Table.Briefing: China

Xis Agenda + VW und Horizon Robotics

  • Welche Ziele verfolgt Xi Jinping?
  • Volkswagen setzt bei KI auf einen alten Bekannten
  • Polizisten von den Salomonen trainieren in China
  • IOC-Chef spricht nicht mit Bundestags-Ausschuss
  • Zentralbank geht gegen Währungsschwankungen vor
  • Taiwan: Peking lernt aus Krieg gegen Ukraine
  • Politologe Minxin Pei über das zerfallende Erbe Deng Xiaopings
Liebe Leserin, lieber Leser,

einen Kongress der Kommunistischen Partei Chinas gibt es nur alle fünf Jahre, und am Wochenende geht es los. Die Nervosität ist entsprechend hoch. Im Mittelpunkt: Xi Jinping. Der Parteitag ist seine Show. Grund genug, seine Persönlichkeit näher zu betrachten. Michael Radunski beschreibt ihn als geschickten Strategen, der sich lange als unauffälliger Kompromisskandidat gegeben hat, bevor er konsequent die Macht an sich riss. Eine Mehrheit der China-Beobachter hat ihn daher unterschätzt und sogar als freiheitlichen Reformer begrüßt. Umso größer war der Schock, als er die Partei zurückgeschickt hat in die autoritäre Vergangenheit.

Der rücksichtslose Politiker Xi stellt auch Deutschland auf eine Probe. Beim globalen Anspruch Chinas will Xi zurück in eine ferne Vergangenheit, in der China eine Weltmacht war. Er hält sich allerdings keineswegs an die historische Blaupause. In der tatsächlichen Geschichte hat das Reich der Mitte lange Zeit ohne internationale Ambitionen in sich selbst geruht. Xi ist dagegen auf konkreten weltweiten Einfluss aus. Und mit hart spielenden Partnern kommt Deutschland schlecht zurecht. Es würde sich eben doch lieber auf Handel konzentrieren, ein Feld, auf dem mehr Erfahrung vorhanden ist als in der Machtpolitik.

Wir bleiben in den kommenden Tagen am Ball und versorgen Sie rund um den Parteitag mit Infos zu den aktuellen Entwicklungen. Am kommenden Mittwoch, 19. Oktober, können Sie sich zudem im Table.Live-Talk mit unserem Redakteur Michael Radunski zu dem politischen Großereignis austauschen.

Zwischen den Volkswirtschaften sieht es derweil gar nicht so schlecht aus, wie auch der jüngste Schachzug des VW-Konzerns zeigt. Er will einen Milliardenbetrag in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem KI-Spezialisten Horizon Robotics investieren. Indem das Unternehmen sich hier in bestehendes Digitalwissen einkauft, will es einem Desaster seiner Software-Sparte entgehen. Der fehlen nämlich Fachkräfte. Wir beleuchten, was es mit dem neuen VW-Partner auf sich hat.

Ihr
Finn Mayer-Kuckuk
Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

Analyse

Die Mission des Xi Jinping

Der 20. Parteitag steht an: Was macht Xi Jinping aus? Welche Ziele verfolgt er?

Als Xi Jinping 2012 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei ernannt wurde, waren die Hoffnungen groß: Xi würde als großer Reformer China in ein neues Zeitalter führen. Journalisten, die vom damaligen Parteitag in Peking berichteten, konnten förmlich den Geruch von Reform und Veränderung riechen.

Selbst in der New York Times gab man sich geradezu euphorisch: “Der neue oberste Führer, Xi Jinping, wird ein Wiederaufleben der Wirtschaftsreformen und wahrscheinlich auch eine gewisse politische Lockerung anführen. Maos Leichnam wird unter seiner Aufsicht vom Tiananmen-Platz geschleppt und Liu Xiaobo, der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Schriftsteller, wird aus dem Gefängnis entlassen.” So prophezeite es zumindest der Pulitzer-Preisträger Nicholas Kristof am 5. Januar 2013.

Regieren mit eisenharter Hand

Doch es sollte alles anders kommen. Mao Zedong ist in China wieder so beliebt wie noch nie seit seinem Tod. Liu Xiaobo starb elendig in der Gefangenschaft. Doch damit nicht genug: Statt wirtschaftlichem und zivilgesellschaftlichem Wandel brachte Xi Jinping einen eisenharten Führungsstil. Xi ist weit davon entfernt, ein Reformer zu sein. Vielmehr ist er ein Restaurator – der Partei und ihrer zentralen Rolle in der Gesellschaft sowie Chinas und seiner Rolle in der Welt.

Wie konnte man sich derart grundsätzlich in diesem Mann täuschen? Und was treibt Chinas Führer an, dass er sich auf dem kommenden Parteitag sogar eine dritte Amtszeit übertragen lässt?

Der Schlüssel liegt in Liangjiahe

Folgt man der offiziellen Geschichtsschreibung der Kommunistischen Partei, liegt der Schlüssel zu Xi Jinpings Werdegang in Liangjiahe, einem kleinen, unscheinbaren Dorf in den Lössbergen der zentralchinesischen Provinz Shaanxi. Es war 1969, die Kulturrevolution wütete im gesamten Land, und Mao Zedong schickte Millionen Studenten hinaus aufs karge Land, damit sie am eigenen Leib das arme und entbehrungsreiche Leben der Bauern erfahren würden. Einer von ihnen war der damals 16-jährige Xi Jinping, Sohn des in Ungnade gefallenen Parteigranden Xi Zhongxun.

Xis Vater war Revolutionär der ersten Stunde. An der Seite von Mao Zedong hatte er unweit von Liangjiahe in den Bergen Yan’ans für die kommunistische Revolution gekämpft und war anschließend bis zum Vizepremier aufgestiegen. Xi Jinping ist also ein 太子 (tàizǐ) – ein Prinzling, wie die Söhne jener ersten KP-Generation genannt werden. Das brachte allerlei Privilegien mit sich: Er wuchs im Schatten der Verbotenen Stadt auf, besuchte die Eliteschulen der Stadt, deren Besuch den Kindern hoher Parteikader und Militärs vorbehalten war. Während im Land die Kulturrevolution tobte, lebte Xi in einer heilen Welt.

Das alles war 1969 schlagartig vorbei. Mao beschuldigte Xi Senior der Verschwörung, die Familie fiel in Ungnade. Xi Junior wurde gemobbt und gezwungen, seinen Vater öffentlich zu denunzieren. Seine ältere Halbschwester beging sogar Suizid. Xi ging nicht freiwillig nach Liangjiahe, er wurde verbannt.

Liangjiahe: Xi Jinping kehrt 2015 zurück an den Ort seiner Verbannung. Sein Aufstieg in der Partei sowie seine Ziele waren überraschend.
Liangjiahe: Xi Jinping kehrt 2015 zurück an den Ort seiner Verbannung

Der offiziellen KP-Mythologie zufolge verwandelte sich Xi dort vom privilegierten Prinzling in einen Mann des Volkes. Xi selbst sagte einmal: “Viele meiner grundlegenden Ideen und Qualitäten wurden in Yan’an geprägt. Vorher war ich gewohnt, feinen Reis zu essen. Dort waren es grobe Körner. Aber bald lernte ich, sie zu schlucken.”

Für Xis Vater ging es bald wieder bergauf. Er wurde rehabilitiert und errichtete in einem kleinen Fischerdorf namens Shenzhen Chinas erste Sonderwirtschaftszone. Heute hat Shenzhen rund zwölf Millionen Einwohner und gilt als Zentrum der chinesischen Hightech-Industrie. Die Sonderwirtschaftszone hatte ihre eigenen, freieren Regeln. Sie war ein Reformprojekt.

Xi Jinping wird “röter als rot”

Nach diesen Erfahrungen glaubten politische Beobachter, Xi Jinping zu kennen. Zwei Schlussfolgerungen schienen auf der Hand zu liegen. Erstens: Nach all den Gräueltaten gegen ihn, seinen Vater und seine Familie musste Xi Jinping die KP China hassen. Zweitens: Xi werde bestimmt seinem Vater nacheifern und als Reformer nicht nur Shenzhen, sondern ganz China modernisieren. Beides stellte sich als falsch heraus.

Xi Jinping sah sich auf einer Mission. Er war immer noch ein Prinzling, und als legitimer Erbe der revolutionären Errungenschaften glaubte er, das Recht zu haben, China zu führen. Allerdings musste er vorsichtig sein. “Xi beschloss, zu überleben, in dem er röter als rot wurde”, wird eine Quelle aus seinem Umfeld in einem geheimen Bericht der amerikanischen Botschaft aus dem Jahr 2009 zitiert. Und tatsächlich. Trotz allem, was die Partei ihm angetan hatte, stellte Xi in den Folgejahren insgesamt acht Mitgliedsanträge – ehe er endlich in die Jugendliga aufgenommen wurde. Xi trat in die Kommunistische Partei ein und begann einen Karriereplan zu entwerfen, der ihn an die Spitze bringen sollte. Er wollte nicht das System zerstören, sondern es von innen kapern und dann von oben beherrschen.

Die Erfahrung hatte ihn gelehrt: Um ganz nach oben zu kommen, muss er so lang wie möglich unauffällig und unscheinbar bleiben. Fast scheint es, als hätte Xi seinem persönlichen Werdegang eine berühmte Maxime von Deng Xiaoping zugrunde gelegt. “Verstecke deine Stärken, und warte, bis deine Zeit gekommen ist.”

Xis Devise: Zielstrebig, aber unauffällig bleiben

Entsprechend gab sich Xi lange Zeit zielstrebig und weitsichtig, aber unauffällig. Als Sekretär des Verteidigungsministers knüpfte er Kontakte zum Militär, in den Provinzen Fujian und Zhejiang gab er sich unternehmerfreundlich und verschlankte die Bürokratie. Xi blieb Xi als Funktionär derart unauffällig, dass er der breiten Öffentlichkeit vor allem bekannt war als Ehemann von Peng Liyuan: einer der bekanntesten Sängerinnen sogenannter Roter Lieder wie “Menschen aus unserem Dorf” (父老乡亲) oder “Im Feld der Hoffnung” (在希望的田野上). Peng war in China ein Star – und Xi Jinping der Ehemann von Peng.

Peng Liyuan mit Ehemann Xi Jinping.
Peng Liyuan mit Ehemann Xi Jinping.

