Table.Briefing: China

Shanghai-Messe: E-Autos + E-Zigaretten + Lex Huawei + Xinjiang + Iveco + EU-Strategie + Berthold Kuhn

  • Deutsche Autobauer setzen voll auf E-Autos
  • Das Geschäft mit dem blauen Dunst
  • 5G mit Huawei? Eine Frage des Vertrauens
  • HRW: Verbrechen gegen Menschlichkeit in Xinjiang
  • Italien begrüßt geplatzten Iveco-Verkauf an FAW
  • EU legt Indo-Pazifik-Strategie vor
  • Berthold Kuhn: Konfrontation führt nicht zum Ziel
Liebe Leserin, lieber Leser,

die Grünen haben sich entschieden: Annalena Baerbock wird sie als Kanzlerkandidatin in den Bundestagswahlkampf führen. Ist sie erfolgreich, hätte das Folgen für Deutschlands Beziehungen zu China – zumindest, wenn man Baerbocks bisherigen Äußerungen Glauben schenkt. Denn sie fordert gegenüber der Volksrepublik eine harte Linie. Mit Peking sieht sie eine Systemrivalität, die weit über wirtschaftspolitische Fragen hinausgeht. “Sie ist eine substantielle Frage von Demokratie, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Ökologisierung”. Handel sei hierbei ein mächtiger Hebel, um Menschenrechte und demokratische Grundwerte zu verteidigen und zu stärken.

Wie würde eine Kanzlerin Baerbock wohl auf die Automesse in Shanghai blicken? Frank Sieren berichtet direkt aus den Messehallen und zeigt, wie sehr die deutschen Autobauer ihre Produktpalette an den Wünschen der chinesischen Kunden ausrichten.

Auch beim zweiten Schwerpunktthema würde bei Baerbock wohl das Misstrauen überwiegen: die Rolle Huaweis bei der geplanten Erweiterung des deutschen IT-Sicherheitsgesetzes. Der chinesische Netzwerkausrüster gilt als technisch versiert und vergleichsweise günstig. Doch um die Vertrauenswürdigkeit ist es nicht sonderlich bestellt, wie Marcel Grzanna in seinem Bericht zeigt.

Ning Wang stellt derweil den E-Zigaretten-Boom in China vor: Innerhalb von knapp drei Jahren konnten Unternehmen wie Relx Milliarden US-Dollar anhäufen. Doch damit könnte nun Schluss sein: Pekings Behörden wollen dem wilden Treiben ein Ende bereiten. Zumindest aus gesundheitlichen Gesichtspunkten könnte wohl auch eine grüne Kanzlerin diesem rigiden Vorgehen etwas abgewinnen.

Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht

Ihr
Michael Radunski
Bild von Michael  Radunski

Presseschau

Tesla Faces New China Test After Woman’s Auto-Show Protest Goes Viral WSJ
Campaigners call for global response to ‘unprecedented’ oppression in Xinjiang THE GUARDIAN
Meituan to raise $10bn in delayed deal after share price drop FT
‘Follow The Party Forever”: China Plans a Communist Birthday Bash NYTIMES PAY
EU to increase presence in Indo-Pacific under new strategy SCMP
China’s former trade chief pushes for US to join mega Asia-Pacific deal, with a ‘more positive attitude towards multilateralism’ SCMP
“Investment-Alternative”: China macht beim Bitcoin eine Kehrtwende T3N
Automesse in Shanghai: Mit E-Autos in China weiterwachsen TAGESSCHAU
In China ist Tesla den Deutschen enteilt FAZ PAY
Ungarn will China eine Elite-Uni mitten in der EU bauen lassen DER STANDARD
USA und China: Kampf um die weltweite Chip-Dominanz WELT

Analyse

Auto Shanghai 2021: Deutsche Autobauer setzen voll auf E-Autos

Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Ernst&Young (EY), die pünktlich zur Auto Shanghai 2021 in diesen Tagen veröffentlicht wurde, haben deutsche Autohersteller die Corona-Krise vergleichsweise gut überstanden. Demnach haben Daimler, Volkswagen und BMW mit einem Umsatzrückgang von zusammengefasst zehn Prozent, einem Absatzminus von 14 Prozent und einem Rückgang beim operativen Ergebnis von 26 Prozent im Durchschnitt deutlich besser abgeschnitten als große Autobauer anderer Länder.

Dabei habe vor allem das Chinageschäft die Bilanz der Automobilindustrie gerettet: 2020 sei fast jeder vierte Neuwagen von Volkswagen, BMW und Daimler an einen chinesischen Kunden gegangen. Betrachtet man die 17 größten Autokonzerne der Welt, sank der PKW-Gesamtabsatz dieser Hersteller in China lediglich um vier Prozent. In den USA betrug der Rückgang 14 Prozent, in Westeuropa ging der Absatz sogar um 25 Prozent zurück.

Das sorgt für großen Druck, in China auch weiterhin die Wünsche der Kunden zu treffen. Bei der Auto Shanghai entlädt sich dieser Druck spürbar in einem Feuerwerk neuer E-Modelle, die sich voll an den Ansprüchen des chinesischen Marktes ausrichten. Alle großen deutschen Autobauer arbeiten an Elektroantrieben mit hohen Reichweiten, einem möglichst autonomen Fahrerlebnis, immer hochwertigerer Technik, besseren Vernetzungsmöglichkeiten und mehr Schnittstellen für Unterhaltung. 

Auto Shanghai 2021: Mercedes-Benz

Daimler ist mit zwei Autos auf der Messe vertreten, dem E-SUV EQB und dem CLS Coupe. Der EQB, der an das GLB-Modell erinnert, wird mit Front- und Allradantrieb und unterschiedlichen Leistungsstufen mit bis zu 200 kW (272 PS) angeboten. Der größte Akku bietet eine Netto-Kapazität von 66,5 kWh. Die Ladezeit beträgt etwas mehr als 30 Minuten von 10 auf 80 Prozent. Die Reichweite des allradgetriebenen Topmodells EQB 350 4MATIC wird mit 478 Kilometern angegeben. Es soll später noch eine “besonders reichweitenstarke” Variante erscheinen. 

Das Ladevolumen liegt bei 495 bis 1710 Litern für den Fünfsitzer, beziehungsweise 465 bis 1620 Litern beim Siebensitzer. Der EBQ soll kurz nach seinem Debüt auf der Auto Shanghai Motor Show in China auf den Markt kommen. Erst danach soll die europäische Version folgen, wohl gegen Ende des Jahres. Das US-Modell soll gar erst 2022 folgen. “China ist nicht nur die wichtigste Pkw-Absatzregion für uns, sondern auch der weltweit führende Markt für Elektroautos“, erklärt Hubertus Troska, Vorstandsmitglied der Daimler AG. Einen Preis für das neue E-Gefährt nannte Mercedes-Benz noch nicht.

Das CLS Coupe, ein Klassiker im Portfolio von Daimler, hat ein Modellpflege verpasst bekommen. Wichtigste Änderung ist die Premiere eines neuen Diesels mit Mild-Hybrid-Technik. Dafür kombiniert Mercedes den 2,0 Liter großen und 195 kW/265 PS starken Vierzylinder mit einem elektrischen Startergenerator. Das soll die Anfahrstärke erhöhen und den Normverbrauch auf 5,5 Liter drücken (144 g/km CO2). Auf Tempo 100 schafft es der mit Allrad ausgestattete Diesel in 6,4 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit soll bei 250 km/h liegen. Allerdings wird es schwierig, das Fahrzeug in China auszufahren, da die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen bei 120 Kilometer pro Stunde liegt – und die Geschwindigkeit durch Kameras so flächendeckend überwacht wird, dass es kaum möglich ist, über die Stränge zu schlagen. Insofern sind die PS vor allem Statussymbol.

Auto Shanghai 2021: Volkswagen

Volkswagen hat einen vollelektrischen, 4,88 Meter langen SUV vorgestellt. Der ID.6, der auf der gleichen Plattform wie der ID.3 und der ID.4 basiert, hat Allradantrieb, bis zu sieben Sitze und eine Leistung von bis zu 225 Kilowatt (306 PS) in der höchsten Ausstattungslinie. Das Fahrzeug im Van-Format wird auch mit geringerer Motorleistung (132 kw) angeboten, dazu Batterien, die zwischen 58 und 77 Kilowattstunden liefern. 

Das kleinere Model soll 436 Kilometer weit fahren, bis es zur Ladestation muss. In der Allradvariante 4Motion soll das Fahrzeug von 0 auf 100 km/h in 6,6 Sekunden beschleunigen können und eine Spitzengeschwindigkeit von 160 km/h erreichen. Zwei Varianten, die sich nur in Design-Details unterscheiden, kommen unter dem Namen ID 6 heraus: Im Süden der SAIC-VW ID 6 X und im Norden der FAW-VW ID 6 Crozz. 

Zum Ausstattungsprogramm des ID.6 gehören 19 bis 21 Zoll große Felgen und ein großes Panoramaglasdach. Im Inneren fehlen physische Tasten und Schalter fast völlig. Stattdessen bedient der Fahrer ein 12 Zoll-Display mit Touch-Funktion sowie eine Sprachsteuerung. “Optional gibt es ein Augmented-Reality-Head-Up-Display, das einige Anzeigen mit der Realität fusioniert – Abbiegepfeile der Navigation beispielsweise werden spurgenau auf die Straße projiziert”, meldet das Unternehmen

Der ID.6 wird in den beiden chinesischen Werken Anting und Foshan gebaut und ist zunächst ausschließlich für den chinesischen Markt vorgesehen. “Mit dem neuen ID.6 bereiten wir die Basis dafür, dass bis 2030 mindestens 50 Prozent unseres Absatzes in China elektrisch fahren wird“, sagt VW-Markenchef Ralf Brandstätter. Bis 2023 will Volkswagen insgesamt acht ID-Modelle nach China bringen und bis 2030 mindestens 50 Prozent des Absatzes in China mit elektrischen Fahrzeugen erzielen. In der VW-Heimat Deutschland wird das Modell nicht angeboten. 

Auto Shanghai 2021: Audi

Audi bringt mit seinen chinesischen Joint-Ventures FAW und SAIC vier neue Fahrzeuge auf den Markt: das rein elektrische Konzeptfahrzeug Audi A6 e-tron, den rundum erneuerten Audi Q5L, den Audi A7L und ein noch in Tarnfolie gehülltes SUV-Konzept mit dem Namen Audi concept Shanghai – eines der ersten Produkte mit dem Gemeinschaftsunternehmen SAIC Audi. 

Der A6 e-tron ist ein 4,96 Meter langer und 1,96 Meter breiter Viertürer. Die 1,44 Meter hohe Karosserie definiert das Unternehmen als Sportback. Je nach Akkuausstattung und Antrieb soll ein Audi A6 E-Tron 700 Kilometer Reichweite bieten. Der Akku soll bis zu 100 kWh Energie speichern. Die beiden Elektromotoren des Audi A6 E-Tron Concept sollen eine Gesamtleistung von 350 kW und ein Drehmoment von 800 Newtonmetern liefern.

Was die Beschleunigung angeht, soll das Fahrzeug in der leistungsstärksten Baureihe in vier Sekunden von 0 auf 100 km/h kommen. Einen Blick in den Innenraum verwehrt der Autobauer. Bisher ist nur das Äußere zu sehen. Das Auto kommt ohne klassische Türgriffe und mit geschlossenem Kühlergrill. Über LED-Projektoren können die Blinker zusätzlich auf die Straße projiziert werden oder Fahrradfahrer vor öffnenden Autotüren gewarnt werden. 2023 soll der A6 E-Tron auf den Markt kommen. “Wir treiben den Wandel hin zur nachhaltigen Mobilität in China aktiv voran. Mit der neuen Konstellation schaffen wir dazu das perfekte Fundament und richten das Chinageschäft von Audi strategisch neu aus”, sagt Markus Duesmann, Vorsitzender des Vorstands der AUDI AG.

Die komplett neu entworfene Limousine Audi A7L ist eine Mischung aus A7 Sportback und einer großen Limousine. Das Modell soll bereits im Laufe des Jahres in Serie gehen. Sie wird in Shanghai gefertigt und ist bis auf weiteres nur für den chinesischen Markt vorgesehen. Audi will sein E-Portfolio bis 2025 auf rund 30 Modelle ausbauen, davon rund 20 rein batterie-elektrisch. Mit dem in Shanghai vorgestellten neuen Audi Q5L komplettiert die Marke das Update der Baureihe mit langem Radstand. 

Audi produziert im Joint Venture FAW-VW bereits an vier Standorten in China: in Changchun, Foshan, Tianjin und Qingdao. Im Jahr 2020 verkaufte das Unternehmen in der Volksrepublik insgesamt 727.358 Fahrzeuge – ein Plus von 5,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im ersten Quartal 2021 lieferte Audi 207.386 Fahrzeuge an chinesische Kunden aus. Gemeinsam mit dem langjährigen Joint-Venture-Partner FAW errichtet Audi zudem ein neues Automobilwerk für elektrisch angetriebene Modellen auf Basis der neuen Technik-Plattform PPE.

Die PPE (Premium Plattform Electric) hat Audi zusammen mit der Konzernschwester Porsche entwickelt. Diese ermöglicht eine Batteriekapazität von etwa 100 Kilowattstunden und eine Motorleistung bis zu 350 Kilowatt sowie ein flaches Akku-Layout und skalierbare Akkugrößen. Zukünftige Modelle auf PPE-Basis können wahlweise mit reinem Hinterrad- oder dem Audi-typischen quattro-Antrieb ausgestattet werden.

