ursprünglich wollte die EU-Kommission den Vorschlag für die Chemikalien-Verordnung REACH Ende 2022 vorlegen. Doch offenbar will sie das Vorhaben nun erst mal auf Eis legen – aus Rücksicht auf die Industrie. Wie Markus Grabitz und Till Hoppe erfahren haben, soll der Vorschlag frühestens 2024 kommen. Die Branche hatte vor dem Hintergrund massiv gestiegener Rohstoffpreise wiederholt gefordert, zum aktuellen Zeitpunkt von der Regulierung abzusehen. Doch unter den Mitgliedstaaten rührt sich Widerstand, unter anderem aus Deutschland.
Premiere auf der Prager Burg: Heute kommen die Staats- und Regierungschefs von über 40 europäischen Staaten im neuen Format der Europäischen Politischen Gemeinschaft zusammen. EU-Diplomaten betonten vorab, dass dies keine “EU-plus”-Veranstaltung sei, EU-Mitglieder und Drittstaaten begegneten sich auf Augenhöhe zu Gesprächen über Sicherheit und Stabilität sowie Energie und Wirtschaft. Redebedarf wird es auch beim morgigen informellen EU-Gipfel geben, etwa zum Gaspreisdeckel, über den die Mitgliedstaaten noch immer uneins sind. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen signalisierte im Vorfeld Bereitschaft zu einer Obergrenze für Gaspreise – bei genauerem Hinsehen entpuppt sich ihr Vorschlag aber als verklausulierte Absage an die Deckelung, wie Stephan Israel und Manuel Berkel analysieren.
Die deutschen Gasspeicher sind momentan gut gefüllt. Doch für das kommende Jahr gehen die Bundesregierung und Experten von einer ganz anderen Situation aus. Nach Informationen von Europe.Table rechnet Berlin im anstehenden Frühjahr mit fast leeren Speichern, und auch für Juli und September mit niedrigeren Füllständen als im laufenden Jahr. Der Winter 2023/24 wird nach Ansicht von Experten ebenfalls herausfordernd. “Dieser Winter wird schwierig, aber der nächste Winter könnte auch sehr schwierig werden“, sagte IEA-Chef Fatih Birol gestern in Finnland. Manuel Berkel berichtet.
Aus Rücksicht auf die Industrie wird die EU-Kommission den Vorschlag für die Chemikalien-Verordnung REACH voraussichtlich auf Eis legen. Ursprünglich wollte die Kommission den Vorschlag für die umfassende Chemikalien-Regulierung Ende 2022 vorlegen. Nun soll er nach Informationen von Europe.Table deutlich später kommen, womöglich erst 2024. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe die Verschiebung in der Gruppe von Europaabgeordneten von CDU und CSU angekündigt.
In Kreisen der Kommission wurden die Überlegungen bestätigt. Allerdings liefen die Gespräche noch. Vizepräsident Frans Timmermans und Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius drängen intern darauf, die Reform von REACH noch 2023 vorlegen zu dürfen. Sie befürchten, dass sich das Vorhaben ansonsten noch deutlich länger verzögert, weil 2024 ein neues Europaparlament gewählt und die Kommission neu besetzt wird.
Unterstützung bekommen sie von acht Mitgliedstaaten, darunter Deutschland: In einem Brief forderten sie die Kommission “nachdrücklich auf, mit der geplanten Überarbeitung von REACH fortzufahren und es nicht der nächsten Kommission zu überlassen, ihre Versprechen zu erfüllen”. Das Schreiben, das unter anderem von Bundesumweltministerin Steffi Lemke und ihren Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich, Österreich und Belgien unterzeichnet wurde, liegt Europe.Table vor.
Hintergrund der Verschiebung ist, dass die Unternehmen der chemischen Industrie massiv von den gestiegenen Rohstoffpreisen in der Folge des Krieges gegen die Ukraine betroffen sind. Die Branche hat dringend darum gebeten, die Lasten nicht noch durch neue Regulierungsschritte zu erhöhen. Das Akronym REACH steht für die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Regulierung von Chemikalien. Die Verordnung ist 2007 in Kraft getreten und sollte jetzt im Zuge der EU-Chemikalienstrategie des Green Deal überarbeitet werden.
Die Fäden bei der Kontrolle laufen bei der Europäischen Chemikalienagentur ECHA mit Sitz in Helsinki zusammen. Die EU hatte REACH verabschiedet, weil Unternehmen der chemischen Industrie eine Vielzahl von Substanzen entwickelt und auf den Markt gebracht hatten, ohne dass mögliche Gefahren für Mensch und Umwelt hinreichend abgeklärt worden waren. 15 Jahre nach dem schrittweisen Inkrafttreten von REACH sollte jetzt eine grundlegende Überarbeitung stattfinden.
Der Vorschlag für den EU-Rechtstext ist dem Vernehmen nach so gut wie fertig. Von Januar bis April 2022 fand die öffentliche Konsultation zur Revision von REACH statt. Im Sommer hat die EU-Kommission die Folgenabschätzung für das Gesetz erarbeitet.
Der Branchenverband VCI hatte zuvor die Kommission immer wieder aufgefordert, der Industrie zum jetzigen Zeitpunkt keine weitere kostenintensive Regulierung aufzubürden. Im Juli hatte VCI-Präsident Christian Kullmann darauf hingewiesen: “Schon jetzt sind Unternehmen gezwungen, ihre Produktion bei besonders energieintensiven Prozessen zu drosseln.”
Zu den drastisch gestiegenen Preisen für Energie und Rohstoffe komme nun auch noch der “Unsicherheitsfaktor Brüssel” hinzu, warnte der Lobbyist wörtlich. “Nahezu unbeeindruckt von den aktuellen Entwicklungen legt die EU-Kommission ein Verhalten an den Tag, das nur noch als fahrlässig zu bezeichnen ist.” Statt der Wirtschaft unnötige Zusatzbelastungen zu nehmen, setze sie unbeirrt auf Projekte der Vorkriegszeit und gefalle sich “in der Rolle der globalen Musterschülerin in Sachen Umwelt- und Klimaschutz”.
CDU-Chef Friedrich Merz und die CDU/CSU-Abgeordneten im Europaparlament fordern von der Kommissionspräsidentin seit Längerem ein Belastungsmoratorium für die Unternehmen. Bislang waren sie damit nicht durchgedrungen.
Im Kreis der Abgeordneten wurde die Entscheidung der Kommission, REACH auf Eis zu legen, als überfällig begrüßt. Es wird damit gerechnet, dass die Novelle nicht mehr Teil des neuen Arbeitsprogramms ist, das die EU-Kommission in ihrer Sitzung am 18. Oktober beschließen will. Markus Grabitz, Till Hoppe
10.10.2022 – 10:00-11:30 Uhr, online
ASEW, Seminar Erfahrungsaustausch zu EnSikuMaV, Mwst. & Gas-Umlage
Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) diskutiert Umsetzung und Feedback zur Anfang September in Kraft getretenen Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung (EnSikuMaV). INFOS & ANMELDUNG
10.10.2022 – 16:00-17:30 Uhr, online
ERCST, Roundtable ETS Revision for Phase IV. The EU ETS under trilogues
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) presents and discusses the EU ETS State of Play with relevant stakeholders. INFOS & REGISTRATION
10.10.2022 – 16:30-17:30 Uhr, online
ECFR, Panel Discussion Green future: How can Spain help Europe keep its green transition goals on course through the energy crisis?
