Laut “Bild am Sonntag” diskutiert Scholz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem italienischen Regierungschef Mario Draghi über einen gemeinsamen Besuch bei Selenskyj noch vor dem G7-Gipfel in Elmau, der am 26. Juni beginnt. Eine Bestätigung dafür gab es am Wochenende aber nicht. tho/dpa

    • Europapolitik

    Scholz dringt auf Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien

    Bundeskanzler Olaf Scholz dringt auf eine sofortige Aufnahme von Verhandlungen zum EU-Beitritt mit Nordmazedonien. Bei einem Doppelbesuch in den Hauptstädten Skopje und Sofia versuchte er am Samstag, die Blockade durch das EU-Mitglied Bulgarien aufzuweichen. “Die vor zwei Jahren fest zugesagten Beitrittsverhandlungen müssen jetzt beginnen. Ich werde mich jedenfalls dafür starkmachen”, sagte der SPD-Politiker.

    Nordmazedonien und Bulgarien waren die letzten beiden Stationen einer zweitägigen Balkan-Reise des Kanzlers, bei der es um die EU-Perspektive für insgesamt sechs Länder der Region ging: Neben Nordmazedonien wollen auch Montenegro, Albanien, Serbien, das Kosovo und Bosnien-Herzegowina Mitglied werden.

    Scholz will nun für eine neue Dynamik sorgen und den sogenannten Berlin-Prozess mit den Anwärtern auf einen EU-Beitritt wieder in Gang bringen. “Alle haben mich dazu aufgefordert. Wir werden dieser Forderung entsprechen”, sagte er. Der Kanzler sieht nach dem russischen Angriff auf die Ukraine auch eine neue Bereitschaft bei vielen anderen EU-Staaten, “dass sie diesen Weg des westlichen Balkans in die Europäische Union aktiver unterstützen als das viele Jahre lang der Fall war”.

    Scholz: Nordmazedonien habe hart für EU-Beitritt gearbeitet

    Der nordmazedonische Regierungschef Dimitar Kovacevski machte nach seinem Treffen mit Scholz deutlich, dass sein Land vom EU-Gipfel im Juni eine Bestätigung für den Beginn der Beitrittsverhandlungen erhalten wolle. Nordmazedonien habe große Anstrengungen unternommen und Verwaltung und Justiz reformiert. Auch Scholz erkannte an, dass die Bürger und die Regierung des Landes “sehr hart gearbeitet” hätten, um den Weg für Beitrittsverhandlungen freizumachen. Nun sollte für diese Anstrengungen die Ernte anstehen.

    Nordmazedonien ist seit 17 Jahren Beitrittskandidat. Im Juli 2020 gab die EU-Kommission im Prinzip grünes Licht für konkrete Verhandlungen. Diese werden aber von Bulgarien wegen eines Streits um Geschichtsschreibung und Rechte der bulgarischen Minderheit in Nordmazedonien blockiert. Der bulgarische Regierungschef Kiril Petkow beharrte auf Vorbedingungen seines Landes für EU-Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien. Dafür müsse die EU unter anderem garantieren, dass die in Nordmazedonien lebenden Bulgaren in die Verfassung aufgenommen werden, damit ihre Rechte eingehalten würden. dpa

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    • Nordmazedonien

    Schweiz schließt sich Ölembargo an

    Die Schweiz als eine der wichtigsten Drehscheiben für den internationalen Ölhandel übernimmt die neuen Sanktionen der EU gegenüber Russland und Belarus – unter anderem das Öl-Embargo. Das teilte die Regierung am Freitag in Bern mit. Die EU-Sanktionen treten mit Übergangsfristen bis Anfang 2023 schrittweise in Kraft.

