eine Regierung des Völkermords zu bezichtigen, ist keine Bagatelle. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die Vereinten Nationen entschlossen, den Völkermord, “crime of crimes”, strafrechtlich zu verfolgen. Seit immer mehr Berichte auf eine systematische Unterdrückung der Uiguren durch die chinesische Regierung hinweisen, wird international diskutiert, ob die Vorgänge in Xinjiang den Tatbestand des “Genozid” erfüllen.
In Deutschland hat die Debatte nun eine politische Dimension bekommen. Marcel Grzanna hat mit keiner Geringeren als der Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses im Bundestag gesprochen. Und Gyde Jensen sagt erstmals, sie komme zu dem Schluss, die Vorgänge als “Genozid” zu bezeichnen. Der Bedeutung angemessen wäre nun eine Befassung des Bundestages, womöglich eine Resolution.
Für die Koalition ein heikler Vorgang, insbesondere für die CDU. Zwar gibt es in deren Reihen nicht wenige Abgeordnete, denen der China-Kuschel-Kurs der eigenen Regierung schon lange missfällt. Doch wird sich die CDU mitten im anlaufenden Wahlkampf mit der eigenen Kanzlerin anlegen? Angela Merkel jedenfalls dürfte in ihren letzten Amtsmonaten wenig am offenen Konflikt mit Peking gelegen sein. Und auch von Armin Laschet ist eher nicht zu erwarten, dass er die chinesische Frage auf die Spitze treiben will.
Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag, Gyde Jensen (FDP), bezeichnet Chinas Umgang mit der uigurischen Minderheit in der autonomen Provinz Xinjiang als “Genozid”. Im Gespräch mit China.Table sagte Jensen: “Die Fakten deuten auf eine systematische Begrenzung von Geburten sowie die Ausmerzung von Kultur und Bräuchen hin und zielen damit auf die Auslöschung einer Volksgruppe ab. Es ist deshalb für mich nachvollziehbar, dass inzwischen Regierungen und Parlamente zu dem Schluss kommen, dass dieses Vorgehen als Genozid bezeichnet werden kann.”
In Xinjiang wird seit Jahren ein großer Anteil der uigurischen Bevölkerung gegen ihren Willen in Lagern untergebracht. Schätzungen belaufen sich auf rund eine Million Inhaftierte. Zuletzt hatte ein BBC-Bericht über systematische Vergewaltigungen und Folter in den Camps zu einem Sendeverbot des britischen Fernsehens in China geführt. Peking verdammt die Berichterstattung als “Lüge” und spricht stattdessen von “Berufsbildungszentren”, die dazu dienten, den Einheimischen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. Gleichzeitig würden die Einrichtungen helfen, terroristisches und extremistisches Gedankengut in der uigurischen Minderheit zu bekämpfen. “Tausende Terroranschläge”, seien in den vergangenen Jahrzehnten durch Uiguren begangen worden. Der Zentralregierung sagt, es sei ihr gelungen, durch ihre Politik den Terror einzudämmen.
Die Auswertung von Satellitenbildern und offiziellen chinesischen Dokumenten sowie zahlreiche Augenzeugenberichte haben jedoch dazu geführt, dass im Ausland von “Umerziehungslagern” gesprochen wird, in denen schwere Menschenrechtsverstöße an der Tagesordnung seien. Die Nachrichtenagentur AP hatte im vergangenen Sommer “drakonische Maßnahmen zur Kürzung der Geburtenrate” recherchiert. Die Auswertung von offiziellen Statistiken der Regierung hatte ergeben, dass die Zahl der Geburten in den uigurischen Regionen Hotan und Kashgar zwischen 2015 und 2018 um 60 Prozent gesunken war.
Chinas Außenminister Wang Yi wiederholte am vergangenen Montag dagegen die Behauptung, dass die uigurische Bevölkerung zwischen 2010 und 2018 um 2,5 Millionen Menschen gewachsen sei. Per Videoschalte betonte Wang vor dem UN-Menschenrechtsrat, dass China die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, zu einem Besuch in der Region willkommen heiße, damit sie sich vor Ort selbst ein Bild verschaffen könne. Der chinesische Botschafter in Deutschland, Wu Ken, hatte zuvor in einem Interview mit der Wirtschaftswoche behauptet: “China hat schon vor langer Zeit eine Einladung ausgesprochen und sie ist nicht gekommen.” Auch seien Vertreter der EU eingeladen, “aber sie haben uns bis jetzt warten lassen.”
Äußerungen westlicher Politiker werfen jedoch die Frage auf, ob solche Einladungen nur schlecht kommuniziert oder möglicherweise gar nicht explizit ausgesprochen worden sind. So forderte Großbritanniens Außenminister Dominic Raab vor dem UN-Menschenrechtsrat, dass das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte oder ein anderes unabhängiges Gremium “dringenden und uneingeschränkten Zugang” zu Xinjiang erhalten müsse. “Die Situation in Xinjiang ist inakzeptabel. Die gemeldeten Missbräuche – darunter Folter, Zwangsarbeit und Zwangssterilisation von Frauen – sind extrem und umfangreich”, so Raab.
Ebenfalls am Montag hatte das kanadische Parlament nahezu einstimmig beschlossen, die Vorgänge in Xinjiang offiziell als Genozid zu betiteln. Die Parlamentarier schlossen sich damit der Definition durch die Trump-Regierung in den USA an. Doch auch in Nordamerika ist die Debatte darüber, inwieweit der Begriff Genozid zutrifft, nicht abgeschlossen. Vor wenigen Tagen hatten Juristen des US-Außenministeriums Zweifel gehegt, ob der Ausdruck angemessen sei, ihn allerdings auch nicht abgelehnt. Anders als beispielsweise beim Völkermord an den Tutsi in Uganda in den 1990er Jahren, als binnen weniger Monate bis zu einer Million Menschen ermordet wurden, geht der Prozess in Xinjiang, den Kritiker als Auslöschung bezeichnen, wesentlich langsamer vonstatten, weil andere Mittel angewendet werden. Entsprechend schwierig sei die Beweisführung.
Auch FDP-Politikerin Jensen hatte bislang lediglich von einem “kulturellen Genozid” gesprochen, eine abgeschwächte Form der Definition. Jensen sieht deswegen jetzt die chinesische Regierung in der Pflicht, “glaubhaft zu belegen, dass es unangemessen ist, von einem Genozid zu sprechen.” Ob der Besuch einer UN-Delegation Klarheit schafft, ist jedoch zweifelhaft. Jensen geht davon aus, dass eine unabhängige Untersuchung kaum möglich sei, weil die Besucher sich nicht frei bewegen und ihre Gesprächspartner nicht frei wählen könnten.
Dennoch sei eine Untersuchung wichtig, auch auf die Gefahr hin, dass China ein Untersuchungsergebnis für eigene Propaganda-Zwecke nutzen würde. Sie ist sicher, “dass sich das Narrativ der chinesischen Seite wohl sowieso nicht ändern” werde, ganz gleich, welche Schlussfolgerung eine UN-Delegation aus einem Besuch ziehen würde.
Die Forderung nach einer unabhängigen UN-Untersuchung steht schon seit etwa zwei Jahren im Raum. Außenminister Wang Yi hatte bei seinem Deutschland-Besuch im September auf Nachfrage seines Amtskollegen Heiko Maas gesagt, dass es kein Problem sei, eine Untersuchungskommission ins Land zu lassen. Seitdem ist öffentlich allerdings nicht viel passiert, was den Eindruck vermitteln würde, dass China diese Pläne aktiv vorantreibt. Botschafter Wu hatte gesagt, dass man zurzeit die Details eines Besuches besprechen würde.
Für Jensen bieten die jüngsten Äußerungen des Botschafters und Wang Yis Ankündigung aus dem September nun Gelegenheit, “China daran zu messen.” “Wenn die chinesische Regierung das ankündigt, dann klingt das vielversprechend, und es gebietet sich, beizeiten einmal nachzufragen, wann die Untersuchung beginnen kann.” Nachfragen von China.Table bei der UN-Menschenrechtskommission in Genf blieben bisher unbeantwortet.
Eine neue Studie der Beijing Normal University rief im Januar dazu auf, die Zigarettenpreise zu erhöhen, um damit die Verbreitung von Zigaretten in weniger entwickelten Gebieten Chinas zu mindern. Die Studie untersuchte zunächst, ob Tabakkonsum zu Krankheiten führt, die höhere finanzielle Lasten für Behandlungen mit sich bringen. Dafür wurden Familien in wirtschaftlich schwächeren Umgebungen untersucht.
Das Ergebnis: Mehr als 34 Prozent der Menschen in diesen ärmeren Regionen rauchen regelmäßig, was deutlich über dem nationalen Durchschnitt von etwa 26 Prozent liegt. Auch liegen 23 Prozent der Haushalte, in denen es Raucher gibt, unter der Armutsgrenze. Bei Haushalten, in denen es keine Raucher gibt, liegt dieser Wert nur bei etwa zwölf Prozent.
“Während meiner Feldforschung in ländlichen Gegenden fand ich heraus, dass in fast jedem von Armut betroffenen Haushalt der Hauptverdiener raucht oder Alkohol trinkt”, sagt Jin Chenggang, der Urheber der Studie. Laut der Erfahrung des Wissenschaftlers glaubten Menschen in diesen Gebieten oft einfach nicht, dass Rauchen schädlich ist. Dabei könne Tabakkonsum sehr teure medizinische Behandlungen notwendig machen, die dann gleichzeitig auch noch den Hauptverdiener der Familien außer Gefecht setzen.
Offizielle Zahlen unterstützen Jins These. Laut der Nationalen Gesundheitskommission sind 40 Prozent der Familien, die unter der Armutsgrenze leben, durch Krankheit in diese Situation geraten.
China ist beim Tabakkonsum ein Schwergewicht. Im ganzen Land gibt es laut WHO etwa 300 Millionen Raucher, das sind etwas mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Je nach Quelle ist fast jeder dritte bis vierte Raucher der Welt Chinese. Insgesamt sterben in China pro Jahr etwa eine Million Menschen an Krankheiten, die auf Tabakkonsum zurückzuführen sind und die WHO schätzt weitere 100.000 durch die Folgen des Passivrauchens.
