die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang sind real. Tatsächlich sind auch einige Kriterien für einen Genozid erfüllt. Das sagt uns die renommierte Sinologin Kristin Shi-Kupfer von der Universität Trier. Ihre Stimme hat Gewicht. Als deutsche Professorin arbeitet sie unabhängig und trägt gesichertes Wissen zusammen. Sie hat die einschlägigen Veröffentlichungen auf ihre Glaubwürdigkeit geprüft und durch eigene Forschung ergänzt. Im Gespräch mit Felix Lee wirft sie deutschen Konzernen nun Blauäugigkeit vor, wenn sie Unwissen über den Umgang mit den Uiguren heucheln. Für Manager dürfte das Interview mit der Expertin für Religion und soziale Konflikte auch noch an weiteren Stellen interessant sein.
Ein gewisses Maß an Heuchelei – diesmal in der Klimapolitik – umgibt auch den Emissionshandel. Im Laufe dieses Monats werden auch in China die Stromversorger in den Handel einbezogen. Die aufstrebende Volkswirtschaft befindet sich hier jedoch im gleichen Dilemma wie das alte Europa, analysiert Nico Beckert. Es ist zwar längst Konsens, dass sich die Lasten durch einen Marktmechanismus besonders fair und effizient verteilen lassen. Doch beide Wirtschaftsräume zögern, den erlaubten Ausstoß wirksam herunterzufahren. Sie wollen eine Belastung des kostbaren Wachstums vermeiden. Das ist schade. Denn in China wie in Europa ist das Instrument eine wichtige Waffe im Kampf gegen die Erderwärmung.

Frau Shi-Kupfer, am 5. Juli jährt sich der Tag der gewaltsamen Zusammenstöße von Uiguren und Han-Chinesen in Urumqi zum elften Mal. Für die muslimische Minderheit der Uiguren in Xinjiang verschlechtert sich ihre Lage seit Jahren. Die G7-Staaten haben sich dennoch erst bei Ihrem letzten Treffen darauf geeinigt, die Menschenrechtsverletzungen zu verurteilen. Warum fällt das den westlichen Regierungen so schwer?
Da sind die unterschiedlich intensiven wirtschaftlichen Verflechtungen, die einzelne Länder mit China haben, allen voran Deutschland. Dann gibt es unterschiedliche Einschätzungen, inwiefern Sanktionen die Lage in Xinjiang überhaupt verbessern. Und: Wird ein solches Vergehen negative Auswirkungen auf Verhandlungen zum Beispiel in Bereichen wie globale Gesundheitspolitik oder Klimapolitik haben, wo man ja explizit mit China zusammenarbeiten möchte? Schließlich dürfte die zuletzt sehr in den Mittelpunkt gerückte Frage, ob es sich bei dem Vorgehen Chinas in Xinjiang um einen Genozid handelt, auch eine frühere konzertierte Stellungnahme erschwert haben.
Und? Handelt es sich um einen Genozid?
Einige nationale Parlamente und auch namhafte Experten haben Chinas Vorgehen als solches bezeichnet. Schaut man sich die entsprechende UN-Konvention an, dann gibt es dort einige Kriterien, die erfüllt sind, etwa Maßnahmen zur Verhinderung von Geburten oder auch Zufügung schwerer körperlicher und seelischer Schäden. Aus meiner Sicht scheinen die Repressionen gegen Uiguren und andere ethnische Minderheiten nicht auf deren physische Eliminierung und Tötung, sondern auf eine Vernichtung und Brechung ihrer Identität abzuzielen.
Was ist aus wissenschaftlicher Sicht bekannt über die Lage in Xinjiang?
Angefangen von Satellitenbildern, über geleakte Dokumente der chinesischen Behörden, bis hin zu jede Menge Zeugenaussagen von Betroffenen, die von mentaler und physischer Folter berichten, gibt es eine Reihe gesicherter Quellen. Inzwischen haben auch chinesische Aufseher und Lehrer ausgesagt, die bezeugen konnten, dass Menschen in Internierungslagern verschwanden und nicht wieder aufgetaucht sind. Und wir haben die Studien des Wissenschaftlers Adrian Zenz (China.Table berichtete).
Zenz ist nicht nur von chinesischer Seite, sondern auch von einer Reihe westlicher China-Kenner für seine Studien heftig kritisiert worden.
Völlig zu Unrecht. Seine Studien sind absolut solide. Viele seiner Erkenntnisse hat er auf Basis von chinesischen Dokumenten minutiös ausgewertet, die Lokalbehörden im Internet publiziert haben. Wie glaubwürdig seine Quellen sind, zeigt sich auch am Verhalten der chinesischen Regierung. Sie hat ihre Äußerungen nach und nach angepasst und immer mehr davon auch zugegeben.
Was die geleakten Dokumenten betrifft, so sagt Beijing hauptsächlich, die Lage würde verzerrt dargestellt. Folter und Zwangssterilisationen bestreitet die chinesische Führung. Aber dass China Internierungslager betreibt, bestreitet sie nicht mehr grundsätzlich. Ihre Vertreter begründen solche Maßnahmen unter anderem mit Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. Zwischendurch behauptete Beijing auch, diese Lager dienten der beruflichen Fortbildung. Was die Fakten angeht, so hat die chinesische Regierung mehr und mehr zugegeben, immer wenn etwas öffentlich geworden ist. Aber die Interpretation unterscheidet sich.
Die zentrale Frage ist doch: In welchem Ausmaß? Die Zahlen der inhaftierten Uiguren schwanken zwischen 100.000 und einer Million.
Verschiedene Studien haben die erstmals von der UN im August 2018 formulierte Schätzung von rund einer Millionen unabhängig voneinander bestätigt, als prozentualer Anteil (10 Prozent) an der uigurischen Bevölkerung in Xinjiang (rund 11 Millionen) auf Basis von lokalen Daten. Später wurden auch Angehörige anderer Minderheiten in diesen Lagern festgehalten. Die genaue Zahl festzustellen, ist wohl unmöglich. Das Ausmaß kann und sollte man aber nicht nur quantitativ bemessen.
Schockierend ist, mit welcher Systematik die chinesische Führung die Unterdrückung der Uiguren und anderer ethnischer Minderheit plant und vorantreibt: Die Größe der Lager, die auf Satellitenbildern zu sehen sind. Die Budgets, die auf lokaler Ebene für Überwachungstechnologien ausgegeben werden. Das Alltagsleben ist schon seit Jahren sukzessive eingeschränkt und wird überwacht. Die eigentlich in der chinesischen Verfassung zugesicherte Freiheit der Ausübungen von anerkannten Religionen, wie auch der Islam eine ist, wird massiv behindert. Überall auf den Straßen sind Checkpoints eingerichtet und Überwachungskameras installiert. Xinjiang ist ein digitales Labor, in dem ein ganzes System an Sicherheits- und Überwachungstechnologien ineinandergreift.
Elektronische Überwachung findet doch in ganz China statt.
Überwachungskameras mit Gesichtserkennung, großangelegte Datenspeicherung und auch menschliche Beobachtungsmaßnahmen – ja, all das findet in ganz China statt. Doch in Xinjiang sind die Maßnahmen systematischer und auch invasiver. Einzelne Datenbanken sind sehr viel mehr integriert und Menschen werden flächendeckend gezwungen Überwachungsapps auf Handys zu installieren. Die Kontrollmaßnahmen in Wohnvierteln oder auch Supermärkten ist etwas, was auch manchen Han-Chinesen in Xinjiang zu weit geht.
Wie sollten Staaten auf China reagieren, die sich zur Wahrung der Menschenrechte verpflichtet haben?
Ein konzertiertes Vorgehen ist immer am wirkungsvollsten. Ich halte auch die neuen EU-Sanktionsmechanismen für richtig. Die EU sanktioniert einzelne Verantwortliche für die Vergehen in Xinjiang und sendet damit ein deutliches Signal, ohne gleich ein ganzes Land und seine Bevölkerung an den Pranger zu stellen.
Was sicherlich auch hilfreich wäre, sich in der öffentlichen Kritik an China noch viel stärker auf die vorliegenden, konkreten, vor allem auch die chinesischen Dokumente, und die internationale Rechtsnormen wie die verschiedenen UN-Konventionen etwa gegen Folter, rassistische Diskriminierung oder auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zu berufen. Chinas Führung hat diese ratifiziert und verletzt sie somit. Diese verpflichtenden Normen gelten für China genauso wie für andere Länder. Diese Auskunft halte ich auch gegenüber der chinesischen Bevölkerung für wichtig. Denn sonst bekommen viele den Eindruck, die Maßnahmen richteten sich per se gegen ihr Land.
Die chinesische Regierung hat dann immer leichteres Spiel, den Nationalismus anzufachen à la: “Die westlichen Länder wollen, dass es in Xinjiang unruhig bleibt, dass weiter terroristische Anschläge stattfinden, so dass sie China in seiner Entwicklung klein halten können.” Für eine wirkungsvolle Politik gegenüber der chinesischen Regierung müssen allerdings auch die Unternehmen, flankiert von Regierungen, ihre Rolle in der Region kritisch reflektieren und Konsequenzen ziehen.