Damit hatte Xi nicht nur privat Erfolg. In der KP wüteten zu jener Zeit erbitterte Grabenkämpfe zwischen den verschiedenen Gruppierungen, so war beispielsweise Jiang Zemin zwar offiziell abgetreten, zog im Hintergrund allerdings weiterhin kräftig die Strippen. Als es darum ging, einen passenden Kandidaten für die Parteispitze zu finden, rückte deshalb Xi Jinping in den Fokus. Er galt vielen als solide, moderat und bieder. Kurzum: ein Kandidat, der niemandem wehtun würde.

Damit passte Xi perfekt in eine Zeit, in der die Partei noch kollektive Führung pries sowie die Aufteilung von Verantwortung, um willkürliche Entscheidungen eines einzelnen Führers zu verhindern. Heutzutage steht zu vermuten, dass ein solcher Gedanke von der chinesischen Zensur wahrscheinlich als unbotmäßige Kritik verstanden und umgehend gelöscht würde. 

Erste Machtprobe Xis

Im Jahr 2012 war es dann so weit. Doch kurz bevor er zum Generalsekretär der KP ernannt werden sollte, verschwand Xi Jinping plötzlich spurlos, selbst Termine mit der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton wurden abgesagt. Die Spekulationen reichten von Gesundheitsproblemen bis hin zu einem versuchten Attentat.

Doch Chris Johnson, ehemaliger China-Analyst der CIA berichtete gegenüber dem Magazin “The Economist” von einer Machtprobe Xis: Demnach waren die Parteigranden wohl überrascht von Xis Machthunger und versuchten, diesen kurz vor dem Parteitag noch einzuhegen. Xi war sich jedoch der zeitlichen Zwangslage nur allzu bewusst und spielte seine Karten eiskalt aus, in dem er drohte, sie sollten sich dann doch schnell lieber einen anderen für diesen Job suchen.

Die Partei lenkte ein, Xi wurde wenige Wochen später auf dem 18. Parteitag zum Generalsekretär ernannt – und hatte zugleich klargemacht, wer zukünftig an der Spitze von Partei und Staat stehen würde. Xi wollte nicht nur der Erste unter Gleichen sein, sondern einfach nur der Erste.

Xi lässt alle auf Linie bringen

Entsprechend begann er umgehend die KP umzukrempeln – und ganz auf ihn zuzuschneiden. Mithilfe einer nie dagewesenen Anti-Korruptionskampagne säuberte er die Ränge der Partei und Sicherheitskräfte. Tausende Kader wurden inhaftiert und verurteilt – angefangen auf den untersten Dorfebenen bis fast ganz hinauf in die Spitze zu Zhou Yongkang, einem Mitglied des Ständigen Ausschusses der KP. Sicherlich gibt es innerhalb der KP unterschiedliche Gruppierungen und Fraktionen, divergierende Interessen und Ansichten. Doch aktuell hat Xi Jinping sie alle auf Linie gebracht. Seine eigene Linie.

Auch in der Zivilgesellschaft ließ er Dissens niederschlagen, Menschenrechtler wurden verhaftet, NGOs das Arbeiten unmöglich gemacht. In Xinjiang werden Millionen Uiguren in Zwangslager gesteckt, während in Hongkong die verfassungsmäßigen Freiheiten radikal beschränkt werden.

Und auch außenpolitisch ist für Xi die Zeit der Zurückhaltung beendet: Im Südchinesischen Meer ließ er Sandbänke zu militärischen Stützpunkten ausbauen, die Drohungen gegenüber Taiwan werden schärfer, die Militärübungen nehmen zu. Von Chinas “pro-russischer Neutralität” im Ukraine-Krieg ganz zu schweigen.

Inzwischen ist wohl auch dem Letzten klargeworden: Xi ist weder der vom Westen ersehnte Reformer noch der von den Parteigranden gesuchte Kollektivführer. Xi ist ein knallharter Machtpolitiker, der rücksichtslos seine Ziele verfolgt.

Viele sehen Xi im Zenit. Doch nach dem Zenit kommt immer der erste Schritt des Niedergangs. Und in der Tat sind die Probleme gewaltig, denen sich Xi gegenübersieht: Der atemberaubende wirtschaftliche Aufschwung ist ins Stocken geraten. Wirtschaftswachstum ist jedoch auch für Xi ist er unverzichtbar, da der Erfolg die KP-Herrschaft legitimiert. Zudem hat Xi sich mit seiner strikten Zero-Covid-Politik vollkommen verrannt. Was zu Beginn der Pandemie als notwendige Einschränkung angesehen wurden, sorgt längst für Frust und Unmut bei den Menschen.

Nur Xi kann es richten

Doch Xi sieht sich als Mann mit Mission. Um ihn zu verstehen, muss man sich seine Erfahrungen und Erniedrigungen seiner Jugendzeit vergegenwärtigen. Und mögen die Tage in den kalten Lehmhöhlen von Liangjiahe inzwischen von der Partei-Propaganda verklärt und überhöht werden, sie sind für das Verständnis des chinesischen Staatsführers unerlässlich.  

Innenpolitisch darf nie wieder ein Chaos wie in der Kulturrevolution entstehen. Der Zerfall der Sowjetunion wie auch die Farbenrevolutionen in den arabischen Ländern dienen ihm als mahnendes Beispiel. Die Gesellschaft müsse auf einem festen ideologischen Fundament stehen, dafür hat Xi die Ideen von “Chinesischen Traum” (中国梦; Zhōngguó mèng) und die “Verjüngung der chinesischen Nation” (中华民族伟大复兴; Zhōnghuámínzú Wěidà Fùxīng) entwickelt. Um sie zu verwirklichen, bedarf es aus seiner Sicht der absoluten Kontrolle – und zwar über alle Bereiche: von Wirtschaft bis Kultur, von öffentlichen Straßen und Plätzen bis in die privaten Wohnungen und Smartphones der Menschen. Xi glaubt, nicht wieder loslassen zu können, weil dann alles auseinanderfliegt.

Und auch außenpolitisch hat Xi Großes vor. Sein Narrative hier lautet “Veränderungen, die man seit einem Jahrhundert nicht mehr gesehen hat” (百年未有之大变局; Bǎinián wèi yǒu zhī dà biànjú). Xi will China zurück an den ihm zustehenden Platz führen: an die Spitze. In diesem Sinne sollte man “Zhongguo” vielleicht in Zukunft nicht mehr als Reich der Mitte übersetzen, sondern als “Nabel der Welt”.

Damit diese durchaus schwierigen Unterfangen auch gelingen, bedarf es ohne Zweifel eines fähigen Führers. Xi Jinping traut das nur einem zu: Xi Jinping.

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Horizon Robotics wird neuer KI-Partner von VW

Partner von VW: So sieht der Chip von Horizon Robotics eine Straßenszene im Pekinger Stadtteil Zhongguancun.
So sieht der Chip von Horizon Robotics eine Straßenszene im Pekinger Stadtteil Zhongguancun.

Volkswagens Software-Sparte Cariad will sich Medienberichten zufolge in China mit einer heimischen Größe für künstliche Intelligenz und automatisiertes Fahren zusammentun. Dazu will der Konzern bis zu zwei Milliarden Euro in ein Gemeinschaftsunternehmen mit der KI-Firma Horizon Robotics aus Peking investieren. Über entsprechende Pläne berichtete das Manager Magazin. Konzernkreisen zufolge wäre der Schritt ein zentraler Baustein in der Digitalisierungs- und China-Strategie von Europas größter Autogruppe. Der förmliche Beschluss steht noch aus.

Horizon Robotics wäre auf jeden Fall ein logischer und höchst kompetenter Partner. Im VW-Konzern ist er bereits bekannt: Audi hat bereits Projekte mit dem Unternehmen zur Ausstattung selbstfahrender Autos durchgezogen. Horizon Robotics ist zudem Partner weiterer Spieler aus der Autobranche, darunter Continental. Der Dax-Konzern aus Hannover hatte im vergangenen Jahr die Gründung eines Joint-Ventures mit dem chinesischen Unternehmen bekannt gegeben.

Das Beispiel Audi zeigt hier bereits, wie sich die Technikwelt derzeit aufteilt: Während die Oberklassemarke für westliche Märkte mit dem US-Konzern Nvidia zusammenarbeitet, hat sie in China die Fühler zu Horizon Robotics ausgestreckt. Künftig laufen die West-Modelle vermutlich vor allem mit amerikanischer oder europäischer Hard- und Software und die China-Modelle mit chinesischer Technik. Eine Folge des geopolitischen Auseinanderdriftens und des steigenden gegenseitigen Misstrauens plus protektionistischer Industriepolitik.

Der Chip weiß, wo der Kinderwagen in drei Sekunden sein wird

Das technische Können von Horizon Robotics ist dabei locker auf dem Stand der US-Konkurrenz. “Unsere Mission ist es, eine weltweit führende Plattform für Künstliche Intelligenz zu schaffen”, sagte Firmengründer und -chef Yu Kai. Yu hat das Institut für Maschinenlernen des IT-Konzerns Baidu geleitet, bevor er mit einigen Kumpels seine eigene Firma gegründet hat.

Horizon entwickelt Chips, die auf die Abbildung von gehirnähnlichen Strukturen ausgelegt sind, also neuronalen Netzen. Diese können Muster und Situationen erkennen und deuten. Diese Fähigkeit ist von unschätzbarem Wert für zahlreiche Branchen wie Autos, Luftfahrt, Sicherheit und Roboter. Horizon fängt mit dem Automarkt an, will künftig aber auch autonome Funktionen in viele andere Bereiche tragen.  

China.Table-Redakteure Finn Mayer-Kuckuk und Felix Lee testen die Mustererkennung von Horizon Robotics in Peking. Horizon Robotics und VW werden Partner.
China.Table-Redakteure Finn Mayer-Kuckuk und Felix Lee testen die Mustererkennung von Horizon Robotics in Peking.

Die Logik der Horizon-Software erfasst das, was sie sehen, nicht einfach nur in einem Pixel-Muster. Sie verstehen zu einem gewissen Grad, was sie sehen, und ordnen die Bildteile dem entsprechenden Sinn zu. Ein Radfahrer wird als solcher erkannt, ebenso wie ein Gebäude, der Zebrastreifen oder eine Mutter mit Kinderwagen. Dafür sind die neuronalen Netze zuständig. Diese lernen aus unzähligen Fallbeispielen selbständig die Welt kennen. Sie erkennen Muster nach ihrem Training viel zuverlässiger als starr programmierte Algorithmen.