Auto Shanghai 2021: BMW

BMW präsentiert sein bereits vorher bekanntes iX-Modell, das erste mit dem neuen Betriebssystem 8, das als Schnittstelle für zahlreiche digitale Services dienen soll, etwa Telefonie, Sprachnachrichten und das Teilen von Standortdaten via Tencents WeChat-App, die bereits im System 7 Standard waren. Es enthält außerdem die neueste Generation von BMW iDrive, das die Interaktion zwischen Fahrer und Fahrzeug zu einem intuitiven Erlebnis machen soll, wie BMW erklärt.

Der 5G-fähige BMW iX wird ab Ende 2021 in zwei Modellvarianten angeboten. Die im BMW iX xDrive50 und BMW iX xDrive40 verbauten Elektromotoren sind – wie Leistungselektronik, Ladetechnik und Hochvoltbatterien – das Produkt von BMW eDrive Technologie der fünften Generation. Der elektrische Allradantrieb des BMW iX xDrive50 kommt auf eine Höchstleistung von mehr als 370 kW/500 PS und ermöglicht eine Beschleunigung von null auf 100 km/h in weniger als 5,0 Sekunden, kombiniert mit einer Reichweite von mehr als 600 Kilometern und einem Stromverbrauch von weniger als 21 kWh je 100 Kilometer. Anlässlich der Auto Shanghai 2021 gibt BMW einen ersten Eindruck in der Ausstattungslinie M Sport, wie sie in China und weiteren Märkten verfügbar sein wird.

Der BMW i4 ist ein voll elektrisches viertüriges Gran Coupé, dessen Markteinführung für dieses Jahr geplant ist. Die BMW i4 Modellreihe wird in verschiedenen Versionen erhältlich sein, die Reichweiten von bis zu 590 km (WLTP) und bis zu 300 Meilen (EPA) ermöglichen. 

Ein weiteres Zugeständnis an den chinesischen Markt war die Weltpremiere des exklusiv für Kunden in China gestalteten Editionsmodells BMW 7er Two-Tone. Die Luxuslimousine basiert auf dem Zwölfzylinder-Modell BMW M760Li xDrive und wird in einer Auflage von lediglich 25 Exemplaren exklusiv für Kunden in China produziert

Mit der Erholung in China nach der Corona-Krise haben BMW und die Marke Mini im ersten Quartal ein Drittel mehr Autos verkauft als im gleichen Quartal vor Ausbruch des Virus vor zwei Jahren.

Auto Shanghai 2021: Japan und Südkorea starten die Aufholjagd

Aber auch die Japaner und Südkoreaner, neben den Chinesen die wichtigsten Wettbewerber der Deutschen, preschen nach vorneHonda will in den nächsten fünf Jahren zehn neue E-Fahrzeuge auf den chinesischen Markt bringen. Das erste Modell ist in Shanghai zu sehen: die Studie Honda SUV e:prototype. Zur Antriebsleistung machte der japanische Hersteller bislang keine Angaben. Angekündigt wurde jedoch ein auf den chinesischen Markt angepasstes Assistenzsystem. Das Adas (Advanced driver-assistive systems) soll durch eine bessere Erkennungs-, Vorhersage- und Entscheidungsleistung gekennzeichnet sein. Auch ein vergrößerter Frontkamera-Winkel und ein neues 360-Grad-Radar haben die Japaner für baldige Praxis-Tests in China in Aussicht gestellt. Das Auto ist bereits für das Frühjahr 2022 als Serienmodell angekündigt. 

Auch ein neues Hybridmodell will Honda bei der Automesse vorstellen. Details werden noch bekannt gegeben. KIA zeigt den EV6, ein Compact Fahrzeug, auf der Hyundai E-GMP EV Plattform, das auf 260 km/h Höchstgeschwindigkeit und eine 0-100-km/h-Zeit von 3,5 Sekunden kommen soll. Die Basispreise liegen zwischen 44.990 und 65.990 Euro. Laut Hersteller soll der Akku unter hoher Ladeleistung binnen 18 Minuten von zehn auf 80 Prozent geladen werden können. Nissan stellt die neue China-Version seines Xtrail Crossover vor, der ab 2022 in China fahren soll. Technische Daten sind allerdings noch rar. 

Toyota hat einen fast produktionsreifen concept E-SUV vorgestellt, der mit Teslas Y und Volkswagens ID.4 konkurrieren soll. Das Auto basiert auf der neuen, rein elektrischen e-TNGA-Plattform. Das Modell, das zusammen mit Subaru entwickelt wurde, hat eine ähnliche Größe wie der RAV4 des Unternehmens und ist als ein “globales Modell” geplant, das in Japan gebaut und in China, den USA und Europa verkauft werden soll. Laut Toyota ist e-TNGA äußerst vielseitig und bietet Front-, Heck- oder Allradantrieb sowie eine breite Palette an Batterie- und Elektromotorkapazitäten für verschiedene Fahrzeugtypen und Nutzungsprofile.

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Das Geschäft mit dem blauen Dunst

Fast unbemerkt ist die E-Zigarettenbranche in China stark gewachsen. Kaum jemand verkörpert diesen Aufschwung so sehr wie Kate Wang. 2018 begann die junge Chinesin in Chinas Städten mit dem Vertrieb von E-Zigaretten und sogenannte Vaping-Produkten – Stiften zur Dampfinhalation von nikotinhaltigen Flüssigkeiten. Knappe drei Jahre später gehört Kate Wang mit einem Privatvermögen von rund zehn Milliarden US-Dollar zu den reichsten Frauen Chinas. Die von ihr gegründete Firma Relx zählt zu einem der beiden großen Platzhirschen der Branche. Einzig Smoore International ist als weltweit größter E-Zigarettenhersteller noch etwas erfolgreicher. Dessen Gründer Chen Zhiping hat in kurzer Zeit ein Vermögen von rund 16 Milliarden US-Dollar angehäuft.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt es in China mehr als 300 Millionen Raucher – mehr als in jedem anderen Land der Welt. Sie machen rund ein Drittel aller Raucher weltweit aus. Mittlerweile raucht jeder zweite Mann in der Volksrepublik, Lungenkrebs ist die häufigste Krebsart. Der Tobacco-Atlas errechnet, dass jährlich 1,9 Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens sterben.

Auch Kate Wang ist Raucherin. Doch immer, wenn sie abends von der Arbeit nach Hause kam und ihr Baby auf den Arm nahm, fühlte die junge Mutter eine tiefe Scham: Der Geruch von ungesundem Zigarettenrauch war allgegenwärtig. Hinzu kam die Sorge um die Gesundheit ihres Vaters, der seit Jahren zwei Packungen herkömmliche Zigaretten am Tag rauchte. Und so suchte Wang nach einer Alternative zu gewöhnlichen Glimmstengeln aus Tabak – und fand sie schließlich in E-Zigaretten.

Dampfen nimmt rasant zu

Laut China Insights Consultancy aus Shanghai hat Wang es mit Relx geschafft, in weniger als drei Jahren mehr als 60 Prozent des chinesischen Marktes für E-Zigaretten zu erobern. Der Umsatz von Relx stieg im vergangenen Jahr um 147 Prozent auf 585 Millionen US-Dollar. Im Vergleich: Im ersten Betriebsjahr 2018 lag der Umsatz noch bei 19 Millionen US-Dollar.

Der weitgehend unregulierte Markt für E-Zigaretten und Vapingprodukte in China schürt auch für die Zukunft Erwartungen auf gute Geschäfte. In ihrer Börsenbroschüre hat das Beratungsunternehmen Frost & Sullivan für den Marktführer Smoore International prognostiziert, dass zwischen 2020 und 2024 die weltweiten Verkäufe von E-Zigaretten jedes Jahr um durchschnittlich 25 Prozent zulegen werden – weit mehr als bei herkömmlichen Zigaretten, wo die Analysten einen Zuwachs von 5,2 Prozent antizipieren.

E-Zigarettenmarkt war bisher kaum reguliert

Doch am 22. März gaben Chinas Regulierungsbehörden bekannt, dass künftig die Vorschriften der Tabakindustrie auch für E-Zigaretten und Vaping-Produkte gelten könnten. Relx-Aktienkurs brach daraufhin um 48 Prozent ein, Wangs Vermögen schrumpfte über Nacht um fast die Hälfte auf fünf Milliarden US-Dollar.

Dabei stehen die Details der Änderungsentwürfe zum Tabakmonopolgesetz, die auch die Zuständigkeit der State Tobacco Monopoly Administration (STMA) auf E-Zigaretten ausweiten würde, noch nicht einmal fest. Zudem könnte sich die Umsetzung lange Zeit hinziehen. Doch allein die Aussicht auf eine strengere Regulierung lässt Branchenkenner nichts Gutes erahnen: Ao Weinuo, Leiter des Electronic Cigarette Industry Committee, glaubt in dem Gesetzesentwurf zu erkennen, dass E-Zigaretten zukünftig unter die behördliche Kontrolle der STMA gestellt werden würden, ähnlich wie bei herkömmlichen Zigaretten, wo sie als Monopolist sowohl Tabak verkauft, als auch reguliert.

Etwas optimistischer ist Charlie Chen, Leiter für Verbraucherforschung bei der Pekinger Investmentfirma China Renaissance. “In der traditionellen Tabakindustrie werden das Zigarettenverkaufsvolumen und die Preise von China Tobacco festgelegt. Wenn dies auf E-Zigaretten angewendet werden sollte, wird dadurch der gesamte Wert der E-Zigaretten-Unternehmen verloren gehen. Aber das ist ein sehr unwahrscheinliches Szenario”, sagte Chen dem Wirtschaftsmagazin Forbes.

Peking will mitverdienen

Wie das Gesetz am Ende auch aussehen mag, für Relx steigt das Risiko, dass das Geschäft mit E-Zigaretten in China zukünftig nicht mehr die gleichen Umsätze einbringen könnte. Bisher waren die Zahlen seit 2016 jährlich um durchschnittlich 30 Prozent gestiegen, so Branchenberechnungen. Sollte nun eine strenge Regulierung folgen, würden sowohl die Preise wie auch das Volumen staatlich diktiert werden – und Relx würde zwangsläufig enorm an Wert verlieren.

Schon einmal gingen die chinesischen Regulierungsbehörden gegen die E-Zigaretten und Vaping im Land vor: Ende 2019 verbot man den Online-Verkauf von E-Zigaretten. Damit wollte man vor allem Minderjährige schützen, hieß es. Bei Relx machten die Onlineverkäufe damals etwa 15 bis 20 Prozent des Gesamtgeschäfts aus. Da Firmengründerin Wang jedoch von Anfang an mehr auf den Handel in traditionellen Geschäften gesetzt hatte und deshalb über ein breites Netzwerk von 5000 Läden in mehr als 250 Städten verfügte, konnte das Unternehmen das neue Gesetz gut verkraften. Ob das auch dieses Mal wieder gelingen wird, bleibt abzuwarten.

Unklar ist, ob sich die neuen Vorschriften auch auf die Besteuerung von E-Zigaretten auswirken wird. Derzeit ist der Steuersatz von 13 Prozent deutlich niedrig als die 80 Prozent bei normalen Tabak-Zigaretten. Die Einnahmen aus der Tabakindustrie sind in der Staatskasse überaus willkommen; im vergangenen Jahr beliefen sie sich allein bei den regulären Zigaretten auf 1,2 Billionen Yuan (184 Milliarden US-Dollar).

Bis zu 1000 E-Zigarettenhersteller um Shenzhen

Bisher umgehen viele E-Zigarettenhersteller eine höhere Besteuerung, indem sie sich als Technologieunternehmen bezeichnen und daher keiner genaueren Prüfung unterzogen werden, heißt es in einem Bericht des staatlichen Finanzmaklers Everbright Securities aus Shanghai. Sollte zukünftig allerdings eine Lizenz für die Herstellung und Produktion von E-Zigaretten erforderlich sein, würde das automatisch auch eine strengere Prüfung mit sich bringen.

Auch hier zeigt Firmengründerin Wang ihren Weitblick – und ihre Bereitschaft zu Kooperation: Da sie schon seit der letzten Kampagne gegen die E-Zigaretten-Industrie damit gerechnet hat, dass die E-Zigaretten- und Vaping-Branche härter kontrolliert werden könnte, untersucht Relx schon seit dem vergangenen Jahr in einem eigenen Labor in Shenzhen die Gesundheitsrisiken von E-Zigaretten. Bald wolle man eine entsprechende Studie darüber herauszubringen. Zudem hat Relx angekündigt, der Aufsichtsbehörde bis zum 22. April eine Rückmeldung zu den neuen Änderungsentwürfen zu geben.

Doch nicht nur der heimische Absatz wäre von einer neue Regelung betroffen. Auch die Märkte im Ausland würden die Folgen zu spüren bekommen, schließlich ist China auch der weltweit größte Exporteur von E-Zigaretten. Laut chinesischem Handelsverband für elektronische Zigaretten werden in Chinas Fabriken etwa 90 Prozent der weltweiten E-Zigaretten hergestellt. Fast die gesamte Produktion wird exportiert.