Um diesem Trend entgegenzuwirken, ratifizierte Peking bereits 2005 die Framework Convention on Tobacco Control, ein Rahmenprogramm der WHO, das die Verpflichtung zu einem ganzen Katalog von Maßnahmen beinhaltet. Es folgten Einschränkungen beim Marketing und Werbung, Warnungen, die auf Packungen aufgedruckt werden müssen und Rauchverbote an öffentlichen Plätzen.
2015 startete Peking eine weitere Offensive: Die Tabaksteuer wurde erhöht. In vielen Städten wurden Rauchverbote in öffentlichen Innenräumen ausgesprochen und unter Strafe gestellt. Auch Amtsträger dürfen sich seitdem nicht mehr öffentlich beim Rauchen zeigen.
Die Umsetzung der Verbote ist dabei allerdings durchwachsen und stark davon abhängig, wo man sich gerade befindet. Die meisten höherpreisigen Restaurants in großen Städten sind rauchfrei, genauso sieht es im öffentlichen Nahverkehr und in Regierungsgebäuden aus.
Anders ist die Situation in kleineren Städten und Restaurants mit weniger zahlungskräftigem Klientel. Obwohl zum Beispiel in Peking unerlaubtes Rauchen den Raucher eine Strafe von 200 RMB (etwa 35 Euro) und den Restaurantbetreiber bis zu 10.000 RMB (etwa 1.300 Euro) kosten können, werden die Verbote nur selten durchgesetzt. Zu sehr ist man auf die rauchende Kundschaft angewiesen.
Ein Problem bei der Durchsetzung ist auch, dass Rauchen in China kulturell tief verankert ist. So gehört Rauchen zum Männlichkeitsbild. Fast 50 Prozent der Männer über 15 Jahre rauchen in China im Vergleich zu gerade einmal zwei Prozent bei Frauen. Außerdem sind Zigaretten ein oft gemachtes Geschenk zu Festivitäten oder ein Hilfsmittel, um ins Gespräch zu kommen und Beziehungen aufzubauen. Marken gibt es derweil für jeden Anlass. Das günstigste Segment liegt selbst in Großstädten bei 10 RMB (etwa 1,30 Euro) pro Schachtel, während Luxus-Marken von bis über 2000 RMB (etwa 250 Euro) ein Signal von Reichtum darstellen.
Ein weiterer Stolperstein auf dem Weg zur rauchfreien Gesellschaft: Im direkten Gegensatz zum wirtschaftlichen Schaden durch Tabakkonsum stehen die Wirtschaftszahlen der chinesischen Tabakindustrie. Die China National Tobacco Corporation, die mit der Regulierungsbehörde State Tobacco Monopoly Administration als Einheit agiert, ist der größte Zigarettenhersteller weltweit und produziert mit 2,4 Billionen Zigaretten pro Jahr mehr als dreimal so viel wie der westliche Branchenriese Philip Morris International.
Da dem chinesischen Staatskonzern durch ein gesetzlich festgelegtes Monopol etwa 97 Prozent des Marktes gehören, profitiert Peking von hohen Steuereinnahmen. Laut WHO lagen sie zuletzt bei umgerechnet etwa 105 Milliarden Euro pro Jahr, was etwa sechs Prozent des gesamten chinesischen Steueraufkommens ausmacht. Hinzu kommen hunderttausende Arbeitsplätze, die durch die Tabakindustrie geschaffen wurden.
Die Zahl der Raucher ist seit einigen Jahren minimal rückläufig. Ein kleines Zeichen setzte dabei auch der chinesische Staats- und Regierungschef Xi Jinping, denn er hat das Rauchen 2016 aufgegeben. Gregor Koppenburg/Jörn Petring
In Corona-Zeiten wäre kontaktfreies Bezahlen im Supermarkt besonders nützlich. Doch in Deutschlands Supermärkten finden sich bisher allenfalls Selbstbedienungs-Kassen, an denen die Kunden die Arbeit der Mitarbeiter:innen unter deren Aufsicht erledigen – mit Schlangen und Gedränge. Die Deutsche Bahn und Edeka haben nun einen Laden eröffnet, den sie als radikale Technik-Vision preisen: Am “Zukunftsbahnhof” Renningen bei Sindelfingen geht in diesen Tagen ein Minimarkt in Betrieb, der ohne Personal auskommt.
Bei näherem Hinsehen handelt es sich jedoch nur um einen überdimensionierten Automaten. Die Kunden wählen hier am Bildschirm aus 300 Waren aus und müssen sie nach einiger Wartezeit einem Ausgabeschacht entnehmen. Wer China kennt, wird dieses Konzept eher dürftig zu finden. Schließlich läuft dort im Hinblick auf autonomes Retail schon deutlich mehr.
Eines der reifsten Konzepte setzt die Supermarktkette “Hema” (盒马) in China um, die zum Handelskonzern Alibaba gehört. Die Kunden scannen die Artikel mit ihrem eigenen Handy, wenn sie sie in den Einkaufskorb legen. Vor dem Hinausgeben bezahlen sie die Waren per Bestätigung in der Bezahl-App Alipay per Fingerabdruck oder Gesichtserkennung. Voraussetzung ist daher auf jeden Fall ein Benutzerkonto bei der Alibaba-Handelsgruppe. Der Konzern kann so immer weitere Daten über die Käufer sammeln.
Alibaba weitet das Hema-Konzept derzeit mit hohem Kapitaleinsatz aus. Derzeit setzt der Konzern vor allem auf immer mehr saisonale Frischprodukte in den Läden, die in kürzerer Lieferzeit in mehr Regionen verfügbar sein sollen. Das Unternehmen betreibt bereits rund 250 Geschäfte in 13 Städten.
Während es Alibaba als Großkonzern gelungen ist, Hema zur wirtschaftlich selbsttragenden Supermarktkette zu päppeln, ist es um ein anderes Konzept still geworden – obwohl die Idee vielversprechend war. Vor drei Jahren war das Startup Bingobox (缤果盒子) mit mobilen, vollautomatisierten Convenience Stores vorgeprescht – doch das Unternehmen scheint inzwischen ziemlich am Ende zu sein. Es wollte die containergroßen Minimärkte in allen Großstädten aufstellen.
Inzwischen gibt es zwar der Homepage zufolge Franchise-Nehmer in 28 Städten. Doch die Nachrichten aus der Praxis lesen sich wenig optimistisch. Die Umsätze an einigen Standorten lagen offenbar unter 1000 Yuan pro Tag. Auf die schlechte wirtschaftliche Lage haben das Unternehmen und seine Partner reagiert, indem sie zum Teil keine Löhne mehr gezahlt haben. Viele der Boxen waren schon ein Jahr nach Start wieder leer und außer Betrieb, berichtet Sina Technology. Das ganze Geschäftsmodell ist daher bei Investoren in Verruf geraten.
Wie viele Startups – gerade in China – hat sich Bingobox offenbar bei der Expansion verhoben und das Marktpotenzial zu optimistisch eingeschätzt. Vielleicht haperte es auch in der Praxis: Die Kunden konnten nicht einfach in die Läden hineinspazieren, sondern sie mussten am Eingang mit Wechat einen Barcode scannen, damit sich überhaupt die Tür öffnet. Drinnen können sie die Waren aus den Regalen zusammensammeln und müssen sie am Ausgang noch einmal auf eine Platte legen, wo die Produkterkennung mit Funkchips stattfand. Erst dann ließ die Box den Kunden wieder raus. Die Personalersparnis sollte gewaltig sein. Vier Bingobox-Mitarbeiter betreuten 40 Läden. Es war von Anfang an eine Umstellung von Funkchips auf Objekterkennung mit Kameras geplant – dann hätte sich der Kunde einfach bedienen können, ohne noch einmal alles abzulegen. Soweit ist es bisher aber nicht gekommen.
Experten, die das Geschehen schon länger beobachten, sind nicht erstaunt, wenn solche Vorhaben als Flop enden. “Die Idee und das Vorhaben des personallosen Ladens ist nicht neu”, sagt Orhan Akman, Fachgruppenleiters Einzelhandel bei der Gewerkschaft Verdi, gegenüber China.Table. Versuche dazu habe in den USA bereits unter anderem bei Amazon oder Tesco gegeben. Generell experimentiere der Einzelhandel viel mit technischen Erneuerungen. “Aber am Ende kommt nur ein bedingter Teil davon flächendeckend zum Einsatz oder setzt sich durch.”
Akman hält die Läden ohne Mitarbeiter auch nicht unbedingt für den richtigen Ansatz für unsere Zeit. “Die Euphorie des Renninger Bürgermeisters kann ich nicht teilen.” Das Problem, auf das die Einzelhandelslandschaft nach dem Coronavirus zusteuere, sei eher ein Aussterben der Innenstädte. Roboter-Supermärkte tragen nicht wirklich zu deren Belebung bei.
Auch in China verbreiten sich Konzepte wie Bingobox nicht so schnell wie ursprünglich gedacht. Trotz alternder Gesellschaft und steigenden Löhnen steht vermutlich noch genug günstige Arbeitskraft zur Verfügung, um die Nachbarschaftsläden und Supermärkte günstig mit Personal zu versorgen. Es war jetzt eher die Pandemie, die neues Interesse an der Idee geweckt hat. Mehr Sinn dürften die Konzepte in Japan haben, das unter Arbeitskräftemangel leidet. Dort laufen ebenfalls bereits zahlreiche Projekte.
In den USA hat die Bingobox ihre genaue Entsprechung im “NanoStore” des jungen Unternehmens AiFi – und auch das einen China-Bezug. Sein Gründer Steve Gu (Gu Zhiqiang) ist zwar amerikanischer Staatsbürger, hat aber chinesische Wurzeln. AiFi wiederum ist ein US-Unternehmen, hat aber globale Ambitionen. Es arbeitet in Amsterdam mit der Kette Albert Heijn zusammen und betreibt dort am Flughafen bereits eine vollautomatisierte Minimarkt-Box. Die Aufstellung einer Box in Düsseldorf ist geplant. Gu besitzt der Firmendatenbank QCC zufolge in Shanghai ein weiteres Unternehmen, das auf Mustererkennung in Kameras spezialisiert ist. Lückenlose Verhaltensanalyse ist die Voraussetzung für Läden, in denen zahllose Kameras jede Bewegung der Kunden erfassen und daher auch wissen, was sie mitnehmen. Beim Hinausgehen erfolgt vollautomatisch die Abrechnung. Amazon Go arbeitet in den USA bereits so – aus Datenschutzgründen ist dort allerdings die Gesichtserkennung gedrosselt.
