Table.Briefing: China

VW: Wechsel an der Spitze + Doris Fischer: “China schottet sich nicht ab”

  • Spekulationen um Chef von VW Group China
  • Interview mit China-Ökonomin
  • Reisen nach Peking werden noch schwerer
  • Neuer Akku-Rekord: Aion LX Plus schafft über 1.000 Kilometer
  • Erster chinesischer Formel-1-Fahrer
  • Personalien: BMW-Senior Manager Falk Kretschmann geht nach Shenyang

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,

bei VW China brennt die Hütte. Ob der Brand aber in der Zentrale in Wolfsburg oder in Peking ausgebrochen ist, bleibt unklar. Nichts dringt aus dem VW-Konzern über die Gründe für die Ablösung seines China-Chefs Stephan Wöllenstein. Sicher, der Absatz der Elektroautos läuft in China nicht wie geplant. Aber bei Benzinern ist VW immer noch Marktführer. Und ist Wöllenstein überhaupt für das Schlamassel verantwortlich oder nur ein Bauernopfer? Christian Domke Seidel hat sich die Umstände des noch immer nicht bestätigten Personalwechsels genauer angesehen.

Überrascht dürften viele Beobachter auch gewesen sein, wie unerbittlich die Zentralregierung in China seit Mitte des Jahres ausgerechnet gegen den Tech-Sektor vorging. Schließlich ist das der Bereich, der hochinnovativ ist und eine Wachstumslokomotive für das Land. Für die Ökonomin Doris Fischer von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg ist der Schritt jedoch in gewisser Weise nachvollziehbar: “Natürlich weiß die Führung, dass das Land diese vitalen Unternehmen braucht. Zugleich schaut sie aber auch auf andere Länder und sieht, wie unkontrollierbar und gefährlich gerade auch die sozialen Netzwerke werden können. Das will sie verhindern.”

Im Interview erklärt die China-Ökonomin zugleich, warum schlechte Nachrichten in einzelnen Sektoren nicht gleich bedeuten, dass das Wachstum zusammenbricht. Anders als andere Experten kann sie derzeit keine Abschottung des Landes ausmachen.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!

Ihr
Felix Lee
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Analyse

Ablösung des China-Chefs: VW kämpft mit eigenen Ambitionen

Es ist nicht so, als hätte Volkswagen in China nicht alles versucht. Die Modelle ID.3 und ID.4 sind erste Vorboten einer Elektroauto-Offensive. In der Provinz Anhui baut der Konzern gerade eine zusätzliche Elektroautofabrik. Das Vertriebsmodell wurde um ID.-City-Stores erweitert. Die Absatzzahlen der Elektroautomodelle steigen stetig – nur eben nicht so sehr, wie es sich der Konzern erhofft hatte. Offenbar reichte das Wachstum der Elektrosparte nicht aus für die Chefetage des ehrgeizigen Konzerns. Stephan Wöllenstein, derzeit noch Chef der Volkswagen Group China, steht nach übereinstimmenden Berichten vor seiner Ablösung. Nachfolger könnte Alexander Seitz sein, der derzeit noch im Vorstand von Volkswagen Pkw Controlling und Rechnungswesen verantwortet (China.Table berichtete).

Es ist eine Personalentscheidung, die überraschend kommt. In China kursierten keine Gerüchte über eine bevorstehende Ablösung Wöllensteins. Dieser stand trotz einiger Probleme zumindest öffentlich nicht in der Kritik. Dazu kommt, dass der 58-Jährige den Job noch nicht lange macht – er hat den Posten als CEO der VW Group China (VGC) in Peking erst im Januar 2019 angetreten.

Was auch immer der Anlass für die Neubesetzung an der VGC-Spitze war: Alexander Seitz wäre eine naheliegende Wahl für die Nachfolge. Er gilt als China-Experte. Bereits im Jahr 2013 hatte ihn der Konzern zum First Vice President & Commercial Executive Vice President von SAIC Volkswagen Automotive in Shanghai berufen. Bei dem Joint Venture beaufsichtigte Seitz Finanzen, IT, Beschaffung und war im Personalwesen für die Expats zuständig.

Fehler in China – oder in Wolfsburg?

Noch steht eine offizielle Bestätigung des Personalwechsels durch das Unternehmen aus. Die Spekulationen weisen aber so oder so auf die Probleme VWs in China hin. Ob eine Neubesetzung an der Spitze aber die Probleme im größten Automarkt der Welt löst, bleibt abzuwarten. Zwar ist der Wolfsburger Konzern mit seinen Joint Ventures Marktführer bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren. VW kommt jedoch in der Elektromobilität nicht vom Fleck. Diese Schwierigkeiten an der Person Wöllenstein festzumachen, wirkt allerdings übertrieben.

Im Gespräch mit Table.Media sieht auch der Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer die Probleme an anderer Stelle. Wöllenstein sei “zu einer Zeit gekommen, in der VW vor allem europäische Produkte im Portfolio hatte.” Es sei einfach zu einer Marktverzögerung gekommen, die mit dem Marktstart des ID.6 noch aufgeholt werden könnte. In China würden sich nur zwei Arten von Elektroautos verkaufen, sagt Dudenhöffer: Elektro-SUVs und Tesla-ähnliche Limousinen. Beides hätten die Wolfsburger nicht liefern können.

Der ID.3 sei zwar ein schönes Auto, so Dudenhöffer. Für China sei der Wagen aber nur bedingt geeignet. In der Volksrepublik gäbe es einfach zu viel Konkurrenz in der Elektromobilität. Dort könne man mit einem europäischen Auto keine großen Sprünge machen. Es ist ein Problem, auf das auch schon Jens Hildebrandt, Chef der Auslandshandelskammer in Peking, hingewiesen hatte. In einem Interview mit China.Table betonte Hildebrandt, dass es von der Geschwindigkeit abhänge, mit der Volkswagen auf chinesische Kundenwünsche reagieren würde, ob der Konzern in der Volksrepublik Marktführer bleibe. “Das ist ja generell ein wunder Punkt, bei dem deutsche Unternehmen noch nachlegen müssen.”