Nun tut sich angesichts der guten wirtschaftlichen Beziehungen gerade die Bundesregierung schwer mit allzu scharfer Kritik an China.
Keine Frage, wirtschaftlich sind Deutschland und China eng miteinander verflochten. Allerdings warne ich vor der Schlussfolgerung, Deutschland sei zu abhängig von China und könne sich deswegen keine an klaren Prinzipien orientierte Politik erlauben. Wie verschiedene Studien, unter anderem auch die von dem Mercator Institut für Chinastudien, belegt haben, greift diese Darstellung zu kurz. Es sind einzelne Branchen und Firmen, die zu einem hohen Maß vom Handel mit China profitieren. Die Haltung von Kanzlerin Merkel, die chinesische Führung bloß nicht zu sehr zu brüskieren, um andere Kooperationsmöglichkeiten nicht zu verbauen, ist weder gegenüber Beijing überzeugend, noch zielführend für die eigenen Interessen.
Wie soll eine künftige Bundesregierung das den deutschen Unternehmen erklären, die in China Bomben-Geschäfte machen?
Dieser vermeintliche Gegensatz – Handel auf der einen Seite, Prinzipien und Werte auf der anderen – ist keiner. Im Gegenteil: Es geht um Rechtsstaatlichkeit, als Grundpfeiler eines transparenten Interagierens. Verlässliche Strukturen und Planungssicherheit sind auch für Wirtschaftsakteure wichtig. Die chinesische Regierung hat aber mit einer Reihe von Gesetzen, jüngste Beispiele sind das Gesetz gegen ausländische Sanktionen oder auch das Datensicherheitsgesetz, seine Zugriffsmöglichkeiten auf Unternehmen und Institutionen auch im Ausland in einer Art und Weise ausgeweitet, die für wirtschaftliche Akteure zunehmend unberechenbare Folgen haben können. Hier sollten Firmen dringend genauer hinschauen. Mein Eindruck ist aber, dass bei mehr und mehr Unternehmern ein Nachdenken in Bezug auf ihr Engagement in China stattfindet und sie sich in anderen Regionen nach Alternativen umschauen, etwa im indopazifischen Raum.
Dass Volkswagen auf Drängen der Führung ein Werk in Urumqi errichtet hat als Gegenleistung für Genehmigungen für zwei weitere Werke im boomenden Osten Chinas, war also eine falsche Entscheidung?
Es ist mehr als fragwürdig von VW oder auch anderen Unternehmen entweder zu sagen: “Wir wissen nicht genau, was dort passiert.” Oder zu argumentieren: “Wir prüfen alles umfassend und fragen gegebenenfalls bei den chinesischen Behördern nach, wenn einer unser uigurischen Mitarbeiter nicht auftaucht.” Ein solches unabhängiges Monitoring lässt sich in Xinjiang aus meiner Sicht nicht gewährleisten.
Ist China nicht wirtschaftlich so stark, dass es ihm egal sein kann, was die USA oder die Europäer sagen?
Wie der Westen über China denkt, hat in Peking schon noch großen Einfluss. Die Gegensanktionen, die China gegen EU-Politiker und Wissenschaftler verhängt hat, und die ganze Forschungseinrichtungen gleich miteingeschlossen haben, sind nicht gerade ein Zeichen der Stärke, sondern ein Verteidigungsgebaren – zumal es offensichtlich auch Risse innerhalb der politischen Eliten Chinas in Bezug auf die Politik in Xinjiang gibt. Den geleakten Dokumenten konnten wir entnehmen, dass in Xinjiang auch einige Kader verhaftet worden sind, angeblich wegen Korruption, einige aber auch wegen mangelnder Loyalität. Das weist daraufhin, dass es innerhalb der weiteren politischen Elite Stimmen gibt, die mit dem Vorgehen in Xinjiang ebenfalls nicht einverstanden waren. Die chinesische Regierung bangt zudem um ihr Image und die Gelegenheit sich zu inszenieren mit Blick auf die Olympischen Winterspiele im kommenden Jahr. Im Westen werden ja bereits Boykott-Aufrufe laut.
Aber trifft das die Führung noch? Schließlich ist Peking 2022 nicht mehr das Peking der Olympischen Sommerspiele von 2008, als China wirklich noch um die Gunst der Außenwelt buhlte.
Ich denke, es trifft sie auch weiterhin. Es gibt auch innerhalb des Landes Stimmen, die sich ein freiheitlicheres, gerechteres und damit weltoffeneres China wünschen. Manche Stimmen warnen auch vor zu viel Gegenwind der liberalen Demokratien, weil dies China den Zugang zu Technologien und Märkten erschwert. Vertreter von Unternehmen wie Huawei oder Alibaba, die global expandieren wollen, haben selbst zugegeben, dass es nicht immer von Vorteil ist, ein chinesisches Unternehmen zu sein. Xi Jinping ist darauf angewiesen, all diese Interessen zu berücksichtigen. Meines Erachtens ist er nicht der allmächtige Führungspolitiker, für den ihn viele halten.
Kristin Shi-Kupfer, 46, ist Professorin für Sinologie an der Universität Trier. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die digitale Gesellschaft, Religiongspolitik sowie sozialer Wandel. Außerdem ist sie Senior Research Fellow am Mercator Institut für China-Studien (Merics).
China ist der weltweit größte Verursacher von Treibhausgasen. Die Klimaziele der Volksrepublik sind ambitioniert. Bis 2030 will sie den Höhepunkt der CO2-Emissionen und bis 2060 Kohlenstoff-Neutralität erreichen. Wie die EU setzt Peking zur Zielerreichung zunehmend auf marktwirtschaftliche Instrumente. Seit einem Jahrzehnt bereitet Peking ein System für den Emissionshandel vor. Der Kompromiss, auf den sich Politik, Industrieverbände und große Unternehmen geeinigt haben, enttäuscht jedoch, wie eine Analyse von Carbon Brief zeigt. Es wird erwartet, dass der Emissionshandel im Laufe des Juli starten wird.
Die Idee hinter Emissionshandelssystemen ist, dem Ausstoß von CO2 einen Preis zu geben und CO2-Zertifikate an einer Art Börse zu handeln. Unternehmen, die ihren CO2-Ausstoß reduzieren, können ihre “Verschmutzungsrechte” am Markt verkaufen. Weniger nachhaltige Unternehmen müssen CO2-Zertifikate dazukaufen, was auf ihre Wettbewerbsfähigkeit schlägt. Je mehr Wirtschaftssektoren am Emissionshandel teilnehmen müssen, desto besser für das Klima.
Das chinesische System enttäuscht in dieser Hinsicht: Nur ein Wirtschaftssektor muss am Handel teilnehmen. Zudem gibt es weder eine Obergrenze an CO2-Zertifikaten noch ist derzeit geplant, über die nächsten Jahre CO2-Zertifikate aus dem Markt zu nehmen. Das ist in einem Emissionshandel jedoch dringend geboten, um den Druck für Klima-Innovationen in Unternehmen aufrechtzuerhalten und nationale CO2-Minderungsziele zu erreichen.
Der landesweite Emissionshandel umfasst jetzt nur den Strom- und Wärmesektor sowie Kraftwerke, die Fabriken direkt mit Strom versorgen. 98 Prozent der Kraftwerke, die am ersten Zyklus des Emissionshandels 2021 teilnehmen, verfeuern Kohle. Die restlichen Teilnehmer betreiben Gaskraftwerke. Laut Carbon Brief umfasst der Handel nur “eine geringe Zahl von Gaskraftwerken”. Allerdings ist der Gasanteil im Strommix Chinas mit etwas unter neun Prozent auch relativ gering.
Die derzeitige Ausrichtung unterscheidet sich erheblich von den ursprünglichen Plänen. Diese haben noch viel mehr Sektoren abgedeckt. Noch Anfang 2016 war geplant, auch die Branchen Chemie und Raffinerien, Zementherstellung, Stahl sowie Zellstoff- und Papierproduktion und sogar den Flugverkehr in den Handel einzubeziehen.
Das Ergebnis: Der Emissionshandel umfasst in seiner derzeitigen Form nur 40 Prozent der chinesischen Emissionen. Die geringe Zahl liegt am hohen Emissionsanteil der chinesischen Industrie. Sie ist für fast 30 Prozent aller CO2-Emissionen der Volksrepublik verantwortlich.
Das chinesische System setzt zudem recht zweifelhafte Anreize. Es wurde auf “die dreckigsten und am wenigsten effizienten” Kohlekraftwerke ausgerichtet, so Carbon Brief. Kraftwerke, die 50 Prozent mehr CO2 ausstoßen, als das System ihnen eigentlich zugeteilt hat, müssen nur Zertifikate für 20 Prozent dieser Emissionen am Markt dazukaufen. Das werde zu einem Überangebot an Zertifikaten führen, sagen Branchenexperten. Dementsprechend wird beim Handelsstart mit einem Preis pro Tonne CO2 von umgerechnet lediglich 7,60 US-Dollar gerechnet. Das ist zwar doppelt so viel wie in den chinesischen Pilotprojekten zum Emissionshandel. Doch der chinesische CO2-Preis läge weit unter dem in der EU. Nach dem langsamen Start ist der Preis in Europa Anfang Juli auf über 57 Euro gestiegen.
