Table.Briefing: China

Verbrenner-Ausstieg diskutiert + Schönheitsindustrie wird reguliert

  • Berater empfehlen Peking den Verbrenner-Ausstieg
  • Die KP greift in der Schönheitsindustrie durch
  • Energiekrise: Behörden ergreifen Maßnahmen
  • Xi Jinping ruft zur “Wiedervereinigung” mit Taiwan auf
  • US-Spezialkräfte trainieren Taiwans Militär
  • USA und China sprechen über Handel
  • Frachtkosten für Seetransport fallen
  • Meituan zu Geldbuße verurteilt
  • Weltmeister Motors wirbt 260 Millionen Euro ein
  • Im Portrait: Michael Pettis – gefragter China-Ökonom
  • Zur Sprache: 塑料普通话 – sùliào pǔtōnghuà – Plastikchinesisch
Liebe Leserin, lieber Leser,

die CO2-Emissionen in Chinas Verkehrssektor steigen rapide an. Trotz aller Erfolge beim Absatz von E-Autos, sind vier von fünf verkauften Neuwagen noch immer Verbrenner. Es verwundert daher nicht, dass auch in China über einen Verbrenner-Ausstieg diskutiert wird. Bisher hat Peking noch kein Enddatum für die Neuzulassung der klimaschädlichen Autos beschlossen. Die Behörden vertrauen bisher noch auf andere Maßnahmen, um die Emissionen zu senken. Auch, weil die Abhängigkeit von Kohlestrom den Klimavorteil von Elektroautos zunichtemacht.

Im Bestreben um ein schönes Aussehen wird auch in der Volksrepublik gerne künstlich nachgeholfen. Chirurgische Schönheitskliniken und der Verkauf von Kosmetika boomen. Der KP gefällt diese Oberflächlichkeit so gar nicht. Sie beklagt eine übertriebene Verehrung des Aussehens. Und so greift der Staat auch in der Schönheitsbranche zunehmend streng durch, berichtet Ning Wang. Die Behörden regulieren Werbung für Schönheits-OPs, stärken jedoch auch die Rechte der Verbraucher:innen, indem sie einheitliche Produktstandards durchsetzen. Ein Milliarden-Markt könnte durchgewirbelt werden.

Einen guten Start in die Woche!

Ihr
Nico Beckert
Bild von Nico  Beckert

Analyse

China diskutiert Verbrenner-Ausstieg

China ist einer der größten Märkte für Autos mit alternativen Antrieben. Fahrzeuge mit elektrischem, Wasserstoff- oder Hybrid-Antrieb (New Energy Vehicles – NEV) machen in der Volksrepublik mittlerweile 18 Prozent aller Autoverkäufe aus. Der Umstieg auf E-Autos läuft schneller als geplant. Pekings Ziel eines Anteils von NEV-Verkäufen von 20 Prozent für 2025 ist schon heute fast erreicht (China.Table berichtete). Gleichzeitig wachsen die CO2-Emissionen des Verkehrssektors massiv. Immerhin sind noch gut 80 Prozent aller verkauften Autos klimaschädliche Verbrenner. Welche Maßnahmen verfolgt Peking, um diesen Anteil weiter zu senken?

Beratungsgremium empfiehlt Verbrenner-Ausstieg

Bislang hat China kein Datum für den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bekannt gegeben. Ein hohes Beratungsgremium der chinesischen Regierung hat kürzlich jedoch “klare Wegmarken” für die “schrittweise Abschaffung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor” vorgeschlagen. Der China Council for International Cooperation on Environment and Development (CCICED) hat in einem Bericht dargelegt, wie China zum Klimaschutz beitragen soll. Die Analysten von Trivium China nennen die Studie “wegweisend”. Das CCICED ist direkt mit dem Staatsrat verbunden. Den Vorsitz führt der stellvertretende Ministerpräsident Han Zheng.

Schon 2017 hat die Regierung einen möglichen Zeitplan für den Ausstieg aus Verbrenner-Autos diskutiert – war damals aber zu keinem Entschluss gekommen. Offizielle Regierungsdokumente sehen jedoch vor, dass batteriebetriebene E-Autos bis 2035 den Großteil der verkauften Autos ausmachen, ohne jedoch klare Zielmarken zu setzen, so Barbara Finamore, Energieexpertin und Autorin des Buchs “Will China Save the Planet?” gegenüber China.Table. Öffentliche Flottenfahrzeuge wie Busse, Taxis und Lieferfahrzeuge sollen ab 2035 komplett elektrisch fahren.

Verbrenner-Ausstieg industriepolitisch sinnvoll?

Auf den ersten Blick sprechen einige industriepolitische Argumente für einen baldigen Verbrenner-Ausstieg Chinas. 44 Prozent der weltweit hergestellten E-Autos wurden in den letzten zehn Jahren in China produziert. Die Volksrepublik dominiert die Produktion von E-Autobatterien und die Lieferketten für wichtige Batterierohstoffe. Die eigene Auto-Industrie ist im NEV-Bereich wettbewerbsfähiger als bei der Herstellung von Verbrennern.

Die Volksrepublik würde westlichen Wettbewerbern, die in China noch immer eine große Anzahl Verbrenner verkaufen, den Zugang zu einem wichtigen Markt abschneiden, beziehungsweise sie zwingen, nur noch E-Autos anzubieten. Allerdings würde das auch die einheimischen Joint-Venture-Partner westlicher Autobauer treffen und Arbeitsplätze in China vernichten.

Auch bei der Infrastruktur für E-Autos ist China im internationalen Vergleich sehr gut aufgestellt. Die Volksrepublik hat in den letzten Jahren zwei von drei weltweit gebauten Ladepunkten errichtet. In China teilen sich umgerechnet sechs Autos einen Ladepunkt, während es in Deutschland derzeit 17 Autos pro öffentlichem Ladepunkt sind (China.Table berichtete).

Doch zahlreiche und stärkere Argumente sprechen gegen einen schnellen Verbrenner-Ausstieg Chinas.

Finamore gibt zu bedenken, dass Chinas derzeitige wirtschaftliche Sorgen groß seien. Sie bezweifelt deswegen, dass “die chinesische Führung bereit wäre, das wirtschaftliche Risiko einzugehen, den Verkauf von Autos mit Verbrenner-Antrieb so schnell wie möglich einzustellen”. Die Autoindustrie sei ein viel zu wichtiger Wirtschaftsfaktor, sodass die Regierung kaum Risiken eingehen werde.

Ausstieg wäre risikobehaftet

Bei den Ladepunkten für E-Autos gilt in China der Grundsatz “Masse statt Klasse”. Besonders im ländlichen Raum sind einige Ladepunkte häufig defekt und schwer zu bedienen (China.Table berichtete). Finamore sagt: “Es wird in jedem Fall schwierig sein, dass sich E-Autos außerhalb der großen Städte durchsetzen werden.” Sie schreibt, die Regierung müsse “starke Unterstützung bereitstellen und das öffentliche Ladenetz des Landes weiter ausbauen”.

Auch Ilaria Mazzocco, China-Energieexpertin vom “Center for Strategic & International Studies”, hält einen Verbrenner-Ausstieg für unwahrscheinlich. China sei der größte Automarkt der Welt, sodass ein Ausstieg nicht leicht zu erreichen wäre. Mazzocco betont zudem: “In China gibt es viele ärmere ländliche Regionen mit begrenzter EV-Durchdringung, was einen Ausstieg zu einer großen Herausforderung macht.” Reichere Provinzen und vor allem die Boom-Städte könnten bei der Dekarbonisierung des Verkehrssektors jedoch auch Maßnahmen wie ein Verbrenner-Verbot in Betracht ziehen, so Mazzocco gegenüber dem China.Table.

Auch in der EU wird derzeit der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor diskutiert. Die EU-Kommission hat im Juli dieses Jahres vorgeschlagen, die CO2-Emissionen von Neufahrzeugen bis 2035 um 100 Prozent zu senken. De facto wäre das ein Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor ab 2035. Ein Verbrenner-Ausstieg in China wäre demnach kein industriepolitischer Vorteil mehr, da sich die internationalen Autokonzerne ohnehin umstellen müssten.

Neue Maßnahmen zur Emissionsreduktion

Um den Anstieg der CO2-Emissionen im Verkehrssektor zu bremsen, zieht China andere Instrumente in Betracht. Auf Ministeriumsebene wird diskutiert, den Verkehrssektor in den Handel mit CO2-Zertifikaten aufzunehmen (China.Table berichtete). Reuters spekuliert, dass dadurch auch das “Green Car Credit System” abgelöst werden könnte. Im Rahmen dieses Systems erhalten die Autohersteller Gutschriften für den Verkauf von Elektrofahrzeugen oder kraftstoffsparenden Fahrzeugen, mit denen sie Strafzahlungen für ihre kohlenstoffintensiveren Modelle ausgleichen können. Das Kredit-System ist bis mindestens 2023 in Kraft.

Schon in den letzten Jahren hat China zudem die Abgasnormen für Verbrenner verschärft. Ab 2025 muss der Flottenverbrauchsdurchschnitt bei vier Litern auf 100 Kilometer liegen. Bis 2020 lag die Vorgabe bei einem Durchschnitt der Neuwagen eines Anbieters bei fünf Liter Verbrauch auf 100 Kilometer.

Chinas E-Autobauer hätten von diesen Maßnahmen stark profitiert, so Mazzocco. “Aus rein industriepolitischer Sicht ist es unklar, ob ein Verbot von Verbrenner-Verkäufen überhaupt notwendig ist”, so Mazzocco.

Kohlestrom macht NEVs wenig attraktiv

Hinzu kommt: Klimapolitisch wäre wenig gewonnen, wenn China Verbrennungsmotoren bald verbieten würde. Zwar ist Chinas Transportsektor sehr energiehungrig. Schon heute ist er für zehn Prozent der CO2-Emissionen des Landes verantwortlich und liegt hinter der Industrie auf Platz zwei der größten Energieverbraucher. Die Emissionen des Transportsektors sind zwischen 2013 und 2018 um 23 Prozent angestiegen. Verbrennerautos machen den größten Anteil der CO2-Emissionen des Transportsektors aus. Umso dringender wird ein Umstieg auf E-Autos, wenn China seine Klimaziele erreichen will.