US-Präsident Joe Biden will die Abhängigkeit der USA von externen Zulieferern in den Bereichen Halbleiter, Pharmazeutika und Arzneimittelinhaltsstoffe, Hochleistungsakkus und Seltene Erden verringern. In einer gestern unterzeichneten Executive Order wies Biden Bundesbehörden an, zu prüfen wie abhängig die USA in den vier Bereichen von einzelnen Staaten sind. Ebenso solle es Prüfungen zu Import-Abhängigkeiten in den Bereichen Verteidigung, Gesundheit, Informationstechnologie, Transport, Energie und Lebensmittelproduktion geben.
Die Order richte sich nicht ausdrücklich gegen China, gibt die Financial Times einen hohen US-Beamten wieder. Gleichzeitig gab der Beamte laut FT das Beispiel der Abhängigkeit von Seltenen Erden und nannte China als großen Exporteur. US-Regierungsvertreter sagten gegenüber CNN, es sei kaum möglich, alle Lieferketten zurück in die USA zu holen. Vielmehr wolle man jene Sektoren ausfindig machen, in denen die USA von einem einzelnen Land oder einem Lieferanten abhängig seien, die bei einer Unterbrechung der Lieferkette für Chaos sorgen könne.
Die Executive Order wurde vor dem Hintergrund der Knappheiten bei Halbleitern angestrengt. Joe Biden hatte jedoch auch schon im Wahlkampf kritisiert, dass die USA zum Beginn der Covid-19-Pandemie bei Masken und medizinischer Schutzausrüstung zu abhängig von China seien. Debatten um ein Re-Shoring von Medizingütern und Schutzmasken hatte es damals auch in Deutschland und Frankreich gegeben.
Die EU weist in 103 Produktkategorien in den Bereichen Elektronik, Chemie, Mineralien, Metalle und pharmazeutische sowie medizinische Produkte eine kritische strategische Abhängigkeit von Importen aus China auf, wie eine Analyse des China-Thinktank Merics zeigt. In diesen Bereichen würde die Einschränkung des Zugangs zum jeweiligen Produkt “die Wirtschaft eines Landes stören oder es anderweitig verwundbar machen”, so Merics. Am höchsten sei die Abhängigkeit im Elektroniksektor, da hier der Aufbau alternativer Lieferketten komplex und kostenintensiv ist. Ein Großteil der Abhängigkeiten lägen laut Merics jedoch in technologisch weniger anspruchsvollen Bereichen. Auch betont der Bericht, dass die Abhängigkeiten nicht nur in eine Richtung laufen. “Europäische Maschinen, Spezialinstrumente, Materialien und Komponenten sind entscheidend für Chinas Stärke im Industriesektor“, so die Analyse. nib
Der chinesische Fahrdienstleiter Didi Chuxing plant einem Medienbericht zufolge sein Debüt in Westeuropa. Das Unternehmen aus Peking suche nach neuen Wachstumsmärkten und habe dabei Deutschland, Frankreich und Großbritannien ins Auge gefasst, berichtete Bloomberg unter Berufung auf mehrere mit den Plänen vertrauten Personen. Laut dem Bericht habe Didi bereits ein Team für den europäischen Markt aufgebaut und stelle auch vor Ort schon Menschen ein. Demnach erwägt das “chinesische Uber” die Einführung von Mitfahrgelegenheiten in “der ersten Hälfte dieses Jahres”.
Im Rahmen des Rollouts in Europa ziehe Didi, je nach lokaler Marktnachfrage, auch zusätzliche Angebote, wie die Lieferung von Lebensmitteln oder anderer Einkäufe in Betracht, zitiert der Bericht die Insider weiter. Die Pläne sollen den Wert des Unternehmens vor einem möglichen Börsengang steigern, fügten die nicht näher genannten Quellen hinzu. Didi ist nach einem Bericht des Tech-Magazins “The Information” in Gesprächen mit Goldman Sachs, Morgan Stanley und JPMorgan Chase über ein mögliches IPO in der zweiten Jahreshälfte (dazu mehr in China.Table). ari
Die ehemalige Fließbandarbeiterin Wang Laichun, die sich beim Apple-Auftragsfertiger Foxconn hochgearbeitet hat und den Elektroniklieferanten Luxshare gründete, steht in diesem Jahr auf Platz eins der Forbes Liste der 100 Top Businessfrauen in China.
Die Kriterien der Forbes-Liste bewerten die Leistung, Marktgröße und Innovation der allesamt von Frauen geführten Unternehmen. Allein in diesem Jahr gab es 40 Neuzugänge, besonders aus der Pharmabranche, so das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin.
Unter den Top-Frauen auf der Liste sind zudem noch Cheng Xue, stellvertretende Vorsitzende des Sojasaucenherstellers Haitian Flavor, sowie Wu Yajun, Vorsitzende des Immobilienentwicklers Longfor Group Holdings auf den Plätzen zwei und drei.
Obwohl das Durchschnittsalter der Frauen bei 50 Jahren lag, hat mehr als die Hälfte der Frauen mindestens eine Masterabschluss, inklusive MBA. Ein Viertel der Frauen in der Top 100 Liste haben ihre Abschlüsse im Ausland gemacht und leben nun vor allem in Peking und Shanghai.
Dong Mingzhu, Vorsitzende von Gree Electric Appliances, die die einheimische Marke zu einem weltweit führenden Gerätehersteller gemacht hat und einst als Chinas Vorzeigegeschäftsfrau Nummer eins galt, ist auf Platz 5 der Liste zurückgefallen. niw
Die Nato versucht sich seit über einem Jahr an einer gemeinsamen Haltung gegenüber China. Das Außenministertreffen Anfang Dezember 2020 lieferte eine Zwischenbilanz dieser mühsam angelaufenen Diskussion, die sowohl die ungleichen Interessen der Verbündeten als auch ihre wachsende Übereinstimmung zu Tage gebracht hat. Die Volksrepublik ist keine direkte militärische Bedrohung, aber für die westlichen Staaten ein systemischer Kontrahent, der seine wirtschaftliche und technologische Expansion inzwischen mit der Fähigkeit zur militärischen Machtprojektion unterlegt – damit droht China die Handlungsfähigkeit der Nato zu beschneiden. Ziel ist jetzt ein einheitlicher Ansatz, der Aufmerksamkeit für die sicherheitspolitischen Konsequenzen von Chinas Aufstieg mit dem Interesse der Verbündeten an stabilen Wirtschaftsbeziehungen vereint.
Die Allianz darf dabei aber nicht beim Selbstgespräch stehen bleiben: Sie muss praktikable Maßnahmen zur Sicherung ihrer Handlungsfähigkeit und Erhöhung ihrer Widerstandsfähigkeit entwickeln gegen die politische Einmischung und Manipulation von außen. Auch sollte die Nato im Gespräch mit China direkt die Sorgen ansprechen, die ihre Mitglieder umtreiben und zugleich deutlich machen, dass die Volksrepublik den wirtschaftlichen Nutzen ihrer Expansionspolitik verspielt, wenn sie die Sicherheitsbedenken der Bündnisstaaten nicht ausräumt.
Die Volksrepublik hat den zweitgrößten Militärhaushalt der Welt, welcher – glaubt man den offiziellen Zahlen Chinas – allerdings hinter jenem der USA und auch den Verteidigungsausgaben aller weiteren Nato-Mitglieder zusammengenommen deutlich zurückbleibt. Das chinesische Ziel, im Rahmen des Programms Made in China 2025 in einer Reihe von High-Tech-Segmenten Weltmarktführer zu sein, hat auch eine militärische Komponente. Chinas Investition in militärische Fähigkeiten – neben der Modernisierung der Nuklearwaffen für den Aufbau einer Hochseemarine, verbesserte U-Boote sowie Mittel- und Langstreckenraketen – zeigt, dass Pekings Verteidigungspolitik auf Machtprojektion und die Absicherung gegen US-Aktivitäten im asiatisch-pazifischen Raum ausgerichtet ist. Mit einem Militärstützpunkt in Dschibuti hat China auch in Afrika sowie im Indischen Ozean Fuß gefasst und führt mit Russland im Mittelmeer sowie in der Ostsee gemeinsame Militärübungen durch. Die Volksrepublik gewinnt gleichzeitig über die Belt and Road Initiative (BRI) seit 2013 mit wirtschaftlichen Mitteln große Marktanteile über Handelswege, Infrastruktur und Netzwerke der Telekommunikation in Asien, Afrika und Europa. Zwar bleibt der Umfang der durchgeführten BRI-Projekte hinter den Ankündigungen zurück, und auf Seiten der europäischen Adressaten hat sich Ernüchterung in die Begeisterung über die Investitionen gemischt, doch hat sich die Volksrepublik strategisch platziert.
Um eine China-Strategie ging es in der Nato bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, eher darum, bestehende Konflikte auszubügeln. Die Nato muss nun ein Dilemma auflösen: Robuste Maßnahmen gegen Chinas sicherheitspolitische Einflusspolitik werden angesichts einer nur potenziellen Bedrohung leicht auf Widerstand unter den Alliierten stoßen, die sich wirtschaftliche Vorteile aus der Zusammenarbeit mit China erhoffen. Peking könnte mit diesem Hebel schon jetzt die Konsensfindung in der Nato erschweren. Ist die Allianz aber in Zeiten internationaler Spannungen einmal gegenüber China lahmgelegt, wäre es für ein geschlossenes Eingreifen zu spät.