Darüber hinaus verfügt das Emissions-Handelssystem Chinas kaum über scharfe Sanktionsmöglichkeiten. Es drohen lediglich Strafen von umgerechnet bis zu 4.600 US-Dollar, wenn Unternehmen sich nicht an die Regeln halten oder den Behörden falsche Informationen über ihre Emissionen übermitteln.
In seiner derzeitigen Form wird der chinesische Emissionshandel “wahrscheinlich keine Auswirkungen” auf die CO2-Emissionen Chinas haben, sagt Liu Hongqiao von Carbon Brief. Wie schon in der Vergangenheit gibt es aktuell jedoch erneut Wasserstandsmeldungen darüber, dass der Emissionshandel bald auf weitere Sektoren ausgeweitet wird. “Die Zementindustrie wird definitiv nächstes Jahr einbezogen, sowie auch elektrolytisches Aluminium“, sagt Zhang Xiliang, Leiter des technischen Gremiums zur Gesamtkonzeption des nationalen Emissionshandelssystems laut dem Wirtschaftsportal Caixin. Noch während des 14. Fünfjahresplans (2021-2025) sollen demzufolge auch die Stahl- und Chemieindustrie integriert werden.
Laut Yan Qin, Klimaanalystin von Refinitiv, einem Anbieter von Finanzmarktdaten, wurden bisher die Industrieverbände für
vom verantwortlichen Umweltministerium dazu aufgerufen, sich auf die Einbindung in den Emissionshandel vorzubereiten.
Wie der Emissionshandel in China aufgebaut ist und durchgesetzt wird, könnte zeitnah auch eine Rolle für den europäischen Markt spielen. Denn am 14. Juli wird die EU-Kommission ihr “Fit for 55”-Klimapaket vorstellen, das eine Reihe an umweltpolitischen Regulierungsvorschlägen im Rahmen des Green Deals enthält. Das Paket enthält auch einen Gesetzesentwurf für den sogenannten CO2-Grenzausgleich. Die in Brüssel als Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) bekannte Regulierung soll Importprodukte, die in Drittstaaten klimaschädlicher als in Europa hergestellt wurden, an den Grenzen der EU teurer machen. Bei der Berechnung der Abgabe an den EU-Grenzen soll jedoch berücksichtigt werden, ob die Handelspartner im eigenen Land eine CO2-Bepreisung haben, etwa durch einen Handel mit Zertifikaten. Details, wie der Mechanismus im Zusammenspiel mit China genau funktionieren wird, sind noch offen. Mitarbeit: Amelie Richter
Die kommunistische Führung hat bei einer feierlichen Zeremonie offiziell verkündet, dass es ihr Ziel eines “bescheidenen Wohlstands” erreicht hat. “Wir haben das erste Ziel zum 100-jährigen Bestehen, den Aufbau einer in jeder Hinsicht maßvoll wohlhabenden Gesellschaft, erreicht, sagte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping. Er sprach von einer “Xiaokang”-Gesellschaft, einem traditionellen Begriff aus der chinesischen Kaiserzeit, das übersetzt “friedliches und glückliches Leben” heißt.
Ziel der chinesischen Führung war eine Eliminierung der absoluten Armut sowie eine Verdopplung des Einkommens sowohl der städtischen als auch der ländlichen Bevölkerung bis Ende 2020 im Vergleich zu 2010 (China.Table berichtete). Dieses Ziel sei mehr als erreicht worden, berichtet Chinas Staatssender CGTN. In dem Beitrag wird auch noch mal darauf verwiesen, wie arm die Volksrepublik bis in die späten 1990er-Jahren noch war und welche Sprünge das Land seitdem gemacht hat.
Tatsächlich ist China inzwischen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund 15 Billionen US-Dollar (Deutschland: 3,9 Billionen Dollar). Das Pro-Kopf-BIP liegt bei etwas 10.000 Dollar, zehnmal höher als im Jahr 2000, das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen erreichte 2020 umgerechnet etwa 4.650 Dollar. Damit steht China ganz oben auf der Liste der Länder mit mittlerem Einkommen. Den Status einer wohlhabenden Industrienation hat das Land bislang aber nicht erreicht. flee
Nur wenige Tage nach seinem Börsengang muss der Fahrdienstleister Didi Chuxing einen Angriff der chinesischen Regulierungsbehörden hinnehmen. Die Cyberspace Administration hat Chinas Internetfirmen am Samstag angewiesen, Didi aus den App-Stores zu entfernen. Das berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. Die beliebte App lässt sich derzeit nicht neu herunterladen. Die Begründung listet Verstöße gegen Datenschutzregeln auf. Sobald Didi sich an nationale Standards halte, sei eine Wiederaufnahme in die Stores möglich.
Der Didi-Börsengang in New York hatte 4,4 Milliarden Dollar eingebracht (China.Table berichtete). Chinas Behörden gehen zuletzt immer strenger gegen Regelverstöße durch Technikfirmen vor. Vor allem die neue Gesetze zum Umgang mit persönlich Daten bedeuten für viele der Anbieter eine Umstellung. Erste Untersuchungen der Praktiken bei Didi haben bereits im Juni begonnen (China.Table berichtete). Dort ging es aber zunächst um Fragen des Kartellrechts und des fairen Wettbewerbs. fin
Die japanische Modekette Uniqlo hat Vorwürfe der französischen Justiz zurückgewiesen, sie profitiere von der Ausbeutung der Uiguren in China. Uniqlo werde “vollkommen mit den Ermittlern zusammenarbeiten, um zu bekräftigen, dass es keine Zwangsarbeit in unseren Lieferketten gibt”, teilte das Unternehmen der Nachrichtenagentur AFP mit. Uniqlo verwies demnach auf Kontrollen seiner Lieferketten durch Dritte, um Menschenrechtsverletzungen bei der Produktion zu vermeiden.
Diese Kontrollen hätten “keinen Beweis für Zwangsarbeit oder andere Menschenrechtsverletzungen bei irgendeinem Zulieferer” erbracht, erklärte Uniqlo dem Bericht zufolge. Sollte dies der Fall sein, werde Uniqlo die Zusammenarbeit stoppen. Die französische Justiz ermittelt gegen vier internationale Kleiderketten, neben Uniqlo sind der spanische Inditex-Konzern mit Ketten wie Zara, die Pariser SMCP-Gruppe und der US-Schuhhersteller Skechers betroffen.
Die Antikorruptions-Organisation Sherpa hatte gemeinsam mit einer Uigurin und zwei weiteren NGOs die Firmen bereits im April eine Anzeige gegen die Firmen eingereicht (China.Table berichtete). Die Organisationen berufen sich auf einen Bericht der australischen NGO ASPI (Australian Strategic Policy Institute) vom März 2020, in dem der Einsatz von Uigur:innen als Zwangsarbeiter:innen offengelegt wurde. ari
Der japanische Technik-Konzern Sony befindet sich in der PR-Defensive, weil er für den 7. Juli zu einer Produktvorstellung eingeladen hatte. Das Datum markiert den Jahrestag des Zwischenfalls auf der Marco-Polo-Brücke, mit dem 1937 die japanische Invastion in China begann. Der patriotischen Netzgemeinde fiel das sofort auf; einzelne Nutzer unterstellten dem Unternehmen Absicht bei der Wahl des Tages. Sony sagte die Veranstaltung ab und entschuldigte sich auf Weibo.
Der Beginn des zweiten sino-japanischen Kriegs als Teil des Zweiten Weltkriegs ist für China ein Datum von erheblicher Bedeutung und durchaus auch heute noch im Geschichtsbewusstsein präsent. Zuletzt ist die Sensitivität gegenüber solchen Jahrestagen deutlich angestiegen, so dass japanischen Unternehmen besondere Vorsicht walten lassen müssen, um nicht die chinesischen Gefühle zu verletzen. fin
Chinesische Astronauten haben auf Chinas neuer Raumstation ihren ersten Außeneinsatz begonnen. Die Taikonauten Liu Boming und Tang Hongbo verließen am Sonntag das Kernmodul der Raumstation “Tiangong” (himmlischer Palast), berichtet der chinesische Staatssender CCTV. Während ihres mehrstündigen Einsatzes sollen sie Arbeiten am Roboterarm vornehmen, eine Panoramakamera einrichten und Tests vornehmen. Es handelt sich um einen von zwei geplanten Außeneinsätzen während ihres dreimonatigen Aufenthalts an Bord der Tiangong. Für China war es der erst zweite Weltraumspaziergang überhaupt. Bei einem Einsatz im September 2008 war erstmals ein Taikonaut aus dem Raumschiff Shenzhou 7 ausgestiegen, allerdings nur für rund 20 Minuten.