Expansion ins Ausland

Auch Relx zieht es ins Ausland. Vor gut einem Jahr warb man einen ehemaligen Wissenschaftler des E-Zigarettenherstellers Juul in den USA ab und beauftragte ihn damit, für den internationalen Zweig von Relx bei der Food and Drug Administration einen Antrag für seine E-Zigaretten für den US-Markt einzureichen. Denn aufgrund der Sanktionen der ehemaligen Trump-Regierung wäre eine Produktion in den USA eine Möglichkeit, die hohen Importzölle zu umgehen. Für den Börsengang vor gut zwei Monaten wählte man die New York Stock Exchange.

Doch ein Blick auf eben jenen US-Konkurrenten Juul zeigt, was für Probleme auch im Ausland auf Relx warten. Juul galt bei seinem Markteintritt 2015 als erfolgversprechendes Start-up. Um sein angestaubtes Image zu verjüngen, sicherte sich der US-Tabakkonzern Altria 2018 für rund 13 Milliarden US-Dollar etwa 35 Prozent Anteile an Juul. Doch eine Welle von Gesundheitsklagen von Nutzern führte dazu, dass Altria den Wert für Juul mittlerweile auf 4,6 Milliarden US-Dollar abschreiben musste. Aktuell versucht man sich an einem Comeback – mit einer eigenen E-Zigaretten-Version, die nicht auf nikotinhaltige Flüssigkeiten basiert.

Doch nicht nur in den USA wird Relx an dem Thema Gesundheit nicht vorbeikommen. Auch auf dem heimischen Markt werden vermehrt die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen von E-Zigaretten untersucht. Noch sind viele Studien nicht abgeschlossen, aber schon jetzt bringen mehrere Untersuchungen Herz-Kreislauf- sowie Atemwegserkrankungen in Verbindung mit E-Zigaretten. In mehr als 40 Ländern sind sie deshalb schon verboten.

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5G mit Huawei? Eine Frage des Vertrauens

Die geplante Erweiterung des IT-Sicherheitsgesetzes ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr der politische und wirtschaftliche Aufstieg der Volksrepublik China die deutsche Politik heutzutage bereits beschäftigt. Seit mehr als zwei Jahren zieht sich der Gesetzgebungsprozess bereits in die Länge. Ein triftiger Grund für die Hängepartie: das Thema Huawei. Der chinesische Netzwerkausrüster gilt als technisch hochversiert und auf dem Weltmarkt vergleichsweise günstig im Einkauf. Aber ist er auch vertrauenswürdig?

Oder ist Huawei ein Handlanger des chinesischen Staates, der als harmloser Tech-Dienstleister daherkommt, aber in Wahrheit für die Geheimdienste seines Landes die Rivalen ausspioniert und sich Kontrolle verschafft über deren kritische Infrastruktur? Eine Antwort auf diese Frage wird schon seit Jahren in vielen Ländern der Welt diskutiert. Firmengründer Ren Zhengfei, der vor Jahrzehnten für die chinesische Volksbefreiungsarmee IT-Forschung betrieb, weist immer wieder auf die Unabhängigkeit seines Unternehmens hin. Chinas Gesetze jedoch verpflichten jedes Unternehmen des Landes zur Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden, wenn diese den Bedarf dazu sehen.

Die USA, Großbritannien, Japan, Australien und Neuseeland haben sich bereits entschieden, Huawei-Komponenten beim Aufbau ihrer 5G-Netze auszuschließen. Kanada wird wohl folgen. Und vielleicht kommen noch andere Staaten hinzu. Befürworter eines Ausschlusses bekommen dieser Tage aus den Niederlanden neues Futter. Die Tageszeitung De Volkskrant berichtete von möglichen Spionageaktivitäten des chinesischen Herstellers. Die Enthüllung bezieht sich auf einen Bericht des Beratungsunternehmens CapGemini aus dem Jahr 2010, der allerdings nie veröffentlicht wurde. Huawei habe die Möglichkeit besessen, über den örtlichen Netzwerkbetreiber KPN Telefonate abzuhören, unter anderem die des ehemaligen niederländischen Premierministers Jan Peter Balkenende, heißt es in dem Bericht. Das Unternehmen dementiert den Vorwurf vehement, zumal es keine 100-prozentigen Beweise dafür gibt. Für Huawei ist es aber ein weiterer Schlag gegen den Bug. Kritiker des Herstellers werden sich in ihrer Haltung bestätigt fühlen.

Deutschlands Platz zwischen den Stühlen

Die deutsche Politik sucht derweil noch ihren Platz zwischen den Stühlen. Der jüngste, überarbeitete Entwurf des IT-Sicherheitsgesetzes nimmt sich in Paragraf 9b explizit der politischen Herausforderung an. In Absatz 5 wird dort jetzt definiert, wann ein Hersteller kritischer Komponenten, zu denen Huawei genauso wie Ericsson, Nokia oder Cisco gehört, nicht vertrauenswürdig ist. Problematisch dabei ist jedoch, dass diese Definition auf einer Garantieerklärung des Herstellers basiert. Mit der Garantieerklärung geht das Unternehmen Verpflichtungen und Versicherungen ein. Doch würde ein Unternehmen, das spionieren möchte, an dieser Stelle nicht ganz einfach ein bisschen flunkern?

“Seit zwei Jahren wird diskutiert und gestritten, wie sich das mangelnde Vertrauen in Huawei durch eine entsprechende Gesetzgebung ausbalancieren ließe. Das IT-Sicherheitsgesetz liefert jetzt zwar den Hebel, um Huawei ausschließen zu können. Trotzdem bleibt es zu unscharf, um eine rein faktenbasierte Einschätzung abgeben zu können, ob tatsächlich ein Risiko vorliegt oder nicht. Am Ende bleibt es immer noch eine Vertrauensfrage“, sagt der Cybersecurity-Experte Timo Kob, Gründer des Sicherheits-Dienstleisters HiSolutions.

Grundsätzlich dient das Gesetz dazu, die Aufsichtsfunktion des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) über digitale Systeme zu stärken. Das BSI als Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums (BMI) bekommt die Kompetenz, den Einsatz kritischer Komponenten bei Betreibern kritischer Infrastrukturen zu verbieten. Doch zahlreiche unterschiedliche Interessen aus involvierten Ministerien zogen den Prozess über Jahre in die Länge. Das Auswärtige Amt (AA) beispielsweise scheint in größerer Sorge um Huaweis Vertrauenswürdigkeit zu sein als das BMI. Dennoch wird dem AA kein Vetorecht zugesprochen, wenn Hersteller künftig den erstmaligen Einsatz technischer Komponenten verpflichtend angeben müssen. Zwar muss es beratend hinzugezogen werden, die Entscheidung zur Genehmigung einer Komponente bleibt aber dem BMI vorbehalten. Nur wenn es um Komponenten geht, die bereits verbaut sind, hat das AA ein Mitspracherecht bei der Entscheidung.

Huawei fühlt sich “nicht diskriminiert”

Besonders die explizit politische Bewertung eines Anbieters ist der Grund dafür, weshalb das IT-Sicherheitsgesetz gerne auch als “Lex Huawei” bezeichnet wird. Beim Unternehmen selbst fühlt man sich dagegen keinesfalls diskriminiert. “Wir haben nicht den Eindruck, dass dieses Gesetz ausschließlich gegen Huawei gerichtet ist. Die Bedingungen gelten auch für alle anderen, die mit uns im Wettbewerb stehen. Entscheidend ist, dass am Ende durch eine technologische Prüfung der Komponenten, ein insgesamt noch höheres Sicherheitsniveau für die Mobilfunknetze erreicht wird”, sagt Unternehmenssprecher Patrick Berger im Gespräch mit China.Table. Ein endgültiges Urteil wolle sich der Konzern erst bilden, wenn das Gesetz abschließend formuliert ist.

Berger weiß um die geopolitischen Hintergründe des IT-Sicherheitsgesetzes. Dennoch glaubt er, dass eine rein technische Prüfung aller Komponenten ausreichen müsste, um bewerten zu können, ob eine Gefahr für die nationale Sicherheit eines Staates besteht oder nicht. Auch verweist der Sprecher auf die Erfahrungen mit Huawei in Deutschland des vergangenen Jahrzehnts. “Produkte von Huawei sind bereits umfangreicher Bestandteil auch der 3G- und 4G-Netze in Deutschland. Trotzdem hat es darum nie eine Sicherheitsdiskussion gegeben, auch weil unsere Komponenten dazu keinen Anlass gegeben haben”, sagt Berger. Dass es jetzt um das 5G-Netz wesentlich intensiver diskutiert wird, sei auch das Resultat der politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre.

Der Chaos Computer Club hält die Sicherheitsdebatte um Huawei sogar für “lächerlich”. In einer Analyse von Anfang März schreiben die Autoren zwar: “Eine nicht vertrauenswürdige Anbieterin könnte grundsätzlich Schwachstellen bereitstellen, die zur Beeinträchtigung der Verfügbarkeit, Integrität oder Vertraulichkeit eines Kommunikationsnetzes geeignet sein könnten.” Die Vereinigung argumentiert jedoch, dass das Ausnutzen von beabsichtigten Sicherheitslücken nicht unentdeckt bleiben würde und entsprechende drastische Konsequenzen nach sich ziehen würde, die kontraproduktiv für Huawei seien.

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News

HRW: Verbrechen gegen Menschlichkeit in Xinjiang

Die amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) wirft China in einem neuen Bericht schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Uiguren und andere muslimische Minderheiten in Xinjiang vor und legt dar, wie diese die Kriterien für Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfüllen. Die chinesische Führung sei unter anderem für eine systematische Politik der Massenhaft, Folter und kulturellen Verfolgung verantwortlich, heißt es in dem 53-seitigen Report, der am Montag veröffentlicht wurde. Der Bericht, der mit Unterstützung der Human Rights & Conflict Resolution Clinic der Stanford Law School verfasst wurde, stützt sich auf neu verfügbare Informationen aus chinesischen Regierungsdokumenten sowie Informationen von Menschenrechtsgruppen, Medien und Wissenschaftler:innen und soll einen rechtlichen Rahmen aufzeigen, wie Pekings Vorgehen in Xinjiang die Kriterien für Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) erfüllt.

“Die chinesischen Behörden haben türkische Muslime systematisch verfolgt – ihr Leben, ihre Religion, ihre Kultur”, sagte Sophie Richardson, China-Direktorin bei HRW, anlässlich der Veröffentlichung des Reports. Peking verschleiere eine “düstere Realität von Verbrechen gegen die Menschlichkeit”, indem von “Berufsausbildungen” und “Deradikalisierung” gesprochen werde. In dem Bericht werden spezifische Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie “Verfolgung einer identifizierbaren ethnischen oder religiösen Gruppe”, Entführungen, Folter, Mord, Zwangsarbeit und sexuelle Gewalt dokumentiert.

Der IStGH hatte im Dezember erklärt, er werde keine Untersuchung durchführen, da die mutmaßlichen Verbrechen in China stattgefunden hätten – die Volksrepublik ist jedoch kein Mitglied des IStGH. Die Verfasser:innen des HRW-Berichts betonen jedoch, dass Staatsanwält:innen nationaler Regierungen einzelne oder kollektive Voruntersuchungen ähnlich dem IStGH durchführen und so Sanktionen oder Strafverfolgungsmaßnahmen gegen betroffene Personen erleichtern könnten.

In dem Bericht werden die Vereinten Nationen aufgefordert, eine Resolution zu verabschieden, um eine Untersuchungskommission in die westchinesische Region entsenden zu können. Regierungen sollten zudem koordiniert Visa- und Reiseverbote aussprechen, um Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen. “Es wird zunehmend klarer, dass eine koordinierte globale Reaktion erforderlich ist, um Chinas Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen türkische Muslime zu beenden”, sagte Richardson.

Die EU hatte Ende März Sanktionen gegen mehrere Beamte und eine Organisation wegen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang verhängt – Peking reagierte mit Strafmaßnahmen gegen europäische Politiker:innen, Wissenschaftler:innen und Organisationen. ari

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Italien begrüßt geplatzten Iveco-Verkauf an FAW

Rom hat das Ende der Gespräche über einen möglichen Verkauf der italienischen Lkw- und Bus-Marke Iveco an die chinesische FAW Jiefang begrüßt. Die italienische Regierung betrachte Lastwagen als “strategisches nationales Interesse”, sagte Industrieminister Giancarlo Giorgetti der Nachrichtenagentur Reuters. Iveco ist Teil des niederländisch-britischen Konzerns CNH Industrial, der wiederum von Exor, der Holdinggesellschaft der italienischen Unternehmerfamilie Agnelli, kontrolliert wird. CNH hatte zuvor bekannt gegeben, es habe die Gespräche mit FAW über den Iveco-Verkauf beendet, verfolge aber weiterhin eine Abspaltung der Gruppe Anfang 2022.

Der italienische Staat hatte bereits angedeutet, dass er bei einem Verkauf Ivecos an FAW von seinen Eingriffsrechten, den “Golden Power”-Regeln, Gebrauch machen könnte. Bei Übernahmen von Unternehmen in Branchen von nationalem Interesse kann die Regierung in Rom ein Veto einlegen oder strenge Auflagen machen. Iveco würde unter diese Vorschrift fallen, sagte Giorgetti einem Bericht zufolge. Auch aus dem europäischen Ausland gab es Zuspruch für den geplatzten Deal: Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire lobte den Schritt auf Twitter. Das Vorhaben hätte “wichtige Fragen der industriellen Souveränität” aufgeworfen, dass die Gespräche beendet sind, sei eine “gute Nachricht”, so Le Maire.