Ob das aber allein ein Fehler Wöllensteins ist, daran kann zumindest gezweifelt werden. Zwar hätte der VGC-Chef sehr viel früher regulierend in die Fahrzeugentwicklung eingreifen können. Und zwar bereits, als die Mängel des Infotainment-Systems klar wurden. Infotainment ist für China enorm wichtig, und die von Volkswagen angebotene IT genügte den Ansprüchen der Kunden nicht.

Doch ist in Wolfsburg in erster Linie Konzernchef Herbert Diess persönlich für den wichtigsten Markt des Unternehmens verantwortlich. Das Ressort China unterliegt im Vorstand ihm. Die Wirtschaftswoche hatte sich daher bereits auf Diess als Mitverantwortlichen eingeschossen. Jetzt zieht dieser aber zunächst Wöllenstein ab. Dudenhöffer wiederum möchte sich zu den Personalien selbst nicht äußern. Er weist aber darauf hin, dass Wöllenstein nun mal für den chinesischen Markt zuständig sei, auf dem es Probleme gebe.

Chinas Presse weist auf Absatzschwierigkeiten hin

In China selbst erhielt die Personalie nur mäßige Aufmerksamkeit in den Wirtschaftsmedien. Chinesische Nachrichtenseiten berichteten am Mittwoch unter Berufung auf die Automobilwoche, ohne eigene Details hinzuzufügen. Sie griffen das Narrativ auf, demzufolge der Konzern Wöllenstein wegen Erfolglosigkeit vom chinesischen Markt abziehe. In den vergangenen Jahren habe sogar die japanische Konkurrenz wieder Marktanteile zurückholen können.

Tencent News wies darauf hin, dass die Entwicklung in den Jahren bis 2020 positiv verlief. Von Januar bis September 2021 aber sei der VW-Absatz im Vorjahresvergleich um 4,1 Prozent gesunken. Insbesondere bei den Modellen des Gemeinschaftsunternehmens SAIC Volkswagen seien die Verkäufe desaströs abgestürzt. Das Minus lag hier im Vorjahresvergleich bei 18 Prozent. Der Bericht erwähnt ebenfalls die Probleme mit E-Autos. BYD fahre VW hier derzeit davon.

Die Personalie gab jedoch auch Anlass für grundsätzliche Überlegungen. Die Plattform Phoenix macht aufgrund der Schwierigkeiten in China gar eine “neue Krise” bei VW aus. “Wird Volkswagen die Erfolgsgeschichte aus dem Verbrenner-Zeitalter in China auch künftig fortsetzen können?”, fragte Tencent News – und prophezeite: “Der Markt wird die Antwort geben.” Christian Domke Seidel

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    • Autoindustrie

    “China will sich nicht abschotten”

    Doris Fischer China-Ökonomin an der Universität Würzburg zur Abschottung Chinas
    China-Ökonomin Doris Fischer von der Universität Würzburg

    Frau Fischer, Lieferengpässe, Stromausfälle, Tech-Konzerne stehen unter Druck, dann die Krise des Immobilienriesen Evergrande – die Probleme ballen sich. Wie steht es derzeit um die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt?

    Ich habe neulich erst mit einem deutschen Unternehmer gesprochen, der mir schilderte, wie rasant für viele Firmen die Transportkosten von China nach Deutschland gestiegen sind. Es gibt nicht genug Container. Das hat verschiedene Gründe. Ein Problem bleibt aber Corona. Obwohl China im eigenen Land die Pandemie weitgehend im Griff hat, spielt das Virus dennoch eine gravierende Rolle. In den Sommermonaten waren es die Häfen von Ningbo und Shenzhen, die die Behörden wegen ein paar wenigen Fällen teilweise dicht machten. Nun trifft es auch den Bahnverkehr. Die chinesischen Behörden haben zuletzt zwei Grenzübergänge für Güterzüge gesperrt, weil es zwei Fälle gab. Im Bahnverkehr gibt es jetzt ebenfalls einen Rückstau.

    Ein Corona-Fall in China – schon stockt der gesamte Welthandel? Wie konnte es so weit kommen?

    Seit der Jahrtausendwende sind die globalen Lieferketten so fein ziseliert und perfekt aufeinander abgestimmt, dass Betriebe auch in Deutschland sofort zu spüren bekommen, wenn es nur an einer Stelle hakt. Abfertigungsprobleme gibt es derzeit auch in Großbritannien und den USA. Das gesamte System ist hoch anfällig. Und als größter Produzent nicht nur von Konsumgütern, sondern auch industriellen Vorprodukten kommt China eine Schlüsselrolle zu.

    Die meisten Länder haben sich längst damit abgefunden, mit dem Virus irgendwie zu leben –  zumal es Impfstoffe gibt. Reagiert China nicht über?

    Die chinesische Regierung hat sich vor anderthalb Jahren zum Ziel gesetzt, das Virus auszumerzen. Nun fällt es ihr schwer, von diesem Versprechen abzurücken.

    Die Nebenwirkungen der Null-Covid-Strategie sind erheblich.

    Natürlich tut das weh. Der Parteisekretär der Inneren Mongolei musste nach nur zwei Monaten im Amt gehen, weil es in seiner Provinz zu einem Ausbruch kam. Mehr als fünf Millionen Nanjinger durften wegen einigen wenigen Fällen über die Oktoberfeiertage nicht die Stadt verlassen. Der Führung geht es wirklich darum, das Virus zu unterdrücken. Besonders rigide geht sie in der Hauptstadt Peking vor. Dort greifen zum 6. Plenum des Nationalen Volkskongresses und wenige Monate vor den Olympischen Winterspielen schon wieder strengere Einreisebeschränkungen.

    Anders als noch bei seinen Vorgängern scheint Xi Jinping Wirtschaftswachstum nicht über alles zu stellen?

    Das Wachstum im dritten Quartal lag bei 4,9 Prozent. Das ist zwar weniger als manche erwartet haben. Aber den Glauben, dass China immer hohe Wachstumszahlen hat, halte ich für fehlgeleitet. Die absolute Basis wird ja immer größer, das würde eine exponentielle Expansion ergeben. Chinas Ansage, das Wachstum werde sich im Durchschnitt – und zwar ohne Corona – über die nächsten Jahre  erst bei sechs Prozent einpendeln und dann sukzessive zurückgehen, halte ich für realistisch.