China hatte Mitte Juni die erste bemannte Mission zur Tiangong gestartet, deren Kernmodul Tianhe Ende April in seine Erdumlaufbahn gebracht worden war. Die Raumstation soll bis Ende 2022 fertiggestellt werden. Die Volksrepublik hat in den vergangenen Jahren Milliardensummen in seine Raumfahrtprogramme gesteckt, um zu den Raumfahrtnationen USA und Russland aufzuschließen. Bis Ende kommenden Jahres plant Peking allein elf Raketenstarts, drei davon sind bemannte Missionen zur Raumstation. flee

Die erste Chinareise nach Peking schreckte Caspar Welbergen erst einmal ab. Als Schüler wurde er von der Fremdheit dieser neuen Kultur so übermannt, dass er das Thema China erst einmal ruhen ließ. Dabei hatte der heute 38-Jährige damals schon drei Jahre Chinesischunterricht genommen. “Ich bin dafür einmal die Woche quer durch Frankfurt zu einer anderen Schule gefahren, da das die erste Möglichkeit war, Chinesisch zu lernen.”
Mittlerweile ist der Kulturschock aber nicht nur überwunden, Welbergen setzt sich seit Februar 2020 als Geschäftsführer des neugegründeten Bildungsnetzwerks China dafür ein, dass Schüler in Deutschland die Möglichkeit haben, die chinesische Kultur kennenzulernen. Es gebe noch viel zu selten die Möglichkeit, China zum prägenden Teil der Bildungsbiografie zu machen. Das passe nicht mit der wachsenden Bedeutung Chinas zusammen, findet Caspar Welbergen: “Es gibt eine große Diskrepanz zwischen der Intensität der politischen und wirtschaftlichen Verbindung zwischen China und Deutschland und der Kenntnis, die wir über China haben.”
Auf den Lehrplänen spielt China keine Rolle, aber auch freiwilliges Engagement in nachmittäglichen Arbeitskreisen oder Sprachkursen ist an deutschen Schulen weiterhin rar. Das liege auch am Föderalismus, findet Welbergen und verweist auf Frankreich, wo es mehr Sprachangebote gibt.
Gerade die Ästhetik der Sprache ist laut Caspar Welbergen für junge Menschen häufig der Einstieg in die chinesische Kultur. Zu Beginn seines Studiums erinnerte er sich auch wieder an sein Interesse an Mandarin und belegte erst einmal als Gast sinologische Vorlesungen. “Ich bin dann einfach sitzen geblieben”, erzählt Welbergen. Dem ursprünglichen Hauptfach Volkswirtschaftslehre blieb dann nur die Nebenrolle.
Ein einjähriger Shanghai-Aufenthalt während des Studiums brachte nach dem ersten China-Schock als Schüler dann doch Begeisterung für die chinesische Kultur und besonders den chinesischen Tatendrang, sich selbst und dem Land eine Zukunft aufzubauen. “Eines der besten Bücher, das ich in der Vergangenheit über China gelesen habe, ist ‘Age of Ambition’ von Evan Osnos, dem ehemaligen China-Korrespondenten von The New Yorker“, sagt Welbergen. “Es beschreibt genau diese Mentalität.”
Vor der Gründung des Bildungsnetzwerks war Caspar Welbergen sechs Jahre Leiter des Pekinger Büros der Stiftung Mercator. In dieser Zeit baute er das Büro auf, knüpfte Kontakte zwischen Europa und China und organisierte auch damals schon den Schüleraustausch zwischen Deutschland und China. Davon profitiert das Bildungsnetzwerk heute, das eine Initiative der Stiftung Mercator und dem Goethe-Institut ist. Dennoch schränkt das Coronavirus die Arbeit aktuell weiter stark ein. “Ein Schul-Austausch mit einer Reise nach China wird für Gruppen wohl erst im kommenden Jahr möglich sein”, meint Welbergen.
Damit deutsche und chinesische Schüler aber schon jetzt in Kontakt treten können, bietet das Bildungsnetzwerk virtuelle Begegnungen an. Dort nehmen die Schüler ihre Umgebung mit 360-Grad-Kameras auf und führen ihre Austauschgäste digital durch die eigene Lebenswelt. Das könnte übrigens auch nach Corona weiterhin Bestandteil im Vorfeld der Schüleraustausche bleiben – dann ist auch die Gefahr geringer, dass einen der Kulturschock übermannt. David Renke

Das muss ich haben! Wem dieser Gedanke im Hirn herumspukt, dem hat wohl jemand einen Floh ins Ohr gesetzt, oder besser gesagt: ein “Gräschen” in den Kopf “gepflanzt” (种草 zhòngcǎo). So nämlich heißt es auf “Neuchinesisch”, wenn jemandem Produkte durch Empfehlung so schmackhaft gemacht werden, dass Kaufgelüste sprießen. Befriedigt man diese, spricht man analog von “Gräschen ausrupfen” (拔草 bácǎo). Lässt es der Geldbeutel dagegen nicht zu, “wachsen” und gedeihen die Kräuter im Hinterkopf (长草 zhǎngcǎo) solange bis man den Kauf tätigt.
Gras- und Kräutergärtner, die den mentalen Hinterhofgarten munter bepflanzen, gibt es im Reich der Mitte wirklich zur Genüge. Im Alltag verschwimmen die Grenzen zwischen Werbebewuchs und Wirklichkeit schon auf dem Weg ins Büro. Während man sich im morgendlichen Rushhour-Gedrängel in der Pekinger U-Bahn am Gebrauchtwagenwerbehaltegriff festkrallt, guckt man in die Tunnelröhre vor dem Fenster, wo Projektoren neueste Onlinerabattaktionen an die Wand flimmern. Das lenkt den Blick unweigerlich zurück auf den Smartphone-Bildschirm, wo die Werbetrommel fröhlich weiterhämmert: WeChat Moments (微信朋友圈 Wēixìn péngyouquān), Weibo (微博 Wēibó), Douyin (抖音 Dǒuyīn), Toutiao (今日头条 Jīnrì Tóutiáo) … in allen Applikationen durchweben – mehr oder weniger gut gekennzeichnet – Produkthinweise das Content-Geflecht. Da ist es nur folgerichtig, dass mit Xiǎohóngshū 小红书 (wörtl. “Kleines rotes Buch”) mittlerweile eine App durchstartet, die sich ganz unverhohlen auf Produktempfehlungen spezialisiert hat. Hier stellen Nutzer:innen Video- und Textbeiträge online, in denen sie Produkte testen, vergleichen und bewerten.
Zu den eigentlichen Großgärtnern unter den Gräschenpflanzern zählen aber ohne Zweifel Chinas Celebrities. Deren Konterfeis lächeln nämlich nicht nur von Werbe-Griffen und WeChat-Anzeigen, sondern auch von zahlreichen Produktverpackungen im Supermarkt – von der Tarochips-Tüte bis zur Kräuterteedose. Anders als in westlichen Sphären, wo sich Firmen oft Exklusivverträge mit einzelnen Promis als Markenbotschaftern und Werbeträgern (代言人 dàiyánrén) sichern, kosten chinesische Stars und Sternchen (明星 míngxīng) die Sternstunden ihres Ruhms oft gehörig aus, in dem sie sich parallel gleich für mehrere Unternehmen und Produkte als Werbezugpferd vor den Karren spannen lassen.
Viel zu jäten haben unterdes auch die Zuschauer chinesischer Realityshows (真人秀 zhēnrénxiù). Nicht nur, dass die Logos der Hauptsponsoren quasi ununterbrochen durch jede Einstellung der Boomformate blinken und so tief im Unterbewusstsein des Publikums wurzeln. Auch die (meist prominenten) Teilnehmer säen kräftig mit! Zum Beispiel indem sie die Sponsorenprodukte während der Sendung selbst konsumieren. So etwa zu sehen in den bisherigen Staffeln der Erfolgs-Musikshow “The Big Band” (乐队的夏天 yuèduì de xiàtiān), wo die teilnehmenden Bandmitglieder zwischen den Gigs immer wieder kamerawirksam an Sponsorentrinkpäckchen mit Milch- und Fruchtgetränken nuckelten. Die Macher des Streaming-Hits “Sisters Who Makes Waves” (乘风破浪的姐姐 chéngfēngpòlàng de jiějie) hatten eine noch pfiffigere Idee: Warum viel Geld für aufwendig produzierte Werbeeinspieler ausgeben? Sie spannten stattdessen kurzerhand die berühmten Protagonistinnen der Show als “weiche” Werbepatinnen ein. In der Sendung waren dann letztlich immer wieder Zwischeneinspieler zu sehen, in denen sich die teilnehmenden Sängerinnen und Schauspielerinnen “ganz nebenbei” gegenseitig Produkte empfahlen. Damit trieb die Graspflanzkultur ganz neue Blüten.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule www.new-chinese.org.
die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang sind real. Tatsächlich sind auch einige Kriterien für einen Genozid erfüllt. Das sagt uns die renommierte Sinologin Kristin Shi-Kupfer von der Universität Trier. Ihre Stimme hat Gewicht. Als deutsche Professorin arbeitet sie unabhängig und trägt gesichertes Wissen zusammen. Sie hat die einschlägigen Veröffentlichungen auf ihre Glaubwürdigkeit geprüft und durch eigene Forschung ergänzt. Im Gespräch mit Felix Lee wirft sie deutschen Konzernen nun Blauäugigkeit vor, wenn sie Unwissen über den Umgang mit den Uiguren heucheln. Für Manager dürfte das Interview mit der Expertin für Religion und soziale Konflikte auch noch an weiteren Stellen interessant sein.