Ein sensibler Bereich ist die Mobilität der Streitkräfte – eine Kernvoraussetzung für die Fähigkeit des Bündnisses, Abschreckung und Verteidigung zu gewährleisten. So lief beispielsweise die Verlegung für die Großübung Defender Europe 2020 über die Häfen von Antwerpen, Bremerhaven und Paldiski in Estland, in denen chinesische Unternehmen jeweils umfangreiche Investitionen an Containerterminals vorgenommen haben. Ähnlich sieht es im Mittelmeerraum aus, wo der chinesische Staatskonzern COSCO zum Beispiel einen Mehrheitsanteil an der Hafengesellschaft von Piräus hält. Das nährt die Sorge, dass China vereinfachten nachrichtendienstlichen Einblick in militärische Logistik der Nato erhält, Streitkräftebewegungen einfacher aufklären und sie gegebenenfalls sogar sabotieren kann. Die Nato muss prüfen, ob ihre Bewegungsfreiheit beeinträchtigt werden könnte, und gegebenenfalls ihre Logistik der Streitkräfteverlegung umstellen oder neu absichern.
Die technologische Führungsrolle, die China anstrebt, kann der Nato ebenfalls nicht gleichgültig sein. Die technologische Omnipräsenz der Volksrepublik schafft Instrumente und Zugänge für Cyberangriffe, Aufklärung und Spionage. Aggressiv drängen chinesische Unternehmen auf den europäischen Telekommunikationsmarkt. Dies birgt auch transatlantischen Konfliktstoff, wie der Streit um die Einbeziehung der chinesischen Firma Huawei in den Aufbau der geplanten 5G-Netze in Europa zeigt.
China entwickelt derweil zudem seine offensiven militärischen Cyberfähigkeiten weiter, so dass diese der Kommunikation und der operativen und logistischen Infrastruktur der Nato-Streitkräfte zusetzen könnten. Nicht zuletzt ist es absehbar, dass die Volksrepublik in Russlands Fußstapfen tritt, wenn es um die offensive Beeinflussung der öffentlichen Meinung geht – dies hat der Kampf der Narrative in der Corona-Pandemie gezeigt.
Die Frage bleibt aber, was die Allianz selbst konkret tun kann, um die Verwundbarkeit angesichts Chinas Einflussnahme zu senken. Eine Forderung könnte sein, dass Nato-Mitglieder chinesische Investoren aus bestehenden Verträgen drängen – ähnlich haben es die USA vorgemacht, als sie Ende 2019 aus geoökonomischen Gründen ein chinesisches Unternehmen zwangen, Anteile am Containerhafen von Long Beach abzutreten. Allerdings wird das in Europa kaum die Regel werden, schließlich gibt es handfeste wirtschaftliche Interessen und einflussreiche Nutznießer vor Ort.
Die Allianz hat aber noch andere Möglichkeiten, ihre Resilienz zu erhöhen. Wachsamkeit und Informationsaustausch über Chinas sicherheitsrelevante Aktivitäten sind bereits beschlossene Sache. Die Qualität der Bewertung hängt vom routinierten Austausch von Geheimdienstinformationen ab, der bislang nicht immer gelingt. Die Nato könnte jedoch von ihren Mitgliedern eine Sicherheitsbewertung bestimmter Investitionen verlangen. Ambitioniert aber sinnvoll wäre es, wenn das Bündnis seine Lieferketten und Transportwege so gestalten würde, dass sie chinesisch dominierte Anlagen umgehen.
Auch wenn die Nato im Sinne kooperativer Sicherheitspolitik ihre externen Partnerschaften mit Drittstaaten weiterentwickeln will, ist der Faktor China relevant. Die zentralasiatischen Mitglieder im Euroatlantischen Kooperationsrat gehören längst auch der chinesisch dominierten Shanghai Organization for Cooperation an. Chinas fester Zugriff in den Staaten Zentralasiens über die BRI-Investitionen unterminiert den Versuch der Nato, eine dauerhafte Zusammenarbeit, orientiert an westlichen Werten und Stabilitätsvorstellungen, herzustellen. Chinas Einfluss am Persischen Golf wächst, und zwar nicht nur im Iran, sondern auch in den sunnitischen Golfstaaten, die gleichzeitig im Mittelmeerdialog und der Istanbul Cooperation Initiative mit der Nato verbunden sind. Viele Staaten sehen die Volksrepublik als attraktiven Kooperationspartner, der wirtschaftliche und militärische Angebote macht, ohne diese mit Forderungen nach Demokratie und Menschenrechten zu verbinden. Die Allianz muss ihre Partnerschaftsprogramme demnach neu bewerten, mit Blick auf die Analyse chinesischer Einflussnahme in den Nachbarregionen.
Zu einem umfassenden Lagebild muss der Austausch mit China gehören – zu viele Fragen sind offen. Die Nato sollte mit Peking in einen zielgerichteten Dialog treten, nicht weil sie eine asiatische Macht sein will, sondern weil die Volksrepublik eine europäische Macht wird.
Wünschenswert wäre die Koordinierung der chinapolitischen Strategiedebatten in der Nato und der EU, wobei kaum eine gemeinsame Strategie, aber doch abgestimmte Bewertungskriterien ein realistisches Ziel wären. Das greift aber immer noch zu kurz: Gefragt ist verstärkter direkter Kontakt mit China. Dialoge der Allianz mit China gibt es seit 2002, beginnend mit dem Engagement der Nato in Afghanistan; diese Prozesse sind dichter geworden, aber noch nicht institutionalisiert.
Das Format eines solchen Dialoges zu finden, dürfte knifflig werden, denn dies enthielte Signale über den Charakter der Beziehung. Es wäre ein schlechtes Omen, jetzt einen Nato-China-Rat in die Welt zu setzen – das Vorbild mit Russland war keine Erfolgsgeschichte. Auch wäre das Etikett als neuer “Partner around the globe” kein echtes Angebot an China, das sich gleichrangig mit Kolumbien oder der Mongolei wiederfinden würde. Und ein verlässlicher Partner der Nato dürfte China nicht werden; es bleibt ein Kontrahent. Vielmehr sollten bestehende Dialogformate in einen Mechanismus überführt werden – zu einem flexiblen Sicherheitsdialog, der Probleme adressiert und Lösungen vorschlägt. Die Nato braucht einen Prozess, in dem sie China klar machen kann, dass es die wirtschaftlichen Vorteile seiner Investitionen verspielt, wenn diese mit sicherheitspolitischen Bedenken belastet sind. Das ist ein Grund warum China an vertrauensbildenden Maßnahmen interessiert sein sollte.
Henning Riecke organisiert Studiengruppen für Bundestag und Bundesregierung bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und arbeitet dort im Themenschwerpunkt Internationale Ordnung und Demokratie. Das Meinungsstück erscheint in voller Länge als Arbeitspapier bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS).
“Ich habe in der Inneren Mongolei Stutenmilch und Schnaps getrunken, habe Pandabären in Chengdu gestreichelt, war an der Grenze zu Nordkorea und in fast allen anderen Ecken des Landes”, berichtet Alexander Hoeckle, Geschäftsführer der IHK Köln. Seit rund 25 Jahren arbeitet Hoeckle bei der IHK, aktuell als Geschäftsführer International und Unternehmensförderung bei der IHK Köln.
“Wenn Sie in der Außenwirtschaftsförderung aktiv sind, dann sehen Sie, wo die Märkte sind”, erzählt Alexander Hoeckle. Als er kurz nach der Jahrtausendwende bei der IHK München war, begann er sich intensiv mit China zu beschäftigen und Unternehmen bei der Erschließung des chinesischen Marktes zu helfen. “Tausende Unternehmen fuhren damals nach China, um herauszufinden, was dort vor sich geht”, erinnert sich Hoeckle. “Ich habe damals einen Pass verschlissen.”
Die IHK baute ihre Büros in Peking und Shanghai nach und nach aus, verlagerte aber zunehmend den eigenen Schwerpunkt, als viele kleine und mittelständische Unternehmen Niederlassungen oder Joint Ventures gegründet hatten. “Dann ging es mehr um Background, um politische Gespräche.” Das sei bis heute der Fall.
Mit Blick auf die aktuelle Lage sorgt sich Alexander Hoeckle um die scharfe Rhetorik der Deutschen und Europäer. “Es wundert mich nicht, dass China nun von Decoupling spricht”, sagt der 54-Jährige. “Die Chinesen denken sehr strategisch. Wir müssen akzeptieren, dass sie hier und da am längeren Hebel sitzen.” Hoeckle möchte den Wertediskurs hierzulande keinesfalls in Frage stellen, aber der Systemkonflikt mit China mache es für Wirtschaftspolitiker wie auch Unternehmen nicht leichter.
“Es ist sehr schwierig, diese Themen einzubringen und gleichzeitig Wirtschaftsbeziehungen so zu gestalten, dass beide Seiten zufrieden sind”, sagt Hoeckle. “Ich erwarte, dass der innerdeutsche Dialog über unser Verhältnis zu China an Intensität gewinnen wird.”
Persönlich begeistert ihn China seit seiner ersten Reise 2002. Dabei sind es nicht nur die bekannten Metropolen wie Shanghai und Peking, in die er gerne fährt. Auch eine Hafenstadt wie Dalian findet er faszinierend: “Dieser Mix aus Tradition und Moderne mit Digitalisierung und IT ist sehr interessant”, sagt er.
Wenn er sich in China aufhält, sucht Hoeckle aber auch immer den Kontakt zu den dort ansässigen Deutschen. Im Kempinski-Hotel in Peking etwa trifft sich für gewöhnlich die Expat-Community. Der Lieblingsort des Rheinländers ist aber eine Pekinger Bar namens “Der Landgraf”. “Das ist ein geschickter Exportschlager. Es ist nämlich das einzige Restaurant in Peking, wo es Kölsch vom Fass gibt.” Constantin Eckner
Urplötzlich tauchen in einem Fluss mitten in der Metropole Shanghai immer mehr tote Schweine auf. Dies ist das Leitmotiv in Cathy Yans episodischem Film “Dead Pigs”, der eine sich rasant wandelnde chinesische Stadtbevölkerung in verschiedenen Handlungssträngen unter die Lupe nimmt. Der Film entstand 2018, hatte seine Weltpremiere beim Sundance Film Festival und ist gerade bei Mubi zu sehen.
eine Regierung des Völkermords zu bezichtigen, ist keine Bagatelle. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die Vereinten Nationen entschlossen, den Völkermord, “crime of crimes”, strafrechtlich zu verfolgen. Seit immer mehr Berichte auf eine systematische Unterdrückung der Uiguren durch die chinesische Regierung hinweisen, wird international diskutiert, ob die Vorgänge in Xinjiang den Tatbestand des “Genozid” erfüllen.