    Welche Rolle spielt die Pandemie für das Wirtschaftsgeschehen?

    Natürlich hat die Pandemie auch Auswirkungen auf Chinas Wirtschaft. Es gab zudem die große Flut in Henan, und andere Auswirkungen des Klimawandels. Die Krise mit Evergrande wird den Immobilienmarkt dämpfen. Und das Vorgehen gegen die Tech-Konzerne hat wirtschaftliche Auswirkungen. Ich würde all das dennoch nicht überbewerten. China ist ja eigentlich wie ein Kontinent. Wenn es in einer Region zu Problemen kommt, bedeutet das nicht gleich einen Durchhänger für das ganze Land.

    Sie klingen optimistisch.

    Ich denke schon, dass die chinesische Regierung nervös ist. Sie hat im Moment recht viele Probleme gleichzeitig zu bewältigen. Einiges ist aber auch bewusst so gewollt. Die Regulierung des Tech-Sektors in China steht schon lange an. Diese großen Unternehmen hatten freie Hand und sind sehr groß und einflussreich geworden. Sie betreiben unlauteren Wettbewerb und lassen zwielichtige Gestalten Geschäfte machen. Und dann behauptet Alibaba-Chef Jack Ma auch noch in aller Öffentlichkeit, sein Unternehmen könne es besser als die Staatsbanken. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht.

    Aber Chinas Tech-Sektor ist der Bereich, der wirklich hochinnovativ ist.

    Natürlich weiß die Führung, dass das Land diese vitalen Unternehmen braucht. Zugleich schaut sie aber auch auf andere Länder und sieht, wie unkontrollierbar und gefährlich gerade auch die sozialen Netzwerke werden können. Das will sie verhindern. In einer zivilisierten Gesellschaft wird nicht in die Ecke gespuckt. Das wollte die KP-Führung in den achtziger Jahren unterbinden. Heute will sie eine zivilisierte Gesellschaft, in der auch in der Wirtschaft Anstand herrscht. Viele Unternehmer in China haben noch immer eine Einstellung wie im Wilden Westen. Ihre Geschäftsmodelle sind darauf ausgerichtet, möglichst viele Rechtslücken zu nutzen. Und davon gab es in China lange Zeit recht viele. Die Regierung will aber lieber Geschäftsideen, die sich im Rahmen des Regelwerks entwickeln.

    Nur geht sie da nicht zu weit? Sie schränkt selbst das Online-Gaming bei Kindern ein.

    Dahinter dürfte ein Stück weit Populismus stecken. Auch in China gibt es viele Eltern, die sich angesichts der Gaming-Vorlieben ihrer Kinder Sorgen machen. Sicherlich steckt hinter dieser Maßnahme auch die Vorstellung, bessere Menschen zu schaffen. Mao hatte das bereits über Kampagnen versucht. Xi versucht das jetzt über Regulierung und mit dem Sozialkreditsystem, das das Verhalten der Bürger bewertet. Einigen Unternehmen mag das nicht schmecken. Sie müssen sich an die neuen Regeln anpassen. Und sicherlich ärgern sich einige Leute, dass ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Xi wird aber sicher nicht so weit gehen, die großen Tech-Unternehmen zu zerschlagen. Das will er auf keinen Fall.

    Vielleicht nicht komplett zerschlagen. Innovationskraft nimmt er ihnen aber schon.

    Ich erinnere mich gut an ein Gespräch, das ich vor der Pandemie mit chinesischen regierungsnahen Experten führte. In diesem Gespräch wurde mir deutlich, dass die chinesische Regierung Bauchschmerzen mit den Tech-Konzernen hat. Einer sagte sogar: “Wenn wir eure Hidden-Champions hätten, würden wir euch unsere Alibabas gerne übergeben.” Hinter dieser Aussage steckt dieser tiefe Glaube, dass Wirtschaft etwas Reales sein muss, also was man anfassen, bauen oder essen kann. Die ganze Internet-Ökonomie ist aus dieser Warte suspekt.

    Die IT-Industrie hat China technologisch aber enorm nach vorne gebracht.

    Das hat sie. Aber es gibt einen weiteren Aspekt, der die chinesische Regierung umtreibt und der im Westen auch Thema ist: Die Frage der Macht dieser Plattformen. Sie sind sehr große und sehr reiche Unternehmen geworden, die unglaublich viele Daten gesammelt haben. Das macht sie sehr einflussreich. Auch wir diskutieren nicht umsonst über die Macht von Facebook und seinen Wettbewerbern. Bei uns stellt sich die Frage: Sind diese Plattformen eine Gefahr für die Demokratie? In China lautet sie: Gefährden sie die Partei? Ich finde es erstaunlich, wie lange die Führung diese Unternehmen überhaupt gewähren ließ.

    China Führung folgt in ihrer Politik jedoch in vielen Fällen bekannten Mustern.

    Wir kennen dieses Vorgehen aus anderen Bereichen: Man lässt es erst laufen und dann versucht man die Auswüchse zu bändigen. Im Alibaba-Fall gibt es Hinweise, dass Jack Ma wusste, was kommt und dass er im Oktober letzten Jahres diese Rede gehalten hat, um vor diesen anstehenden Regulierungen zu warnen. Damit ist er aus Sicht der Regierung aber zu weit gegangen. Ich glaube, diese Message ist bei den Tech-Unternehmen angekommen. Nach allem was ich weiß, geht es diesen Unternehmen aber weiterhin gut.

    Und die Krise des Immobilienkonzerns Evergrande? Ein Crash des völlig überhitzten chinesischen Immobilienmarktes ist in den vergangenen zehn Jahren mehrmals schon vorausgesagt worden.

    Es gibt in der Tat mehrere Immobilienunternehmen, die große finanzielle Probleme haben. Die Evergrande-Krise wirkt sich also auf den Immobilienmarkt aus. Und ziemlich sicher werden einige Köpfe rollen. Ich habe den Eindruck, die chinesische Regierung versucht die Auswirkungen auf die Kleinanleger und privaten Hauseigentümers sozial abzufedern. Die Firma als solche wird die Regierung aber eher nicht retten. Die Führung hat im vergangenen Jahr in diesem Sektor ganz bewusst die Zügel angezogen, um zu verhindern, dass der Immobilienmarkt überhitzt. Vielleicht hat sie nicht mit einem so großen Schock gerechtet. Jetzt lautet das Motto halt: Augen zu und durch.