Ein gewisses Maß an Heuchelei – diesmal in der Klimapolitik – umgibt auch den Emissionshandel. Im Laufe dieses Monats werden auch in China die Stromversorger in den Handel einbezogen. Die aufstrebende Volkswirtschaft befindet sich hier jedoch im gleichen Dilemma wie das alte Europa, analysiert Nico Beckert. Es ist zwar längst Konsens, dass sich die Lasten durch einen Marktmechanismus besonders fair und effizient verteilen lassen. Doch beide Wirtschaftsräume zögern, den erlaubten Ausstoß wirksam herunterzufahren. Sie wollen eine Belastung des kostbaren Wachstums vermeiden. Das ist schade. Denn in China wie in Europa ist das Instrument eine wichtige Waffe im Kampf gegen die Erderwärmung.

Frau Shi-Kupfer, am 5. Juli jährt sich der Tag der gewaltsamen Zusammenstöße von Uiguren und Han-Chinesen in Urumqi zum elften Mal. Für die muslimische Minderheit der Uiguren in Xinjiang verschlechtert sich ihre Lage seit Jahren. Die G7-Staaten haben sich dennoch erst bei Ihrem letzten Treffen darauf geeinigt, die Menschenrechtsverletzungen zu verurteilen. Warum fällt das den westlichen Regierungen so schwer?
Da sind die unterschiedlich intensiven wirtschaftlichen Verflechtungen, die einzelne Länder mit China haben, allen voran Deutschland. Dann gibt es unterschiedliche Einschätzungen, inwiefern Sanktionen die Lage in Xinjiang überhaupt verbessern. Und: Wird ein solches Vergehen negative Auswirkungen auf Verhandlungen zum Beispiel in Bereichen wie globale Gesundheitspolitik oder Klimapolitik haben, wo man ja explizit mit China zusammenarbeiten möchte? Schließlich dürfte die zuletzt sehr in den Mittelpunkt gerückte Frage, ob es sich bei dem Vorgehen Chinas in Xinjiang um einen Genozid handelt, auch eine frühere konzertierte Stellungnahme erschwert haben.
Und? Handelt es sich um einen Genozid?
Einige nationale Parlamente und auch namhafte Experten haben Chinas Vorgehen als solches bezeichnet. Schaut man sich die entsprechende UN-Konvention an, dann gibt es dort einige Kriterien, die erfüllt sind, etwa Maßnahmen zur Verhinderung von Geburten oder auch Zufügung schwerer körperlicher und seelischer Schäden. Aus meiner Sicht scheinen die Repressionen gegen Uiguren und andere ethnische Minderheiten nicht auf deren physische Eliminierung und Tötung, sondern auf eine Vernichtung und Brechung ihrer Identität abzuzielen.
Was ist aus wissenschaftlicher Sicht bekannt über die Lage in Xinjiang?
Angefangen von Satellitenbildern, über geleakte Dokumente der chinesischen Behörden, bis hin zu jede Menge Zeugenaussagen von Betroffenen, die von mentaler und physischer Folter berichten, gibt es eine Reihe gesicherter Quellen. Inzwischen haben auch chinesische Aufseher und Lehrer ausgesagt, die bezeugen konnten, dass Menschen in Internierungslagern verschwanden und nicht wieder aufgetaucht sind. Und wir haben die Studien des Wissenschaftlers Adrian Zenz (China.Table berichtete).
Zenz ist nicht nur von chinesischer Seite, sondern auch von einer Reihe westlicher China-Kenner für seine Studien heftig kritisiert worden.
Völlig zu Unrecht. Seine Studien sind absolut solide. Viele seiner Erkenntnisse hat er auf Basis von chinesischen Dokumenten minutiös ausgewertet, die Lokalbehörden im Internet publiziert haben. Wie glaubwürdig seine Quellen sind, zeigt sich auch am Verhalten der chinesischen Regierung. Sie hat ihre Äußerungen nach und nach angepasst und immer mehr davon auch zugegeben.
Was die geleakten Dokumenten betrifft, so sagt Beijing hauptsächlich, die Lage würde verzerrt dargestellt. Folter und Zwangssterilisationen bestreitet die chinesische Führung. Aber dass China Internierungslager betreibt, bestreitet sie nicht mehr grundsätzlich. Ihre Vertreter begründen solche Maßnahmen unter anderem mit Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. Zwischendurch behauptete Beijing auch, diese Lager dienten der beruflichen Fortbildung. Was die Fakten angeht, so hat die chinesische Regierung mehr und mehr zugegeben, immer wenn etwas öffentlich geworden ist. Aber die Interpretation unterscheidet sich.
Die zentrale Frage ist doch: In welchem Ausmaß? Die Zahlen der inhaftierten Uiguren schwanken zwischen 100.000 und einer Million.
Verschiedene Studien haben die erstmals von der UN im August 2018 formulierte Schätzung von rund einer Millionen unabhängig voneinander bestätigt, als prozentualer Anteil (10 Prozent) an der uigurischen Bevölkerung in Xinjiang (rund 11 Millionen) auf Basis von lokalen Daten. Später wurden auch Angehörige anderer Minderheiten in diesen Lagern festgehalten. Die genaue Zahl festzustellen, ist wohl unmöglich. Das Ausmaß kann und sollte man aber nicht nur quantitativ bemessen.
Schockierend ist, mit welcher Systematik die chinesische Führung die Unterdrückung der Uiguren und anderer ethnischer Minderheit plant und vorantreibt: Die Größe der Lager, die auf Satellitenbildern zu sehen sind. Die Budgets, die auf lokaler Ebene für Überwachungstechnologien ausgegeben werden. Das Alltagsleben ist schon seit Jahren sukzessive eingeschränkt und wird überwacht. Die eigentlich in der chinesischen Verfassung zugesicherte Freiheit der Ausübungen von anerkannten Religionen, wie auch der Islam eine ist, wird massiv behindert. Überall auf den Straßen sind Checkpoints eingerichtet und Überwachungskameras installiert. Xinjiang ist ein digitales Labor, in dem ein ganzes System an Sicherheits- und Überwachungstechnologien ineinandergreift.
Elektronische Überwachung findet doch in ganz China statt.
Überwachungskameras mit Gesichtserkennung, großangelegte Datenspeicherung und auch menschliche Beobachtungsmaßnahmen – ja, all das findet in ganz China statt. Doch in Xinjiang sind die Maßnahmen systematischer und auch invasiver. Einzelne Datenbanken sind sehr viel mehr integriert und Menschen werden flächendeckend gezwungen Überwachungsapps auf Handys zu installieren. Die Kontrollmaßnahmen in Wohnvierteln oder auch Supermärkten ist etwas, was auch manchen Han-Chinesen in Xinjiang zu weit geht.
Wie sollten Staaten auf China reagieren, die sich zur Wahrung der Menschenrechte verpflichtet haben?
Ein konzertiertes Vorgehen ist immer am wirkungsvollsten. Ich halte auch die neuen EU-Sanktionsmechanismen für richtig. Die EU sanktioniert einzelne Verantwortliche für die Vergehen in Xinjiang und sendet damit ein deutliches Signal, ohne gleich ein ganzes Land und seine Bevölkerung an den Pranger zu stellen.
Was sicherlich auch hilfreich wäre, sich in der öffentlichen Kritik an China noch viel stärker auf die vorliegenden, konkreten, vor allem auch die chinesischen Dokumente, und die internationale Rechtsnormen wie die verschiedenen UN-Konventionen etwa gegen Folter, rassistische Diskriminierung oder auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zu berufen. Chinas Führung hat diese ratifiziert und verletzt sie somit. Diese verpflichtenden Normen gelten für China genauso wie für andere Länder. Diese Auskunft halte ich auch gegenüber der chinesischen Bevölkerung für wichtig. Denn sonst bekommen viele den Eindruck, die Maßnahmen richteten sich per se gegen ihr Land.
Die chinesische Regierung hat dann immer leichteres Spiel, den Nationalismus anzufachen à la: “Die westlichen Länder wollen, dass es in Xinjiang unruhig bleibt, dass weiter terroristische Anschläge stattfinden, so dass sie China in seiner Entwicklung klein halten können.” Für eine wirkungsvolle Politik gegenüber der chinesischen Regierung müssen allerdings auch die Unternehmen, flankiert von Regierungen, ihre Rolle in der Region kritisch reflektieren und Konsequenzen ziehen.