Doch dem emissionsfreien Verkehr steht eine Hürde im Weg: Chinas Abhängigkeit von der Kohle. Der klimaschädlichste aller Energieträger macht noch immer fast zwei Drittel des chinesischen Strommix aus. Sehr stark vereinfacht heißt das: zwei von drei Kilometern, die ein E-Auto derzeit in China fährt, verursacht es CO2-Emissionen. Selbst wenn es China gelänge, die wachsende Flotte von E-Autos ausschließlich mit erneuerbaren Energien aufzuladen, wäre den Klimazielen nicht gedient, wenn dadurch andere Sektoren länger fossile Energien verbrauchen, weil noch nicht genug Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird. Das zeigt, vor welch immensen Herausforderungen China beim Aufbau der erneuerbaren Energien steht. Ein Verbrenner-Ausstieg müsste also mit weitreichenden Maßnahmen flankiert sein, um in Sachen Klima nicht nur Symbolpolitik zu sein.

  • Autoindustrie

Schönheit um jeden Preis

Kennen Sie die sogenannte A4-Taille? Sie ist ein Schönheitsideal, das per Selfie über Messenger oder Foto-Plattformen im Internet geteilt wird. Mit der kürzeren Seite eines A4-Blattes verdecken Influencer:innen dabei ihre Taille – und zwar komplett.

Ob schlanke Taillen, füllige Lippen, markante Wangenknochen oder eine doppelte Lidfalte – Chinas Schönheitsindustrie bietet zahlreiche Dienstleistungen. Und die Nachfrage steigt – sowohl bei Frauen und zunehmend auch bei Männern.

Mit dem in der Mittelschicht inzwischen erreichten Wohlstand, entstand ein größeres Bedürfnis nach freier und persönlicher Entfaltung. Gerade die jungen Menschen streben nicht mehr nur durch Konsum nach Glück. Sie wollen auch ihr äußeres Erscheinungsbild perfektionieren. In vielen Großstädten sind eine makellose Haut, eine sportliche Figur, volle Lippen und eine straffe Kinnpartie zu Statussymbolen geworden. Die chinesische Investmentbank Citic taxiert die Umsatzerlöse der chinesischen Schönheitsindustrie für das Jahr 2020 auf umgerechnet mehr als 44 Milliarden Euro. Seit 2015 ist der Gesamtmarktwert für Kosmetik- und Schönheitsbehandlungen jährlich um rund 30 Prozent gestiegen, so das Ergebnis einer gemeinsamen Studie von Deloitte und dem Essenslieferdienst Meituan. Weltweit hingegen hat der Marktwert in dem Bereich im Schnitt nur um acht Prozent zugenommen.

Peking reguliert die Schönheitsindustrie zunehmend

Dass die (sozialen) Medien und die Film- und Unterhaltungsindustrie dabei definieren, was als schön gilt, veranlasst die KP zum Durchgreifen. Mitte September hat Peking Werbung für Schönheitsoperationen verboten. TV-Werbungen, aber auch die Anzeigen in den Sozialen Medien und in Bussen und Bahnen sollen stärker reguliert werden, so die Behörden.

Dieser Schritt kommt zwei Wochen nachdem die Regulierungsaufsicht SAMR eine neue Vorgabe erlassen hat, wonach Werbung für Schönheitseingriffe als “medizinische Werbung” eingeordnet wird. Die Betreiber von Schönheitskliniken müssen künftig erst eine Lizenz erwerben, bevor sie öffentlich für ihre Dienste werben dürfen. Die Lizenzen waren bisher nur medizinischen Einrichtungen vorbehalten und sind schwer zu erhalten. Oft kann es bis zu neun Monate dauern, eine solche Lizenz zu beantragen, so Branchenkenner.

Grund für diese Regulierungen sind laut der Zeitung People´s Daily und einer Reihe anderer Staatsmedien, dass die beworbenen ästhetischen Standards zu einer Art übertriebener Verehrung des Aussehens und damit zu einer “Äußere-Erscheinungs-Angst” bei jungen Menschen geführt haben, so die wörtliche Übersetzung aus dem Chinesischen. Das bedeutet, “dass viele Menschen in einem sozialen Umfeld, in dem ihr Aussehen extrem wichtig ist, nicht selbstbewusst genug mit ihrem Äußeren umgehen können”, schreibt die staatliche Webseite China.org.cn. Auch warfen die Staatsmedien der Schönheitsindustrie zuletzt einen Angriff auf die “chinesische Männlichkeit” vor (China.Table berichtete).

Werbung für Schönheitsoperationen verboten

Die Schönheitskliniken nutzen die Tatsache aus, dass gutes Aussehen mit Erfolg und Glück verbunden wird. Die Wettbewerbsaufsicht des Landes – die kürzlich schon Bußgelder gegen die Geschäftspraktiken vom Fahrdienstanbieter Didi oder den Essenslieferanten Meituan ausgesprochen hat (China.Table berichtete) – will nun auch gegen die Schönheitsindustrie vorgehen. Den Kunden würden falsche Versprechungen gemacht, so die Behörden. Die Reaktionen in den sozialen Medien auf das harte Durchgreifen in der Schönheitsindustrie fielen teils sehr positiv aus.

Allein im vergangenen Jahr sind über 5.000 neue Einrichtungen für kosmetische Chirurgie entstanden – zu den geschätzt 80.000 Schönheitskliniken, die es im Land bereits gibt. Daten der Beratungsfirma iResearch aus dem Jahr 2019 aber zeigen, dass nur 13.000 der Kliniken eine Lizenz haben. Der Rest arbeitet illegal.

Es wird erwartet, dass China schon bald der weltweit größte Markt für kosmetische Chirurgie ist. Das Marktvolumen könnte schon in den nächsten fünf Jahren die 400-Milliarden-Yuan-Marke (53 Milliarden Euro) überschreiten.

Standards fehlen

Doch bei vielen Schönheits-Dienstleistungen fehlen einheitliche Standards. Das zeigt sich beispielsweise bei den E-Commerce-Händlern, die vermehrt kosmetische Produkte anbieten. Erst im April dieses Jahres hat die Kurzvideo-Plattform Kuaishou ihr E-Commerce-Geschäft erweitert und bietet seitdem auch medizinische Schönheits-Dienstleistungen an. Per Livestream und über Influencer werden vom Haarwasser bis zur Zahncreme für weiße Zähne alle möglichen Produkte auf der Plattform angeboten. Häufig wird dabei für Produkte geworben, die nicht den gängigen Qualitätsstandards entsprechen, wie Brancheninsider dem Wirtschaftsmagazin Caixin mitteilten. Klare Vorschriften gibt es für Produkte zur kosmetischen Anwendung genauso wenig, wie es sie bei medizinischen Schönheitseingriffen gibt.

Es sei eine übergreifende Regulierungsbehörde notwendig, um die medizinische Schönheitsindustrie effektiv zu regulieren, sagte Jiang Han von der Denkfabrik Pangoal Institution gegenüber Caixin. Dafür müssten alle Behörden zusammenarbeiten.

Dass es Peking wirklich ernst ist, lässt sich am Marktwert der drei größten börsennotierten Medizinästhetik-Unternehmen in der Volksrepublik beobachten. Deren Marktwert ist seit Anfang Juli um ein Drittel eingebrochen, was einem Gesamtverlust von umgerechnet über 14,7 Milliarden Euro entspricht, wie Berechnungen der Financial Times zeigen.

Börsen untersagen Schuldtitel für Behandlungen

Inzwischen haben sogar die Börsen in Shanghai und Shenzhen strukturierte Schuldtitel, die mit Verbraucherkrediten für kosmetische Eingriffe verbunden sind, verboten. Um sich die kostspielige Operationen leisten zu können, haben Verbraucher Kredite von Finanzinstituten bekommen, die mit den Schönheitskliniken kooperieren.

Dass der Verbraucherschutz in China gestärkt wird, ist eine begrüßenswerte Entwicklung. Noch zu oft gefährden rücksichtslose Geschäftspraktiken die Gesundheit der Bevölkerung und das Gemeinwohl. Dahinter aber steht wohl noch eine Wertediskussion, die den Idealen der KP näher steht. Der Individualismus der kosmetischen Selbstoptimierung dürfte auch der Partei ein Dorn im Auge gewesen sein. Konfuzius jedenfalls sagte: “Alles hat seine ureigene Schönheit, aber nicht jeder bemerkt sie.”

  • Gesellschaft
  • Gesundheit
  • SAMR

News

Neue Maßnahmen gegen Energiekrise

China hat lokale Kohleminen angewiesen, die Produktion schnellstmöglich zu erhöhen, um der Energiekrise im Land zu begegnen. Energiebehörden in der Inneren Mongolei wiesen 72 Bergwerke an, die Produktionskapazität um 100 Millionen Tonnen zu erweitern, wie die Financial Times berichtet. Das wäre eine Ausweitung der Produktion um 55 Prozent. Analysten zufolge könnten die Kohlepreise dadurch von 1.500 Yuan pro Tonne auf 1.200 bis 1.300 Yuan fallen.

Auch die Kohle-produzierenden Provinzen Shanxi und Shaanxi haben zugesagt, die Kohlelieferungen an Kraftwerke im vierten Quartal zu einem vergünstigten Preis zu erhöhen, wie das Wirtschaftsportal Caixin berichtet. Allerdings hat die Provinzregierung von Shanxi die Produktion in 60 Kohleminen aufgrund von anhaltendem Starkregen am Samstag kurzfristig gestoppt. Das Extremwetter hatte zu Erdrutschen geführt, wie Bloomberg berichtet. Auch die Provinz Shaanxi war von Starkregen betroffen.

Die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission Chinas hat kürzlich klargestellt, dass die Stromversorgung im Winter sichergestellt sei. Einige Analysten bezweifeln diese Aussage jedoch an. Ihnen zufolge sei das Problem kaum kurzfristig zu lösen, auch da die Kohlebestände bei den Kraftwerken gering seien. Das chinesische Finanzunternehmen Citic schätzt, dass selbst nach der angestrebten Erhöhung der Kohleproduktion, im vierten Quartal noch 30 bis 40 Millionen Tonnen Kohle fehlen könnten.