In Deutschland hat die Debatte nun eine politische Dimension bekommen. Marcel Grzanna hat mit keiner Geringeren als der Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses im Bundestag gesprochen. Und Gyde Jensen sagt erstmals, sie komme zu dem Schluss, die Vorgänge als “Genozid” zu bezeichnen. Der Bedeutung angemessen wäre nun eine Befassung des Bundestages, womöglich eine Resolution.
Für die Koalition ein heikler Vorgang, insbesondere für die CDU. Zwar gibt es in deren Reihen nicht wenige Abgeordnete, denen der China-Kuschel-Kurs der eigenen Regierung schon lange missfällt. Doch wird sich die CDU mitten im anlaufenden Wahlkampf mit der eigenen Kanzlerin anlegen? Angela Merkel jedenfalls dürfte in ihren letzten Amtsmonaten wenig am offenen Konflikt mit Peking gelegen sein. Und auch von Armin Laschet ist eher nicht zu erwarten, dass er die chinesische Frage auf die Spitze treiben will.
Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag, Gyde Jensen (FDP), bezeichnet Chinas Umgang mit der uigurischen Minderheit in der autonomen Provinz Xinjiang als “Genozid”. Im Gespräch mit China.Table sagte Jensen: “Die Fakten deuten auf eine systematische Begrenzung von Geburten sowie die Ausmerzung von Kultur und Bräuchen hin und zielen damit auf die Auslöschung einer Volksgruppe ab. Es ist deshalb für mich nachvollziehbar, dass inzwischen Regierungen und Parlamente zu dem Schluss kommen, dass dieses Vorgehen als Genozid bezeichnet werden kann.”
In Xinjiang wird seit Jahren ein großer Anteil der uigurischen Bevölkerung gegen ihren Willen in Lagern untergebracht. Schätzungen belaufen sich auf rund eine Million Inhaftierte. Zuletzt hatte ein BBC-Bericht über systematische Vergewaltigungen und Folter in den Camps zu einem Sendeverbot des britischen Fernsehens in China geführt. Peking verdammt die Berichterstattung als “Lüge” und spricht stattdessen von “Berufsbildungszentren”, die dazu dienten, den Einheimischen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. Gleichzeitig würden die Einrichtungen helfen, terroristisches und extremistisches Gedankengut in der uigurischen Minderheit zu bekämpfen. “Tausende Terroranschläge”, seien in den vergangenen Jahrzehnten durch Uiguren begangen worden. Der Zentralregierung sagt, es sei ihr gelungen, durch ihre Politik den Terror einzudämmen.
Die Auswertung von Satellitenbildern und offiziellen chinesischen Dokumenten sowie zahlreiche Augenzeugenberichte haben jedoch dazu geführt, dass im Ausland von “Umerziehungslagern” gesprochen wird, in denen schwere Menschenrechtsverstöße an der Tagesordnung seien. Die Nachrichtenagentur AP hatte im vergangenen Sommer “drakonische Maßnahmen zur Kürzung der Geburtenrate” recherchiert. Die Auswertung von offiziellen Statistiken der Regierung hatte ergeben, dass die Zahl der Geburten in den uigurischen Regionen Hotan und Kashgar zwischen 2015 und 2018 um 60 Prozent gesunken war.
Chinas Außenminister Wang Yi wiederholte am vergangenen Montag dagegen die Behauptung, dass die uigurische Bevölkerung zwischen 2010 und 2018 um 2,5 Millionen Menschen gewachsen sei. Per Videoschalte betonte Wang vor dem UN-Menschenrechtsrat, dass China die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, zu einem Besuch in der Region willkommen heiße, damit sie sich vor Ort selbst ein Bild verschaffen könne. Der chinesische Botschafter in Deutschland, Wu Ken, hatte zuvor in einem Interview mit der Wirtschaftswoche behauptet: “China hat schon vor langer Zeit eine Einladung ausgesprochen und sie ist nicht gekommen.” Auch seien Vertreter der EU eingeladen, “aber sie haben uns bis jetzt warten lassen.”
Äußerungen westlicher Politiker werfen jedoch die Frage auf, ob solche Einladungen nur schlecht kommuniziert oder möglicherweise gar nicht explizit ausgesprochen worden sind. So forderte Großbritanniens Außenminister Dominic Raab vor dem UN-Menschenrechtsrat, dass das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte oder ein anderes unabhängiges Gremium “dringenden und uneingeschränkten Zugang” zu Xinjiang erhalten müsse. “Die Situation in Xinjiang ist inakzeptabel. Die gemeldeten Missbräuche – darunter Folter, Zwangsarbeit und Zwangssterilisation von Frauen – sind extrem und umfangreich”, so Raab.
Ebenfalls am Montag hatte das kanadische Parlament nahezu einstimmig beschlossen, die Vorgänge in Xinjiang offiziell als Genozid zu betiteln. Die Parlamentarier schlossen sich damit der Definition durch die Trump-Regierung in den USA an. Doch auch in Nordamerika ist die Debatte darüber, inwieweit der Begriff Genozid zutrifft, nicht abgeschlossen. Vor wenigen Tagen hatten Juristen des US-Außenministeriums Zweifel gehegt, ob der Ausdruck angemessen sei, ihn allerdings auch nicht abgelehnt. Anders als beispielsweise beim Völkermord an den Tutsi in Uganda in den 1990er Jahren, als binnen weniger Monate bis zu einer Million Menschen ermordet wurden, geht der Prozess in Xinjiang, den Kritiker als Auslöschung bezeichnen, wesentlich langsamer vonstatten, weil andere Mittel angewendet werden. Entsprechend schwierig sei die Beweisführung.
Auch FDP-Politikerin Jensen hatte bislang lediglich von einem “kulturellen Genozid” gesprochen, eine abgeschwächte Form der Definition. Jensen sieht deswegen jetzt die chinesische Regierung in der Pflicht, “glaubhaft zu belegen, dass es unangemessen ist, von einem Genozid zu sprechen.” Ob der Besuch einer UN-Delegation Klarheit schafft, ist jedoch zweifelhaft. Jensen geht davon aus, dass eine unabhängige Untersuchung kaum möglich sei, weil die Besucher sich nicht frei bewegen und ihre Gesprächspartner nicht frei wählen könnten.
Dennoch sei eine Untersuchung wichtig, auch auf die Gefahr hin, dass China ein Untersuchungsergebnis für eigene Propaganda-Zwecke nutzen würde. Sie ist sicher, “dass sich das Narrativ der chinesischen Seite wohl sowieso nicht ändern” werde, ganz gleich, welche Schlussfolgerung eine UN-Delegation aus einem Besuch ziehen würde.
Die Forderung nach einer unabhängigen UN-Untersuchung steht schon seit etwa zwei Jahren im Raum. Außenminister Wang Yi hatte bei seinem Deutschland-Besuch im September auf Nachfrage seines Amtskollegen Heiko Maas gesagt, dass es kein Problem sei, eine Untersuchungskommission ins Land zu lassen. Seitdem ist öffentlich allerdings nicht viel passiert, was den Eindruck vermitteln würde, dass China diese Pläne aktiv vorantreibt. Botschafter Wu hatte gesagt, dass man zurzeit die Details eines Besuches besprechen würde.
Für Jensen bieten die jüngsten Äußerungen des Botschafters und Wang Yis Ankündigung aus dem September nun Gelegenheit, “China daran zu messen.” “Wenn die chinesische Regierung das ankündigt, dann klingt das vielversprechend, und es gebietet sich, beizeiten einmal nachzufragen, wann die Untersuchung beginnen kann.” Nachfragen von China.Table bei der UN-Menschenrechtskommission in Genf blieben bisher unbeantwortet.
Eine neue Studie der Beijing Normal University rief im Januar dazu auf, die Zigarettenpreise zu erhöhen, um damit die Verbreitung von Zigaretten in weniger entwickelten Gebieten Chinas zu mindern. Die Studie untersuchte zunächst, ob Tabakkonsum zu Krankheiten führt, die höhere finanzielle Lasten für Behandlungen mit sich bringen. Dafür wurden Familien in wirtschaftlich schwächeren Umgebungen untersucht.
Das Ergebnis: Mehr als 34 Prozent der Menschen in diesen ärmeren Regionen rauchen regelmäßig, was deutlich über dem nationalen Durchschnitt von etwa 26 Prozent liegt. Auch liegen 23 Prozent der Haushalte, in denen es Raucher gibt, unter der Armutsgrenze. Bei Haushalten, in denen es keine Raucher gibt, liegt dieser Wert nur bei etwa zwölf Prozent.
“Während meiner Feldforschung in ländlichen Gegenden fand ich heraus, dass in fast jedem von Armut betroffenen Haushalt der Hauptverdiener raucht oder Alkohol trinkt”, sagt Jin Chenggang, der Urheber der Studie. Laut der Erfahrung des Wissenschaftlers glaubten Menschen in diesen Gebieten oft einfach nicht, dass Rauchen schädlich ist. Dabei könne Tabakkonsum sehr teure medizinische Behandlungen notwendig machen, die dann gleichzeitig auch noch den Hauptverdiener der Familien außer Gefecht setzen.
Offizielle Zahlen unterstützen Jins These. Laut der Nationalen Gesundheitskommission sind 40 Prozent der Familien, die unter der Armutsgrenze leben, durch Krankheit in diese Situation geraten.
China ist beim Tabakkonsum ein Schwergewicht. Im ganzen Land gibt es laut WHO etwa 300 Millionen Raucher, das sind etwas mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Je nach Quelle ist fast jeder dritte bis vierte Raucher der Welt Chinese. Insgesamt sterben in China pro Jahr etwa eine Million Menschen an Krankheiten, die auf Tabakkonsum zurückzuführen sind und die WHO schätzt weitere 100.000 durch die Folgen des Passivrauchens.
Um diesem Trend entgegenzuwirken, ratifizierte Peking bereits 2005 die Framework Convention on Tobacco Control, ein Rahmenprogramm der WHO, das die Verpflichtung zu einem ganzen Katalog von Maßnahmen beinhaltet. Es folgten Einschränkungen beim Marketing und Werbung, Warnungen, die auf Packungen aufgedruckt werden müssen und Rauchverbote an öffentlichen Plätzen.
2015 startete Peking eine weitere Offensive: Die Tabaksteuer wurde erhöht. In vielen Städten wurden Rauchverbote in öffentlichen Innenräumen ausgesprochen und unter Strafe gestellt. Auch Amtsträger dürfen sich seitdem nicht mehr öffentlich beim Rauchen zeigen.
Die Umsetzung der Verbote ist dabei allerdings durchwachsen und stark davon abhängig, wo man sich gerade befindet. Die meisten höherpreisigen Restaurants in großen Städten sind rauchfrei, genauso sieht es im öffentlichen Nahverkehr und in Regierungsgebäuden aus.
Anders ist die Situation in kleineren Städten und Restaurants mit weniger zahlungskräftigem Klientel. Obwohl zum Beispiel in Peking unerlaubtes Rauchen den Raucher eine Strafe von 200 RMB (etwa 35 Euro) und den Restaurantbetreiber bis zu 10.000 RMB (etwa 1.300 Euro) kosten können, werden die Verbote nur selten durchgesetzt. Zu sehr ist man auf die rauchende Kundschaft angewiesen.
Ein Problem bei der Durchsetzung ist auch, dass Rauchen in China kulturell tief verankert ist. So gehört Rauchen zum Männlichkeitsbild. Fast 50 Prozent der Männer über 15 Jahre rauchen in China im Vergleich zu gerade einmal zwei Prozent bei Frauen. Außerdem sind Zigaretten ein oft gemachtes Geschenk zu Festivitäten oder ein Hilfsmittel, um ins Gespräch zu kommen und Beziehungen aufzubauen. Marken gibt es derweil für jeden Anlass. Das günstigste Segment liegt selbst in Großstädten bei 10 RMB (etwa 1,30 Euro) pro Schachtel, während Luxus-Marken von bis über 2000 RMB (etwa 250 Euro) ein Signal von Reichtum darstellen.
Ein weiterer Stolperstein auf dem Weg zur rauchfreien Gesellschaft: Im direkten Gegensatz zum wirtschaftlichen Schaden durch Tabakkonsum stehen die Wirtschaftszahlen der chinesischen Tabakindustrie. Die China National Tobacco Corporation, die mit der Regulierungsbehörde State Tobacco Monopoly Administration als Einheit agiert, ist der größte Zigarettenhersteller weltweit und produziert mit 2,4 Billionen Zigaretten pro Jahr mehr als dreimal so viel wie der westliche Branchenriese Philip Morris International.
Da dem chinesischen Staatskonzern durch ein gesetzlich festgelegtes Monopol etwa 97 Prozent des Marktes gehören, profitiert Peking von hohen Steuereinnahmen. Laut WHO lagen sie zuletzt bei umgerechnet etwa 105 Milliarden Euro pro Jahr, was etwa sechs Prozent des gesamten chinesischen Steueraufkommens ausmacht. Hinzu kommen hunderttausende Arbeitsplätze, die durch die Tabakindustrie geschaffen wurden.
Die Zahl der Raucher ist seit einigen Jahren minimal rückläufig. Ein kleines Zeichen setzte dabei auch der chinesische Staats- und Regierungschef Xi Jinping, denn er hat das Rauchen 2016 aufgegeben. Gregor Koppenburg/Jörn Petring
In Corona-Zeiten wäre kontaktfreies Bezahlen im Supermarkt besonders nützlich. Doch in Deutschlands Supermärkten finden sich bisher allenfalls Selbstbedienungs-Kassen, an denen die Kunden die Arbeit der Mitarbeiter:innen unter deren Aufsicht erledigen – mit Schlangen und Gedränge. Die Deutsche Bahn und Edeka haben nun einen Laden eröffnet, den sie als radikale Technik-Vision preisen: Am “Zukunftsbahnhof” Renningen bei Sindelfingen geht in diesen Tagen ein Minimarkt in Betrieb, der ohne Personal auskommt.
Bei näherem Hinsehen handelt es sich jedoch nur um einen überdimensionierten Automaten. Die Kunden wählen hier am Bildschirm aus 300 Waren aus und müssen sie nach einiger Wartezeit einem Ausgabeschacht entnehmen. Wer China kennt, wird dieses Konzept eher dürftig zu finden. Schließlich läuft dort im Hinblick auf autonomes Retail schon deutlich mehr.
Eines der reifsten Konzepte setzt die Supermarktkette “Hema” (盒马) in China um, die zum Handelskonzern Alibaba gehört. Die Kunden scannen die Artikel mit ihrem eigenen Handy, wenn sie sie in den Einkaufskorb legen. Vor dem Hinausgeben bezahlen sie die Waren per Bestätigung in der Bezahl-App Alipay per Fingerabdruck oder Gesichtserkennung. Voraussetzung ist daher auf jeden Fall ein Benutzerkonto bei der Alibaba-Handelsgruppe. Der Konzern kann so immer weitere Daten über die Käufer sammeln.
Alibaba weitet das Hema-Konzept derzeit mit hohem Kapitaleinsatz aus. Derzeit setzt der Konzern vor allem auf immer mehr saisonale Frischprodukte in den Läden, die in kürzerer Lieferzeit in mehr Regionen verfügbar sein sollen. Das Unternehmen betreibt bereits rund 250 Geschäfte in 13 Städten.
Während es Alibaba als Großkonzern gelungen ist, Hema zur wirtschaftlich selbsttragenden Supermarktkette zu päppeln, ist es um ein anderes Konzept still geworden – obwohl die Idee vielversprechend war. Vor drei Jahren war das Startup Bingobox (缤果盒子) mit mobilen, vollautomatisierten Convenience Stores vorgeprescht – doch das Unternehmen scheint inzwischen ziemlich am Ende zu sein. Es wollte die containergroßen Minimärkte in allen Großstädten aufstellen.
Inzwischen gibt es zwar der Homepage zufolge Franchise-Nehmer in 28 Städten. Doch die Nachrichten aus der Praxis lesen sich wenig optimistisch. Die Umsätze an einigen Standorten lagen offenbar unter 1000 Yuan pro Tag. Auf die schlechte wirtschaftliche Lage haben das Unternehmen und seine Partner reagiert, indem sie zum Teil keine Löhne mehr gezahlt haben. Viele der Boxen waren schon ein Jahr nach Start wieder leer und außer Betrieb, berichtet Sina Technology. Das ganze Geschäftsmodell ist daher bei Investoren in Verruf geraten.
Wie viele Startups – gerade in China – hat sich Bingobox offenbar bei der Expansion verhoben und das Marktpotenzial zu optimistisch eingeschätzt. Vielleicht haperte es auch in der Praxis: Die Kunden konnten nicht einfach in die Läden hineinspazieren, sondern sie mussten am Eingang mit Wechat einen Barcode scannen, damit sich überhaupt die Tür öffnet. Drinnen können sie die Waren aus den Regalen zusammensammeln und müssen sie am Ausgang noch einmal auf eine Platte legen, wo die Produkterkennung mit Funkchips stattfand. Erst dann ließ die Box den Kunden wieder raus. Die Personalersparnis sollte gewaltig sein. Vier Bingobox-Mitarbeiter betreuten 40 Läden. Es war von Anfang an eine Umstellung von Funkchips auf Objekterkennung mit Kameras geplant – dann hätte sich der Kunde einfach bedienen können, ohne noch einmal alles abzulegen. Soweit ist es bisher aber nicht gekommen.
Experten, die das Geschehen schon länger beobachten, sind nicht erstaunt, wenn solche Vorhaben als Flop enden. “Die Idee und das Vorhaben des personallosen Ladens ist nicht neu”, sagt Orhan Akman, Fachgruppenleiters Einzelhandel bei der Gewerkschaft Verdi, gegenüber China.Table. Versuche dazu habe in den USA bereits unter anderem bei Amazon oder Tesco gegeben. Generell experimentiere der Einzelhandel viel mit technischen Erneuerungen. “Aber am Ende kommt nur ein bedingter Teil davon flächendeckend zum Einsatz oder setzt sich durch.”
Akman hält die Läden ohne Mitarbeiter auch nicht unbedingt für den richtigen Ansatz für unsere Zeit. “Die Euphorie des Renninger Bürgermeisters kann ich nicht teilen.” Das Problem, auf das die Einzelhandelslandschaft nach dem Coronavirus zusteuere, sei eher ein Aussterben der Innenstädte. Roboter-Supermärkte tragen nicht wirklich zu deren Belebung bei.
Auch in China verbreiten sich Konzepte wie Bingobox nicht so schnell wie ursprünglich gedacht. Trotz alternder Gesellschaft und steigenden Löhnen steht vermutlich noch genug günstige Arbeitskraft zur Verfügung, um die Nachbarschaftsläden und Supermärkte günstig mit Personal zu versorgen. Es war jetzt eher die Pandemie, die neues Interesse an der Idee geweckt hat. Mehr Sinn dürften die Konzepte in Japan haben, das unter Arbeitskräftemangel leidet. Dort laufen ebenfalls bereits zahlreiche Projekte.
In den USA hat die Bingobox ihre genaue Entsprechung im “NanoStore” des jungen Unternehmens AiFi – und auch das einen China-Bezug. Sein Gründer Steve Gu (Gu Zhiqiang) ist zwar amerikanischer Staatsbürger, hat aber chinesische Wurzeln. AiFi wiederum ist ein US-Unternehmen, hat aber globale Ambitionen. Es arbeitet in Amsterdam mit der Kette Albert Heijn zusammen und betreibt dort am Flughafen bereits eine vollautomatisierte Minimarkt-Box. Die Aufstellung einer Box in Düsseldorf ist geplant. Gu besitzt der Firmendatenbank QCC zufolge in Shanghai ein weiteres Unternehmen, das auf Mustererkennung in Kameras spezialisiert ist. Lückenlose Verhaltensanalyse ist die Voraussetzung für Läden, in denen zahllose Kameras jede Bewegung der Kunden erfassen und daher auch wissen, was sie mitnehmen. Beim Hinausgehen erfolgt vollautomatisch die Abrechnung. Amazon Go arbeitet in den USA bereits so – aus Datenschutzgründen ist dort allerdings die Gesichtserkennung gedrosselt.
US-Präsident Joe Biden will die Abhängigkeit der USA von externen Zulieferern in den Bereichen Halbleiter, Pharmazeutika und Arzneimittelinhaltsstoffe, Hochleistungsakkus und Seltene Erden verringern. In einer gestern unterzeichneten Executive Order wies Biden Bundesbehörden an, zu prüfen wie abhängig die USA in den vier Bereichen von einzelnen Staaten sind. Ebenso solle es Prüfungen zu Import-Abhängigkeiten in den Bereichen Verteidigung, Gesundheit, Informationstechnologie, Transport, Energie und Lebensmittelproduktion geben.
Die Order richte sich nicht ausdrücklich gegen China, gibt die Financial Times einen hohen US-Beamten wieder. Gleichzeitig gab der Beamte laut FT das Beispiel der Abhängigkeit von Seltenen Erden und nannte China als großen Exporteur. US-Regierungsvertreter sagten gegenüber CNN, es sei kaum möglich, alle Lieferketten zurück in die USA zu holen. Vielmehr wolle man jene Sektoren ausfindig machen, in denen die USA von einem einzelnen Land oder einem Lieferanten abhängig seien, die bei einer Unterbrechung der Lieferkette für Chaos sorgen könne.
Die Executive Order wurde vor dem Hintergrund der Knappheiten bei Halbleitern angestrengt. Joe Biden hatte jedoch auch schon im Wahlkampf kritisiert, dass die USA zum Beginn der Covid-19-Pandemie bei Masken und medizinischer Schutzausrüstung zu abhängig von China seien. Debatten um ein Re-Shoring von Medizingütern und Schutzmasken hatte es damals auch in Deutschland und Frankreich gegeben.
Die EU weist in 103 Produktkategorien in den Bereichen Elektronik, Chemie, Mineralien, Metalle und pharmazeutische sowie medizinische Produkte eine kritische strategische Abhängigkeit von Importen aus China auf, wie eine Analyse des China-Thinktank Merics zeigt. In diesen Bereichen würde die Einschränkung des Zugangs zum jeweiligen Produkt “die Wirtschaft eines Landes stören oder es anderweitig verwundbar machen”, so Merics. Am höchsten sei die Abhängigkeit im Elektroniksektor, da hier der Aufbau alternativer Lieferketten komplex und kostenintensiv ist. Ein Großteil der Abhängigkeiten lägen laut Merics jedoch in technologisch weniger anspruchsvollen Bereichen. Auch betont der Bericht, dass die Abhängigkeiten nicht nur in eine Richtung laufen. “Europäische Maschinen, Spezialinstrumente, Materialien und Komponenten sind entscheidend für Chinas Stärke im Industriesektor“, so die Analyse. nib
Der chinesische Fahrdienstleiter Didi Chuxing plant einem Medienbericht zufolge sein Debüt in Westeuropa. Das Unternehmen aus Peking suche nach neuen Wachstumsmärkten und habe dabei Deutschland, Frankreich und Großbritannien ins Auge gefasst, berichtete Bloomberg unter Berufung auf mehrere mit den Plänen vertrauten Personen. Laut dem Bericht habe Didi bereits ein Team für den europäischen Markt aufgebaut und stelle auch vor Ort schon Menschen ein. Demnach erwägt das “chinesische Uber” die Einführung von Mitfahrgelegenheiten in “der ersten Hälfte dieses Jahres”.
Im Rahmen des Rollouts in Europa ziehe Didi, je nach lokaler Marktnachfrage, auch zusätzliche Angebote, wie die Lieferung von Lebensmitteln oder anderer Einkäufe in Betracht, zitiert der Bericht die Insider weiter. Die Pläne sollen den Wert des Unternehmens vor einem möglichen Börsengang steigern, fügten die nicht näher genannten Quellen hinzu. Didi ist nach einem Bericht des Tech-Magazins “The Information” in Gesprächen mit Goldman Sachs, Morgan Stanley und JPMorgan Chase über ein mögliches IPO in der zweiten Jahreshälfte (dazu mehr in China.Table). ari
Die ehemalige Fließbandarbeiterin Wang Laichun, die sich beim Apple-Auftragsfertiger Foxconn hochgearbeitet hat und den Elektroniklieferanten Luxshare gründete, steht in diesem Jahr auf Platz eins der Forbes Liste der 100 Top Businessfrauen in China.
Die Kriterien der Forbes-Liste bewerten die Leistung, Marktgröße und Innovation der allesamt von Frauen geführten Unternehmen. Allein in diesem Jahr gab es 40 Neuzugänge, besonders aus der Pharmabranche, so das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin.
Unter den Top-Frauen auf der Liste sind zudem noch Cheng Xue, stellvertretende Vorsitzende des Sojasaucenherstellers Haitian Flavor, sowie Wu Yajun, Vorsitzende des Immobilienentwicklers Longfor Group Holdings auf den Plätzen zwei und drei.
Obwohl das Durchschnittsalter der Frauen bei 50 Jahren lag, hat mehr als die Hälfte der Frauen mindestens eine Masterabschluss, inklusive MBA. Ein Viertel der Frauen in der Top 100 Liste haben ihre Abschlüsse im Ausland gemacht und leben nun vor allem in Peking und Shanghai.
Dong Mingzhu, Vorsitzende von Gree Electric Appliances, die die einheimische Marke zu einem weltweit führenden Gerätehersteller gemacht hat und einst als Chinas Vorzeigegeschäftsfrau Nummer eins galt, ist auf Platz 5 der Liste zurückgefallen. niw
Die Nato versucht sich seit über einem Jahr an einer gemeinsamen Haltung gegenüber China. Das Außenministertreffen Anfang Dezember 2020 lieferte eine Zwischenbilanz dieser mühsam angelaufenen Diskussion, die sowohl die ungleichen Interessen der Verbündeten als auch ihre wachsende Übereinstimmung zu Tage gebracht hat. Die Volksrepublik ist keine direkte militärische Bedrohung, aber für die westlichen Staaten ein systemischer Kontrahent, der seine wirtschaftliche und technologische Expansion inzwischen mit der Fähigkeit zur militärischen Machtprojektion unterlegt – damit droht China die Handlungsfähigkeit der Nato zu beschneiden. Ziel ist jetzt ein einheitlicher Ansatz, der Aufmerksamkeit für die sicherheitspolitischen Konsequenzen von Chinas Aufstieg mit dem Interesse der Verbündeten an stabilen Wirtschaftsbeziehungen vereint.
Die Allianz darf dabei aber nicht beim Selbstgespräch stehen bleiben: Sie muss praktikable Maßnahmen zur Sicherung ihrer Handlungsfähigkeit und Erhöhung ihrer Widerstandsfähigkeit entwickeln gegen die politische Einmischung und Manipulation von außen. Auch sollte die Nato im Gespräch mit China direkt die Sorgen ansprechen, die ihre Mitglieder umtreiben und zugleich deutlich machen, dass die Volksrepublik den wirtschaftlichen Nutzen ihrer Expansionspolitik verspielt, wenn sie die Sicherheitsbedenken der Bündnisstaaten nicht ausräumt.
Die Volksrepublik hat den zweitgrößten Militärhaushalt der Welt, welcher – glaubt man den offiziellen Zahlen Chinas – allerdings hinter jenem der USA und auch den Verteidigungsausgaben aller weiteren Nato-Mitglieder zusammengenommen deutlich zurückbleibt. Das chinesische Ziel, im Rahmen des Programms Made in China 2025 in einer Reihe von High-Tech-Segmenten Weltmarktführer zu sein, hat auch eine militärische Komponente. Chinas Investition in militärische Fähigkeiten – neben der Modernisierung der Nuklearwaffen für den Aufbau einer Hochseemarine, verbesserte U-Boote sowie Mittel- und Langstreckenraketen – zeigt, dass Pekings Verteidigungspolitik auf Machtprojektion und die Absicherung gegen US-Aktivitäten im asiatisch-pazifischen Raum ausgerichtet ist. Mit einem Militärstützpunkt in Dschibuti hat China auch in Afrika sowie im Indischen Ozean Fuß gefasst und führt mit Russland im Mittelmeer sowie in der Ostsee gemeinsame Militärübungen durch. Die Volksrepublik gewinnt gleichzeitig über die Belt and Road Initiative (BRI) seit 2013 mit wirtschaftlichen Mitteln große Marktanteile über Handelswege, Infrastruktur und Netzwerke der Telekommunikation in Asien, Afrika und Europa. Zwar bleibt der Umfang der durchgeführten BRI-Projekte hinter den Ankündigungen zurück, und auf Seiten der europäischen Adressaten hat sich Ernüchterung in die Begeisterung über die Investitionen gemischt, doch hat sich die Volksrepublik strategisch platziert.
Um eine China-Strategie ging es in der Nato bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, eher darum, bestehende Konflikte auszubügeln. Die Nato muss nun ein Dilemma auflösen: Robuste Maßnahmen gegen Chinas sicherheitspolitische Einflusspolitik werden angesichts einer nur potenziellen Bedrohung leicht auf Widerstand unter den Alliierten stoßen, die sich wirtschaftliche Vorteile aus der Zusammenarbeit mit China erhoffen. Peking könnte mit diesem Hebel schon jetzt die Konsensfindung in der Nato erschweren. Ist die Allianz aber in Zeiten internationaler Spannungen einmal gegenüber China lahmgelegt, wäre es für ein geschlossenes Eingreifen zu spät.
