Table.Briefing: Europe

Ungarn-Strafe + Französische AKW + IAA-Vorschau + Medienfreiheitsgesetz

  • Marode AKW: Experten zweifeln an Zeitplan von EDF
  • IAA für Trucks: Rennen um Technologie für CO2-freie Antriebe ist offen
  • Kommission will Ungarn 7,5 Milliarden Euro Fördergelder kürzen
  • Plattformen sollen Medien-Beschwerden vorrangig bearbeiten
  • Polen sieht Scholz-Vorstoß “sehr skeptisch”
  • Polen eröffnet Kanal nahe Kaliningrad
  • Schweden vor Regierungsbildung
  • Türkei strebt Bündnis mit Russland und China an
  • Standpunkt: Kritische Rohstoffe und Kreislaufwirtschaft gehören zusammen
Liebe Leserin, lieber Leser,

Jahre hat es gedauert, doch am Sonntag kündigte die Kommission eine empfindliche Strafe gegen Ungarn an. Fördergelder sollen um 7,5 Milliarden Euro gekürzt werden – sofern eine Mehrheit der Mitgliedstaaten zustimmt. Wie Budapest schon in dieser Woche versuchen will, die Kürzung abzuwenden, lesen Sie in den News.

Eine Reform anderer Art vollzog am Wochenende bereits die Partei von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Aus “La République en Marche” wurde am Samstag “Renaissance”. Zugleich wurden zwei kleine Partner Teil der neuen Partei. Die Reform soll die Zukunft des Bündnisses nach der Amtszeit Macrons 2027 sichern.

Eine viel schnellere Wiedergeburt müssen allerdings die Atomkraftwerke des Landes hinlegen. Doch am Zeitplan für die Wartung und Reparatur der reihenweise abgeschalteten Meiler gibt es Zweifel, schreibt unsere Frankreich-Korrespondentin Tanja Kuchenbecker.

Um Technologien der Zukunft geht es ab morgen bei der Internationalen Mobilausstellung IAA. Mein Kollege Markus Grabitz gibt einen Ausblick auf neue Modelle von Nutzfahrzeugen – von batterieelektrischen Lastwagen bis zu Konkurrenz für Brennstoffzellen: neuartigen Wasserstoffmotoren.

In London sollen Nutzfahrzeuge heute ein Verkehrschaos verhindern. Mit Bussen fahren die allermeisten Staats- und Regierungschefs zum Trauergottesdienst für die verstorbene Königin Elizabeth II. Am Abend wird sie im privaten Kreis ihre Letzte Ruhestätte auf Schloss Windsor erhalten.

Ihr
Manuel Berkel
Bild von Manuel  Berkel

Analyse

Marode AKW: Experten zweifeln an Zeitplan von EDF

Die französische Regierung drängt den staatlichen Versorger EDF, die Atommeiler im Winter wieder hochzufahren. Ein realistisches Ziel? Zwischen Reparaturarbeiten, Inspektionen und Sicherheitsprüfungen herrscht viel Unsicherheit, ob der Terminplan einzuhalten ist. Frankreich musste in den vergangenen Monaten schon massiv Strom aus anderen Ländern dazukaufen, unter anderem aus Deutschland. “Ich zähle auf EDF, damit wir kein Kohlekraftwerk hochfahren müssen“, mahnte Premierministerin Élisabeth Borne. 

Experten sind allerdings skeptisch, ob das Unternehmen das leisten kann. Zuletzt liefen zwischenzeitlich nur 24 Meiler von 56. 32 hatte EDF runtergefahren, 20 für Routineüberprüfungen, zwölf wegen Korrosionsproblemen. Aktuell laufen 29 Meiler nicht, wie EDF auf Anfrage mitteilte. Drei konnten in den letzten Wochen wieder hochgefahren werden. Die Misere belastet den inzwischen voll verstaatlichten Versorger auch finanziell: Der operative Gewinn (Ebitda) werde dadurch in diesem Jahr voraussichtlich mit etwa 29 Milliarden Euro belastet, erklärte der Konzern am Donnerstag, fünf Milliarden mehr als vorher vorgesehen.

Die Ursachen: Wegen der Pandemie wurde das Programm zur Überholung der Reaktoren verschoben. Ursprünglich hatte der Konzern zwischen 2019 und 2024 viele der alten Meiler zu modernisieren. Hinzu kam, dass Ende 2021 Korrosion entdeckt wurde, EDF hat deshalb ein Kontrollprogramm an zwölf Reaktoren gestartet.

Neue Wartung an Atomkraftwerken

Die abgeschalteten Kernkraftwerke sollen im Laufe des Winters wieder ans Netz gehen. Das Unternehmen veröffentlicht einen aktualisierten Kalender, welche Neustarts zu welchem Zeitpunkt geplant sind. Im September sollen noch acht Meiler wieder in Betrieb gehen. Im Oktober weitere fünf, im November nochmal sieben und im Dezember vier.

Ende Dezember könnten damit 51 der 56 Meiler wieder am Netz sein. Im Januar und Februar sollen die restlichen fünf dazukommen. Laut EDF wurde die Wartung an 15 Meilern verschoben, damit sie im Winter weiter am Netz bleiben können. “EDF und die ganze Industrie sind mobilisiert, um die Reaktoren unter Sicherheitskriterien wieder hochzufahren”, sagte eine Sprecherin. Doch im Vergleich zur Liste vor einigen Tagen gab es bereits Verzögerungen und erneuten Wartungsbedarf.

Das ehrgeizige Programm ist mit vielen Ungewissheiten behaftet. Die Atomaufsichtsbehörde ASN äußerte sich zu dem Kalender nicht, zu viel “Unsicherheit” hieß es. Sie ist dafür zuständig, das Wiederhochfahren der betroffenen Reaktoren zu genehmigen. Vor allem bei den von Korrosion betroffenen Meilern ist das kritisch. Bei den anderen, die nur gewartet wurden, ist die Situation überschaubarer. Laut Plan sollen zwischen September und November mehrere Meiler wieder hochgefahren werden, die auf Korrosion untersucht wurden. Bereits im vergangenen Winter waren 17 Reaktoren nicht aktiv, was nicht zu Stromausfällen führte. Aber zu dem Zeitpunkt war Europa noch nicht in einer Energiekrise.

Leere Gasvorräte wären in kaltem März kritisch

Nicolas Mazzucchi, Recherchedirektor beim Zentrum für strategische Studien der Marine, hält den Plan für ambitioniert. “Der Kalender wurde beschleunigt, das wird eine Herausforderung. Es ist aber nicht unmöglich, alles schneller hochzufahren”, sagte er Europe.Table. Das letzte Wort aber habe die Aufsichtsbehörde ASN. Zudem gebe es einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Nachdem die Atombranche lange vernachlässigt wurde, sei sie nun für die Regierung durch die Energiekrise zur strategischen Priorität geworden.

Schon seit zwei Jahren bemüht sich die Branche, kritische Personalengpässe zu mildern, insbesondere bei Schweißern. Die Situation sei also nicht ganz so kritisch, wie sie oft dargestellt wird, sagt Mazzucchi. Der Energie-Experte sieht allerdings ein Problem, wenn der Monat März noch sehr kalt werden sollte. Denn dann könnten die Vorräte, vor allem beim Gas, aufgebraucht sein.

Roland Desbordes, Physiker der unabhängigen Nuklear-Forschungskommission CRIIRAD, warnt: “In den vergangenen zehn bis 20 Jahren ist viel Kompetenz verloren gegangen. Viele Experten sind in Rente.” Wegen der Sicherheitsauflagen und der Strahlung dürfen die Spezialisten auch nur eine begrenzte Zeit in den Atomkraftwerken arbeiten. Auf dieses Problem hatte auch schon EDF hingewiesen.

Weitere Arbeiten im Februar

Unklar sei vor allem die Lage bei den Reaktoren, die von Korrosion betroffen sind, sagt Debordes. Da werde von Fall zu Fall entschieden. Er ist sich nicht sicher, ob der Kalender von EDF einzuhalten ist: “In den Pressemitteilungen gibt sich EDF immer zuversichtlich. Ich bin weniger optimistisch.” Ein Problem scheint für EDF zumindest schon gelöst: Wegen Trockenheit und Überhitzung der Flüsse kam es in den heißen Sommerwochen zu Stopps. Laut Desbordes machte das aber nur wenige Prozent der Kapazität aus.

Yves Marignac, Berater für den Nuklear- und Energiebereich beim Energiewendeverband négaWatt, bezeichnete das Programm als “nicht realistisch”. Es sollten Neustarts vorgezogen werden, die erst im Laufe des Jahres 2023 vorgesehen waren. Die Kraftwerke seien vielfach veraltet, was zu mehr Verspätungen und Abweichungen vom Zeitplan führe, so Marignac.