    Schon ist vom chinesischen Lehmann die Rede.

    Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Die chinesische Regierung wird den Bankensektor immer retten. Er ist ohnehin überwiegend staatlich – mit Zähneknirschen zwar und es einige Leute zur Verantwortung gezogen werden. Aber einen kompletten Zusammenbruch halte ich für unwahrscheinlich.

    Schon vor Beginn der Pandemie hat China ausländischen Unternehmen suggeriert: Wir brauchen euch nicht mehr, wir können inzwischen alles selbst. Die Pandemie nutzt sie nun als Grund, sich abzuschotten. Was beobachten Sie?

    Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor. Im Ergebnis kann dies aber dennoch dazu führen, dass weniger Ausländer in China sind. Das Ganze hat mit dem im letzten Jahr vorgestellten Konzept der Dual Circulation zu tun. China will seinen Binnenmarkt stärken. In dem Konzept steht viel vom Abbau von Marktbarrieren innerhalb Chinas. Damit verbunden sind zwei weitere Ziele.

    Welche?

    In der Tat soll das Land weniger abhängig werden von ausländischer Technologie. Peking will verhindern, dass die USA Chinas technologische Abhängigkeit als Hebel nutzen kann, um China klein zu halten. Zugleich weiß die Führung aber, dass das Land weiter Rohstoffe und Märkte im Ausland braucht. Und da will China sogar expandieren. Mit dieser Strategie erhofft sich die Führung folgendes: Der chinesische Markt soll so groß und so wichtig sein, dass die ausländischen Unternehmen von selbst kommen – allerdings ohne die Privilegien, die ausländische Firmen bisher genossen haben, sondern zu den Bedingungen, unter denen auch chinesische Privatunternehmen funktionieren müssen.

    Ausländische Unternehmen in China nehmen ihre Stellung dagegen nicht unbedingt als privilegiert wahr. Sie beklagen, dass sie schon jetzt benachteiligt werden.

    Dann wird es für sie nun eher noch schwieriger. Denn die chinesische Konkurrenz ist zugleich richtig gut geworden. Bei der Automobilindustrie kommt hinzu, dass die ausländischen Hersteller beim Trend zur Elektromobilität nicht gerade die Avantgarde sind. China will sich nicht abschotten, sondern die bisherige Ausrichtung der globalen Märkte verändern. In der Vergangenheit zeigte die Kompassnadel der internationalen Handelsströme letztlich in Richtung der USA und Europa. China will, dass die Kompassnadel sich dreht.

    Doris Fischer, 56, ist Wirtschaftswissenschaftlerin und Sinologin an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Sie leitet dort den Lehrstuhl für China Business and Economics. Fischer ist zudem Vizepräsidentin der Universität. In ihren aktuellen Forschungsprojekten untersucht sie die Rolle und Ausgestaltung von Industriepolitik für die Energiewende sowie die Auswirkungen des chinesischen Sozialpunktesystems auf Unternehmen.

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      News

      Noch strengere Covid-Regeln in Peking

      Die Hauptstadt Peking verschärft die Covid-Regeln für Einreisende aus China und dem Ausland. Inlandsflüge aus Corona-Risikogebieten wurden gestrichen oder stark reduziert. Derzeit hat China mehr als hundert Städte als Risikogebiete eingestuft. Seit Mittwoch müssen nun alle Peking-Besucher einen negativen Corona-Test nachweisen, der nicht älter als 48 Stunden ist. Außerdem müssen sich ab sofort all jene mehrmals pro Woche auf Covid-19 testen lassen, die in Peking beruflich mit Tiefkühlimporten in Kontakt kommen. Dies betrifft rund 30.000 Menschen. China hatte bereits im Sommer 2020 Tiefkühlimporte als möglichen Virusträger benannt und hält bis heute an dieser Theorie fest.

      Die Stadtverwaltung hatte am Dienstag Details zu den neuen Regeln bekanntgegeben. “Das Virus darf nicht nach Peking eingeschleppt werden, und es darf sich nicht in Peking ausbreiten“, betonte Sprecher Xu Heijian. In 100 Tagen beginnen in Peking die Olympischen Winterspiele. Zu den Spielen dürfen keine Fans aus dem Ausland einreisen. Flugreisen ins Ausland wurden mit dem Winterflugplan noch weiter eingeschränkt als zuvor (China.Table berichtete).

      Die Corona-Zahlen sind in China aufgrund der konsequenten Null-Covid-Politik mit Massentests und flächendeckenden Einschränkungen sehr niedrig. Am Dienstag wurden nur 31 Ansteckungen binnen 24 Stunden gemeldet. ck

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        Aion LX Plus schafft über tausend Kilometer

        Im Rennen um immer höhere Reichweiten bei Elektroautos hat der chinesische Hersteller GAC Aion mit dem LX Plus eine neue Version vorgestellt, die mit einer Akkuladung auf eine maximale Reichweite von über 1.000 Kilometern kommt. Die Kapazität dieses Akkus liegt bei 144,4 Kilowattstunden. Dem E-Auto-Portal Teslamag zufolge dürfte der Aion LX Plus das E-Auto mit dem derzeit größten Akku überhaupt sein. Zum Vergleich: Die Batterie des Mercedes EQS speichert 108 Kilowattstunden, die des Tesla Model S etwas weniger als 100 Kilowattstunden. Noch kann man den Aion LX Plus allerdings nicht kaufen. Die Zulassung steht noch aus. flee

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          • Autoindustrie

          Formel 1: Alfa Romeo beruft ersten chinesischen Fahrer

          Alfa Romeos neuer Formel 1 Fahrer aus China Zhou Guanyu

          Der chinesische Rennfahrer Zhou Guanyu ist der erste feste Profi seines Landes in der Formel 1. Alfa Romeo hat den 22-Jährigen neben dem etablierten Valtteri Bottas aus Finnland als Stammfahrer berufen. Er ersetzt den Italiener Antonio Giovinazzi. “Es ist sowohl aus sportlicher als auch aus kommerzieller Sicht großartig”, erklärte Alfa-Romeo-Teamchef Fredric Vasseur gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Zhou twitterte: “Ein Kindheitstraum wird wahr.” Er wird erstmals in der Saison 2022 dabei sein.