    Rund 50 bis 80 Prozent der Produkte des Rohstofflieferanten Russland werden laut einem Bericht des Schweizer Wirtschaftsmagazins “Bilanz” über die Schweiz gehandelt. Der weltweit größte unabhängige Ölhändler ist der niederländische Handelskonzern Vitol mit Sitz in Genf. Das Unternehmen hat wie auch Konkurrent Trafigura den Handel mit russischem Rohöl und Erdölprodukten nach eigenen Angaben bereits deutlich reduziert oder ganz aufgegeben. dpa

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    Presseschau

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    Standpunkt

    Warum das Ölembargo wenig bewirken wird

    Von Daniel Gros
    Daniel Gros, Vorstandsmitglied und Distinguished Fellow des Centre for European Policy Studies, im Standpunkt über das Öl-Embargo gegen Russland.
    Daniel Gros ist Distinguished Fellow und Mitglieds des Boards beim Centre for European Policy Studies.

    Nach hundert Tagen Krieg in der Ukraine sollten wir uns fragen, wie sehr die westlichen Sanktionen Russland geschadet haben, und ob wir die Strategie des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit weiteren Maßnahmen verändern können – insbesondere mit dem gerade angekündigten Embargo gegen russisches Öl (Europe.Table berichtete).

    Früher sorgte Öl für den größten Teil der russischen Exporterlöse: Im Dezember 2021 exportierte das Land 7,8 Millionen Barrel pro Tag – jährlich also über 2,8 Milliarden. Dies war zwar vor der Invasion, aber Russland wird wohl auch weiterhin eine robuste Exportkapazität behalten, bis der Mangel an hochwertiger westlicher Ausrüstung die Förderung begrenzt.

    Kurzfristig werden die westlichen Sanktionen die russische Ölförderung nicht bremsen. Außerdem wird aufgrund des Rückgangs der russischen Wirtschaft die Inlandsnachfrage zurückgehen. Momentan kann Russland daher seine Rohölexporte aufrechterhalten und bei Preisen von 110-120 Dollar pro Barrel allein dadurch mehr als 300 Milliarden Dollar jährlich einnehmen – genug, um seine Regierung zu finanzieren und weiterhin Krieg zu führen.

    Dies soll durch das EU-Embargo verhindert werden. Die Rechnung, die in diplomatischen Kreisen kursiert, ist einfach: Hört die EU – in die die Hälfte der russischen Ölexporte fließt – auf, russisches Rohöl zu importieren, verliert Putin 150 Milliarden Dollar. Aber die Wirklichkeit ist komplizierter.

    Schon kleine Verringerung der Ölmenge treibt Preise

    Da die Nachfrage nach Öl kurzfristig sehr unelastisch ist, kann bereits eine kleine Verringerung der Ölmenge, die die globalen Märkte erreicht, zu massiv steigenden Preisen führen. Tatsächlich zeigen Studien, dass die Einnahmen, wenn weniger Öl verfügbar ist, sogar steigen. Anders ausgedrückt: Stark steigende Preise werden die russischen Exporteinnahmen in neue Höhen treiben und den Eindruck erwecken, die Sanktionen seien gescheitert.

    Natürlich werden die Preise dann nach und nach wieder fallen, da andere Länder, um von den hohen Preisen zu profitieren, ihre Ölförderung ankurbeln. Der Hauptgrund für die jüngste Entscheidung der OPEC, ihre Förderziele auszuweiten, war wahrscheinlich nicht der politische Druck aus den USA, sondern reines Profitstreben. Trotzdem wird Russland, bis die Preise fallen, erhebliche Einnahmen erzielen.

    EU-Embargo gilt nicht für Pipeline-Öl aus Russland

    Dafür, dass das EU-Embargo gegen Öl aus Russland nur begrenzte Wirkung haben wird, gibt es noch einen weiteren wichtigen Grund: Öl ist ein fungibler Rohstoff. Das Öl, das Europa importiert hätte, könnte nun an Länder wie Indien und China verkauft werden – die gemeinsam doppelt so viel Öl verbrauchen wie die EU. Daher ist es nicht möglich, Russlands Ölexporte zu stoppen.