Nicolas Goldberg, Energieexperte bei der Unternehmensberatung Colombus Consulting, sieht die Ankündigung zwiespältig: “Wenn man uns sagt, dass alle Reaktoren wieder hochgefahren werden für den Winter, heißt das nicht, dass alle zur selben Zeit funktionieren werden.” Laut dem Übertragungsnetzbetreiber RTE und laut EDF sollten Mitte Oktober 54 Prozent der Kapazität erreicht sein, Mitte Dezember über 80 Prozent, im Januar um 90 Prozent. Doch dann geht es im Februar wieder abwärts, wenn rund zehn Reaktoren für Wartung runtergefahren werden sollten. Doch Goldberg findet auch das “optimistisch”.

Verminderte Stromproduktion noch bis 2024

Die Probleme für EDF dürften nach diesem Winter noch weitergehen. Der Versorger hat vor einigen Tagen seine Aussichten bis 2024 vorgelegt. EDF schätzt, dass seine Atomstromproduktion bis zum Jahr 2024 noch nicht auf dem Niveau vor dem Jahr 2019 liegen wird, in dem das große Wartungsprogramm gestartet wurde. Die Stromproduktion der französischen Kernkraftwerke werde dieses Jahr voraussichtlich nur das untere Ende der Spanne von 280 bis 300 Milliarden Terawattstunden erreichen.

Im kommenden Jahr soll sie auf 300 bis 330 Terawattstunden steigen, für 2024 sieht EDF 315 bis 345 Terawattstunden voraus. Auch im Jahr 2024 sollen die Baustellen noch Auswirkungen haben. Grund dafür ist das Wartungsprogramm, aber auch die Korrosion, die entdeckt wurde. Allerdings dürfte sich die Situation dann langsam verbessern.

  • Energie
  • Klima & Umwelt

IAA für Trucks: Rennen um Technologie für CO2-freie Antriebe ist offen

Ende November präsentiert die Kommission ihren Vorschlag für die CO₂-Flottenregulierung bei Lastwagen. Sicher ist, dass der Verbrauch an fossilen Kraftstoffen auch bei den Nutzfahrzeugen ab 2030 drastisch sinken muss. Wahrscheinlich wird die Kommission auch ein Enddatum für den Verbrenner-Lkw vorschlagen. 2040 ist im Gespräch.

Dies sind die Technologien, die für die Transformation zu CO₂-freien Antrieben infrage kommen.

Batterieelektrische Lastwagen (BEV)

Die Serienherstellung hat begonnen. Im Einsatz sind Lithium-Ionen-Batterien, wie sie auch von Pkw bekannt sind. Daimlertruck etwa produziert den E-Actros für den Verteilerverkehr in Metropolregionen bereits seit Ende 2021 im Stammwerk Wörth. Auch ein Spezial-Lkw zur Müllentsorgung wird angeboten. Die Stückzahlen sind überschaubar und bewegen sich im dreistelligen Bereich 2022, der Preis ist etwa dreimal so hoch wie bei einem Diesel-Lkw. Reichweiten von bis zu 400 Kilometer sind möglich. Daimlertruck zeigt auf der IAA den ersten eActros als Sattelschlepper (Long Haul) mit bis zu 40 Tonnen Gewicht. Der Wagen soll 2024 reif für die Serie sein und eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern haben. Ob Traton (Scania, MAN, VW), Volvo, DAF oder Iveco – alle Lkw-Hersteller haben bereits batterieelektrische Lkw im Angebot oder haben sie angekündigt.

Brennstoffzelle (FCEV)

Mithilfe von flüssigem Wasserstoff wird in einer Brennstoffzelle elektrische Energie gewonnen, die das Fahrzeug antreibt. Lastwagen mit Brennstoffzelle sollen vor allem die Langstreckenrouten bedienen. Erste Fahrzeuge sind im Markt. Mercedes und Volvo haben ein Joint Venture gegründet, Cellcentric, um gemeinsam Lkw mit Brennstoffzelle zur Serienreife zu bringen. Mehrere hundert Millionen Euro an Forschungsförderung fließen in das Projekt. Prototypen sind vorgestellt. Auf der IAA kann der Lkw mit Brennstoffzelle von Daimlertruck Probe gefahren werden. In der zweiten Hälfte der Dekade soll die Technologie bei Daimlertruck serienreif sein.

Der VW-Konzern mit den in der Traton-Holding gebündelten Marken hat sich bisher nicht zur Brennstoffzelle bekannt. Iveco bietet mit dem US-Hersteller Nikola ebenfalls Modelle an. Die Brennstoffzellen-Technologie gilt als sehr herausfordernd für die Ingenieure. Die Brennstoffzelle benötigt flüssigen Wasserstoff mit fast 100-prozentigem Reinheitsgrad. Das stellt hohe Anforderungen an die Tankinfrastruktur. Die Kosten sind sehr hoch. Zudem gilt der Betrieb unter anspruchsvollen Rahmenbedingungen als sehr schwierig: hohe Vibration, Staub, Hitze sowie Volllastfahrten über längere Zeit.

Wasserstoffmotor

Der Wasserstoffmotor gilt derzeit als der heimliche Favorit unter den alternativen Antrieben. So gut wie alle Hersteller experimentieren mit der Technologie, bei der Wasserstoff in Motoren verbrannt wird, deren Basis die Diesel-Technologie ist. Nur: Die wenigsten bekennen sich dazu. Die Emissionen werden bei der Technologie nahezu auf null reduziert. Als Abgas entsteht Wasser. Die Liste der Mitglieder in der Allianz Wasserstoffmotor zeigt, dass viele namhafte Unternehmen an der Technologie interessiert sind: Mitglied sind unter anderem MAN, Daimlertruck, Deutz, Bosch, Isuzu sowie Cummins. Der US-Motorenhersteller Cummins wird auf der IAA den ersten Prototypen für einen Lkw mit Wasserstoffmotor vorstellen. Es handelt sich um ein fahrfertiges Fahrzeug mit Betankungssystem auf Basis des Ategos von Daimlertruck. Daimlertruck und andere namhafte Hersteller, die Mitglied der Allianz sind, halten sich mit dem öffentlichen Bekenntnis zum Wasserstoffmotor zurück.

Als Herausforderung für die Ingenieure gelten die Technologie zur Einblasung, die Materialtauglichkeit sowie das Betankungssystem. Thomas Koch, Vorstandsvorsitzender der Wasserstoffmotor-Allianz, sagt: “Ich rechne damit, dass die Industrie 2025 eine erste Kleinserie bauen kann.” Etwa ein bis zwei Jahre später könne es die erste Großserie geben. Offen ist, wie die EU-Regulierung den Wasserstoffmotor behandelt. Fraglich ist, ob Fahrzeuge mit der Technologie in der CO₂-Flottenregulierung mit einem Wert von null Gramm CO₂ angerechnet werden. Denkbar wäre auch, dass dies nicht möglich wird und lediglich der Verkauf erlaubt wird.

Alternative Kraftstoffe

Synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) und Hydrierte Pflanzenöle (HVO) könnten ebenfalls zum Einsatz kommen. Die CO₂-Bilanz ist nahe null. Schon heute ist etwa die komplette Daimlertruck-Flotte für den Betrieb mit HVO freigegeben. Allerdings ist in Deutschland die Abgabe von HVO nur zur Beimischung erlaubt. EU-weit werden derzeit rund 150 Millionen Tonnen Diesel im Jahr für Pkw und Lkw gebraucht. Man rechnet damit, dass EU-weit 2025 bereits elf Millionen Tonnen HVO produziert werden können. E-Fuels und HVO werden als Weg gesehen, den Fahrzeugbestand zu dekarbonisieren. Allerdings bleibt abzuwarten, ob die EU-Kommission bei Lastwagen ihre bisherige Ablehnung von E-Fuels im Individualverkehr aufgibt.  

  • Klima & Umwelt
  • Verkehrswende

News

Kommission will Ungarn 7,5 Milliarden Euro Fördergelder kürzen

Wegen Korruption und anderer Verstöße gegen den Rechtsstaat in Ungarn hat die Europäische Kommission vorgeschlagen, dem Land Zahlungen in Höhe von rund 7,5 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt zu kürzen. Das Geld sei in Ungarn nicht ausreichend vor Missbrauch geschützt, sagte EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn am Sonntag. Es ist das erste Mal, dass die Brüsseler Behörde wegen Mängeln im Rechtsstaat eines EU-Staats einen solchen Schritt macht.

Zugleich würdigte Hahn am Sonntag jedoch, dass Ungarn zuletzt 17 Zusagen gemacht habe, um die Defizite zu beseitigen. Diese gingen in die richtige Richtung, müssten aber auch umgesetzt werden. Nun liegt es an den EU-Staaten, ob sie dem Vorschlag der EU-Kommission folgen. Um die 7,5 Milliarden Euro tatsächlich einzufrieren, müssen mindestens 15 Länder mit mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung zustimmen. Die ungarische Regierung zeigte sich gestern jedoch überzeugt, dass es so weit nicht kommen wird.

Die EU-Kommission wirft Ungarn unter Regierungschef Viktor Orban seit Jahren vor, EU-Standards und -Grundwerte zu untergraben. Die Behörde startete etliche Vertragsverletzungsverfahren und verklagte Ungarn mehrfach vor dem Europäischen Gerichtshof – ohne jedoch ein Umdenken in Budapest zu erreichen.

Reformen diese Woche im Parlament

Nachdem die Kommission bereits im Juni mit dem Verlust von Geldern gedroht hatte, kündigte Budapest in den vergangenen Wochen Reformen an – etwa eine neue Behörde für den Kampf gegen Korruption. Ungarn will die Kommission bis 19. November über die Umsetzung informieren. Die ersten Gesetze will Budapest bereits in dieser Woche ins Parlament einbringen.

Aus dem Europaparlament kommen mahnende Stimmen. “Es ist fatal, dass Viktor Orban mit ein paar Scheinreformen diese Sanktionen vor Jahresende noch abwenden kann”, sagte etwa der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund. Moritz Körner (FDP) sprach davon, dass die Länder sich nicht “mit schnell beschlossenen Papiertigern” abspeisen lassen dürften.

Wenn Ungarn jedoch alle Zusagen umsetzt, dürfte die EU-Kommission empfehlen, die Mittel doch nicht zu kürzen. Hahn sagte gestern, dass die Umsetzung der ungarischen Zusagen eine Weile brauche. Deshalb werde man den Rat darum bitten, die Frist für eine Entscheidung von einem Monat auf die maximal vorgesehenen drei Monate auszuweiten. dpa

  • Rechtsstaatlichkeit
  • Ungarn

Plattformen sollen Medien-Beschwerden vorrangig bearbeiten

Die EU-Kommission will unabhängige Medien in Europa besser vor staatlichem Einfluss schützen und die Medienvielfalt stärken. Dazu stellte die Behörde am Freitag den Entwurf für ein Medienfreiheitsgesetz vor. “Wir sehen viele besorgniserregende Trends in Bezug auf die Medien in Europa”, sagte EU-Kommissionsvize Vera Jourova – und das sei nicht nur in ein oder zwei Ländern so.

Die Tschechin nannte mehrere Beispiele: Journalisten würden getötet und ausgespäht, öffentlich-rechtliche Medien stünden unter politischem Druck, bestimmte Medien würden bei der Vergabe staatlicher Werbung bevorzugt und in einigen Ländern sei unklar, wer die Medienunternehmen besitzt.

Wirtschaftlich relevant ist außerdem die Forderung von Medienkonzernen nach Privilegien auf sehr großen Online-Plattformen wie Google oder Facebook. Wie erwartet (Europe.Table berichtete) enthält der Kommissionvorschlag spezielle Informationspflichten.

“In Fällen, in denen keine systemischen Risiken wie zum Beispiel Desinformation bestehen, müssen sehr große Online-Plattformen, die beabsichtigen, bestimmte legale Medieninhalte zu entfernen, die aus ihrer Sicht nicht mit den Grundsätzen der Plattform vereinbar sind, die Mediendiensteanbieter über die Gründe informieren, bevor eine solche Entfernung wirksam wird”, teilte die Kommission am Freitag mit. “Beschwerden von Mediendiensteanbietern müssen von diesen Plattformen vorrangig bearbeitet werden.”

Die Tech-Lobbygruppe CCIA Europe, zu deren Mitgliedern Google, Meta und Twitter gehören, kritisierte eine Bestimmung, die Online-Plattformen dazu zwinge, jede Organisation auf ihren Plattformen zu akzeptieren, die sich als Medienunternehmen bezeichnet. dpa/rtr/ber

  • Digitalisierung
  • Digitalpolitik
  • Medien
  • Medienfreiheitsgesetz

Polen sieht Scholz-Vorstoß “sehr skeptisch”

Polen lehnt einer Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip in der EU-Außenpolitik weiter ab. Die polnische Regierung sehe den entsprechenden Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz “sehr skeptisch”, sagte der polnische Europaminister Konrad Szymański am Freitag nach einem Treffen mit seinen Kolleginnen aus Deutschland und Frankreich, Anna Lührmann und Laurence Boone. “Einstimmigkeit verleiht den EU-Entscheidungen Legitimität, vor allem in den wichtigsten Fragen, die die Souveränität der Mitgliedstaaten beeinträchtigen könnten.” Sie aufzugeben berge “das Risiko der Entfremdung” und langfristig eines Zerfalls der Union.

Polen und Ungarn gelten als die entschiedensten Gegner einer Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip. Lührmann wiederholte beim Treffen des Weimarer Dreiecks hingegen die deutsche Position: Angesichts der Herausforderungen müsse die EU schneller und entschiedener reagieren können. “Es wäre klug zu diskutieren, wie dieses Vetorecht weniger ein Hindernis sein kann für die gemeinsame Positionierung der EU.” Boone zeigte sich “sehr offen” für diese Diskussion. Es gebe aber auch andere Wege, sagte sie mit Verweis auf die Ankündigung von fünf Staaten, die Mindeststeuer für multinationale Unternehmen wegen des ungarischen Vetos national umzusetzen.

Die Europaminister der 27 Mitgliedsstaaten werden über die Fragen beim Allgemeinen Rat am Dienstag in Brüssel diskutieren. Die Debatte über eine Reform der EU-Strukturen hat an Fahrt gewonnen, weil die Gemeinschaft im Zuge des russischen Angriffs die Aufnahme der Ukraine und anderer Staaten vorantreibt. Lührmann, Boone und Szymański kündigten an, gemeinsam die Länder des Westbalkans bereisen zu wollen. Man sei sich einig darin, deren Beitritt zu unterstützen, sagte Boone. tho

  • Europapolitik
  • Polen
  • Ungarn

Polen eröffnet Kanal nahe Kaliningrad

Der polnische Präsident Andrzej Duda hat einen neuen Schifffahrtskanal offiziell eingeweiht, der die Ostsee mit dem Frischen Haff verbindet. Dies sei “ein großer Sieg für Polen, ein großer Sieg für alle Patrioten, ein großer Sieg für alle, die das Wort Souveränität verstehen”, sagte der 50-Jährige nach Angaben der Agentur PAP am Samstag. Bisher war das Frische Haff für Schiffe von der Ostsee aus nur über russisches Territorium erreichbar.

Mit dem Kanal will Polen dem Hafen von Elblag freien Zugang zum Meer sichern. In einem weiteren Bauabschnitt muss noch eine Fahrrinne durch das Frische Haff angelegt und der Fluss Elblag bis zum Hafen der gleichnamigen Stadt ausgebaggert werden. Die Kosten für den gesamten Bau werden auf knapp eine halbe Milliarde Euro geschätzt.

Bislang müssen Schiffe, die von Elblag in die Ostsee gelangen wollen, durch russische Hoheitsgewässer fahren, da der nördliche Teil des Frischen Haffs zum Gebiet Kaliningrad gehört. Polens nationalkonservative PiS-Regierung möchte die Schifffahrt in der Region unabhängig von russischen Genehmigungen machen.

Für die Einweihung wählte die Regierung in Warschau ein hoch symbolisches Datum: Am 17. September 1939 begann im Zweiten Weltkrieg der Einmarsch der sowjetischen Roten Armee in Ostpolen, nachdem zuvor am 1. September deutsche Truppen das Land überfallen hatten. dpa

  • Polen
  • Schifffahrt

Schweden vor Regierungsbildung

Das endgültige Ergebnis der Parlamentswahl in Schweden hat gestern die knappe Mehrheit für das konservativ-rechte Lager sowie ein Rekordresultat der rechtspopulistischen Schwedendemokraten bestätigt. Der Vier-Parteien-Block des Konservativen Ulf Kristersson hat bei der umkämpften Wahl am vergangenen Sonntag demnach 176 Mandate errungen, das linksgerichtete Lager der bisherigen sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson 173.

Anderssons Sozialdemokraten werden den endgültigen Zahlen zufolge wie erwartet mit 30,3 Prozent klar stärkste Partei. Zweite werden die Schwedendemokraten, die auf ein Rekordergebnis von 20,5 Prozent kommen und somit erstmals die Moderaten von Kristersson als zweitstärkste Parlamentskraft ablösen. Andersson hatte sich ihrem Herausforderer bereits am Mittwochabend geschlagen gegeben und am Tag darauf den Rücktritt ihrer Regierung eingereicht.