Am Freitag hat die Regierung zudem verkündet, die staatlich festgelegten Energiepreise anzupassen. Die hohen Kohlepreise sind eine maßgebliche Ursache für die aktuelle Energiekrise in China. Kohlekraftwerke hatten ihre Produktion gedrosselt, weil sie aufgrund hoher Kohlepreise nicht wirtschaftlich arbeiten konnten, weil die Strompreise staatlich festgeschrieben sind. In einer Erklärung des Staatsrats wurde auch klargestellt, dass die Strompreise für Industrien mit hohem Energieverbrauch keiner Preisobergrenze unterliegen, wie Caixin berichtet.

Um die finanzielle Situation der Kohlekraftwerke zu entschärfen, sollen sie einen befristeten Steueraufschub erhalten. Erst vor wenigen Tagen hatten die Behörden die staatlichen Banken aufgefordert, Kohleminen und Kraftwerksbetreibern neue Kredite zu gewähren (China.Table berichtete).

Im letzten Jahr hatten die Bergwerke in der Inneren Mongolei ihre Produktion auch aus Sicherheitsgründen gedrosselt, wie Caixin berichtet. In der Vergangenheit wurde häufig mehr Kohle gefördert als gesetzlich erlaubt. Infolgedessen kam es in Bergwerken zu wiederholten Unfällen mit Todesfolge. Im Laufe des aktuellen Jahres haben auch andere Kohleregionen die gesetzlich festgelegten Kapazitätsgrenzen strenger durchgesetzt, sodass weniger Kohle gefördert wurde. nib

  • Energie
  • Klima
  • Kohle

Xi Jinping ruft zur “Wiedervereinigung” mit Taiwan auf

Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hat zu einer “Wiedervereinigung mit friedlichen Mitteln” mit Taiwan aufgerufen. “Die Landsleute auf beiden Seiten der Taiwanstraße sollten die völlige Wiedervereinigung und Erneuerung der chinesischen Nation erreichen”, so Xi laut der Nachrichtenagentur Xinhua.

Diejenigen, “die ihr Mutterland verraten, werden kein gutes Ende nehmen”, sagte Xi am Samstag in der Großen Halle des Volkes anlässlich des 110. Jahrestages der Xinhai-Revolution, bei der das Kaiserreich 1911 gestürzt wurde.

Taiwans Regierung hat die chinesische Forderung nach einer “Wiedervereinigung” zurückgewiesen. Die Inselrepublik werde ihre Verteidigung ausbauen, so Taiwans Regierungschefin Tsai Ing-wen. “Es sollte absolut keinerlei Illusionen geben, dass sich das taiwanische Volk Druck beugen wird”, sagte Tsai in einer Rede zum Nationalfeiertag in Taipeh am Sonntag.

Das Verhältnis zu China sei derzeit so kompliziert wie nie zuvor in den vergangenen sieben Jahrzehnten, so Tsai. Vergangene Woche erst schickte die Volksrepublik 149 Flugzeuge in den Luftraum von Taiwan (China.Table berichtete). niw

  • Geopolitik
  • Taiwan
  • Tsai Ing-wen
  • Xi Jinping

US-Spezialkräfte trainieren Militär Taiwans

Das US-Militär unterstützt Taiwan seit mehreren Jahren mit militärischem Training, wie das Wall Street Journal und die FT berichten. Demnach handelt es sich um kurzfristige Einsätze von Spezialkräften. Einige dienten dazu, das taiwanische Militär im Zusammenhang mit Waffenkäufen aus den USA auszubilden. Die Enthüllung kommt inmitten wachsender Spannungen zwischen China und Taiwan. Das chinesische Militär ist in den letzten Tagen mit zahlreichen Jets und anderen Flugzeugen in Taiwans Identifikationszone zur Luftverteidigung (ADIZ) eingedrungen (China.Table berichtete).

Das Pentagon hat sich zunächst nicht zu dem Bericht geäußert. Ein ehemaliger hochrangiger Asien-Beamter im Pentagon sagte der Financial Times, es handele sich um “Routineeinsätze“. Die “die gemeinsame Ausbildung von Truppen” sei Teil der “soliden und langjährigen inoffiziellen militärischen Beziehung” zwischen den USA und Taiwan. Dem FT-Bericht zufolge gab es während der Trump-Präsidentschaft Social Media-Beiträge, die US-Militärs beim Training in Taiwan zeigen. Chinas Außenministerium rief die USA am Freitag auf, das Militärpersonal aus Taiwan abzuziehen. nib

  • Geopolitik
  • Militär
  • Taiwan
  • USA

USA und China nehmen Handelsgespräche auf

Chinas Vizepremier Liu He und die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai haben am Samstag Gespräche aufgenommen, um die Handelsstreitigkeiten zwischen den beiden Ländern zu schlichten. Beide Seiten haben “ihre Kernanliegen zum Ausdruck gebracht” und “sich bereit erklärt, die berechtigten Bedenken des jeweils anderen durch Konsultationen zu lösen”, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua nach der Videoschalte der beiden. Es ist das zweite Mal, dass die Unterhändler miteinander sprachen. Zuletzt hatten sich Liu und Tai im Mai in einem Telefonat über Wirtschafts- und Handelsfragen ausgetauscht.

Zu Beginn der vergangenen Woche hatte die amerikanische Handelsbeauftragte Katherine Tai die neue US-Handelsstrategie zu China vorgestellt (China.Table berichtete). Tai sagte in der Rede, dass die Biden-Regierung eine neue Runde von Handelsgesprächen mit China anstreben werde, schloss jedoch neue Zölle nicht aus. Sie sagte auch, dass die USA “weiterhin ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Staats-zentrierten und nicht marktorientierten Handelspraktiken Chinas” haben. niw

  • Handel
  • Katherine Tai
  • Liu He
  • USA

Frachtkosten zwischen China und USA fallen

Die Frachtkosten für den Containerversand zwischen China und USA sind deutlich gefallen. Als Grund sehen Branchenexperten den Stromengpass in China, der sich auf die Produktion der Unternehmen auswirkt (China.Table berichtete). Auch die anstehende Nebensaison drückt auf die Preise.  

Ein leitender Angestellter einer Shanghaier Spedition sagte Caixin, dass die Kosten für den Versand eines 40-Fuß-Containers von China an die US-Westküste Ende September um die Hälfte gefallen sind – von etwa 15.000 auf knapp 8.000 US-Dollar. Auch Richtung US-Ostküste sind die Preise zuletzt von über 20.000 US-Dollar um mehr als ein Viertel auf unter 15.000 US-Dollar zurückgegangen. Vor der Pandemie lagen die Kosten der Spediteure in der Regel bei etwa 1.500 US-Dollar.

Geringe Kapazitäten, Staus an den Häfen weltweit und fehlende Container (China.Table berichtete) hatten die Frachtkosten erst Anfang September auf ein Rekordhoch steigen lassen. niw

  • Container
  • Handel
  • USA

Meituan zu hoher Strafe verurteilt

China hat Meituan mit einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet 460 Millionen Euro belegt. Nach einer fünfmonatigen kartellrechtlichen Untersuchung kamen die Behörden zu dem Ergebnis, dass das Unternehmen seine marktbeherrschende Position ausgenutzt habe (China.Table berichtete). Meituan, das für seine Essenslieferdienste bekannt ist, habe Händler dazu gezwungen, ihre Dienste ausschließlich auf der Firmenplattform anzubieten und nicht bei Konkurrenzanbietern, so die South China Morning Post. Die Geldbuße entspricht demzufolge circa drei Prozent des Jahresumsatzes Meituans in China. Beobachter waren zunächst von einer höheren Strafe ausgegangen. So musste Alibaba wegen der Ausnutzung seiner marktbeherrschenden Stellung im April dieses Jahres umgerechnet 2,3 Milliarden Euro zahlen (China.Table berichtete).

Die Behörden wiesen das Unternehmen zudem an, den Plattform-Algorithmus zu verbessern und die Rechte und Interessen der Händler und Zusteller besser zu schützen. In der Vergangenheit stand das Unternehmen wiederholt wegen der schlechten Arbeitsbedingungen und geringer Löhne in der Kritik. nib

  • Meituan
  • Technologie

Weltmeister Motors überzeugt Investoren

In einer neuen Finanzierungsrunde hat das E-Auto Start-Up Weltmeister Motors umgerechnet mehr als 260 Millionen Euro von Investoren erhalten. Die Gelder sollen nach Firmenangaben für die Entwicklung des autonomen Fahrens und anderer “intelligenter Technologien” verwendet. Das 2016 gegründete Unternehmen konnte bisher noch keinen Gewinn erwirtschaften. In den ersten neun Monaten des letzten Jahres fiel ein Verlust von umgerechnet 490 Millionen Euro an, wie das Wirtschaftsportal Caixin berichtet. Der Verlust verdoppelte sich demnach im Vergleich zu 2017.

Im letzten Jahr hat Weltmeister 22.000 Autos verkauft. Nach Firmenangaben waren es allein im ersten Monat 2021 schon 29.000. Ende letzten Jahres musste das Unternehmen jedoch fast 1.300 Fahrzeuge wegen potenzieller Brandgefahren zurückrufen. Innerhalb eines Monats waren drei E-Autos wegen Batterieproblemen in Brand geraten. nib

  • Autoindustrie
  • Autonomes Fahren

Presseschau

Tsai Ing-wen condemns China’s plans for Taiwan and says island will continue to build its defences THE GUARDIAN
Terror & tourism: Xinjiang eases its grip, but fear remains INDEPENDENT
Where Parents Have Abducted Their Own Children in a Bid for Custody NEY YORK TIMES (PAY)
China lambasts Tony Abbott for ‘despicable and insane performance in Taiwan’ THE GUARDIAN
Heavy rain hits N China’s Shanxi destroying railways and displacing more than 20,000 people GLOBAL TIMES (STAATSMEDIUM)
“Ungesunde Werte”: Chinas Führung will Starkult im Internet abschaffen SPIEGEL
Der Konflikt zwischen der Volksrepublik China und Taiwan schwelt seit Jahrzehnten TAGESSCHAU
China macht dicht FAZ (PAY)
China stärkt Kampf gegen Internet-Monopole – Essenskurier muss halbe Milliarde Franken Strafe zahlen NZZ
Artenschutz in China: “Elefanten-Kantinen” und Frühwarnsysteme TAGESSCHAU

Portrait

Michael Pettis – gefragter China-Ökonom

Michael Pettis ist Professor für Finanzwissenschaft an der Peking Universität
Michael Pettis ist Professor für Finanzwissenschaft an der Peking Universität

Michael Pettis ist in seinem Leben viel rumgekommen. Der Kosmopolit kam 1987 an die Wall Street. Vom einfachen Debt Trader bei Manufacturers Hanover stieg er bis zum Managing Director bei Bear Stearns auf. In den Neunzigerjahren leitete Pettis auch aufgrund seiner sprachlichen und kulturellen Kenntnisse das Lateinamerika-Geschäft der Investmentbank und beriet beispielsweise die Regierung Mexikos.