          Für die Formel 1 ist ein chinesischer Fahrer deshalb kommerziell wichtig, weil seine Teilnahme das Interesse in seiner Heimat schüren wird. China ist ein riesiger Markt für Werbung und Lizenzrechte. Der enttäuschte Giovinazzi vermutet hinter der Entscheidung daher vor allem finanzielle Erwägungen. “Das Geld diktiert die Regeln.” Talent und Fähigkeiten von Zhou sind jedoch unbestritten: Er liegt auf Platz zwei der Formel-1-Meisterschaft der Fédération Internationale de l’Automobile (FIA). fin

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            Personalien

            Falk Kretschmann ist als Senior Manager für den Bereich Elektronik und Assistenzsysteme bei BMW von München nach Shenyang gegangen.

            Unter der Leitung von Guanzhe Cao gründet der Duisburger Hafen ein eigenes Asian Desk. Cao soll das wachsende Asiengeschäft steuern. Er ist bereits seit fünf Jahren als Projektmanager und Vorstandsassistent beim Hafen angestellt. Der Asian Desk koordiniert die Tätigkeiten in Duisburg und die Repräsentanzen des Unternehmens in China sollen ihm künftig unterstellt werden.

            China.Table Redaktion

            CHINA.TABLE REDAKTION

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              • Spekulationen um Chef von VW Group China
              • Interview mit China-Ökonomin
              • Reisen nach Peking werden noch schwerer
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              • Erster chinesischer Formel-1-Fahrer
              • Personalien: BMW-Senior Manager Falk Kretschmann geht nach Shenyang

              Editorial

              Liebe Leserin, lieber Leser,

              bei VW China brennt die Hütte. Ob der Brand aber in der Zentrale in Wolfsburg oder in Peking ausgebrochen ist, bleibt unklar. Nichts dringt aus dem VW-Konzern über die Gründe für die Ablösung seines China-Chefs Stephan Wöllenstein. Sicher, der Absatz der Elektroautos läuft in China nicht wie geplant. Aber bei Benzinern ist VW immer noch Marktführer. Und ist Wöllenstein überhaupt für das Schlamassel verantwortlich oder nur ein Bauernopfer? Christian Domke Seidel hat sich die Umstände des noch immer nicht bestätigten Personalwechsels genauer angesehen.

              Überrascht dürften viele Beobachter auch gewesen sein, wie unerbittlich die Zentralregierung in China seit Mitte des Jahres ausgerechnet gegen den Tech-Sektor vorging. Schließlich ist das der Bereich, der hochinnovativ ist und eine Wachstumslokomotive für das Land. Für die Ökonomin Doris Fischer von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg ist der Schritt jedoch in gewisser Weise nachvollziehbar: “Natürlich weiß die Führung, dass das Land diese vitalen Unternehmen braucht. Zugleich schaut sie aber auch auf andere Länder und sieht, wie unkontrollierbar und gefährlich gerade auch die sozialen Netzwerke werden können. Das will sie verhindern.”

              Im Interview erklärt die China-Ökonomin zugleich, warum schlechte Nachrichten in einzelnen Sektoren nicht gleich bedeuten, dass das Wachstum zusammenbricht. Anders als andere Experten kann sie derzeit keine Abschottung des Landes ausmachen.

              Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!

              Ihr
              Felix Lee
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              Analyse

              Ablösung des China-Chefs: VW kämpft mit eigenen Ambitionen

              Es ist nicht so, als hätte Volkswagen in China nicht alles versucht. Die Modelle ID.3 und ID.4 sind erste Vorboten einer Elektroauto-Offensive. In der Provinz Anhui baut der Konzern gerade eine zusätzliche Elektroautofabrik. Das Vertriebsmodell wurde um ID.-City-Stores erweitert. Die Absatzzahlen der Elektroautomodelle steigen stetig – nur eben nicht so sehr, wie es sich der Konzern erhofft hatte. Offenbar reichte das Wachstum der Elektrosparte nicht aus für die Chefetage des ehrgeizigen Konzerns. Stephan Wöllenstein, derzeit noch Chef der Volkswagen Group China, steht nach übereinstimmenden Berichten vor seiner Ablösung. Nachfolger könnte Alexander Seitz sein, der derzeit noch im Vorstand von Volkswagen Pkw Controlling und Rechnungswesen verantwortet (China.Table berichtete).

              Es ist eine Personalentscheidung, die überraschend kommt. In China kursierten keine Gerüchte über eine bevorstehende Ablösung Wöllensteins. Dieser stand trotz einiger Probleme zumindest öffentlich nicht in der Kritik. Dazu kommt, dass der 58-Jährige den Job noch nicht lange macht – er hat den Posten als CEO der VW Group China (VGC) in Peking erst im Januar 2019 angetreten.

              Was auch immer der Anlass für die Neubesetzung an der VGC-Spitze war: Alexander Seitz wäre eine naheliegende Wahl für die Nachfolge. Er gilt als China-Experte. Bereits im Jahr 2013 hatte ihn der Konzern zum First Vice President & Commercial Executive Vice President von SAIC Volkswagen Automotive in Shanghai berufen. Bei dem Joint Venture beaufsichtigte Seitz Finanzen, IT, Beschaffung und war im Personalwesen für die Expats zuständig.

              Fehler in China – oder in Wolfsburg?

              Noch steht eine offizielle Bestätigung des Personalwechsels durch das Unternehmen aus. Die Spekulationen weisen aber so oder so auf die Probleme VWs in China hin. Ob eine Neubesetzung an der Spitze aber die Probleme im größten Automarkt der Welt löst, bleibt abzuwarten. Zwar ist der Wolfsburger Konzern mit seinen Joint Ventures Marktführer bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren. VW kommt jedoch in der Elektromobilität nicht vom Fleck. Diese Schwierigkeiten an der Person Wöllenstein festzumachen, wirkt allerdings übertrieben.

