US-Präsident Joe Biden und die Staats- und Regierungschefs Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens haben am Montag in einem Videotelefonat ihre Entschlossenheit bekräftigt, Russland für seine “unprovozierte und ungerechtfertigte Invasion in der Ukraine” weiter zur Rechenschaft zu ziehen, erklärte das Weiße Haus in einer Mitteilung. US-Außenminister Antony Blinken denkt dabei auch an einen Importstopp für russisches Öl, die deutsche Bundesregierung lehnt dies weiterhin ab. Trotzdem wird es zu Einschränkungen auf dem deutschen Ölmarkt kommen – Shell hat angekündigt, kurzfristige Lieferungen von Heizöl und anderen Mineralölprodukten an einigen Handelsplätzen einzuschränken. Manuel Berkel analysiert, warum ein Ölembargo vom politischen Willen Saudi Arabiens abhängt.
Nachdem gestern auch die dritte Verhandlungsrunde zwischen der Ukraine und Russland keine großen Erfolge gebracht hat, könnte es heute von russischer Seite einen Terminvorschlag für ein viertes Gespräch geben. Das sagte Leonid Sluzki gestern im staatlichen russischen Fernsehen. Laut der Nachrichtenagentur Reuters sind bisher 406 Zivilisten durch den Angriff russischer Truppen gestorben, die humanitäre Lage ist katastrophal.
Die schwere Konfrontation der EU mit Russland darf nach Ansicht des EU-Kommissionsvizepräsidenten Frans Timmermans nicht zu Kompromissen bei der EU-Klimapolitik führen. “Ich denke, es wäre ein historischer Fehler, aus dieser Sicherheitsherausforderung zu schlussfolgern, dass der Grüne Deal und Fit for 55 jetzt zurückgestellt werden können”, sagte Timmermans. Lukas Scheid zeigt auf, wie der Krieg dem Green Deal nun neue Antriebskraft verliehen hat.
Während der COVID-19-Pandemie hat sich der europäische Rahmen im Bereich Gesundheit als unzureichend erwiesen. Die EU-Kommission hat dafür einen Vorschlag für ein Gesetzgebungspaket zur Schaffung einer europäischen Gesundheitsunion angenommen. Im Gastbeitrag diskutiert Anne Bucher, ehemalige Generaldirektorin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in der Europäischen Kommission und jetzt non-Resident Fellow beim europäischen Think Tank Bruegel, welche Aufgaben die europäische Gesundheitsunion erfüllen sollte – sollte sie sich auf Krisenprävention beschränken oder eher einen umfassenderen Public Health-Ansatz haben?
Der Ölriese Shell habe Händler in Deutschland darüber informiert, dass kurzfristige Lieferungen von Heizöl und anderen Mineralölprodukten an einigen Handelsplätzen eingeschränkt werden könnten. Wie Bloomberg berichtet, will Shell dadurch seine Verpflichtungen aus Langfristverträgen sichern. Es ist die jüngste Reaktion auf die steigende Nachfrage an den Märkten angesichts der Diskussionen über ein mögliches Embargo auf Ölexporte aus Russland.
Am Sonntag hatte US-Außenminister Antony Blinken erklärt, die USA sprächen mit den europäischen Verbündeten über Möglichkeiten, einen Stopp russischer Öllieferungen durchzusetzen. Eine Entscheidung sei noch nicht getroffen, hieß es gestern in Washington. “Aber wenn es geschieht, werden es vermutlich nur die USA sein.”
Die Bundesregierung bekräftigte ihre ablehnende Haltung. Bundeskanzler Olaf Scholz teilte mit, man arbeite seit Monaten mit Hochdruck daran, Alternativen zur russischen Energie zu entwickeln. “Das geht aber nicht von heute auf morgen. Daher ist es eine bewusste Entscheidung von uns, auch weiterhin die Aktivitäten der Wirtschaftsunternehmen im Bereich der Energieversorgung mit Russland weiterzuführen.”
Am späten Montagabend warnte Russlands Vize-Ministerpräsident Alexander Nowak von einem Ölpreis von mehr als 300 Dollar je Barrel (159 Liter), sollten die USA und die EU Importe aus Russland verbieten. Ein solcher Schritt hätte katastrophale Konsequenzen für den Weltmarkt, sagte Nowak in einem Video im staatlichen Fernsehen.
Russland könnte laut Nowak die Erdgasversorgung über die Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland kappen. Ein “Embargo für den Gastransport durch die Nord Stream 1 Gaspipeline” wäre angesichts der “unbegründeten Anschuldigungen gegen Russland bezüglich der Energiekrise in Europa und des Verbots von Nord Stream 2” gerechtfertigt, heißt es in dem Video weiter. “Aber bislang haben wir das nicht beschlossen.”
Ein Embargo gegen Öl aus Russland ließe sich wohl auch nur mit dem politischen Willen Saudi-Arabiens durchsetzen. “Für Öl haben wir zwar diversere Lieferquellen als für Gas. Um schnell ausreichende Mengen an Rohöl und Ölprodukten zu verschiffen, müsste aber ein größerer Lieferant her und das wäre Saudi-Arabien”, sagte Jacopo Maria Pepe von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Gespräch mit Europe.Table.
“Ich bin zuversichtlich, dass die EU innerhalb von sechs Monaten neue Ölmengen ankaufen kann”, sagte Pepe und machte zugleich deutlich, dass eine mögliche Ausweitung der saudischen Fördermengen eine politische Frage sei. “Bisher hält Saudi-Arabien am Abkommen mit Russland fest, die Fördermengen nur koordiniert auszuweiten. Allerdings könnten die Saudis ein Interesse haben, eine entstehende Marktlücke zu füllen und den Russen Marktanteile abzunehmen.” Dagegen sprächen allerdings die Verflechtungen Russlands in die Sicherheitspolitik des Nahen Ostens. Falls die Sanktionen gegen den saudischen Konkurrenten Iran fielen, könnte zudem Teheran wieder Öl in den Westen exportieren.
An einem Ersatz russischer Öllieferungen hängen also viele geopolitische Unwägbarkeiten. Den Halbjahreszeitraum bis zu einem Einspringen Saudi-Arabiens könnte die EU nach Ansicht Pepes mit ihren Ölreserven überbrücken. Die Frage ist allerdings, ob die Staatengemeinschaft ihre strategischen Reserven auf neue Lieferungen verwettet.
Die Mineralölwirtschaft in Deutschland habe bereits die Reduzierung von russischen Importen eingeleitet, sagte ein Sprecher des Verbandes En2X auf Anfrage. Dies gelte sowohl für Rohöl als auch für Mineralölprodukte, vorrangig Diesel. “Im vergangenen Jahr stammten 34 Prozent des in Deutschland verarbeiteten Rohöls aus Russland. Eine derartig große Energiemenge in kurzer Zeit zu ersetzen, ist extrem anspruchsvoll und nicht vollständig realisierbar.”
Zwei Drittel des russischen Importrohöls gelangen über die Druschba-Pipeline nach Ostdeutschland zu den Raffinerien in Leuna und Schwedt, der Rest auf dem Seeweg in das ganze Bundesgebiet. “Im Falle Ostdeutschlands besteht die Option einer Ersatzbelieferung mit Rohöl über Ostseehäfen, jedoch mit eingeschränkter Kapazität”, erklärte der En2X-Sprecher. Laut Pepe von der SWP müssten dafür Kapazitäten an den Häfen in Rostock und Danzig frei sein.
Wie die EU ihre Abhängigkeit von russischen Energielieferungen verringern kann, ist Thema einer Kommissionsmitteilung, die heute um 15:30 Uhr vorgestellt werden soll (Europe.Table berichtete). Erwartet werden unter anderem Vorgaben zur Mindestbefüllung von Erdgasspeichern bis zum Herbst.
An den Börsen führt dies bereits zu einer Preisumkehr. Für Lieferungen bis September lagen die Preise am Montag für den Handelspunkt TTF in jedem Monat über 200 Euro pro Megawattstunde, für Januar – wo normalerweise mit einer hohen Nachfrage zu rechnen ist – dagegen bei nur 140 Euro. mit rtr, dpa
Der Green Deal ist durch den Ukraine-Krieg eine sicherheitspolitische Aufgabe geworden. In dieser Analyse waren sich angesichts des Krieges in der Ukraine beinahe alle einig, als Exekutiv-Vizepräsident Frans Timmermans am Montag zum Meinungsaustausch in den Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) kam. “Der einzige Weg, sich nicht unter Druck setzen zu lassen, weil man Putins Kunde ist, ist, nicht mehr sein Kunde zu sein”, sagte der Green-Deal-Kommissar und versprach, am Dienstag die entsprechenden Instrumente vorzustellen. Die Kommission wird dann in einer Mitteilung erklären, wie die EU ihre Energieabhängigkeit von Russland verringern kann (Europe.Table berichtete).
Einige Parlamentarier:innen erhoffen sich, dass auch ein Embargo auf russische Ölimporte zu den Instrumenten zählt (Europe.Table berichtete). Man müsse Lieferungen aus Russland stoppen, allerdings nicht in einem Jahr, sondern heute, forderte die schwedische Renew-Abgeordnete Emma Wiesner. Tiemo Wölken (S&D) forderte Timmermans auf, die Machbarkeit eines Embargos zu prüfen.