Angesichts seines Lebenslaufs überrascht es wohl nicht, dass Pettis nach seiner Zeit bei Bear Stearns im Jahr 2001 ein intensives Interesse an China entwickelte. Er sei rasch dorthin umgezogen, um an Universitäten zu lehren und sich seiner Tätigkeit als Autor zu widmen. Bekannt ist der 63-Jährige mittlerweile für seine Expertise in puncto Finanzmärkten und für seine Art, nie ein Blatt vor den Mund zu nehmen – unabhängig davon, ob es um die Politik Washingtons oder Pekings geht.

Gründer eines Punk-Clubs

In Peking ist Michael Pettis seit vielen Jahren zu Hause. Als Professor für Finanzwissenschaft arbeitet er an der Guanghua School of Management der Peking University. Doch einfach im akademischen Elfenbeinturm zu sitzen, wäre für ihn auf Dauer zu langweilig. Deshalb gründete er 2005 zusammen mit einigen Mitstreitern den Punk-Club D22 in Wudaokou. “Das ist das größte Studentenviertel in Peking. Obwohl es eine schwierige Gegend ist, um Geld zu machen, hatten wir es geschafft, ein großes studentisches Publikum anzuziehen – auch wenn wir die Studenten für umsonst hereinlassen mussten”, erinnert sich Pettis. Vor seiner Zeit als Banker an der Wall Street leitete er den Club SIN in New York. Er betrat also kein gänzlich neues Terrain.

Der Grund für die Gründung des D22 war seine Liebe zur Musik und sein Wille, die Szene in Peking zu unterstützen. Sein Musiklabel “Maybe Mars” entwickelte sich um den Club herum und gab Punk- und Experimental-Bands eine Chance, sich einen Namen zu machen. “Ich dachte mir, dass die Untergrund-Musikszene nur mit der Unterstützung der chinesischen Studenten wachsen konnte”, meint er. Weil Pettis selbst ein teils widersprüchlicher Charakter ist, passte es auch, dass er den Club 2012 auf dem Höhepunkt seiner Popularität schloss. Seitdem widmet er sich neuen Projekten, sofern denn neben der Arbeit als Professor und Autor die Zeit dafür bleibt.

Turbulenzen am Aktienmarkt von Vorteil

Die Musik ist seine Leidenschaft, die Kapitalmärkte sein Spezialgebiet. Mit Blick auf Chinas Finanzpolitik zeigt sich Pettis momentan besorgt. “Peking hat seine Finanzmärkte in den vergangenen Jahren für ausländische Investments geöffnet. Das geschah vor allem, um die internationale Reputation dieser Märkte und die globale Verwendung des Renminbis zu fördern“, erklärt er. Allerdings sei für diese Art der Prestigesteigerung ein Preis zu zahlen. Denn sofern China die Kapitalmärkte öffnen möchte, müsste es einen Teil der Kontrolle über die eigene Währung und des Geldzuflusses von außen abgeben.

Die Entscheider in Peking würden seit einiger Zeit versuchen, die ausländischen Investments dadurch auszugleichen, dass chinesische Unternehmen, aber auch gewöhnliche Haushalte dazu ermutigt werden, im Ausland zu investieren. Jedoch würde dies laut Pettis ein Ungleichgewicht kreieren zwischen den Investitionen, die hereinkommen und herausgehen. “Das Risiko besteht darin, dass ausländische Investoren in China plötzlich ihr Geld abziehen, während chinesische Investoren nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, ihre Investments zurückzuführen”, erklärt er.

Deshalb seien die Turbulenzen an den chinesischen Aktienmärkten zuletzt sogar auf gewisse Weise positiv, weil dadurch ausländische Investoren vorsichtiger werden könnten, was das Aufkaufen von chinesischen Vermögenswerten betreffe. Geringere Zuflüsse von “Hot Money”, Investitionen, die bei Turbulenzen schnell wieder abgezogen werden, seien wünschenswert, solange Peking das eigene Finanzsystem nicht reformiert habe. Pettis ist ein sehr gefragter Gesprächspartner, wenn es um Chinas Finanz- und Schuldenpolitik geht. Mit seiner Kritik an der chinesischen Wirtschaftspolitik wird er sich auch künftig nicht zurückhalten. Constantin Eckner

  • Finanzen
  • Musik

Personalien

Matthias Arleth wird zum 1. Januar 2022 neuer CEO und Vorsitzender der Geschäftsführung des Automobilzulieferers Mahle. Der 53-jährige Diplom-Ingenieur der Fahrzeugtechnik wechselt vom Automobilzulieferer Webasto SE. Arleth folgt auf Jörg Stratmann, nachdem dessen Zusammenarbeit mit Mahle im März beendet wurde. Mahle hat vergangenes Jahr in China einen Umsatzrekord erzielt.

Sham Siu-man, Bezirksrichter von Hongkong ist zurückgetreten und wird im Alter von 60 Jahren vorzeitig in den Ruhestand gehen, um mit seiner Familie nach Großbritannien auszuwandern.

Zur Sprache

sùliào pǔtōnghuà 塑料普通话 – Plastikchinesisch

塑料普通话 - sùliào pǔtōnghuà - Plastikchinesisch - Hochchinesisch mit Einschlag von Dialekten
塑料普通话 – sùliào pǔtōnghuà – Plastikchinesisch

Plastikmüll, Plastikverbot, Mikroplastik im Meer – der Werkstoff Plastik kommt heutzutage imagemäßig eher schlecht weg im Alltagssprachgebrauch. Der Begriff “Plastikchinesisch” lässt von daher wenig Gutes erahnen. Und tatsächlich: das neue Trendwort, das sich aus den chinesischen Wörtern für “Plastik” (塑料 sùliào) und “Hoch-/Standardsprache” (普通话 pǔtōnghuà) zusammensetzt, ist die wenig schmeichelhafte Bezeichnung für holpriges Hochchinesisch mit deutlichem dialektalen Einschlag.

Angelehnt ist die Neuschöpfung an den Jargon der Gamerszene, wo bestimmte Spieler je nach Spielstärke als Bronze-, Silber-, Gold-, Platin- oder Diamant-Player gerankt werden. Plastik-Player laufen dagegen unter ferner liefen. Wir kennen ähnliche Kategorisierungen traditionell bei Hochzeitsjubiläen: Silberhochzeit (25 Ehejahre), Goldene Hochzeit (50 Ehejahre), Diamanthochzeit (60 Ehejahre). Die Plastikhochzeit dagegen: 2 Jahre. Aber das nur als Eselsbrücke.  

Zwar ist Hochchinesisch längst die in China allgemein verbreitete Schul- und Verkehrssprache. Und selbst in noch so abgelegen Landstrichen wird Putonghua heute durchweg verstanden und – so denn der gute Wille vorhanden – auch einigermaßen verständlich artikuliert. Doch der Einfluss regionaler Dialekte und Sprachvarianten macht es trotzdem bis heute mancher chinesischen Zunge schwer, mit der eigenen Standardaussprache so richtig warm zu werden. In einigen Regionen steht man mit bestimmten Lauten traditionell auf Kriegsfuß. Das Ergebnis ist eine charakteristische dialektale Färbung, mit der sich der Sprechende unter Landsleuten herkunftsmäßig schnell entlarvt. Jenseits der eigenen lokalen Community sorgen diese systematischen Ausspracheschnitzer nicht selten für (meist liebevoll gemeinten) Spott.

Ein Running Gag ist unter Chinesen zum Beispiel die “F-H-Schwäche” der Fujianer (echte Fujianer sind also “Hujianer”). Oder der liebenswerte artikulatorische blinde Fleck der Sichuaner, Hubeier und Hunaner bei der Unterscheidung von “l” und “n”. (Wer Bekannte aus diesen Gegenden foppen will, lässt sie am besten ein paar mal das Wort “Männerbasketballmannschaft” aufsagen: 男子篮球队 nánzǐ lánqiúduì). Im Nordwesten des Landes (西北 Xīběi), etwa in Xinjiang, Gansu oder Ningxia, pfeift man dagegen auf die feine Unterscheidung zwischen nasalen und nicht nasalen konsonantischen Auslauten (“spät” oder “Netz”? – wǎn 晚 vs. wǎng 网, “Herz” oder “Stern”? – 心 xīn vs. 星 xīng).

Auch die kosmopolitischen Shanghaier bekommen ihr Fett weg: si oder shi, ci oder chi? Hier wird nach guter südchinesischer Manier alles zur ersteren Variante eingeebnet. Tonresistente Ausländer treibt das an der Supermarktkasse manches Mal in den Wahnsinn. Kostet das Klopapier nun 14 oder 41 Kuai (sísì? – sìsí!). Doch auch im Norden hat man mit der Hochsprache so seine Problemchen. Die Hauptstädter pflegen nicht nur, an alle möglichen Silben das berühmte Pekinger “er” (北京儿化音 Běijīng érhuàyīn) anzuhängen: 串儿 chuàrrr “Spieße”, 街儿 jiērrr “Straße”, 楼儿 lóurrr “Haus”, 门儿 mérrr “Tür”. Sie tendieren überdies dazu, vieles zu vernuscheln: gebratenes Ei mit Tomate (xīhóngshì chǎo jīdàn) wird in Peking schnell mal zu “xiōngshì chǎo jīdàn”.

Wer sich also beim Chinesischlernern zwischen Tonlagen, Zischlauten und Pressvokalen verheddert, darf sich ein wenig getröstet fühlen – mit dem eigenen “Plastikchinesisch” ist man selbst in China nicht alleine!