Doch die Leistung der Horizon-Chips endet hier nicht. Sie bieten auf Basis dieses Wissens auch Vorhersagen über das Geschehen der nächsten Sekunden an. Die gelbe Ampel wird auf Rot springen (sie war vorher grün), der Radfahrer wird einen Meter weiter links sein (er kommt von rechts) und die Mutter mit Kinderwagen wird vermutlich stehenbleiben (ihre Fußgängerampel zeigt rot). Diese fertig aufbereiteten Daten über die mögliche künftige Verkehrssituation bietet der Chip dann dem Bordcomputer an, der damit über das nächste Fahrmanöver entscheidet. Priorität hat dabei natürlich die Warnung vor Gefahren, vor allem vor Zusammenstößen.

Genauso arbeitet unser Gehirn beim Autofahren auch: Es nutzt sein Weltwissen, um das Geschehen einige Umdrehungen weiterzuspinnen. Daher wissen wir, ob wir etwas Gas geben können, um durchzufahren, oder besser abbremsen, weil der Kinderwagen das Rad behindern wird, das uns wiederum im Weg stehen könnte. Ohne diese Fähigkeit ist flüssiges autonomes Fahren im Stadtverkehr nicht möglich. Die Autos müssten sich im Schneckentempo von Situation zu Situation tasten, wenn sie keine Prognosen wagen.

VW kauft sich mit Kapital das fehlende Know-how

Für Volkswagen bedeutet die Bindung an einen der wichtigen chinesischen KI-Spieler eine erneute, wenn auch moderate Korrektur der Strategie. In der Volksrepublik arbeitet VW bereits seit langem in der Fahrzeugproduktion und seit einiger Zeit auch in der Fertigung von Batteriezellen mit inländischen Anbietern zusammen. Das Joint-Venture würde Ankündigungen umsetzen, im Geschäft mit eigener Software und eigenen Elektroniksystemen ebenfalls lokale Expertise aufzubauen und unabhängiger von Lieferanten zu werden.

VW hat in den beiden letzten Jahren Marktanteile in China verloren, was auch an der Chipkrise lag. Die Versorgung mit Halbleitern verbessert sich nach Einschätzung des Konzerns wieder. Insgesamt läuft es jedoch bei Cariad nicht nach Plan, bei der Digitalisierung ist die Software-Tochter bislang sich auf alleine gestellt. Im Juni wurde bekannt, dass die Unternehmensberater von McKinsey Cariad ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt hat: Die Organisation funktioniere nicht, die Entscheidungsstruktur sei nicht zielführend, folglich komme es immer wieder zu erheblichen Verzögerungen bei der neuen Software-Architektur.

Weltweit mangelt es zudem an Softwareingenieurinnen und -ingenieuren. Die Konkurrenten werben sich die guten Leute gegenseitig ab, der Markt für IT-Fachkräfte bleibt ein Nullsummenspiel, bei dem bloß die Preise steigen. Die Tausende von Entwicklern, die bei Cariad allein nötig wären, um aus der Krise zu kommen, gibt es einfach nicht. Daher hat es viel mehr Sinn, sich mit lokaler, vorhandener Kompetenz zu verbünden. Matthias Wulf/Finn Mayer-Kuckuk

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News

China bildet Polizisten von den Salomonen aus

Eine Gruppe von 32 Polizeibeamten aus dem südpazifischen Staat der Salomonen ist nach China geflogen, um sich in polizeilichen Techniken ausbilden zu lassen und ihr Verständnis für die chinesische Kultur zu verbessern, wie die Royal Solomon Islands Police Force in einer Erklärung mitteilte.

Seit der Unterzeichnung eines Sicherheitspakts zwischen den beiden Ländern im April hat China der Polizei auf den Salomonen nach eigenen Angaben Schulungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angeboten. Das Abkommen zwischen dem Pazifik-Staat und der Volksrepublik hatte die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten, darunter Australien, alarmiert.

Auf einem Gipfeltreffen des Weißen Hauses mit den Staats- und Regierungschefs der Pazifikinseln im vergangenen Monat erklärten die Vereinigten Staaten, sie würden in diesem Jahr Ausbilder des FBI für die Strafverfolgung auf die Salomonen entsenden, um dem wachsenden Einfluss Chinas in der strategisch wichtigen Region entgegenzuwirken (China.Table berichtete).

Der Premierminister der Salomonen, Manasseh Sogavare, hatte zuvor erklärt, dass Australien weiterhin der bevorzugte Sicherheitspartner des Landes sei, und bestritt, dass der Pakt mit China die Einrichtung einer Militärbasis ermöglichen würde. Australien hat die Polizei der Salomonen geschult und ist seit Jahrzehnten an der Unterstützung der Sicherheit auf den Inseln beteiligt. Als vergangenes Jahr Unruhen die Hauptstadt Honiara erschütterten, forderte Premierminister Manasseh Sogavare die australische Regierung auf, Verteidigungspersonal zu entsenden, um bei der Wiederherstellung der Ordnung zu helfen. mw

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IOC-Präsident Bach lehnt Einladung des Bundestages ab

Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach, wird der Einladung des Menschenrechtsausschusses in den Deutschen Bundestag nicht folgen. Am Mittwoch bestätigte das IOC gegenüber China.Table die schriftliche Absage an die Ausschuss-Vorsitzende Renata Alt (FDP).

Bach begründet seine Ablehnung damit, dass er grundsätzlich keine nationalen Parlamente besuche. “Leider ist es dem IOC jedoch nicht möglich, an Ausschusssitzungen teilzunehmen. Das IOC als internationale Organisation mit 206 Nationalen Olympischen Komitees ist prinzipiell nicht in der Lage, die zahlreichen Einladungen ähnlicher Natur von Parlamenten aus aller Welt anzunehmen”, hiess es in einer Mitteilung. Die Repräsentanz der Olympischen Bewegung in Parlamentsanhörungen obliege den Nationalen Olympischen Komitees.

Der Menschenrechtsausschuss hatte auf eine Zusage des IOC-Chefs gehofft, um mit ihm die Vergabe der Olympischen Winterspiele an die Volksrepublik China aufzuarbeiten. Peking war trotz seiner Menschenrechtsbilanz im Februar dieses Jahres Ausrichter der Wettbewerbe.

Vor vier Wochen hatte eine Delegation des Ausschusses den IOC-Sitz in Lausanne besucht, war dort allerdings nicht mit Bach zusammengetroffen. Stattdessen wurden die deutschen Politiker, die zuvor beim Menschenrechtsrat im benachbarten Genf zahlreiche Gespräche geführt hatten, von Vertretern der Kommunikationsabteilung sowie der Kommission für Menschenrechte im IOC empfangen.

“Der Besuch beim IOC war nicht zufriedenstellend. Ich hatte das Gefühl, dass unsere Fragen nur ausweichend beantwortet wurden. Die Antworten schienen vor allem die Absicht zu verfolgen, die Vergabe der Olympischen Spiele an Peking auch nachträglich zu rechtfertigen”, hatte die Ausschussvorsitzende Alt damals beklagt. Das IOC beurteilte den Besuch dagegen positiv. “Es herrschte eine gute Gesprächsatmosphäre, die uns die Chance zu einem konstruktiven Austausch gegeben hat”, betonte ein Sprecher. grz

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Zentralbank will Yuan stabil halten

Chinas Zentralbank will gegen große Währungsschwankungen vorgehen. Das Kreditinstitut werde Schritte unternehmen, um den Yuan im Wesentlichen stabil zu halten, teilte die People’s Bank of China (PBOC) mit. Der Yuan müsse zudem dem Dollar gegenüber nicht unbedingt schwächer werden, wenn der Index, der die Wertentwicklung der US-Währung gegenüber einem Währungskorb misst, steige. In den vergangenen Jahren habe es Fälle gegeben, in welchen der Dollar aufgewertet worden, der Yuan aber stärker gewesen sei, hieß es in dem PBOC-Statement.

Der Yuan ist in diesem Jahr gegenüber dem US-Dollar um mehr als elf Prozent eingebrochen. An einem Punkt erreichte er seinen schwächsten Stand seit der globalen Finanzkrise 2008 (China.Table berichtete). Hintergründe dafür waren die Straffung der US-Geldpolitik und die wirtschaftliche Abschwächung der Volksrepublik. “Es gibt keine Möglichkeit, Wechselkurse genau vorherzusagen, und Schwankungen in beide Richtungen sind die Norm”, erklärte die PBOC. rtr/ari

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Taiwan: China zieht Lehren aus Krieg in der Ukraine

Nach Ansicht des Generaldirektors des taiwanischen Nationalen Sicherheitsbüros, Chen Ming-tong, beobachtet China den Krieg in der Ukraine sehr genau, um “hybride Kriegsführungsstrategien” gegen Taiwan zu entwickeln. Dazu zählen der Einsatz von Drohnen und psychologischem Druck. Chinas Volksbefreiungsarmee habe ihre “Grauzone” und hybriden Aktivitäten gegen Taiwan ausgeweitet. Sie habe Drohnen eingesetzt, die sowohl in der Nähe der von Taiwan kontrollierten Inseln vor der chinesischen Küste als auch in Taiwans Luftverteidigungszone geflogen seien, sagte Chen im Parlament.

Chinas “Grauzonen”-Kriegsführung beinhalte Taktiken, um einen Gegner zu erschöpfen, ohne auf offene Kämpfe zurückzugreifen, wie etwa häufige Flüge in Taiwans Luftverteidigungszone, die Taiwans Luftwaffe zum Ausweichen zwingen. China habe Bilder von Taiwans Militär im Internet veröffentlicht, “um es zu verleumden und die Regierung anzugreifen”, sagte Chen. Er bezog sich dabei auf ein Video, das im August in chinesischen sozialen Medien kursierte und taiwanische Soldaten auf vorgelagerten Inseln zeigt, die von Drohnen aufgenommen wurde. Ende August hatte Taiwan zum ersten Mal eine zivile Drohne abgeschossen.