Bas Eickhout von den Grünen will dagegen eine Überarbeitung und Anhebung der Ziele des Fit-for-55-Pakets, um die Effektivität beispielsweise durch die Energieeffizienzrichtlinie zu erhöhen. Peter Liese (EVP) sieht das ähnlich und forderte, dass das Ambitionsniveau beim Erneuerbaren-Ausbau (RED III) auf 45 Prozent Erneuerbaren-Anteil bis 2030 anzuheben (Europe.Table berichtete). Die Kommission hatte 40 Prozent vorgeschlagen. Eine derartige fraktionsübergreifende Einigkeit, die Ambitionen des Green Deals zu erhöhen und deren Umsetzung zu beschleunigen, ist neu und dürfte trotz einiger weniger Gegner im Parlament für noch mehr Einsatz für das Fit-for-55-Paket sorgen.
EU-Kommissar Timmermans begrüßte die Forderungen nach höheren Zielen. Und auch in einem Entwurf der Abschlusserklärung des informellen EU-Gipfels, der am Donnerstag und Freitag in Versailles stattfindet, ist von einer “Beschleunigung der Entwicklung erneuerbarer Energien und der Produktion ihrer wichtigsten Bestandteile sowie Straffung der Genehmigungsverfahren für Energieprojekte” die Rede. Außerdem im Entwurf: Verbesserung der Interkonnektivität der europäischen Strom- und Gasnetze sowie deren Harmonisierung untereinander.
Peter Liese betonte aber auch, dass zusätzlich kurzfristig Kompromisse gemacht werden müssten. Dazu gehöre auch darüber nachzudenken, ob Kohlekraftwerke und insbesondere Kernkraftwerke in Deutschland verlängert werden müssen. Für die kommenden zwei bis drei Jahre würde dies helfen, um unabhängiger von russischem Gas zu sein, sagte Liese.
Timmermans forderte zudem mit Fingerzeig auf jene Länder, die während der Energiewende auf Gas als Brückentechnologie setzen, dass man diese nicht brauche und stattdessen direkt zu Erneuerbaren übergehen sollte. Auch er ist der Meinung, dass man dafür notfalls Kohlekraftwerke länger laufen lassen sollte.
In einigen Ländern wurden bereits erste Maßnahmen dafür getroffen. Italien will bis zur Jahresmitte etwa die Hälfte seiner derzeitigen Gas-Importe aus Russland durch andere Quellen ersetzen. Das sagte der Minister für ökologischen Wandel, Roberto Cingolani, dem italienischen Staatsfernsehen. Italien importiert mehr als 90 Prozent seines Erdgases. Im vergangenen Jahr machte russisches Gas etwa 40 Prozent dieser Einfuhren aus.
Und auch bei der Ampel-Regierung in Berlin bewegt sich etwas. War die FDP vor wenigen Wochen noch eher zögerlich, große Summen in die Abkehr von fossilen Energieträgern zu investieren, geht es jetzt darum, die sogenannten “Freiheitsenergien” zu fördern, wie Finanzminister Christian Lindner die Erneuerbaren mittlerweile nennt. Bis 2026 will die Bundesregierung über den neuen Klima- und Transformationsfonds (KTF) rund 200 Milliarden Euro in Klimaschutz, den Ausbau der Ladeinfrastruktur, Wasserstoff-Technologien sowie in die Dekarbonisierung der Industrie investieren.
Grund für den Sinneswandel bei den Liberalen ist ebenfalls die Erkenntnis, dass Unabhängigkeit von Russland nur mit CO2-armen Technologien möglich ist. Außerdem, so war es am Montag aus dem Finanzministerium zu hören, soll das Geld ohne zusätzliche Schulden locker gemacht werden können. Ein wichtiger Aspekt für die FDP. Mit Rücklagen aus dem Energie- und Klimafonds (EKF) der alten Bundesregierung sowie höher veranschlagten Erlösen aus dem europäischen Emissionshandelssystem (ETS) sollen Versorgungssicherheit und Klimaschutz der kommenden vier Jahre finanziert werden.
EU-Kommissar Timmermans versprach am Montag, die Kommission werde ihren Teil tun, Genehmigungen zu erteilen und die Möglichkeit bieten, dieses Geld auch auszugeben, da sie für die Prüfung und Genehmigung bestimmter nationaler Gesetzgebungen zuständig ist. Derlei Prozesse müssten nun mehr denn je beschleunigt werden, erklärte er, um schlussendlich die Energiewende und die Abkehr von fossilen Energieträgern voranzutreiben.
Beschleunigt werden könnte auch der Einsatz von Biogas. Fünf Prozent der russischen Gasimporte könnten umgehend durch Biogas ersetzt werden, sagte Horst Seide, der Präsident des Fachverbands Biogas am Montag. Dafür müsse jedoch die Deckelung der staatlichen Subventionen für Biogasanlagen durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz aufgehoben werden. Zudem könnte ein schnellerer Ausbau von Biogasanlagen in ganz Europa die Abhängigkeit von russischem Erdgas noch weiter reduzieren.
Bis 2030 könnten in Europa 35 Milliarden Kubikmeter “grünes Gas” zusätzlich produziert werden, sagte Harmen Dekker, der Vorsitzende des europäischen Biogasverbands. Das seien bereits zwei Drittel der Kapazität von Nord Stream 2. Ein Ziel, das die EU-Kommission heute ebenfalls in ihrer Mitteilung zu Energiepreisen vorstellen wird (Europe.Table berichtete). In dem Entwurf der EU-Gipfel-Erklärung wird Biogas ebenfalls als eine Möglichkeit zur Energie-Diversifizierung genannt. Mit dpa/rtr
09.03.-11.03.2022, online
BVMed, Seminar Fit for digitale Gesundheitsanwendungen
Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) beschäftigt sich mit den Herausforderungen, auf die Hersteller von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) stoßen. INFOS & ANMELDUNG
09.03.2022, online
High-Tech Gründerfonds, Conference MedTech Pitch Day 2022
The High-Tech Gründerfonds gives MedTech-Startups the opportunity to present their business models. INFOS
09.03.2022 – 09:00-15:00 Uhr, online
BDE, Vortrag Datenschutz in der Abfallwirtschaft
Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE) widmet sich der Vielzahl datenschutzrechtlicher Spezialvorschriften, die für die Abfallwirtschaft relevant sind. INFOS & ANMELDUNG
09.03.2022 – 09:00-12:15 Uhr, online
VKU, Konferenz Cybersicherheit in der Entsorgungswirtschaft
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) geht der Frage nach, wie Unternehmen ihre IT-Systeme gesetzessicher aufstellen können. INFOS & ANMELDUNG
10.03.2022 – 09:00-11:00 Uhr, online
ECFR, Panel Discussion The EU and Japan: Strategic partners in the Indo-Pacific
The European Council on Foreign Relations (ECFR) discusses the geopolitical relevance of the Indo-Pacific for the EU and Japan. INFOS & LIVESTREAM
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Digital Europe, Discussion Mind the Gap: Empowering Europe through Connectivity
Digital Europe addresses Europe’s connectivity strategy and goals and asks whether they are ambitious enough. INFOS & REGISTRATION
10.03.2022 – 16:00-20:00 Uhr, Hörstel
BVMW, Konferenz Der Wasserstoffaufschwung im Mittelstand
Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) thematisiert, welche Bedeutung Wasserstoff für mittelständische Unternehmen in ihrer Energieversorgung hat. INFOS & ANMELDUNG
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VWS, Podiumsdiskssuion Künstliche Intelligenz in der Kulturlandschaft
Die Volkswagenstiftung (VWS) fragt nach der Bedeutung der Künstlichen Intelligenz für Kunst und Kultur. INFOS & ANMELDUNG
10.03.2022 – 19:00 Uhr, online
SZ Wirtschaftsgipfel Salon – Ist der CFO der wahre Nachhaltigkeitstreiber?
Die Süddeutsche Zeitung diskutiert die Rolle des Chief Financial Officers in der Nachhaltigkeitsstrategie von Unternehmen. INFOS & ANMELDUNG
Die Preise für Öl und Gas klettern auf immer neue Rekordstände, zugleich bricht vielen Unternehmen das Geschäft mit Russland und der Ukraine weg. Die EU-Staats- und Regierungschefs werden daher beim informellen Gipfel in Versailles am Donnerstag und Freitag darüber diskutieren, wie die EU-Wirtschaft angesichts der neuen Krise gestützt werden kann.
Zu den Optionen zählen neue, über gemeinsame Anleihen finanzierte Instrumente. Selbst traditionell zurückhaltende Mitgliedstaaten wie die Niederlande lehnen diesen Weg nicht grundsätzlich ab: “Wir sind offen, aber wir sagen auch nicht: Ja, natürlich”, sagte Finanzministerin Sigrid Kaag im Gespräch mit Europe.Table und einigen anderen Medien.