Verena Menzel leitet in Peking die Sprachschule New Chinese.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Berater empfehlen Peking den Verbrenner-Ausstieg
    • Die KP greift in der Schönheitsindustrie durch
    • Energiekrise: Behörden ergreifen Maßnahmen
    • Xi Jinping ruft zur “Wiedervereinigung” mit Taiwan auf
    • US-Spezialkräfte trainieren Taiwans Militär
    • USA und China sprechen über Handel
    • Frachtkosten für Seetransport fallen
    • Meituan zu Geldbuße verurteilt
    • Weltmeister Motors wirbt 260 Millionen Euro ein
    • Im Portrait: Michael Pettis – gefragter China-Ökonom
    • Zur Sprache: 塑料普通话 – sùliào pǔtōnghuà – Plastikchinesisch
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die CO2-Emissionen in Chinas Verkehrssektor steigen rapide an. Trotz aller Erfolge beim Absatz von E-Autos, sind vier von fünf verkauften Neuwagen noch immer Verbrenner. Es verwundert daher nicht, dass auch in China über einen Verbrenner-Ausstieg diskutiert wird. Bisher hat Peking noch kein Enddatum für die Neuzulassung der klimaschädlichen Autos beschlossen. Die Behörden vertrauen bisher noch auf andere Maßnahmen, um die Emissionen zu senken. Auch, weil die Abhängigkeit von Kohlestrom den Klimavorteil von Elektroautos zunichtemacht.

    Im Bestreben um ein schönes Aussehen wird auch in der Volksrepublik gerne künstlich nachgeholfen. Chirurgische Schönheitskliniken und der Verkauf von Kosmetika boomen. Der KP gefällt diese Oberflächlichkeit so gar nicht. Sie beklagt eine übertriebene Verehrung des Aussehens. Und so greift der Staat auch in der Schönheitsbranche zunehmend streng durch, berichtet Ning Wang. Die Behörden regulieren Werbung für Schönheits-OPs, stärken jedoch auch die Rechte der Verbraucher:innen, indem sie einheitliche Produktstandards durchsetzen. Ein Milliarden-Markt könnte durchgewirbelt werden.

    Einen guten Start in die Woche!

    Ihr
    Nico Beckert
    Bild von Nico  Beckert

    Analyse

    China diskutiert Verbrenner-Ausstieg

    China ist einer der größten Märkte für Autos mit alternativen Antrieben. Fahrzeuge mit elektrischem, Wasserstoff- oder Hybrid-Antrieb (New Energy Vehicles – NEV) machen in der Volksrepublik mittlerweile 18 Prozent aller Autoverkäufe aus. Der Umstieg auf E-Autos läuft schneller als geplant. Pekings Ziel eines Anteils von NEV-Verkäufen von 20 Prozent für 2025 ist schon heute fast erreicht (China.Table berichtete). Gleichzeitig wachsen die CO2-Emissionen des Verkehrssektors massiv. Immerhin sind noch gut 80 Prozent aller verkauften Autos klimaschädliche Verbrenner. Welche Maßnahmen verfolgt Peking, um diesen Anteil weiter zu senken?

    Beratungsgremium empfiehlt Verbrenner-Ausstieg

    Bislang hat China kein Datum für den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bekannt gegeben. Ein hohes Beratungsgremium der chinesischen Regierung hat kürzlich jedoch “klare Wegmarken” für die “schrittweise Abschaffung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor” vorgeschlagen. Der China Council for International Cooperation on Environment and Development (CCICED) hat in einem Bericht dargelegt, wie China zum Klimaschutz beitragen soll. Die Analysten von Trivium China nennen die Studie “wegweisend”. Das CCICED ist direkt mit dem Staatsrat verbunden. Den Vorsitz führt der stellvertretende Ministerpräsident Han Zheng.

    Schon 2017 hat die Regierung einen möglichen Zeitplan für den Ausstieg aus Verbrenner-Autos diskutiert – war damals aber zu keinem Entschluss gekommen. Offizielle Regierungsdokumente sehen jedoch vor, dass batteriebetriebene E-Autos bis 2035 den Großteil der verkauften Autos ausmachen, ohne jedoch klare Zielmarken zu setzen, so Barbara Finamore, Energieexpertin und Autorin des Buchs “Will China Save the Planet?” gegenüber China.Table. Öffentliche Flottenfahrzeuge wie Busse, Taxis und Lieferfahrzeuge sollen ab 2035 komplett elektrisch fahren.

    Verbrenner-Ausstieg industriepolitisch sinnvoll?

    Auf den ersten Blick sprechen einige industriepolitische Argumente für einen baldigen Verbrenner-Ausstieg Chinas. 44 Prozent der weltweit hergestellten E-Autos wurden in den letzten zehn Jahren in China produziert. Die Volksrepublik dominiert die Produktion von E-Autobatterien und die Lieferketten für wichtige Batterierohstoffe. Die eigene Auto-Industrie ist im NEV-Bereich wettbewerbsfähiger als bei der Herstellung von Verbrennern.

    Die Volksrepublik würde westlichen Wettbewerbern, die in China noch immer eine große Anzahl Verbrenner verkaufen, den Zugang zu einem wichtigen Markt abschneiden, beziehungsweise sie zwingen, nur noch E-Autos anzubieten. Allerdings würde das auch die einheimischen Joint-Venture-Partner westlicher Autobauer treffen und Arbeitsplätze in China vernichten.

    Auch bei der Infrastruktur für E-Autos ist China im internationalen Vergleich sehr gut aufgestellt. Die Volksrepublik hat in den letzten Jahren zwei von drei weltweit gebauten Ladepunkten errichtet. In China teilen sich umgerechnet sechs Autos einen Ladepunkt, während es in Deutschland derzeit 17 Autos pro öffentlichem Ladepunkt sind (China.Table berichtete).

    Doch zahlreiche und stärkere Argumente sprechen gegen einen schnellen Verbrenner-Ausstieg Chinas.

    Finamore gibt zu bedenken, dass Chinas derzeitige wirtschaftliche Sorgen groß seien. Sie bezweifelt deswegen, dass “die chinesische Führung bereit wäre, das wirtschaftliche Risiko einzugehen, den Verkauf von Autos mit Verbrenner-Antrieb so schnell wie möglich einzustellen”. Die Autoindustrie sei ein viel zu wichtiger Wirtschaftsfaktor, sodass die Regierung kaum Risiken eingehen werde.

    Ausstieg wäre risikobehaftet

    Bei den Ladepunkten für E-Autos gilt in China der Grundsatz “Masse statt Klasse”. Besonders im ländlichen Raum sind einige Ladepunkte häufig defekt und schwer zu bedienen (China.Table berichtete). Finamore sagt: “Es wird in jedem Fall schwierig sein, dass sich E-Autos außerhalb der großen Städte durchsetzen werden.” Sie schreibt, die Regierung müsse “starke Unterstützung bereitstellen und das öffentliche Ladenetz des Landes weiter ausbauen”.

    Auch Ilaria Mazzocco, China-Energieexpertin vom “Center for Strategic & International Studies”, hält einen Verbrenner-Ausstieg für unwahrscheinlich. China sei der größte Automarkt der Welt, sodass ein Ausstieg nicht leicht zu erreichen wäre. Mazzocco betont zudem: “In China gibt es viele ärmere ländliche Regionen mit begrenzter EV-Durchdringung, was einen Ausstieg zu einer großen Herausforderung macht.” Reichere Provinzen und vor allem die Boom-Städte könnten bei der Dekarbonisierung des Verkehrssektors jedoch auch Maßnahmen wie ein Verbrenner-Verbot in Betracht ziehen, so Mazzocco gegenüber dem China.Table.

    Auch in der EU wird derzeit der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor diskutiert. Die EU-Kommission hat im Juli dieses Jahres vorgeschlagen, die CO2-Emissionen von Neufahrzeugen bis 2035 um 100 Prozent zu senken. De facto wäre das ein Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor ab 2035. Ein Verbrenner-Ausstieg in China wäre demnach kein industriepolitischer Vorteil mehr, da sich die internationalen Autokonzerne ohnehin umstellen müssten.

    Neue Maßnahmen zur Emissionsreduktion

    Um den Anstieg der CO2-Emissionen im Verkehrssektor zu bremsen, zieht China andere Instrumente in Betracht. Auf Ministeriumsebene wird diskutiert, den Verkehrssektor in den Handel mit CO2-Zertifikaten aufzunehmen (China.Table berichtete). Reuters spekuliert, dass dadurch auch das “Green Car Credit System” abgelöst werden könnte. Im Rahmen dieses Systems erhalten die Autohersteller Gutschriften für den Verkauf von Elektrofahrzeugen oder kraftstoffsparenden Fahrzeugen, mit denen sie Strafzahlungen für ihre kohlenstoffintensiveren Modelle ausgleichen können. Das Kredit-System ist bis mindestens 2023 in Kraft.

    Schon in den letzten Jahren hat China zudem die Abgasnormen für Verbrenner verschärft. Ab 2025 muss der Flottenverbrauchsdurchschnitt bei vier Litern auf 100 Kilometer liegen. Bis 2020 lag die Vorgabe bei einem Durchschnitt der Neuwagen eines Anbieters bei fünf Liter Verbrauch auf 100 Kilometer.

    Chinas E-Autobauer hätten von diesen Maßnahmen stark profitiert, so Mazzocco. “Aus rein industriepolitischer Sicht ist es unklar, ob ein Verbot von Verbrenner-Verkäufen überhaupt notwendig ist”, so Mazzocco.

    Kohlestrom macht NEVs wenig attraktiv

    Hinzu kommt: Klimapolitisch wäre wenig gewonnen, wenn China Verbrennungsmotoren bald verbieten würde. Zwar ist Chinas Transportsektor sehr energiehungrig. Schon heute ist er für zehn Prozent der CO2-Emissionen des Landes verantwortlich und liegt hinter der Industrie auf Platz zwei der größten Energieverbraucher. Die Emissionen des Transportsektors sind zwischen 2013 und 2018 um 23 Prozent angestiegen. Verbrennerautos machen den größten Anteil der CO2-Emissionen des Transportsektors aus. Umso dringender wird ein Umstieg auf E-Autos, wenn China seine Klimaziele erreichen will.