Die chinesische Führung hatte im August Militärübungen in der Umgebung Taiwans abgehalten, um ihre Verärgerung über einen Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taipeh zum Ausdruck zu bringen. Die Volksbefreiungsarmee hat ihre militärischen Aktivitäten seither fortgesetzt, wenn auch in geringerem Umfang. rtr/mw

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Presseschau

China begrüßt Plädoyer von Scholz gegen Abkopplung HANDELSBLATT
Außenministerin Baerbock warnt vor wirtschaftlicher Abhängigkeit von China WELT
Sicherheit: USA wappnen sich gegen China als stärksten Rivalen SUEDDEUTSCHE
Biden admin declares post-Cold War era “definitively over” POLITICO
Arabiens Blick nach China – wie US-Präsident Biden einen Verbündeten verliert WALLSTREET-ONLINE
China weitet seinen Einfluss im Südpazifik aus – während die Region ums Überleben kämpft MERKUR
Exportnation Deutschland: Sicherheit ist wertvoller als Export SUEDDEUTSCHE
VW-Aufsichtsrat berät Milliardenprojekt in China FAZ
Xi Jinping poised to consolidate power at China’s Communist Party Congress EDITION
China, with ‘fighting spirit’, says it put national interest first in last five years REUTERS
China will Kampfjets mit Hyperschallraketen auf Flugzeugträgern einsetzen FUTUREZONE
China will harten Covid-Kurs nicht lockern HANDELSZEITUNG
Der “Verschwörung” auf der Spur – Dirk Müller: Fed hebt Zinsen so stark an um China den “Stecker zu ziehen” FINANZMARKTWELT
Britischer Geheimdienstchef warnt vor Chinas Satelliten-Navigation FUTUREZONE
China to cut winter gas purchases easing Europe’s supply pressure GLOBALNEWS
U.S. Suppliers Halt Operations at Top Chinese Memory Chip Maker WSJ
Taiwan says destroying TSMC in the event of a Chinese invasion is unnecessary TECHSPOT
Shanghai says water supplies ‘normal’ after shortage scare sparks hoarding THEGUARDIAN
Schwerer Vorwurf von Ex-Profi Royce White über LeBron James: Eine Milliarde Dollar von Nike für Schweigen zu Chinas Gewalt gegen Uiguren? FOCUS
The WTA’s Return to China Is Going to Be Uncomfortable SI

Standpunkt

Das Kartenhaus der KPCh zum Einsturz bringen

Von Minxin Pei
Minxin Pei, Professor für Politikwissenschaft am Claremont McKenna College in Kalifornien
Minxin Pei, Politologe am Claremont McKenna College in Kalifornien
 

Auf dem 20. Nationalkongress der Kommunistischen Partei Chinas in diesem Monat wird Xi Jinping mit ziemlicher Sicherheit für eine dritte Amtszeit als Generalsekretär der Partei und als Präsident Chinas bestätigt werden. Damit wird er Chinas dienstältester oberster Führer seit Mao Zedong, und die Regeln und Normen, die das KPCh-Regime regieren sollen, werden erschüttert werden.

Diese Regeln und Normen wurden größtenteils von Maos Nachfolger, Deng Xiaoping, eingeführt, der 1978 die Macht übernahm. Deng wusste aus erster Hand, welchen Schaden der ideologische Fanatismus der Partei anrichten konnte. Während der Kulturrevolution wurde einer seiner Söhne von randalierenden Rotgardisten schwer verletzt. Deng selbst wurde seiner offiziellen Ämter enthoben und für vier Jahre zur Arbeit in eine Fabrik in einer abgelegenen Provinz geschickt – eines von drei Malen, dass er während seiner langen revolutionären Karriere aus der Regierung entfernt wurde.

Um sicherzustellen, dass China nie wieder von einem solchen Terror heimgesucht werden würde, stellte Deng – mit Unterstützung anderer altgedienter Revolutionäre, die die Kulturrevolution überlebt hatten – die kollektive Führung wieder her und führte Alters- und Amtszeitbeschränkungen für die meisten Führungspositionen der KPCh ein. In den folgenden Jahrzehnten hatten Chinas Spitzenpolitiker nicht mehr als zwei Amtszeiten, und die Mitglieder des Politbüros hielten sich an eine implizite Altersgrenze von 68 Jahren.

Dengs “regelbasiertes System” enthält Schlupflöcher

Doch Xi hat gezeigt, wie fragil Dengs “regelbasiertes System” wirklich war. Trotz des ganzen Trubels um Dengs Errungenschaften ist seine Bilanz bei der Zügelung des KPCh-Regimes bestenfalls durchwachsen, nicht zuletzt, weil sein eigenes Engagement für die Regeln nicht annähernd so stark war, wie man erwarten könnte.

In der Praxis verschmähte Deng die kollektive Führung und formale Verfahren. Er hielt nur selten Sitzungen des Ständigen Ausschusses des Politbüros ab, weil er seinem Hauptkonkurrenten, einem überzeugten Konservativen, der die Wirtschaftsreform ablehnte, eine Plattform verwehren wollte, um seine Politik infrage zu stellen. Stattdessen übte er die Führung durch private Treffen mit Anhängern aus.

Darüber hinaus verstieß Deng im Umgang mit Führern, die mit den pro-demokratischen Kräften sympathisierten, häufig gegen die von ihm festgelegten Verfahren und Normen. Seine Entlassung von zwei liberalen KPCh-Führern – Hu Yaobang 1986 und Zhao Ziyang (der Dengs Befehl zur Verhängung des Kriegsrechts während der Tiananmen-Krise verweigerte) 1989 – widersprach den Statuten der Partei.

Gleichzeitig vermied es Deng manchmal, überhaupt eine Regel einzuführen, wenn dies seinen politischen Interessen schaden könnte. Vor allem hat er – zusammen mit anderen alternden KPCh-Führern – keine Alters- oder Amtszeitbeschränkungen für Politbüromitglieder eingeführt. Selbst wenn sie nicht unbegrenzt in der Regierung bleiben konnten, würden sie ihre Entscheidungsbefugnis nie verlieren.

Ebenso erließ Deng keine formellen Vorschriften darüber, wer den Vorsitz in der Zentralen Militärkommission führen durfte. Dies ermöglichte es ihm, dieses Amt auch nach seinem Rücktritt von anderen Ämtern weiter auszuüben. Diesem Präzedenzfall folgend tat Jiang Zemin im Jahr 2002 dasselbe. Was Xi betrifft, so musste er sich zwar darum bemühen, dass die für den Präsidenten vorgesehene Amtszeitbeschränkung 2018 aus der Verfassung gestrichen wurde, doch profitierte er davon, dass die KPCh für das Amt des Generalsekretärs keine offizielle Amtszeitbeschränkung festgelegt hatte.

In Diktaturen haben Medien und Bürger keine Stimme

An Chinas Ringen um die Einhaltung von Regeln und Normen ist nichts schockierend. Selbst reife Demokratien wie die Vereinigten Staaten stehen vor solchen Herausforderungen, wie die Präsidentschaft von Donald Trump deutlich gezeigt hat. Aber wenn die formale verfassungsrechtliche Kontrolle versagt, können Demokratien zumindest auf eine freie Presse, die Zivilgesellschaft und Oppositionsparteien zählen, die sich wehren, wie sie es gegen Trump getan haben.

In Diktaturen sind Regeln und Normen weitaus anfälliger, da es keine glaubwürdigen verfassungsrechtlichen oder politischen Durchsetzungsmechanismen gibt und Autokraten Institutionen wie Verfassungsgerichte leicht politisieren können, indem sie solche Gremien zu Erfüllungsgehilfen machen. Außerdem gibt es keine sekundären Durchsetzungsmechanismen. In China gibt es weder eine freie Presse noch eine organisierte Opposition. Wenn eine Regel unbequem wird – wie es die verfassungsmäßige Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten für Xi war – kann sie leicht geändert werden.

Auch wenn es autokratischen Herrschern zugutekommen mag, institutionelle Regeln und Normen mit Füssen zu treten, ist es nicht unbedingt gut für ihre Regime. Die Erfahrungen der KPCh unter Mao sind ein gutes Beispiel dafür. Ohne jegliche institutionelle Beschränkungen führte Mao unaufhörlich Säuberungen durch und führte die Partei von einer Katastrophe in die nächste, wobei er ein ideologisch erschöpftes und wirtschaftlich bankrottes Regime hinterließ.

Deng verstand, dass ein auf Regeln basierendes System unerlässlich war, um eine Wiederholung dieser katastrophalen Erfahrung zu vermeiden. Doch seine Überzeugung konnte sein Eigeninteresse nicht überwinden, und das institutionelle Gebäude, das er in den 1980er-Jahren errichtete, erwies sich als wenig mehr als ein Kartenhaus. Xis Bestätigung in diesem Monat ist lediglich der Startschuss für den unvermeidlichen Zusammenbruch des Systems.

Minxin Pei ist Professor für Regierungsführung am Claremont McKenna College und Non-Resident Senior Fellow beim German Marshall Fund of the United States. Übersetzung: Andreas Hubig.

Copyright: Project Syndicate, 2022.
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Personalien

Dirk Lubig, bislang Head of Global Transaction Banking China bei der Deutschen Bank, hat das Kreditinstitut nach fast zehn Jahren, dreieinhalb davon in Shanghai, verlassen. Sein künftiger Arbeitgeber ist noch nicht bekannt.

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Dessert

Arbeitsplatz für die Presse: Das Medienzentrum für den am Sonntag beginnenden Parteitag hat bereits geöffnet. Hier haben heimische und ausländische Medienschaffende nur mit speziellen Akkreditierungen Zutritt. Im Jahr 2017 hatte es nach offiziellen Angaben eine Rekordzahl an Berichterstattern gegeben: Rund 3.000 Medienschaffende, darunter rund 1.800 internationale Journalisten, waren für den 19. Parteitag akkreditiert. Dieses Mal haben sich weiter weniger Journalisten aus dem Ausland angekündigt.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Welche Ziele verfolgt Xi Jinping?
    • Volkswagen setzt bei KI auf einen alten Bekannten
    • Polizisten von den Salomonen trainieren in China
    • IOC-Chef spricht nicht mit Bundestags-Ausschuss
    • Zentralbank geht gegen Währungsschwankungen vor
    • Taiwan: Peking lernt aus Krieg gegen Ukraine
    • Politologe Minxin Pei über das zerfallende Erbe Deng Xiaopings
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    einen Kongress der Kommunistischen Partei Chinas gibt es nur alle fünf Jahre, und am Wochenende geht es los. Die Nervosität ist entsprechend hoch. Im Mittelpunkt: Xi Jinping. Der Parteitag ist seine Show. Grund genug, seine Persönlichkeit näher zu betrachten. Michael Radunski beschreibt ihn als geschickten Strategen, der sich lange als unauffälliger Kompromisskandidat gegeben hat, bevor er konsequent die Macht an sich riss. Eine Mehrheit der China-Beobachter hat ihn daher unterschätzt und sogar als freiheitlichen Reformer begrüßt. Umso größer war der Schock, als er die Partei zurückgeschickt hat in die autoritäre Vergangenheit.

    Der rücksichtslose Politiker Xi stellt auch Deutschland auf eine Probe. Beim globalen Anspruch Chinas will Xi zurück in eine ferne Vergangenheit, in der China eine Weltmacht war. Er hält sich allerdings keineswegs an die historische Blaupause. In der tatsächlichen Geschichte hat das Reich der Mitte lange Zeit ohne internationale Ambitionen in sich selbst geruht. Xi ist dagegen auf konkreten weltweiten Einfluss aus. Und mit hart spielenden Partnern kommt Deutschland schlecht zurecht. Es würde sich eben doch lieber auf Handel konzentrieren, ein Feld, auf dem mehr Erfahrung vorhanden ist als in der Machtpolitik.

    Wir bleiben in den kommenden Tagen am Ball und versorgen Sie rund um den Parteitag mit Infos zu den aktuellen Entwicklungen. Am kommenden Mittwoch, 19. Oktober, können Sie sich zudem im Table.Live-Talk mit unserem Redakteur Michael Radunski zu dem politischen Großereignis austauschen.

    Zwischen den Volkswirtschaften sieht es derweil gar nicht so schlecht aus, wie auch der jüngste Schachzug des VW-Konzerns zeigt. Er will einen Milliardenbetrag in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem KI-Spezialisten Horizon Robotics investieren. Indem das Unternehmen sich hier in bestehendes Digitalwissen einkauft, will es einem Desaster seiner Software-Sparte entgehen. Der fehlen nämlich Fachkräfte. Wir beleuchten, was es mit dem neuen VW-Partner auf sich hat.

    Ihr
    Finn Mayer-Kuckuk
    Bild von Finn  Mayer-Kuckuk

    Analyse

    Die Mission des Xi Jinping

    Der 20. Parteitag steht an: Was macht Xi Jinping aus? Welche Ziele verfolgt er?

    Als Xi Jinping 2012 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei ernannt wurde, waren die Hoffnungen groß: Xi würde als großer Reformer China in ein neues Zeitalter führen. Journalisten, die vom damaligen Parteitag in Peking berichteten, konnten förmlich den Geruch von Reform und Veränderung riechen.

    Selbst in der New York Times gab man sich geradezu euphorisch: “Der neue oberste Führer, Xi Jinping, wird ein Wiederaufleben der Wirtschaftsreformen und wahrscheinlich auch eine gewisse politische Lockerung anführen. Maos Leichnam wird unter seiner Aufsicht vom Tiananmen-Platz geschleppt und Liu Xiaobo, der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Schriftsteller, wird aus dem Gefängnis entlassen.” So prophezeite es zumindest der Pulitzer-Preisträger Nicholas Kristof am 5. Januar 2013.

    Regieren mit eisenharter Hand

    Doch es sollte alles anders kommen. Mao Zedong ist in China wieder so beliebt wie noch nie seit seinem Tod. Liu Xiaobo starb elendig in der Gefangenschaft. Doch damit nicht genug: Statt wirtschaftlichem und zivilgesellschaftlichem Wandel brachte Xi Jinping einen eisenharten Führungsstil. Xi ist weit davon entfernt, ein Reformer zu sein. Vielmehr ist er ein Restaurator – der Partei und ihrer zentralen Rolle in der Gesellschaft sowie Chinas und seiner Rolle in der Welt.

    Wie konnte man sich derart grundsätzlich in diesem Mann täuschen? Und was treibt Chinas Führer an, dass er sich auf dem kommenden Parteitag sogar eine dritte Amtszeit übertragen lässt?

    Der Schlüssel liegt in Liangjiahe

    Folgt man der offiziellen Geschichtsschreibung der Kommunistischen Partei, liegt der Schlüssel zu Xi Jinpings Werdegang in Liangjiahe, einem kleinen, unscheinbaren Dorf in den Lössbergen der zentralchinesischen Provinz Shaanxi. Es war 1969, die Kulturrevolution wütete im gesamten Land, und Mao Zedong schickte Millionen Studenten hinaus aufs karge Land, damit sie am eigenen Leib das arme und entbehrungsreiche Leben der Bauern erfahren würden. Einer von ihnen war der damals 16-jährige Xi Jinping, Sohn des in Ungnade gefallenen Parteigranden Xi Zhongxun.

    Xis Vater war Revolutionär der ersten Stunde. An der Seite von Mao Zedong hatte er unweit von Liangjiahe in den Bergen Yan’ans für die kommunistische Revolution gekämpft und war anschließend bis zum Vizepremier aufgestiegen. Xi Jinping ist also ein 太子 (tàizǐ) – ein Prinzling, wie die Söhne jener ersten KP-Generation genannt werden. Das brachte allerlei Privilegien mit sich: Er wuchs im Schatten der Verbotenen Stadt auf, besuchte die Eliteschulen der Stadt, deren Besuch den Kindern hoher Parteikader und Militärs vorbehalten war. Während im Land die Kulturrevolution tobte, lebte Xi in einer heilen Welt.

    Das alles war 1969 schlagartig vorbei. Mao beschuldigte Xi Senior der Verschwörung, die Familie fiel in Ungnade. Xi Junior wurde gemobbt und gezwungen, seinen Vater öffentlich zu denunzieren. Seine ältere Halbschwester beging sogar Suizid. Xi ging nicht freiwillig nach Liangjiahe, er wurde verbannt.

    Liangjiahe: Xi Jinping kehrt 2015 zurück an den Ort seiner Verbannung. Sein Aufstieg in der Partei sowie seine Ziele waren überraschend.
    Liangjiahe: Xi Jinping kehrt 2015 zurück an den Ort seiner Verbannung

    Der offiziellen KP-Mythologie zufolge verwandelte sich Xi dort vom privilegierten Prinzling in einen Mann des Volkes. Xi selbst sagte einmal: “Viele meiner grundlegenden Ideen und Qualitäten wurden in Yan’an geprägt. Vorher war ich gewohnt, feinen Reis zu essen. Dort waren es grobe Körner. Aber bald lernte ich, sie zu schlucken.”

    Für Xis Vater ging es bald wieder bergauf. Er wurde rehabilitiert und errichtete in einem kleinen Fischerdorf namens Shenzhen Chinas erste Sonderwirtschaftszone. Heute hat Shenzhen rund zwölf Millionen Einwohner und gilt als Zentrum der chinesischen Hightech-Industrie. Die Sonderwirtschaftszone hatte ihre eigenen, freieren Regeln. Sie war ein Reformprojekt.

    Xi Jinping wird “röter als rot”

    Nach diesen Erfahrungen glaubten politische Beobachter, Xi Jinping zu kennen. Zwei Schlussfolgerungen schienen auf der Hand zu liegen. Erstens: Nach all den Gräueltaten gegen ihn, seinen Vater und seine Familie musste Xi Jinping die KP China hassen. Zweitens: Xi werde bestimmt seinem Vater nacheifern und als Reformer nicht nur Shenzhen, sondern ganz China modernisieren. Beides stellte sich als falsch heraus.

    Xi Jinping sah sich auf einer Mission. Er war immer noch ein Prinzling, und als legitimer Erbe der revolutionären Errungenschaften glaubte er, das Recht zu haben, China zu führen. Allerdings musste er vorsichtig sein. “Xi beschloss, zu überleben, in dem er röter als rot wurde”, wird eine Quelle aus seinem Umfeld in einem geheimen Bericht der amerikanischen Botschaft aus dem Jahr 2009 zitiert. Und tatsächlich. Trotz allem, was die Partei ihm angetan hatte, stellte Xi in den Folgejahren insgesamt acht Mitgliedsanträge – ehe er endlich in die Jugendliga aufgenommen wurde. Xi trat in die Kommunistische Partei ein und begann einen Karriereplan zu entwerfen, der ihn an die Spitze bringen sollte. Er wollte nicht das System zerstören, sondern es von innen kapern und dann von oben beherrschen.

    Die Erfahrung hatte ihn gelehrt: Um ganz nach oben zu kommen, muss er so lang wie möglich unauffällig und unscheinbar bleiben. Fast scheint es, als hätte Xi seinem persönlichen Werdegang eine berühmte Maxime von Deng Xiaoping zugrunde gelegt. “Verstecke deine Stärken, und warte, bis deine Zeit gekommen ist.”

    Xis Devise: Zielstrebig, aber unauffällig bleiben

    Entsprechend gab sich Xi lange Zeit zielstrebig und weitsichtig, aber unauffällig. Als Sekretär des Verteidigungsministers knüpfte er Kontakte zum Militär, in den Provinzen Fujian und Zhejiang gab er sich unternehmerfreundlich und verschlankte die Bürokratie. Xi blieb Xi als Funktionär derart unauffällig, dass er der breiten Öffentlichkeit vor allem bekannt war als Ehemann von Peng Liyuan: einer der bekanntesten Sängerinnen sogenannter Roter Lieder wie “Menschen aus unserem Dorf” (父老乡亲) oder “Im Feld der Hoffnung” (在希望的田野上). Peng war in China ein Star – und Xi Jinping der Ehemann von Peng.

    Peng Liyuan mit Ehemann Xi Jinping.
    Peng Liyuan mit Ehemann Xi Jinping.