              Im Gespräch mit Table.Media sieht auch der Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer die Probleme an anderer Stelle. Wöllenstein sei “zu einer Zeit gekommen, in der VW vor allem europäische Produkte im Portfolio hatte.” Es sei einfach zu einer Marktverzögerung gekommen, die mit dem Marktstart des ID.6 noch aufgeholt werden könnte. In China würden sich nur zwei Arten von Elektroautos verkaufen, sagt Dudenhöffer: Elektro-SUVs und Tesla-ähnliche Limousinen. Beides hätten die Wolfsburger nicht liefern können.

              Der ID.3 sei zwar ein schönes Auto, so Dudenhöffer. Für China sei der Wagen aber nur bedingt geeignet. In der Volksrepublik gäbe es einfach zu viel Konkurrenz in der Elektromobilität. Dort könne man mit einem europäischen Auto keine großen Sprünge machen. Es ist ein Problem, auf das auch schon Jens Hildebrandt, Chef der Auslandshandelskammer in Peking, hingewiesen hatte. In einem Interview mit China.Table betonte Hildebrandt, dass es von der Geschwindigkeit abhänge, mit der Volkswagen auf chinesische Kundenwünsche reagieren würde, ob der Konzern in der Volksrepublik Marktführer bleibe. “Das ist ja generell ein wunder Punkt, bei dem deutsche Unternehmen noch nachlegen müssen.”

              Ob das aber allein ein Fehler Wöllensteins ist, daran kann zumindest gezweifelt werden. Zwar hätte der VGC-Chef sehr viel früher regulierend in die Fahrzeugentwicklung eingreifen können. Und zwar bereits, als die Mängel des Infotainment-Systems klar wurden. Infotainment ist für China enorm wichtig, und die von Volkswagen angebotene IT genügte den Ansprüchen der Kunden nicht.

              Doch ist in Wolfsburg in erster Linie Konzernchef Herbert Diess persönlich für den wichtigsten Markt des Unternehmens verantwortlich. Das Ressort China unterliegt im Vorstand ihm. Die Wirtschaftswoche hatte sich daher bereits auf Diess als Mitverantwortlichen eingeschossen. Jetzt zieht dieser aber zunächst Wöllenstein ab. Dudenhöffer wiederum möchte sich zu den Personalien selbst nicht äußern. Er weist aber darauf hin, dass Wöllenstein nun mal für den chinesischen Markt zuständig sei, auf dem es Probleme gebe.

              Chinas Presse weist auf Absatzschwierigkeiten hin

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              Tencent News wies darauf hin, dass die Entwicklung in den Jahren bis 2020 positiv verlief. Von Januar bis September 2021 aber sei der VW-Absatz im Vorjahresvergleich um 4,1 Prozent gesunken. Insbesondere bei den Modellen des Gemeinschaftsunternehmens SAIC Volkswagen seien die Verkäufe desaströs abgestürzt. Das Minus lag hier im Vorjahresvergleich bei 18 Prozent. Der Bericht erwähnt ebenfalls die Probleme mit E-Autos. BYD fahre VW hier derzeit davon.

              Die Personalie gab jedoch auch Anlass für grundsätzliche Überlegungen. Die Plattform Phoenix macht aufgrund der Schwierigkeiten in China gar eine “neue Krise” bei VW aus. “Wird Volkswagen die Erfolgsgeschichte aus dem Verbrenner-Zeitalter in China auch künftig fortsetzen können?”, fragte Tencent News – und prophezeite: “Der Markt wird die Antwort geben.” Christian Domke Seidel

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                Seit der Jahrtausendwende sind die globalen Lieferketten so fein ziseliert und perfekt aufeinander abgestimmt, dass Betriebe auch in Deutschland sofort zu spüren bekommen, wenn es nur an einer Stelle hakt. Abfertigungsprobleme gibt es derzeit auch in Großbritannien und den USA. Das gesamte System ist hoch anfällig. Und als größter Produzent nicht nur von Konsumgütern, sondern auch industriellen Vorprodukten kommt China eine Schlüsselrolle zu.

                Die meisten Länder haben sich längst damit abgefunden, mit dem Virus irgendwie zu leben –  zumal es Impfstoffe gibt. Reagiert China nicht über?

                Die chinesische Regierung hat sich vor anderthalb Jahren zum Ziel gesetzt, das Virus auszumerzen. Nun fällt es ihr schwer, von diesem Versprechen abzurücken.

                Die Nebenwirkungen der Null-Covid-Strategie sind erheblich.

                Natürlich tut das weh. Der Parteisekretär der Inneren Mongolei musste nach nur zwei Monaten im Amt gehen, weil es in seiner Provinz zu einem Ausbruch kam. Mehr als fünf Millionen Nanjinger durften wegen einigen wenigen Fällen über die Oktoberfeiertage nicht die Stadt verlassen. Der Führung geht es wirklich darum, das Virus zu unterdrücken. Besonders rigide geht sie in der Hauptstadt Peking vor. Dort greifen zum 6. Plenum des Nationalen Volkskongresses und wenige Monate vor den Olympischen Winterspielen schon wieder strengere Einreisebeschränkungen.

                Anders als noch bei seinen Vorgängern scheint Xi Jinping Wirtschaftswachstum nicht über alles zu stellen?

                Das Wachstum im dritten Quartal lag bei 4,9 Prozent. Das ist zwar weniger als manche erwartet haben. Aber den Glauben, dass China immer hohe Wachstumszahlen hat, halte ich für fehlgeleitet. Die absolute Basis wird ja immer größer, das würde eine exponentielle Expansion ergeben. Chinas Ansage, das Wachstum werde sich im Durchschnitt – und zwar ohne Corona – über die nächsten Jahre  erst bei sechs Prozent einpendeln und dann sukzessive zurückgehen, halte ich für realistisch.

                Welche Rolle spielt die Pandemie für das Wirtschaftsgeschehen?

                Natürlich hat die Pandemie auch Auswirkungen auf Chinas Wirtschaft. Es gab zudem die große Flut in Henan, und andere Auswirkungen des Klimawandels. Die Krise mit Evergrande wird den Immobilienmarkt dämpfen. Und das Vorgehen gegen die Tech-Konzerne hat wirtschaftliche Auswirkungen. Ich würde all das dennoch nicht überbewerten. China ist ja eigentlich wie ein Kontinent. Wenn es in einer Region zu Problemen kommt, bedeutet das nicht gleich einen Durchhänger für das ganze Land.

                Sie klingen optimistisch.

                Ich denke schon, dass die chinesische Regierung nervös ist. Sie hat im Moment recht viele Probleme gleichzeitig zu bewältigen. Einiges ist aber auch bewusst so gewollt. Die Regulierung des Tech-Sektors in China steht schon lange an. Diese großen Unternehmen hatten freie Hand und sind sehr groß und einflussreich geworden. Sie betreiben unlauteren Wettbewerb und lassen zwielichtige Gestalten Geschäfte machen. Und dann behauptet Alibaba-Chef Jack Ma auch noch in aller Öffentlichkeit, sein Unternehmen könne es besser als die Staatsbanken. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht.

                Aber Chinas Tech-Sektor ist der Bereich, der wirklich hochinnovativ ist.

                Natürlich weiß die Führung, dass das Land diese vitalen Unternehmen braucht. Zugleich schaut sie aber auch auf andere Länder und sieht, wie unkontrollierbar und gefährlich gerade auch die sozialen Netzwerke werden können. Das will sie verhindern. In einer zivilisierten Gesellschaft wird nicht in die Ecke gespuckt. Das wollte die KP-Führung in den achtziger Jahren unterbinden. Heute will sie eine zivilisierte Gesellschaft, in der auch in der Wirtschaft Anstand herrscht. Viele Unternehmer in China haben noch immer eine Einstellung wie im Wilden Westen. Ihre Geschäftsmodelle sind darauf ausgerichtet, möglichst viele Rechtslücken zu nutzen. Und davon gab es in China lange Zeit recht viele. Die Regierung will aber lieber Geschäftsideen, die sich im Rahmen des Regelwerks entwickeln.

                Nur geht sie da nicht zu weit? Sie schränkt selbst das Online-Gaming bei Kindern ein.

                Dahinter dürfte ein Stück weit Populismus stecken. Auch in China gibt es viele Eltern, die sich angesichts der Gaming-Vorlieben ihrer Kinder Sorgen machen. Sicherlich steckt hinter dieser Maßnahme auch die Vorstellung, bessere Menschen zu schaffen. Mao hatte das bereits über Kampagnen versucht. Xi versucht das jetzt über Regulierung und mit dem Sozialkreditsystem, das das Verhalten der Bürger bewertet. Einigen Unternehmen mag das nicht schmecken. Sie müssen sich an die neuen Regeln anpassen. Und sicherlich ärgern sich einige Leute, dass ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert. Xi wird aber sicher nicht so weit gehen, die großen Tech-Unternehmen zu zerschlagen. Das will er auf keinen Fall.

                Vielleicht nicht komplett zerschlagen. Innovationskraft nimmt er ihnen aber schon.

                Ich erinnere mich gut an ein Gespräch, das ich vor der Pandemie mit chinesischen regierungsnahen Experten führte. In diesem Gespräch wurde mir deutlich, dass die chinesische Regierung Bauchschmerzen mit den Tech-Konzernen hat. Einer sagte sogar: “Wenn wir eure Hidden-Champions hätten, würden wir euch unsere Alibabas gerne übergeben.” Hinter dieser Aussage steckt dieser tiefe Glaube, dass Wirtschaft etwas Reales sein muss, also was man anfassen, bauen oder essen kann. Die ganze Internet-Ökonomie ist aus dieser Warte suspekt.

                Die IT-Industrie hat China technologisch aber enorm nach vorne gebracht.

                Das hat sie. Aber es gibt einen weiteren Aspekt, der die chinesische Regierung umtreibt und der im Westen auch Thema ist: Die Frage der Macht dieser Plattformen. Sie sind sehr große und sehr reiche Unternehmen geworden, die unglaublich viele Daten gesammelt haben. Das macht sie sehr einflussreich. Auch wir diskutieren nicht umsonst über die Macht von Facebook und seinen Wettbewerbern. Bei uns stellt sich die Frage: Sind diese Plattformen eine Gefahr für die Demokratie? In China lautet sie: Gefährden sie die Partei? Ich finde es erstaunlich, wie lange die Führung diese Unternehmen überhaupt gewähren ließ.

                China Führung folgt in ihrer Politik jedoch in vielen Fällen bekannten Mustern.

                Wir kennen dieses Vorgehen aus anderen Bereichen: Man lässt es erst laufen und dann versucht man die Auswüchse zu bändigen. Im Alibaba-Fall gibt es Hinweise, dass Jack Ma wusste, was kommt und dass er im Oktober letzten Jahres diese Rede gehalten hat, um vor diesen anstehenden Regulierungen zu warnen. Damit ist er aus Sicht der Regierung aber zu weit gegangen. Ich glaube, diese Message ist bei den Tech-Unternehmen angekommen. Nach allem was ich weiß, geht es diesen Unternehmen aber weiterhin gut.

                Und die Krise des Immobilienkonzerns Evergrande? Ein Crash des völlig überhitzten chinesischen Immobilienmarktes ist in den vergangenen zehn Jahren mehrmals schon vorausgesagt worden.

                Es gibt in der Tat mehrere Immobilienunternehmen, die große finanzielle Probleme haben. Die Evergrande-Krise wirkt sich also auf den Immobilienmarkt aus. Und ziemlich sicher werden einige Köpfe rollen. Ich habe den Eindruck, die chinesische Regierung versucht die Auswirkungen auf die Kleinanleger und privaten Hauseigentümers sozial abzufedern. Die Firma als solche wird die Regierung aber eher nicht retten. Die Führung hat im vergangenen Jahr in diesem Sektor ganz bewusst die Zügel angezogen, um zu verhindern, dass der Immobilienmarkt überhitzt. Vielleicht hat sie nicht mit einem so großen Schock gerechtet. Jetzt lautet das Motto halt: Augen zu und durch.

                Schon ist vom chinesischen Lehmann die Rede.

                Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Die chinesische Regierung wird den Bankensektor immer retten. Er ist ohnehin überwiegend staatlich – mit Zähneknirschen zwar und es einige Leute zur Verantwortung gezogen werden. Aber einen kompletten Zusammenbruch halte ich für unwahrscheinlich.

                Schon vor Beginn der Pandemie hat China ausländischen Unternehmen suggeriert: Wir brauchen euch nicht mehr, wir können inzwischen alles selbst. Die Pandemie nutzt sie nun als Grund, sich abzuschotten. Was beobachten Sie?

                Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor. Im Ergebnis kann dies aber dennoch dazu führen, dass weniger Ausländer in China sind. Das Ganze hat mit dem im letzten Jahr vorgestellten Konzept der Dual Circulation zu tun. China will seinen Binnenmarkt stärken. In dem Konzept steht viel vom Abbau von Marktbarrieren innerhalb Chinas. Damit verbunden sind zwei weitere Ziele.

                Welche?

                In der Tat soll das Land weniger abhängig werden von ausländischer Technologie. Peking will verhindern, dass die USA Chinas technologische Abhängigkeit als Hebel nutzen kann, um China klein zu halten. Zugleich weiß die Führung aber, dass das Land weiter Rohstoffe und Märkte im Ausland braucht. Und da will China sogar expandieren. Mit dieser Strategie erhofft sich die Führung folgendes: Der chinesische Markt soll so groß und so wichtig sein, dass die ausländischen Unternehmen von selbst kommen – allerdings ohne die Privilegien, die ausländische Firmen bisher genossen haben, sondern zu den Bedingungen, unter denen auch chinesische Privatunternehmen funktionieren müssen.

                Ausländische Unternehmen in China nehmen ihre Stellung dagegen nicht unbedingt als privilegiert wahr. Sie beklagen, dass sie schon jetzt benachteiligt werden.

                Dann wird es für sie nun eher noch schwieriger. Denn die chinesische Konkurrenz ist zugleich richtig gut geworden. Bei der Automobilindustrie kommt hinzu, dass die ausländischen Hersteller beim Trend zur Elektromobilität nicht gerade die Avantgarde sind. China will sich nicht abschotten, sondern die bisherige Ausrichtung der globalen Märkte verändern. In der Vergangenheit zeigte die Kompassnadel der internationalen Handelsströme letztlich in Richtung der USA und Europa. China will, dass die Kompassnadel sich dreht.

                Doris Fischer, 56, ist Wirtschaftswissenschaftlerin und Sinologin an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Sie leitet dort den Lehrstuhl für China Business and Economics. Fischer ist zudem Vizepräsidentin der Universität. In ihren aktuellen Forschungsprojekten untersucht sie die Rolle und Ausgestaltung von Industriepolitik für die Energiewende sowie die Auswirkungen des chinesischen Sozialpunktesystems auf Unternehmen.

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                  News

                  Noch strengere Covid-Regeln in Peking

                  Die Hauptstadt Peking verschärft die Covid-Regeln für Einreisende aus China und dem Ausland. Inlandsflüge aus Corona-Risikogebieten wurden gestrichen oder stark reduziert. Derzeit hat China mehr als hundert Städte als Risikogebiete eingestuft. Seit Mittwoch müssen nun alle Peking-Besucher einen negativen Corona-Test nachweisen, der nicht älter als 48 Stunden ist. Außerdem müssen sich ab sofort all jene mehrmals pro Woche auf Covid-19 testen lassen, die in Peking beruflich mit Tiefkühlimporten in Kontakt kommen. Dies betrifft rund 30.000 Menschen. China hatte bereits im Sommer 2020 Tiefkühlimporte als möglichen Virusträger benannt und hält bis heute an dieser Theorie fest.

                  Die Stadtverwaltung hatte am Dienstag Details zu den neuen Regeln bekanntgegeben. “Das Virus darf nicht nach Peking eingeschleppt werden, und es darf sich nicht in Peking ausbreiten“, betonte Sprecher Xu Heijian. In 100 Tagen beginnen in Peking die Olympischen Winterspiele. Zu den Spielen dürfen keine Fans aus dem Ausland einreisen. Flugreisen ins Ausland wurden mit dem Winterflugplan noch weiter eingeschränkt als zuvor (China.Table berichtete).

                  Die Corona-Zahlen sind in China aufgrund der konsequenten Null-Covid-Politik mit Massentests und flächendeckenden Einschränkungen sehr niedrig. Am Dienstag wurden nur 31 Ansteckungen binnen 24 Stunden gemeldet. ck

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                    Aion LX Plus schafft über tausend Kilometer

                    Im Rennen um immer höhere Reichweiten bei Elektroautos hat der chinesische Hersteller GAC Aion mit dem LX Plus eine neue Version vorgestellt, die mit einer Akkuladung auf eine maximale Reichweite von über 1.000 Kilometern kommt. Die Kapazität dieses Akkus liegt bei 144,4 Kilowattstunden. Dem E-Auto-Portal Teslamag zufolge dürfte der Aion LX Plus das E-Auto mit dem derzeit größten Akku überhaupt sein. Zum Vergleich: Die Batterie des Mercedes EQS speichert 108 Kilowattstunden, die des Tesla Model S etwas weniger als 100 Kilowattstunden. Noch kann man den Aion LX Plus allerdings nicht kaufen. Die Zulassung steht noch aus. flee

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                      Der chinesische Rennfahrer Zhou Guanyu ist der erste feste Profi seines Landes in der Formel 1. Alfa Romeo hat den 22-Jährigen neben dem etablierten Valtteri Bottas aus Finnland als Stammfahrer berufen. Er ersetzt den Italiener Antonio Giovinazzi. “Es ist sowohl aus sportlicher als auch aus kommerzieller Sicht großartig”, erklärte Alfa-Romeo-Teamchef Fredric Vasseur gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Zhou twitterte: “Ein Kindheitstraum wird wahr.” Er wird erstmals in der Saison 2022 dabei sein.

                      Für die Formel 1 ist ein chinesischer Fahrer deshalb kommerziell wichtig, weil seine Teilnahme das Interesse in seiner Heimat schüren wird. China ist ein riesiger Markt für Werbung und Lizenzrechte. Der enttäuschte Giovinazzi vermutet hinter der Entscheidung daher vor allem finanzielle Erwägungen. “Das Geld diktiert die Regeln.” Talent und Fähigkeiten von Zhou sind jedoch unbestritten: Er liegt auf Platz zwei der Formel-1-Meisterschaft der Fédération Internationale de l’Automobile (FIA). fin

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