Ein sensibler Bereich ist die Mobilität der Streitkräfte – eine Kernvoraussetzung für die Fähigkeit des Bündnisses, Abschreckung und Verteidigung zu gewährleisten. So lief beispielsweise die Verlegung für die Großübung Defender Europe 2020 über die Häfen von Antwerpen, Bremerhaven und Paldiski in Estland, in denen chinesische Unternehmen jeweils umfangreiche Investitionen an Containerterminals vorgenommen haben. Ähnlich sieht es im Mittelmeerraum aus, wo der chinesische Staatskonzern COSCO zum Beispiel einen Mehrheitsanteil an der Hafengesellschaft von Piräus hält. Das nährt die Sorge, dass China vereinfachten nachrichtendienstlichen Einblick in militärische Logistik der Nato erhält, Streitkräftebewegungen einfacher aufklären und sie gegebenenfalls sogar sabotieren kann. Die Nato muss prüfen, ob ihre Bewegungsfreiheit beeinträchtigt werden könnte, und gegebenenfalls ihre Logistik der Streitkräfteverlegung umstellen oder neu absichern.
Die technologische Führungsrolle, die China anstrebt, kann der Nato ebenfalls nicht gleichgültig sein. Die technologische Omnipräsenz der Volksrepublik schafft Instrumente und Zugänge für Cyberangriffe, Aufklärung und Spionage. Aggressiv drängen chinesische Unternehmen auf den europäischen Telekommunikationsmarkt. Dies birgt auch transatlantischen Konfliktstoff, wie der Streit um die Einbeziehung der chinesischen Firma Huawei in den Aufbau der geplanten 5G-Netze in Europa zeigt.
China entwickelt derweil zudem seine offensiven militärischen Cyberfähigkeiten weiter, so dass diese der Kommunikation und der operativen und logistischen Infrastruktur der Nato-Streitkräfte zusetzen könnten. Nicht zuletzt ist es absehbar, dass die Volksrepublik in Russlands Fußstapfen tritt, wenn es um die offensive Beeinflussung der öffentlichen Meinung geht – dies hat der Kampf der Narrative in der Corona-Pandemie gezeigt.
Die Frage bleibt aber, was die Allianz selbst konkret tun kann, um die Verwundbarkeit angesichts Chinas Einflussnahme zu senken. Eine Forderung könnte sein, dass Nato-Mitglieder chinesische Investoren aus bestehenden Verträgen drängen – ähnlich haben es die USA vorgemacht, als sie Ende 2019 aus geoökonomischen Gründen ein chinesisches Unternehmen zwangen, Anteile am Containerhafen von Long Beach abzutreten. Allerdings wird das in Europa kaum die Regel werden, schließlich gibt es handfeste wirtschaftliche Interessen und einflussreiche Nutznießer vor Ort.
Die Allianz hat aber noch andere Möglichkeiten, ihre Resilienz zu erhöhen. Wachsamkeit und Informationsaustausch über Chinas sicherheitsrelevante Aktivitäten sind bereits beschlossene Sache. Die Qualität der Bewertung hängt vom routinierten Austausch von Geheimdienstinformationen ab, der bislang nicht immer gelingt. Die Nato könnte jedoch von ihren Mitgliedern eine Sicherheitsbewertung bestimmter Investitionen verlangen. Ambitioniert aber sinnvoll wäre es, wenn das Bündnis seine Lieferketten und Transportwege so gestalten würde, dass sie chinesisch dominierte Anlagen umgehen.
Auch wenn die Nato im Sinne kooperativer Sicherheitspolitik ihre externen Partnerschaften mit Drittstaaten weiterentwickeln will, ist der Faktor China relevant. Die zentralasiatischen Mitglieder im Euroatlantischen Kooperationsrat gehören längst auch der chinesisch dominierten Shanghai Organization for Cooperation an. Chinas fester Zugriff in den Staaten Zentralasiens über die BRI-Investitionen unterminiert den Versuch der Nato, eine dauerhafte Zusammenarbeit, orientiert an westlichen Werten und Stabilitätsvorstellungen, herzustellen. Chinas Einfluss am Persischen Golf wächst, und zwar nicht nur im Iran, sondern auch in den sunnitischen Golfstaaten, die gleichzeitig im Mittelmeerdialog und der Istanbul Cooperation Initiative mit der Nato verbunden sind. Viele Staaten sehen die Volksrepublik als attraktiven Kooperationspartner, der wirtschaftliche und militärische Angebote macht, ohne diese mit Forderungen nach Demokratie und Menschenrechten zu verbinden. Die Allianz muss ihre Partnerschaftsprogramme demnach neu bewerten, mit Blick auf die Analyse chinesischer Einflussnahme in den Nachbarregionen.
Zu einem umfassenden Lagebild muss der Austausch mit China gehören – zu viele Fragen sind offen. Die Nato sollte mit Peking in einen zielgerichteten Dialog treten, nicht weil sie eine asiatische Macht sein will, sondern weil die Volksrepublik eine europäische Macht wird.
Wünschenswert wäre die Koordinierung der chinapolitischen Strategiedebatten in der Nato und der EU, wobei kaum eine gemeinsame Strategie, aber doch abgestimmte Bewertungskriterien ein realistisches Ziel wären. Das greift aber immer noch zu kurz: Gefragt ist verstärkter direkter Kontakt mit China. Dialoge der Allianz mit China gibt es seit 2002, beginnend mit dem Engagement der Nato in Afghanistan; diese Prozesse sind dichter geworden, aber noch nicht institutionalisiert.
Das Format eines solchen Dialoges zu finden, dürfte knifflig werden, denn dies enthielte Signale über den Charakter der Beziehung. Es wäre ein schlechtes Omen, jetzt einen Nato-China-Rat in die Welt zu setzen – das Vorbild mit Russland war keine Erfolgsgeschichte. Auch wäre das Etikett als neuer “Partner around the globe” kein echtes Angebot an China, das sich gleichrangig mit Kolumbien oder der Mongolei wiederfinden würde. Und ein verlässlicher Partner der Nato dürfte China nicht werden; es bleibt ein Kontrahent. Vielmehr sollten bestehende Dialogformate in einen Mechanismus überführt werden – zu einem flexiblen Sicherheitsdialog, der Probleme adressiert und Lösungen vorschlägt. Die Nato braucht einen Prozess, in dem sie China klar machen kann, dass es die wirtschaftlichen Vorteile seiner Investitionen verspielt, wenn diese mit sicherheitspolitischen Bedenken belastet sind. Das ist ein Grund warum China an vertrauensbildenden Maßnahmen interessiert sein sollte.
Henning Riecke organisiert Studiengruppen für Bundestag und Bundesregierung bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und arbeitet dort im Themenschwerpunkt Internationale Ordnung und Demokratie. Das Meinungsstück erscheint in voller Länge als Arbeitspapier bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS).
“Ich habe in der Inneren Mongolei Stutenmilch und Schnaps getrunken, habe Pandabären in Chengdu gestreichelt, war an der Grenze zu Nordkorea und in fast allen anderen Ecken des Landes”, berichtet Alexander Hoeckle, Geschäftsführer der IHK Köln. Seit rund 25 Jahren arbeitet Hoeckle bei der IHK, aktuell als Geschäftsführer International und Unternehmensförderung bei der IHK Köln.
“Wenn Sie in der Außenwirtschaftsförderung aktiv sind, dann sehen Sie, wo die Märkte sind”, erzählt Alexander Hoeckle. Als er kurz nach der Jahrtausendwende bei der IHK München war, begann er sich intensiv mit China zu beschäftigen und Unternehmen bei der Erschließung des chinesischen Marktes zu helfen. “Tausende Unternehmen fuhren damals nach China, um herauszufinden, was dort vor sich geht”, erinnert sich Hoeckle. “Ich habe damals einen Pass verschlissen.”
Die IHK baute ihre Büros in Peking und Shanghai nach und nach aus, verlagerte aber zunehmend den eigenen Schwerpunkt, als viele kleine und mittelständische Unternehmen Niederlassungen oder Joint Ventures gegründet hatten. “Dann ging es mehr um Background, um politische Gespräche.” Das sei bis heute der Fall.
Mit Blick auf die aktuelle Lage sorgt sich Alexander Hoeckle um die scharfe Rhetorik der Deutschen und Europäer. “Es wundert mich nicht, dass China nun von Decoupling spricht”, sagt der 54-Jährige. “Die Chinesen denken sehr strategisch. Wir müssen akzeptieren, dass sie hier und da am längeren Hebel sitzen.” Hoeckle möchte den Wertediskurs hierzulande keinesfalls in Frage stellen, aber der Systemkonflikt mit China mache es für Wirtschaftspolitiker wie auch Unternehmen nicht leichter.
“Es ist sehr schwierig, diese Themen einzubringen und gleichzeitig Wirtschaftsbeziehungen so zu gestalten, dass beide Seiten zufrieden sind”, sagt Hoeckle. “Ich erwarte, dass der innerdeutsche Dialog über unser Verhältnis zu China an Intensität gewinnen wird.”
Persönlich begeistert ihn China seit seiner ersten Reise 2002. Dabei sind es nicht nur die bekannten Metropolen wie Shanghai und Peking, in die er gerne fährt. Auch eine Hafenstadt wie Dalian findet er faszinierend: “Dieser Mix aus Tradition und Moderne mit Digitalisierung und IT ist sehr interessant”, sagt er.
Wenn er sich in China aufhält, sucht Hoeckle aber auch immer den Kontakt zu den dort ansässigen Deutschen. Im Kempinski-Hotel in Peking etwa trifft sich für gewöhnlich die Expat-Community. Der Lieblingsort des Rheinländers ist aber eine Pekinger Bar namens “Der Landgraf”. “Das ist ein geschickter Exportschlager. Es ist nämlich das einzige Restaurant in Peking, wo es Kölsch vom Fass gibt.” Constantin Eckner
Urplötzlich tauchen in einem Fluss mitten in der Metropole Shanghai immer mehr tote Schweine auf. Dies ist das Leitmotiv in Cathy Yans episodischem Film “Dead Pigs”, der eine sich rasant wandelnde chinesische Stadtbevölkerung in verschiedenen Handlungssträngen unter die Lupe nimmt. Der Film entstand 2018, hatte seine Weltpremiere beim Sundance Film Festival und ist gerade bei Mubi zu sehen.