    Außerdem muss betont werden, dass das EU-Embargo nur für per Schiff geliefertes russisches Rohöl gilt und nicht für Importe über Pipelines. Dieses Teilverbot – das Ergebnis eines mühsamen Kompromisses – dürfte weitgehend unwirksam sein, da das verschiffte Öl, das sowieso in Tanker geladen werden muss, leicht an andere Orte umgeleitet werden kann.

    Der Schlüssel liegt in niedrigeren Preisen

    Der Erfolg solcher Sanktionen sollte nicht nur anhand der Menge des in den Westen importierten russischen Öls gemessen werden, sondern auch daran, wieviel Einnahmen Russland durch seine Exporte erzielt. Der Schlüssel liegt nicht in einer Verringerung der Menge, sondern in niedrigeren Preisen.

    Auch sollten Einschätzungen der potenziellen russischen Exporteinnahmen nicht auf dem Weltmarktpreis beruhen, sondern auf dem Preis, zu dem das Land Rohöl verkaufen kann. Hier gibt es bessere Nachrichten: Zwischen dem europäischen Ölpreis und dem Preis russischen Öls hat sich eine große Lücke aufgetan. Russland muss momentan Abschläge von etwa 30 Dollar pro Barrel in Kauf nehmen. Diese Divergenz entstand direkt nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Das deutet darauf hin, dass sie nicht durch die offiziellen Sanktionen verursacht wurde, sondern durch Selbstsanktionierung von Händlern, Reedern und Importeuren, die nicht mit Russland in Verbindung gebracht werden wollten.

    Wegen der hohen Weltmarktpreise kann Russland trotz dieses Abschlags 80 bis 90 Dollar pro Barrel erzielen. Dies ist mindestens das Doppelte der Förderkosten (etwa 40 Dollar pro Barrel) und liegt viel höher als noch vor einem Jahr. Aber obwohl Russland von seinen Ölexporten profitiert, verliert es – verglichen mit einem Verkauf zum vollen Preis – jährlich fast 100 Milliarden Dollar.

    Versicherungsverbot für Tanker

    Und aufgrund einer weniger beachteten, aber vielleicht wichtigeren Entscheidung, die gleichzeitig mit dem EU-Embargo getroffen wurde, könnten sich diese Verluste noch vergrößern: Die EU und Großbritannien haben sich darauf geeinigt, dass Tanker, die russisches Öl transportieren, nicht mehr versichert werden dürfen. Dies wird Russlands Möglichkeiten, sein Öl in alle Welt zu exportieren, erheblich behindern, und das Land zu noch größeren Preisnachlässen zwingen.

    Der Ölpreis hat für Russlands geopolitische Berechnungen eine erhebliche Bedeutung: Ende 2014 hat sich das Land offensiver an den Kämpfen in der ostukrainischen Donbas-Region beteiligt. Wäre es zu dieser Zeit weiter in die Ukraine vorgedrungen, hätte das noch junge ukrainische Militär nicht viel Widerstand leisten können. Aber die Ölpreise gaben damals von über 100 Dollar auf weniger als 50 Dollar pro Barrel nach – und Putin stimmte den Minsker Abkommen zu, die den russischen Vormarsch stoppten.

    Obwohl die internationalen Preise heute deutlich höher liegen, ist die gute Nachricht, dass sie aufgrund der Preisabschläge, die Russland hinnehmen muss, lediglich auf 80 Dollar pro Barrel fallen müssten, um dem Land erhebliche wirtschaftliche Probleme zu bereiten. Eine deutliche Erhöhung der Ölfördermengen anderer Länder könnte dazu beitragen, ein Embargo gegen russisches Öl hingegen nicht. Die westlichen Politiker sollten diese Wirklichkeit akzeptieren und zugeben, dass sie nicht in der Lage sind, der russischen Wirtschaft einen schweren Schlag zu versetzen.

    In Kooperation mit Project Syndicate. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff.

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