    Doch dem emissionsfreien Verkehr steht eine Hürde im Weg: Chinas Abhängigkeit von der Kohle. Der klimaschädlichste aller Energieträger macht noch immer fast zwei Drittel des chinesischen Strommix aus. Sehr stark vereinfacht heißt das: zwei von drei Kilometern, die ein E-Auto derzeit in China fährt, verursacht es CO2-Emissionen. Selbst wenn es China gelänge, die wachsende Flotte von E-Autos ausschließlich mit erneuerbaren Energien aufzuladen, wäre den Klimazielen nicht gedient, wenn dadurch andere Sektoren länger fossile Energien verbrauchen, weil noch nicht genug Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird. Das zeigt, vor welch immensen Herausforderungen China beim Aufbau der erneuerbaren Energien steht. Ein Verbrenner-Ausstieg müsste also mit weitreichenden Maßnahmen flankiert sein, um in Sachen Klima nicht nur Symbolpolitik zu sein.

    • Autoindustrie

    Schönheit um jeden Preis

    Kennen Sie die sogenannte A4-Taille? Sie ist ein Schönheitsideal, das per Selfie über Messenger oder Foto-Plattformen im Internet geteilt wird. Mit der kürzeren Seite eines A4-Blattes verdecken Influencer:innen dabei ihre Taille – und zwar komplett.

    Ob schlanke Taillen, füllige Lippen, markante Wangenknochen oder eine doppelte Lidfalte – Chinas Schönheitsindustrie bietet zahlreiche Dienstleistungen. Und die Nachfrage steigt – sowohl bei Frauen und zunehmend auch bei Männern.

    Mit dem in der Mittelschicht inzwischen erreichten Wohlstand, entstand ein größeres Bedürfnis nach freier und persönlicher Entfaltung. Gerade die jungen Menschen streben nicht mehr nur durch Konsum nach Glück. Sie wollen auch ihr äußeres Erscheinungsbild perfektionieren. In vielen Großstädten sind eine makellose Haut, eine sportliche Figur, volle Lippen und eine straffe Kinnpartie zu Statussymbolen geworden. Die chinesische Investmentbank Citic taxiert die Umsatzerlöse der chinesischen Schönheitsindustrie für das Jahr 2020 auf umgerechnet mehr als 44 Milliarden Euro. Seit 2015 ist der Gesamtmarktwert für Kosmetik- und Schönheitsbehandlungen jährlich um rund 30 Prozent gestiegen, so das Ergebnis einer gemeinsamen Studie von Deloitte und dem Essenslieferdienst Meituan. Weltweit hingegen hat der Marktwert in dem Bereich im Schnitt nur um acht Prozent zugenommen.

    Peking reguliert die Schönheitsindustrie zunehmend

    Dass die (sozialen) Medien und die Film- und Unterhaltungsindustrie dabei definieren, was als schön gilt, veranlasst die KP zum Durchgreifen. Mitte September hat Peking Werbung für Schönheitsoperationen verboten. TV-Werbungen, aber auch die Anzeigen in den Sozialen Medien und in Bussen und Bahnen sollen stärker reguliert werden, so die Behörden.

    Dieser Schritt kommt zwei Wochen nachdem die Regulierungsaufsicht SAMR eine neue Vorgabe erlassen hat, wonach Werbung für Schönheitseingriffe als “medizinische Werbung” eingeordnet wird. Die Betreiber von Schönheitskliniken müssen künftig erst eine Lizenz erwerben, bevor sie öffentlich für ihre Dienste werben dürfen. Die Lizenzen waren bisher nur medizinischen Einrichtungen vorbehalten und sind schwer zu erhalten. Oft kann es bis zu neun Monate dauern, eine solche Lizenz zu beantragen, so Branchenkenner.

    Grund für diese Regulierungen sind laut der Zeitung People´s Daily und einer Reihe anderer Staatsmedien, dass die beworbenen ästhetischen Standards zu einer Art übertriebener Verehrung des Aussehens und damit zu einer “Äußere-Erscheinungs-Angst” bei jungen Menschen geführt haben, so die wörtliche Übersetzung aus dem Chinesischen. Das bedeutet, “dass viele Menschen in einem sozialen Umfeld, in dem ihr Aussehen extrem wichtig ist, nicht selbstbewusst genug mit ihrem Äußeren umgehen können”, schreibt die staatliche Webseite China.org.cn. Auch warfen die Staatsmedien der Schönheitsindustrie zuletzt einen Angriff auf die “chinesische Männlichkeit” vor (China.Table berichtete).

    Werbung für Schönheitsoperationen verboten

    Die Schönheitskliniken nutzen die Tatsache aus, dass gutes Aussehen mit Erfolg und Glück verbunden wird. Die Wettbewerbsaufsicht des Landes – die kürzlich schon Bußgelder gegen die Geschäftspraktiken vom Fahrdienstanbieter Didi oder den Essenslieferanten Meituan ausgesprochen hat (China.Table berichtete) – will nun auch gegen die Schönheitsindustrie vorgehen. Den Kunden würden falsche Versprechungen gemacht, so die Behörden. Die Reaktionen in den sozialen Medien auf das harte Durchgreifen in der Schönheitsindustrie fielen teils sehr positiv aus.

    Allein im vergangenen Jahr sind über 5.000 neue Einrichtungen für kosmetische Chirurgie entstanden – zu den geschätzt 80.000 Schönheitskliniken, die es im Land bereits gibt. Daten der Beratungsfirma iResearch aus dem Jahr 2019 aber zeigen, dass nur 13.000 der Kliniken eine Lizenz haben. Der Rest arbeitet illegal.

    Es wird erwartet, dass China schon bald der weltweit größte Markt für kosmetische Chirurgie ist. Das Marktvolumen könnte schon in den nächsten fünf Jahren die 400-Milliarden-Yuan-Marke (53 Milliarden Euro) überschreiten.

    Standards fehlen

    Doch bei vielen Schönheits-Dienstleistungen fehlen einheitliche Standards. Das zeigt sich beispielsweise bei den E-Commerce-Händlern, die vermehrt kosmetische Produkte anbieten. Erst im April dieses Jahres hat die Kurzvideo-Plattform Kuaishou ihr E-Commerce-Geschäft erweitert und bietet seitdem auch medizinische Schönheits-Dienstleistungen an. Per Livestream und über Influencer werden vom Haarwasser bis zur Zahncreme für weiße Zähne alle möglichen Produkte auf der Plattform angeboten. Häufig wird dabei für Produkte geworben, die nicht den gängigen Qualitätsstandards entsprechen, wie Brancheninsider dem Wirtschaftsmagazin Caixin mitteilten. Klare Vorschriften gibt es für Produkte zur kosmetischen Anwendung genauso wenig, wie es sie bei medizinischen Schönheitseingriffen gibt.

    Es sei eine übergreifende Regulierungsbehörde notwendig, um die medizinische Schönheitsindustrie effektiv zu regulieren, sagte Jiang Han von der Denkfabrik Pangoal Institution gegenüber Caixin. Dafür müssten alle Behörden zusammenarbeiten.

    Dass es Peking wirklich ernst ist, lässt sich am Marktwert der drei größten börsennotierten Medizinästhetik-Unternehmen in der Volksrepublik beobachten. Deren Marktwert ist seit Anfang Juli um ein Drittel eingebrochen, was einem Gesamtverlust von umgerechnet über 14,7 Milliarden Euro entspricht, wie Berechnungen der Financial Times zeigen.

    Börsen untersagen Schuldtitel für Behandlungen

    Inzwischen haben sogar die Börsen in Shanghai und Shenzhen strukturierte Schuldtitel, die mit Verbraucherkrediten für kosmetische Eingriffe verbunden sind, verboten. Um sich die kostspielige Operationen leisten zu können, haben Verbraucher Kredite von Finanzinstituten bekommen, die mit den Schönheitskliniken kooperieren.

    Dass der Verbraucherschutz in China gestärkt wird, ist eine begrüßenswerte Entwicklung. Noch zu oft gefährden rücksichtslose Geschäftspraktiken die Gesundheit der Bevölkerung und das Gemeinwohl. Dahinter aber steht wohl noch eine Wertediskussion, die den Idealen der KP näher steht. Der Individualismus der kosmetischen Selbstoptimierung dürfte auch der Partei ein Dorn im Auge gewesen sein. Konfuzius jedenfalls sagte: “Alles hat seine ureigene Schönheit, aber nicht jeder bemerkt sie.”

    • Gesellschaft
    • Gesundheit
    • SAMR

    News

    Neue Maßnahmen gegen Energiekrise

    China hat lokale Kohleminen angewiesen, die Produktion schnellstmöglich zu erhöhen, um der Energiekrise im Land zu begegnen. Energiebehörden in der Inneren Mongolei wiesen 72 Bergwerke an, die Produktionskapazität um 100 Millionen Tonnen zu erweitern, wie die Financial Times berichtet. Das wäre eine Ausweitung der Produktion um 55 Prozent. Analysten zufolge könnten die Kohlepreise dadurch von 1.500 Yuan pro Tonne auf 1.200 bis 1.300 Yuan fallen.

    Auch die Kohle-produzierenden Provinzen Shanxi und Shaanxi haben zugesagt, die Kohlelieferungen an Kraftwerke im vierten Quartal zu einem vergünstigten Preis zu erhöhen, wie das Wirtschaftsportal Caixin berichtet. Allerdings hat die Provinzregierung von Shanxi die Produktion in 60 Kohleminen aufgrund von anhaltendem Starkregen am Samstag kurzfristig gestoppt. Das Extremwetter hatte zu Erdrutschen geführt, wie Bloomberg berichtet. Auch die Provinz Shaanxi war von Starkregen betroffen.

    Die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission Chinas hat kürzlich klargestellt, dass die Stromversorgung im Winter sichergestellt sei. Einige Analysten bezweifeln diese Aussage jedoch an. Ihnen zufolge sei das Problem kaum kurzfristig zu lösen, auch da die Kohlebestände bei den Kraftwerken gering seien. Das chinesische Finanzunternehmen Citic schätzt, dass selbst nach der angestrebten Erhöhung der Kohleproduktion, im vierten Quartal noch 30 bis 40 Millionen Tonnen Kohle fehlen könnten.