Italien hatte die “Golden Power”-Regeln zuletzt beim Einsatz von chinesischer 5G-Technologie angewandt und unter anderem das Telekommunikationsunternehmen Linkem daran gehindert, 5G-Komponenten und fachliche Begleitung von Huawei und ZTE zu beziehen. Anfang März hatte die Regierung unter Mario Draghi bereits das Telekommunikationsunternehmen Fastweb davon abgehalten, Ausstattung von ZTE und dem taiwanischen Hersteller Askey zu erwerben. ari

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EU legt Indo-Pazifik-Strategie vor

Die EU-Außenminister haben am gestrigen Montag die Indo-Pazifik-Strategie der Staatengemeinschaft verabschiedet. Die Europäische Union will damit ihren Einfluss in verschiedenen Bereichen stärken, um EU-Interessen zu schützen und um Chinas Machtzuwachs in der indopazifischen Region entgegenzuwirken. EU-Diplomaten betonten einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge jedoch, die Strategie sei nicht explizit gegen Peking gerichtet. Brüssel “ist der Ansicht, dass die EU ihre strategische Ausrichtung, Präsenz und ihr Handeln im Indo-Pazifik stärken sollte”, hieß es in einer Mitteilung der Außenminister nach dem virtuellen Treffen. Basieren soll das Engagement demnach auf der “Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und internationalem Recht“.

Das verabschiedete Strategie-Papier umfasst zehn Seiten, im September soll eine detailliertere Strategie folgen. Die EU wolle mit “gleichgesinnten Partnern” zusammenarbeiten, um die Grundrechte in der indo-pazifischen Region zu wahren, teilten die Minister mit. Der Plan könnte möglicherweise auch eine größere sicherheitsstrategische Präsenz der EU beinhalten – beispielsweise mittels der Entsendung von Schiffen ins Südchinesische Meer. Details dazu blieben jedoch offen.

China wird in dem Strategie-Papier nur einmal erwähnt: Ziel sei es, “weitere Schritte in Richtung des umfassenden Investitionsabkommens mit China zu unternehmen“, heißt es. Auch Freihandelsabkommen mit Australien, Indonesien und Neuseeland seien beabsichtigt.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, David McAllister (CDU), lobte das Strategie-Papier. “Die EU will ihre Rolle als kooperativer Partner in einem Umfeld zunehmender geopolitischer Spannungen stärken. Eine gemeinsame Grundlage ist wichtig, um die vielfältigen Herausforderungen in dieser aufstrebenden und zugleich zunehmend polarisierten Region zu bewältigen”, teilte McAllister mit. Ein friedlicher, stabiler und regelbasierter Indopazifik sei ein europäisches Kerninteresse. ari

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Standpunkt

Konfrontation führt nicht zum Ziel

Von Berthold Kuhn
Berthold Kuhn zum China-Bashing der EU

Unter einigen deutschen China-Experten lässt sich eine erstaunliche Anmaßung und Naivität im Umgang mit China beobachten. Die Folgen von deutscher und europäischer Außenpolitik, speziell auch die Verhängung von Sanktionen, werden nicht ausreichend antizipiert und öffentlich debattiert. Deutschland braucht einen Paradigmenwechsel im Umgang mit China, der den Einfluss Chinas in der Weltpolitik angemessen berücksichtigt und smarte, anstelle von konfrontativen Strategien entwickelt, um Europa wieder mehr weltpolitische Einflussmöglichkeiten zu erschließen.

China antwortete auf die am 22. März 2021 seitens der EU verhängten Sanktionen gegen vier politische Beamte und eine Institution in Xinjiang mit Gegenmaßnahmen, die Europa und auch Deutschland ungleich härter treffen. So sind neben mehreren Politikern auch wissenschaftliche Einrichtungen in Europa betroffen, u.a. das Mercator Institute for China Studies (Merics). Unter Experten, die viele Jahre in China arbeiteten, ist bekannt, dass Merics-Analysen von konfrontativen außen- und sicherheitspolitischen Thesen beeinflusst bzw. überschattet sind. Die Sanktionen treffen viele junge Wissenschaftler:innen hart, die nach ihrem erfolgreichen Studienabschluss bei Merics anheuerten und oft qualitativ hochwertige Analysen erstellten, in Bezug auf die konfrontative China-Haltung des Instituts aber möglicherweise ein wenig naiv waren. Ohne Einreisen nach China scheint die Zukunft des Instituts beeinträchtigt. Vor allem junge Wissenschaftler und wirtschaftsnahe Experten dürften eher Abstand von einer Zusammenarbeit mit Merics nehmen.

Sanktionen gegen China verfehlen ihre Wirkung

Nun stellt sich die Frage nach dem Sinn und der Wirkung von politisch motivierten Sanktionen. Es liegen viele Analysen vor, die überwiegend zu dem Ergebnis kommen, dass die Wirkungen von Sanktionen in der Regel falsch eingeschätzt werden und vor allem differenziert betrachtet werden müssen. Der US-amerikanische Ökonom Gary C. Hufbauer kommt in seinen Forschungen zu dem Ergebnis, dass wenn überhaupt, nur sehr umfangreiche Sanktionen wirken, dass das Kräfteverhältnis eine wesentliche Rolle spielt und dass die sanktionierenden Staaten geschlossen auftreten müssen. Diese Voraussetzungen sind bei den Sanktionen der EU gegen China nicht gegeben.

Es ist nicht davon auszugehen, dass die Sanktionen einen Prozess auslösen, der die Beziehungen zu China verbessert und somit Einflussmöglichkeiten eröffnen. Die Entwicklungen in Hongkong haben gezeigt, dass Sympathien mit gewalttätigen Protesten – es gab umfangreichen Vandalismus in Hongkong – gegenteilige Wirkung entfalten. Die Regierung in Peking leitete erst nach der gewalttätigen Zuspitzung der Proteste drastische Veränderungen des Status von Hongkong ein, der nun große Einschränkungen bei Freiheitsrechten bedeutet. Im Globalen Süden findet die Entkolonialisierungspolitik Chinas gegenüber Großbritannien und westlichen Partnern mehr Anklang als viele vermuten. Die undifferenzierte Unterstützung der Proteste hat auch dazu geführt, dass die Jugend auf dem Festland ihre Meinung zu den Entwicklungen in Hongkong geändert hat und nun mit großer Mehrheit hinter der eigenen Regierung in Peking steht.

Die Sanktionen der EU folgen Überlegungen, von Europas Abstiegsängsten abzulenken und den USA Gefolgschaft zu leisten. Eberhard Sandschneider hat in seinem China.Table-Beitrag “China-Bashing hat Hochkonjunktur” die Verhängung von Sanktionen gegen China geopolitisch eingeordnet: “Die USA reden über Werte, sie meinen aber geopolitischen Einfluss.” Er kommt auch zu der zutreffenden Erkenntnis, dass sich China nicht von außen managen lässt. Das China-Bashing erlebt zu einem Zeitpunkt Hochkonjunktur, in dem das weltpolitische Ansehen der EU ziemlich ramponiert ist und sich der weltpolitische Gestaltungsspielraum der EU und Großbritanniens auf einem Tiefpunkt befindet.  

Dokument Nr. 9 keine Grundlage für deutsche Außenpolitik

Der in Nottingham tätige Wissenschaftler Andreas Fulda fordert nun in einer Replik auf Herrn Sandschneider einen Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik (China.Table berichtete). Er meint damit eine härtere Gangart gegenüber China und bezieht sich auf das parteiinterne Dokument Nr. 9: “Unter den Bedingungen des “Dokument Nr. 9” kann es allerdings keinen ergebnisoffenen interkulturellen Dialog mit China geben”. Das Dokument Nr. 9 begrenzt u.a. Freiheiten in der wissenschaftlichen Lehre – z.B. wurde der Begriff Zivilgesellschaft auf den Index gesetzt. Das Dokument ist ein Ausdruck der Re-Ideologisierung Chinas, den man bedauern und kritisieren kann, weil er Dialoge erschwert. Es gibt allerdings nach wie vor chinesische Wissenschaftler, die an internationalen Konferenzen zu Themen des zivilgesellschaftlichen Engagements teilnehmen und dazu auch veröffentlichen. Auch meine Habilitationsschrift, die ins Chinesische übersetzt wurde und den Begriff Zivilgesellschaft im Titel führt, ist nicht aus den Bibliotheken verschwunden. Es ist allerdings abwegig, ein parteiinternes Dokument zum Maßstab der deutschen Außenpolitik machen zu wollen.

Rufe nach einer härteren Gangart gegenüber China erleben gegenwärtig einen Aufschwung. Der Economist hat am 11.02.2021 in einem Artikel klargestellt, warum der Vorwurf des Genozids auf die Situation in Xinjiang keine Anwendung finden sollte: “To confront evil, the first step is to describe it accurately”. Es gibt keine gesicherten Anhaltspunkte für diesen maßlosen Vorwurf. Alle chinesischen Statistiken zur Bevölkerungsentwicklung der Uiguren der letzten Jahre müssten gefälscht sein. Die Einschätzung, dass China mit Sanktionen beizukommen wäre, erscheint völlig entrückt von den weltpolitischen Rahmenbedingungen. Die Sanktionen haben bereits dazu geführt, dass China seine diplomatischen Offensiven verstärkt. Xinjiang betreffend hat China mit einer Einladung an Diplomaten reagiert, der immerhin 30 Diplomaten aus 21 Staaten gefolgt sind.

China wird wissenschaftlich, wirtschaftlich und weltpolitisch weiter aufsteigen. Im nächsten Jahr dürfte Chinas Beitrag zum Wachstum der Weltwirtschaft bei über 60 Prozent liegen. Selbst in Lateinamerika ist China zum größten Handelspartner aufgestiegen. Noch im Jahr 2000 gingen nur zwei Prozent der Exporte aus den südamerikanischen Staaten nach China. 2018 waren es schon 22,1 Prozent. Chinas Außenhandel hat zuletzt wieder kräftig zugelegt. 30,6 Prozent bei den Exporten und 38,1 Prozent bei den Importen. Davon profitiert besonders die deutsche Industrie.

Chinas weitet Einfluss in den UN aus

China wird seinen Einfluss in den Vereinten Nationen und in der Gruppe der Zwanzig (G20) weiter ausweiten, diesen Einfluss instrumentalisieren, jedoch außerhalb Asiens pro-aktiv keine aggressive Außenpolitik praktizieren. Übergeordnet könnte man Chinas Bekenntnis zum Multilateralismus als Ausgangspunkt für eine offene Perspektive zur Lösung von globalen Problemen ansehen. China ist in den internationalen Austausch von Waren, Dienstleistungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen tief integriert. Im Kontext des Handelskonflikts mit den USA betont China auch weiterhin sein Bekenntnis zum Multilateralismus und zum weitgehend freien Handel von Waren.

Chinas aktive Rolle in den UN untermauert dessen Bekenntnis zur Stärkung von Global Governance. Allerdings provoziert dies die USA und zum Teil auch europäische Staaten, die ihren eigenen Einfluss zurückgedrängt sehen. Die Kritik der USA an der angeblichen Abhängigkeit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von China trieb die kritische Auseinandersetzung auf die Spitze und führte unter Präsident Trump zum Stopp von Zahlungen der USA an die WHO.

EU droht wirtschaftlicher Schaden

Auch im Rahmen der G20, der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, spielt China eine gestaltende Rolle. Der G20-Gipfel in Hangzhou 2016 trug wesentlich zur Aufwertung der Gruppe bei. In Hangzhou brachte China das Thema Sustainable Finance voran, das inzwischen einen großen Schub erfahren hat, speziell auch auf Ebene der EU.

China verfolgt außenpolitisch und außenwirtschaftlich eine zweigleisige Strategie: Einerseits engagiert es sich in bestehenden internationalen Organisationen, andererseits übernimmt es die (Mit-) Gründung neuer Organisationen und Initiativen, in denen China eine Führungsrolle innehat.

China wird auf dem Weg zu mehr globalem Einfluss auf viel Kritik und starke Gegenwehr westlicher Staaten stoßen, speziell seitens der USA, aber auch der EU, Australien, Kanada. Bilaterale Konfrontationen mit Staaten in Afrika und Lateinamerika werden eher nicht eskalieren, auch weil die USA dort an Einfluss verlieren. China wird die Konfrontationen seitens der USA und anderer Staaten weitgehend kompensieren können. Eher läuft die EU bei einer fortgesetzten Konfrontation mit China Gefahr, wirtschaftlich erheblichen Schaden zu nehmen und auch an weltpolitischem Einfluss zu verlieren. Die EU wäre gut beraten, China durch eine entschlossene wirtschaftspolitische Strategie in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaneutralität zu beeindrucken und hier eigenen Ansprüchen gerecht zu werden.

Berthold Kuhn ist habilitierter Politikwissenschaftler (FU Berlin) und Berater für internationale Zusammenarbeit.

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Dessert

Chinas früherer Premierminister Wen Jiabao hat in einem Essay – angeblich eine Hommage an seine verstorbene Mutter – sanfte Kritik an Xi Jinping geübt. Sein Text wurde in China hunderttausendfach geteilt und prompt zensiert.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Deutsche Autobauer setzen voll auf E-Autos
    • Das Geschäft mit dem blauen Dunst
    • 5G mit Huawei? Eine Frage des Vertrauens
    • HRW: Verbrechen gegen Menschlichkeit in Xinjiang
    • Italien begrüßt geplatzten Iveco-Verkauf an FAW
    • EU legt Indo-Pazifik-Strategie vor
    • Berthold Kuhn: Konfrontation führt nicht zum Ziel
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Grünen haben sich entschieden: Annalena Baerbock wird sie als Kanzlerkandidatin in den Bundestagswahlkampf führen. Ist sie erfolgreich, hätte das Folgen für Deutschlands Beziehungen zu China – zumindest, wenn man Baerbocks bisherigen Äußerungen Glauben schenkt. Denn sie fordert gegenüber der Volksrepublik eine harte Linie. Mit Peking sieht sie eine Systemrivalität, die weit über wirtschaftspolitische Fragen hinausgeht. “Sie ist eine substantielle Frage von Demokratie, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Ökologisierung”. Handel sei hierbei ein mächtiger Hebel, um Menschenrechte und demokratische Grundwerte zu verteidigen und zu stärken.

    Wie würde eine Kanzlerin Baerbock wohl auf die Automesse in Shanghai blicken? Frank Sieren berichtet direkt aus den Messehallen und zeigt, wie sehr die deutschen Autobauer ihre Produktpalette an den Wünschen der chinesischen Kunden ausrichten.

    Auch beim zweiten Schwerpunktthema würde bei Baerbock wohl das Misstrauen überwiegen: die Rolle Huaweis bei der geplanten Erweiterung des deutschen IT-Sicherheitsgesetzes. Der chinesische Netzwerkausrüster gilt als technisch versiert und vergleichsweise günstig. Doch um die Vertrauenswürdigkeit ist es nicht sonderlich bestellt, wie Marcel Grzanna in seinem Bericht zeigt.

    Ning Wang stellt derweil den E-Zigaretten-Boom in China vor: Innerhalb von knapp drei Jahren konnten Unternehmen wie Relx Milliarden US-Dollar anhäufen. Doch damit könnte nun Schluss sein: Pekings Behörden wollen dem wilden Treiben ein Ende bereiten. Zumindest aus gesundheitlichen Gesichtspunkten könnte wohl auch eine grüne Kanzlerin diesem rigiden Vorgehen etwas abgewinnen.

    Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht

    Ihr
    Michael Radunski
    Bild von Michael  Radunski

    Presseschau

    Tesla Faces New China Test After Woman’s Auto-Show Protest Goes Viral WSJ
    Campaigners call for global response to ‘unprecedented’ oppression in Xinjiang THE GUARDIAN
    Meituan to raise $10bn in delayed deal after share price drop FT
    ‘Follow The Party Forever”: China Plans a Communist Birthday Bash NYTIMES PAY
    EU to increase presence in Indo-Pacific under new strategy SCMP
    China’s former trade chief pushes for US to join mega Asia-Pacific deal, with a ‘more positive attitude towards multilateralism’ SCMP
    “Investment-Alternative”: China macht beim Bitcoin eine Kehrtwende T3N
    Automesse in Shanghai: Mit E-Autos in China weiterwachsen TAGESSCHAU
    In China ist Tesla den Deutschen enteilt FAZ PAY
    Ungarn will China eine Elite-Uni mitten in der EU bauen lassen DER STANDARD
    USA und China: Kampf um die weltweite Chip-Dominanz WELT

    Analyse

    Auto Shanghai 2021: Deutsche Autobauer setzen voll auf E-Autos

    Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Ernst&Young (EY), die pünktlich zur Auto Shanghai 2021 in diesen Tagen veröffentlicht wurde, haben deutsche Autohersteller die Corona-Krise vergleichsweise gut überstanden. Demnach haben Daimler, Volkswagen und BMW mit einem Umsatzrückgang von zusammengefasst zehn Prozent, einem Absatzminus von 14 Prozent und einem Rückgang beim operativen Ergebnis von 26 Prozent im Durchschnitt deutlich besser abgeschnitten als große Autobauer anderer Länder.

    Dabei habe vor allem das Chinageschäft die Bilanz der Automobilindustrie gerettet: 2020 sei fast jeder vierte Neuwagen von Volkswagen, BMW und Daimler an einen chinesischen Kunden gegangen. Betrachtet man die 17 größten Autokonzerne der Welt, sank der PKW-Gesamtabsatz dieser Hersteller in China lediglich um vier Prozent. In den USA betrug der Rückgang 14 Prozent, in Westeuropa ging der Absatz sogar um 25 Prozent zurück.

    Das sorgt für großen Druck, in China auch weiterhin die Wünsche der Kunden zu treffen. Bei der Auto Shanghai entlädt sich dieser Druck spürbar in einem Feuerwerk neuer E-Modelle, die sich voll an den Ansprüchen des chinesischen Marktes ausrichten. Alle großen deutschen Autobauer arbeiten an Elektroantrieben mit hohen Reichweiten, einem möglichst autonomen Fahrerlebnis, immer hochwertigerer Technik, besseren Vernetzungsmöglichkeiten und mehr Schnittstellen für Unterhaltung. 

    Auto Shanghai 2021: Mercedes-Benz

    Daimler ist mit zwei Autos auf der Messe vertreten, dem E-SUV EQB und dem CLS Coupe. Der EQB, der an das GLB-Modell erinnert, wird mit Front- und Allradantrieb und unterschiedlichen Leistungsstufen mit bis zu 200 kW (272 PS) angeboten. Der größte Akku bietet eine Netto-Kapazität von 66,5 kWh. Die Ladezeit beträgt etwas mehr als 30 Minuten von 10 auf 80 Prozent. Die Reichweite des allradgetriebenen Topmodells EQB 350 4MATIC wird mit 478 Kilometern angegeben. Es soll später noch eine “besonders reichweitenstarke” Variante erscheinen. 

    Das Ladevolumen liegt bei 495 bis 1710 Litern für den Fünfsitzer, beziehungsweise 465 bis 1620 Litern beim Siebensitzer. Der EBQ soll kurz nach seinem Debüt auf der Auto Shanghai Motor Show in China auf den Markt kommen. Erst danach soll die europäische Version folgen, wohl gegen Ende des Jahres. Das US-Modell soll gar erst 2022 folgen. “China ist nicht nur die wichtigste Pkw-Absatzregion für uns, sondern auch der weltweit führende Markt für Elektroautos“, erklärt Hubertus Troska, Vorstandsmitglied der Daimler AG. Einen Preis für das neue E-Gefährt nannte Mercedes-Benz noch nicht.

    Das CLS Coupe, ein Klassiker im Portfolio von Daimler, hat ein Modellpflege verpasst bekommen. Wichtigste Änderung ist die Premiere eines neuen Diesels mit Mild-Hybrid-Technik. Dafür kombiniert Mercedes den 2,0 Liter großen und 195 kW/265 PS starken Vierzylinder mit einem elektrischen Startergenerator. Das soll die Anfahrstärke erhöhen und den Normverbrauch auf 5,5 Liter drücken (144 g/km CO2). Auf Tempo 100 schafft es der mit Allrad ausgestattete Diesel in 6,4 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit soll bei 250 km/h liegen. Allerdings wird es schwierig, das Fahrzeug in China auszufahren, da die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen bei 120 Kilometer pro Stunde liegt – und die Geschwindigkeit durch Kameras so flächendeckend überwacht wird, dass es kaum möglich ist, über die Stränge zu schlagen. Insofern sind die PS vor allem Statussymbol.

    Auto Shanghai 2021: Volkswagen

    Volkswagen hat einen vollelektrischen, 4,88 Meter langen SUV vorgestellt. Der ID.6, der auf der gleichen Plattform wie der ID.3 und der ID.4 basiert, hat Allradantrieb, bis zu sieben Sitze und eine Leistung von bis zu 225 Kilowatt (306 PS) in der höchsten Ausstattungslinie. Das Fahrzeug im Van-Format wird auch mit geringerer Motorleistung (132 kw) angeboten, dazu Batterien, die zwischen 58 und 77 Kilowattstunden liefern. 

    Das kleinere Model soll 436 Kilometer weit fahren, bis es zur Ladestation muss. In der Allradvariante 4Motion soll das Fahrzeug von 0 auf 100 km/h in 6,6 Sekunden beschleunigen können und eine Spitzengeschwindigkeit von 160 km/h erreichen. Zwei Varianten, die sich nur in Design-Details unterscheiden, kommen unter dem Namen ID 6 heraus: Im Süden der SAIC-VW ID 6 X und im Norden der FAW-VW ID 6 Crozz. 

    Zum Ausstattungsprogramm des ID.6 gehören 19 bis 21 Zoll große Felgen und ein großes Panoramaglasdach. Im Inneren fehlen physische Tasten und Schalter fast völlig. Stattdessen bedient der Fahrer ein 12 Zoll-Display mit Touch-Funktion sowie eine Sprachsteuerung. “Optional gibt es ein Augmented-Reality-Head-Up-Display, das einige Anzeigen mit der Realität fusioniert – Abbiegepfeile der Navigation beispielsweise werden spurgenau auf die Straße projiziert”, meldet das Unternehmen

    Der ID.6 wird in den beiden chinesischen Werken Anting und Foshan gebaut und ist zunächst ausschließlich für den chinesischen Markt vorgesehen. “Mit dem neuen ID.6 bereiten wir die Basis dafür, dass bis 2030 mindestens 50 Prozent unseres Absatzes in China elektrisch fahren wird“, sagt VW-Markenchef Ralf Brandstätter. Bis 2023 will Volkswagen insgesamt acht ID-Modelle nach China bringen und bis 2030 mindestens 50 Prozent des Absatzes in China mit elektrischen Fahrzeugen erzielen. In der VW-Heimat Deutschland wird das Modell nicht angeboten. 

    Auto Shanghai 2021: Audi

    Audi bringt mit seinen chinesischen Joint-Ventures FAW und SAIC vier neue Fahrzeuge auf den Markt: das rein elektrische Konzeptfahrzeug Audi A6 e-tron, den rundum erneuerten Audi Q5L, den Audi A7L und ein noch in Tarnfolie gehülltes SUV-Konzept mit dem Namen Audi concept Shanghai – eines der ersten Produkte mit dem Gemeinschaftsunternehmen SAIC Audi. 

    Der A6 e-tron ist ein 4,96 Meter langer und 1,96 Meter breiter Viertürer. Die 1,44 Meter hohe Karosserie definiert das Unternehmen als Sportback. Je nach Akkuausstattung und Antrieb soll ein Audi A6 E-Tron 700 Kilometer Reichweite bieten. Der Akku soll bis zu 100 kWh Energie speichern. Die beiden Elektromotoren des Audi A6 E-Tron Concept sollen eine Gesamtleistung von 350 kW und ein Drehmoment von 800 Newtonmetern liefern.

    Was die Beschleunigung angeht, soll das Fahrzeug in der leistungsstärksten Baureihe in vier Sekunden von 0 auf 100 km/h kommen. Einen Blick in den Innenraum verwehrt der Autobauer. Bisher ist nur das Äußere zu sehen. Das Auto kommt ohne klassische Türgriffe und mit geschlossenem Kühlergrill. Über LED-Projektoren können die Blinker zusätzlich auf die Straße projiziert werden oder Fahrradfahrer vor öffnenden Autotüren gewarnt werden. 2023 soll der A6 E-Tron auf den Markt kommen. “Wir treiben den Wandel hin zur nachhaltigen Mobilität in China aktiv voran. Mit der neuen Konstellation schaffen wir dazu das perfekte Fundament und richten das Chinageschäft von Audi strategisch neu aus”, sagt Markus Duesmann, Vorsitzender des Vorstands der AUDI AG.

    Die komplett neu entworfene Limousine Audi A7L ist eine Mischung aus A7 Sportback und einer großen Limousine. Das Modell soll bereits im Laufe des Jahres in Serie gehen. Sie wird in Shanghai gefertigt und ist bis auf weiteres nur für den chinesischen Markt vorgesehen. Audi will sein E-Portfolio bis 2025 auf rund 30 Modelle ausbauen, davon rund 20 rein batterie-elektrisch. Mit dem in Shanghai vorgestellten neuen Audi Q5L komplettiert die Marke das Update der Baureihe mit langem Radstand. 

    Audi produziert im Joint Venture FAW-VW bereits an vier Standorten in China: in Changchun, Foshan, Tianjin und Qingdao. Im Jahr 2020 verkaufte das Unternehmen in der Volksrepublik insgesamt 727.358 Fahrzeuge – ein Plus von 5,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im ersten Quartal 2021 lieferte Audi 207.386 Fahrzeuge an chinesische Kunden aus. Gemeinsam mit dem langjährigen Joint-Venture-Partner FAW errichtet Audi zudem ein neues Automobilwerk für elektrisch angetriebene Modellen auf Basis der neuen Technik-Plattform PPE.

    Die PPE (Premium Plattform Electric) hat Audi zusammen mit der Konzernschwester Porsche entwickelt. Diese ermöglicht eine Batteriekapazität von etwa 100 Kilowattstunden und eine Motorleistung bis zu 350 Kilowatt sowie ein flaches Akku-Layout und skalierbare Akkugrößen. Zukünftige Modelle auf PPE-Basis können wahlweise mit reinem Hinterrad- oder dem Audi-typischen quattro-Antrieb ausgestattet werden.

    Auto Shanghai 2021: BMW

    BMW präsentiert sein bereits vorher bekanntes iX-Modell, das erste mit dem neuen Betriebssystem 8, das als Schnittstelle für zahlreiche digitale Services dienen soll, etwa Telefonie, Sprachnachrichten und das Teilen von Standortdaten via Tencents WeChat-App, die bereits im System 7 Standard waren. Es enthält außerdem die neueste Generation von BMW iDrive, das die Interaktion zwischen Fahrer und Fahrzeug zu einem intuitiven Erlebnis machen soll, wie BMW erklärt.

    Der 5G-fähige BMW iX wird ab Ende 2021 in zwei Modellvarianten angeboten. Die im BMW iX xDrive50 und BMW iX xDrive40 verbauten Elektromotoren sind – wie Leistungselektronik, Ladetechnik und Hochvoltbatterien – das Produkt von BMW eDrive Technologie der fünften Generation. Der elektrische Allradantrieb des BMW iX xDrive50 kommt auf eine Höchstleistung von mehr als 370 kW/500 PS und ermöglicht eine Beschleunigung von null auf 100 km/h in weniger als 5,0 Sekunden, kombiniert mit einer Reichweite von mehr als 600 Kilometern und einem Stromverbrauch von weniger als 21 kWh je 100 Kilometer. Anlässlich der Auto Shanghai 2021 gibt BMW einen ersten Eindruck in der Ausstattungslinie M Sport, wie sie in China und weiteren Märkten verfügbar sein wird.

    Der BMW i4 ist ein voll elektrisches viertüriges Gran Coupé, dessen Markteinführung für dieses Jahr geplant ist. Die BMW i4 Modellreihe wird in verschiedenen Versionen erhältlich sein, die Reichweiten von bis zu 590 km (WLTP) und bis zu 300 Meilen (EPA) ermöglichen. 

    Ein weiteres Zugeständnis an den chinesischen Markt war die Weltpremiere des exklusiv für Kunden in China gestalteten Editionsmodells BMW 7er Two-Tone. Die Luxuslimousine basiert auf dem Zwölfzylinder-Modell BMW M760Li xDrive und wird in einer Auflage von lediglich 25 Exemplaren exklusiv für Kunden in China produziert

    Mit der Erholung in China nach der Corona-Krise haben BMW und die Marke Mini im ersten Quartal ein Drittel mehr Autos verkauft als im gleichen Quartal vor Ausbruch des Virus vor zwei Jahren.

    Auto Shanghai 2021: Japan und Südkorea starten die Aufholjagd

    Aber auch die Japaner und Südkoreaner, neben den Chinesen die wichtigsten Wettbewerber der Deutschen, preschen nach vorneHonda will in den nächsten fünf Jahren zehn neue E-Fahrzeuge auf den chinesischen Markt bringen. Das erste Modell ist in Shanghai zu sehen: die Studie Honda SUV e:prototype. Zur Antriebsleistung machte der japanische Hersteller bislang keine Angaben. Angekündigt wurde jedoch ein auf den chinesischen Markt angepasstes Assistenzsystem. Das Adas (Advanced driver-assistive systems) soll durch eine bessere Erkennungs-, Vorhersage- und Entscheidungsleistung gekennzeichnet sein. Auch ein vergrößerter Frontkamera-Winkel und ein neues 360-Grad-Radar haben die Japaner für baldige Praxis-Tests in China in Aussicht gestellt. Das Auto ist bereits für das Frühjahr 2022 als Serienmodell angekündigt. 

    Auch ein neues Hybridmodell will Honda bei der Automesse vorstellen. Details werden noch bekannt gegeben. KIA zeigt den EV6, ein Compact Fahrzeug, auf der Hyundai E-GMP EV Plattform, das auf 260 km/h Höchstgeschwindigkeit und eine 0-100-km/h-Zeit von 3,5 Sekunden kommen soll. Die Basispreise liegen zwischen 44.990 und 65.990 Euro. Laut Hersteller soll der Akku unter hoher Ladeleistung binnen 18 Minuten von zehn auf 80 Prozent geladen werden können. Nissan stellt die neue China-Version seines Xtrail Crossover vor, der ab 2022 in China fahren soll. Technische Daten sind allerdings noch rar. 

    Toyota hat einen fast produktionsreifen concept E-SUV vorgestellt, der mit Teslas Y und Volkswagens ID.4 konkurrieren soll. Das Auto basiert auf der neuen, rein elektrischen e-TNGA-Plattform. Das Modell, das zusammen mit Subaru entwickelt wurde, hat eine ähnliche Größe wie der RAV4 des Unternehmens und ist als ein “globales Modell” geplant, das in Japan gebaut und in China, den USA und Europa verkauft werden soll. Laut Toyota ist e-TNGA äußerst vielseitig und bietet Front-, Heck- oder Allradantrieb sowie eine breite Palette an Batterie- und Elektromotorkapazitäten für verschiedene Fahrzeugtypen und Nutzungsprofile.

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    Das Geschäft mit dem blauen Dunst

    Fast unbemerkt ist die E-Zigarettenbranche in China stark gewachsen. Kaum jemand verkörpert diesen Aufschwung so sehr wie Kate Wang. 2018 begann die junge Chinesin in Chinas Städten mit dem Vertrieb von E-Zigaretten und sogenannte Vaping-Produkten – Stiften zur Dampfinhalation von nikotinhaltigen Flüssigkeiten. Knappe drei Jahre später gehört Kate Wang mit einem Privatvermögen von rund zehn Milliarden US-Dollar zu den reichsten Frauen Chinas. Die von ihr gegründete Firma Relx zählt zu einem der beiden großen Platzhirschen der Branche. Einzig Smoore International ist als weltweit größter E-Zigarettenhersteller noch etwas erfolgreicher. Dessen Gründer Chen Zhiping hat in kurzer Zeit ein Vermögen von rund 16 Milliarden US-Dollar angehäuft.

    Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt es in China mehr als 300 Millionen Raucher – mehr als in jedem anderen Land der Welt. Sie machen rund ein Drittel aller Raucher weltweit aus. Mittlerweile raucht jeder zweite Mann in der Volksrepublik, Lungenkrebs ist die häufigste Krebsart. Der Tobacco-Atlas errechnet, dass jährlich 1,9 Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens sterben.

    Auch Kate Wang ist Raucherin. Doch immer, wenn sie abends von der Arbeit nach Hause kam und ihr Baby auf den Arm nahm, fühlte die junge Mutter eine tiefe Scham: Der Geruch von ungesundem Zigarettenrauch war allgegenwärtig. Hinzu kam die Sorge um die Gesundheit ihres Vaters, der seit Jahren zwei Packungen herkömmliche Zigaretten am Tag rauchte. Und so suchte Wang nach einer Alternative zu gewöhnlichen Glimmstengeln aus Tabak – und fand sie schließlich in E-Zigaretten.

    Dampfen nimmt rasant zu

    Laut China Insights Consultancy aus Shanghai hat Wang es mit Relx geschafft, in weniger als drei Jahren mehr als 60 Prozent des chinesischen Marktes für E-Zigaretten zu erobern. Der Umsatz von Relx stieg im vergangenen Jahr um 147 Prozent auf 585 Millionen US-Dollar. Im Vergleich: Im ersten Betriebsjahr 2018 lag der Umsatz noch bei 19 Millionen US-Dollar.

    Der weitgehend unregulierte Markt für E-Zigaretten und Vapingprodukte in China schürt auch für die Zukunft Erwartungen auf gute Geschäfte. In ihrer Börsenbroschüre hat das Beratungsunternehmen Frost & Sullivan für den Marktführer Smoore International prognostiziert, dass zwischen 2020 und 2024 die weltweiten Verkäufe von E-Zigaretten jedes Jahr um durchschnittlich 25 Prozent zulegen werden – weit mehr als bei herkömmlichen Zigaretten, wo die Analysten einen Zuwachs von 5,2 Prozent antizipieren.

    E-Zigarettenmarkt war bisher kaum reguliert

    Doch am 22. März gaben Chinas Regulierungsbehörden bekannt, dass künftig die Vorschriften der Tabakindustrie auch für E-Zigaretten und Vaping-Produkte gelten könnten. Relx-Aktienkurs brach daraufhin um 48 Prozent ein, Wangs Vermögen schrumpfte über Nacht um fast die Hälfte auf fünf Milliarden US-Dollar.

    Dabei stehen die Details der Änderungsentwürfe zum Tabakmonopolgesetz, die auch die Zuständigkeit der State Tobacco Monopoly Administration (STMA) auf E-Zigaretten ausweiten würde, noch nicht einmal fest. Zudem könnte sich die Umsetzung lange Zeit hinziehen. Doch allein die Aussicht auf eine strengere Regulierung lässt Branchenkenner nichts Gutes erahnen: Ao Weinuo, Leiter des Electronic Cigarette Industry Committee, glaubt in dem Gesetzesentwurf zu erkennen, dass E-Zigaretten zukünftig unter die behördliche Kontrolle der STMA gestellt werden würden, ähnlich wie bei herkömmlichen Zigaretten, wo sie als Monopolist sowohl Tabak verkauft, als auch reguliert.

    Etwas optimistischer ist Charlie Chen, Leiter für Verbraucherforschung bei der Pekinger Investmentfirma China Renaissance. “In der traditionellen Tabakindustrie werden das Zigarettenverkaufsvolumen und die Preise von China Tobacco festgelegt. Wenn dies auf E-Zigaretten angewendet werden sollte, wird dadurch der gesamte Wert der E-Zigaretten-Unternehmen verloren gehen. Aber das ist ein sehr unwahrscheinliches Szenario”, sagte Chen dem Wirtschaftsmagazin Forbes.

    Peking will mitverdienen

    Wie das Gesetz am Ende auch aussehen mag, für Relx steigt das Risiko, dass das Geschäft mit E-Zigaretten in China zukünftig nicht mehr die gleichen Umsätze einbringen könnte. Bisher waren die Zahlen seit 2016 jährlich um durchschnittlich 30 Prozent gestiegen, so Branchenberechnungen. Sollte nun eine strenge Regulierung folgen, würden sowohl die Preise wie auch das Volumen staatlich diktiert werden – und Relx würde zwangsläufig enorm an Wert verlieren.

    Schon einmal gingen die chinesischen Regulierungsbehörden gegen die E-Zigaretten und Vaping im Land vor: Ende 2019 verbot man den Online-Verkauf von E-Zigaretten. Damit wollte man vor allem Minderjährige schützen, hieß es. Bei Relx machten die Onlineverkäufe damals etwa 15 bis 20 Prozent des Gesamtgeschäfts aus. Da Firmengründerin Wang jedoch von Anfang an mehr auf den Handel in traditionellen Geschäften gesetzt hatte und deshalb über ein breites Netzwerk von 5000 Läden in mehr als 250 Städten verfügte, konnte das Unternehmen das neue Gesetz gut verkraften. Ob das auch dieses Mal wieder gelingen wird, bleibt abzuwarten.

    Unklar ist, ob sich die neuen Vorschriften auch auf die Besteuerung von E-Zigaretten auswirken wird. Derzeit ist der Steuersatz von 13 Prozent deutlich niedrig als die 80 Prozent bei normalen Tabak-Zigaretten. Die Einnahmen aus der Tabakindustrie sind in der Staatskasse überaus willkommen; im vergangenen Jahr beliefen sie sich allein bei den regulären Zigaretten auf 1,2 Billionen Yuan (184 Milliarden US-Dollar).

    Bis zu 1000 E-Zigarettenhersteller um Shenzhen

    Bisher umgehen viele E-Zigarettenhersteller eine höhere Besteuerung, indem sie sich als Technologieunternehmen bezeichnen und daher keiner genaueren Prüfung unterzogen werden, heißt es in einem Bericht des staatlichen Finanzmaklers Everbright Securities aus Shanghai. Sollte zukünftig allerdings eine Lizenz für die Herstellung und Produktion von E-Zigaretten erforderlich sein, würde das automatisch auch eine strengere Prüfung mit sich bringen.

    Auch hier zeigt Firmengründerin Wang ihren Weitblick – und ihre Bereitschaft zu Kooperation: Da sie schon seit der letzten Kampagne gegen die E-Zigaretten-Industrie damit gerechnet hat, dass die E-Zigaretten- und Vaping-Branche härter kontrolliert werden könnte, untersucht Relx schon seit dem vergangenen Jahr in einem eigenen Labor in Shenzhen die Gesundheitsrisiken von E-Zigaretten. Bald wolle man eine entsprechende Studie darüber herauszubringen. Zudem hat Relx angekündigt, der Aufsichtsbehörde bis zum 22. April eine Rückmeldung zu den neuen Änderungsentwürfen zu geben.

    Doch nicht nur der heimische Absatz wäre von einer neue Regelung betroffen. Auch die Märkte im Ausland würden die Folgen zu spüren bekommen, schließlich ist China auch der weltweit größte Exporteur von E-Zigaretten. Laut chinesischem Handelsverband für elektronische Zigaretten werden in Chinas Fabriken etwa 90 Prozent der weltweiten E-Zigaretten hergestellt. Fast die gesamte Produktion wird exportiert.

    Expansion ins Ausland

    Auch Relx zieht es ins Ausland. Vor gut einem Jahr warb man einen ehemaligen Wissenschaftler des E-Zigarettenherstellers Juul in den USA ab und beauftragte ihn damit, für den internationalen Zweig von Relx bei der Food and Drug Administration einen Antrag für seine E-Zigaretten für den US-Markt einzureichen. Denn aufgrund der Sanktionen der ehemaligen Trump-Regierung wäre eine Produktion in den USA eine Möglichkeit, die hohen Importzölle zu umgehen. Für den Börsengang vor gut zwei Monaten wählte man die New York Stock Exchange.

    Doch ein Blick auf eben jenen US-Konkurrenten Juul zeigt, was für Probleme auch im Ausland auf Relx warten. Juul galt bei seinem Markteintritt 2015 als erfolgversprechendes Start-up. Um sein angestaubtes Image zu verjüngen, sicherte sich der US-Tabakkonzern Altria 2018 für rund 13 Milliarden US-Dollar etwa 35 Prozent Anteile an Juul. Doch eine Welle von Gesundheitsklagen von Nutzern führte dazu, dass Altria den Wert für Juul mittlerweile auf 4,6 Milliarden US-Dollar abschreiben musste. Aktuell versucht man sich an einem Comeback – mit einer eigenen E-Zigaretten-Version, die nicht auf nikotinhaltige Flüssigkeiten basiert.

    Doch nicht nur in den USA wird Relx an dem Thema Gesundheit nicht vorbeikommen. Auch auf dem heimischen Markt werden vermehrt die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen von E-Zigaretten untersucht. Noch sind viele Studien nicht abgeschlossen, aber schon jetzt bringen mehrere Untersuchungen Herz-Kreislauf- sowie Atemwegserkrankungen in Verbindung mit E-Zigaretten. In mehr als 40 Ländern sind sie deshalb schon verboten.

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    5G mit Huawei? Eine Frage des Vertrauens

    Die geplante Erweiterung des IT-Sicherheitsgesetzes ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr der politische und wirtschaftliche Aufstieg der Volksrepublik China die deutsche Politik heutzutage bereits beschäftigt. Seit mehr als zwei Jahren zieht sich der Gesetzgebungsprozess bereits in die Länge. Ein triftiger Grund für die Hängepartie: das Thema Huawei. Der chinesische Netzwerkausrüster gilt als technisch hochversiert und auf dem Weltmarkt vergleichsweise günstig im Einkauf. Aber ist er auch vertrauenswürdig?

    Oder ist Huawei ein Handlanger des chinesischen Staates, der als harmloser Tech-Dienstleister daherkommt, aber in Wahrheit für die Geheimdienste seines Landes die Rivalen ausspioniert und sich Kontrolle verschafft über deren kritische Infrastruktur? Eine Antwort auf diese Frage wird schon seit Jahren in vielen Ländern der Welt diskutiert. Firmengründer Ren Zhengfei, der vor Jahrzehnten für die chinesische Volksbefreiungsarmee IT-Forschung betrieb, weist immer wieder auf die Unabhängigkeit seines Unternehmens hin. Chinas Gesetze jedoch verpflichten jedes Unternehmen des Landes zur Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden, wenn diese den Bedarf dazu sehen.

    Die USA, Großbritannien, Japan, Australien und Neuseeland haben sich bereits entschieden, Huawei-Komponenten beim Aufbau ihrer 5G-Netze auszuschließen. Kanada wird wohl folgen. Und vielleicht kommen noch andere Staaten hinzu. Befürworter eines Ausschlusses bekommen dieser Tage aus den Niederlanden neues Futter. Die Tageszeitung De Volkskrant berichtete von möglichen Spionageaktivitäten des chinesischen Herstellers. Die Enthüllung bezieht sich auf einen Bericht des Beratungsunternehmens CapGemini aus dem Jahr 2010, der allerdings nie veröffentlicht wurde. Huawei habe die Möglichkeit besessen, über den örtlichen Netzwerkbetreiber KPN Telefonate abzuhören, unter anderem die des ehemaligen niederländischen Premierministers Jan Peter Balkenende, heißt es in dem Bericht. Das Unternehmen dementiert den Vorwurf vehement, zumal es keine 100-prozentigen Beweise dafür gibt. Für Huawei ist es aber ein weiterer Schlag gegen den Bug. Kritiker des Herstellers werden sich in ihrer Haltung bestätigt fühlen.

    Deutschlands Platz zwischen den Stühlen

    Die deutsche Politik sucht derweil noch ihren Platz zwischen den Stühlen. Der jüngste, überarbeitete Entwurf des IT-Sicherheitsgesetzes nimmt sich in Paragraf 9b explizit der politischen Herausforderung an. In Absatz 5 wird dort jetzt definiert, wann ein Hersteller kritischer Komponenten, zu denen Huawei genauso wie Ericsson, Nokia oder Cisco gehört, nicht vertrauenswürdig ist. Problematisch dabei ist jedoch, dass diese Definition auf einer Garantieerklärung des Herstellers basiert. Mit der Garantieerklärung geht das Unternehmen Verpflichtungen und Versicherungen ein. Doch würde ein Unternehmen, das spionieren möchte, an dieser Stelle nicht ganz einfach ein bisschen flunkern?

    “Seit zwei Jahren wird diskutiert und gestritten, wie sich das mangelnde Vertrauen in Huawei durch eine entsprechende Gesetzgebung ausbalancieren ließe. Das IT-Sicherheitsgesetz liefert jetzt zwar den Hebel, um Huawei ausschließen zu können. Trotzdem bleibt es zu unscharf, um eine rein faktenbasierte Einschätzung abgeben zu können, ob tatsächlich ein Risiko vorliegt oder nicht. Am Ende bleibt es immer noch eine Vertrauensfrage“, sagt der Cybersecurity-Experte Timo Kob, Gründer des Sicherheits-Dienstleisters HiSolutions.

    Grundsätzlich dient das Gesetz dazu, die Aufsichtsfunktion des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) über digitale Systeme zu stärken. Das BSI als Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums (BMI) bekommt die Kompetenz, den Einsatz kritischer Komponenten bei Betreibern kritischer Infrastrukturen zu verbieten. Doch zahlreiche unterschiedliche Interessen aus involvierten Ministerien zogen den Prozess über Jahre in die Länge. Das Auswärtige Amt (AA) beispielsweise scheint in größerer Sorge um Huaweis Vertrauenswürdigkeit zu sein als das BMI. Dennoch wird dem AA kein Vetorecht zugesprochen, wenn Hersteller künftig den erstmaligen Einsatz technischer Komponenten verpflichtend angeben müssen. Zwar muss es beratend hinzugezogen werden, die Entscheidung zur Genehmigung einer Komponente bleibt aber dem BMI vorbehalten. Nur wenn es um Komponenten geht, die bereits verbaut sind, hat das AA ein Mitspracherecht bei der Entscheidung.

    Huawei fühlt sich “nicht diskriminiert”

    Besonders die explizit politische Bewertung eines Anbieters ist der Grund dafür, weshalb das IT-Sicherheitsgesetz gerne auch als “Lex Huawei” bezeichnet wird. Beim Unternehmen selbst fühlt man sich dagegen keinesfalls diskriminiert. “Wir haben nicht den Eindruck, dass dieses Gesetz ausschließlich gegen Huawei gerichtet ist. Die Bedingungen gelten auch für alle anderen, die mit uns im Wettbewerb stehen. Entscheidend ist, dass am Ende durch eine technologische Prüfung der Komponenten, ein insgesamt noch höheres Sicherheitsniveau für die Mobilfunknetze erreicht wird”, sagt Unternehmenssprecher Patrick Berger im Gespräch mit China.Table. Ein endgültiges Urteil wolle sich der Konzern erst bilden, wenn das Gesetz abschließend formuliert ist.

    Berger weiß um die geopolitischen Hintergründe des IT-Sicherheitsgesetzes. Dennoch glaubt er, dass eine rein technische Prüfung aller Komponenten ausreichen müsste, um bewerten zu können, ob eine Gefahr für die nationale Sicherheit eines Staates besteht oder nicht. Auch verweist der Sprecher auf die Erfahrungen mit Huawei in Deutschland des vergangenen Jahrzehnts. “Produkte von Huawei sind bereits umfangreicher Bestandteil auch der 3G- und 4G-Netze in Deutschland. Trotzdem hat es darum nie eine Sicherheitsdiskussion gegeben, auch weil unsere Komponenten dazu keinen Anlass gegeben haben”, sagt Berger. Dass es jetzt um das 5G-Netz wesentlich intensiver diskutiert wird, sei auch das Resultat der politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre.

    Der Chaos Computer Club hält die Sicherheitsdebatte um Huawei sogar für “lächerlich”. In einer Analyse von Anfang März schreiben die Autoren zwar: “Eine nicht vertrauenswürdige Anbieterin könnte grundsätzlich Schwachstellen bereitstellen, die zur Beeinträchtigung der Verfügbarkeit, Integrität oder Vertraulichkeit eines Kommunikationsnetzes geeignet sein könnten.” Die Vereinigung argumentiert jedoch, dass das Ausnutzen von beabsichtigten Sicherheitslücken nicht unentdeckt bleiben würde und entsprechende drastische Konsequenzen nach sich ziehen würde, die kontraproduktiv für Huawei seien.

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    HRW: Verbrechen gegen Menschlichkeit in Xinjiang

    Die amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) wirft China in einem neuen Bericht schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Uiguren und andere muslimische Minderheiten in Xinjiang vor und legt dar, wie diese die Kriterien für Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfüllen. Die chinesische Führung sei unter anderem für eine systematische Politik der Massenhaft, Folter und kulturellen Verfolgung verantwortlich, heißt es in dem 53-seitigen Report, der am Montag veröffentlicht wurde. Der Bericht, der mit Unterstützung der Human Rights & Conflict Resolution Clinic der Stanford Law School verfasst wurde, stützt sich auf neu verfügbare Informationen aus chinesischen Regierungsdokumenten sowie Informationen von Menschenrechtsgruppen, Medien und Wissenschaftler:innen und soll einen rechtlichen Rahmen aufzeigen, wie Pekings Vorgehen in Xinjiang die Kriterien für Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) erfüllt.

    “Die chinesischen Behörden haben türkische Muslime systematisch verfolgt – ihr Leben, ihre Religion, ihre Kultur”, sagte Sophie Richardson, China-Direktorin bei HRW, anlässlich der Veröffentlichung des Reports. Peking verschleiere eine “düstere Realität von Verbrechen gegen die Menschlichkeit”, indem von “Berufsausbildungen” und “Deradikalisierung” gesprochen werde. In dem Bericht werden spezifische Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie “Verfolgung einer identifizierbaren ethnischen oder religiösen Gruppe”, Entführungen, Folter, Mord, Zwangsarbeit und sexuelle Gewalt dokumentiert.

    Der IStGH hatte im Dezember erklärt, er werde keine Untersuchung durchführen, da die mutmaßlichen Verbrechen in China stattgefunden hätten – die Volksrepublik ist jedoch kein Mitglied des IStGH. Die Verfasser:innen des HRW-Berichts betonen jedoch, dass Staatsanwält:innen nationaler Regierungen einzelne oder kollektive Voruntersuchungen ähnlich dem IStGH durchführen und so Sanktionen oder Strafverfolgungsmaßnahmen gegen betroffene Personen erleichtern könnten.

    In dem Bericht werden die Vereinten Nationen aufgefordert, eine Resolution zu verabschieden, um eine Untersuchungskommission in die westchinesische Region entsenden zu können. Regierungen sollten zudem koordiniert Visa- und Reiseverbote aussprechen, um Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen. “Es wird zunehmend klarer, dass eine koordinierte globale Reaktion erforderlich ist, um Chinas Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen türkische Muslime zu beenden”, sagte Richardson.

    Die EU hatte Ende März Sanktionen gegen mehrere Beamte und eine Organisation wegen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang verhängt – Peking reagierte mit Strafmaßnahmen gegen europäische Politiker:innen, Wissenschaftler:innen und Organisationen. ari

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    Italien begrüßt geplatzten Iveco-Verkauf an FAW

    Rom hat das Ende der Gespräche über einen möglichen Verkauf der italienischen Lkw- und Bus-Marke Iveco an die chinesische FAW Jiefang begrüßt. Die italienische Regierung betrachte Lastwagen als “strategisches nationales Interesse”, sagte Industrieminister Giancarlo Giorgetti der Nachrichtenagentur Reuters. Iveco ist Teil des niederländisch-britischen Konzerns CNH Industrial, der wiederum von Exor, der Holdinggesellschaft der italienischen Unternehmerfamilie Agnelli, kontrolliert wird. CNH hatte zuvor bekannt gegeben, es habe die Gespräche mit FAW über den Iveco-Verkauf beendet, verfolge aber weiterhin eine Abspaltung der Gruppe Anfang 2022.

    Der italienische Staat hatte bereits angedeutet, dass er bei einem Verkauf Ivecos an FAW von seinen Eingriffsrechten, den “Golden Power”-Regeln, Gebrauch machen könnte. Bei Übernahmen von Unternehmen in Branchen von nationalem Interesse kann die Regierung in Rom ein Veto einlegen oder strenge Auflagen machen. Iveco würde unter diese Vorschrift fallen, sagte Giorgetti einem Bericht zufolge. Auch aus dem europäischen Ausland gab es Zuspruch für den geplatzten Deal: Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire lobte den Schritt auf Twitter. Das Vorhaben hätte “wichtige Fragen der industriellen Souveränität” aufgeworfen, dass die Gespräche beendet sind, sei eine “gute Nachricht”, so Le Maire.