Es sei zunächst Aufgabe der EU-Kommission, Fakten zusammenzutragen und einen Vorschlag vorzulegen, so Kaag: “Wir brauchen Kriterien, um bewerten zu können, ob und unter welchen Umständen die vorhandenen Instrumente ausreichen”. Betrachte man nur die Abhängigkeiten der einzelnen Staaten und deren Industrien von Öl und Gas? Oder berücksichtige man, wie stark einzelne Sektoren von dem Abbruch der Import- und Exportbeziehungen betroffen seien?
Schließlich seien nicht alle Länder gleichermaßen betroffen, so Kaag. Osteuropäische Länder wie Polen müssten zum einen enorme Zahlen von Flüchtlingen aus der Ukraine aufnehmen, zugleich träfen sie die wirtschaftlichen Folgen des Konflikts besonders hart. “Wir müssen tun, was wir können, um die Auswirkungen abzufedern”, sagte die Politikerin der linksliberalen Partei D66. Das sei eine Frage der Solidarität und der politischen Prinzipien.
Die Regierung in Den Haag bevorzugt aber, ebenso wie Deutschland und andere Staaten, zunächst die existierenden Instrumente einzusetzen – insbesondere die 723 Milliarden Euro schwere Aufbau- und Resilienzfazilität. Die EU-Kommission hat bislang nur einen geringen Teil der über EU-Anleihen finanzierten Mittel an die Mitgliedstaaten ausgezahlt, die Darlehen aus der ARF wurden überdies kaum in Anspruch genommen. Die EU sei daher gut aufgestellt, um einem neuen Schock entgegenzuwirken, argumentiert ein EU-Diplomat.
Frankreich und andere Länder fordern hingegen eine Neuauflage des Kriseninstruments für geboten. Wie sehr Präsident Emmanuel Macron bereits beim Gipfel in Versailles darauf drängt, ist aber noch unklar. Im Entwurf der Abschlusserklärung ist von einem neuen Schuldeninstrument bislang nicht die Rede. “Unsere nationalen Finanzpolitiken werden den Investitionsbedarf und die neue geopolitische Situation berücksichtigen”, heißt es in dem Papier, das Europe.Table vorliegt. Eine ausgewogene Haushaltspolitik müsse die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung ebenso gewährleisten, wie Zukunftsinvestitionen fördern.
Die Staats- und Regierungschefs werden in Versailles auch über eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts diskutieren. Die Regierungen sind sich weitgehend einig, dass das Regelwerk vereinfacht und besser durchsetzbar werden soll, auch für die Aufgabe der starren Ein-Zwanzigstel-Regel für den Schuldenabbau gibt es breite Unterstützung. Vielmehr könnten die Mitgliedstaaten nach dem ARF-Muster mehr Spielraum erhalten, um mittelfristige Konsolidierungspläne umzusetzen.
Umstritten ist aber, ob die Regierungen bestimmte Investitionen in den Klimaschutz oder auch in die Verteidigung aus ihren Defiziten herausrechnen können sollen. “Wir sind bereit, uns die Vorschläge anzuschauen. Aber wir sind nicht überzeugt”, sagte Kaag. Es bestehe das Risiko, dass Transparenz und Ernsthaftigkeit beim Schuldenabbau verloren gingen.
Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte sich kritisch zu einer solchen “Goldenen Regel” geäußert. Das Thema bekommt aber im Zuge der russischen Aggression neue Dynamik. In dem Entwurf der Gipfelerklärung bekennen sich die Mitgliedstaaten dazu, ihre “Verteidigungsausgaben substanziell zu erhöhen”. Russlands Angriffskrieg bedeute “einen tektonische Verschiebung in der europäischen Geschichte”. Einige Länder hätten dafür aber nicht den finanziellen Spielraum, räumte Kaag ein.
Aufgeschlossen zeigte sich die Ministerin für eine zeitweise Lockerung der Beihilferegeln, wie sie die Kommission derzeit prüft. Ein temporärer Beihilferahmen könne für vergleichbare Bedingungen bei der Förderung in den Mitgliedstaaten sorgen. “Anderseits müssen wir wissen, für welche Sektoren und Unternehmen?”, so Kaag. Sie habe noch keine Details des Kommissionsvorschlages gesehen.
Für mehr Streit dürfte hingegen eine andere Forderung aus der geplanten Gipfelerklärung von Versailles sorgen: Laut Entwurf sollen sich die Staats- und Regierungschefs zu einer “drastischen Reform” der beihilferechtlichen Genehmigung von IPCEI-Investitionsvorhaben bekennen. Insbesondere Paris drängt auf eine Lockerung der Beihilfekontrolle über die Chipindustrie hinaus (Europe.Table berichtete), um Investitionen in strategische Technologien fördern zu können. Kaag wollte dies zunächst nicht kommentieren. Laut Diplomaten lehnen die Niederlande und einige andere nordeuropäische Länder dies aber entschieden ab.
Italiens Ministerpräsident Mario Draghi forderte am Montag die Länder der Europäischen Union auf, nach Moskaus Angriff auf die Ukraine rasch Sanktionen gegen russische Personen und Unternehmen zu verhängen. “Wir müssen alle an diesem Punkt schnell handeln”, sagte Draghi in Brüssel vor einem Treffen mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, zu Reportern.
Am Samstag gab die italienische Regierung bekannt, dass die Polizei Villen und Yachten im Wert von 143 Millionen Euro von fünf hochrangigen Russen beschlagnahmt hat, die auf Sanktionslisten stehen. In separaten Bemerkungen nach dem Treffen mit von der Leyen sagte Draghi, dass Italien, Frankreich und Deutschland die Sanktionen gegen Oligarchen in Russland zügig umsetzten, während “andere dies weniger taten”. Weitere Einzelheiten nannte er nicht. “Wir schließen weitere Sanktionen nicht aus, aber wir haben das (mit von der Leyen) nicht besprochen”, sagte Draghi.
Die russische Invasion, die weltweit verurteilt wurde, hat weitreichende Sanktionen ausgelöst, die Russland schlagartig in einem Maße isoliert haben, wie es eine so große Volkswirtschaft noch nie erlebt hat. Der frühere Chef der Europäischen Zentralbank sagte, er glaube, dass es das Ziel Russlands sei, “so lange weiterzumachen, bis das Land (die Ukraine) kapituliert hat, wahrscheinlich eine freundliche Regierung einzusetzen und den Widerstand zu besiegen, das zeigen die Fakten”.
Er sagte, Italien habe keine Einwände dagegen, dass die Ukraine Mitglied der Europäischen Union wird, fügte aber hinzu, dass dies ein langwieriger Prozess sei, der in der Regel tiefgreifende Reformen erfordere. rtr
In den diplomatischen Bemühungen für ein Ende des Kriegs in der Ukraine suchen Deutschland und Frankreich den Austausch mit China. Dazu ist ein Gespräch zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und dem chinesischen Staatschef Xi Jinping am Dienstag geplant, wie Macron am Montagabend ankündigte.
China gilt als strategischer Partner Moskaus. Am Montag stärkte es dem Nachbarland den Rücken. “Egal, wie tückisch der internationale Sturm ist, China und Russland werden ihre strategische Entschlossenheit aufrechterhalten und die umfassende kooperative Partnerschaft in der neuen Ära vorantreiben”, sagte Außenminister Wang Yi. Das Verhältnis der Länder zähle “zu den wichtigsten bilateralen Beziehungen in der Welt”. dpa
Die Pläne für ein Verbot der Kryptowährung Bitcoin im EU-Parlament sind vorerst vom Tisch. Im endgültigen Entwurf für die Richtlinien für die Erbringung von Krypto-Dienstleistungen (MiCA) ist eine Passage nicht mehr zu finden, die ein “Aus” für den Bitcoin in Europa bedeutet hätte. Der Bericht wurde am Montag von dem Berichterstatter Stefan Berger (CDU) dem zuständigen Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) übergeben. Der ECON-Ausschuss wird in einer Woche (14. März 2022) hierüber abstimmen.
In einer früheren Fassung des Berichts war auf Drängen von Abgeordneten der Grünen, Sozialdemokraten und Linken ein Verbot von Krypto-Dienstleistungen verlangt worden, die auf “ökologisch nicht nachhaltigen Konsensmechanismen” beruhen. Dies hätte de facto ein Verbot des energiehungrigen Konsens- und Schutzverfahrens “Proof of Work” bedeutet, bei dem sehr aufwendige Rechenaufgaben gelöst werden müssen.
Als Konsensmechanismus wird bei Kryptowährungen das Verfahren bezeichnet, mit dem sichergestellt wird, dass alle Teilnehmer einen einheitlichen Datenstand in der Blockchain haben. Die Blockchain ist ein dezentrales, digitales Datenregister.
Der große Energiebedarf dieser Berechnungen hat schon vor Jahren eine hitzige Debatte um die Nachhaltigkeit der Kryptowährungen ausgelöst. Je höher der Bitcoin-Preis steigt, desto mehr sogenannte Bitcoin-Miner konkurrieren um das Schürfen neuer Münzen. Damit steigen die Komplexität der Rechenaufgaben und somit der Energieverbrauch.