    Damit hatte Xi nicht nur privat Erfolg. In der KP wüteten zu jener Zeit erbitterte Grabenkämpfe zwischen den verschiedenen Gruppierungen, so war beispielsweise Jiang Zemin zwar offiziell abgetreten, zog im Hintergrund allerdings weiterhin kräftig die Strippen. Als es darum ging, einen passenden Kandidaten für die Parteispitze zu finden, rückte deshalb Xi Jinping in den Fokus. Er galt vielen als solide, moderat und bieder. Kurzum: ein Kandidat, der niemandem wehtun würde.

    Damit passte Xi perfekt in eine Zeit, in der die Partei noch kollektive Führung pries sowie die Aufteilung von Verantwortung, um willkürliche Entscheidungen eines einzelnen Führers zu verhindern. Heutzutage steht zu vermuten, dass ein solcher Gedanke von der chinesischen Zensur wahrscheinlich als unbotmäßige Kritik verstanden und umgehend gelöscht würde. 

    Erste Machtprobe Xis

    Im Jahr 2012 war es dann so weit. Doch kurz bevor er zum Generalsekretär der KP ernannt werden sollte, verschwand Xi Jinping plötzlich spurlos, selbst Termine mit der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton wurden abgesagt. Die Spekulationen reichten von Gesundheitsproblemen bis hin zu einem versuchten Attentat.

    Doch Chris Johnson, ehemaliger China-Analyst der CIA berichtete gegenüber dem Magazin “The Economist” von einer Machtprobe Xis: Demnach waren die Parteigranden wohl überrascht von Xis Machthunger und versuchten, diesen kurz vor dem Parteitag noch einzuhegen. Xi war sich jedoch der zeitlichen Zwangslage nur allzu bewusst und spielte seine Karten eiskalt aus, in dem er drohte, sie sollten sich dann doch schnell lieber einen anderen für diesen Job suchen.

    Die Partei lenkte ein, Xi wurde wenige Wochen später auf dem 18. Parteitag zum Generalsekretär ernannt – und hatte zugleich klargemacht, wer zukünftig an der Spitze von Partei und Staat stehen würde. Xi wollte nicht nur der Erste unter Gleichen sein, sondern einfach nur der Erste.

    Xi lässt alle auf Linie bringen

    Entsprechend begann er umgehend die KP umzukrempeln – und ganz auf ihn zuzuschneiden. Mithilfe einer nie dagewesenen Anti-Korruptionskampagne säuberte er die Ränge der Partei und Sicherheitskräfte. Tausende Kader wurden inhaftiert und verurteilt – angefangen auf den untersten Dorfebenen bis fast ganz hinauf in die Spitze zu Zhou Yongkang, einem Mitglied des Ständigen Ausschusses der KP. Sicherlich gibt es innerhalb der KP unterschiedliche Gruppierungen und Fraktionen, divergierende Interessen und Ansichten. Doch aktuell hat Xi Jinping sie alle auf Linie gebracht. Seine eigene Linie.

    Auch in der Zivilgesellschaft ließ er Dissens niederschlagen, Menschenrechtler wurden verhaftet, NGOs das Arbeiten unmöglich gemacht. In Xinjiang werden Millionen Uiguren in Zwangslager gesteckt, während in Hongkong die verfassungsmäßigen Freiheiten radikal beschränkt werden.

    Und auch außenpolitisch ist für Xi die Zeit der Zurückhaltung beendet: Im Südchinesischen Meer ließ er Sandbänke zu militärischen Stützpunkten ausbauen, die Drohungen gegenüber Taiwan werden schärfer, die Militärübungen nehmen zu. Von Chinas “pro-russischer Neutralität” im Ukraine-Krieg ganz zu schweigen.

    Inzwischen ist wohl auch dem Letzten klargeworden: Xi ist weder der vom Westen ersehnte Reformer noch der von den Parteigranden gesuchte Kollektivführer. Xi ist ein knallharter Machtpolitiker, der rücksichtslos seine Ziele verfolgt.

    Viele sehen Xi im Zenit. Doch nach dem Zenit kommt immer der erste Schritt des Niedergangs. Und in der Tat sind die Probleme gewaltig, denen sich Xi gegenübersieht: Der atemberaubende wirtschaftliche Aufschwung ist ins Stocken geraten. Wirtschaftswachstum ist jedoch auch für Xi ist er unverzichtbar, da der Erfolg die KP-Herrschaft legitimiert. Zudem hat Xi sich mit seiner strikten Zero-Covid-Politik vollkommen verrannt. Was zu Beginn der Pandemie als notwendige Einschränkung angesehen wurden, sorgt längst für Frust und Unmut bei den Menschen.

    Nur Xi kann es richten

    Doch Xi sieht sich als Mann mit Mission. Um ihn zu verstehen, muss man sich seine Erfahrungen und Erniedrigungen seiner Jugendzeit vergegenwärtigen. Und mögen die Tage in den kalten Lehmhöhlen von Liangjiahe inzwischen von der Partei-Propaganda verklärt und überhöht werden, sie sind für das Verständnis des chinesischen Staatsführers unerlässlich.  

    Innenpolitisch darf nie wieder ein Chaos wie in der Kulturrevolution entstehen. Der Zerfall der Sowjetunion wie auch die Farbenrevolutionen in den arabischen Ländern dienen ihm als mahnendes Beispiel. Die Gesellschaft müsse auf einem festen ideologischen Fundament stehen, dafür hat Xi die Ideen von “Chinesischen Traum” (中国梦; Zhōngguó mèng) und die “Verjüngung der chinesischen Nation” (中华民族伟大复兴; Zhōnghuámínzú Wěidà Fùxīng) entwickelt. Um sie zu verwirklichen, bedarf es aus seiner Sicht der absoluten Kontrolle – und zwar über alle Bereiche: von Wirtschaft bis Kultur, von öffentlichen Straßen und Plätzen bis in die privaten Wohnungen und Smartphones der Menschen. Xi glaubt, nicht wieder loslassen zu können, weil dann alles auseinanderfliegt.

    Und auch außenpolitisch hat Xi Großes vor. Sein Narrative hier lautet “Veränderungen, die man seit einem Jahrhundert nicht mehr gesehen hat” (百年未有之大变局; Bǎinián wèi yǒu zhī dà biànjú). Xi will China zurück an den ihm zustehenden Platz führen: an die Spitze. In diesem Sinne sollte man “Zhongguo” vielleicht in Zukunft nicht mehr als Reich der Mitte übersetzen, sondern als “Nabel der Welt”.

    Damit diese durchaus schwierigen Unterfangen auch gelingen, bedarf es ohne Zweifel eines fähigen Führers. Xi Jinping traut das nur einem zu: Xi Jinping.

    • 20. Parteitag
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    Horizon Robotics wird neuer KI-Partner von VW

    Partner von VW: So sieht der Chip von Horizon Robotics eine Straßenszene im Pekinger Stadtteil Zhongguancun.
    So sieht der Chip von Horizon Robotics eine Straßenszene im Pekinger Stadtteil Zhongguancun.

    Volkswagens Software-Sparte Cariad will sich Medienberichten zufolge in China mit einer heimischen Größe für künstliche Intelligenz und automatisiertes Fahren zusammentun. Dazu will der Konzern bis zu zwei Milliarden Euro in ein Gemeinschaftsunternehmen mit der KI-Firma Horizon Robotics aus Peking investieren. Über entsprechende Pläne berichtete das Manager Magazin. Konzernkreisen zufolge wäre der Schritt ein zentraler Baustein in der Digitalisierungs- und China-Strategie von Europas größter Autogruppe. Der förmliche Beschluss steht noch aus.

    Horizon Robotics wäre auf jeden Fall ein logischer und höchst kompetenter Partner. Im VW-Konzern ist er bereits bekannt: Audi hat bereits Projekte mit dem Unternehmen zur Ausstattung selbstfahrender Autos durchgezogen. Horizon Robotics ist zudem Partner weiterer Spieler aus der Autobranche, darunter Continental. Der Dax-Konzern aus Hannover hatte im vergangenen Jahr die Gründung eines Joint-Ventures mit dem chinesischen Unternehmen bekannt gegeben.

    Das Beispiel Audi zeigt hier bereits, wie sich die Technikwelt derzeit aufteilt: Während die Oberklassemarke für westliche Märkte mit dem US-Konzern Nvidia zusammenarbeitet, hat sie in China die Fühler zu Horizon Robotics ausgestreckt. Künftig laufen die West-Modelle vermutlich vor allem mit amerikanischer oder europäischer Hard- und Software und die China-Modelle mit chinesischer Technik. Eine Folge des geopolitischen Auseinanderdriftens und des steigenden gegenseitigen Misstrauens plus protektionistischer Industriepolitik.

    Der Chip weiß, wo der Kinderwagen in drei Sekunden sein wird

    Das technische Können von Horizon Robotics ist dabei locker auf dem Stand der US-Konkurrenz. “Unsere Mission ist es, eine weltweit führende Plattform für Künstliche Intelligenz zu schaffen”, sagte Firmengründer und -chef Yu Kai. Yu hat das Institut für Maschinenlernen des IT-Konzerns Baidu geleitet, bevor er mit einigen Kumpels seine eigene Firma gegründet hat.

    Horizon entwickelt Chips, die auf die Abbildung von gehirnähnlichen Strukturen ausgelegt sind, also neuronalen Netzen. Diese können Muster und Situationen erkennen und deuten. Diese Fähigkeit ist von unschätzbarem Wert für zahlreiche Branchen wie Autos, Luftfahrt, Sicherheit und Roboter. Horizon fängt mit dem Automarkt an, will künftig aber auch autonome Funktionen in viele andere Bereiche tragen.  

    China.Table-Redakteure Finn Mayer-Kuckuk und Felix Lee testen die Mustererkennung von Horizon Robotics in Peking. Horizon Robotics und VW werden Partner.
    China.Table-Redakteure Finn Mayer-Kuckuk und Felix Lee testen die Mustererkennung von Horizon Robotics in Peking.

    Die Logik der Horizon-Software erfasst das, was sie sehen, nicht einfach nur in einem Pixel-Muster. Sie verstehen zu einem gewissen Grad, was sie sehen, und ordnen die Bildteile dem entsprechenden Sinn zu. Ein Radfahrer wird als solcher erkannt, ebenso wie ein Gebäude, der Zebrastreifen oder eine Mutter mit Kinderwagen. Dafür sind die neuronalen Netze zuständig. Diese lernen aus unzähligen Fallbeispielen selbständig die Welt kennen. Sie erkennen Muster nach ihrem Training viel zuverlässiger als starr programmierte Algorithmen.

    Doch die Leistung der Horizon-Chips endet hier nicht. Sie bieten auf Basis dieses Wissens auch Vorhersagen über das Geschehen der nächsten Sekunden an. Die gelbe Ampel wird auf Rot springen (sie war vorher grün), der Radfahrer wird einen Meter weiter links sein (er kommt von rechts) und die Mutter mit Kinderwagen wird vermutlich stehenbleiben (ihre Fußgängerampel zeigt rot). Diese fertig aufbereiteten Daten über die mögliche künftige Verkehrssituation bietet der Chip dann dem Bordcomputer an, der damit über das nächste Fahrmanöver entscheidet. Priorität hat dabei natürlich die Warnung vor Gefahren, vor allem vor Zusammenstößen.

    Genauso arbeitet unser Gehirn beim Autofahren auch: Es nutzt sein Weltwissen, um das Geschehen einige Umdrehungen weiterzuspinnen. Daher wissen wir, ob wir etwas Gas geben können, um durchzufahren, oder besser abbremsen, weil der Kinderwagen das Rad behindern wird, das uns wiederum im Weg stehen könnte. Ohne diese Fähigkeit ist flüssiges autonomes Fahren im Stadtverkehr nicht möglich. Die Autos müssten sich im Schneckentempo von Situation zu Situation tasten, wenn sie keine Prognosen wagen.

    VW kauft sich mit Kapital das fehlende Know-how

    Für Volkswagen bedeutet die Bindung an einen der wichtigen chinesischen KI-Spieler eine erneute, wenn auch moderate Korrektur der Strategie. In der Volksrepublik arbeitet VW bereits seit langem in der Fahrzeugproduktion und seit einiger Zeit auch in der Fertigung von Batteriezellen mit inländischen Anbietern zusammen. Das Joint-Venture würde Ankündigungen umsetzen, im Geschäft mit eigener Software und eigenen Elektroniksystemen ebenfalls lokale Expertise aufzubauen und unabhängiger von Lieferanten zu werden.

    VW hat in den beiden letzten Jahren Marktanteile in China verloren, was auch an der Chipkrise lag. Die Versorgung mit Halbleitern verbessert sich nach Einschätzung des Konzerns wieder. Insgesamt läuft es jedoch bei Cariad nicht nach Plan, bei der Digitalisierung ist die Software-Tochter bislang sich auf alleine gestellt. Im Juni wurde bekannt, dass die Unternehmensberater von McKinsey Cariad ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt hat: Die Organisation funktioniere nicht, die Entscheidungsstruktur sei nicht zielführend, folglich komme es immer wieder zu erheblichen Verzögerungen bei der neuen Software-Architektur.

    Weltweit mangelt es zudem an Softwareingenieurinnen und -ingenieuren. Die Konkurrenten werben sich die guten Leute gegenseitig ab, der Markt für IT-Fachkräfte bleibt ein Nullsummenspiel, bei dem bloß die Preise steigen. Die Tausende von Entwicklern, die bei Cariad allein nötig wären, um aus der Krise zu kommen, gibt es einfach nicht. Daher hat es viel mehr Sinn, sich mit lokaler, vorhandener Kompetenz zu verbünden. Matthias Wulf/Finn Mayer-Kuckuk

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    China bildet Polizisten von den Salomonen aus

    Eine Gruppe von 32 Polizeibeamten aus dem südpazifischen Staat der Salomonen ist nach China geflogen, um sich in polizeilichen Techniken ausbilden zu lassen und ihr Verständnis für die chinesische Kultur zu verbessern, wie die Royal Solomon Islands Police Force in einer Erklärung mitteilte.

    Seit der Unterzeichnung eines Sicherheitspakts zwischen den beiden Ländern im April hat China der Polizei auf den Salomonen nach eigenen Angaben Schulungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angeboten. Das Abkommen zwischen dem Pazifik-Staat und der Volksrepublik hatte die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten, darunter Australien, alarmiert.

    Auf einem Gipfeltreffen des Weißen Hauses mit den Staats- und Regierungschefs der Pazifikinseln im vergangenen Monat erklärten die Vereinigten Staaten, sie würden in diesem Jahr Ausbilder des FBI für die Strafverfolgung auf die Salomonen entsenden, um dem wachsenden Einfluss Chinas in der strategisch wichtigen Region entgegenzuwirken (China.Table berichtete).

    Der Premierminister der Salomonen, Manasseh Sogavare, hatte zuvor erklärt, dass Australien weiterhin der bevorzugte Sicherheitspartner des Landes sei, und bestritt, dass der Pakt mit China die Einrichtung einer Militärbasis ermöglichen würde. Australien hat die Polizei der Salomonen geschult und ist seit Jahrzehnten an der Unterstützung der Sicherheit auf den Inseln beteiligt. Als vergangenes Jahr Unruhen die Hauptstadt Honiara erschütterten, forderte Premierminister Manasseh Sogavare die australische Regierung auf, Verteidigungspersonal zu entsenden, um bei der Wiederherstellung der Ordnung zu helfen. mw

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    IOC-Präsident Bach lehnt Einladung des Bundestages ab

    Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach, wird der Einladung des Menschenrechtsausschusses in den Deutschen Bundestag nicht folgen. Am Mittwoch bestätigte das IOC gegenüber China.Table die schriftliche Absage an die Ausschuss-Vorsitzende Renata Alt (FDP).

    Bach begründet seine Ablehnung damit, dass er grundsätzlich keine nationalen Parlamente besuche. “Leider ist es dem IOC jedoch nicht möglich, an Ausschusssitzungen teilzunehmen. Das IOC als internationale Organisation mit 206 Nationalen Olympischen Komitees ist prinzipiell nicht in der Lage, die zahlreichen Einladungen ähnlicher Natur von Parlamenten aus aller Welt anzunehmen”, hiess es in einer Mitteilung. Die Repräsentanz der Olympischen Bewegung in Parlamentsanhörungen obliege den Nationalen Olympischen Komitees.

    Der Menschenrechtsausschuss hatte auf eine Zusage des IOC-Chefs gehofft, um mit ihm die Vergabe der Olympischen Winterspiele an die Volksrepublik China aufzuarbeiten. Peking war trotz seiner Menschenrechtsbilanz im Februar dieses Jahres Ausrichter der Wettbewerbe.

    Vor vier Wochen hatte eine Delegation des Ausschusses den IOC-Sitz in Lausanne besucht, war dort allerdings nicht mit Bach zusammengetroffen. Stattdessen wurden die deutschen Politiker, die zuvor beim Menschenrechtsrat im benachbarten Genf zahlreiche Gespräche geführt hatten, von Vertretern der Kommunikationsabteilung sowie der Kommission für Menschenrechte im IOC empfangen.

    “Der Besuch beim IOC war nicht zufriedenstellend. Ich hatte das Gefühl, dass unsere Fragen nur ausweichend beantwortet wurden. Die Antworten schienen vor allem die Absicht zu verfolgen, die Vergabe der Olympischen Spiele an Peking auch nachträglich zu rechtfertigen”, hatte die Ausschussvorsitzende Alt damals beklagt. Das IOC beurteilte den Besuch dagegen positiv. “Es herrschte eine gute Gesprächsatmosphäre, die uns die Chance zu einem konstruktiven Austausch gegeben hat”, betonte ein Sprecher. grz

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    Zentralbank will Yuan stabil halten

    Chinas Zentralbank will gegen große Währungsschwankungen vorgehen. Das Kreditinstitut werde Schritte unternehmen, um den Yuan im Wesentlichen stabil zu halten, teilte die People’s Bank of China (PBOC) mit. Der Yuan müsse zudem dem Dollar gegenüber nicht unbedingt schwächer werden, wenn der Index, der die Wertentwicklung der US-Währung gegenüber einem Währungskorb misst, steige. In den vergangenen Jahren habe es Fälle gegeben, in welchen der Dollar aufgewertet worden, der Yuan aber stärker gewesen sei, hieß es in dem PBOC-Statement.

    Der Yuan ist in diesem Jahr gegenüber dem US-Dollar um mehr als elf Prozent eingebrochen. An einem Punkt erreichte er seinen schwächsten Stand seit der globalen Finanzkrise 2008 (China.Table berichtete). Hintergründe dafür waren die Straffung der US-Geldpolitik und die wirtschaftliche Abschwächung der Volksrepublik. “Es gibt keine Möglichkeit, Wechselkurse genau vorherzusagen, und Schwankungen in beide Richtungen sind die Norm”, erklärte die PBOC. rtr/ari

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    Taiwan: China zieht Lehren aus Krieg in der Ukraine

    Nach Ansicht des Generaldirektors des taiwanischen Nationalen Sicherheitsbüros, Chen Ming-tong, beobachtet China den Krieg in der Ukraine sehr genau, um “hybride Kriegsführungsstrategien” gegen Taiwan zu entwickeln. Dazu zählen der Einsatz von Drohnen und psychologischem Druck. Chinas Volksbefreiungsarmee habe ihre “Grauzone” und hybriden Aktivitäten gegen Taiwan ausgeweitet. Sie habe Drohnen eingesetzt, die sowohl in der Nähe der von Taiwan kontrollierten Inseln vor der chinesischen Küste als auch in Taiwans Luftverteidigungszone geflogen seien, sagte Chen im Parlament.

    Chinas “Grauzonen”-Kriegsführung beinhalte Taktiken, um einen Gegner zu erschöpfen, ohne auf offene Kämpfe zurückzugreifen, wie etwa häufige Flüge in Taiwans Luftverteidigungszone, die Taiwans Luftwaffe zum Ausweichen zwingen. China habe Bilder von Taiwans Militär im Internet veröffentlicht, “um es zu verleumden und die Regierung anzugreifen”, sagte Chen. Er bezog sich dabei auf ein Video, das im August in chinesischen sozialen Medien kursierte und taiwanische Soldaten auf vorgelagerten Inseln zeigt, die von Drohnen aufgenommen wurde. Ende August hatte Taiwan zum ersten Mal eine zivile Drohne abgeschossen.