    Italien hatte die “Golden Power”-Regeln zuletzt beim Einsatz von chinesischer 5G-Technologie angewandt und unter anderem das Telekommunikationsunternehmen Linkem daran gehindert, 5G-Komponenten und fachliche Begleitung von Huawei und ZTE zu beziehen. Anfang März hatte die Regierung unter Mario Draghi bereits das Telekommunikationsunternehmen Fastweb davon abgehalten, Ausstattung von ZTE und dem taiwanischen Hersteller Askey zu erwerben. ari

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    EU legt Indo-Pazifik-Strategie vor

    Die EU-Außenminister haben am gestrigen Montag die Indo-Pazifik-Strategie der Staatengemeinschaft verabschiedet. Die Europäische Union will damit ihren Einfluss in verschiedenen Bereichen stärken, um EU-Interessen zu schützen und um Chinas Machtzuwachs in der indopazifischen Region entgegenzuwirken. EU-Diplomaten betonten einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge jedoch, die Strategie sei nicht explizit gegen Peking gerichtet. Brüssel “ist der Ansicht, dass die EU ihre strategische Ausrichtung, Präsenz und ihr Handeln im Indo-Pazifik stärken sollte”, hieß es in einer Mitteilung der Außenminister nach dem virtuellen Treffen. Basieren soll das Engagement demnach auf der “Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und internationalem Recht“.

    Das verabschiedete Strategie-Papier umfasst zehn Seiten, im September soll eine detailliertere Strategie folgen. Die EU wolle mit “gleichgesinnten Partnern” zusammenarbeiten, um die Grundrechte in der indo-pazifischen Region zu wahren, teilten die Minister mit. Der Plan könnte möglicherweise auch eine größere sicherheitsstrategische Präsenz der EU beinhalten – beispielsweise mittels der Entsendung von Schiffen ins Südchinesische Meer. Details dazu blieben jedoch offen.

    China wird in dem Strategie-Papier nur einmal erwähnt: Ziel sei es, “weitere Schritte in Richtung des umfassenden Investitionsabkommens mit China zu unternehmen“, heißt es. Auch Freihandelsabkommen mit Australien, Indonesien und Neuseeland seien beabsichtigt.

    Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, David McAllister (CDU), lobte das Strategie-Papier. “Die EU will ihre Rolle als kooperativer Partner in einem Umfeld zunehmender geopolitischer Spannungen stärken. Eine gemeinsame Grundlage ist wichtig, um die vielfältigen Herausforderungen in dieser aufstrebenden und zugleich zunehmend polarisierten Region zu bewältigen”, teilte McAllister mit. Ein friedlicher, stabiler und regelbasierter Indopazifik sei ein europäisches Kerninteresse. ari

    • EU
    • Indopazifik

    Standpunkt

    Konfrontation führt nicht zum Ziel

    Von Berthold Kuhn
    Berthold Kuhn zum China-Bashing der EU

    Unter einigen deutschen China-Experten lässt sich eine erstaunliche Anmaßung und Naivität im Umgang mit China beobachten. Die Folgen von deutscher und europäischer Außenpolitik, speziell auch die Verhängung von Sanktionen, werden nicht ausreichend antizipiert und öffentlich debattiert. Deutschland braucht einen Paradigmenwechsel im Umgang mit China, der den Einfluss Chinas in der Weltpolitik angemessen berücksichtigt und smarte, anstelle von konfrontativen Strategien entwickelt, um Europa wieder mehr weltpolitische Einflussmöglichkeiten zu erschließen.

    China antwortete auf die am 22. März 2021 seitens der EU verhängten Sanktionen gegen vier politische Beamte und eine Institution in Xinjiang mit Gegenmaßnahmen, die Europa und auch Deutschland ungleich härter treffen. So sind neben mehreren Politikern auch wissenschaftliche Einrichtungen in Europa betroffen, u.a. das Mercator Institute for China Studies (Merics). Unter Experten, die viele Jahre in China arbeiteten, ist bekannt, dass Merics-Analysen von konfrontativen außen- und sicherheitspolitischen Thesen beeinflusst bzw. überschattet sind. Die Sanktionen treffen viele junge Wissenschaftler:innen hart, die nach ihrem erfolgreichen Studienabschluss bei Merics anheuerten und oft qualitativ hochwertige Analysen erstellten, in Bezug auf die konfrontative China-Haltung des Instituts aber möglicherweise ein wenig naiv waren. Ohne Einreisen nach China scheint die Zukunft des Instituts beeinträchtigt. Vor allem junge Wissenschaftler und wirtschaftsnahe Experten dürften eher Abstand von einer Zusammenarbeit mit Merics nehmen.

    Sanktionen gegen China verfehlen ihre Wirkung

    Nun stellt sich die Frage nach dem Sinn und der Wirkung von politisch motivierten Sanktionen. Es liegen viele Analysen vor, die überwiegend zu dem Ergebnis kommen, dass die Wirkungen von Sanktionen in der Regel falsch eingeschätzt werden und vor allem differenziert betrachtet werden müssen. Der US-amerikanische Ökonom Gary C. Hufbauer kommt in seinen Forschungen zu dem Ergebnis, dass wenn überhaupt, nur sehr umfangreiche Sanktionen wirken, dass das Kräfteverhältnis eine wesentliche Rolle spielt und dass die sanktionierenden Staaten geschlossen auftreten müssen. Diese Voraussetzungen sind bei den Sanktionen der EU gegen China nicht gegeben.

    Es ist nicht davon auszugehen, dass die Sanktionen einen Prozess auslösen, der die Beziehungen zu China verbessert und somit Einflussmöglichkeiten eröffnen. Die Entwicklungen in Hongkong haben gezeigt, dass Sympathien mit gewalttätigen Protesten – es gab umfangreichen Vandalismus in Hongkong – gegenteilige Wirkung entfalten. Die Regierung in Peking leitete erst nach der gewalttätigen Zuspitzung der Proteste drastische Veränderungen des Status von Hongkong ein, der nun große Einschränkungen bei Freiheitsrechten bedeutet. Im Globalen Süden findet die Entkolonialisierungspolitik Chinas gegenüber Großbritannien und westlichen Partnern mehr Anklang als viele vermuten. Die undifferenzierte Unterstützung der Proteste hat auch dazu geführt, dass die Jugend auf dem Festland ihre Meinung zu den Entwicklungen in Hongkong geändert hat und nun mit großer Mehrheit hinter der eigenen Regierung in Peking steht.

    Die Sanktionen der EU folgen Überlegungen, von Europas Abstiegsängsten abzulenken und den USA Gefolgschaft zu leisten. Eberhard Sandschneider hat in seinem China.Table-Beitrag “China-Bashing hat Hochkonjunktur” die Verhängung von Sanktionen gegen China geopolitisch eingeordnet: “Die USA reden über Werte, sie meinen aber geopolitischen Einfluss.” Er kommt auch zu der zutreffenden Erkenntnis, dass sich China nicht von außen managen lässt. Das China-Bashing erlebt zu einem Zeitpunkt Hochkonjunktur, in dem das weltpolitische Ansehen der EU ziemlich ramponiert ist und sich der weltpolitische Gestaltungsspielraum der EU und Großbritanniens auf einem Tiefpunkt befindet.  

    Dokument Nr. 9 keine Grundlage für deutsche Außenpolitik

    Der in Nottingham tätige Wissenschaftler Andreas Fulda fordert nun in einer Replik auf Herrn Sandschneider einen Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik (China.Table berichtete). Er meint damit eine härtere Gangart gegenüber China und bezieht sich auf das parteiinterne Dokument Nr. 9: “Unter den Bedingungen des “Dokument Nr. 9” kann es allerdings keinen ergebnisoffenen interkulturellen Dialog mit China geben”. Das Dokument Nr. 9 begrenzt u.a. Freiheiten in der wissenschaftlichen Lehre – z.B. wurde der Begriff Zivilgesellschaft auf den Index gesetzt. Das Dokument ist ein Ausdruck der Re-Ideologisierung Chinas, den man bedauern und kritisieren kann, weil er Dialoge erschwert. Es gibt allerdings nach wie vor chinesische Wissenschaftler, die an internationalen Konferenzen zu Themen des zivilgesellschaftlichen Engagements teilnehmen und dazu auch veröffentlichen. Auch meine Habilitationsschrift, die ins Chinesische übersetzt wurde und den Begriff Zivilgesellschaft im Titel führt, ist nicht aus den Bibliotheken verschwunden. Es ist allerdings abwegig, ein parteiinternes Dokument zum Maßstab der deutschen Außenpolitik machen zu wollen.

    Rufe nach einer härteren Gangart gegenüber China erleben gegenwärtig einen Aufschwung. Der Economist hat am 11.02.2021 in einem Artikel klargestellt, warum der Vorwurf des Genozids auf die Situation in Xinjiang keine Anwendung finden sollte: “To confront evil, the first step is to describe it accurately”. Es gibt keine gesicherten Anhaltspunkte für diesen maßlosen Vorwurf. Alle chinesischen Statistiken zur Bevölkerungsentwicklung der Uiguren der letzten Jahre müssten gefälscht sein. Die Einschätzung, dass China mit Sanktionen beizukommen wäre, erscheint völlig entrückt von den weltpolitischen Rahmenbedingungen. Die Sanktionen haben bereits dazu geführt, dass China seine diplomatischen Offensiven verstärkt. Xinjiang betreffend hat China mit einer Einladung an Diplomaten reagiert, der immerhin 30 Diplomaten aus 21 Staaten gefolgt sind.

    China wird wissenschaftlich, wirtschaftlich und weltpolitisch weiter aufsteigen. Im nächsten Jahr dürfte Chinas Beitrag zum Wachstum der Weltwirtschaft bei über 60 Prozent liegen. Selbst in Lateinamerika ist China zum größten Handelspartner aufgestiegen. Noch im Jahr 2000 gingen nur zwei Prozent der Exporte aus den südamerikanischen Staaten nach China. 2018 waren es schon 22,1 Prozent. Chinas Außenhandel hat zuletzt wieder kräftig zugelegt. 30,6 Prozent bei den Exporten und 38,1 Prozent bei den Importen. Davon profitiert besonders die deutsche Industrie.

    Chinas weitet Einfluss in den UN aus

    China wird seinen Einfluss in den Vereinten Nationen und in der Gruppe der Zwanzig (G20) weiter ausweiten, diesen Einfluss instrumentalisieren, jedoch außerhalb Asiens pro-aktiv keine aggressive Außenpolitik praktizieren. Übergeordnet könnte man Chinas Bekenntnis zum Multilateralismus als Ausgangspunkt für eine offene Perspektive zur Lösung von globalen Problemen ansehen. China ist in den internationalen Austausch von Waren, Dienstleistungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen tief integriert. Im Kontext des Handelskonflikts mit den USA betont China auch weiterhin sein Bekenntnis zum Multilateralismus und zum weitgehend freien Handel von Waren.

    Chinas aktive Rolle in den UN untermauert dessen Bekenntnis zur Stärkung von Global Governance. Allerdings provoziert dies die USA und zum Teil auch europäische Staaten, die ihren eigenen Einfluss zurückgedrängt sehen. Die Kritik der USA an der angeblichen Abhängigkeit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von China trieb die kritische Auseinandersetzung auf die Spitze und führte unter Präsident Trump zum Stopp von Zahlungen der USA an die WHO.

    EU droht wirtschaftlicher Schaden

    Auch im Rahmen der G20, der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, spielt China eine gestaltende Rolle. Der G20-Gipfel in Hangzhou 2016 trug wesentlich zur Aufwertung der Gruppe bei. In Hangzhou brachte China das Thema Sustainable Finance voran, das inzwischen einen großen Schub erfahren hat, speziell auch auf Ebene der EU.

    China verfolgt außenpolitisch und außenwirtschaftlich eine zweigleisige Strategie: Einerseits engagiert es sich in bestehenden internationalen Organisationen, andererseits übernimmt es die (Mit-) Gründung neuer Organisationen und Initiativen, in denen China eine Führungsrolle innehat.

    China wird auf dem Weg zu mehr globalem Einfluss auf viel Kritik und starke Gegenwehr westlicher Staaten stoßen, speziell seitens der USA, aber auch der EU, Australien, Kanada. Bilaterale Konfrontationen mit Staaten in Afrika und Lateinamerika werden eher nicht eskalieren, auch weil die USA dort an Einfluss verlieren. China wird die Konfrontationen seitens der USA und anderer Staaten weitgehend kompensieren können. Eher läuft die EU bei einer fortgesetzten Konfrontation mit China Gefahr, wirtschaftlich erheblichen Schaden zu nehmen und auch an weltpolitischem Einfluss zu verlieren. Die EU wäre gut beraten, China durch eine entschlossene wirtschaftspolitische Strategie in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaneutralität zu beeindrucken und hier eigenen Ansprüchen gerecht zu werden.

    Berthold Kuhn ist habilitierter Politikwissenschaftler (FU Berlin) und Berater für internationale Zusammenarbeit.

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    Chinas früherer Premierminister Wen Jiabao hat in einem Essay – angeblich eine Hommage an seine verstorbene Mutter – sanfte Kritik an Xi Jinping geübt. Sein Text wurde in China hunderttausendfach geteilt und prompt zensiert.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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