    Am Freitag hat die Regierung zudem verkündet, die staatlich festgelegten Energiepreise anzupassen. Die hohen Kohlepreise sind eine maßgebliche Ursache für die aktuelle Energiekrise in China. Kohlekraftwerke hatten ihre Produktion gedrosselt, weil sie aufgrund hoher Kohlepreise nicht wirtschaftlich arbeiten konnten, weil die Strompreise staatlich festgeschrieben sind. In einer Erklärung des Staatsrats wurde auch klargestellt, dass die Strompreise für Industrien mit hohem Energieverbrauch keiner Preisobergrenze unterliegen, wie Caixin berichtet.

    Um die finanzielle Situation der Kohlekraftwerke zu entschärfen, sollen sie einen befristeten Steueraufschub erhalten. Erst vor wenigen Tagen hatten die Behörden die staatlichen Banken aufgefordert, Kohleminen und Kraftwerksbetreibern neue Kredite zu gewähren (China.Table berichtete).

    Im letzten Jahr hatten die Bergwerke in der Inneren Mongolei ihre Produktion auch aus Sicherheitsgründen gedrosselt, wie Caixin berichtet. In der Vergangenheit wurde häufig mehr Kohle gefördert als gesetzlich erlaubt. Infolgedessen kam es in Bergwerken zu wiederholten Unfällen mit Todesfolge. Im Laufe des aktuellen Jahres haben auch andere Kohleregionen die gesetzlich festgelegten Kapazitätsgrenzen strenger durchgesetzt, sodass weniger Kohle gefördert wurde. nib

    • Energie
    • Klima
    • Kohle

    Xi Jinping ruft zur “Wiedervereinigung” mit Taiwan auf

    Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hat zu einer “Wiedervereinigung mit friedlichen Mitteln” mit Taiwan aufgerufen. “Die Landsleute auf beiden Seiten der Taiwanstraße sollten die völlige Wiedervereinigung und Erneuerung der chinesischen Nation erreichen”, so Xi laut der Nachrichtenagentur Xinhua.

    Diejenigen, “die ihr Mutterland verraten, werden kein gutes Ende nehmen”, sagte Xi am Samstag in der Großen Halle des Volkes anlässlich des 110. Jahrestages der Xinhai-Revolution, bei der das Kaiserreich 1911 gestürzt wurde.

    Taiwans Regierung hat die chinesische Forderung nach einer “Wiedervereinigung” zurückgewiesen. Die Inselrepublik werde ihre Verteidigung ausbauen, so Taiwans Regierungschefin Tsai Ing-wen. “Es sollte absolut keinerlei Illusionen geben, dass sich das taiwanische Volk Druck beugen wird”, sagte Tsai in einer Rede zum Nationalfeiertag in Taipeh am Sonntag.

    Das Verhältnis zu China sei derzeit so kompliziert wie nie zuvor in den vergangenen sieben Jahrzehnten, so Tsai. Vergangene Woche erst schickte die Volksrepublik 149 Flugzeuge in den Luftraum von Taiwan (China.Table berichtete). niw

    • Geopolitik
    • Taiwan
    • Tsai Ing-wen
    • Xi Jinping

    US-Spezialkräfte trainieren Militär Taiwans

    Das US-Militär unterstützt Taiwan seit mehreren Jahren mit militärischem Training, wie das Wall Street Journal und die FT berichten. Demnach handelt es sich um kurzfristige Einsätze von Spezialkräften. Einige dienten dazu, das taiwanische Militär im Zusammenhang mit Waffenkäufen aus den USA auszubilden. Die Enthüllung kommt inmitten wachsender Spannungen zwischen China und Taiwan. Das chinesische Militär ist in den letzten Tagen mit zahlreichen Jets und anderen Flugzeugen in Taiwans Identifikationszone zur Luftverteidigung (ADIZ) eingedrungen (China.Table berichtete).

    Das Pentagon hat sich zunächst nicht zu dem Bericht geäußert. Ein ehemaliger hochrangiger Asien-Beamter im Pentagon sagte der Financial Times, es handele sich um “Routineeinsätze“. Die “die gemeinsame Ausbildung von Truppen” sei Teil der “soliden und langjährigen inoffiziellen militärischen Beziehung” zwischen den USA und Taiwan. Dem FT-Bericht zufolge gab es während der Trump-Präsidentschaft Social Media-Beiträge, die US-Militärs beim Training in Taiwan zeigen. Chinas Außenministerium rief die USA am Freitag auf, das Militärpersonal aus Taiwan abzuziehen. nib

    • Geopolitik
    • Militär
    • Taiwan
    • USA

    USA und China nehmen Handelsgespräche auf

    Chinas Vizepremier Liu He und die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai haben am Samstag Gespräche aufgenommen, um die Handelsstreitigkeiten zwischen den beiden Ländern zu schlichten. Beide Seiten haben “ihre Kernanliegen zum Ausdruck gebracht” und “sich bereit erklärt, die berechtigten Bedenken des jeweils anderen durch Konsultationen zu lösen”, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua nach der Videoschalte der beiden. Es ist das zweite Mal, dass die Unterhändler miteinander sprachen. Zuletzt hatten sich Liu und Tai im Mai in einem Telefonat über Wirtschafts- und Handelsfragen ausgetauscht.

    Zu Beginn der vergangenen Woche hatte die amerikanische Handelsbeauftragte Katherine Tai die neue US-Handelsstrategie zu China vorgestellt (China.Table berichtete). Tai sagte in der Rede, dass die Biden-Regierung eine neue Runde von Handelsgesprächen mit China anstreben werde, schloss jedoch neue Zölle nicht aus. Sie sagte auch, dass die USA “weiterhin ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Staats-zentrierten und nicht marktorientierten Handelspraktiken Chinas” haben. niw

    • Handel
    • Katherine Tai
    • Liu He
    • USA

    Frachtkosten zwischen China und USA fallen

    Die Frachtkosten für den Containerversand zwischen China und USA sind deutlich gefallen. Als Grund sehen Branchenexperten den Stromengpass in China, der sich auf die Produktion der Unternehmen auswirkt (China.Table berichtete). Auch die anstehende Nebensaison drückt auf die Preise.  

    Ein leitender Angestellter einer Shanghaier Spedition sagte Caixin, dass die Kosten für den Versand eines 40-Fuß-Containers von China an die US-Westküste Ende September um die Hälfte gefallen sind – von etwa 15.000 auf knapp 8.000 US-Dollar. Auch Richtung US-Ostküste sind die Preise zuletzt von über 20.000 US-Dollar um mehr als ein Viertel auf unter 15.000 US-Dollar zurückgegangen. Vor der Pandemie lagen die Kosten der Spediteure in der Regel bei etwa 1.500 US-Dollar.

    Geringe Kapazitäten, Staus an den Häfen weltweit und fehlende Container (China.Table berichtete) hatten die Frachtkosten erst Anfang September auf ein Rekordhoch steigen lassen. niw

    • Container
    • Handel
    • USA

    Meituan zu hoher Strafe verurteilt

    China hat Meituan mit einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet 460 Millionen Euro belegt. Nach einer fünfmonatigen kartellrechtlichen Untersuchung kamen die Behörden zu dem Ergebnis, dass das Unternehmen seine marktbeherrschende Position ausgenutzt habe (China.Table berichtete). Meituan, das für seine Essenslieferdienste bekannt ist, habe Händler dazu gezwungen, ihre Dienste ausschließlich auf der Firmenplattform anzubieten und nicht bei Konkurrenzanbietern, so die South China Morning Post. Die Geldbuße entspricht demzufolge circa drei Prozent des Jahresumsatzes Meituans in China. Beobachter waren zunächst von einer höheren Strafe ausgegangen. So musste Alibaba wegen der Ausnutzung seiner marktbeherrschenden Stellung im April dieses Jahres umgerechnet 2,3 Milliarden Euro zahlen (China.Table berichtete).

    Die Behörden wiesen das Unternehmen zudem an, den Plattform-Algorithmus zu verbessern und die Rechte und Interessen der Händler und Zusteller besser zu schützen. In der Vergangenheit stand das Unternehmen wiederholt wegen der schlechten Arbeitsbedingungen und geringer Löhne in der Kritik. nib

    • Meituan
    • Technologie

    Weltmeister Motors überzeugt Investoren

    In einer neuen Finanzierungsrunde hat das E-Auto Start-Up Weltmeister Motors umgerechnet mehr als 260 Millionen Euro von Investoren erhalten. Die Gelder sollen nach Firmenangaben für die Entwicklung des autonomen Fahrens und anderer “intelligenter Technologien” verwendet. Das 2016 gegründete Unternehmen konnte bisher noch keinen Gewinn erwirtschaften. In den ersten neun Monaten des letzten Jahres fiel ein Verlust von umgerechnet 490 Millionen Euro an, wie das Wirtschaftsportal Caixin berichtet. Der Verlust verdoppelte sich demnach im Vergleich zu 2017.

    Im letzten Jahr hat Weltmeister 22.000 Autos verkauft. Nach Firmenangaben waren es allein im ersten Monat 2021 schon 29.000. Ende letzten Jahres musste das Unternehmen jedoch fast 1.300 Fahrzeuge wegen potenzieller Brandgefahren zurückrufen. Innerhalb eines Monats waren drei E-Autos wegen Batterieproblemen in Brand geraten. nib

    • Autoindustrie
    • Autonomes Fahren

    Presseschau

    Tsai Ing-wen condemns China’s plans for Taiwan and says island will continue to build its defences THE GUARDIAN
    Terror & tourism: Xinjiang eases its grip, but fear remains INDEPENDENT
    Where Parents Have Abducted Their Own Children in a Bid for Custody NEY YORK TIMES (PAY)
    China lambasts Tony Abbott for ‘despicable and insane performance in Taiwan’ THE GUARDIAN
    Heavy rain hits N China’s Shanxi destroying railways and displacing more than 20,000 people GLOBAL TIMES (STAATSMEDIUM)
    “Ungesunde Werte”: Chinas Führung will Starkult im Internet abschaffen SPIEGEL
    Der Konflikt zwischen der Volksrepublik China und Taiwan schwelt seit Jahrzehnten TAGESSCHAU
    China macht dicht FAZ (PAY)
    China stärkt Kampf gegen Internet-Monopole – Essenskurier muss halbe Milliarde Franken Strafe zahlen NZZ
    Artenschutz in China: “Elefanten-Kantinen” und Frühwarnsysteme TAGESSCHAU

    Portrait

    Michael Pettis – gefragter China-Ökonom

    Michael Pettis ist Professor für Finanzwissenschaft an der Peking Universität
    Michael Pettis ist Professor für Finanzwissenschaft an der Peking Universität

    Michael Pettis ist in seinem Leben viel rumgekommen. Der Kosmopolit kam 1987 an die Wall Street. Vom einfachen Debt Trader bei Manufacturers Hanover stieg er bis zum Managing Director bei Bear Stearns auf. In den Neunzigerjahren leitete Pettis auch aufgrund seiner sprachlichen und kulturellen Kenntnisse das Lateinamerika-Geschäft der Investmentbank und beriet beispielsweise die Regierung Mexikos.