The European Council on Foreign Relations (ECFR) explores Spain’s role in building a greener Europe. INFOS & REGISTRATION
11.10.-13.10.2022, Brüssel (Belgien)/online
EASE, Conference Energy Storage Global Conference
The European Association for Storage of Energy (EASE) explores the extent to which energy storage can help avoid dependency on fossil fuels. INFOS & REGISTRATION
11.10.-13.10.2022, Brüssel (Belgien)/online
Hydrogen Europe, Conference Steely Hydrogen
Hydrogen Europe provides an environment to share and exchange experiences on the link between metals and the various aspects of hydrogen. INFOS & REGISTRATION
11.10.-13.10.2022, Rotterdam (Niederlande)
Conference World Hydrogen Congress
The World Hydrogen Congress intends to accelerate the global commercialisation of clean hydrogen. INFOS & REGISTRATION
11.10.2022 – 10:00-15:30 Uhr, Berlin
FNF, Konferenz Reshape Europe – Für eine resiliente und souveräne EU in einer neuen Weltpolitik
The Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) discusses what the Russian war against Ukraine means for the EU and its role in the world. INFOS & ANMELDUNG
11.10.2022 – 10:00-15:30 Uhr, Berlin
BDI, Konferenz Tag der Sicherheit 2022
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) diskutiert über Möglichkeiten zur Stärkung der sicherheitspolitischen Resilienz des Wirtschaftsstandorts Deutschland. INFOS & ANMELDUNG
11.10.2022 – 12:00-19:30 Uhr, Brüssel
EIT Innoveit Summit 2022
The European Institute of Innovation and Technology (EIT) brings together decision makers of the European innovation field to discuss the challenges and opportunities facing innovation in Europe today. INFOS & REGISTRATION
11.10.2022 – 15:00-16:30 Uhr, Brüssel (Belgien)/online
ERCST, Roundtable Expert Consultation: Level of Effort and Treating Non-pricing Policies in the EU CBAM
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) addresses the question of how to compare the level of effort in third countries’ climate policies to that of the EU. INFOS & REGISTRATION
11.10.2022 – 19:30-21:00 Uhr, Oldenburg
KAS, Vortrag Klimawandel – Wenn Wasser zum politischen Sprengstoff wird
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) beleuchtet die Ressource Wasser unter sicherheitspolitischen Aspekten. INFOS & ANMELDUNG
11.10.2022 – 19:30-20:30 Uhr, online
FNF, Vortrag Plattformkapitalismus – Eine Gefahr für den Wettbewerb?
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) diskutiert die Frage, inwiefern Marktkonzentration sich wettbewerbsschädigend auswirkt. INFOS & ANMELDUNG
Kurz vor dem Doppelgipfel diesen Donnerstag und Freitag in Prag hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor dem EU-Parlament in Straßburg im Streit um einen Gaspreisdeckel eine Kehrtwende angedeutet – sie signalisierte grundsätzlich Bereitschaft zu einer Obergrenze für Gaspreise. Später machte ihr Sprecher Eric Mamer eine spektakuläre Ergänzung: Der Kommissionspräsidentin gehe es um eine Preisobergrenze nur für den Gashandel innerhalb der EU.
Noch vor einer Woche hatten die Beamten der Kommission einen solchen Schritt unmissverständlich verworfen. Wenn es im Binnenmarkt nur noch einen – niedrigen – Einheitspreis gebe, seien die Gasflüsse zwischen den Mitgliedstaaten gefährdet und auf dem Verwaltungsweg sei die Zuteilung von Gas praktisch nicht zu leisten, schrieb die Behörde in einem Non-Paper an den Rat der Energieminister.
Zuvor hatten aber 15 Mitgliedstaaten in einem Brief an die Kommission Druck gemacht und einen Vorschlag für einen generellen Gaspreisdeckel – auch beim Import – gefordert. Inzwischen sollen sich weitere EU-Staaten dem Vorstoß angeschlossen haben, so EU-Diplomaten. Sollte die Kommission den Unterzeichnern nun doch entgegenkommen?
Gestern Abend stellte sich heraus, dass von der Leyen ihre scheinbare Konzilianz an Bedingungen knüpft, die Befürworter eines allgemeinen Preislimits kaum akzeptieren dürften. Falls der Preis vorübergehend gedeckelt werden soll, müsse es erstens verpflichtende Solidaritätsvereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten geben. Diese haben bisher aber erst wenige abgeschlossen.
Zweitens brauche es größere Verpflichtungen zum Gassparen. In einem Brief schreibt von der Leyen von EU-weiten Auktionen dafür. Schärfere Verpflichtungen lehnen allerdings gerade einige der Staaten ab, die den Preisdeckel fordern – etwa Polen und Spanien. Von der Leyens Angebot ist also einmal mehr eine verklausulierte Absage an die 15 Mitgliedstaaten. In Berlin, aber auch in Den Haag gab es schon zuvor Vorbehalte gegenüber einem generellen Preisdeckel.
Weiter auf dem Tisch ist allerdings der Kommissionsvorschlag einer Preisobergrenze von Gas für die Stromerzeugung. Von der Leyen bekräftigte am Mittwoch zudem den Vorschlag, die Verhandlungen mit “vertrauenswürdigen Partnern” wie Norwegen zu intensivieren, um den Preis für Gasimporte zu senken. Die Kommission setzt also vorerst auf Freiwilligkeit und auf die Marktmacht der EU. Die Lieferanten hätten ein Interesse, mit der EU Verträge zu schließen, die für beide Seiten von Vorteil seien, so von der Leyen vor dem Parlament. Ziel soll ein “akzeptabler Preiskorridor” sein, Preissprünge sollen so gedämpft werden können.
Vorantreiben will Brüssel gleichzeitig die Idee einer gemeinsamen Einkaufsplattform, um die Marktmacht der EU stärker ausspielen zu können. Von der Leyen will sie am liebsten zum Frühjahr an den Start bringen, wenn die Gasspeicher wieder gefüllt werden müssen. Ein erneutes Überbieten der Mitgliedstaaten soll so verhindert werden.
Parallel dazu schwelt vor dem Gipfel ein Konflikt um nationale Alleingänge bei Hilfspaketen. Im Fokus ist vor allem das 200 Milliarden Euro schwere Paket der Bundesregierung. Deutschland subventioniere einerseits Gas für Haushalte und Unternehmen, ermutigt also den Konsum, so die Kritik. Auf der anderen Seite blockiere Berlin die Preisobergrenze.
Die Kritiker monieren hier nationalen Egoismus und eine gewisse Inkonsequenz. Allen voran dürfte am Gipfel Italiens scheidender Ministerpräsident Mario Draghi ähnlich wie bei der Corona-Pandemie auf ein europäisches Vorgehen bei den Hilfen für Haushalte und Wirtschaft drängen. Ähnlich warnten Binnenmarktkommissar Thierry Breton und Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni in einem Meinungsbeitrag vor einer Fragmentierung des Binnenmarktes. Der Franzose und der Italiener schlagen vor, sich am SURE-Mechanismus zu orientieren, über den während der Pandemie gemeinschaftlich Maßnahmen gegen Kurzarbeit finanziert wurden. In diesem Sinne argumentierte am Mittwoch auch EU-Ratspräsident Charles Michel in einem Meinungsbeitrag in der “Financial Times”.
Der informelle EU-Gipfel am Freitag in Prag soll in erster Linie der Aussprache dienen, um dann beim formellen Gipfel am 20. Oktober Entscheidungen treffen zu können. Heute werden die Staats- und Regierungschefs allerdings zuerst im neuen Format der sogenannten Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) zusammenkommen.
Das Format geht ursprünglich auf eine Idee von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zurück, mit dem Hintergedanken, die EU-Beitrittskandidaten zu vertrösten. Die Bedenken insbesondere auf dem Westbalkan sind inzwischen aber ausgeräumt, die Erwartungen insgesamt positiv. Das Format sei eine “gute Idee”, überschreiben Albaniens Premier Edi Rama und der niederländische Regierungschef Mark Rutte im Vorfeld einen gemeinsamen Meinungsbeitrag. Der Kontinent müsse seine eigene Zukunft gestalten. Das setze voraus, dass alle demokratischen Staaten zusammenarbeiteten.
Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala als derzeitiger EU-Ratsvorsitzender und EU-Ratspräsident Michel haben die Staats- und Regierungschefs von 44 europäischen Staaten zur Premiere auf die Prager Burg eingeladen. Neben den EU-Mitgliedern sind das die EWR-Staaten, Ex-Mitglied Großbritannien, das Nichtmitglied Schweiz, aber auch die östlichen Partner wie Armenien und Aserbaidschan sowie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan.
Alle wollen kommen, außer der dänischen Regierungschefin, die wegen einer dringenden Parlamentsdebatte verhindert ist. Der ukrainische Präsident wird per Video zugeschaltet, während sein Premier vor Ort sein soll. Ziel sei es, eine politische Plattform zu schaffen, um über Frieden und Prosperität auf dem Kontinent zu reden, so EU-Diplomaten. Betont wird, dass die EPG keine “EU-plus”-Veranstaltung sei, EU-Mitglieder und Drittstaaten sich auf Augenhöhe begegnen sollen.
Das Treffen vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine beginnt mit einem Plenum um 13 Uhr. Später verteilt man sich auf zwei runde Tische, an denen über Sicherheit und Stabilität sowie über Energie und Wirtschaft gesprochen werden soll. Auch Zeit für bilaterale Gespräche ist reserviert. Bei einem Arbeitsessen am Abend sollen die Ergebnisse ausgetauscht werden. Schlussfolgerungen sind nicht geplant, aber “eine Botschaft der Geschlossenheit und der Solidarität” – sofern Spannungen etwa zwischen Aserbaidschan und Armenien oder zwischen der Türkei und Griechenland die Harmonie nicht stören.
Geplant ist laut Diplomaten, dass die Europäische Politische Gemeinschaft alle sechs bis acht Monate zusammenkommt. Die britische Premierministerin Liz Truss, die zuerst gar nicht anreisen wollte, hat London als nächsten Veranstaltungsort angeboten. Großbritannien könne bei einer späteren Gelegenheit zum Zug kommen, so EU-Diplomaten. Der nächste EPG-Gipfel werde im Osten des Kontinents stattfinden, konkret voraussichtlich in Chişinău, der Hauptstadt der Republik Moldau. Mit Manuel Berkel
Trotz neuer LNG-Terminals erwartet die Bundesregierung 2023 bis in den Sommer niedrigere Füllstände der Gasspeicher als im laufenden Jahr. Für den 1. Mai rechnet Berlin damit, dass die deutschen Speicher nur noch zu zehn Prozent gefüllt sind. Anfang Mai dieses Jahres waren die deutschen Speicher dagegen noch zu rund 36 Prozent gefüllt, wie Daten des europäischen Gasverbandes GIE zeigen.
Die Angaben teilte die EU-Kommission auf Anfrage von Europe.Table mit. EU-Staaten mit Gasspeichern müssen der Behörde seit diesem Jahr jeweils zum 15. September melden, welchen Befüllungspfad sie für Februar, Mai, Juli und September des Folgejahres erwarten. Eine vollständige Übersicht über die Meldungen will die Kommission nach Angaben einer Sprecherin Mitte November veröffentlichen.
Wie Europe.Table vorab erfuhr, rechnet die Bundesregierung auch für den 1. Juli und den 1. September 2023 mit niedrigeren Füllständen der Gasspeicher als im laufenden Jahr. Während der Bund für diese Termine 30 und 65 Prozent erwartet, waren es in diesem Jahr 61 und 85 Prozent. Das Bundeswirtschaftsministerium wollte sich dazu nicht äußern.
Die für Anfang Mai erwartete Gasmenge entspricht einem Zehnjahrestief. Weniger als 24 Terawattstunden Erdgas befanden sich nach den Daten von GIE zuletzt im April 2013 in den deutschen Speichern.
Viele Experten rechnen damit, dass der Winter 2023/24 noch herausfordernder werden könnte als der bevorstehende. Für das Ende der Heizperiode erwartet die Internationale Energieagentur (IEA), dass die europäischen Speicher im Schnitt noch zu 25 bis 30 Prozent gefüllt sind. “Dieser Winter wird schwierig, aber der nächste Winter könnte auch sehr schwierig werden”, sagte IEA-Chef Fatih Birol am Mittwoch vor Journalisten in Finnland.
Laut dem Energiekonzern RWE könnten die Gasspeicher im kommenden Frühjahr noch mit 15 bis zu mehr als 30 Prozent gefüllt sein: Die Entwicklung sei abhängig davon, wie stark die Temperaturen sinken, wie sich die Lage der Atomkraft in Frankreich entwickelt und wie viel Windkraft erzeugt werden könne, sagte Konzernchef Markus Krebber am Dienstag im Gespräch mit Analysten.
Im weiteren Verlauf wird die Lage wohl angespannt bleiben. “Ein Niveau von 90 Prozent wird im kommenden Jahr nicht wieder erreicht”, sagte der Vizepräsident des IfW Kiel, Stefan Kooths, zu Europe.Table. Dabei bezog sich der Konjunkturchef des Instituts auf das Herbstgutachten für das BMWK von Ende September.
Bis Juli deckten sich die Simulationen des IfW und der anderen drei beteiligten Institute mit dem Befüllungspfad, den die Bundesregierung nach Brüssel gemeldet hat. “Für Anfang September und Anfang November 2023 liefert unser Modell allerdings Füllstande von 56 Prozent beziehungsweise 65 Prozent und ab dann wieder abfallend”, erläutert Kooths. Zumindest für September 2023 ist die jüngste Meldung des BMWK also optimistischer als die Erwartung der Wirtschaftsforscher. Kooths glaubt trotzdem nicht, dass mit der besseren Septemberprognose wieder ein Pegel von 90 Prozent erreicht wird.
Eine schlechtere Entwicklung der Speicherstände hatte Anfang August außerdem die Bundesnetzagentur simuliert. Von den acht Szenarien für einen Lieferstopp über Nord Stream 1 sah nur eines ähnliche Füllstände der Gasspeicher für Mai und Juli wie nun die Bundesregierung. Andere Rechnungen prognostizierten teils monatelang vollständig entleerte Speicher.
Auffällig optimistisch ist Berlin nun für den nächsten Februar: Die Bundesregierung meldete ihre gesetzlich fixierte Zielmarke nach Brüssel – einen Füllstand von 40 Prozent. Die Netzagentur aber rechnet bei einem Ausfall von Nord Stream bestenfalls mit 20 Prozent.
Bundeskanzler Olaf Scholz und der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez haben bei dem 25. spanisch-deutschen Gipfel in der nordwestspanischen Stadt A Coruña ihr gemeinsames Engagement für die Midcat-Gaspipeline bekräftigt. Diese soll den Energietransport von der Iberischen Halbinsel ins Zentrum Europas erleichtern. Der französische Präsident Emmanuel Macron spricht sich aber gegen das Projekt aus.
“Wir werden uns weiterhin für eine größere Verbindungskapazität der Iberischen Halbinsel einsetzen, um ihren Beitrag zur Versorgungssicherheit der gesamten EU zu stärken”, heißt es in dem gemeinsamen Aktionsplan in Bezug auf Midcat. Nicht enthalten ist eine gemeinsame Zustimmung zur Deckelung des Gaspreises für die Stromerzeugung auf europäischer Ebene. Es ist einer der Aspekte, die Sánchez in Brüssel vehement verteidigt hat.
Auf der Pressekonferenz nach der Unterzeichnung der Abkommen am Mittwoch erinnerte Sánchez daran, dass die Frage der Energieverbundnetze bereits 2015 auf europäischer Ebene vereinbart wurde. “Obwohl man sich auf europäischer Ebene verpflichtet hat, einen Verbundgrad von 10 Prozent zu erreichen, liegen wir unter 5 Prozent, bei nicht einmal 3 Prozent.” Er betonte, dass Spanien mit seinen sechs Regasifizierungsanlagen dazu beitragen könne, die Abhängigkeit von russischem Gas zu überwinden.
Präsident Emmanuel Macron hat in den vergangenen Monaten abgelehnt, das Midcat-Projekt zu unterstützen, da er es für unwirtschaftlich und unrentabel hält. In A Coruña wies Scholz darauf hin, dass in Europa mehr Energie-Verbundnetze benötigt werden. “Wenn einige Verbindungen jetzt nicht sehr profitabel sind, können sie es in Zukunft werden. Das ist eine Frage, bei der alle Länder zusammenarbeiten müssen”, so der Bundeskanzler.
Der von den beiden Ländern unterzeichnete Aktionsplan konzentriert sich auch auf die Bereiche Arbeit und Hochschulbildung. An dem Treffen nahmen auch acht Minister aus Spanien und sieben Minister aus Deutschland teil. Die letzten Regierungskonsultationen zwischen Spanien und Deutschland fanden vor neun Jahren statt – zwischen der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem damaligen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy.
Der gemeinsame Aktionsplan, der von Deutschland und Spanien im Rahmen der EU bilateral entwickelt werden soll, hat sechs grundlegende Achsen. Neben den Bereichen Sicherheit und Verteidigung werden auch Ziele im Bereich der außenpolitischen Zusammenarbeit, einschließlich der Migration, festgelegt und die südliche Nachbarschaft erwähnt, die für die Regierung Sánchez von besonderer Bedeutung ist. Isabel Cuesta
Die EU-Staaten haben ein achtes Paket mit Sanktionen gegen Russland auf den Weg gebracht. Die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten billigten am Mittwoch unter anderem die rechtlichen Voraussetzungen für einen von den G7-Staaten unterstützten Preisdeckel für Ölimporte aus Russland. Das bestätigten mehrere Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. Die Einigung muss noch im schriftlichen Verfahren von den Hauptstädten bestätigt werden.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte das Paket Mitte vergangener Woche als Reaktion auf die jüngste Eskalation Russlands im Krieg gegen die Ukraine vorgeschlagen. “Wir akzeptieren weder die Scheinreferenden noch irgendeine Art von Annexion in der Ukraine”, sagte die deutsche Politikerin.
Teil der Grundsatzeinigung zu den neuen Sanktionen sind verschiedene Exportverbote, die etwa bestimmte Schlüsseltechnologien für die Luftfahrt betreffen. Zudem soll es unter anderem ein Importverbot für bestimmten Stahl aus Russland geben. Auch soll es EU-Bürgern künftig verboten sein, Sitze in Führungsgremien russischer Staatsunternehmen einzunehmen. Dafür hatte sich vor allem die Bundesregierung eingesetzt, nachdem Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) lange Aufsichtsratschef des russischen Ölkonzerns Rosneft gewesen war.
Hinzu kommen etwa Strafmaßnahmen gegen Personen, die bei der Durchführung der Scheinreferenden in den mittlerweile durch Russland annektierten Gebieten auf ukrainischem Gebiet geholfen haben. Sie werden mit Einreiseverboten und Vermögenssperren belegt.
Mit dem neuen Sanktionspaket schaffen die EU-Staaten auch die Grundlage dafür, dass Russland Öl künftig für einen deutlich niedrigeren Preis an große Abnehmer wie Indien verkaufen muss als derzeit. So sollen die Einnahmen Moskaus reduziert werden, aus denen auch der Krieg gegen die Ukraine finanziert wird. dpa
Die Welthandelsorganisation (WTO) rechnet für das kommende Jahr mit einem spürbar geringeren globalen Handel als zuletzt. Der Warenhandel werde nur noch um 1,0 Prozent steigen, teilte die WTO am Mittwoch in Genf mit. Bisher war die Organisation noch von 3,4 Prozent Wachstum ausgegangen. “Das Bild für 2023 hat sich deutlich eingetrübt”, sagte die WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala.
Die Situation im kommenden Jahr würde auch von den Entwicklungen in der Ukraine abhängigen. “Wenn sich der Krieg in der Ukraine verschlimmert, anstatt sich zu bessern, wird das enorme Auswirkungen haben”, so Okonjo-Iweala.
In diesem Jahr wächst der Welthandel jedoch überraschend stärker als im Frühjahr angenommen. Die WTO rechnet für 2022 nun mit einem Wachstum im Warenhandelsvolumen von 3,5 Prozent. Bei ihrer Prognose im April war sie von nur 3,0 Prozent ausgegangen.
Die WTO erklärte, ihre Prognosen seien mit großer Unsicherheit behaftet. Sie gab für dieses Jahr eine Bandbreite der Handelsentwicklung von +2,0 bis +4,9 Prozent an und für 2023 von -2,8 bis +4,6 Prozent. Wetterereignisse, die Lebensmittel produzierende Regionen treffen oder die Infrastruktur für Energieexporte beschädigen, könnten die Entwicklung weiter beeinträchtigen. Dies gelte auch für die schwächere Entwicklung in China, wo Corona-Ausbrüche die Produktion gestört haben.
Okonjo-Iweala sagte, die Welt benötige eine diversifiziertere und weniger konzentrierte Basis für die Produktion von Waren und Dienstleistungen. Dies könnte das Wachstum ankurbeln, die Widerstandsfähigkeit erhöhen und die langfristige Preisstabilität fördern. Denn auf diese Weise werde die Anfälligkeit für extreme Wetterereignisse und lokale Störungen verringert.
Die WTO warnte Regierungen vor dem Reflex, angesichts des schwierigen Umfelds Handelsbarrieren aufzubauen. Ein Rückzug aus globalen Lieferketten könne den Inflationsdruck erhöhen, das Wirtschaftswachstum begrenzen und Einschränkungen im Lebensstandard bringen. Auch zur Bewältigung des Klimawandels sei freier Handel nötig, um neue Technologien auszutauschen. Regierungen dürften bei der Bewältigung kurzfristiger Probleme etwa bei der Energieversorgung die langfristigen Ziele einer Begrenzung des Klimawandels nicht aus den Augen verlieren, sagte Okonjo-Iweala. rtr/dpa
Dänemark wählt noch in diesem Herbst ein neues Parlament. Nach Wochen der Spekulationen gab Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am Mittwoch vor ihrem Amtswohnsitz Marienborg nördlich von Kopenhagen bekannt, dass die nächste Wahl bereits am 1. November stattfinden wird. Damit beugte sie sich letztlich einer Forderung der linksliberalen Partei Radikale Venstre, die mit dem Nerz-Skandal in der Corona-Krise zusammenhängt.
Gewählt werden muss in Dänemark alle vier Jahre – in diesem Fall hätte Frederiksen eigentlich Zeit bis zum 4. Juni 2023. Die Radikale Venstre, die Frederiksens nur aus Sozialdemokraten bestehende Minderheitsregierung unterstützt, hatte der Ministerpräsidentin im Sommer aber ein Ultimatum gestellt: Bis zur Eröffnung des Parlaments nach der Sommerpause am Dienstag sollte die Ministerpräsidentin die Wahl ausgerufen haben. Ansonsten wollte die Partei ein Misstrauensvotum erzwingen.
Hintergrund des Ultimatums ist Frederiksens Rolle im dänischen Nerz-Skandal, bei dem während der Coronavirus-Pandemie Millionen Nerze getötet worden waren. Erst später hatte sich herausgestellt, dass dafür die Rechtsgrundlage gefehlt hatte. Eine unabhängige Kommission hatte in einem Bericht scharfe Kritik an der Ministerpräsidentin und Teilen ihrer Regierung geübt, die die Entscheidung zur Massenkeulung der zur Pelzproduktion gezüchteten Nerze aus Corona-Sorgen getroffen hatte. dpa
“Der EU muss es gelingen, die beiden Prozesse der inneren Reform und der weiteren Öffnung aus geostrategischer Perspektive zusammenzubringen”, sagt Nicolai von Ondarza. Als Leiter der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) beschäftigt sich der engagierte Europäer mit den Grundsatzfragen der EU, etwa mit der Vertiefungs- und Erweiterungspolitik.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine beobachtet er bei der EU einen fundamentalen Wandel: “Die EU-Staaten haben für sich erkannt, dass sie ein starkes geostrategisches Eigeninteresse an einer funktionierenden Erweiterungspolitik haben. Der Kandidatenstatus der Ukraine und der Republik Moldau ist dabei nicht nur ein rein symbolisches Versprechen, sondern der Auftakt zu einem Prozess.” Eine EU 30 Plus komme dabei aber nicht um eine institutionelle Reform herum, um weiterhin handlungsfähig zu bleiben.
Handlungsfähigkeit ist auch ein entscheidendes Stichwort in der Debatte um strategische Souveränität, die von Ondarza mitprägt. Er plädiert für ein neues Verständnis europäischer Souveränität, in dem vor allem im Verteidigungsbereich die USA weiter als Partner mitgedacht werden: “Wir dürfen nicht in die Falle tappen, Nato und EU oder transatlantische Bindung und europäische Bindung gegeneinander auszuspielen.”
Das will von Ondarza nicht nur in der Debatte miteinander verbinden, sondern ist auch gelebter Teil seiner Biografie: Ein Austauschjahr in den USA habe ihm eine transatlantische Perspektive aufgezeigt. Sein Studium der Europäischen Studien in Großbritannien habe ihm immer wieder die Stärken und Möglichkeiten der EU vor Augen geführt.
Seit 2011 arbeitet er in der Stiftung Wissenschaft und Politik auch intensiv zu Großbritannien und Nordirland und setzt sich als Organisator der British-German Outlook Group für den bilateralen Dialog zwischen Deutschland und Großbritannien ein. Er beschreibt den Zeitraum seit 2011 als einen, in dem Großbritannien sich immer mehr polarisiert habe – ebenso wie die Beziehungen mit der EU hinsichtlich des Brexits.
Gespannt erwartet er nun, was die Wahl der neuen Premierministerin Liz Truss und der Tod von Queen Elizabeth II. für das Vereinigte Königreich und die Post-Brexit-Beziehungen zur EU bedeuten. Trotz bevorstehender unruhiger Zeiten und der Vielzahl an Krisen wie das Nordirlandprotokoll, die Energiekrise oder der Brexit, sieht von Ondarza im Tod der Queen erst einmal ein vereinendes Moment für das Land. Auch auf europäischer Ebene beobachtet er eine große Anteilnahme.
“Das ändert aber nichts daran, dass wir wieder auf eine schwierige Situation zwischen Europa und Großbritannien zusteuern“, so von Ondarza. Auch unter der neuen Premierministerin Liz Truss erwartet er “weiterhin harte, konfrontative Rhetorik aus London”. Marlene Resch
ursprünglich wollte die EU-Kommission den Vorschlag für die Chemikalien-Verordnung REACH Ende 2022 vorlegen. Doch offenbar will sie das Vorhaben nun erst mal auf Eis legen – aus Rücksicht auf die Industrie. Wie Markus Grabitz und Till Hoppe erfahren haben, soll der Vorschlag frühestens 2024 kommen. Die Branche hatte vor dem Hintergrund massiv gestiegener Rohstoffpreise wiederholt gefordert, zum aktuellen Zeitpunkt von der Regulierung abzusehen. Doch unter den Mitgliedstaaten rührt sich Widerstand, unter anderem aus Deutschland.
Premiere auf der Prager Burg: Heute kommen die Staats- und Regierungschefs von über 40 europäischen Staaten im neuen Format der Europäischen Politischen Gemeinschaft zusammen. EU-Diplomaten betonten vorab, dass dies keine “EU-plus”-Veranstaltung sei, EU-Mitglieder und Drittstaaten begegneten sich auf Augenhöhe zu Gesprächen über Sicherheit und Stabilität sowie Energie und Wirtschaft. Redebedarf wird es auch beim morgigen informellen EU-Gipfel geben, etwa zum Gaspreisdeckel, über den die Mitgliedstaaten noch immer uneins sind. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen signalisierte im Vorfeld Bereitschaft zu einer Obergrenze für Gaspreise – bei genauerem Hinsehen entpuppt sich ihr Vorschlag aber als verklausulierte Absage an die Deckelung, wie Stephan Israel und Manuel Berkel analysieren.
Die deutschen Gasspeicher sind momentan gut gefüllt. Doch für das kommende Jahr gehen die Bundesregierung und Experten von einer ganz anderen Situation aus. Nach Informationen von Europe.Table rechnet Berlin im anstehenden Frühjahr mit fast leeren Speichern, und auch für Juli und September mit niedrigeren Füllständen als im laufenden Jahr. Der Winter 2023/24 wird nach Ansicht von Experten ebenfalls herausfordernd. “Dieser Winter wird schwierig, aber der nächste Winter könnte auch sehr schwierig werden“, sagte IEA-Chef Fatih Birol gestern in Finnland. Manuel Berkel berichtet.
Aus Rücksicht auf die Industrie wird die EU-Kommission den Vorschlag für die Chemikalien-Verordnung REACH voraussichtlich auf Eis legen. Ursprünglich wollte die Kommission den Vorschlag für die umfassende Chemikalien-Regulierung Ende 2022 vorlegen. Nun soll er nach Informationen von Europe.Table deutlich später kommen, womöglich erst 2024. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe die Verschiebung in der Gruppe von Europaabgeordneten von CDU und CSU angekündigt.
In Kreisen der Kommission wurden die Überlegungen bestätigt. Allerdings liefen die Gespräche noch. Vizepräsident Frans Timmermans und Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius drängen intern darauf, die Reform von REACH noch 2023 vorlegen zu dürfen. Sie befürchten, dass sich das Vorhaben ansonsten noch deutlich länger verzögert, weil 2024 ein neues Europaparlament gewählt und die Kommission neu besetzt wird.
Unterstützung bekommen sie von acht Mitgliedstaaten, darunter Deutschland: In einem Brief forderten sie die Kommission “nachdrücklich auf, mit der geplanten Überarbeitung von REACH fortzufahren und es nicht der nächsten Kommission zu überlassen, ihre Versprechen zu erfüllen”. Das Schreiben, das unter anderem von Bundesumweltministerin Steffi Lemke und ihren Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich, Österreich und Belgien unterzeichnet wurde, liegt Europe.Table vor.
Hintergrund der Verschiebung ist, dass die Unternehmen der chemischen Industrie massiv von den gestiegenen Rohstoffpreisen in der Folge des Krieges gegen die Ukraine betroffen sind. Die Branche hat dringend darum gebeten, die Lasten nicht noch durch neue Regulierungsschritte zu erhöhen. Das Akronym REACH steht für die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Regulierung von Chemikalien. Die Verordnung ist 2007 in Kraft getreten und sollte jetzt im Zuge der EU-Chemikalienstrategie des Green Deal überarbeitet werden.
Die Fäden bei der Kontrolle laufen bei der Europäischen Chemikalienagentur ECHA mit Sitz in Helsinki zusammen. Die EU hatte REACH verabschiedet, weil Unternehmen der chemischen Industrie eine Vielzahl von Substanzen entwickelt und auf den Markt gebracht hatten, ohne dass mögliche Gefahren für Mensch und Umwelt hinreichend abgeklärt worden waren. 15 Jahre nach dem schrittweisen Inkrafttreten von REACH sollte jetzt eine grundlegende Überarbeitung stattfinden.
Der Vorschlag für den EU-Rechtstext ist dem Vernehmen nach so gut wie fertig. Von Januar bis April 2022 fand die öffentliche Konsultation zur Revision von REACH statt. Im Sommer hat die EU-Kommission die Folgenabschätzung für das Gesetz erarbeitet.
Der Branchenverband VCI hatte zuvor die Kommission immer wieder aufgefordert, der Industrie zum jetzigen Zeitpunkt keine weitere kostenintensive Regulierung aufzubürden. Im Juli hatte VCI-Präsident Christian Kullmann darauf hingewiesen: “Schon jetzt sind Unternehmen gezwungen, ihre Produktion bei besonders energieintensiven Prozessen zu drosseln.”
Zu den drastisch gestiegenen Preisen für Energie und Rohstoffe komme nun auch noch der “Unsicherheitsfaktor Brüssel” hinzu, warnte der Lobbyist wörtlich. “Nahezu unbeeindruckt von den aktuellen Entwicklungen legt die EU-Kommission ein Verhalten an den Tag, das nur noch als fahrlässig zu bezeichnen ist.” Statt der Wirtschaft unnötige Zusatzbelastungen zu nehmen, setze sie unbeirrt auf Projekte der Vorkriegszeit und gefalle sich “in der Rolle der globalen Musterschülerin in Sachen Umwelt- und Klimaschutz”.
CDU-Chef Friedrich Merz und die CDU/CSU-Abgeordneten im Europaparlament fordern von der Kommissionspräsidentin seit Längerem ein Belastungsmoratorium für die Unternehmen. Bislang waren sie damit nicht durchgedrungen.
Im Kreis der Abgeordneten wurde die Entscheidung der Kommission, REACH auf Eis zu legen, als überfällig begrüßt. Es wird damit gerechnet, dass die Novelle nicht mehr Teil des neuen Arbeitsprogramms ist, das die EU-Kommission in ihrer Sitzung am 18. Oktober beschließen will. Markus Grabitz, Till Hoppe
10.10.2022 – 10:00-11:30 Uhr, online
ASEW, Seminar Erfahrungsaustausch zu EnSikuMaV, Mwst. & Gas-Umlage
Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) diskutiert Umsetzung und Feedback zur Anfang September in Kraft getretenen Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung (EnSikuMaV). INFOS & ANMELDUNG
10.10.2022 – 16:00-17:30 Uhr, online
ERCST, Roundtable ETS Revision for Phase IV. The EU ETS under trilogues
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) presents and discusses the EU ETS State of Play with relevant stakeholders. INFOS & REGISTRATION
10.10.2022 – 16:30-17:30 Uhr, online
ECFR, Panel Discussion Green future: How can Spain help Europe keep its green transition goals on course through the energy crisis?
The European Council on Foreign Relations (ECFR) explores Spain’s role in building a greener Europe. INFOS & REGISTRATION
11.10.-13.10.2022, Brüssel (Belgien)/online
EASE, Conference Energy Storage Global Conference
The European Association for Storage of Energy (EASE) explores the extent to which energy storage can help avoid dependency on fossil fuels. INFOS & REGISTRATION
11.10.-13.10.2022, Brüssel (Belgien)/online
Hydrogen Europe, Conference Steely Hydrogen
Hydrogen Europe provides an environment to share and exchange experiences on the link between metals and the various aspects of hydrogen. INFOS & REGISTRATION
11.10.-13.10.2022, Rotterdam (Niederlande)
Conference World Hydrogen Congress
The World Hydrogen Congress intends to accelerate the global commercialisation of clean hydrogen. INFOS & REGISTRATION
11.10.2022 – 10:00-15:30 Uhr, Berlin
FNF, Konferenz Reshape Europe – Für eine resiliente und souveräne EU in einer neuen Weltpolitik
The Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) discusses what the Russian war against Ukraine means for the EU and its role in the world. INFOS & ANMELDUNG
11.10.2022 – 10:00-15:30 Uhr, Berlin
BDI, Konferenz Tag der Sicherheit 2022
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) diskutiert über Möglichkeiten zur Stärkung der sicherheitspolitischen Resilienz des Wirtschaftsstandorts Deutschland. INFOS & ANMELDUNG
11.10.2022 – 12:00-19:30 Uhr, Brüssel
EIT Innoveit Summit 2022
The European Institute of Innovation and Technology (EIT) brings together decision makers of the European innovation field to discuss the challenges and opportunities facing innovation in Europe today. INFOS & REGISTRATION
11.10.2022 – 15:00-16:30 Uhr, Brüssel (Belgien)/online
ERCST, Roundtable Expert Consultation: Level of Effort and Treating Non-pricing Policies in the EU CBAM
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) addresses the question of how to compare the level of effort in third countries’ climate policies to that of the EU. INFOS & REGISTRATION
11.10.2022 – 19:30-21:00 Uhr, Oldenburg
KAS, Vortrag Klimawandel – Wenn Wasser zum politischen Sprengstoff wird
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) beleuchtet die Ressource Wasser unter sicherheitspolitischen Aspekten. INFOS & ANMELDUNG
11.10.2022 – 19:30-20:30 Uhr, online
FNF, Vortrag Plattformkapitalismus – Eine Gefahr für den Wettbewerb?
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) diskutiert die Frage, inwiefern Marktkonzentration sich wettbewerbsschädigend auswirkt. INFOS & ANMELDUNG
Kurz vor dem Doppelgipfel diesen Donnerstag und Freitag in Prag hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor dem EU-Parlament in Straßburg im Streit um einen Gaspreisdeckel eine Kehrtwende angedeutet – sie signalisierte grundsätzlich Bereitschaft zu einer Obergrenze für Gaspreise. Später machte ihr Sprecher Eric Mamer eine spektakuläre Ergänzung: Der Kommissionspräsidentin gehe es um eine Preisobergrenze nur für den Gashandel innerhalb der EU.
Noch vor einer Woche hatten die Beamten der Kommission einen solchen Schritt unmissverständlich verworfen. Wenn es im Binnenmarkt nur noch einen – niedrigen – Einheitspreis gebe, seien die Gasflüsse zwischen den Mitgliedstaaten gefährdet und auf dem Verwaltungsweg sei die Zuteilung von Gas praktisch nicht zu leisten, schrieb die Behörde in einem Non-Paper an den Rat der Energieminister.
Zuvor hatten aber 15 Mitgliedstaaten in einem Brief an die Kommission Druck gemacht und einen Vorschlag für einen generellen Gaspreisdeckel – auch beim Import – gefordert. Inzwischen sollen sich weitere EU-Staaten dem Vorstoß angeschlossen haben, so EU-Diplomaten. Sollte die Kommission den Unterzeichnern nun doch entgegenkommen?
Gestern Abend stellte sich heraus, dass von der Leyen ihre scheinbare Konzilianz an Bedingungen knüpft, die Befürworter eines allgemeinen Preislimits kaum akzeptieren dürften. Falls der Preis vorübergehend gedeckelt werden soll, müsse es erstens verpflichtende Solidaritätsvereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten geben. Diese haben bisher aber erst wenige abgeschlossen.
Zweitens brauche es größere Verpflichtungen zum Gassparen. In einem Brief schreibt von der Leyen von EU-weiten Auktionen dafür. Schärfere Verpflichtungen lehnen allerdings gerade einige der Staaten ab, die den Preisdeckel fordern – etwa Polen und Spanien. Von der Leyens Angebot ist also einmal mehr eine verklausulierte Absage an die 15 Mitgliedstaaten. In Berlin, aber auch in Den Haag gab es schon zuvor Vorbehalte gegenüber einem generellen Preisdeckel.
Weiter auf dem Tisch ist allerdings der Kommissionsvorschlag einer Preisobergrenze von Gas für die Stromerzeugung. Von der Leyen bekräftigte am Mittwoch zudem den Vorschlag, die Verhandlungen mit “vertrauenswürdigen Partnern” wie Norwegen zu intensivieren, um den Preis für Gasimporte zu senken. Die Kommission setzt also vorerst auf Freiwilligkeit und auf die Marktmacht der EU. Die Lieferanten hätten ein Interesse, mit der EU Verträge zu schließen, die für beide Seiten von Vorteil seien, so von der Leyen vor dem Parlament. Ziel soll ein “akzeptabler Preiskorridor” sein, Preissprünge sollen so gedämpft werden können.
Vorantreiben will Brüssel gleichzeitig die Idee einer gemeinsamen Einkaufsplattform, um die Marktmacht der EU stärker ausspielen zu können. Von der Leyen will sie am liebsten zum Frühjahr an den Start bringen, wenn die Gasspeicher wieder gefüllt werden müssen. Ein erneutes Überbieten der Mitgliedstaaten soll so verhindert werden.
Parallel dazu schwelt vor dem Gipfel ein Konflikt um nationale Alleingänge bei Hilfspaketen. Im Fokus ist vor allem das 200 Milliarden Euro schwere Paket der Bundesregierung. Deutschland subventioniere einerseits Gas für Haushalte und Unternehmen, ermutigt also den Konsum, so die Kritik. Auf der anderen Seite blockiere Berlin die Preisobergrenze.
Die Kritiker monieren hier nationalen Egoismus und eine gewisse Inkonsequenz. Allen voran dürfte am Gipfel Italiens scheidender Ministerpräsident Mario Draghi ähnlich wie bei der Corona-Pandemie auf ein europäisches Vorgehen bei den Hilfen für Haushalte und Wirtschaft drängen. Ähnlich warnten Binnenmarktkommissar Thierry Breton und Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni in einem Meinungsbeitrag vor einer Fragmentierung des Binnenmarktes. Der Franzose und der Italiener schlagen vor, sich am SURE-Mechanismus zu orientieren, über den während der Pandemie gemeinschaftlich Maßnahmen gegen Kurzarbeit finanziert wurden. In diesem Sinne argumentierte am Mittwoch auch EU-Ratspräsident Charles Michel in einem Meinungsbeitrag in der “Financial Times”.
Der informelle EU-Gipfel am Freitag in Prag soll in erster Linie der Aussprache dienen, um dann beim formellen Gipfel am 20. Oktober Entscheidungen treffen zu können. Heute werden die Staats- und Regierungschefs allerdings zuerst im neuen Format der sogenannten Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) zusammenkommen.
Das Format geht ursprünglich auf eine Idee von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zurück, mit dem Hintergedanken, die EU-Beitrittskandidaten zu vertrösten. Die Bedenken insbesondere auf dem Westbalkan sind inzwischen aber ausgeräumt, die Erwartungen insgesamt positiv. Das Format sei eine “gute Idee”, überschreiben Albaniens Premier Edi Rama und der niederländische Regierungschef Mark Rutte im Vorfeld einen gemeinsamen Meinungsbeitrag. Der Kontinent müsse seine eigene Zukunft gestalten. Das setze voraus, dass alle demokratischen Staaten zusammenarbeiteten.
Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala als derzeitiger EU-Ratsvorsitzender und EU-Ratspräsident Michel haben die Staats- und Regierungschefs von 44 europäischen Staaten zur Premiere auf die Prager Burg eingeladen. Neben den EU-Mitgliedern sind das die EWR-Staaten, Ex-Mitglied Großbritannien, das Nichtmitglied Schweiz, aber auch die östlichen Partner wie Armenien und Aserbaidschan sowie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan.
Alle wollen kommen, außer der dänischen Regierungschefin, die wegen einer dringenden Parlamentsdebatte verhindert ist. Der ukrainische Präsident wird per Video zugeschaltet, während sein Premier vor Ort sein soll. Ziel sei es, eine politische Plattform zu schaffen, um über Frieden und Prosperität auf dem Kontinent zu reden, so EU-Diplomaten. Betont wird, dass die EPG keine “EU-plus”-Veranstaltung sei, EU-Mitglieder und Drittstaaten sich auf Augenhöhe begegnen sollen.
Das Treffen vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine beginnt mit einem Plenum um 13 Uhr. Später verteilt man sich auf zwei runde Tische, an denen über Sicherheit und Stabilität sowie über Energie und Wirtschaft gesprochen werden soll. Auch Zeit für bilaterale Gespräche ist reserviert. Bei einem Arbeitsessen am Abend sollen die Ergebnisse ausgetauscht werden. Schlussfolgerungen sind nicht geplant, aber “eine Botschaft der Geschlossenheit und der Solidarität” – sofern Spannungen etwa zwischen Aserbaidschan und Armenien oder zwischen der Türkei und Griechenland die Harmonie nicht stören.
Geplant ist laut Diplomaten, dass die Europäische Politische Gemeinschaft alle sechs bis acht Monate zusammenkommt. Die britische Premierministerin Liz Truss, die zuerst gar nicht anreisen wollte, hat London als nächsten Veranstaltungsort angeboten. Großbritannien könne bei einer späteren Gelegenheit zum Zug kommen, so EU-Diplomaten. Der nächste EPG-Gipfel werde im Osten des Kontinents stattfinden, konkret voraussichtlich in Chişinău, der Hauptstadt der Republik Moldau. Mit Manuel Berkel
Trotz neuer LNG-Terminals erwartet die Bundesregierung 2023 bis in den Sommer niedrigere Füllstände der Gasspeicher als im laufenden Jahr. Für den 1. Mai rechnet Berlin damit, dass die deutschen Speicher nur noch zu zehn Prozent gefüllt sind. Anfang Mai dieses Jahres waren die deutschen Speicher dagegen noch zu rund 36 Prozent gefüllt, wie Daten des europäischen Gasverbandes GIE zeigen.
Die Angaben teilte die EU-Kommission auf Anfrage von Europe.Table mit. EU-Staaten mit Gasspeichern müssen der Behörde seit diesem Jahr jeweils zum 15. September melden, welchen Befüllungspfad sie für Februar, Mai, Juli und September des Folgejahres erwarten. Eine vollständige Übersicht über die Meldungen will die Kommission nach Angaben einer Sprecherin Mitte November veröffentlichen.
Wie Europe.Table vorab erfuhr, rechnet die Bundesregierung auch für den 1. Juli und den 1. September 2023 mit niedrigeren Füllständen der Gasspeicher als im laufenden Jahr. Während der Bund für diese Termine 30 und 65 Prozent erwartet, waren es in diesem Jahr 61 und 85 Prozent. Das Bundeswirtschaftsministerium wollte sich dazu nicht äußern.
Die für Anfang Mai erwartete Gasmenge entspricht einem Zehnjahrestief. Weniger als 24 Terawattstunden Erdgas befanden sich nach den Daten von GIE zuletzt im April 2013 in den deutschen Speichern.
Viele Experten rechnen damit, dass der Winter 2023/24 noch herausfordernder werden könnte als der bevorstehende. Für das Ende der Heizperiode erwartet die Internationale Energieagentur (IEA), dass die europäischen Speicher im Schnitt noch zu 25 bis 30 Prozent gefüllt sind. “Dieser Winter wird schwierig, aber der nächste Winter könnte auch sehr schwierig werden”, sagte IEA-Chef Fatih Birol am Mittwoch vor Journalisten in Finnland.
Laut dem Energiekonzern RWE könnten die Gasspeicher im kommenden Frühjahr noch mit 15 bis zu mehr als 30 Prozent gefüllt sein: Die Entwicklung sei abhängig davon, wie stark die Temperaturen sinken, wie sich die Lage der Atomkraft in Frankreich entwickelt und wie viel Windkraft erzeugt werden könne, sagte Konzernchef Markus Krebber am Dienstag im Gespräch mit Analysten.
Im weiteren Verlauf wird die Lage wohl angespannt bleiben. “Ein Niveau von 90 Prozent wird im kommenden Jahr nicht wieder erreicht”, sagte der Vizepräsident des IfW Kiel, Stefan Kooths, zu Europe.Table. Dabei bezog sich der Konjunkturchef des Instituts auf das Herbstgutachten für das BMWK von Ende September.
Bis Juli deckten sich die Simulationen des IfW und der anderen drei beteiligten Institute mit dem Befüllungspfad, den die Bundesregierung nach Brüssel gemeldet hat. “Für Anfang September und Anfang November 2023 liefert unser Modell allerdings Füllstande von 56 Prozent beziehungsweise 65 Prozent und ab dann wieder abfallend”, erläutert Kooths. Zumindest für September 2023 ist die jüngste Meldung des BMWK also optimistischer als die Erwartung der Wirtschaftsforscher. Kooths glaubt trotzdem nicht, dass mit der besseren Septemberprognose wieder ein Pegel von 90 Prozent erreicht wird.
Eine schlechtere Entwicklung der Speicherstände hatte Anfang August außerdem die Bundesnetzagentur simuliert. Von den acht Szenarien für einen Lieferstopp über Nord Stream 1 sah nur eines ähnliche Füllstände der Gasspeicher für Mai und Juli wie nun die Bundesregierung. Andere Rechnungen prognostizierten teils monatelang vollständig entleerte Speicher.
Auffällig optimistisch ist Berlin nun für den nächsten Februar: Die Bundesregierung meldete ihre gesetzlich fixierte Zielmarke nach Brüssel – einen Füllstand von 40 Prozent. Die Netzagentur aber rechnet bei einem Ausfall von Nord Stream bestenfalls mit 20 Prozent.
Bundeskanzler Olaf Scholz und der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez haben bei dem 25. spanisch-deutschen Gipfel in der nordwestspanischen Stadt A Coruña ihr gemeinsames Engagement für die Midcat-Gaspipeline bekräftigt. Diese soll den Energietransport von der Iberischen Halbinsel ins Zentrum Europas erleichtern. Der französische Präsident Emmanuel Macron spricht sich aber gegen das Projekt aus.
“Wir werden uns weiterhin für eine größere Verbindungskapazität der Iberischen Halbinsel einsetzen, um ihren Beitrag zur Versorgungssicherheit der gesamten EU zu stärken”, heißt es in dem gemeinsamen Aktionsplan in Bezug auf Midcat. Nicht enthalten ist eine gemeinsame Zustimmung zur Deckelung des Gaspreises für die Stromerzeugung auf europäischer Ebene. Es ist einer der Aspekte, die Sánchez in Brüssel vehement verteidigt hat.
Auf der Pressekonferenz nach der Unterzeichnung der Abkommen am Mittwoch erinnerte Sánchez daran, dass die Frage der Energieverbundnetze bereits 2015 auf europäischer Ebene vereinbart wurde. “Obwohl man sich auf europäischer Ebene verpflichtet hat, einen Verbundgrad von 10 Prozent zu erreichen, liegen wir unter 5 Prozent, bei nicht einmal 3 Prozent.” Er betonte, dass Spanien mit seinen sechs Regasifizierungsanlagen dazu beitragen könne, die Abhängigkeit von russischem Gas zu überwinden.
Präsident Emmanuel Macron hat in den vergangenen Monaten abgelehnt, das Midcat-Projekt zu unterstützen, da er es für unwirtschaftlich und unrentabel hält. In A Coruña wies Scholz darauf hin, dass in Europa mehr Energie-Verbundnetze benötigt werden. “Wenn einige Verbindungen jetzt nicht sehr profitabel sind, können sie es in Zukunft werden. Das ist eine Frage, bei der alle Länder zusammenarbeiten müssen”, so der Bundeskanzler.
Der von den beiden Ländern unterzeichnete Aktionsplan konzentriert sich auch auf die Bereiche Arbeit und Hochschulbildung. An dem Treffen nahmen auch acht Minister aus Spanien und sieben Minister aus Deutschland teil. Die letzten Regierungskonsultationen zwischen Spanien und Deutschland fanden vor neun Jahren statt – zwischen der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem damaligen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy.
Der gemeinsame Aktionsplan, der von Deutschland und Spanien im Rahmen der EU bilateral entwickelt werden soll, hat sechs grundlegende Achsen. Neben den Bereichen Sicherheit und Verteidigung werden auch Ziele im Bereich der außenpolitischen Zusammenarbeit, einschließlich der Migration, festgelegt und die südliche Nachbarschaft erwähnt, die für die Regierung Sánchez von besonderer Bedeutung ist. Isabel Cuesta
Die EU-Staaten haben ein achtes Paket mit Sanktionen gegen Russland auf den Weg gebracht. Die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten billigten am Mittwoch unter anderem die rechtlichen Voraussetzungen für einen von den G7-Staaten unterstützten Preisdeckel für Ölimporte aus Russland. Das bestätigten mehrere Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. Die Einigung muss noch im schriftlichen Verfahren von den Hauptstädten bestätigt werden.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte das Paket Mitte vergangener Woche als Reaktion auf die jüngste Eskalation Russlands im Krieg gegen die Ukraine vorgeschlagen. “Wir akzeptieren weder die Scheinreferenden noch irgendeine Art von Annexion in der Ukraine”, sagte die deutsche Politikerin.
Teil der Grundsatzeinigung zu den neuen Sanktionen sind verschiedene Exportverbote, die etwa bestimmte Schlüsseltechnologien für die Luftfahrt betreffen. Zudem soll es unter anderem ein Importverbot für bestimmten Stahl aus Russland geben. Auch soll es EU-Bürgern künftig verboten sein, Sitze in Führungsgremien russischer Staatsunternehmen einzunehmen. Dafür hatte sich vor allem die Bundesregierung eingesetzt, nachdem Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) lange Aufsichtsratschef des russischen Ölkonzerns Rosneft gewesen war.
Hinzu kommen etwa Strafmaßnahmen gegen Personen, die bei der Durchführung der Scheinreferenden in den mittlerweile durch Russland annektierten Gebieten auf ukrainischem Gebiet geholfen haben. Sie werden mit Einreiseverboten und Vermögenssperren belegt.
Mit dem neuen Sanktionspaket schaffen die EU-Staaten auch die Grundlage dafür, dass Russland Öl künftig für einen deutlich niedrigeren Preis an große Abnehmer wie Indien verkaufen muss als derzeit. So sollen die Einnahmen Moskaus reduziert werden, aus denen auch der Krieg gegen die Ukraine finanziert wird. dpa
Die Welthandelsorganisation (WTO) rechnet für das kommende Jahr mit einem spürbar geringeren globalen Handel als zuletzt. Der Warenhandel werde nur noch um 1,0 Prozent steigen, teilte die WTO am Mittwoch in Genf mit. Bisher war die Organisation noch von 3,4 Prozent Wachstum ausgegangen. “Das Bild für 2023 hat sich deutlich eingetrübt”, sagte die WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala.
Die Situation im kommenden Jahr würde auch von den Entwicklungen in der Ukraine abhängigen. “Wenn sich der Krieg in der Ukraine verschlimmert, anstatt sich zu bessern, wird das enorme Auswirkungen haben”, so Okonjo-Iweala.
In diesem Jahr wächst der Welthandel jedoch überraschend stärker als im Frühjahr angenommen. Die WTO rechnet für 2022 nun mit einem Wachstum im Warenhandelsvolumen von 3,5 Prozent. Bei ihrer Prognose im April war sie von nur 3,0 Prozent ausgegangen.
Die WTO erklärte, ihre Prognosen seien mit großer Unsicherheit behaftet. Sie gab für dieses Jahr eine Bandbreite der Handelsentwicklung von +2,0 bis +4,9 Prozent an und für 2023 von -2,8 bis +4,6 Prozent. Wetterereignisse, die Lebensmittel produzierende Regionen treffen oder die Infrastruktur für Energieexporte beschädigen, könnten die Entwicklung weiter beeinträchtigen. Dies gelte auch für die schwächere Entwicklung in China, wo Corona-Ausbrüche die Produktion gestört haben.
Okonjo-Iweala sagte, die Welt benötige eine diversifiziertere und weniger konzentrierte Basis für die Produktion von Waren und Dienstleistungen. Dies könnte das Wachstum ankurbeln, die Widerstandsfähigkeit erhöhen und die langfristige Preisstabilität fördern. Denn auf diese Weise werde die Anfälligkeit für extreme Wetterereignisse und lokale Störungen verringert.
Die WTO warnte Regierungen vor dem Reflex, angesichts des schwierigen Umfelds Handelsbarrieren aufzubauen. Ein Rückzug aus globalen Lieferketten könne den Inflationsdruck erhöhen, das Wirtschaftswachstum begrenzen und Einschränkungen im Lebensstandard bringen. Auch zur Bewältigung des Klimawandels sei freier Handel nötig, um neue Technologien auszutauschen. Regierungen dürften bei der Bewältigung kurzfristiger Probleme etwa bei der Energieversorgung die langfristigen Ziele einer Begrenzung des Klimawandels nicht aus den Augen verlieren, sagte Okonjo-Iweala. rtr/dpa
Dänemark wählt noch in diesem Herbst ein neues Parlament. Nach Wochen der Spekulationen gab Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am Mittwoch vor ihrem Amtswohnsitz Marienborg nördlich von Kopenhagen bekannt, dass die nächste Wahl bereits am 1. November stattfinden wird. Damit beugte sie sich letztlich einer Forderung der linksliberalen Partei Radikale Venstre, die mit dem Nerz-Skandal in der Corona-Krise zusammenhängt.
Gewählt werden muss in Dänemark alle vier Jahre – in diesem Fall hätte Frederiksen eigentlich Zeit bis zum 4. Juni 2023. Die Radikale Venstre, die Frederiksens nur aus Sozialdemokraten bestehende Minderheitsregierung unterstützt, hatte der Ministerpräsidentin im Sommer aber ein Ultimatum gestellt: Bis zur Eröffnung des Parlaments nach der Sommerpause am Dienstag sollte die Ministerpräsidentin die Wahl ausgerufen haben. Ansonsten wollte die Partei ein Misstrauensvotum erzwingen.
Hintergrund des Ultimatums ist Frederiksens Rolle im dänischen Nerz-Skandal, bei dem während der Coronavirus-Pandemie Millionen Nerze getötet worden waren. Erst später hatte sich herausgestellt, dass dafür die Rechtsgrundlage gefehlt hatte. Eine unabhängige Kommission hatte in einem Bericht scharfe Kritik an der Ministerpräsidentin und Teilen ihrer Regierung geübt, die die Entscheidung zur Massenkeulung der zur Pelzproduktion gezüchteten Nerze aus Corona-Sorgen getroffen hatte. dpa
“Der EU muss es gelingen, die beiden Prozesse der inneren Reform und der weiteren Öffnung aus geostrategischer Perspektive zusammenzubringen”, sagt Nicolai von Ondarza. Als Leiter der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) beschäftigt sich der engagierte Europäer mit den Grundsatzfragen der EU, etwa mit der Vertiefungs- und Erweiterungspolitik.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine beobachtet er bei der EU einen fundamentalen Wandel: “Die EU-Staaten haben für sich erkannt, dass sie ein starkes geostrategisches Eigeninteresse an einer funktionierenden Erweiterungspolitik haben. Der Kandidatenstatus der Ukraine und der Republik Moldau ist dabei nicht nur ein rein symbolisches Versprechen, sondern der Auftakt zu einem Prozess.” Eine EU 30 Plus komme dabei aber nicht um eine institutionelle Reform herum, um weiterhin handlungsfähig zu bleiben.
Handlungsfähigkeit ist auch ein entscheidendes Stichwort in der Debatte um strategische Souveränität, die von Ondarza mitprägt. Er plädiert für ein neues Verständnis europäischer Souveränität, in dem vor allem im Verteidigungsbereich die USA weiter als Partner mitgedacht werden: “Wir dürfen nicht in die Falle tappen, Nato und EU oder transatlantische Bindung und europäische Bindung gegeneinander auszuspielen.”
Das will von Ondarza nicht nur in der Debatte miteinander verbinden, sondern ist auch gelebter Teil seiner Biografie: Ein Austauschjahr in den USA habe ihm eine transatlantische Perspektive aufgezeigt. Sein Studium der Europäischen Studien in Großbritannien habe ihm immer wieder die Stärken und Möglichkeiten der EU vor Augen geführt.
Seit 2011 arbeitet er in der Stiftung Wissenschaft und Politik auch intensiv zu Großbritannien und Nordirland und setzt sich als Organisator der British-German Outlook Group für den bilateralen Dialog zwischen Deutschland und Großbritannien ein. Er beschreibt den Zeitraum seit 2011 als einen, in dem Großbritannien sich immer mehr polarisiert habe – ebenso wie die Beziehungen mit der EU hinsichtlich des Brexits.
Gespannt erwartet er nun, was die Wahl der neuen Premierministerin Liz Truss und der Tod von Queen Elizabeth II. für das Vereinigte Königreich und die Post-Brexit-Beziehungen zur EU bedeuten. Trotz bevorstehender unruhiger Zeiten und der Vielzahl an Krisen wie das Nordirlandprotokoll, die Energiekrise oder der Brexit, sieht von Ondarza im Tod der Queen erst einmal ein vereinendes Moment für das Land. Auch auf europäischer Ebene beobachtet er eine große Anteilnahme.
“Das ändert aber nichts daran, dass wir wieder auf eine schwierige Situation zwischen Europa und Großbritannien zusteuern“, so von Ondarza. Auch unter der neuen Premierministerin Liz Truss erwartet er “weiterhin harte, konfrontative Rhetorik aus London”. Marlene Resch