Heute könnte Kristersson den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Parlamentspräsident Andreas Norlén will sich jeweils einzeln mit den Spitzen der Reichstagsparteien treffen, um auszuloten, wem er den Auftrag erteilt. Am Nachmittag will er eine Pressekonferenz abhalten, auf der er sich dazu äußern dürfte. dpa

Türkei strebt Bündnis mit Russland und China an

Die Türkei strebt eine Mitgliedschaft in dem wirtschafts- und sicherheitspolitischen Staatenbündnis SCO um China und Russland an. Diese beiden Länder hatten erst am Freitag erklärt, die Zusammenarbeit mit anderen Staaten in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) ausbauen zu wollen. Damit soll ein Gegengewicht zu westlichen Bündnissen geschaffen werden.

Der türkische Präsident Tayyip Erdogan sagte am Samstag nach einem Gipfel der SCO in Usbekistan dem türkischen Sender ntv zufolge, Ziel für sein Land sei eine Mitgliedschaft in der Organisation. Das Nato-Mitglied Türkei ist derzeit bereits ein sogenannter Dialogpartner der SCO. Zu der Gruppe gehören neben China und Russland auch Indien, Pakistan, der Iran, Kirgistan, Tadschikistan, Kasachstan und Usbekistan. Kirgistan und Tadschikistan befinden sich derzeit in einem wieder aufgeflammten blutigen Grenzkonflikt. Die Regierungen beider Staaten gaben gestern an, zuletzt seien insgesamt 81 Menschen getötet worden.

Am Freitag hatte Chinas Präsident Xi Jinping auf dem SCO-Gipfel die Mitgliedsstaaten aufgerufen, sich gegenseitig in der Abwehr von Versuchen ausländischer Mächte zu unterstützen, sogenannte Farben-Revolutionen zu unterstützen. Mit diesem Begriff sind Aufstände insbesondere in ehemals kommunistischen Staaten gemeint. rtr

  • China
  • Indien
  • Iran
  • Tadschikistan
  • Türkei

Presseschau

Wegen Korruption: EU-Kommission will Ungarn Milliarden Euro kürzen N-TV
Mehr Unabhängigkeit von Russland: Polnischer Präsident weiht neuen Schifffahrtskanal an der Ostseeküste ein TAGESSPIEGEL
Tschechische Ratspräsidentschaft fordert Kriegsverbrechertribunal zur Ukraine MORGENPOST
Russia could find new markets for half the oil the EU won’t buy WORLDOIL
French Ambassador Says Europe Keeping Energy Prices Down BLOOMBERG
Umstrittener Vorschlag der EU-Kommission: Aufstand gegen das Medienfreiheitsgesetz SPIEGEL
Belgrade’s EuroPride March Goes on Despite Far-Right Protests, Arrests VOANEWS
Streitpunkt Soja: EU-Abgeordnete Maria Noichl wird deutlich – “Die Scheiße bleibt da” MERKUR

Standpunkt

Kritische Rohstoffe und Kreislaufwirtschaft gehören zusammen

Von Rainer Buchholz und Daniel Quantz
Daniel Quantz (l.) ist Leiter Recht bei der Wirtschaftsvereinigung Metalle, Rainer Bucholz leitet den Leiter Bereich Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz.
Daniel Quantz (l.) ist Leiter Recht bei der Wirtschaftsvereinigung Metalle, Rainer Bucholz leitet den Leiter Bereich Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz.

Krisen und ihre Auswirkungen auf globale Lieferketten, der Krieg in der Ukraine und der Klimawandel hinterlassen ihre Spuren in den Wertschöpfungsketten der Grundstoffindustrie. Der Zugang zu den Rohstoffmärkten ist entscheidend für unsere Zukunft, aber auch das Know-how zur Verarbeitung. Der europäische Bedarf an Nichteisen(NE)-Metallen wird sich bis 2050 vervielfachen, gerade wegen des Green Deals und der fortschreitenden Digitalisierung.

Die Wichtigkeit einer verlässlichen und nachhaltigen Rohstoffversorgung hat die EU-Kommission erkannt. In ihrer Rede State of the European Union am Mittwoch hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein europäisches Rohstoffgesetz angekündigt

Der Krieg in der Ukraine hat erneut aufgezeigt, dass Abhängigkeiten von verschiedenen Rohstoffen ohne Diversifizierung zu erheblichen Problemen in den Lieferketten führen können. Neue Kooperationen mit verlässlichen internationalen Partnern sollen deshalb der Sicherung von Rohstoffen unter Einhaltung hoher Umwelt- und Sozialstandards initiiert werden. Hier sind Handelsabkommen mit Chile, Mexiko, Neuseeland und Australien zu nennen.

Im Zusammenhang damit bereitet die EU-Kommission einen Rechtsakt für kritische Rohstoffe vor, nach Vorbild der EU Batteries Alliance und des EU Chips Act. Der Critical Raw Materials Act soll Kriterien zur Identifizierung von Rohstoffen festlegen, die von besonderer strategischer Bedeutung für unseren Transformations- und Verteidigungsbedarf sind, einschließlich wirtschaftlicher Bedeutung, Versorgungskonzentration, strategischer Anwendungen und prognostizierter Versorgungslücken.

Nachfrage steigt rasant

Zusätzlich sollen widerstandsfähigere Lieferketten aufgebaut werden, indem Projekte unterstützt und mehr private Investitionen vom Bergbau über die Raffination und Verarbeitung bis hin zum Recycling gefördert werden. Die höchsten Sozial- und Umweltstandards (ESG) sollen trotzdem gewährleistet sein. Die Herstellung eines Level Playing Field ist für strategische Speicherkapazitäten und auch für die Förderung von Sekundärrundstoffen aus unserer Sicht unabdingbar.

Die Katholische Universität Leuven (KU Leuven) hat im April 2022 in einer Studie die durch den Green Deal ausgelöste, zusätzliche NE-Metallnachfrage berechnet. Dabei wurde berücksichtigt, dass NE-Metalle bei den durch den Green Deal geforderten Investitionen in innovative Energieerzeugungstechnologien (Solaranlagen, Windkraft, Wasserstroff) sowie in neue Produkte (Elektrifizierung von Automobilen, neue Batterien) eine wesentliche Rolle spielen. Diese Technologien sind in der Regel metallintensiver als herkömmliche Produkte und Technologien. Die zusätzliche Metallnachfrage, um die europäische Energieversorgung unabhängiger von russischen Energieimporten zu machen, wurde in der Studie noch nicht berücksichtigt.

Die Studie errechnet, dass allein der Green Deal bis 2050 die Nachfrage für Aluminium um 33 Prozent, für Kupfer um 35 Prozent, für Zink um 11 Prozent, für Nickel um 103 Prozent, für Kobalt um 331 Prozent und für Lithium sogar um 3535 Prozent steigern wird. Bei den Basismetallen Aluminium, Kupfer und Zink kann die gestiegene Nachfrage auch weiterhin nur teilweise (zu 45 – 65 Prozent) durch höhere Recyclinganstrengungen gedeckt werden.

Strategie braucht mehrere Säulen

Der Rest muss durch höhere Minenproduktion aufgefangen werden. Das liegt vor allem daran, dass Metalle meist langfristig in Anwendungen gebunden sind und erst nach und nach zum Recycling gelangen. Darüber hinaus geht ein erheblicher Teil an Metallschrotten ins Ausland und steht für die europäische Metallversorgung nicht mehr zur Verfügung. Im Vergleich zu anderen Materialien liegen NE-Metalle beim Recycling dennoch weit vorne: Der Recyclat-Anteil jeder in Deutschland produzierten Tonne NE-Metall liegt bei rund 50 Prozent.

Die europäische Rohstoffversorgung muss daher bis auf Weiteres auf mehrere Säulen setzen: Mehr Importe von Primär- und Sekundärrohstoffen aus Ländern mit nachhaltigen Standards, mehr heimische Minenproduktion und vor allem mehr heimisches Recycling, um die verbliebenen Recyclingpotenziale zu heben. Insbesondere die EU legt den politischen Fokus daher seit mehreren Jahren in ihrer Initiative “Circular Economy” auf die Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen für das Recycling (z.B. mehr Design for Recycling).

Um den Beitrag von Sekundärrohstoffen für die Versorgungssicherheit mit metallischen Rohstoffen in Deutschland zu stärken, tritt die Bundesregierung auf Basis ihrer Rohstoffstrategie mit der betroffenen Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung in einen Dialog ein. Ziel des Dialogs ist es, bis 2023 konkrete Maßnahmen zu erarbeiten, die Barrieren zur Schließung von Rohstoffkreisläufen abbauen und die den Beitrag der metallischen Sekundärrohstoffe zur Rohstoffversorgung weiter zu erhöhen. (Lesen Sie hier ein Interview mit Wirtschaftsstaatssekretärin Franziska Brantner)

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat hierzu die Deutsche Rohstoffagentur (DERA) mit der Leitung der “Dialogplattform Recyclingrohstoffe” beauftragt. Die Wirtschaftsvereinigung Metalle engagiert sich in der Dialogplattform im AK Metalle und setzt sich dafür ein, die europäische Rohstoffpolitik gemeinsam mit der Kreislaufwirtschaft nach vorn zu bringen.

