China-Bashing hat Hochkonjunktur

Von Eberhard Sandschneider
Eberhard Sandschneider ist Leiter des Arbeitsschwerpunktes Politik China und Ostasiens an der Freien Universität Berlin und Vertrauensdozent der Friedrich-Ebert-Stiftung. Hier schreibt er über China-Bashing und die Implikationen.
Partner „Berlin Global Advisors“

Der Katzenjammer war vorprogrammiert. Die mittlerweile klar erkennbare Chinapolitik der Administration Biden zwingt auch die Europäer dazu, verstärkt über ihre Chinapolitik nachzudenken. Bislang zeigt sich allerdings nur eine den amerikanischen Erwartungen folgende Aggressionsbereitschaft. Mit einer erfolgsorientierten und konstruktiven Politik hat das wenig zu tun. Gerade in Deutschland könnte das Thema nach einem möglichen Regierungswechsel besondere Brisanz entwickeln. China macht es uns dabei nicht unbedingt einfach.

Klar ist derzeit nur eines: Der ökonomische Aufstieg Chinas hat machtpolitische Folgen und das Potential die geopolitischen Gewichte des 21. Jahrhunderts grundsätzlich zu verschieben. Neu ist dieser Gedanke nun wahrlich nicht, aber je deutlicher die Konsequenzen dieser Entwicklung spürbar werden, desto mehr steigt die Unruhe unter westlichen Politikern, Unternehmern und Kommentatoren. Die Bereitschaft, in Extremen zu denken, nimmt zu: Hat Matthias Döpfner recht, der eine enge Anlehnung an die USA fordert, oder im Gegenteil Stefan Baron, der es bei einem missverständlichen, aber schlichten „Ami go home“ belässt? Oder doch eher Sigmar Gabriel, der im China.Table der vergangenen Woche zwar sachlich über den „Abschied vom Atlantik“ nachdenkt, am Ende aber doch wieder nur in die ewigen Hoffnungsgesänge auf ein endlich handlungsfähiges Europa auf Augenhöhe mit Washington einstimmt?

Zunächst sollten wir uns nicht dem Größenwahn hingeben, den Aufstieg Chinas „managen“ zu können. China lässt sich nicht von außen managen, genauso wenig wie es sich übrigens eindämmen lässt. Unsere amerikanischen Freunde haben das noch nicht verstanden und geben sich dem Irrglauben hin, es sei noch an der Zeit die notwendigen Schritte zu ergreifen, um dem machtpolitischen Aufstieg Chinas Einhalt zu gebieten. Und nur weil sie an den Hammer ihres Militärs glauben, glauben Sie auch, China sei ein Nagel, den man nur wieder einzuschlagen brauche. Zwischen dem Hammer und dem Nagel liegt in diesem Fall allerdings der eigene Daumen.

China-Bashing ohne Sachkompetenz

In der Politik steigt derweil die Frustration und damit auch die Bereitschaft, zu immer härteren Formulierungen in der Chinapolitik zu greifen. Chinas zunehmend selbstbewusstes außenpolitisches Verhalten leistet dieser Kritikwut mit den üblichen Reizthemen bereitwillig Vorschub: Kritik an Chinas Politik in Tibet, Xinjiang, Hongkong und dem Indopazifik gehört heute ins Standardrepertoire einer moralisierenden Außenpolitik, die mit klarem Wertebezug zwar, aber ansonsten durchaus ohne Sachkompetenz auskommt. China-Bashing hat Hochkonjunktur. Und Sanktionen sind auch dieses Mal wieder nur die Fortsetzung hilfloser Politik mit rechthaberischen Mitteln. Der Westen könnte das in Anbetracht seiner Sanktionsbilanz schon wissen, China wird es erst noch lernen müssen.

Europäische Selbstermahnungen wirken zunehmend unbeholfen. Die vom französischen Präsidenten geforderte „strategische Autonomie“ findet sich in der Realität nicht einmal im Ansatz wieder – weder gegenüber China noch gegenüber den USA. Transatlantische Träume haben auch unter Joe Biden den Beigeschmack von Albträumen. Denn man muss kein Experte sein, um einen schlichten Sachverhalt zu erkennen: Die USA reden über Werte, sie meinen aber geopolitischen Einfluss. Die Europäer tun es ihnen gleich, sie meinen aber wirtschaftliche Interessen. Doppelte Standards werden in beiden Fällen gesetzt.

An anderer Stelle sieht das sogar der deutsche Außenminister in einem seiner klareren Statements ein: Maas wolle eine weitere Eskalation der Beziehungen mit Russland vermeiden, zitiert ihn die Deutsche Welle. Maas weiter: „Unsere Haltung zu Nord Stream 2 ist bekannt. Wenn die beteiligten Firmen ihre Aktivitäten stoppen würden, muss das keine konkreten Auswirkungen auf den Fall Nawalny haben. Wir halten es nicht für richtig, Russland wirtschaftlich zu isolieren. Eine wirtschaftliche Isolation Russlands würde geostrategisch dazu führen, dass man Russland und China immer weiter zusammentreibt. Und das kann nicht in unserem strategischen Interesse sein. Es könnte eher noch schwieriger werden, überhaupt noch über solche Themen mit Russland zu sprechen.“ Da hat er nun mal ausgesprochen recht. Aber wer das sagt, sollte eigentlich genau dasselbe über Sanktionen gegen China sagen. Die Doppelmoral der deutschen Außenpolitik und ihrer führenden Vertreter ist immer wieder bemerkenswert.