Nun tut sich angesichts der guten wirtschaftlichen Beziehungen gerade die Bundesregierung schwer mit allzu scharfer Kritik an China.
Keine Frage, wirtschaftlich sind Deutschland und China eng miteinander verflochten. Allerdings warne ich vor der Schlussfolgerung, Deutschland sei zu abhängig von China und könne sich deswegen keine an klaren Prinzipien orientierte Politik erlauben. Wie verschiedene Studien, unter anderem auch die von dem Mercator Institut für Chinastudien, belegt haben, greift diese Darstellung zu kurz. Es sind einzelne Branchen und Firmen, die zu einem hohen Maß vom Handel mit China profitieren. Die Haltung von Kanzlerin Merkel, die chinesische Führung bloß nicht zu sehr zu brüskieren, um andere Kooperationsmöglichkeiten nicht zu verbauen, ist weder gegenüber Beijing überzeugend, noch zielführend für die eigenen Interessen.
Wie soll eine künftige Bundesregierung das den deutschen Unternehmen erklären, die in China Bomben-Geschäfte machen?
Dieser vermeintliche Gegensatz – Handel auf der einen Seite, Prinzipien und Werte auf der anderen – ist keiner. Im Gegenteil: Es geht um Rechtsstaatlichkeit, als Grundpfeiler eines transparenten Interagierens. Verlässliche Strukturen und Planungssicherheit sind auch für Wirtschaftsakteure wichtig. Die chinesische Regierung hat aber mit einer Reihe von Gesetzen, jüngste Beispiele sind das Gesetz gegen ausländische Sanktionen oder auch das Datensicherheitsgesetz, seine Zugriffsmöglichkeiten auf Unternehmen und Institutionen auch im Ausland in einer Art und Weise ausgeweitet, die für wirtschaftliche Akteure zunehmend unberechenbare Folgen haben können. Hier sollten Firmen dringend genauer hinschauen. Mein Eindruck ist aber, dass bei mehr und mehr Unternehmern ein Nachdenken in Bezug auf ihr Engagement in China stattfindet und sie sich in anderen Regionen nach Alternativen umschauen, etwa im indopazifischen Raum.
Dass Volkswagen auf Drängen der Führung ein Werk in Urumqi errichtet hat als Gegenleistung für Genehmigungen für zwei weitere Werke im boomenden Osten Chinas, war also eine falsche Entscheidung?
Es ist mehr als fragwürdig von VW oder auch anderen Unternehmen entweder zu sagen: “Wir wissen nicht genau, was dort passiert.” Oder zu argumentieren: “Wir prüfen alles umfassend und fragen gegebenenfalls bei den chinesischen Behördern nach, wenn einer unser uigurischen Mitarbeiter nicht auftaucht.” Ein solches unabhängiges Monitoring lässt sich in Xinjiang aus meiner Sicht nicht gewährleisten.
Ist China nicht wirtschaftlich so stark, dass es ihm egal sein kann, was die USA oder die Europäer sagen?
Wie der Westen über China denkt, hat in Peking schon noch großen Einfluss. Die Gegensanktionen, die China gegen EU-Politiker und Wissenschaftler verhängt hat, und die ganze Forschungseinrichtungen gleich miteingeschlossen haben, sind nicht gerade ein Zeichen der Stärke, sondern ein Verteidigungsgebaren – zumal es offensichtlich auch Risse innerhalb der politischen Eliten Chinas in Bezug auf die Politik in Xinjiang gibt. Den geleakten Dokumenten konnten wir entnehmen, dass in Xinjiang auch einige Kader verhaftet worden sind, angeblich wegen Korruption, einige aber auch wegen mangelnder Loyalität. Das weist daraufhin, dass es innerhalb der weiteren politischen Elite Stimmen gibt, die mit dem Vorgehen in Xinjiang ebenfalls nicht einverstanden waren. Die chinesische Regierung bangt zudem um ihr Image und die Gelegenheit sich zu inszenieren mit Blick auf die Olympischen Winterspiele im kommenden Jahr. Im Westen werden ja bereits Boykott-Aufrufe laut.
Aber trifft das die Führung noch? Schließlich ist Peking 2022 nicht mehr das Peking der Olympischen Sommerspiele von 2008, als China wirklich noch um die Gunst der Außenwelt buhlte.
Ich denke, es trifft sie auch weiterhin. Es gibt auch innerhalb des Landes Stimmen, die sich ein freiheitlicheres, gerechteres und damit weltoffeneres China wünschen. Manche Stimmen warnen auch vor zu viel Gegenwind der liberalen Demokratien, weil dies China den Zugang zu Technologien und Märkten erschwert. Vertreter von Unternehmen wie Huawei oder Alibaba, die global expandieren wollen, haben selbst zugegeben, dass es nicht immer von Vorteil ist, ein chinesisches Unternehmen zu sein. Xi Jinping ist darauf angewiesen, all diese Interessen zu berücksichtigen. Meines Erachtens ist er nicht der allmächtige Führungspolitiker, für den ihn viele halten.
Kristin Shi-Kupfer, 46, ist Professorin für Sinologie an der Universität Trier. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die digitale Gesellschaft, Religiongspolitik sowie sozialer Wandel. Außerdem ist sie Senior Research Fellow am Mercator Institut für China-Studien (Merics).
China ist der weltweit größte Verursacher von Treibhausgasen. Die Klimaziele der Volksrepublik sind ambitioniert. Bis 2030 will sie den Höhepunkt der CO2-Emissionen und bis 2060 Kohlenstoff-Neutralität erreichen. Wie die EU setzt Peking zur Zielerreichung zunehmend auf marktwirtschaftliche Instrumente. Seit einem Jahrzehnt bereitet Peking ein System für den Emissionshandel vor. Der Kompromiss, auf den sich Politik, Industrieverbände und große Unternehmen geeinigt haben, enttäuscht jedoch, wie eine Analyse von Carbon Brief zeigt. Es wird erwartet, dass der Emissionshandel im Laufe des Juli starten wird.
Die Idee hinter Emissionshandelssystemen ist, dem Ausstoß von CO2 einen Preis zu geben und CO2-Zertifikate an einer Art Börse zu handeln. Unternehmen, die ihren CO2-Ausstoß reduzieren, können ihre “Verschmutzungsrechte” am Markt verkaufen. Weniger nachhaltige Unternehmen müssen CO2-Zertifikate dazukaufen, was auf ihre Wettbewerbsfähigkeit schlägt. Je mehr Wirtschaftssektoren am Emissionshandel teilnehmen müssen, desto besser für das Klima.
Das chinesische System enttäuscht in dieser Hinsicht: Nur ein Wirtschaftssektor muss am Handel teilnehmen. Zudem gibt es weder eine Obergrenze an CO2-Zertifikaten noch ist derzeit geplant, über die nächsten Jahre CO2-Zertifikate aus dem Markt zu nehmen. Das ist in einem Emissionshandel jedoch dringend geboten, um den Druck für Klima-Innovationen in Unternehmen aufrechtzuerhalten und nationale CO2-Minderungsziele zu erreichen.
Der landesweite Emissionshandel umfasst jetzt nur den Strom- und Wärmesektor sowie Kraftwerke, die Fabriken direkt mit Strom versorgen. 98 Prozent der Kraftwerke, die am ersten Zyklus des Emissionshandels 2021 teilnehmen, verfeuern Kohle. Die restlichen Teilnehmer betreiben Gaskraftwerke. Laut Carbon Brief umfasst der Handel nur “eine geringe Zahl von Gaskraftwerken”. Allerdings ist der Gasanteil im Strommix Chinas mit etwas unter neun Prozent auch relativ gering.
Die derzeitige Ausrichtung unterscheidet sich erheblich von den ursprünglichen Plänen. Diese haben noch viel mehr Sektoren abgedeckt. Noch Anfang 2016 war geplant, auch die Branchen Chemie und Raffinerien, Zementherstellung, Stahl sowie Zellstoff- und Papierproduktion und sogar den Flugverkehr in den Handel einzubeziehen.
Das Ergebnis: Der Emissionshandel umfasst in seiner derzeitigen Form nur 40 Prozent der chinesischen Emissionen. Die geringe Zahl liegt am hohen Emissionsanteil der chinesischen Industrie. Sie ist für fast 30 Prozent aller CO2-Emissionen der Volksrepublik verantwortlich.
Das chinesische System setzt zudem recht zweifelhafte Anreize. Es wurde auf “die dreckigsten und am wenigsten effizienten” Kohlekraftwerke ausgerichtet, so Carbon Brief. Kraftwerke, die 50 Prozent mehr CO2 ausstoßen, als das System ihnen eigentlich zugeteilt hat, müssen nur Zertifikate für 20 Prozent dieser Emissionen am Markt dazukaufen. Das werde zu einem Überangebot an Zertifikaten führen, sagen Branchenexperten. Dementsprechend wird beim Handelsstart mit einem Preis pro Tonne CO2 von umgerechnet lediglich 7,60 US-Dollar gerechnet. Das ist zwar doppelt so viel wie in den chinesischen Pilotprojekten zum Emissionshandel. Doch der chinesische CO2-Preis läge weit unter dem in der EU. Nach dem langsamen Start ist der Preis in Europa Anfang Juli auf über 57 Euro gestiegen.
Darüber hinaus verfügt das Emissions-Handelssystem Chinas kaum über scharfe Sanktionsmöglichkeiten. Es drohen lediglich Strafen von umgerechnet bis zu 4.600 US-Dollar, wenn Unternehmen sich nicht an die Regeln halten oder den Behörden falsche Informationen über ihre Emissionen übermitteln.
In seiner derzeitigen Form wird der chinesische Emissionshandel “wahrscheinlich keine Auswirkungen” auf die CO2-Emissionen Chinas haben, sagt Liu Hongqiao von Carbon Brief. Wie schon in der Vergangenheit gibt es aktuell jedoch erneut Wasserstandsmeldungen darüber, dass der Emissionshandel bald auf weitere Sektoren ausgeweitet wird. “Die Zementindustrie wird definitiv nächstes Jahr einbezogen, sowie auch elektrolytisches Aluminium“, sagt Zhang Xiliang, Leiter des technischen Gremiums zur Gesamtkonzeption des nationalen Emissionshandelssystems laut dem Wirtschaftsportal Caixin. Noch während des 14. Fünfjahresplans (2021-2025) sollen demzufolge auch die Stahl- und Chemieindustrie integriert werden.
Laut Yan Qin, Klimaanalystin von Refinitiv, einem Anbieter von Finanzmarktdaten, wurden bisher die Industrieverbände für
vom verantwortlichen Umweltministerium dazu aufgerufen, sich auf die Einbindung in den Emissionshandel vorzubereiten.
Wie der Emissionshandel in China aufgebaut ist und durchgesetzt wird, könnte zeitnah auch eine Rolle für den europäischen Markt spielen. Denn am 14. Juli wird die EU-Kommission ihr “Fit for 55”-Klimapaket vorstellen, das eine Reihe an umweltpolitischen Regulierungsvorschlägen im Rahmen des Green Deals enthält. Das Paket enthält auch einen Gesetzesentwurf für den sogenannten CO2-Grenzausgleich. Die in Brüssel als Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) bekannte Regulierung soll Importprodukte, die in Drittstaaten klimaschädlicher als in Europa hergestellt wurden, an den Grenzen der EU teurer machen. Bei der Berechnung der Abgabe an den EU-Grenzen soll jedoch berücksichtigt werden, ob die Handelspartner im eigenen Land eine CO2-Bepreisung haben, etwa durch einen Handel mit Zertifikaten. Details, wie der Mechanismus im Zusammenspiel mit China genau funktionieren wird, sind noch offen. Mitarbeit: Amelie Richter
Die kommunistische Führung hat bei einer feierlichen Zeremonie offiziell verkündet, dass es ihr Ziel eines “bescheidenen Wohlstands” erreicht hat. “Wir haben das erste Ziel zum 100-jährigen Bestehen, den Aufbau einer in jeder Hinsicht maßvoll wohlhabenden Gesellschaft, erreicht, sagte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping. Er sprach von einer “Xiaokang”-Gesellschaft, einem traditionellen Begriff aus der chinesischen Kaiserzeit, das übersetzt “friedliches und glückliches Leben” heißt.
Ziel der chinesischen Führung war eine Eliminierung der absoluten Armut sowie eine Verdopplung des Einkommens sowohl der städtischen als auch der ländlichen Bevölkerung bis Ende 2020 im Vergleich zu 2010 (China.Table berichtete). Dieses Ziel sei mehr als erreicht worden, berichtet Chinas Staatssender CGTN. In dem Beitrag wird auch noch mal darauf verwiesen, wie arm die Volksrepublik bis in die späten 1990er-Jahren noch war und welche Sprünge das Land seitdem gemacht hat.
Tatsächlich ist China inzwischen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund 15 Billionen US-Dollar (Deutschland: 3,9 Billionen Dollar). Das Pro-Kopf-BIP liegt bei etwas 10.000 Dollar, zehnmal höher als im Jahr 2000, das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen erreichte 2020 umgerechnet etwa 4.650 Dollar. Damit steht China ganz oben auf der Liste der Länder mit mittlerem Einkommen. Den Status einer wohlhabenden Industrienation hat das Land bislang aber nicht erreicht. flee
Nur wenige Tage nach seinem Börsengang muss der Fahrdienstleister Didi Chuxing einen Angriff der chinesischen Regulierungsbehörden hinnehmen. Die Cyberspace Administration hat Chinas Internetfirmen am Samstag angewiesen, Didi aus den App-Stores zu entfernen. Das berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. Die beliebte App lässt sich derzeit nicht neu herunterladen. Die Begründung listet Verstöße gegen Datenschutzregeln auf. Sobald Didi sich an nationale Standards halte, sei eine Wiederaufnahme in die Stores möglich.
Der Didi-Börsengang in New York hatte 4,4 Milliarden Dollar eingebracht (China.Table berichtete). Chinas Behörden gehen zuletzt immer strenger gegen Regelverstöße durch Technikfirmen vor. Vor allem die neue Gesetze zum Umgang mit persönlich Daten bedeuten für viele der Anbieter eine Umstellung. Erste Untersuchungen der Praktiken bei Didi haben bereits im Juni begonnen (China.Table berichtete). Dort ging es aber zunächst um Fragen des Kartellrechts und des fairen Wettbewerbs. fin
Die japanische Modekette Uniqlo hat Vorwürfe der französischen Justiz zurückgewiesen, sie profitiere von der Ausbeutung der Uiguren in China. Uniqlo werde “vollkommen mit den Ermittlern zusammenarbeiten, um zu bekräftigen, dass es keine Zwangsarbeit in unseren Lieferketten gibt”, teilte das Unternehmen der Nachrichtenagentur AFP mit. Uniqlo verwies demnach auf Kontrollen seiner Lieferketten durch Dritte, um Menschenrechtsverletzungen bei der Produktion zu vermeiden.
Diese Kontrollen hätten “keinen Beweis für Zwangsarbeit oder andere Menschenrechtsverletzungen bei irgendeinem Zulieferer” erbracht, erklärte Uniqlo dem Bericht zufolge. Sollte dies der Fall sein, werde Uniqlo die Zusammenarbeit stoppen. Die französische Justiz ermittelt gegen vier internationale Kleiderketten, neben Uniqlo sind der spanische Inditex-Konzern mit Ketten wie Zara, die Pariser SMCP-Gruppe und der US-Schuhhersteller Skechers betroffen.
Die Antikorruptions-Organisation Sherpa hatte gemeinsam mit einer Uigurin und zwei weiteren NGOs die Firmen bereits im April eine Anzeige gegen die Firmen eingereicht (China.Table berichtete). Die Organisationen berufen sich auf einen Bericht der australischen NGO ASPI (Australian Strategic Policy Institute) vom März 2020, in dem der Einsatz von Uigur:innen als Zwangsarbeiter:innen offengelegt wurde. ari
Der japanische Technik-Konzern Sony befindet sich in der PR-Defensive, weil er für den 7. Juli zu einer Produktvorstellung eingeladen hatte. Das Datum markiert den Jahrestag des Zwischenfalls auf der Marco-Polo-Brücke, mit dem 1937 die japanische Invastion in China begann. Der patriotischen Netzgemeinde fiel das sofort auf; einzelne Nutzer unterstellten dem Unternehmen Absicht bei der Wahl des Tages. Sony sagte die Veranstaltung ab und entschuldigte sich auf Weibo.
Der Beginn des zweiten sino-japanischen Kriegs als Teil des Zweiten Weltkriegs ist für China ein Datum von erheblicher Bedeutung und durchaus auch heute noch im Geschichtsbewusstsein präsent. Zuletzt ist die Sensitivität gegenüber solchen Jahrestagen deutlich angestiegen, so dass japanischen Unternehmen besondere Vorsicht walten lassen müssen, um nicht die chinesischen Gefühle zu verletzen. fin
Chinesische Astronauten haben auf Chinas neuer Raumstation ihren ersten Außeneinsatz begonnen. Die Taikonauten Liu Boming und Tang Hongbo verließen am Sonntag das Kernmodul der Raumstation “Tiangong” (himmlischer Palast), berichtet der chinesische Staatssender CCTV. Während ihres mehrstündigen Einsatzes sollen sie Arbeiten am Roboterarm vornehmen, eine Panoramakamera einrichten und Tests vornehmen. Es handelt sich um einen von zwei geplanten Außeneinsätzen während ihres dreimonatigen Aufenthalts an Bord der Tiangong. Für China war es der erst zweite Weltraumspaziergang überhaupt. Bei einem Einsatz im September 2008 war erstmals ein Taikonaut aus dem Raumschiff Shenzhou 7 ausgestiegen, allerdings nur für rund 20 Minuten.
China hatte Mitte Juni die erste bemannte Mission zur Tiangong gestartet, deren Kernmodul Tianhe Ende April in seine Erdumlaufbahn gebracht worden war. Die Raumstation soll bis Ende 2022 fertiggestellt werden. Die Volksrepublik hat in den vergangenen Jahren Milliardensummen in seine Raumfahrtprogramme gesteckt, um zu den Raumfahrtnationen USA und Russland aufzuschließen. Bis Ende kommenden Jahres plant Peking allein elf Raketenstarts, drei davon sind bemannte Missionen zur Raumstation. flee

Die erste Chinareise nach Peking schreckte Caspar Welbergen erst einmal ab. Als Schüler wurde er von der Fremdheit dieser neuen Kultur so übermannt, dass er das Thema China erst einmal ruhen ließ. Dabei hatte der heute 38-Jährige damals schon drei Jahre Chinesischunterricht genommen. “Ich bin dafür einmal die Woche quer durch Frankfurt zu einer anderen Schule gefahren, da das die erste Möglichkeit war, Chinesisch zu lernen.”
Mittlerweile ist der Kulturschock aber nicht nur überwunden, Welbergen setzt sich seit Februar 2020 als Geschäftsführer des neugegründeten Bildungsnetzwerks China dafür ein, dass Schüler in Deutschland die Möglichkeit haben, die chinesische Kultur kennenzulernen. Es gebe noch viel zu selten die Möglichkeit, China zum prägenden Teil der Bildungsbiografie zu machen. Das passe nicht mit der wachsenden Bedeutung Chinas zusammen, findet Caspar Welbergen: “Es gibt eine große Diskrepanz zwischen der Intensität der politischen und wirtschaftlichen Verbindung zwischen China und Deutschland und der Kenntnis, die wir über China haben.”
Auf den Lehrplänen spielt China keine Rolle, aber auch freiwilliges Engagement in nachmittäglichen Arbeitskreisen oder Sprachkursen ist an deutschen Schulen weiterhin rar. Das liege auch am Föderalismus, findet Welbergen und verweist auf Frankreich, wo es mehr Sprachangebote gibt.
Gerade die Ästhetik der Sprache ist laut Caspar Welbergen für junge Menschen häufig der Einstieg in die chinesische Kultur. Zu Beginn seines Studiums erinnerte er sich auch wieder an sein Interesse an Mandarin und belegte erst einmal als Gast sinologische Vorlesungen. “Ich bin dann einfach sitzen geblieben”, erzählt Welbergen. Dem ursprünglichen Hauptfach Volkswirtschaftslehre blieb dann nur die Nebenrolle.
Ein einjähriger Shanghai-Aufenthalt während des Studiums brachte nach dem ersten China-Schock als Schüler dann doch Begeisterung für die chinesische Kultur und besonders den chinesischen Tatendrang, sich selbst und dem Land eine Zukunft aufzubauen. “Eines der besten Bücher, das ich in der Vergangenheit über China gelesen habe, ist ‘Age of Ambition’ von Evan Osnos, dem ehemaligen China-Korrespondenten von The New Yorker“, sagt Welbergen. “Es beschreibt genau diese Mentalität.”
Vor der Gründung des Bildungsnetzwerks war Caspar Welbergen sechs Jahre Leiter des Pekinger Büros der Stiftung Mercator. In dieser Zeit baute er das Büro auf, knüpfte Kontakte zwischen Europa und China und organisierte auch damals schon den Schüleraustausch zwischen Deutschland und China. Davon profitiert das Bildungsnetzwerk heute, das eine Initiative der Stiftung Mercator und dem Goethe-Institut ist. Dennoch schränkt das Coronavirus die Arbeit aktuell weiter stark ein. “Ein Schul-Austausch mit einer Reise nach China wird für Gruppen wohl erst im kommenden Jahr möglich sein”, meint Welbergen.
Damit deutsche und chinesische Schüler aber schon jetzt in Kontakt treten können, bietet das Bildungsnetzwerk virtuelle Begegnungen an. Dort nehmen die Schüler ihre Umgebung mit 360-Grad-Kameras auf und führen ihre Austauschgäste digital durch die eigene Lebenswelt. Das könnte übrigens auch nach Corona weiterhin Bestandteil im Vorfeld der Schüleraustausche bleiben – dann ist auch die Gefahr geringer, dass einen der Kulturschock übermannt. David Renke

Das muss ich haben! Wem dieser Gedanke im Hirn herumspukt, dem hat wohl jemand einen Floh ins Ohr gesetzt, oder besser gesagt: ein “Gräschen” in den Kopf “gepflanzt” (种草 zhòngcǎo). So nämlich heißt es auf “Neuchinesisch”, wenn jemandem Produkte durch Empfehlung so schmackhaft gemacht werden, dass Kaufgelüste sprießen. Befriedigt man diese, spricht man analog von “Gräschen ausrupfen” (拔草 bácǎo). Lässt es der Geldbeutel dagegen nicht zu, “wachsen” und gedeihen die Kräuter im Hinterkopf (长草 zhǎngcǎo) solange bis man den Kauf tätigt.
Gras- und Kräutergärtner, die den mentalen Hinterhofgarten munter bepflanzen, gibt es im Reich der Mitte wirklich zur Genüge. Im Alltag verschwimmen die Grenzen zwischen Werbebewuchs und Wirklichkeit schon auf dem Weg ins Büro. Während man sich im morgendlichen Rushhour-Gedrängel in der Pekinger U-Bahn am Gebrauchtwagenwerbehaltegriff festkrallt, guckt man in die Tunnelröhre vor dem Fenster, wo Projektoren neueste Onlinerabattaktionen an die Wand flimmern. Das lenkt den Blick unweigerlich zurück auf den Smartphone-Bildschirm, wo die Werbetrommel fröhlich weiterhämmert: WeChat Moments (微信朋友圈 Wēixìn péngyouquān), Weibo (微博 Wēibó), Douyin (抖音 Dǒuyīn), Toutiao (今日头条 Jīnrì Tóutiáo) … in allen Applikationen durchweben – mehr oder weniger gut gekennzeichnet – Produkthinweise das Content-Geflecht. Da ist es nur folgerichtig, dass mit Xiǎohóngshū 小红书 (wörtl. “Kleines rotes Buch”) mittlerweile eine App durchstartet, die sich ganz unverhohlen auf Produktempfehlungen spezialisiert hat. Hier stellen Nutzer:innen Video- und Textbeiträge online, in denen sie Produkte testen, vergleichen und bewerten.
Zu den eigentlichen Großgärtnern unter den Gräschenpflanzern zählen aber ohne Zweifel Chinas Celebrities. Deren Konterfeis lächeln nämlich nicht nur von Werbe-Griffen und WeChat-Anzeigen, sondern auch von zahlreichen Produktverpackungen im Supermarkt – von der Tarochips-Tüte bis zur Kräuterteedose. Anders als in westlichen Sphären, wo sich Firmen oft Exklusivverträge mit einzelnen Promis als Markenbotschaftern und Werbeträgern (代言人 dàiyánrén) sichern, kosten chinesische Stars und Sternchen (明星 míngxīng) die Sternstunden ihres Ruhms oft gehörig aus, in dem sie sich parallel gleich für mehrere Unternehmen und Produkte als Werbezugpferd vor den Karren spannen lassen.
Viel zu jäten haben unterdes auch die Zuschauer chinesischer Realityshows (真人秀 zhēnrénxiù). Nicht nur, dass die Logos der Hauptsponsoren quasi ununterbrochen durch jede Einstellung der Boomformate blinken und so tief im Unterbewusstsein des Publikums wurzeln. Auch die (meist prominenten) Teilnehmer säen kräftig mit! Zum Beispiel indem sie die Sponsorenprodukte während der Sendung selbst konsumieren. So etwa zu sehen in den bisherigen Staffeln der Erfolgs-Musikshow “The Big Band” (乐队的夏天 yuèduì de xiàtiān), wo die teilnehmenden Bandmitglieder zwischen den Gigs immer wieder kamerawirksam an Sponsorentrinkpäckchen mit Milch- und Fruchtgetränken nuckelten. Die Macher des Streaming-Hits “Sisters Who Makes Waves” (乘风破浪的姐姐 chéngfēngpòlàng de jiějie) hatten eine noch pfiffigere Idee: Warum viel Geld für aufwendig produzierte Werbeeinspieler ausgeben? Sie spannten stattdessen kurzerhand die berühmten Protagonistinnen der Show als “weiche” Werbepatinnen ein. In der Sendung waren dann letztlich immer wieder Zwischeneinspieler zu sehen, in denen sich die teilnehmenden Sängerinnen und Schauspielerinnen “ganz nebenbei” gegenseitig Produkte empfahlen. Damit trieb die Graspflanzkultur ganz neue Blüten.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule www.new-chinese.org.