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Jahre hat es gedauert, doch am Sonntag kündigte die Kommission eine empfindliche Strafe gegen Ungarn an. Fördergelder sollen um 7,5 Milliarden Euro gekürzt werden – sofern eine Mehrheit der Mitgliedstaaten zustimmt. Wie Budapest schon in dieser Woche versuchen will, die Kürzung abzuwenden, lesen Sie in den News.

    Eine Reform anderer Art vollzog am Wochenende bereits die Partei von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Aus “La République en Marche” wurde am Samstag “Renaissance”. Zugleich wurden zwei kleine Partner Teil der neuen Partei. Die Reform soll die Zukunft des Bündnisses nach der Amtszeit Macrons 2027 sichern.

    Eine viel schnellere Wiedergeburt müssen allerdings die Atomkraftwerke des Landes hinlegen. Doch am Zeitplan für die Wartung und Reparatur der reihenweise abgeschalteten Meiler gibt es Zweifel, schreibt unsere Frankreich-Korrespondentin Tanja Kuchenbecker.

    Um Technologien der Zukunft geht es ab morgen bei der Internationalen Mobilausstellung IAA. Mein Kollege Markus Grabitz gibt einen Ausblick auf neue Modelle von Nutzfahrzeugen – von batterieelektrischen Lastwagen bis zu Konkurrenz für Brennstoffzellen: neuartigen Wasserstoffmotoren.

    In London sollen Nutzfahrzeuge heute ein Verkehrschaos verhindern. Mit Bussen fahren die allermeisten Staats- und Regierungschefs zum Trauergottesdienst für die verstorbene Königin Elizabeth II. Am Abend wird sie im privaten Kreis ihre Letzte Ruhestätte auf Schloss Windsor erhalten.

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    Manuel Berkel
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    Marode AKW: Experten zweifeln an Zeitplan von EDF

    Die französische Regierung drängt den staatlichen Versorger EDF, die Atommeiler im Winter wieder hochzufahren. Ein realistisches Ziel? Zwischen Reparaturarbeiten, Inspektionen und Sicherheitsprüfungen herrscht viel Unsicherheit, ob der Terminplan einzuhalten ist. Frankreich musste in den vergangenen Monaten schon massiv Strom aus anderen Ländern dazukaufen, unter anderem aus Deutschland. “Ich zähle auf EDF, damit wir kein Kohlekraftwerk hochfahren müssen“, mahnte Premierministerin Élisabeth Borne. 

    Experten sind allerdings skeptisch, ob das Unternehmen das leisten kann. Zuletzt liefen zwischenzeitlich nur 24 Meiler von 56. 32 hatte EDF runtergefahren, 20 für Routineüberprüfungen, zwölf wegen Korrosionsproblemen. Aktuell laufen 29 Meiler nicht, wie EDF auf Anfrage mitteilte. Drei konnten in den letzten Wochen wieder hochgefahren werden. Die Misere belastet den inzwischen voll verstaatlichten Versorger auch finanziell: Der operative Gewinn (Ebitda) werde dadurch in diesem Jahr voraussichtlich mit etwa 29 Milliarden Euro belastet, erklärte der Konzern am Donnerstag, fünf Milliarden mehr als vorher vorgesehen.

    Die Ursachen: Wegen der Pandemie wurde das Programm zur Überholung der Reaktoren verschoben. Ursprünglich hatte der Konzern zwischen 2019 und 2024 viele der alten Meiler zu modernisieren. Hinzu kam, dass Ende 2021 Korrosion entdeckt wurde, EDF hat deshalb ein Kontrollprogramm an zwölf Reaktoren gestartet.

    Neue Wartung an Atomkraftwerken

    Die abgeschalteten Kernkraftwerke sollen im Laufe des Winters wieder ans Netz gehen. Das Unternehmen veröffentlicht einen aktualisierten Kalender, welche Neustarts zu welchem Zeitpunkt geplant sind. Im September sollen noch acht Meiler wieder in Betrieb gehen. Im Oktober weitere fünf, im November nochmal sieben und im Dezember vier.

    Ende Dezember könnten damit 51 der 56 Meiler wieder am Netz sein. Im Januar und Februar sollen die restlichen fünf dazukommen. Laut EDF wurde die Wartung an 15 Meilern verschoben, damit sie im Winter weiter am Netz bleiben können. “EDF und die ganze Industrie sind mobilisiert, um die Reaktoren unter Sicherheitskriterien wieder hochzufahren”, sagte eine Sprecherin. Doch im Vergleich zur Liste vor einigen Tagen gab es bereits Verzögerungen und erneuten Wartungsbedarf.

    Das ehrgeizige Programm ist mit vielen Ungewissheiten behaftet. Die Atomaufsichtsbehörde ASN äußerte sich zu dem Kalender nicht, zu viel “Unsicherheit” hieß es. Sie ist dafür zuständig, das Wiederhochfahren der betroffenen Reaktoren zu genehmigen. Vor allem bei den von Korrosion betroffenen Meilern ist das kritisch. Bei den anderen, die nur gewartet wurden, ist die Situation überschaubarer. Laut Plan sollen zwischen September und November mehrere Meiler wieder hochgefahren werden, die auf Korrosion untersucht wurden. Bereits im vergangenen Winter waren 17 Reaktoren nicht aktiv, was nicht zu Stromausfällen führte. Aber zu dem Zeitpunkt war Europa noch nicht in einer Energiekrise.

    Leere Gasvorräte wären in kaltem März kritisch

    Nicolas Mazzucchi, Recherchedirektor beim Zentrum für strategische Studien der Marine, hält den Plan für ambitioniert. “Der Kalender wurde beschleunigt, das wird eine Herausforderung. Es ist aber nicht unmöglich, alles schneller hochzufahren”, sagte er Europe.Table. Das letzte Wort aber habe die Aufsichtsbehörde ASN. Zudem gebe es einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Nachdem die Atombranche lange vernachlässigt wurde, sei sie nun für die Regierung durch die Energiekrise zur strategischen Priorität geworden.

    Schon seit zwei Jahren bemüht sich die Branche, kritische Personalengpässe zu mildern, insbesondere bei Schweißern. Die Situation sei also nicht ganz so kritisch, wie sie oft dargestellt wird, sagt Mazzucchi. Der Energie-Experte sieht allerdings ein Problem, wenn der Monat März noch sehr kalt werden sollte. Denn dann könnten die Vorräte, vor allem beim Gas, aufgebraucht sein.

    Roland Desbordes, Physiker der unabhängigen Nuklear-Forschungskommission CRIIRAD, warnt: “In den vergangenen zehn bis 20 Jahren ist viel Kompetenz verloren gegangen. Viele Experten sind in Rente.” Wegen der Sicherheitsauflagen und der Strahlung dürfen die Spezialisten auch nur eine begrenzte Zeit in den Atomkraftwerken arbeiten. Auf dieses Problem hatte auch schon EDF hingewiesen.

    Weitere Arbeiten im Februar

    Unklar sei vor allem die Lage bei den Reaktoren, die von Korrosion betroffen sind, sagt Debordes. Da werde von Fall zu Fall entschieden. Er ist sich nicht sicher, ob der Kalender von EDF einzuhalten ist: “In den Pressemitteilungen gibt sich EDF immer zuversichtlich. Ich bin weniger optimistisch.” Ein Problem scheint für EDF zumindest schon gelöst: Wegen Trockenheit und Überhitzung der Flüsse kam es in den heißen Sommerwochen zu Stopps. Laut Desbordes machte das aber nur wenige Prozent der Kapazität aus.

    Yves Marignac, Berater für den Nuklear- und Energiebereich beim Energiewendeverband négaWatt, bezeichnete das Programm als “nicht realistisch”. Es sollten Neustarts vorgezogen werden, die erst im Laufe des Jahres 2023 vorgesehen waren. Die Kraftwerke seien vielfach veraltet, was zu mehr Verspätungen und Abweichungen vom Zeitplan führe, so Marignac.

    Nicolas Goldberg, Energieexperte bei der Unternehmensberatung Colombus Consulting, sieht die Ankündigung zwiespältig: “Wenn man uns sagt, dass alle Reaktoren wieder hochgefahren werden für den Winter, heißt das nicht, dass alle zur selben Zeit funktionieren werden.” Laut dem Übertragungsnetzbetreiber RTE und laut EDF sollten Mitte Oktober 54 Prozent der Kapazität erreicht sein, Mitte Dezember über 80 Prozent, im Januar um 90 Prozent. Doch dann geht es im Februar wieder abwärts, wenn rund zehn Reaktoren für Wartung runtergefahren werden sollten. Doch Goldberg findet auch das “optimistisch”.

    Verminderte Stromproduktion noch bis 2024

    Die Probleme für EDF dürften nach diesem Winter noch weitergehen. Der Versorger hat vor einigen Tagen seine Aussichten bis 2024 vorgelegt. EDF schätzt, dass seine Atomstromproduktion bis zum Jahr 2024 noch nicht auf dem Niveau vor dem Jahr 2019 liegen wird, in dem das große Wartungsprogramm gestartet wurde. Die Stromproduktion der französischen Kernkraftwerke werde dieses Jahr voraussichtlich nur das untere Ende der Spanne von 280 bis 300 Milliarden Terawattstunden erreichen.

    Im kommenden Jahr soll sie auf 300 bis 330 Terawattstunden steigen, für 2024 sieht EDF 315 bis 345 Terawattstunden voraus. Auch im Jahr 2024 sollen die Baustellen noch Auswirkungen haben. Grund dafür ist das Wartungsprogramm, aber auch die Korrosion, die entdeckt wurde. Allerdings dürfte sich die Situation dann langsam verbessern.

    • Energie
    • Klima & Umwelt

    IAA für Trucks: Rennen um Technologie für CO2-freie Antriebe ist offen

    Ende November präsentiert die Kommission ihren Vorschlag für die CO₂-Flottenregulierung bei Lastwagen. Sicher ist, dass der Verbrauch an fossilen Kraftstoffen auch bei den Nutzfahrzeugen ab 2030 drastisch sinken muss. Wahrscheinlich wird die Kommission auch ein Enddatum für den Verbrenner-Lkw vorschlagen. 2040 ist im Gespräch.

    Dies sind die Technologien, die für die Transformation zu CO₂-freien Antrieben infrage kommen.

    Batterieelektrische Lastwagen (BEV)

    Die Serienherstellung hat begonnen. Im Einsatz sind Lithium-Ionen-Batterien, wie sie auch von Pkw bekannt sind. Daimlertruck etwa produziert den E-Actros für den Verteilerverkehr in Metropolregionen bereits seit Ende 2021 im Stammwerk Wörth. Auch ein Spezial-Lkw zur Müllentsorgung wird angeboten. Die Stückzahlen sind überschaubar und bewegen sich im dreistelligen Bereich 2022, der Preis ist etwa dreimal so hoch wie bei einem Diesel-Lkw. Reichweiten von bis zu 400 Kilometer sind möglich. Daimlertruck zeigt auf der IAA den ersten eActros als Sattelschlepper (Long Haul) mit bis zu 40 Tonnen Gewicht. Der Wagen soll 2024 reif für die Serie sein und eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern haben. Ob Traton (Scania, MAN, VW), Volvo, DAF oder Iveco – alle Lkw-Hersteller haben bereits batterieelektrische Lkw im Angebot oder haben sie angekündigt.

    Brennstoffzelle (FCEV)

    Mithilfe von flüssigem Wasserstoff wird in einer Brennstoffzelle elektrische Energie gewonnen, die das Fahrzeug antreibt. Lastwagen mit Brennstoffzelle sollen vor allem die Langstreckenrouten bedienen. Erste Fahrzeuge sind im Markt. Mercedes und Volvo haben ein Joint Venture gegründet, Cellcentric, um gemeinsam Lkw mit Brennstoffzelle zur Serienreife zu bringen. Mehrere hundert Millionen Euro an Forschungsförderung fließen in das Projekt. Prototypen sind vorgestellt. Auf der IAA kann der Lkw mit Brennstoffzelle von Daimlertruck Probe gefahren werden. In der zweiten Hälfte der Dekade soll die Technologie bei Daimlertruck serienreif sein.

    Der VW-Konzern mit den in der Traton-Holding gebündelten Marken hat sich bisher nicht zur Brennstoffzelle bekannt. Iveco bietet mit dem US-Hersteller Nikola ebenfalls Modelle an. Die Brennstoffzellen-Technologie gilt als sehr herausfordernd für die Ingenieure. Die Brennstoffzelle benötigt flüssigen Wasserstoff mit fast 100-prozentigem Reinheitsgrad. Das stellt hohe Anforderungen an die Tankinfrastruktur. Die Kosten sind sehr hoch. Zudem gilt der Betrieb unter anspruchsvollen Rahmenbedingungen als sehr schwierig: hohe Vibration, Staub, Hitze sowie Volllastfahrten über längere Zeit.

    Wasserstoffmotor

    Der Wasserstoffmotor gilt derzeit als der heimliche Favorit unter den alternativen Antrieben. So gut wie alle Hersteller experimentieren mit der Technologie, bei der Wasserstoff in Motoren verbrannt wird, deren Basis die Diesel-Technologie ist. Nur: Die wenigsten bekennen sich dazu. Die Emissionen werden bei der Technologie nahezu auf null reduziert. Als Abgas entsteht Wasser. Die Liste der Mitglieder in der Allianz Wasserstoffmotor zeigt, dass viele namhafte Unternehmen an der Technologie interessiert sind: Mitglied sind unter anderem MAN, Daimlertruck, Deutz, Bosch, Isuzu sowie Cummins. Der US-Motorenhersteller Cummins wird auf der IAA den ersten Prototypen für einen Lkw mit Wasserstoffmotor vorstellen. Es handelt sich um ein fahrfertiges Fahrzeug mit Betankungssystem auf Basis des Ategos von Daimlertruck. Daimlertruck und andere namhafte Hersteller, die Mitglied der Allianz sind, halten sich mit dem öffentlichen Bekenntnis zum Wasserstoffmotor zurück.

    Als Herausforderung für die Ingenieure gelten die Technologie zur Einblasung, die Materialtauglichkeit sowie das Betankungssystem. Thomas Koch, Vorstandsvorsitzender der Wasserstoffmotor-Allianz, sagt: “Ich rechne damit, dass die Industrie 2025 eine erste Kleinserie bauen kann.” Etwa ein bis zwei Jahre später könne es die erste Großserie geben. Offen ist, wie die EU-Regulierung den Wasserstoffmotor behandelt. Fraglich ist, ob Fahrzeuge mit der Technologie in der CO₂-Flottenregulierung mit einem Wert von null Gramm CO₂ angerechnet werden. Denkbar wäre auch, dass dies nicht möglich wird und lediglich der Verkauf erlaubt wird.

    Alternative Kraftstoffe

    Synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) und Hydrierte Pflanzenöle (HVO) könnten ebenfalls zum Einsatz kommen. Die CO₂-Bilanz ist nahe null. Schon heute ist etwa die komplette Daimlertruck-Flotte für den Betrieb mit HVO freigegeben. Allerdings ist in Deutschland die Abgabe von HVO nur zur Beimischung erlaubt. EU-weit werden derzeit rund 150 Millionen Tonnen Diesel im Jahr für Pkw und Lkw gebraucht. Man rechnet damit, dass EU-weit 2025 bereits elf Millionen Tonnen HVO produziert werden können. E-Fuels und HVO werden als Weg gesehen, den Fahrzeugbestand zu dekarbonisieren. Allerdings bleibt abzuwarten, ob die EU-Kommission bei Lastwagen ihre bisherige Ablehnung von E-Fuels im Individualverkehr aufgibt.  

    • Klima & Umwelt
    • Verkehrswende

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    Kommission will Ungarn 7,5 Milliarden Euro Fördergelder kürzen

    Wegen Korruption und anderer Verstöße gegen den Rechtsstaat in Ungarn hat die Europäische Kommission vorgeschlagen, dem Land Zahlungen in Höhe von rund 7,5 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt zu kürzen. Das Geld sei in Ungarn nicht ausreichend vor Missbrauch geschützt, sagte EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn am Sonntag. Es ist das erste Mal, dass die Brüsseler Behörde wegen Mängeln im Rechtsstaat eines EU-Staats einen solchen Schritt macht.

    Zugleich würdigte Hahn am Sonntag jedoch, dass Ungarn zuletzt 17 Zusagen gemacht habe, um die Defizite zu beseitigen. Diese gingen in die richtige Richtung, müssten aber auch umgesetzt werden. Nun liegt es an den EU-Staaten, ob sie dem Vorschlag der EU-Kommission folgen. Um die 7,5 Milliarden Euro tatsächlich einzufrieren, müssen mindestens 15 Länder mit mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung zustimmen. Die ungarische Regierung zeigte sich gestern jedoch überzeugt, dass es so weit nicht kommen wird.

    Die EU-Kommission wirft Ungarn unter Regierungschef Viktor Orban seit Jahren vor, EU-Standards und -Grundwerte zu untergraben. Die Behörde startete etliche Vertragsverletzungsverfahren und verklagte Ungarn mehrfach vor dem Europäischen Gerichtshof – ohne jedoch ein Umdenken in Budapest zu erreichen.

    Reformen diese Woche im Parlament

    Nachdem die Kommission bereits im Juni mit dem Verlust von Geldern gedroht hatte, kündigte Budapest in den vergangenen Wochen Reformen an – etwa eine neue Behörde für den Kampf gegen Korruption. Ungarn will die Kommission bis 19. November über die Umsetzung informieren. Die ersten Gesetze will Budapest bereits in dieser Woche ins Parlament einbringen.

    Aus dem Europaparlament kommen mahnende Stimmen. “Es ist fatal, dass Viktor Orban mit ein paar Scheinreformen diese Sanktionen vor Jahresende noch abwenden kann”, sagte etwa der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund. Moritz Körner (FDP) sprach davon, dass die Länder sich nicht “mit schnell beschlossenen Papiertigern” abspeisen lassen dürften.

    Wenn Ungarn jedoch alle Zusagen umsetzt, dürfte die EU-Kommission empfehlen, die Mittel doch nicht zu kürzen. Hahn sagte gestern, dass die Umsetzung der ungarischen Zusagen eine Weile brauche. Deshalb werde man den Rat darum bitten, die Frist für eine Entscheidung von einem Monat auf die maximal vorgesehenen drei Monate auszuweiten. dpa

    • Rechtsstaatlichkeit
    • Ungarn

    Plattformen sollen Medien-Beschwerden vorrangig bearbeiten

    Die EU-Kommission will unabhängige Medien in Europa besser vor staatlichem Einfluss schützen und die Medienvielfalt stärken. Dazu stellte die Behörde am Freitag den Entwurf für ein Medienfreiheitsgesetz vor. “Wir sehen viele besorgniserregende Trends in Bezug auf die Medien in Europa”, sagte EU-Kommissionsvize Vera Jourova – und das sei nicht nur in ein oder zwei Ländern so.

    Die Tschechin nannte mehrere Beispiele: Journalisten würden getötet und ausgespäht, öffentlich-rechtliche Medien stünden unter politischem Druck, bestimmte Medien würden bei der Vergabe staatlicher Werbung bevorzugt und in einigen Ländern sei unklar, wer die Medienunternehmen besitzt.

    Wirtschaftlich relevant ist außerdem die Forderung von Medienkonzernen nach Privilegien auf sehr großen Online-Plattformen wie Google oder Facebook. Wie erwartet (Europe.Table berichtete) enthält der Kommissionvorschlag spezielle Informationspflichten.

    “In Fällen, in denen keine systemischen Risiken wie zum Beispiel Desinformation bestehen, müssen sehr große Online-Plattformen, die beabsichtigen, bestimmte legale Medieninhalte zu entfernen, die aus ihrer Sicht nicht mit den Grundsätzen der Plattform vereinbar sind, die Mediendiensteanbieter über die Gründe informieren, bevor eine solche Entfernung wirksam wird”, teilte die Kommission am Freitag mit. “Beschwerden von Mediendiensteanbietern müssen von diesen Plattformen vorrangig bearbeitet werden.”

    Die Tech-Lobbygruppe CCIA Europe, zu deren Mitgliedern Google, Meta und Twitter gehören, kritisierte eine Bestimmung, die Online-Plattformen dazu zwinge, jede Organisation auf ihren Plattformen zu akzeptieren, die sich als Medienunternehmen bezeichnet. dpa/rtr/ber

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    • Digitalpolitik
    • Medien
    • Medienfreiheitsgesetz

    Polen sieht Scholz-Vorstoß “sehr skeptisch”

    Polen lehnt einer Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip in der EU-Außenpolitik weiter ab. Die polnische Regierung sehe den entsprechenden Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz “sehr skeptisch”, sagte der polnische Europaminister Konrad Szymański am Freitag nach einem Treffen mit seinen Kolleginnen aus Deutschland und Frankreich, Anna Lührmann und Laurence Boone. “Einstimmigkeit verleiht den EU-Entscheidungen Legitimität, vor allem in den wichtigsten Fragen, die die Souveränität der Mitgliedstaaten beeinträchtigen könnten.” Sie aufzugeben berge “das Risiko der Entfremdung” und langfristig eines Zerfalls der Union.

    Polen und Ungarn gelten als die entschiedensten Gegner einer Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip. Lührmann wiederholte beim Treffen des Weimarer Dreiecks hingegen die deutsche Position: Angesichts der Herausforderungen müsse die EU schneller und entschiedener reagieren können. “Es wäre klug zu diskutieren, wie dieses Vetorecht weniger ein Hindernis sein kann für die gemeinsame Positionierung der EU.” Boone zeigte sich “sehr offen” für diese Diskussion. Es gebe aber auch andere Wege, sagte sie mit Verweis auf die Ankündigung von fünf Staaten, die Mindeststeuer für multinationale Unternehmen wegen des ungarischen Vetos national umzusetzen.

    Die Europaminister der 27 Mitgliedsstaaten werden über die Fragen beim Allgemeinen Rat am Dienstag in Brüssel diskutieren. Die Debatte über eine Reform der EU-Strukturen hat an Fahrt gewonnen, weil die Gemeinschaft im Zuge des russischen Angriffs die Aufnahme der Ukraine und anderer Staaten vorantreibt. Lührmann, Boone und Szymański kündigten an, gemeinsam die Länder des Westbalkans bereisen zu wollen. Man sei sich einig darin, deren Beitritt zu unterstützen, sagte Boone. tho

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    Polen eröffnet Kanal nahe Kaliningrad

    Der polnische Präsident Andrzej Duda hat einen neuen Schifffahrtskanal offiziell eingeweiht, der die Ostsee mit dem Frischen Haff verbindet. Dies sei “ein großer Sieg für Polen, ein großer Sieg für alle Patrioten, ein großer Sieg für alle, die das Wort Souveränität verstehen”, sagte der 50-Jährige nach Angaben der Agentur PAP am Samstag. Bisher war das Frische Haff für Schiffe von der Ostsee aus nur über russisches Territorium erreichbar.

    Mit dem Kanal will Polen dem Hafen von Elblag freien Zugang zum Meer sichern. In einem weiteren Bauabschnitt muss noch eine Fahrrinne durch das Frische Haff angelegt und der Fluss Elblag bis zum Hafen der gleichnamigen Stadt ausgebaggert werden. Die Kosten für den gesamten Bau werden auf knapp eine halbe Milliarde Euro geschätzt.

    Bislang müssen Schiffe, die von Elblag in die Ostsee gelangen wollen, durch russische Hoheitsgewässer fahren, da der nördliche Teil des Frischen Haffs zum Gebiet Kaliningrad gehört. Polens nationalkonservative PiS-Regierung möchte die Schifffahrt in der Region unabhängig von russischen Genehmigungen machen.

    Für die Einweihung wählte die Regierung in Warschau ein hoch symbolisches Datum: Am 17. September 1939 begann im Zweiten Weltkrieg der Einmarsch der sowjetischen Roten Armee in Ostpolen, nachdem zuvor am 1. September deutsche Truppen das Land überfallen hatten. dpa

    • Polen
    • Schifffahrt

    Schweden vor Regierungsbildung

    Das endgültige Ergebnis der Parlamentswahl in Schweden hat gestern die knappe Mehrheit für das konservativ-rechte Lager sowie ein Rekordresultat der rechtspopulistischen Schwedendemokraten bestätigt. Der Vier-Parteien-Block des Konservativen Ulf Kristersson hat bei der umkämpften Wahl am vergangenen Sonntag demnach 176 Mandate errungen, das linksgerichtete Lager der bisherigen sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson 173.

    Anderssons Sozialdemokraten werden den endgültigen Zahlen zufolge wie erwartet mit 30,3 Prozent klar stärkste Partei. Zweite werden die Schwedendemokraten, die auf ein Rekordergebnis von 20,5 Prozent kommen und somit erstmals die Moderaten von Kristersson als zweitstärkste Parlamentskraft ablösen. Andersson hatte sich ihrem Herausforderer bereits am Mittwochabend geschlagen gegeben und am Tag darauf den Rücktritt ihrer Regierung eingereicht.

    Heute könnte Kristersson den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Parlamentspräsident Andreas Norlén will sich jeweils einzeln mit den Spitzen der Reichstagsparteien treffen, um auszuloten, wem er den Auftrag erteilt. Am Nachmittag will er eine Pressekonferenz abhalten, auf der er sich dazu äußern dürfte. dpa

    Türkei strebt Bündnis mit Russland und China an

    Die Türkei strebt eine Mitgliedschaft in dem wirtschafts- und sicherheitspolitischen Staatenbündnis SCO um China und Russland an. Diese beiden Länder hatten erst am Freitag erklärt, die Zusammenarbeit mit anderen Staaten in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) ausbauen zu wollen. Damit soll ein Gegengewicht zu westlichen Bündnissen geschaffen werden.

    Der türkische Präsident Tayyip Erdogan sagte am Samstag nach einem Gipfel der SCO in Usbekistan dem türkischen Sender ntv zufolge, Ziel für sein Land sei eine Mitgliedschaft in der Organisation. Das Nato-Mitglied Türkei ist derzeit bereits ein sogenannter Dialogpartner der SCO. Zu der Gruppe gehören neben China und Russland auch Indien, Pakistan, der Iran, Kirgistan, Tadschikistan, Kasachstan und Usbekistan. Kirgistan und Tadschikistan befinden sich derzeit in einem wieder aufgeflammten blutigen Grenzkonflikt. Die Regierungen beider Staaten gaben gestern an, zuletzt seien insgesamt 81 Menschen getötet worden.

    Am Freitag hatte Chinas Präsident Xi Jinping auf dem SCO-Gipfel die Mitgliedsstaaten aufgerufen, sich gegenseitig in der Abwehr von Versuchen ausländischer Mächte zu unterstützen, sogenannte Farben-Revolutionen zu unterstützen. Mit diesem Begriff sind Aufstände insbesondere in ehemals kommunistischen Staaten gemeint. rtr

    • China
    • Indien
    • Iran
    • Tadschikistan
    • Türkei

    Presseschau

    Wegen Korruption: EU-Kommission will Ungarn Milliarden Euro kürzen N-TV
    Mehr Unabhängigkeit von Russland: Polnischer Präsident weiht neuen Schifffahrtskanal an der Ostseeküste ein TAGESSPIEGEL
    Tschechische Ratspräsidentschaft fordert Kriegsverbrechertribunal zur Ukraine MORGENPOST
    Russia could find new markets for half the oil the EU won’t buy WORLDOIL
    French Ambassador Says Europe Keeping Energy Prices Down BLOOMBERG
    Umstrittener Vorschlag der EU-Kommission: Aufstand gegen das Medienfreiheitsgesetz SPIEGEL
    Belgrade’s EuroPride March Goes on Despite Far-Right Protests, Arrests VOANEWS
    Streitpunkt Soja: EU-Abgeordnete Maria Noichl wird deutlich – “Die Scheiße bleibt da” MERKUR

    Standpunkt

    Kritische Rohstoffe und Kreislaufwirtschaft gehören zusammen

    Von Rainer Buchholz und Daniel Quantz
    Daniel Quantz (l.) ist Leiter Recht bei der Wirtschaftsvereinigung Metalle, Rainer Bucholz leitet den Leiter Bereich Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz.
    Daniel Quantz (l.) ist Leiter Recht bei der Wirtschaftsvereinigung Metalle, Rainer Bucholz leitet den Leiter Bereich Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz.

    Krisen und ihre Auswirkungen auf globale Lieferketten, der Krieg in der Ukraine und der Klimawandel hinterlassen ihre Spuren in den Wertschöpfungsketten der Grundstoffindustrie. Der Zugang zu den Rohstoffmärkten ist entscheidend für unsere Zukunft, aber auch das Know-how zur Verarbeitung. Der europäische Bedarf an Nichteisen(NE)-Metallen wird sich bis 2050 vervielfachen, gerade wegen des Green Deals und der fortschreitenden Digitalisierung.

    Die Wichtigkeit einer verlässlichen und nachhaltigen Rohstoffversorgung hat die EU-Kommission erkannt. In ihrer Rede State of the European Union am Mittwoch hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein europäisches Rohstoffgesetz angekündigt

    Der Krieg in der Ukraine hat erneut aufgezeigt, dass Abhängigkeiten von verschiedenen Rohstoffen ohne Diversifizierung zu erheblichen Problemen in den Lieferketten führen können. Neue Kooperationen mit verlässlichen internationalen Partnern sollen deshalb der Sicherung von Rohstoffen unter Einhaltung hoher Umwelt- und Sozialstandards initiiert werden. Hier sind Handelsabkommen mit Chile, Mexiko, Neuseeland und Australien zu nennen.

    Im Zusammenhang damit bereitet die EU-Kommission einen Rechtsakt für kritische Rohstoffe vor, nach Vorbild der EU Batteries Alliance und des EU Chips Act. Der Critical Raw Materials Act soll Kriterien zur Identifizierung von Rohstoffen festlegen, die von besonderer strategischer Bedeutung für unseren Transformations- und Verteidigungsbedarf sind, einschließlich wirtschaftlicher Bedeutung, Versorgungskonzentration, strategischer Anwendungen und prognostizierter Versorgungslücken.

    Nachfrage steigt rasant

    Zusätzlich sollen widerstandsfähigere Lieferketten aufgebaut werden, indem Projekte unterstützt und mehr private Investitionen vom Bergbau über die Raffination und Verarbeitung bis hin zum Recycling gefördert werden. Die höchsten Sozial- und Umweltstandards (ESG) sollen trotzdem gewährleistet sein. Die Herstellung eines Level Playing Field ist für strategische Speicherkapazitäten und auch für die Förderung von Sekundärrundstoffen aus unserer Sicht unabdingbar.

    Die Katholische Universität Leuven (KU Leuven) hat im April 2022 in einer Studie die durch den Green Deal ausgelöste, zusätzliche NE-Metallnachfrage berechnet. Dabei wurde berücksichtigt, dass NE-Metalle bei den durch den Green Deal geforderten Investitionen in innovative Energieerzeugungstechnologien (Solaranlagen, Windkraft, Wasserstroff) sowie in neue Produkte (Elektrifizierung von Automobilen, neue Batterien) eine wesentliche Rolle spielen. Diese Technologien sind in der Regel metallintensiver als herkömmliche Produkte und Technologien. Die zusätzliche Metallnachfrage, um die europäische Energieversorgung unabhängiger von russischen Energieimporten zu machen, wurde in der Studie noch nicht berücksichtigt.

    Die Studie errechnet, dass allein der Green Deal bis 2050 die Nachfrage für Aluminium um 33 Prozent, für Kupfer um 35 Prozent, für Zink um 11 Prozent, für Nickel um 103 Prozent, für Kobalt um 331 Prozent und für Lithium sogar um 3535 Prozent steigern wird. Bei den Basismetallen Aluminium, Kupfer und Zink kann die gestiegene Nachfrage auch weiterhin nur teilweise (zu 45 – 65 Prozent) durch höhere Recyclinganstrengungen gedeckt werden.

    Strategie braucht mehrere Säulen

    Der Rest muss durch höhere Minenproduktion aufgefangen werden. Das liegt vor allem daran, dass Metalle meist langfristig in Anwendungen gebunden sind und erst nach und nach zum Recycling gelangen. Darüber hinaus geht ein erheblicher Teil an Metallschrotten ins Ausland und steht für die europäische Metallversorgung nicht mehr zur Verfügung. Im Vergleich zu anderen Materialien liegen NE-Metalle beim Recycling dennoch weit vorne: Der Recyclat-Anteil jeder in Deutschland produzierten Tonne NE-Metall liegt bei rund 50 Prozent.

    Die europäische Rohstoffversorgung muss daher bis auf Weiteres auf mehrere Säulen setzen: Mehr Importe von Primär- und Sekundärrohstoffen aus Ländern mit nachhaltigen Standards, mehr heimische Minenproduktion und vor allem mehr heimisches Recycling, um die verbliebenen Recyclingpotenziale zu heben. Insbesondere die EU legt den politischen Fokus daher seit mehreren Jahren in ihrer Initiative “Circular Economy” auf die Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen für das Recycling (z.B. mehr Design for Recycling).

    Um den Beitrag von Sekundärrohstoffen für die Versorgungssicherheit mit metallischen Rohstoffen in Deutschland zu stärken, tritt die Bundesregierung auf Basis ihrer Rohstoffstrategie mit der betroffenen Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung in einen Dialog ein. Ziel des Dialogs ist es, bis 2023 konkrete Maßnahmen zu erarbeiten, die Barrieren zur Schließung von Rohstoffkreisläufen abbauen und die den Beitrag der metallischen Sekundärrohstoffe zur Rohstoffversorgung weiter zu erhöhen. (Lesen Sie hier ein Interview mit Wirtschaftsstaatssekretärin Franziska Brantner)

    Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat hierzu die Deutsche Rohstoffagentur (DERA) mit der Leitung der “Dialogplattform Recyclingrohstoffe” beauftragt. Die Wirtschaftsvereinigung Metalle engagiert sich in der Dialogplattform im AK Metalle und setzt sich dafür ein, die europäische Rohstoffpolitik gemeinsam mit der Kreislaufwirtschaft nach vorn zu bringen.

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    Europe.Table Redaktion

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