Wie also könnte eine weniger moralisierende Chinapolitik aussehen? Idealerweise sollte sie aus mindestens drei Schritten bestehen.

Militärische Zurückhaltung

Militärische Muskelspiele sind derzeit im Westpazifik an der Tagesordnung. Provoziert durch außenpolitisches Nachtreten einer schon fast aus dem Amt entlassenen US-Regierung wegen Taiwan, revanchiert sich Peking mit einer gezielten Verletzung des von Taiwan beanspruchten Luftraums. Daraufhin verlegt der neue amerikanische Präsident als Zeichen seiner Handlungsfähigkeit mit der „USS Theodore Roosevelt“ einen zweiten Flugzeugträger in die Straße von Taiwan. Und plötzlich wollen auch die Europäer dabei sein: Die Franzosen mit ihrem Atom-U-Boot „Émeraude“ und die Briten mit ihrem Flugzeugträger „HMS Queen Elizabeth“. Selbst die Deutschen wollen mit einer Fregatte Flagge zeigen – wenn sie es denn über Wasser in das südostasiatische Seengebiet schafft. Symbolische Machtpolitik nach Vorbild des 19. Jahrhunderts, so als wüsste man nicht um die Risiken einer Zufallskonfrontation mit katastrophalen Folgen. Europa ist keine pazifische Macht und wäre gut beraten, sowohl die USA als auch China zu einer Reduktion militärischer Konfliktpotentiale zu drängen.

Sanktionen verhindern den Dialog

In der Kunst der Diplomatie kommt es darauf an, Dinge auch einmal unausgesprochen zu lassen, gerade wenn sie offensichtlich sind. Chinadebatten im Westen leiden an einem Übermaß an verbaler Kritikwut. Das soll nicht heißen, dass die China-Kritik aus westlicher Sicht nicht berechtigt ist. Aber was kann China-Bashing wirklich bewirken bzw. verbessern? Nehmen wir nur das derzeit beliebteste Beispiel: Die Vorgänge in Xinjiang als Anlass für Sanktionen zu nehmen, wie es die Europäische Union gerade getan hat, sichert innenpolitischen Zuspruch und medialen Applaus, aber es hilft den Menschen in den betroffenen Regionen nicht. Stattdessen verleitet es China nur zu Trotzreaktionen und stellt sicher, dass auch der letzte Dialogkanal verstopft wird.

Ein Grundproblem wird offensichtlich: Politiker wissen sehr genau, was man zu Hause, in ihren Wahlkreisen und Parteigremien von ihnen erwartet und welche Sprache man hören will. Wer China laut kritisiert, kann sich des Applauses sicher sein. Häufig geht es dabei gar nicht primär um China, sondern um Sichtbarkeit in den deutschen und europäischen Medien und um Zuspruch in der jeweiligen Innenpolitik.

Statt markiger Worte ist das Bohren dicker Bretter angesagt. Wer nur mit der westlichen Wertebrille auch China schaut, muss nichts mehr lernen über dieses komplexe und für uns paradoxe Land, weil das Urteil ohnehin von vornherein feststeht. Wer aber für sich in Anspruch nimmt, auf innenpolitische Vorgänge in China Einfluss nehmen zu wollen, der muss alles Erdenkliche tun, um Dialogkanäle offenzuhalten und sie nicht durch provokante und überzogen aggressive Sprache zu verschließen.

Mit China reden: Der Ton macht die Musik

Statt auf aggressive Anklagen und militärische Drohgebärden zu setzen, scheint eine derzeit weniger beliebte Strategie langfristig doch das Potential zum Königsweg zu haben: Kann man also mit China nicht über Hongkong, Xinjiang und Tibet sprechen? Natürlich kann man das. Aber der Ton macht die Musik. Wer das Land nicht gleich mit markigen Worten auf die Anklagebank setzt, hat zumindest die Chance, Gehör zu finden – und vielleicht auch in stiller Diplomatie den ein oder anderen Erfolg zu verbuchen.

Wer anerkennt, dass die großen globalen Probleme unserer Zeit nur gemeinsam mit China und nicht ohne oder gegen China gelöst werden können, müsste eigentlich ohne großes Nachdenken selbst auf die Idee kommen, dass man mit diesem Land und seiner Regierung reden, verhandeln, vielleicht auch streiten muss, um Lösungen zu finden, die für alle Seiten akzeptabel sind. Nur so wird sich die gemeinsame Erarbeitung globaler Güter sicherstellen lassen. Nur so werden sich Frieden und Wohlstand erhalten lassen.

Es ist höchste Zeit, dass Chinapolitik im Westen als ständige und dauerhafte Managementaufgabe und nicht als Problem gesehen wird, dass mit aller Macht, schnell und endgültig nach einer Lösung verlangt. Den Untergang des Abendlandes bedeutet der Aufstieg Chinas nicht, wohl aber die Notwendigkeit, die fatalen machtpolitischen Denkmuster des 20. Jahrhunderts in die Mottenkiste der Geschichte zu verbannen.

Eberhard Sandschneider, war von 1998 bis 2020 Professor für Politik Chinas und internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin. Heute ist er Partner bei der Beratungsfirma „Berlin Global Advisors“.

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