    Die chinesische Führung hatte im August Militärübungen in der Umgebung Taiwans abgehalten, um ihre Verärgerung über einen Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taipeh zum Ausdruck zu bringen. Die Volksbefreiungsarmee hat ihre militärischen Aktivitäten seither fortgesetzt, wenn auch in geringerem Umfang. rtr/mw

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    Presseschau

    China begrüßt Plädoyer von Scholz gegen Abkopplung HANDELSBLATT
    Außenministerin Baerbock warnt vor wirtschaftlicher Abhängigkeit von China WELT
    Sicherheit: USA wappnen sich gegen China als stärksten Rivalen SUEDDEUTSCHE
    Biden admin declares post-Cold War era “definitively over” POLITICO
    Arabiens Blick nach China – wie US-Präsident Biden einen Verbündeten verliert WALLSTREET-ONLINE
    China weitet seinen Einfluss im Südpazifik aus – während die Region ums Überleben kämpft MERKUR
    Exportnation Deutschland: Sicherheit ist wertvoller als Export SUEDDEUTSCHE
    VW-Aufsichtsrat berät Milliardenprojekt in China FAZ
    Xi Jinping poised to consolidate power at China’s Communist Party Congress EDITION
    China, with ‘fighting spirit’, says it put national interest first in last five years REUTERS
    China will Kampfjets mit Hyperschallraketen auf Flugzeugträgern einsetzen FUTUREZONE
    China will harten Covid-Kurs nicht lockern HANDELSZEITUNG
    Der “Verschwörung” auf der Spur – Dirk Müller: Fed hebt Zinsen so stark an um China den “Stecker zu ziehen” FINANZMARKTWELT
    Britischer Geheimdienstchef warnt vor Chinas Satelliten-Navigation FUTUREZONE
    China to cut winter gas purchases easing Europe’s supply pressure GLOBALNEWS
    U.S. Suppliers Halt Operations at Top Chinese Memory Chip Maker WSJ
    Taiwan says destroying TSMC in the event of a Chinese invasion is unnecessary TECHSPOT
    Shanghai says water supplies ‘normal’ after shortage scare sparks hoarding THEGUARDIAN
    Schwerer Vorwurf von Ex-Profi Royce White über LeBron James: Eine Milliarde Dollar von Nike für Schweigen zu Chinas Gewalt gegen Uiguren? FOCUS
    The WTA’s Return to China Is Going to Be Uncomfortable SI

    Standpunkt

    Das Kartenhaus der KPCh zum Einsturz bringen

    Von Minxin Pei
    Minxin Pei, Professor für Politikwissenschaft am Claremont McKenna College in Kalifornien
    Minxin Pei, Politologe am Claremont McKenna College in Kalifornien
     

    Auf dem 20. Nationalkongress der Kommunistischen Partei Chinas in diesem Monat wird Xi Jinping mit ziemlicher Sicherheit für eine dritte Amtszeit als Generalsekretär der Partei und als Präsident Chinas bestätigt werden. Damit wird er Chinas dienstältester oberster Führer seit Mao Zedong, und die Regeln und Normen, die das KPCh-Regime regieren sollen, werden erschüttert werden.

    Diese Regeln und Normen wurden größtenteils von Maos Nachfolger, Deng Xiaoping, eingeführt, der 1978 die Macht übernahm. Deng wusste aus erster Hand, welchen Schaden der ideologische Fanatismus der Partei anrichten konnte. Während der Kulturrevolution wurde einer seiner Söhne von randalierenden Rotgardisten schwer verletzt. Deng selbst wurde seiner offiziellen Ämter enthoben und für vier Jahre zur Arbeit in eine Fabrik in einer abgelegenen Provinz geschickt – eines von drei Malen, dass er während seiner langen revolutionären Karriere aus der Regierung entfernt wurde.

    Um sicherzustellen, dass China nie wieder von einem solchen Terror heimgesucht werden würde, stellte Deng – mit Unterstützung anderer altgedienter Revolutionäre, die die Kulturrevolution überlebt hatten – die kollektive Führung wieder her und führte Alters- und Amtszeitbeschränkungen für die meisten Führungspositionen der KPCh ein. In den folgenden Jahrzehnten hatten Chinas Spitzenpolitiker nicht mehr als zwei Amtszeiten, und die Mitglieder des Politbüros hielten sich an eine implizite Altersgrenze von 68 Jahren.

    Dengs “regelbasiertes System” enthält Schlupflöcher

    Doch Xi hat gezeigt, wie fragil Dengs “regelbasiertes System” wirklich war. Trotz des ganzen Trubels um Dengs Errungenschaften ist seine Bilanz bei der Zügelung des KPCh-Regimes bestenfalls durchwachsen, nicht zuletzt, weil sein eigenes Engagement für die Regeln nicht annähernd so stark war, wie man erwarten könnte.

    In der Praxis verschmähte Deng die kollektive Führung und formale Verfahren. Er hielt nur selten Sitzungen des Ständigen Ausschusses des Politbüros ab, weil er seinem Hauptkonkurrenten, einem überzeugten Konservativen, der die Wirtschaftsreform ablehnte, eine Plattform verwehren wollte, um seine Politik infrage zu stellen. Stattdessen übte er die Führung durch private Treffen mit Anhängern aus.

    Darüber hinaus verstieß Deng im Umgang mit Führern, die mit den pro-demokratischen Kräften sympathisierten, häufig gegen die von ihm festgelegten Verfahren und Normen. Seine Entlassung von zwei liberalen KPCh-Führern – Hu Yaobang 1986 und Zhao Ziyang (der Dengs Befehl zur Verhängung des Kriegsrechts während der Tiananmen-Krise verweigerte) 1989 – widersprach den Statuten der Partei.

    Gleichzeitig vermied es Deng manchmal, überhaupt eine Regel einzuführen, wenn dies seinen politischen Interessen schaden könnte. Vor allem hat er – zusammen mit anderen alternden KPCh-Führern – keine Alters- oder Amtszeitbeschränkungen für Politbüromitglieder eingeführt. Selbst wenn sie nicht unbegrenzt in der Regierung bleiben konnten, würden sie ihre Entscheidungsbefugnis nie verlieren.

    Ebenso erließ Deng keine formellen Vorschriften darüber, wer den Vorsitz in der Zentralen Militärkommission führen durfte. Dies ermöglichte es ihm, dieses Amt auch nach seinem Rücktritt von anderen Ämtern weiter auszuüben. Diesem Präzedenzfall folgend tat Jiang Zemin im Jahr 2002 dasselbe. Was Xi betrifft, so musste er sich zwar darum bemühen, dass die für den Präsidenten vorgesehene Amtszeitbeschränkung 2018 aus der Verfassung gestrichen wurde, doch profitierte er davon, dass die KPCh für das Amt des Generalsekretärs keine offizielle Amtszeitbeschränkung festgelegt hatte.

    In Diktaturen haben Medien und Bürger keine Stimme

    An Chinas Ringen um die Einhaltung von Regeln und Normen ist nichts schockierend. Selbst reife Demokratien wie die Vereinigten Staaten stehen vor solchen Herausforderungen, wie die Präsidentschaft von Donald Trump deutlich gezeigt hat. Aber wenn die formale verfassungsrechtliche Kontrolle versagt, können Demokratien zumindest auf eine freie Presse, die Zivilgesellschaft und Oppositionsparteien zählen, die sich wehren, wie sie es gegen Trump getan haben.

    In Diktaturen sind Regeln und Normen weitaus anfälliger, da es keine glaubwürdigen verfassungsrechtlichen oder politischen Durchsetzungsmechanismen gibt und Autokraten Institutionen wie Verfassungsgerichte leicht politisieren können, indem sie solche Gremien zu Erfüllungsgehilfen machen. Außerdem gibt es keine sekundären Durchsetzungsmechanismen. In China gibt es weder eine freie Presse noch eine organisierte Opposition. Wenn eine Regel unbequem wird – wie es die verfassungsmäßige Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten für Xi war – kann sie leicht geändert werden.

    Auch wenn es autokratischen Herrschern zugutekommen mag, institutionelle Regeln und Normen mit Füssen zu treten, ist es nicht unbedingt gut für ihre Regime. Die Erfahrungen der KPCh unter Mao sind ein gutes Beispiel dafür. Ohne jegliche institutionelle Beschränkungen führte Mao unaufhörlich Säuberungen durch und führte die Partei von einer Katastrophe in die nächste, wobei er ein ideologisch erschöpftes und wirtschaftlich bankrottes Regime hinterließ.

    Deng verstand, dass ein auf Regeln basierendes System unerlässlich war, um eine Wiederholung dieser katastrophalen Erfahrung zu vermeiden. Doch seine Überzeugung konnte sein Eigeninteresse nicht überwinden, und das institutionelle Gebäude, das er in den 1980er-Jahren errichtete, erwies sich als wenig mehr als ein Kartenhaus. Xis Bestätigung in diesem Monat ist lediglich der Startschuss für den unvermeidlichen Zusammenbruch des Systems.

    Minxin Pei ist Professor für Regierungsführung am Claremont McKenna College und Non-Resident Senior Fellow beim German Marshall Fund of the United States. Übersetzung: Andreas Hubig.

    Copyright: Project Syndicate, 2022.
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    • 20. Parteitag
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    Personalien

    Dirk Lubig, bislang Head of Global Transaction Banking China bei der Deutschen Bank, hat das Kreditinstitut nach fast zehn Jahren, dreieinhalb davon in Shanghai, verlassen. Sein künftiger Arbeitgeber ist noch nicht bekannt.

    Vanessa Wagner startet neu als Senior Executive für Marketing & Public Relations beim Hong Kong Tourism Board (HKTB) in Frankfurt am Main. Sie ist dort Ansprechpartnerin für Marketingkooperationen und Reiseveranstalter sowie Reisebüros.

    Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

    Dessert

    Arbeitsplatz für die Presse: Das Medienzentrum für den am Sonntag beginnenden Parteitag hat bereits geöffnet. Hier haben heimische und ausländische Medienschaffende nur mit speziellen Akkreditierungen Zutritt. Im Jahr 2017 hatte es nach offiziellen Angaben eine Rekordzahl an Berichterstattern gegeben: Rund 3.000 Medienschaffende, darunter rund 1.800 internationale Journalisten, waren für den 19. Parteitag akkreditiert. Dieses Mal haben sich weiter weniger Journalisten aus dem Ausland angekündigt.

    China.Table Redaktion

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