Nach Berechnungen von Mike Berners-Lee, Professor am Institut für Soziale Zukunft an der Lancaster University, haben alle Kryptowährungen allein im Jahr 2019 einen CO2-Ausstoß von rund 68 Millionen Tonnen verursacht. In nur zehn Jahren hätten Kryptowährungen bereits 0,12 Prozent des CO2-Abdrucks der ganzen Welt hinterlassen.
Der Ausschuss-Berichterstatter Berger sagte, angesichts der wichtigen Debatte um Nachhaltigkeit habe er vorgeschlagen, Krypto-Assets, wie alle anderen Finanzprodukte, in den Bereich der Taxonomie mitaufzunehmen. “Eine eigenständige Thematisierung des Proof-of-Work ist in der MiCA nicht mehr vorgesehen.” Mit dem Regelwerk der Taxonomie legt die EU-Kommission Standards für ein nachhaltiges Wirtschaften fest. Dadurch sollen öffentliche und private Finanzströme in nachhaltige Investitionen gelenkt werden.
Mit der MiCA-Richtlinie könne die EU weltweite Maßstäbe setzen, betonte Berger. “Daher sind alle Beteiligten nun eingeladen, den eingereichten Entwurf zu unterstützen und für die MiCA zu stimmen. Ein starker Rückhalt für die MiCA ist ein starkes Signal des EU-Parlaments für einen technologieneutralen und innovationsfreundlichen Finanzsektor.” dpa
Im November 2020 hat die EU-Kommission als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie einen Vorschlag für ein Gesetzgebungspaket zur Schaffung einer Gesundheitsunion angenommen. Es zielt darauf ab, den europäischen Rahmen im Bereich Gesundheit zu stärken, der sich während der COVID-19-Krise als unzureichend erwiesen hat. Es ist noch zu früh, um das Paket abschließend zu bewerten, da es sich noch im Gesetzgebungsverfahren befindet. Eine vorläufige Bewertung für die Gesundheit in der EU ist jedoch möglich und basiert auf zwei Fragen: 1) Wird das Paket den Ambitionen der Gesundheitsunion gerecht? und 2) Sollte das Projekt der Gesundheitsunion, das sich derzeit auf die Gesundheitssicherheit beschränkt, auf andere Gesundheitsbereiche ausgeweitet werden?
Der europäische Rahmen für die Gesundheitssicherheit stützt sich auf die Koordinierung der Gesundheitsministerien im Rahmen des Gesundheitssicherheitsausschusses, die epidemiologische Überwachung durch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und die gemeinsame Beschaffung wichtiger medizinischer Güter. Alle diese Mechanismen wurden in den ersten Tagen des Ausbruchs von COVID-19 aktiviert.
Die EU-Länder zögerten jedoch, epidemiologische Daten und Informationen über die Beschaffung auszutauschen, die COVID-19-Indikatoren zu harmonisieren und die Hygienemaßnahmen zu koordinieren. Selbst bei der Verwaltung ihrer gemeinsamen Grenzen haben die Mitgliedstaaten, die mit dem harmonisierten Instrument des digitalen COVID-19-Zertifikats der EU ausgestattet sind, ohne Absprache nationale Grenzkontrollmaßnahmen angewendet.
Vor diesem Hintergrund war die Impfstoffstrategie mit dem gemeinsamen Kauf von Impfstoffen eine außergewöhnliche Solidaritätsentscheidung, die jedoch im Kontext eines globalen Wettlaufs um Impfstoffe und unter der Bedrohung durch den von Trump angeführten Impfstoffnationalismus getroffen wurde. Sie hatte einen schwierigen Start mit langsamen Impfstofflieferungen, war aber schließlich sehr effektiv bei der Versorgung der europäischen Bevölkerung mit Impfstoffen. Politisch gesehen hat die Krise den positiven Beitrag der Europäischen Union gezeigt und den Weg für eine stärkere Koordinierung im Gesundheitswesen geebnet.
Das Gesundheitspaket vom November 2020 baut auf den im Rahmen von COVID-19 gewonnenen Erkenntnissen auf. Führt es zu einer radikalen Abkehr von den politischen Gegebenheiten vor COVID-19? Die Antwort ist gemischt. Das Paket enthält eine Reihe von Verbesserungen bei der Gesundheitssicherheit: verstärkte Überwachungskapazitäten, Austausch von besser vergleichbaren epidemiologischen Informationen in Echtzeit, europäische und nationale Pläne zur Krisenvorsorge, Krisensimulationstests. Aber es überträgt keine zusätzlichen Befugnisse auf die EU-Ebene.
Dies ist nicht überraschend: Es spiegelt die strukturellen Spannungen zwischen europäischer Koordinierung und nationaler Souveränität wider, insbesondere bei Gesundheitskrisen, bei denen die nationalen Regierungen direkt betroffen sind, wenn sie das Leben ihrer Bürger nicht schützen.
Die wichtigste Neuerung ist die Einrichtung der Health Response Emergency Authority (HERA): Sie gibt der EU eine Struktur an die Hand, um die Entwicklung, die Produktion und den Kauf nicht nur von Impfstoffen, sondern von allen für Krisenfälle wichtigen medizinischen Gütern (Schutzausrüstung, Tests und Medikamente) zu unterstützen. Sie ist eine Nachbildung der BARDA-Agentur in den USA, die während der COVID-19-Krise die Forschung und Entwicklung von Impfstoffen vorfinanziert hat. Das Paket zur Gesundheitsunion vom November 2020 stellt also keine Union für Gesundheitssicherheit dar, ist aber ein bedeutender Schritt nach vorn.
Wie würde eine Gesundheitsunion aussehen? Bei grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen sind die Länder in Bezug auf die Gesundheitssicherheit auf jeden Fall voneinander abhängig, und die EU ist so stark wie ihr schwächstes Land. Alle Länder haben ein Interesse daran, ihre Anstrengungen zu koordinieren und Informationen auszutauschen. Ein vollständig integriertes Modell für Bereitschaft, Prävention und Reaktion auf Gesundheitskrisen würde mehr erfordern als das heutige Paket der Gesundheitsunion und würde ein höheres Maß an Gesundheitssicherheit in der EU bieten.
Bei den nicht übertragbaren Krankheiten sind die Argumente für ein gemeinsames Vorgehen der EU-Mitgliedstaaten wesentlich schwächer. In der Vergangenheit haben die Mitgliedstaaten die EU-Maßnahmen in diesem Bereich auf eine freiwillige Zusammenarbeit mit Schwerpunkt auf seltene Krankheiten und Krebs beschränkt. Die Mitgliedstaaten würden jedoch davon profitieren, ihre Forschungsanstrengungen zu bündeln und ihre Informationssysteme zur Überwachung nicht übertragbarer Krankheiten zu integrieren. Dies würde zum Verständnis, zur Vorbeugung und zur Erkennung schwerer Krankheiten oder in Bereichen wie der Umweltgesundheit beitragen, die nach wie vor eine Herausforderung für alle darstellen.
Dies fällt unter das Mandat des Vertrags über die Europäische Union im Bereich der öffentlichen Gesundheit, das die EU zur Bekämpfung der großen Gesundheitsgefahren verpflichtet. Zu diesem Zweck könnte die EU das Überwachungsmandat des ECDC auf nicht übertragbare Krankheiten ausweiten.
Eine letzte Frage ist, ob sich die Gesundheitsunion auch auf Gesundheitsdienstleistungen und Gesundheitssysteme erstrecken sollte. Im Vertrag wird ausdrücklich erwähnt, dass die Gesundheitssysteme weiterhin in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen. Für diese Entscheidung gibt es einige wirtschaftliche Gründe: Jede Konvergenz oder Integration von Gesundheitssystemen wäre mit unerschwinglichen Kosten verbunden.
Die EU spielt jedoch durch den Binnenmarkt für Arzneimittel und Medizinprodukte eine wichtige Rolle in den Gesundheitssystemen. Auf diese entfallen rund 20 Prozent der Gesundheitsausgaben in der EU, und Arzneimittel und Medizinprodukte sind wichtige Triebkräfte für Innovationen im Gesundheitswesen. Diese Märkte stehen unter erheblichem Druck, um mit dem globalen Wettbewerb und den knappen Gesundheitsbudgets fertig zu werden. Die EU-Kommission hat im November 2020 eine pharmazeutische Strategie verabschiedet, um diese Herausforderungen zu bewältigen, und sie wird ein wichtiger Beitrag zur Gesundheitsunion sein.
Insgesamt wird eine Gesundheitsunion kein vollständig integriertes Modell sein, wie es in einem Land existiert. Die Gesundheitssicherheit wird im Vergleich zu anderen Belangen der öffentlichen Gesundheit eine Priorität für die Integration bleiben, und koordinierte Maßnahmen im Gesundheitswesen werden begrenzt bleiben. Innerhalb dieser Grenzen würde die EU jedoch von mehr politischem Ehrgeiz profitieren. Die unmittelbare Priorität sollte die vollständige Umsetzung des Pakets der Gesundheitsunion für die Gesundheitssicherheit und die pharmazeutische Strategie sein.
Anne Bucher ist non-Resident Fellow beim europäischen Think-Tank Bruegel und ehemalige Generaldirektorin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in der Europäischen Kommission.
US-Präsident Joe Biden und die Staats- und Regierungschefs Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens haben am Montag in einem Videotelefonat ihre Entschlossenheit bekräftigt, Russland für seine “unprovozierte und ungerechtfertigte Invasion in der Ukraine” weiter zur Rechenschaft zu ziehen, erklärte das Weiße Haus in einer Mitteilung. US-Außenminister Antony Blinken denkt dabei auch an einen Importstopp für russisches Öl, die deutsche Bundesregierung lehnt dies weiterhin ab. Trotzdem wird es zu Einschränkungen auf dem deutschen Ölmarkt kommen – Shell hat angekündigt, kurzfristige Lieferungen von Heizöl und anderen Mineralölprodukten an einigen Handelsplätzen einzuschränken. Manuel Berkel analysiert, warum ein Ölembargo vom politischen Willen Saudi Arabiens abhängt.
Nachdem gestern auch die dritte Verhandlungsrunde zwischen der Ukraine und Russland keine großen Erfolge gebracht hat, könnte es heute von russischer Seite einen Terminvorschlag für ein viertes Gespräch geben. Das sagte Leonid Sluzki gestern im staatlichen russischen Fernsehen. Laut der Nachrichtenagentur Reuters sind bisher 406 Zivilisten durch den Angriff russischer Truppen gestorben, die humanitäre Lage ist katastrophal.
Die schwere Konfrontation der EU mit Russland darf nach Ansicht des EU-Kommissionsvizepräsidenten Frans Timmermans nicht zu Kompromissen bei der EU-Klimapolitik führen. “Ich denke, es wäre ein historischer Fehler, aus dieser Sicherheitsherausforderung zu schlussfolgern, dass der Grüne Deal und Fit for 55 jetzt zurückgestellt werden können”, sagte Timmermans. Lukas Scheid zeigt auf, wie der Krieg dem Green Deal nun neue Antriebskraft verliehen hat.
Während der COVID-19-Pandemie hat sich der europäische Rahmen im Bereich Gesundheit als unzureichend erwiesen. Die EU-Kommission hat dafür einen Vorschlag für ein Gesetzgebungspaket zur Schaffung einer europäischen Gesundheitsunion angenommen. Im Gastbeitrag diskutiert Anne Bucher, ehemalige Generaldirektorin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in der Europäischen Kommission und jetzt non-Resident Fellow beim europäischen Think Tank Bruegel, welche Aufgaben die europäische Gesundheitsunion erfüllen sollte – sollte sie sich auf Krisenprävention beschränken oder eher einen umfassenderen Public Health-Ansatz haben?
Der Ölriese Shell habe Händler in Deutschland darüber informiert, dass kurzfristige Lieferungen von Heizöl und anderen Mineralölprodukten an einigen Handelsplätzen eingeschränkt werden könnten. Wie Bloomberg berichtet, will Shell dadurch seine Verpflichtungen aus Langfristverträgen sichern. Es ist die jüngste Reaktion auf die steigende Nachfrage an den Märkten angesichts der Diskussionen über ein mögliches Embargo auf Ölexporte aus Russland.
Am Sonntag hatte US-Außenminister Antony Blinken erklärt, die USA sprächen mit den europäischen Verbündeten über Möglichkeiten, einen Stopp russischer Öllieferungen durchzusetzen. Eine Entscheidung sei noch nicht getroffen, hieß es gestern in Washington. “Aber wenn es geschieht, werden es vermutlich nur die USA sein.”
Die Bundesregierung bekräftigte ihre ablehnende Haltung. Bundeskanzler Olaf Scholz teilte mit, man arbeite seit Monaten mit Hochdruck daran, Alternativen zur russischen Energie zu entwickeln. “Das geht aber nicht von heute auf morgen. Daher ist es eine bewusste Entscheidung von uns, auch weiterhin die Aktivitäten der Wirtschaftsunternehmen im Bereich der Energieversorgung mit Russland weiterzuführen.”
Am späten Montagabend warnte Russlands Vize-Ministerpräsident Alexander Nowak von einem Ölpreis von mehr als 300 Dollar je Barrel (159 Liter), sollten die USA und die EU Importe aus Russland verbieten. Ein solcher Schritt hätte katastrophale Konsequenzen für den Weltmarkt, sagte Nowak in einem Video im staatlichen Fernsehen.
Russland könnte laut Nowak die Erdgasversorgung über die Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland kappen. Ein “Embargo für den Gastransport durch die Nord Stream 1 Gaspipeline” wäre angesichts der “unbegründeten Anschuldigungen gegen Russland bezüglich der Energiekrise in Europa und des Verbots von Nord Stream 2” gerechtfertigt, heißt es in dem Video weiter. “Aber bislang haben wir das nicht beschlossen.”
Ein Embargo gegen Öl aus Russland ließe sich wohl auch nur mit dem politischen Willen Saudi-Arabiens durchsetzen. “Für Öl haben wir zwar diversere Lieferquellen als für Gas. Um schnell ausreichende Mengen an Rohöl und Ölprodukten zu verschiffen, müsste aber ein größerer Lieferant her und das wäre Saudi-Arabien”, sagte Jacopo Maria Pepe von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Gespräch mit Europe.Table.
“Ich bin zuversichtlich, dass die EU innerhalb von sechs Monaten neue Ölmengen ankaufen kann”, sagte Pepe und machte zugleich deutlich, dass eine mögliche Ausweitung der saudischen Fördermengen eine politische Frage sei. “Bisher hält Saudi-Arabien am Abkommen mit Russland fest, die Fördermengen nur koordiniert auszuweiten. Allerdings könnten die Saudis ein Interesse haben, eine entstehende Marktlücke zu füllen und den Russen Marktanteile abzunehmen.” Dagegen sprächen allerdings die Verflechtungen Russlands in die Sicherheitspolitik des Nahen Ostens. Falls die Sanktionen gegen den saudischen Konkurrenten Iran fielen, könnte zudem Teheran wieder Öl in den Westen exportieren.
An einem Ersatz russischer Öllieferungen hängen also viele geopolitische Unwägbarkeiten. Den Halbjahreszeitraum bis zu einem Einspringen Saudi-Arabiens könnte die EU nach Ansicht Pepes mit ihren Ölreserven überbrücken. Die Frage ist allerdings, ob die Staatengemeinschaft ihre strategischen Reserven auf neue Lieferungen verwettet.
Die Mineralölwirtschaft in Deutschland habe bereits die Reduzierung von russischen Importen eingeleitet, sagte ein Sprecher des Verbandes En2X auf Anfrage. Dies gelte sowohl für Rohöl als auch für Mineralölprodukte, vorrangig Diesel. “Im vergangenen Jahr stammten 34 Prozent des in Deutschland verarbeiteten Rohöls aus Russland. Eine derartig große Energiemenge in kurzer Zeit zu ersetzen, ist extrem anspruchsvoll und nicht vollständig realisierbar.”
Zwei Drittel des russischen Importrohöls gelangen über die Druschba-Pipeline nach Ostdeutschland zu den Raffinerien in Leuna und Schwedt, der Rest auf dem Seeweg in das ganze Bundesgebiet. “Im Falle Ostdeutschlands besteht die Option einer Ersatzbelieferung mit Rohöl über Ostseehäfen, jedoch mit eingeschränkter Kapazität”, erklärte der En2X-Sprecher. Laut Pepe von der SWP müssten dafür Kapazitäten an den Häfen in Rostock und Danzig frei sein.
Wie die EU ihre Abhängigkeit von russischen Energielieferungen verringern kann, ist Thema einer Kommissionsmitteilung, die heute um 15:30 Uhr vorgestellt werden soll (Europe.Table berichtete). Erwartet werden unter anderem Vorgaben zur Mindestbefüllung von Erdgasspeichern bis zum Herbst.
An den Börsen führt dies bereits zu einer Preisumkehr. Für Lieferungen bis September lagen die Preise am Montag für den Handelspunkt TTF in jedem Monat über 200 Euro pro Megawattstunde, für Januar – wo normalerweise mit einer hohen Nachfrage zu rechnen ist – dagegen bei nur 140 Euro. mit rtr, dpa
Der Green Deal ist durch den Ukraine-Krieg eine sicherheitspolitische Aufgabe geworden. In dieser Analyse waren sich angesichts des Krieges in der Ukraine beinahe alle einig, als Exekutiv-Vizepräsident Frans Timmermans am Montag zum Meinungsaustausch in den Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) kam. “Der einzige Weg, sich nicht unter Druck setzen zu lassen, weil man Putins Kunde ist, ist, nicht mehr sein Kunde zu sein”, sagte der Green-Deal-Kommissar und versprach, am Dienstag die entsprechenden Instrumente vorzustellen. Die Kommission wird dann in einer Mitteilung erklären, wie die EU ihre Energieabhängigkeit von Russland verringern kann (Europe.Table berichtete).
Einige Parlamentarier:innen erhoffen sich, dass auch ein Embargo auf russische Ölimporte zu den Instrumenten zählt (Europe.Table berichtete). Man müsse Lieferungen aus Russland stoppen, allerdings nicht in einem Jahr, sondern heute, forderte die schwedische Renew-Abgeordnete Emma Wiesner. Tiemo Wölken (S&D) forderte Timmermans auf, die Machbarkeit eines Embargos zu prüfen.
Bas Eickhout von den Grünen will dagegen eine Überarbeitung und Anhebung der Ziele des Fit-for-55-Pakets, um die Effektivität beispielsweise durch die Energieeffizienzrichtlinie zu erhöhen. Peter Liese (EVP) sieht das ähnlich und forderte, dass das Ambitionsniveau beim Erneuerbaren-Ausbau (RED III) auf 45 Prozent Erneuerbaren-Anteil bis 2030 anzuheben (Europe.Table berichtete). Die Kommission hatte 40 Prozent vorgeschlagen. Eine derartige fraktionsübergreifende Einigkeit, die Ambitionen des Green Deals zu erhöhen und deren Umsetzung zu beschleunigen, ist neu und dürfte trotz einiger weniger Gegner im Parlament für noch mehr Einsatz für das Fit-for-55-Paket sorgen.
EU-Kommissar Timmermans begrüßte die Forderungen nach höheren Zielen. Und auch in einem Entwurf der Abschlusserklärung des informellen EU-Gipfels, der am Donnerstag und Freitag in Versailles stattfindet, ist von einer “Beschleunigung der Entwicklung erneuerbarer Energien und der Produktion ihrer wichtigsten Bestandteile sowie Straffung der Genehmigungsverfahren für Energieprojekte” die Rede. Außerdem im Entwurf: Verbesserung der Interkonnektivität der europäischen Strom- und Gasnetze sowie deren Harmonisierung untereinander.
Peter Liese betonte aber auch, dass zusätzlich kurzfristig Kompromisse gemacht werden müssten. Dazu gehöre auch darüber nachzudenken, ob Kohlekraftwerke und insbesondere Kernkraftwerke in Deutschland verlängert werden müssen. Für die kommenden zwei bis drei Jahre würde dies helfen, um unabhängiger von russischem Gas zu sein, sagte Liese.
Timmermans forderte zudem mit Fingerzeig auf jene Länder, die während der Energiewende auf Gas als Brückentechnologie setzen, dass man diese nicht brauche und stattdessen direkt zu Erneuerbaren übergehen sollte. Auch er ist der Meinung, dass man dafür notfalls Kohlekraftwerke länger laufen lassen sollte.
In einigen Ländern wurden bereits erste Maßnahmen dafür getroffen. Italien will bis zur Jahresmitte etwa die Hälfte seiner derzeitigen Gas-Importe aus Russland durch andere Quellen ersetzen. Das sagte der Minister für ökologischen Wandel, Roberto Cingolani, dem italienischen Staatsfernsehen. Italien importiert mehr als 90 Prozent seines Erdgases. Im vergangenen Jahr machte russisches Gas etwa 40 Prozent dieser Einfuhren aus.
Und auch bei der Ampel-Regierung in Berlin bewegt sich etwas. War die FDP vor wenigen Wochen noch eher zögerlich, große Summen in die Abkehr von fossilen Energieträgern zu investieren, geht es jetzt darum, die sogenannten “Freiheitsenergien” zu fördern, wie Finanzminister Christian Lindner die Erneuerbaren mittlerweile nennt. Bis 2026 will die Bundesregierung über den neuen Klima- und Transformationsfonds (KTF) rund 200 Milliarden Euro in Klimaschutz, den Ausbau der Ladeinfrastruktur, Wasserstoff-Technologien sowie in die Dekarbonisierung der Industrie investieren.
Grund für den Sinneswandel bei den Liberalen ist ebenfalls die Erkenntnis, dass Unabhängigkeit von Russland nur mit CO2-armen Technologien möglich ist. Außerdem, so war es am Montag aus dem Finanzministerium zu hören, soll das Geld ohne zusätzliche Schulden locker gemacht werden können. Ein wichtiger Aspekt für die FDP. Mit Rücklagen aus dem Energie- und Klimafonds (EKF) der alten Bundesregierung sowie höher veranschlagten Erlösen aus dem europäischen Emissionshandelssystem (ETS) sollen Versorgungssicherheit und Klimaschutz der kommenden vier Jahre finanziert werden.
EU-Kommissar Timmermans versprach am Montag, die Kommission werde ihren Teil tun, Genehmigungen zu erteilen und die Möglichkeit bieten, dieses Geld auch auszugeben, da sie für die Prüfung und Genehmigung bestimmter nationaler Gesetzgebungen zuständig ist. Derlei Prozesse müssten nun mehr denn je beschleunigt werden, erklärte er, um schlussendlich die Energiewende und die Abkehr von fossilen Energieträgern voranzutreiben.
Beschleunigt werden könnte auch der Einsatz von Biogas. Fünf Prozent der russischen Gasimporte könnten umgehend durch Biogas ersetzt werden, sagte Horst Seide, der Präsident des Fachverbands Biogas am Montag. Dafür müsse jedoch die Deckelung der staatlichen Subventionen für Biogasanlagen durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz aufgehoben werden. Zudem könnte ein schnellerer Ausbau von Biogasanlagen in ganz Europa die Abhängigkeit von russischem Erdgas noch weiter reduzieren.
Bis 2030 könnten in Europa 35 Milliarden Kubikmeter “grünes Gas” zusätzlich produziert werden, sagte Harmen Dekker, der Vorsitzende des europäischen Biogasverbands. Das seien bereits zwei Drittel der Kapazität von Nord Stream 2. Ein Ziel, das die EU-Kommission heute ebenfalls in ihrer Mitteilung zu Energiepreisen vorstellen wird (Europe.Table berichtete). In dem Entwurf der EU-Gipfel-Erklärung wird Biogas ebenfalls als eine Möglichkeit zur Energie-Diversifizierung genannt. Mit dpa/rtr
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BVMed, Seminar Fit for digitale Gesundheitsanwendungen
Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) beschäftigt sich mit den Herausforderungen, auf die Hersteller von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) stoßen. INFOS & ANMELDUNG
09.03.2022, online
High-Tech Gründerfonds, Conference MedTech Pitch Day 2022
The High-Tech Gründerfonds gives MedTech-Startups the opportunity to present their business models. INFOS
09.03.2022 – 09:00-15:00 Uhr, online
BDE, Vortrag Datenschutz in der Abfallwirtschaft
Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE) widmet sich der Vielzahl datenschutzrechtlicher Spezialvorschriften, die für die Abfallwirtschaft relevant sind. INFOS & ANMELDUNG
09.03.2022 – 09:00-12:15 Uhr, online
VKU, Konferenz Cybersicherheit in der Entsorgungswirtschaft
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) geht der Frage nach, wie Unternehmen ihre IT-Systeme gesetzessicher aufstellen können. INFOS & ANMELDUNG
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ECFR, Panel Discussion The EU and Japan: Strategic partners in the Indo-Pacific
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Digital Europe, Discussion Mind the Gap: Empowering Europe through Connectivity
Digital Europe addresses Europe’s connectivity strategy and goals and asks whether they are ambitious enough. INFOS & REGISTRATION
10.03.2022 – 16:00-20:00 Uhr, Hörstel
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Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) thematisiert, welche Bedeutung Wasserstoff für mittelständische Unternehmen in ihrer Energieversorgung hat. INFOS & ANMELDUNG
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VWS, Podiumsdiskssuion Künstliche Intelligenz in der Kulturlandschaft
Die Volkswagenstiftung (VWS) fragt nach der Bedeutung der Künstlichen Intelligenz für Kunst und Kultur. INFOS & ANMELDUNG
10.03.2022 – 19:00 Uhr, online
SZ Wirtschaftsgipfel Salon – Ist der CFO der wahre Nachhaltigkeitstreiber?
Die Süddeutsche Zeitung diskutiert die Rolle des Chief Financial Officers in der Nachhaltigkeitsstrategie von Unternehmen. INFOS & ANMELDUNG
Die Preise für Öl und Gas klettern auf immer neue Rekordstände, zugleich bricht vielen Unternehmen das Geschäft mit Russland und der Ukraine weg. Die EU-Staats- und Regierungschefs werden daher beim informellen Gipfel in Versailles am Donnerstag und Freitag darüber diskutieren, wie die EU-Wirtschaft angesichts der neuen Krise gestützt werden kann.
Zu den Optionen zählen neue, über gemeinsame Anleihen finanzierte Instrumente. Selbst traditionell zurückhaltende Mitgliedstaaten wie die Niederlande lehnen diesen Weg nicht grundsätzlich ab: “Wir sind offen, aber wir sagen auch nicht: Ja, natürlich”, sagte Finanzministerin Sigrid Kaag im Gespräch mit Europe.Table und einigen anderen Medien.
Es sei zunächst Aufgabe der EU-Kommission, Fakten zusammenzutragen und einen Vorschlag vorzulegen, so Kaag: “Wir brauchen Kriterien, um bewerten zu können, ob und unter welchen Umständen die vorhandenen Instrumente ausreichen”. Betrachte man nur die Abhängigkeiten der einzelnen Staaten und deren Industrien von Öl und Gas? Oder berücksichtige man, wie stark einzelne Sektoren von dem Abbruch der Import- und Exportbeziehungen betroffen seien?
Schließlich seien nicht alle Länder gleichermaßen betroffen, so Kaag. Osteuropäische Länder wie Polen müssten zum einen enorme Zahlen von Flüchtlingen aus der Ukraine aufnehmen, zugleich träfen sie die wirtschaftlichen Folgen des Konflikts besonders hart. “Wir müssen tun, was wir können, um die Auswirkungen abzufedern”, sagte die Politikerin der linksliberalen Partei D66. Das sei eine Frage der Solidarität und der politischen Prinzipien.
Die Regierung in Den Haag bevorzugt aber, ebenso wie Deutschland und andere Staaten, zunächst die existierenden Instrumente einzusetzen – insbesondere die 723 Milliarden Euro schwere Aufbau- und Resilienzfazilität. Die EU-Kommission hat bislang nur einen geringen Teil der über EU-Anleihen finanzierten Mittel an die Mitgliedstaaten ausgezahlt, die Darlehen aus der ARF wurden überdies kaum in Anspruch genommen. Die EU sei daher gut aufgestellt, um einem neuen Schock entgegenzuwirken, argumentiert ein EU-Diplomat.
Frankreich und andere Länder fordern hingegen eine Neuauflage des Kriseninstruments für geboten. Wie sehr Präsident Emmanuel Macron bereits beim Gipfel in Versailles darauf drängt, ist aber noch unklar. Im Entwurf der Abschlusserklärung ist von einem neuen Schuldeninstrument bislang nicht die Rede. “Unsere nationalen Finanzpolitiken werden den Investitionsbedarf und die neue geopolitische Situation berücksichtigen”, heißt es in dem Papier, das Europe.Table vorliegt. Eine ausgewogene Haushaltspolitik müsse die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung ebenso gewährleisten, wie Zukunftsinvestitionen fördern.
Die Staats- und Regierungschefs werden in Versailles auch über eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts diskutieren. Die Regierungen sind sich weitgehend einig, dass das Regelwerk vereinfacht und besser durchsetzbar werden soll, auch für die Aufgabe der starren Ein-Zwanzigstel-Regel für den Schuldenabbau gibt es breite Unterstützung. Vielmehr könnten die Mitgliedstaaten nach dem ARF-Muster mehr Spielraum erhalten, um mittelfristige Konsolidierungspläne umzusetzen.
Umstritten ist aber, ob die Regierungen bestimmte Investitionen in den Klimaschutz oder auch in die Verteidigung aus ihren Defiziten herausrechnen können sollen. “Wir sind bereit, uns die Vorschläge anzuschauen. Aber wir sind nicht überzeugt”, sagte Kaag. Es bestehe das Risiko, dass Transparenz und Ernsthaftigkeit beim Schuldenabbau verloren gingen.
Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte sich kritisch zu einer solchen “Goldenen Regel” geäußert. Das Thema bekommt aber im Zuge der russischen Aggression neue Dynamik. In dem Entwurf der Gipfelerklärung bekennen sich die Mitgliedstaaten dazu, ihre “Verteidigungsausgaben substanziell zu erhöhen”. Russlands Angriffskrieg bedeute “einen tektonische Verschiebung in der europäischen Geschichte”. Einige Länder hätten dafür aber nicht den finanziellen Spielraum, räumte Kaag ein.
Aufgeschlossen zeigte sich die Ministerin für eine zeitweise Lockerung der Beihilferegeln, wie sie die Kommission derzeit prüft. Ein temporärer Beihilferahmen könne für vergleichbare Bedingungen bei der Förderung in den Mitgliedstaaten sorgen. “Anderseits müssen wir wissen, für welche Sektoren und Unternehmen?”, so Kaag. Sie habe noch keine Details des Kommissionsvorschlages gesehen.
Für mehr Streit dürfte hingegen eine andere Forderung aus der geplanten Gipfelerklärung von Versailles sorgen: Laut Entwurf sollen sich die Staats- und Regierungschefs zu einer “drastischen Reform” der beihilferechtlichen Genehmigung von IPCEI-Investitionsvorhaben bekennen. Insbesondere Paris drängt auf eine Lockerung der Beihilfekontrolle über die Chipindustrie hinaus (Europe.Table berichtete), um Investitionen in strategische Technologien fördern zu können. Kaag wollte dies zunächst nicht kommentieren. Laut Diplomaten lehnen die Niederlande und einige andere nordeuropäische Länder dies aber entschieden ab.
Italiens Ministerpräsident Mario Draghi forderte am Montag die Länder der Europäischen Union auf, nach Moskaus Angriff auf die Ukraine rasch Sanktionen gegen russische Personen und Unternehmen zu verhängen. “Wir müssen alle an diesem Punkt schnell handeln”, sagte Draghi in Brüssel vor einem Treffen mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, zu Reportern.
Am Samstag gab die italienische Regierung bekannt, dass die Polizei Villen und Yachten im Wert von 143 Millionen Euro von fünf hochrangigen Russen beschlagnahmt hat, die auf Sanktionslisten stehen. In separaten Bemerkungen nach dem Treffen mit von der Leyen sagte Draghi, dass Italien, Frankreich und Deutschland die Sanktionen gegen Oligarchen in Russland zügig umsetzten, während “andere dies weniger taten”. Weitere Einzelheiten nannte er nicht. “Wir schließen weitere Sanktionen nicht aus, aber wir haben das (mit von der Leyen) nicht besprochen”, sagte Draghi.
Die russische Invasion, die weltweit verurteilt wurde, hat weitreichende Sanktionen ausgelöst, die Russland schlagartig in einem Maße isoliert haben, wie es eine so große Volkswirtschaft noch nie erlebt hat. Der frühere Chef der Europäischen Zentralbank sagte, er glaube, dass es das Ziel Russlands sei, “so lange weiterzumachen, bis das Land (die Ukraine) kapituliert hat, wahrscheinlich eine freundliche Regierung einzusetzen und den Widerstand zu besiegen, das zeigen die Fakten”.
Er sagte, Italien habe keine Einwände dagegen, dass die Ukraine Mitglied der Europäischen Union wird, fügte aber hinzu, dass dies ein langwieriger Prozess sei, der in der Regel tiefgreifende Reformen erfordere. rtr
In den diplomatischen Bemühungen für ein Ende des Kriegs in der Ukraine suchen Deutschland und Frankreich den Austausch mit China. Dazu ist ein Gespräch zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und dem chinesischen Staatschef Xi Jinping am Dienstag geplant, wie Macron am Montagabend ankündigte.
China gilt als strategischer Partner Moskaus. Am Montag stärkte es dem Nachbarland den Rücken. “Egal, wie tückisch der internationale Sturm ist, China und Russland werden ihre strategische Entschlossenheit aufrechterhalten und die umfassende kooperative Partnerschaft in der neuen Ära vorantreiben”, sagte Außenminister Wang Yi. Das Verhältnis der Länder zähle “zu den wichtigsten bilateralen Beziehungen in der Welt”. dpa
Die Pläne für ein Verbot der Kryptowährung Bitcoin im EU-Parlament sind vorerst vom Tisch. Im endgültigen Entwurf für die Richtlinien für die Erbringung von Krypto-Dienstleistungen (MiCA) ist eine Passage nicht mehr zu finden, die ein “Aus” für den Bitcoin in Europa bedeutet hätte. Der Bericht wurde am Montag von dem Berichterstatter Stefan Berger (CDU) dem zuständigen Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) übergeben. Der ECON-Ausschuss wird in einer Woche (14. März 2022) hierüber abstimmen.
In einer früheren Fassung des Berichts war auf Drängen von Abgeordneten der Grünen, Sozialdemokraten und Linken ein Verbot von Krypto-Dienstleistungen verlangt worden, die auf “ökologisch nicht nachhaltigen Konsensmechanismen” beruhen. Dies hätte de facto ein Verbot des energiehungrigen Konsens- und Schutzverfahrens “Proof of Work” bedeutet, bei dem sehr aufwendige Rechenaufgaben gelöst werden müssen.
Als Konsensmechanismus wird bei Kryptowährungen das Verfahren bezeichnet, mit dem sichergestellt wird, dass alle Teilnehmer einen einheitlichen Datenstand in der Blockchain haben. Die Blockchain ist ein dezentrales, digitales Datenregister.
Der große Energiebedarf dieser Berechnungen hat schon vor Jahren eine hitzige Debatte um die Nachhaltigkeit der Kryptowährungen ausgelöst. Je höher der Bitcoin-Preis steigt, desto mehr sogenannte Bitcoin-Miner konkurrieren um das Schürfen neuer Münzen. Damit steigen die Komplexität der Rechenaufgaben und somit der Energieverbrauch.
Nach Berechnungen von Mike Berners-Lee, Professor am Institut für Soziale Zukunft an der Lancaster University, haben alle Kryptowährungen allein im Jahr 2019 einen CO2-Ausstoß von rund 68 Millionen Tonnen verursacht. In nur zehn Jahren hätten Kryptowährungen bereits 0,12 Prozent des CO2-Abdrucks der ganzen Welt hinterlassen.
Der Ausschuss-Berichterstatter Berger sagte, angesichts der wichtigen Debatte um Nachhaltigkeit habe er vorgeschlagen, Krypto-Assets, wie alle anderen Finanzprodukte, in den Bereich der Taxonomie mitaufzunehmen. “Eine eigenständige Thematisierung des Proof-of-Work ist in der MiCA nicht mehr vorgesehen.” Mit dem Regelwerk der Taxonomie legt die EU-Kommission Standards für ein nachhaltiges Wirtschaften fest. Dadurch sollen öffentliche und private Finanzströme in nachhaltige Investitionen gelenkt werden.
Mit der MiCA-Richtlinie könne die EU weltweite Maßstäbe setzen, betonte Berger. “Daher sind alle Beteiligten nun eingeladen, den eingereichten Entwurf zu unterstützen und für die MiCA zu stimmen. Ein starker Rückhalt für die MiCA ist ein starkes Signal des EU-Parlaments für einen technologieneutralen und innovationsfreundlichen Finanzsektor.” dpa
Im November 2020 hat die EU-Kommission als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie einen Vorschlag für ein Gesetzgebungspaket zur Schaffung einer Gesundheitsunion angenommen. Es zielt darauf ab, den europäischen Rahmen im Bereich Gesundheit zu stärken, der sich während der COVID-19-Krise als unzureichend erwiesen hat. Es ist noch zu früh, um das Paket abschließend zu bewerten, da es sich noch im Gesetzgebungsverfahren befindet. Eine vorläufige Bewertung für die Gesundheit in der EU ist jedoch möglich und basiert auf zwei Fragen: 1) Wird das Paket den Ambitionen der Gesundheitsunion gerecht? und 2) Sollte das Projekt der Gesundheitsunion, das sich derzeit auf die Gesundheitssicherheit beschränkt, auf andere Gesundheitsbereiche ausgeweitet werden?
Der europäische Rahmen für die Gesundheitssicherheit stützt sich auf die Koordinierung der Gesundheitsministerien im Rahmen des Gesundheitssicherheitsausschusses, die epidemiologische Überwachung durch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und die gemeinsame Beschaffung wichtiger medizinischer Güter. Alle diese Mechanismen wurden in den ersten Tagen des Ausbruchs von COVID-19 aktiviert.
Die EU-Länder zögerten jedoch, epidemiologische Daten und Informationen über die Beschaffung auszutauschen, die COVID-19-Indikatoren zu harmonisieren und die Hygienemaßnahmen zu koordinieren. Selbst bei der Verwaltung ihrer gemeinsamen Grenzen haben die Mitgliedstaaten, die mit dem harmonisierten Instrument des digitalen COVID-19-Zertifikats der EU ausgestattet sind, ohne Absprache nationale Grenzkontrollmaßnahmen angewendet.
Vor diesem Hintergrund war die Impfstoffstrategie mit dem gemeinsamen Kauf von Impfstoffen eine außergewöhnliche Solidaritätsentscheidung, die jedoch im Kontext eines globalen Wettlaufs um Impfstoffe und unter der Bedrohung durch den von Trump angeführten Impfstoffnationalismus getroffen wurde. Sie hatte einen schwierigen Start mit langsamen Impfstofflieferungen, war aber schließlich sehr effektiv bei der Versorgung der europäischen Bevölkerung mit Impfstoffen. Politisch gesehen hat die Krise den positiven Beitrag der Europäischen Union gezeigt und den Weg für eine stärkere Koordinierung im Gesundheitswesen geebnet.
Das Gesundheitspaket vom November 2020 baut auf den im Rahmen von COVID-19 gewonnenen Erkenntnissen auf. Führt es zu einer radikalen Abkehr von den politischen Gegebenheiten vor COVID-19? Die Antwort ist gemischt. Das Paket enthält eine Reihe von Verbesserungen bei der Gesundheitssicherheit: verstärkte Überwachungskapazitäten, Austausch von besser vergleichbaren epidemiologischen Informationen in Echtzeit, europäische und nationale Pläne zur Krisenvorsorge, Krisensimulationstests. Aber es überträgt keine zusätzlichen Befugnisse auf die EU-Ebene.
Dies ist nicht überraschend: Es spiegelt die strukturellen Spannungen zwischen europäischer Koordinierung und nationaler Souveränität wider, insbesondere bei Gesundheitskrisen, bei denen die nationalen Regierungen direkt betroffen sind, wenn sie das Leben ihrer Bürger nicht schützen.
Die wichtigste Neuerung ist die Einrichtung der Health Response Emergency Authority (HERA): Sie gibt der EU eine Struktur an die Hand, um die Entwicklung, die Produktion und den Kauf nicht nur von Impfstoffen, sondern von allen für Krisenfälle wichtigen medizinischen Gütern (Schutzausrüstung, Tests und Medikamente) zu unterstützen. Sie ist eine Nachbildung der BARDA-Agentur in den USA, die während der COVID-19-Krise die Forschung und Entwicklung von Impfstoffen vorfinanziert hat. Das Paket zur Gesundheitsunion vom November 2020 stellt also keine Union für Gesundheitssicherheit dar, ist aber ein bedeutender Schritt nach vorn.
Wie würde eine Gesundheitsunion aussehen? Bei grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen sind die Länder in Bezug auf die Gesundheitssicherheit auf jeden Fall voneinander abhängig, und die EU ist so stark wie ihr schwächstes Land. Alle Länder haben ein Interesse daran, ihre Anstrengungen zu koordinieren und Informationen auszutauschen. Ein vollständig integriertes Modell für Bereitschaft, Prävention und Reaktion auf Gesundheitskrisen würde mehr erfordern als das heutige Paket der Gesundheitsunion und würde ein höheres Maß an Gesundheitssicherheit in der EU bieten.
Bei den nicht übertragbaren Krankheiten sind die Argumente für ein gemeinsames Vorgehen der EU-Mitgliedstaaten wesentlich schwächer. In der Vergangenheit haben die Mitgliedstaaten die EU-Maßnahmen in diesem Bereich auf eine freiwillige Zusammenarbeit mit Schwerpunkt auf seltene Krankheiten und Krebs beschränkt. Die Mitgliedstaaten würden jedoch davon profitieren, ihre Forschungsanstrengungen zu bündeln und ihre Informationssysteme zur Überwachung nicht übertragbarer Krankheiten zu integrieren. Dies würde zum Verständnis, zur Vorbeugung und zur Erkennung schwerer Krankheiten oder in Bereichen wie der Umweltgesundheit beitragen, die nach wie vor eine Herausforderung für alle darstellen.
Dies fällt unter das Mandat des Vertrags über die Europäische Union im Bereich der öffentlichen Gesundheit, das die EU zur Bekämpfung der großen Gesundheitsgefahren verpflichtet. Zu diesem Zweck könnte die EU das Überwachungsmandat des ECDC auf nicht übertragbare Krankheiten ausweiten.
Eine letzte Frage ist, ob sich die Gesundheitsunion auch auf Gesundheitsdienstleistungen und Gesundheitssysteme erstrecken sollte. Im Vertrag wird ausdrücklich erwähnt, dass die Gesundheitssysteme weiterhin in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen. Für diese Entscheidung gibt es einige wirtschaftliche Gründe: Jede Konvergenz oder Integration von Gesundheitssystemen wäre mit unerschwinglichen Kosten verbunden.
Die EU spielt jedoch durch den Binnenmarkt für Arzneimittel und Medizinprodukte eine wichtige Rolle in den Gesundheitssystemen. Auf diese entfallen rund 20 Prozent der Gesundheitsausgaben in der EU, und Arzneimittel und Medizinprodukte sind wichtige Triebkräfte für Innovationen im Gesundheitswesen. Diese Märkte stehen unter erheblichem Druck, um mit dem globalen Wettbewerb und den knappen Gesundheitsbudgets fertig zu werden. Die EU-Kommission hat im November 2020 eine pharmazeutische Strategie verabschiedet, um diese Herausforderungen zu bewältigen, und sie wird ein wichtiger Beitrag zur Gesundheitsunion sein.
Insgesamt wird eine Gesundheitsunion kein vollständig integriertes Modell sein, wie es in einem Land existiert. Die Gesundheitssicherheit wird im Vergleich zu anderen Belangen der öffentlichen Gesundheit eine Priorität für die Integration bleiben, und koordinierte Maßnahmen im Gesundheitswesen werden begrenzt bleiben. Innerhalb dieser Grenzen würde die EU jedoch von mehr politischem Ehrgeiz profitieren. Die unmittelbare Priorität sollte die vollständige Umsetzung des Pakets der Gesundheitsunion für die Gesundheitssicherheit und die pharmazeutische Strategie sein.
Anne Bucher ist non-Resident Fellow beim europäischen Think-Tank Bruegel und ehemalige Generaldirektorin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in der Europäischen Kommission.