    Angesichts seines Lebenslaufs überrascht es wohl nicht, dass Pettis nach seiner Zeit bei Bear Stearns im Jahr 2001 ein intensives Interesse an China entwickelte. Er sei rasch dorthin umgezogen, um an Universitäten zu lehren und sich seiner Tätigkeit als Autor zu widmen. Bekannt ist der 63-Jährige mittlerweile für seine Expertise in puncto Finanzmärkten und für seine Art, nie ein Blatt vor den Mund zu nehmen – unabhängig davon, ob es um die Politik Washingtons oder Pekings geht.

    Gründer eines Punk-Clubs

    In Peking ist Michael Pettis seit vielen Jahren zu Hause. Als Professor für Finanzwissenschaft arbeitet er an der Guanghua School of Management der Peking University. Doch einfach im akademischen Elfenbeinturm zu sitzen, wäre für ihn auf Dauer zu langweilig. Deshalb gründete er 2005 zusammen mit einigen Mitstreitern den Punk-Club D22 in Wudaokou. “Das ist das größte Studentenviertel in Peking. Obwohl es eine schwierige Gegend ist, um Geld zu machen, hatten wir es geschafft, ein großes studentisches Publikum anzuziehen – auch wenn wir die Studenten für umsonst hereinlassen mussten”, erinnert sich Pettis. Vor seiner Zeit als Banker an der Wall Street leitete er den Club SIN in New York. Er betrat also kein gänzlich neues Terrain.

    Der Grund für die Gründung des D22 war seine Liebe zur Musik und sein Wille, die Szene in Peking zu unterstützen. Sein Musiklabel “Maybe Mars” entwickelte sich um den Club herum und gab Punk- und Experimental-Bands eine Chance, sich einen Namen zu machen. “Ich dachte mir, dass die Untergrund-Musikszene nur mit der Unterstützung der chinesischen Studenten wachsen konnte”, meint er. Weil Pettis selbst ein teils widersprüchlicher Charakter ist, passte es auch, dass er den Club 2012 auf dem Höhepunkt seiner Popularität schloss. Seitdem widmet er sich neuen Projekten, sofern denn neben der Arbeit als Professor und Autor die Zeit dafür bleibt.

    Turbulenzen am Aktienmarkt von Vorteil

    Die Musik ist seine Leidenschaft, die Kapitalmärkte sein Spezialgebiet. Mit Blick auf Chinas Finanzpolitik zeigt sich Pettis momentan besorgt. “Peking hat seine Finanzmärkte in den vergangenen Jahren für ausländische Investments geöffnet. Das geschah vor allem, um die internationale Reputation dieser Märkte und die globale Verwendung des Renminbis zu fördern“, erklärt er. Allerdings sei für diese Art der Prestigesteigerung ein Preis zu zahlen. Denn sofern China die Kapitalmärkte öffnen möchte, müsste es einen Teil der Kontrolle über die eigene Währung und des Geldzuflusses von außen abgeben.

    Die Entscheider in Peking würden seit einiger Zeit versuchen, die ausländischen Investments dadurch auszugleichen, dass chinesische Unternehmen, aber auch gewöhnliche Haushalte dazu ermutigt werden, im Ausland zu investieren. Jedoch würde dies laut Pettis ein Ungleichgewicht kreieren zwischen den Investitionen, die hereinkommen und herausgehen. “Das Risiko besteht darin, dass ausländische Investoren in China plötzlich ihr Geld abziehen, während chinesische Investoren nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, ihre Investments zurückzuführen”, erklärt er.

    Deshalb seien die Turbulenzen an den chinesischen Aktienmärkten zuletzt sogar auf gewisse Weise positiv, weil dadurch ausländische Investoren vorsichtiger werden könnten, was das Aufkaufen von chinesischen Vermögenswerten betreffe. Geringere Zuflüsse von “Hot Money”, Investitionen, die bei Turbulenzen schnell wieder abgezogen werden, seien wünschenswert, solange Peking das eigene Finanzsystem nicht reformiert habe. Pettis ist ein sehr gefragter Gesprächspartner, wenn es um Chinas Finanz- und Schuldenpolitik geht. Mit seiner Kritik an der chinesischen Wirtschaftspolitik wird er sich auch künftig nicht zurückhalten. Constantin Eckner

    • Finanzen
    • Musik

    Personalien

    Matthias Arleth wird zum 1. Januar 2022 neuer CEO und Vorsitzender der Geschäftsführung des Automobilzulieferers Mahle. Der 53-jährige Diplom-Ingenieur der Fahrzeugtechnik wechselt vom Automobilzulieferer Webasto SE. Arleth folgt auf Jörg Stratmann, nachdem dessen Zusammenarbeit mit Mahle im März beendet wurde. Mahle hat vergangenes Jahr in China einen Umsatzrekord erzielt.

    Sham Siu-man, Bezirksrichter von Hongkong ist zurückgetreten und wird im Alter von 60 Jahren vorzeitig in den Ruhestand gehen, um mit seiner Familie nach Großbritannien auszuwandern.

    Zur Sprache

    sùliào pǔtōnghuà 塑料普通话 – Plastikchinesisch

    塑料普通话 - sùliào pǔtōnghuà - Plastikchinesisch - Hochchinesisch mit Einschlag von Dialekten
    塑料普通话 – sùliào pǔtōnghuà – Plastikchinesisch

    Plastikmüll, Plastikverbot, Mikroplastik im Meer – der Werkstoff Plastik kommt heutzutage imagemäßig eher schlecht weg im Alltagssprachgebrauch. Der Begriff “Plastikchinesisch” lässt von daher wenig Gutes erahnen. Und tatsächlich: das neue Trendwort, das sich aus den chinesischen Wörtern für “Plastik” (塑料 sùliào) und “Hoch-/Standardsprache” (普通话 pǔtōnghuà) zusammensetzt, ist die wenig schmeichelhafte Bezeichnung für holpriges Hochchinesisch mit deutlichem dialektalen Einschlag.

    Angelehnt ist die Neuschöpfung an den Jargon der Gamerszene, wo bestimmte Spieler je nach Spielstärke als Bronze-, Silber-, Gold-, Platin- oder Diamant-Player gerankt werden. Plastik-Player laufen dagegen unter ferner liefen. Wir kennen ähnliche Kategorisierungen traditionell bei Hochzeitsjubiläen: Silberhochzeit (25 Ehejahre), Goldene Hochzeit (50 Ehejahre), Diamanthochzeit (60 Ehejahre). Die Plastikhochzeit dagegen: 2 Jahre. Aber das nur als Eselsbrücke.  

    Zwar ist Hochchinesisch längst die in China allgemein verbreitete Schul- und Verkehrssprache. Und selbst in noch so abgelegen Landstrichen wird Putonghua heute durchweg verstanden und – so denn der gute Wille vorhanden – auch einigermaßen verständlich artikuliert. Doch der Einfluss regionaler Dialekte und Sprachvarianten macht es trotzdem bis heute mancher chinesischen Zunge schwer, mit der eigenen Standardaussprache so richtig warm zu werden. In einigen Regionen steht man mit bestimmten Lauten traditionell auf Kriegsfuß. Das Ergebnis ist eine charakteristische dialektale Färbung, mit der sich der Sprechende unter Landsleuten herkunftsmäßig schnell entlarvt. Jenseits der eigenen lokalen Community sorgen diese systematischen Ausspracheschnitzer nicht selten für (meist liebevoll gemeinten) Spott.

    Ein Running Gag ist unter Chinesen zum Beispiel die “F-H-Schwäche” der Fujianer (echte Fujianer sind also “Hujianer”). Oder der liebenswerte artikulatorische blinde Fleck der Sichuaner, Hubeier und Hunaner bei der Unterscheidung von “l” und “n”. (Wer Bekannte aus diesen Gegenden foppen will, lässt sie am besten ein paar mal das Wort “Männerbasketballmannschaft” aufsagen: 男子篮球队 nánzǐ lánqiúduì). Im Nordwesten des Landes (西北 Xīběi), etwa in Xinjiang, Gansu oder Ningxia, pfeift man dagegen auf die feine Unterscheidung zwischen nasalen und nicht nasalen konsonantischen Auslauten (“spät” oder “Netz”? – wǎn 晚 vs. wǎng 网, “Herz” oder “Stern”? – 心 xīn vs. 星 xīng).

    Auch die kosmopolitischen Shanghaier bekommen ihr Fett weg: si oder shi, ci oder chi? Hier wird nach guter südchinesischer Manier alles zur ersteren Variante eingeebnet. Tonresistente Ausländer treibt das an der Supermarktkasse manches Mal in den Wahnsinn. Kostet das Klopapier nun 14 oder 41 Kuai (sísì? – sìsí!). Doch auch im Norden hat man mit der Hochsprache so seine Problemchen. Die Hauptstädter pflegen nicht nur, an alle möglichen Silben das berühmte Pekinger “er” (北京儿化音 Běijīng érhuàyīn) anzuhängen: 串儿 chuàrrr “Spieße”, 街儿 jiērrr “Straße”, 楼儿 lóurrr “Haus”, 门儿 mérrr “Tür”. Sie tendieren überdies dazu, vieles zu vernuscheln: gebratenes Ei mit Tomate (xīhóngshì chǎo jīdàn) wird in Peking schnell mal zu “xiōngshì chǎo jīdàn”.

    Wer sich also beim Chinesischlernern zwischen Tonlagen, Zischlauten und Pressvokalen verheddert, darf sich ein wenig getröstet fühlen – mit dem eigenen “Plastikchinesisch” ist man selbst in China nicht alleine!

    Verena Menzel leitet in Peking die Sprachschule New Chinese.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen