Table.Briefing: China

Nils Peter Thomas + Klimaplan + Magnesium-Mangel

  • Interview mit Niels Peter Thomas: China bringt der Forschung neue Vielfalt
  • Lang erwarteter Klimaplan enthüllt
  • Aluminiumproduktion: Europa geht das Magnesium aus
  • Xi äußert sich zu Streit um Taiwan
  • Amnesty International schließt Büro in Hongkong
  • Mehr Steuerabgaben für Spitzenverdiener
  • Biden stärkt Taiwan den Rücken – ein wenig
  • Lockdown für Zehntausende im Norden Chinas
  • Evergrande kratzt Geld für Zinszahlung zusammen
  • Caixin darf nicht mehr verlinkt werden
  • Standpunkt von Yu Yongding: Chinas Wirtschaft muss wieder stärker wachsen
  • Im Portrait: Aufstieg des sanktionierten Funktionärs Wang Junzheng
Liebe Leserin, lieber Leser,

die Stärkung von Technik und Wissenschaft war neben der Einführung der Marktwirtschaft der größte Faktor für Chinas Erfolge nach 1978. Nach der Kulturrevolution befand sich die Mathematik an Chinas Hochschulen auf dem Stand des deutschen Oberstufenunterrichts. Wie wir alle wissen, hat sich die Lage seitdem gedreht. Chinas Schulen und Unis haben Weltklasseniveau, die IT-Firmen des Landes rangieren weit vor der deutschen Konkurrenz, wo sie überhaupt vorhanden ist.

Im Interview mit China.Table spricht Niels Peter Thomas über einen wichtigen Aspekt des Wissenschaftsbetriebs: das Publikationswesen. Er leitet die China-Niederlassung des Verlags Springer Nature, der wichtigen Fachzeitschriften herausbringt. Thomas zufolge geht der Aufstieg der chinesischen Wissenschaft derzeit in eine neue Phase. Er registriert einen rasanten Anstieg der Zahl hervorragender Veröffentlichungen. Rückkehrer von ausländischen Hochschulen haben die Methoden und den Geist der Wissenschaft nach China gebracht. Eine neue Generation steht jetzt den Forscherkollegen in den USA und Europa in nichts mehr nach. Der positive Effekt: “Die Vielfalt wird größer.”

Kurz vor der großen COP26-Konferenz in Glasgow hat China seinen großen Klimaplan online gestellt. Darin finden sich die bekannten Ziele: einen Rückgang der Kohleverbrennung ab 2030 und CO2-Neutralität bis 2060. Dazu kommen aber zahlreiche neue Details, die Nico Beckert genauer unter die Lupe genommen hat.

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

Ihre
Amelie Richter
Bild von Amelie  Richter

Interview

“Von Abschottung kann keine Rede sein”

Niels Peter Thomas, President Greater China & Managing Director Books bei Springer Nature
Niels Peter Thomas, President Greater China & Managing Director Books bei Springer Nature

Dr. Niels Peter Thomas ist erst 49 Jahre alt und dennoch kennt er noch das China ohne Autos. Als Schüler hat er ab 1985 in Peking gelebt, seine Mutter war dort Lehrerin. Fasziniert von dem Land, kam er dann als Studierender wieder. Der Diplom-Elektroingenieur hat in Wirtschaft promoviert. Er ist nun schon zum zweiten Mal als Manager im Land.

Heute ist er Präsident für die Region Greater China eines der größten Wissenschaftsverlage der Welt: Springer Nature. Das bedeutet viel Tradition. Denn zum Verlag gehören beispielsweise das britische Wissenschaftsjournal Nature (1908 gegründet), sowie Scientific American (1844 gegründet), für das später auch Albert Einstein geschrieben hat. Und der deutsche Springer Verlag aus Heidelberg ist sogar noch älter: Er ist 1842 entstanden. 

Aber Springer Nature steht mindestens ebenso für Innovation. Der Verlag betreibt die größte Open-Access-Wissenschafts-Plattform der Welt. Er hat Fachbücher publiziert, die nicht mehr von Menschen, sondern von künstlicher Intelligenz geschrieben wurden. Die Muttergesellschaft ist mit 53 Prozent die Stuttgarter Holtzbrinck Publishing Group. Um das Gespräch in voller Länge als Video zu sehen, klicken Sie bitte hier.

Herr Thomas, wie gut geht China mit seinem Wissen um?

Beeindruckend ist ein zunehmendes Bewusstsein für die Bedeutung von Wissen, wenn man mit Universitäten oder Forschern spricht, aber auch mit Behörden. Es geht um die Sammlung, Organisation und den unkomplizierten Austausch von Wissen. Der Sinn dafür ist zuweilen sogar ausgeprägter als bei uns im Westen

Woher kommt das?

Für ein schnell wachsendes Land mit einer langen erfolgreichen Geschichte ist es offensichtlicher, wie wichtig Innovation und die Weitergabe von Wissen für die wirtschaftliche und technologische Entwicklung sind. China hat eine lange Tradition der Wissensweitergabe. Auch daraus resultiert der Wunsch, Wissen immer besser zu managen. Peking will dies nicht dem Zufall überlassen, wie das in manchen Bereichen im Westen leider der Fall ist. 

Betrifft das auch die internationale Zusammenarbeit? Oder glaubt Peking, das Wissensmanagement mehr und mehr alleine hinzubekommen?

Nein, auch Peking ist sich bewusst, dass man als globaler Einzelgänger die Entwicklungsgeschwindigkeit nicht halten kann. Das gilt übrigens nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Politik. Auch dort ist internationale Zusammenarbeit nötiger denn je. Es gibt zwar auch Bereiche, in denen man sich abschottet, aber das ist nicht der große Trend an den Universitäten.

Die wissenschaftlichen Gemeinschaftsproduktionen zwischen chinesischen und ausländischen Wissenschaftlern sind in der vergangenen Dekade deutlich gestiegen. Das sehen wir an der Anzahl der wissenschaftlichen Fachaufsätze, die in begutachteten internationalen wissenschaftlichen Zeitschriften von chinesischen Forschern akzeptiert und publiziert wurden. Inzwischen sind 27 Prozent davon zusammen mit ausländischen Wissenschaftlern geschrieben, Tendenz steigend. Von einer Abschottung kann also nicht die Rede sein.

Der Schwerpunkt liegt dann aber sicherlich im naturwissenschaftlichen Bereich?

In jedem Fall, wenn man die absoluten Zahlen betrachtet. Allerdings gibt es auch ein beachtliches prozentuales Wachstum der chinesisch-ausländischen Artikel in den Sozial- und Geisteswissenschaften, auch wenn wir bei manchen ideologischen Themen nur schwer zusammenkommen. Und es werden Themen an chinesischen Universitäten erforscht, die in Europa nur noch Nischenthemen sind, zum Beispiel zur Soziologie des ländlichen Raums.

https://youtu.be/C-2_TV4wXMo

Woran liegt dieser Boom?

Es ist ein zentraler Teil der chinesischen Politik, den internationalen Austausch in vielen Bereichen zu fördern. Internationale Publikationen oder Konferenzen auf internationalen Niveau werden finanziell gefördert oder sind mit besseren Karrierechancen verbunden. Gleichzeitig will sie den wissenschaftlichen Forschungsstand der Welt nach China holen. Beides hilft der chinesischen Wissenschaft besser zu werden und erhöht die Innovationsgeschwindigkeit im globalen Wettbewerb.

Warum sind Chinas Wissenschaftler nun wieder so innovativ? Zwei, drei Jahrzehnte lang waren wir ja überzeugt: Das, was die Chinesen am besten können, ist vom Westen zu kopieren. 

Sie mussten erst einmal wieder aufschließen. In der Wissenschaft würden wir das eher als Fleißarbeit bezeichnen denn als kopieren. Es gab lange ein nacherzählendes Wachstum an Forschungsarbeiten. Inzwischen sehen wir allerdings bei “Springer Nature” mit seiner strengen Auslese, was Relevanz und Qualität betrifft, ein signifikantes qualitatives Wachstum. Alle Artikel müssen sich, egal woher sie kommen, einem Peer-Review-Verfahren unterziehen. Das bedeutet, sie müssen von unabhängigen Fachkollegen für wissenschaftlich solide und relevant befunden werden, was meist bedeutet, dass westliche Wissenschaftler die Artikel ihrer chinesischen Kollegen begutachten.

Hat Sie das überrascht? 

Nein, das hat sich hinter den Kulissen über viele Jahre angebahnt. Die besten Universitäten bekommen sehr viel Geld und Infrastruktur. Schon lange, also seit mehr als zehn Jahren, gibt es Anreize für chinesische Wissenschaftler, die im Ausland Karriere gemacht haben, nach China zurückzukehren. Das wiederum prägt die nächste Generation der Doktoranden. Sie können inzwischen an vielen chinesischen Universitäten in manchen Fachgebieten so promovieren, als ob sie im Ausland wären.

Sie waren schon als Schüler in den achtziger Jahren in China. Welche Erfahrungen können Sie mit uns teilen?

China ist ein Land, das man nur wirklich begreifen kann, wenn man länger vor Ort ist. Und ich bin dankbar, dass ich die Chance hatte, China über so einen langen Zeitraum immer wieder zu erleben. Wenn ich damals mit der U-Bahn zur Schule gefahren bin und war einen Tag krank, haben mich am nächsten Tag unbekannte Mitfahrer gefragt, wo ich denn gestern gewesen sei. Das ist heute eher unwahrscheinlich und sagt viel über das alte und das neue Peking.

Und ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als der dritte Ring gebaut wurde, der am Hotel Kempinski vorbeiführt. Damals wurde eine sechsspurige Autobahn ins Grüne gesetzt. Ich war nicht der einzige, der sich damals gefragt hat, ob das nicht ein großer Unsinn ist. Dort fuhren anfangs ja nur Pferdekarren und ein paar Fahrräder. Heute verläuft der dritte Ring mitten in der Stadt, er ist immer verstopft und es gibt inzwischen einen sechsten Ring. Aufgrund dieser Erfahrung sehe ich gegenwärtige Zukunftsprojekte Chinas mit ganz anderen Augen. 

Ist China heute nationalistischer geworden?

Das ist ein schwieriger Begriff im Deutschen. Wenn Nationalismus Stolz auf das Erreichte und ein größeres Selbstbewusstsein meint, bis hin zu der Tendenz, dass man sich von anderen immer weniger sagen lassen will, was man zu tun oder zu lassen hat, dann würde ich zustimmen. Wenn mit Nationalismus Abschottung gemeint ist, würde ich widersprechen. Es gibt in der Bevölkerung – jedenfalls bei den Menschen, mit denen ich zu tun habe – eine unglaubliche Aufgeschlossenheit und Neugier der Welt gegenüber, eine Bereitschaft voneinander zu lernen.

Gilt das auch für das Verhältnis zwischen chinesischen und internationalen Wissenschaftlern? Politisch knirscht es ja gewaltig.

In der Wissenschaft spürt man das kaum. Die Vernetzung steht im Vordergrund, nicht die Konfrontation. Wissenschaftler interessiert weniger, woher das neue Wissen kommt, das ihren Fachbereich voranbringt, sondern mehr, ob man zusammen schneller weiterkommt als auf eigene Faust. So sind sehr erfolgreiche internationale Kooperationen entstanden. Manche westlichen Wissenschaftler schauen inzwischen neidisch auf die Ausstattung ihrer chinesischen Kollegen.

Welche Rolle hat das Corona-Virus gespielt? Hat es die Szene der Virologen politisch entzweit? 

Nein. In der Not ist man sogar eher zusammengerückt. Die großen Wissenschaftsverlage haben sich kurz nach dem Corona-Ausbruch entschieden, alle Inhalte zu diesem Thema ohne Bezahlschranke zugänglich zu machen. Damit wurde es noch einfacher, weltweit zusammenzuarbeiten. Die erste Welle der Publikationen kam ja vor allem aus China, weil China früher von dem Virus betroffen war und schon Erfahrungen mit SARS hatte. Da haben sich die inzwischen stabilen und vertrauensvollen Netzwerke zwischen chinesischen und internationalen Forschern bewährt.

Dass die Westler nicht ins Labor konnten, sondern zu Hause im Homeoffice saßen, während die chinesischen Kollegen schon wieder im Labor arbeiten konnten, hat den Austausch eher noch erhöht. Das alles finde ich sehr ermutigend. Natürlich kenne ich auch die politischen Spannungen in diesem Kontext, aber auf Arbeitsebene gibt es immer noch sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Wie verändert sich die Wissenschaftslandschaft dadurch, dass mit China nun ein großer neuer Spieler auf dem Markt ist, der gleichzeitig Partner und Wettbewerber ist? 

Die Vielfalt wird größer. Sehr viele neu erforschte Themen kommen aus China. Schon jetzt gehören einige chinesische Metropolregionen zu den weltweit innovativsten Regionen. Peking gehört dazu, sicherlich auch Shanghai und Nanjing und vor allem auch die Greater Bay Area mit Shenzhen und Guangzhou im Süden des Landes. Sie müssen sich nicht mehr verstecken gegenüber traditionellen Zentren wie Boston in den USA, dem Silicon Valley für angewandte Forschung, Oxford in England oder auch München in Deutschland.

Bei den Nobelpreisträgern sieht es aber noch anders aus. Da ist China nicht einmal unter den Top 10 aller Länder. Die USA haben rund 400, China nicht einmal 10. 

Da der Preis seit 120 Jahren vergeben wird, dauert es natürlich entsprechend länger aufzuholen. Dass die Chinesen dieses Thema beschäftigt, habe ich jüngst auf einer Konferenz mitbekommen, bei der es um die Zukunft der chinesischen Wissenschaft geht. Da wurde die Frage an einen amerikanischen Nobelpreisträger gestellt, was China tun muss, um mehr Nobelpreise zu bekommen.

Und?

Die Antwort lautete: Such dir die schlausten Köpfe deines Landes, bring sie zusammen, gib ihnen genügend Ressourcen und maximale Freiheit, zu erforschen, was sie erforschen wollen und auch Fehler zu machen. Gib ihnen auf keinen Fall vor, in welche Richtung sie gehen sollen. Und dann warte geduldig 30 bis 35 Jahre ab. 

Eine bittere Nachricht für Politiker, die sich selbst in China nicht 30 Jahre in ihrer Spitzenposition halten. 

Das ist jedenfalls ein großer Ansporn, eine Abkürzung zu finden. Ich bin sehr gespannt, ob es in China nicht doch schneller geht.

Wichtig ist dabei sicher auch das Thema Open Access. Wie steht man in China dazu?

Es wird derzeit erstaunlicherweise viel über Open Access gesprochen. Dabei geht es vor allem darum, dass auch Forschungseinrichtungen in kleineren Städten guten Zugang zum globalen Wissenspool bekommen und dass Forschungen, wenn sie relevant sind, auch international wahrgenommen werden.

Dass die Chinesen ein Interesse daran haben, kann man verstehen. Aber hat auch der Westen ein Interesse daran?

Ich glaube, es ist wichtig einzusehen, dass wir die großen gesellschaftlichen und technischen Herausforderungen nur gemeinsam lösen können. Deswegen haben wir ein Interesse daran, die Vernetzung weiter zu fördern. Dazu gibt es keine Alternative aus wissenschaftlicher Sicht!

Das ist klar. Aber ein Wissenschaftsverlag kann ja kein Interesse an Open Access haben. Denn er lebt von Bezahlschranken. 

Auch bei Open Access wird unser Service bezahlt. Allerdings nicht vom Leser, sondern aus dem Budget der Institution, die die Forschung fördert, die ja ein großes Interesse daran hat, dass die Forschungsergebnisse breit wahrgenommen werden. 

Schränkt das nicht die publizistische Unabhängigkeit ein?

Nein. Open Access bedeutet nicht, dass jeder, der bezahlt, alles publizieren kann, was er will, sondern nur das, was unsere strenge Qualitätskontrolle durchlaufen hat und dann für alle erreichbar ist. Deshalb gibt es einen ganz klaren Trend zu mehr Open Access. In manchen Fachgebieten ist bereits die Schwelle von 50 Prozent überschritten. In den Lebenswissenschaften hat es angefangen und kommt nun auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften an. Die Ingenieure hinken noch ein wenig hinterher.

Im politischen Kontext Chinas finde ich es sehr spannend, dass sich sowohl die Politik als auch die Wissenschaft mehr und mehr dafür interessiert, wie Open Access funktioniert. Die Chinese Academy of Sciences, also die hiesige wissenschaftliche Leitinstitution, wird noch in diesem Jahr eine Open-Access-Week veranstalten, um über das Thema zu informieren. 

Open Access und Ideologie passen allerdings nicht gut zusammen. Denn Ideologie will Wissen kanalisieren, zensieren. 

Wir müssen realistisch sein. Es wird in China Open Access und Zensur nebeneinander geben. Am Ende steht dann wohl ein Open Access mit chinesischen Charakteristiken. Immer noch wahrscheinlich ein beachtlicher Fortschritt, allerdings womöglich einer, der nicht so weit geht, wie wir uns das gewünscht hätten. 

Wie gehen Sie denn mit dem Thema Zensur generell um? 

In der Hauptrichtung unserer Arbeit spielt sie kaum eine Rolle: Wir wollen chinesischen Autoren, wie allen anderen Autoren weltweit auch, die Möglichkeit geben, international zu publizieren. Aber wir lizenzieren auch westliche Inhalte für China. Das ist in manchen Fachgebieten schwieriger, keine Frage. Aber es ist gut zu wissen, dass die Versorgung chinesischer Wissenschaftler mit internationaler Literatur auch aus den Sozial- und Geisteswissenschaften heute insgesamt vielfältiger ist als noch vor wenigen Jahren beziehungsweise Jahrzehnten. Pekings Schwerpunkt liegt immer noch eher in Richtung Versorgung mit Wissen als in Richtung Abschottung. Was für uns in diesem Zusammenhang wichtig ist: Wir legen als Verlag keine unterschiedlichen Kriterien für Publikationen aus verschiedenen Ländern an.

China ist technologisch sehr offen. Hier stellt man sich womöglich früher die Frage, wie die vielen Daten und die Künstliche Intelligenz wissenschaftliche Texte und Verlage verändern. 

Das ist eine junge und sehr spannende Diskussion, die extrem relevant ist für die weitere Entwicklung der Wissenschaftswelt. Wir sprechen dabei nicht mehr von Open Access, sondern von Open Science. Dieser Begriff beinhaltet nicht nur Texte, sondern eben auch Daten. Der einfache und freie Zugang zu einer ungeahnt großen Menge von Daten wird eine neue Wissenschaft ermöglichen. Für den Bereich der Forschung und Entwicklung ist in China die Offenheit dafür viel größer, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Wie werden sich die Publikationen dadurch verändern? 

Wir sind tatsächlich schon relativ weit. Wir publizieren schon zwei Jahre lang Bücher, die keinen menschlichen Autor mehr haben, sondern von einem Algorithmus geschrieben worden sind. Bei dem ersten Buch ging es um Lithium-Ionen-Batterien, also um ein Thema, bei dem auch chinesische Forschung eine zentrale Rolle spielt. 

Wie funktioniert das?

Wir haben einen Algorithmus damit trainiert, alles zu lesen, was zu diesem Thema zu finden war. Das können 15.000 und mehr Artikel oder Kapitel sein, also mehr als jeder Mensch in einem vernünftigen Zeitrahmen lesen und verarbeiten könnte. Der Algorithmus versucht, Wichtiges von weniger Wichtigem zu trennen, zum Beispiel, indem er schaut, was, wie oft und wo zitiert wird. So bilden sich Cluster, aus denen allmählich eine Struktur für ein solches Buch entsteht. Daraus wird am Ende ein Buch, von dem die Forscher überzeugt sind, dass es tatsächlich den Stand der Forschung angemessen darstellt. 

Ein Buch allerdings, in dem nichts Neues drinsteht.

Das haben wir uns auch gedacht. Es entsteht in diesen Clustern jedoch eine neue Struktur. Die Art, wie der Algorithmus die Erkenntnisse zusammen denkt, unterscheidet sich erheblich von den vorhandenen Reviews zu dem Thema. Es entsteht durchaus ein neuer eigenständiger Blickwinkel, der in eine neue Richtung weist. Einen Literaturnobelpreis wird ein solcher Text nicht bekommen. Aber die Elektro-Chemiker sagen, das bringt meine Doktoranden auf neue Ideen, weil es eine unglaubliche kompakte Form ist, den Stand der Forschung darzustellen.

Neben den Autoren können wir auch den Lesern einen neuen Service bieten. Sprachbarrieren können immer mehr durch Software überwunden werden und die Leser können gewissermaßen dem Buch mitteilen, wie viel Zeit sie für welchen Aspekt des Buches haben und bekommen dann umgehend die entsprechende Zusammenfassung oder einen höheren Detailgrad. Es gibt dann noch eine Ursprungsausgabe, aber ansonsten kann sich das Buch den Wünschen des Lesers anpassen.

Wie praktisch. Der Verlag schafft den lästigen Autor ab …

 … und gleich auch den Lektor. Wir produzieren dann auf Knopfdruck Bücher wie Waschmaschinen. Nein, darum geht es selbstverständlich nicht. Das ist wie beim autonomen Fahren. Es wird das Selbstfahren nie völlig ersetzen, ist aber hilfreich, um einfacher und schneller ans Ziel zu kommen. Beim Schreiben von Büchern wird es wahrscheinlich der Normalfall werden, dass die Algorithmen dem Autor helfen, die Daten und den Forschungsstand so aufzubereiten, dass der Forscher mehr Zeit und Spielraum hat, den Forschungsstand zu interpretieren. Damit schaffen es Autoren, Bücher zu verfassen, die dafür unter analogen Umständen keine Zeit hätten.

Der Algorithmus kann dem Autor also helfen, mehr Zeit zu haben, Neues zu entdecken. Unsere Aufgabe als Verlag wird es zukünftig sein, den Autoren diesen Service zur Verfügung zu stellen. Eines der größten Hemmnisse im Verlagsgeschäft ist ja bekanntlich der innere Schweinehund des Autors. In Zukunft können wir mit Algorithmen den Autor unterstützen, diesen zu überwinden. 

  • Literatur
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Analyse

Peking legt Klimaplan vor

Kurz vor der Weltklimakonferenz in Glasgow hat China am Sonntag das lang erwartete “oberste Planungsdokument” zur Erreichung der nationalen Klimaziele vorgelegt. In dem Strategiepapier werden die wichtigsten Klimaziele bis 2025, 2030 und 2060 dargelegt. Die in Klimaplan aufgezeigten Ziele entsprechen in großen Teilen schon zuvor geäußerten Zielwerten, aber es gab auch Überraschungen:

  • Neu ist das Ziel, bis 2060 mehr als 80 Prozent des Energiebedarfs durch erneuerbare Quellen und Atomkraft zu decken.
  • Ebenfalls unerwartet war auch, dass der Ölverbrauch innerhalb des 15. Fünfjahresplans (2026-2030) seinen Höchststand erreichen soll. Im gleichen Zeitraum soll der Kohleverbrauch erstmals sinken.
  • Bis 2025 soll die Energieeffizienz der Wirtschaft erhöht werden. Konkret bedeutet das: Es soll weniger Energie verbraucht werden, um die gleichen Waren und Dienste hervorzubringen. Der Energiebedarf in Relation zur Wirtschaftsleistung soll im Vergleich zu 2020 um 13,5 Prozent sinken. Das Gleiche gilt für den CO2-Ausstoß. Er soll ebenfalls in Relation zur Wirtschaftsleistung um 18 Prozent sinken. Nicht-fossile Energieträger sollen “ungefähr 20 Prozent” am Gesamt-Energieverbrauch ausmachen.
  • Bis 2030 soll der CO2-Ausstoß in Relation zur Wirtschaftsleistung im Vergleich zu 2005 um 65 Prozent abnehmen. Der Anteil nicht-fossiler Energieträger soll bei 25 Prozent liegen. Es soll eine Kapazität von 1.200 Gigawatt an Solar- und Windkraft installiert sein. Auch der Ausbau von Speicherkapazitäten soll beschleunigt werden. Hierzu zählen sowohl Pumpspeicher als auch Batteriespeicher-Systeme.

Die Volksrepublik agiert also kurzfristig nicht mit absoluten Zielen zur Senkung der CO2-Emissionen. Stattdessen gibt es weiterhin nur Ziele, die in Bezug zum Wirtschaftswachstum stehen. Die relativen Zielsetzungen bedeuten, dass die CO2-Emissionen bei hohem Wachstum nur langsam sinken.

“Oberstes Planungsdokument”

Der am Sonntag vorgelegte Klimaplan ist das oberste Planungsdokument für Chinas Weg zum Netto-Null-Ziel – also dem Ausstieg aus dem Treibhausgasausstoß unter Berücksichtigung von Ausgleichsmöglichkeiten. Der Plan gibt den Rahmen “für die gesamte künftige Klimaplanung vor”, wie die Analysten der Beratungsfirma Trivium China schreiben. Dem zentralen Plan wird nun eine Reihe von Aktionsplänen folgen, die mehr Details zur Erreichung der Klimaziele beinhalten werden.

Diese Aktionspläne beziehen sich dann auf bestimmte Sektoren wie beispielsweise den Energie-, Industrie- oder Transportsektor. Insgesamt machen der Klimaplan und die Aktionspläne den sogenannten “1+N-Rahmenplan” aus. Die “1” steht für den Klimaplan, das “N” für eine bestimmte Anzahl an Aktionsplänen. Damit folgt er dem Ansatz der Fünfjahrespläne, die von einem Leitdokument ausgehend detaillierte Teilpläne für Branchen und Regionen umfassen.

Laut Trivium China brauchte die Volksrepublik dringend diesen zentralen Klimaplan, um “all die willkürlichen Planungen, die bereits im Gange sind, einzudämmen.” Denn allerlei Akteure, von Ministerien über Provinz- und Lokalregierungen sowie den oft staatlichen Unternehmen versuchen “krampfhaft, ihre Übereinstimmung mit Xi Jinpings Klimazielen zu demonstrieren”, so die Analysten von Trivium.

Der Klimaplan enthält auch eine Passage zum Transportsektor. Der Ausbau der E-Mobilität soll beschleunigt werden. Dazu gehört der Ausbau des Netzwerks von Ladestationen und Batterie-Tausch-Stationen für E-Autos. Zudem sollen die Energieeffizienzstandards für Autos mit Verbrennungsmotoren weiter verschärft werden. Zugstrecken sollen schneller elektrifiziert werden und der Gütertransport grüner werden.

Auch der Bausektor soll energiesparender arbeiten und die vorhandenen Gebäude sollen weniger Strom verbrauchen. Innovationen und Technologien sollen dazu beitragen, dass die CO2-Emissionen in allen Sektoren sinken.

Der Plan wiederholt zudem das schon in der Vergangenheit geäußerte Bekenntnis, Investitionen in CO2-intensive Projekte wie Kohlestrom, Stahl, Aluminium, Zement und petrochemische Produkte “streng zu kontrollieren”. Zudem sollen Projekte zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung unterstützt werden. Auch der Green Finance Sektor soll weiter ausgebaut und die Standards in diesem Bereich weiterentwickelt werden (China.Table berichtete). Banken sollen laut dem Klimaplan dazu ermutigt werden, günstige Kredite für nachhaltige Investitionen zur Verfügung zu stellen (China.Table berichtete).

“Markt und Staat” und Energiesicherheit als Prinzipien

Der Klimaplan enthält zudem einige sogenannte “Funktionsprinzipien”. Damit sind die politischen und wirtschaftlichen Mechanismen gemeint, die die Umsetzung voranbringen sollen. Beispielsweise sollen Staat und Markt gleichermaßen zur Erreichung der Klimaziele beitragen.

Peking hat schon in den letzten Jahren vermehrt auf Marktmechanismen gesetzt. Im Juli wurde nach jahrelanger Planung ein nationaler Emissionshandel gestartet. Daran müssen bisher allerdings vorrangig Kohlekraftwerke teilnehmen. Auch der Preis pro Tonne CO2 ist derzeit noch sehr gering (China.Table berichtete).

Nichtsdestotrotz umfasst der Emissionshandel schon heute gut 40 Prozent aller in China verursachten Emissionen. Nach dem langsamen Handelsstart könnte schon bald eine erhebliche Beschleunigung folgen, da die erste Phase des Emissionshandels lediglich als vorsichtige Testphase gilt. Der Klimaplan sieht die “schrittweise Ausweitung” des Emissionshandels vor, der allerdings schon ursprünglich mehr Sektoren umfassen sollte als lediglich die gut 2.000 Kraftwerke aus dem Energiesektor, die er derzeit umfasst.

Ein in den letzten Monaten ebenfalls diskutierter Marktmechanismus ist die Bepreisung von Naturgütern und -dienstleistungen. Die Idee dahinter: Wenn die Umwelt einen Preis hat, ist der Anreiz größer, sie zu schützen. Dadurch soll es gelingen, Naturdienstleistungen wie die Speicherung von CO2 durch Wälder und Moore zu erhalten. Die politischen Eliten debattieren dazu sogar die Einführung eines sogenannte “Brutto-Ökosystem-Produkts”, dass den Umweltschutz messbar machen soll und langfristig auf einer Ebene mit der Wirtschaftsleistung und dem BIP stehen könnte (China.Table berichtete). Der Klimaplan sieht nun vor, einen “ökologischen Ausgleichsmechanismus einzuführen, der den Wert von Kohlenstoffsenken widerspiegelt”.

Neuer Passus zu Energiesicherheit und Lieferketten

Ein weiteres Funktionsprinzip des Klimaplans ist die “Vorbeugung von Risiken”. Der Plan betont die “Beziehung zwischen Klimaschutz und Energiesicherheit und der Sicherheit von industriellen Lieferketten” und ruft dazu auf, eine “Überreaktion zu verhindern”. Das bedeutet, dass die Reduktion von CO2-Emissionen nicht auf Kosten der Energiesicherheit der Industrie gehen dürfen, beziehungsweise dass der Aufbau neuer Energiequellen abseits der Kohle schnell genug voranschreiten muss, damit es nicht zu wiederholten Energiekrisen wie derzeit kommt (China.Table berichtete).

Die Analysten von Refinitiv gehen jedoch trotz des noch vor der Klimakonferenz in Glasgow vorgelegten Klimaplans nicht davon aus, dass China auf der Konferenz neue Zugeständnisse machen wird. Chinas politische Führung müsse kurzfristig “die Energieversorgung im Winter und anschließenden Frühling sicherstellen”, so Refinitiv.

China hat den Plan in Hinblick auf die bevorstehende UN-Klimakonferenz (COP26) veröffentlicht. Die Volksrepublik befindet vor der COP26 in einem größeren Dilemma als ursprünglich angenommen (China.Table berichtete). Denn eine Häufung von Stromausfällen lässt einen schnellen Ausstieg aus der Kohle derzeit wieder unwahrscheinlicher erscheinen. Das Land ist derzeit noch zu abhängig vom Kohlestrom. Der starke Preisanstieg des Rohstoffs hat den Verbrauch verteuert. Da die Strompreise lange Zeit staatlich reguliert waren, konnten sie nicht ebenfalls ansteigen. Die Herstellung von Elektrizität war für die Kraftwerke nicht mehr profitabel. Strom aus anderen Quellen konnte den Ausfall beim Kohlestrom nicht ersetzen. In ganzen Regionen gingen die Lichter und Klimaanlagen aus, Fabriken standen still. All das zeigt, wie abhängig China nach derzeitigem Stand noch von der Kohle ist. Mitarbeit: Finn Mayer-Kuckuk

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Magnesium-Mangel bedroht Industriezweige in Europa

Chinas Stromkrise zieht immer weitere Kreise. Nun geht der Welt das Nichteisenmetall Magnesium verloren, da zwei chinesische Provinzen die Produktion bis Jahresende gestoppt oder reduziert haben, um ihre Energiesparziele zu erreichen. Der Sektor ist dafür verlockend, denn die Gewinnung dieses Metalls ist sehr energieintensiv.

Magnesium ist ein wesentlicher Rohstoff der Aluminium-Industrie. Es erhöht als sogenanntes Legierungsmittel die Festigkeit des Aluminiums. Und China hat mit einem Anteil von 87 Prozent an der globalen Magnesiumproduktion heute ein nahezu vollständiges Monopol. Etwa 45 Prozent aller chinesischen Ausfuhren sind für Europa bestimmt. China stillt 95 Prozent des europäischen Bedarfs. Europa ist also besonders schwer getroffen. Die USA haben immerhin noch einen eigenen Produzenten, US Magnesium.

Die Magnesiumproduktion in China ist so stark konzentriert, dass eine einzige Region diese Krise auslösen konnte. Ein Großteil des Metalls stammt aus einer einzigen Stadt namens Yulin in der Provinz Shaanxi. Anfang Oktober ordnete die lokale Regierung die Schließung von 35 ihrer 50 Magnesiumhütten bis Ende des Jahres an. Den Rest forderte sie auf, die Produktion um 50 Prozent zu drosseln. Auch in kleineren Produktionsstandorten der benachbarten Provinz Shanxi gibt es ähnliche Vorgaben.

China: Herstellung von Magnesium und Aluminium gedrosselt

Dazu muss man wissen, dass zur Herstellung vieler Nichteisenmetalle vor allem Strom benötigt wird – und weniger Brennstoffe. Um eine Tonne Magnesium zu produzieren, fallen satte 35-40 Megawattstunden (MWh) Elektrizität an. Für eine Tonne Primäraluminium sind es zwischen 15 und 20 MWh pro Tonne. Andere Metalle wie Kupfer, Zink oder Blei benötigen viel weniger Strom.

Neben Magnesium-Produktionen wurden daher auch Aluminiumschmelzen zur Drosselung ihrer Produktion aufgefordert, etwa in Yunnan, Guangxi und Xinjiang. Mehr als zwei Millionen Tonnen aktiver Alu-Kapazität waren seit September betroffen, schreibt die Analystin Yao Wenyu von der Bank ING. Yao sieht dies in direkter Verbindung mit den Klimazielen der Regierung – zumal bei Aluminium laut ihrer Studie der Ausstoß von Treibhausgasen pro Tonne wesentlich höher ist als bei allen anderen Metallen.

Bei Magnesium kommt erschwerend hinzu, dass es nicht lange gelagert werden kann: Es beginnt nach drei Monaten zu oxidieren. Die jetzigen Vorräte in Deutschland und Europa seien spätestens Ende November 2021 erschöpft, erwartet die Wirtschaftsvereinigung (WV) Metalle. “Die Lage ist schwer einzuschätzen”, sagt VW Metalle-Hauptgeschäftsführerin Franziska Erdle zu China.Table. “Denn die Unternehmen wissen nicht, ob die noch zugesicherten Lieferungen, die auf dem Schiffsweg nach Europa sein sollen, auch tatsächlich ankommen.”

Die Lieferengpässe gefährden die gesamte globale Aluminium-Wertschöpfungskette. Zumal auch die Preise gewaltig steigen: Importiertes Magnesium kostet in Europa heute rund 9000 US-Dollar pro Tonne, 75 Prozent mehr als vor einem Monat. Hinzu kommen die steigenden Strompreise infolge der globalen Energiekrise. Vom Magnesiummangel sind Branchen wie Auto, Bau, Verpackung oder Maschinenbau betroffen. Abseits vom Aluminium findet Magnesium zudem auch in der Eisen- und Stahlerzeugung sowie im Druckguss Verwendung.

Besonders betroffen ist die bereits vom weltweiten Chipmangel gebeutelte Autoindustrie (China.Table berichtete). 35 Prozent der Nachfrage nach Magnesium sei für Autobleche, zitiert die Financial Times den Barclays-Analysten Amos Fletcher. Bei Alu-Blechen gebe es für das Material keinen Ersatz: “Wenn die Magnesiumversorgung versiegt, wird möglicherweise die gesamte Automobilindustrie zu einem Halt gezwungen.” Alu-Legierungen mit Magnesium kommen neben den Blechen auch in Getrieben, Lenksäulen, Sitzrahmen und Tankdeckeln zum Einsatz.

Magnesiumkrise: Verbände fordern Verhandlungen mit China

Die WV Metalle und andere Verbände forderten die Bundesregierung daher auf, “dringend diplomatische Gespräche mit China einzuleiten.” Man erwarte eine Lage ähnlich der Chip-Krise. Magnesium steht seit 2017 auf der Liste der kritischen Rohstoffe der EU. Politisch-strategische Überlegungen und Maßnahmen zur Sicherstellung des Lieferflusses blieben laut WV Metalle bislang jedoch aus.

Parallel forderte der Verband European Aluminium, dem viele Großkonzerne wie Norsk Hydro oder Alcoa angehören, die EU-Kommission auf, mit China zu verhandeln. Magnesium sollte in denselben Foren diskutiert werden wie die Halbleiter. Die aktuelle Krise sei “ein klares Beispiel für das Risiko, das die EU eingeht, indem sie ihre Binnenwirtschaft von chinesischen Importen abhängig macht”, kritisierte der Verband in einem Positionspapier. Die EU sei zum Thema bereits in Kontakt mit China, sagte ein Offizieller dem US-Nachrichtenportal Politico, ohne Details zu nennen.

Magnesium sei nur ein Stoff in einer langen Liste von Produktionsverlusten seit Anfang der 1990er Jahre. so European Aluminium. Die Produktion von Primäraluminium – also neuem, nicht recyceltem Alu – habe seit 2008 mehr als 30 Prozent ihrer Kapazität verloren. “Parallel dazu hat China die Alu-Produktionskapazitäten kontinuierlich erhöht”, so das Positionspapier. Der Anteil Chinas an der weltweiten Magnesiumproduktion sei von 12 Prozent in 2000 auf die heutigen 87 Prozent gestiegen – bei einem Marktvolumen von inzwischen 1,2 Millionen Tonnen pro Jahr.

2001 hatte Europa die letzte heimische Magnesiumproduktion aus Kostengründen aufgegeben, da sie mit billigen Importen aus China nicht mithalten konnten. Diese Einfuhren bezeichnen WV Metalle und European Aluminium heute als “Dumping”. “Magnesium ist kein seltener Rohstoff. Er kommt weltweit vor”, sagt Erdle. “Die Herstellung in Europa ist jedoch auf wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen angewiesen.” Diese seien in Europa nicht gegeben. Einer Wiederansiedlung der energieintensiven Produktion in der EU stehen nach Ansicht des Verbands die “aktuell drastisch gestiegenen Industriestrompreise und die unabsehbare Entwicklung der Energiekosten” entgegen.

Die Magnesiumkrise ist letztlich ein weiteres Beispiel dafür, wie sich Europa in einer anderen Zeit relativ gedankenlos von Lieferungen aus China abhängig gemacht hat. In den Nullerjahren stand globale Arbeitsteilung hoch im Kurs. Niemand wollte teurere Vorprodukte kaufen, bloß weil sie daheim produziert wurden. Um den Nachschub sorgte man sich nicht – also wurde die heimische Fertigung auch nicht etwa durch EU-Schutzzölle auf chinesische Magnesium-Importe geschützt. Ähnliche Probleme gibt es etwa bei Seltenen Erden, deren schmutzige Gewinnung im Westen wegen der Umweltschäden aufgegeben wurde. Auch das führte zu einer marktbeherrschenden Stellung Chinas bei den eigentlich gar nicht so “seltenen” Mineralien.

Auswege aus der Krise

Belastbare Informationen über weitere Bezugsquellen für Magnesium außerhalb Chinas liegen WV Metalle nach eigenen Angaben nicht vor. Kurzfristig müssen sich also alle mit der Lage arrangieren. Der Verband fordert aber langfristig “eine industriepolitische Strategie Deutschlands für den gesicherten Zugang zu Industriemetallen.” Gemeinsam mit der EU müssten “mittel- und langfristige wirksame Maßnahmen zur Aufrechterhaltung funktionierender und zukunftsfähiger Wertschöpfungsketten ergriffen werden.” European Aluminium forderte etwas direkter formuliert Maßnahmen zur Verteidigung gegen unfair subventionierte Importe aus China.

Ein weiterer Ausweg könnte eine weitere Stärkung der Kreislaufwirtschaft sein. In Deutschland wird schon heute mehr recyceltes Aluminium produziert als Neualuminium. So werden etwa im Verkehrs- und Bausektor 95 Prozent wiederverwendet. Auch Verpackungen werden zu etwa 90 Prozent recycelt. Die Herstellung dieses sogenannten Sekundäraluminiums benötigt gerade einmal fünf Prozent der Energie wie für Primäraluminium. In den USA durchflöhen Hersteller laut der Financial Times verstärkt Aluschrott nach Magnesium, das extrahiert werden kann. Vielleicht ließe sich als vorübergehende Alternative mehr Aluschrott zum Recyceln aus dem Ausland importieren. Ob das nötig wird, hängt von der weiteren Entwicklung der Lage ab.

  • Autoindustrie

News

Xi heizt Streit um Taiwan an

Um den Status von Taiwan ist neuer Streit ausgebrochen. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping sagte am Montag in einer UN-Rede, mit der Resolution 2758 habe die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 25. Oktober 1971 anerkannt, dass die Regierungsvertreter der Volksrepublik die “einzig rechtmäßigen Repräsentanten Chinas in den UN” seien. Er sprach von einem “Sieg für das chinesische Volk”.

Anlass von Xis Rede in Peking ist der 50. Jahrestag der Aufnahme der kommunistischen Volksrepublik Chinas in die Vereinten Nationen. Im Gegenzug wurden die Vertreter der in Taiwan ansässigen nationalchinesischen Republik China 1971 aus den UN ausgeschlossen. Seither ist der Status Taiwans immer wieder Ausgangspunkt heftiger Diskussionen (China.Table berichtete)

Taiwans Regierung widersprach am Montag umgehend der Pekinger Darstellung, dass die UN damals auch anerkannt habe, dass Taiwan zur Volksrepublik gehöre. Die UN-Resolution habe nur die Frage der Vertretung Chinas im UN-System behandelt. “Sie sagt weder, dass Taiwan ein Teil der Volksrepublik ist, noch autorisiert sie die Volksrepublik, das Volk Taiwans zu repräsentieren”, sagte Außenamtssprecherin Joanne Ou in Taipeh. “Nur die demokratisch gewählte Regierung von Taiwan hat das Recht, ihr Volk in internationalen Organisationen, bei den UN oder in internationalen Foren zu repräsentieren.”

Drei Tage vor dem Jahrestag am Montag hatten Regierungsvertreter aus Washington und Taipeh offiziell darüber gesprochen, wie die demokratische Inselrepublik wieder richtig in den UN mitarbeiten könnte. “Die Diskussionen konzentrierten sich darauf, die Fähigkeit Taiwans zu unterstützen, sich bedeutsam in den UN zu beteiligen”, teilte das Außenministerium in Washington mit.

US-Angaben zufolge ging es hierbei um “globale Herausforderungen” wie Gesundheit, Entwicklungshilfe, Klimawandel und Umweltverschmutzung, technische Standards und Wirtschaftskooperation. Die US-Vertreter hätten auch die Unterstützung der USA für eine “bedeutungsvolle Teilnahme” Taiwans in der Weltgesundheitsorganisation und dem Pariser Klimaabkommen bekräftigt, hieß es.

Peking betrachtet das 23 Millionen Einwohner zählende Taiwan als Teil der Volksrepublik und droht mit einer Eroberung, um eine “Wiedervereinigung” zu erreichen (China.Table berichtete). Zudem versucht man, Taiwan international zu isolieren. Wegen der “Ein-China-Doktrin” dürfen diplomatische Partner keine offiziellen Beziehungen zu Taipeh unterhalten. Nur weniger als 20 – meist kleinere – Staaten erkennen Taiwan trotzdem an. Auch Deutschland unterhält in Taipeh nur inoffizielle Vertretungen. rad

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Amnesty gibt auf in Hongkong

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zieht sich aus Hongkong zurück. In einer Presseerklärung kündigte man am Montag an, die beiden Amnesty-Büros in der chinesischen Sonderverwaltungszone bis Ende des Jahres schließen zu wollen. Grund sei das umstrittene Hongkonger Sicherheitsgesetz, so Anjhula Mya Singh Bais, Vorstandsvorsitzender von Amnesty International. Das im Juni 2020 eingeführte Gesetz habe es “praktisch unmöglich gemacht, frei und ohne Angst vor ernsthaften Repressalien der Regierung zu arbeiten”, sagte Bais laut Pressemitteilung.

Hongkong sei lange ein idealer regionaler Stützpunkt für internationale Organisationen der Zivilgesellschaft gewesen. Die jüngsten Angriffe auf lokale Menschenrechts- und Gewerkschaftsgruppen belegten allerdings “eine Intensivierung der Kampagne der Behörden, die Stadt von allen abweichenden Stimmen zu befreien“. “Es wird immer schwieriger für uns, in einem so instabilen Umfeld weiterzuarbeiten”, heißt es in der Mitteilung.

Seit die Führung in Peking das Sicherheitsgesetz erlassen hat, wurden mehr als 100 Aktivisten wurden festgenommen oder warten auf ihren Prozess. Einige wurden verurteilt. Aus Angst vor Strafverfolgung haben sich viele Oppositionsmitglieder ins Ausland abgesetzt (China.Table berichtete). Das Gesetz erlaubt es, gegen sämtliche Aktivitäten vorzugehen, die Peking vage als umstürzlerisch, separatistisch, terroristisch oder verschwörerisch ansieht. Eigentlich sollen die sieben Millionen Hongkonger bis 2047 “ein hohes Maß an Autonomie” und weiter viele politische Freiheiten genießen. rad

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Chinas Reiche sollen mehr Steuern zahlen

Chinas Spitzenverdiener sollen künftig mehr Steuern zahlen. Dafür soll es Änderungen bei der Steuererhebung geben, wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua am Montag berichtet. Zudem werde in einigen Regionen probeweise eine Immobiliensteuer eingeführt, auch über eine Vermögenssteuer wird offenbar diskutiert. Laut Xinhua dienen die neuen Maßnahmen dazu, den “Kuchen” gerechter zu verteilen. So sollen die Änderungen dazu führen, dass eine “olivenförmige” Verteilungsstruktur bei den Einkommen mit einer großen Mitte und zwei kleinen Enden erreicht wird, heißt es in dem Bericht.

“Die Ankündigung kam früher als erwartet und bestätigt unsere seit langem vertretene Ansicht, dass China entschlossen ist, seinen Immobilienmarkt zu reformieren”, urteilt Ökonomin Betty Wang von ANZ Research. Die nun angekündigten Steuern auf Immobilienbesitz sollen vor allem Käufer abschrecken, die in der Vergangenheit vermehrt auf Immobilien zu Spekulationsgründen gesetzt haben. Zum Wochenbeginn fielen die Aktien chinesischer Immobilienunternehmen nach Bekanntgabe der neuen Pläne aus Peking um mehr als drei Prozent.

Von den zusätzlichen Einnahmen erhofft sich Peking, die gesetzten Ziele zum “gemeinsamen Wohlstand” zu erreichen. Staats- und Parteichef Xi Jinping will unter dem Begriff Maßnahmen einführen, die zum Ziel haben, die ungleichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse im Land zu verringern. Xinhua betonte gleichzeitig, dass Chinas Steuerpolitik nicht als eine Maßnahme interpretiert werden dürfte, bei der “die Reichen beraubt werden, um den Armen zu helfen”.

Laut einem Merics-Beitrag von Bert Hofmann, Direktor des Ostasiatischen Instituts an der National University in Singapur, tragen die Einkommensteuereinnahmen nur vier Prozent zu den Staatseinnahmen in China bei. Das seien weit weniger als die 20 Prozent in einem durchschnittlichen OECD-Land, so der Autor. Der Großteil der chinesischen Steuereinnahmen stammt laut dem Bericht aus Mehrwertsteuer, Konsum-(Luxus-)Steuer und Sozialversicherungsbeiträgen. “Diese Steuern belasten die weniger Wohlhabenden stärker als die Reichen”, urteilt Hofmann. niw

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Biden bestätigt “Verpflichtung” gegenüber Taiwan

Die USA würden Taiwan nach Worten von Präsident Joe Biden im Falle eines chinesischen Angriffs dabei helfen, sich zu verteidigen. Die US-Regierung habe eine “Verpflichtung”, dies zu tun, sagte Biden bei CNN. Washington suche keinen Konflikt mit China, aber Peking müsse verstehen, “dass wir keinen Schritt zurück machen werden, dass wir unsere Positionen nicht ändern werden”, so Biden. Die USA haben sich darauf festgelegt, die Verteidigungsfähigkeit Taiwans zu erhalten. Das bedeutet bislang vor allem Waffenlieferungen. Die Frage nach einem militärischen Beistand im Angriffsfall wurde meist bewusst offengelassen. 

Nach der Frage eines Bürgers zu dem Thema hakte CNN-Moderator Anderson Cooper bei einer Town Hall-Veranstaltung in Baltimore nach und fragte Biden mit Blick auf China: “Sagen Sie, dass die Vereinigten Staaten Taiwan verteidigen würden, falls es versuchen würde, anzugreifen?” Biden antwortete daraufhin: “Ja, wir haben uns verpflichtet, das zu tun.”

Verpflichtung kein Zeichen für Veränderung

Bidens Wortwahl signalisiert in der derzeitigen Lage allerdings nur vergleichsweise schwache Rückendeckung für Taiwan. Er verspricht “keinen Schritt zurück zu machen” – aber eben auch keinen nach vorn. Die Selbstverpflichtung zum Schutz Taiwans besteht zudem bereits seit Jahrzehnten. Biden hätte mit stärkerer Wortwahl auch eine deutlichere Botschaft nach Peking senden können. Er hat darauf aber vorerst verzichtet – vermutlich bewusst, um keinen diplomatischen Schlagabtausch mit China auszulösen.

Die Reaktionen aus Peking und Taipeh folgten dennoch prompt: Taiwans Regierung begrüßte die Aussage. “Seit Bidens Amtsübernahme hat die US-Regierung kontinuierlich durch praktische Schritte ihre felsenfeste Unterstützung für Taiwan demonstriert”, sagte ein Präsidentensprecher am Freitag – und erlaubte sich damit die maximale Interpretation der Worte Bidens.

Peking riet indes zu “Vorsicht”: “China wird keine Kompromisse eingehen, wenn es um seine grundlegenden Interessen wie Souveränität und territoriale Integrität geht”, sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin laut einem Bericht der Nachrichtenagentur AFP. Chinas Präsident Xi Jinping hatte den chinesischen Anspruch auf eine Vereinigung mit Taiwan zuletzt wiederholt bekräftigt (China.Table berichtete). ari

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Lockdown für Zehntausende im Norden Chinas

Chinas Regierung hat am Montag einen Corona-Lockdown für zehntausende Menschen im Norden der Volksrepublik angeordnet. Grund sind Neuinfektionen in mehreren Provinzen. In der Inneren Mongolei dürfen seit Wochenbeginn die rund 35.000 Einwohner des Landkreises Ejin ihre Wohnungen nicht mehr verlassen.

Auch in Peking wurden neue Corona-Beschränkungen verhängt: Die Bewohner der Hauptstadt wurden aufgefordert, Peking nur noch in dringenden Fällen zu verlassen und auf größere Menschenansammlungen zu verzichten. Der für kommenden Sonntag geplante Marathon wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Zudem wurden mehrere Wohnkomplexe abgeriegelt. Die rund 23.000 Bewohner einer Wohnanlage im Stadtbezirk Changping müssen in ihren Wohnungen bleiben, nachdem dort neun Infektionsfälle entdeckt wurden (China.Table berichtete). In gut hundert Tagen beginnen die Olympischen Winterspiele in Peking und Umgebung. Vor der Eröffnung am 4. Februar soll unbedingt ein größerer Corona-Ausbruch verhindert werden.

Am Montag meldeten die chinesischen Behörden insgesamt 39 neue Corona-Fälle. Damit wurden seit vergangener Woche landesweit mehr als hundert Neuinfektionen registriert. Berichten zufolge gehen die aktuellen Neuinfektionen auf eine chinesische Reisegruppe zurück, die in mehreren Provinzen unterwegs war. Mittlerweile sind mindestens elf Provinzen betroffen. Der aktuelle Ausbruch befinde sich “in einer rasanten Entwicklungsphase”, sagte ein stellvertretender Direktor des Seuchenkontrollbüros der Gesundheitskommission. Man erwarte, dass die Zahl der entdeckten Fälle in den nächsten Tagen weiter steigen werde.

Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Zahl der Neuinfektionen in China sehr niedrig. Dennoch ergreift die Regierung harte Maßnahmen, weil das Land seit Beginn der Pandemie eine strikte Null-Covid-Strategie verfolgt. rad

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Evergrande vermeidet vorerst Insolvenz

Der angeschlagene Immobilienkonzern Evergrande hat in letzter Minute eine Zahlung für Auslandsschulden geleistet. Eine letzte Nachfrist hätte am Samstag geendet – und 24 Stunden vorher hat das Unternehmen die nötigen 84 Millionen Dollar überwiesen. Das berichtet die Finanzzeitung Securities Times. Es ging um die Zahlung von Zinsen für eine Anleihe von ausländischen Investoren unter Federführung der Citibank.

Der Vorgang hat erhebliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen, weil das Unternehmen die relativ kleine Summe im vergangenen Monat zum ursprünglichen Stichtag nicht aufbringen konnte. Das galt als sicheres Zeichen, dass mit Evergrande etwas nicht stimmt (China.Table berichtete). Noch bis Ende vergangenen Jahres hat Firmengründer Xu Jiayin mit Millionen und Milliarden um sich geworfen.

Die Überweisung hat an den Börsen zwar Erleichterung ausgelöst. Diese Reaktion kann jedoch als übertrieben gelten. Denn Evergrande schuldet seinen Geldgebern immer noch gut das 3.500-fache der Summe, die es jetzt mit Ach und Krach aufgebracht hat. Die meisten Gläubiger sitzen dabei im chinesischen Inland. Auch wenn Evergrande nun alle Auslandskredite regulär bediente, bliebe das Unternehmen überschuldet. Allein bis Jahresende sind Zinszahlungen in Höhe von umgerechnet einer halben Milliarde Dollar fällig. Damit ist noch nichts von den eigentlichen Schulden getilgt.

Evergrande bemüht sich dennoch, wieder zumindest ein bisschen gute Stimmung zu verbreiten. Am Sonntag hat das Unternehmen bekannt gegeben, an zehn Bauprojekten die Arbeit wieder aufzunehmen. Ein Symptom der Zahlungsschwierigkeiten war der Stillstand auf zahlreichen Baustellen von Evergrande. Der Immobilienentwickler konnte den Baufirmen und Handwerkern die Rechnungen nicht mehr bezahlen. Auch die Wiederaufnahme der Arbeiten soll als positives Signal an die Märkte dienen. Denn je mehr Zweifel das Unternehmen umgeben, desto schwerer wird es, frische Mittel aufzutreiben. fin

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Caixin fliegt von der Liste offizieller Medien

Die chinesische Regierung hat das vergleichsweise kritische Nachrichtenportal Caixin von der Liste der Medien gestrichen, deren Inhalte von anderen chinesischen Webseiten übernommen werden dürfen. Das schädigt die Reichweite des Nachrichtenportals erheblich. Die Publikation hat einen Schwerpunkt bei Finanz- und Wirtschaftsthemen. Sie hat sich trotz der staatlichen Zensur ein erhebliches Maß an Unabhängigkeit bewahrt und gilt daher als wichtige Quelle zu den Geschehnissen in China. Caixin erscheint auf Chinesisch und auf Englisch. Die Themensetzung ist kreativer als bei den Staatsmedien. Die Redaktion genießt einen exzellenten Ruf.

Die offizielle Liste der zur Weiterveröffentlichung zugelassenen Medien hat erhebliche Bedeutung für Chinas Verlage. Sie gibt an, welche Nachrichtenquellen chinesische Webseiten übernehmen dürfen. Auf Chinas News-Portalen finden sich viele Artikel, die von Zeitungen, Zeitschriften und Online-Medien herübergezogen werden; die Herkunftsangabe findet sich dann samt Link in der Autorenzeile. Das verschafft den Originalseiten sowohl Klicks als auch Glaubwürdigkeit bei Suchmaschinen. Wer jetzt Texte von Caixin lesen will, muss die Webseite direkt ansteuern.

Die Internetaufsicht hat die Löschung von Caixin nun mit inhaltlichen Mängeln begründet. Die Artikel “erreichen nicht mehr die nötigen Standards und es mangelt ihnen an Einfluss”, zitiert die Nachrichtenagentur AP ein Dokument der Cyberspace Administration. Die Behörde müsse die “Glaubwürdigkeit” der Liste schützen, indem sie unzuverlässige Medien aussortiere.

Bevor Xi Jinping die Medien wieder an die kurze Leine genommen hat, konnte sich Caixin einen Namen machen mit Berichten über Missstände und Korruption. Auch heute hat Caixin einen vergleichsweise aufmüpfigen Ansatz. Gründerin Hu Shuli konnte dank guter Vernetzung in der Politik die schlimmsten Eingriffe in die Arbeit ihrer Redaktion verhindern. fin

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Standpunkt

Chinas Wirtschaft muss wieder stärker wachsen

Von Yu Yongding
Yu Yongding zu Chinas Weltwirtschaft und Evergrande.
Yu Yonding ist chinesischer Ökonom.

Dieser Monat war für Chinas Wirtschaft sehr ereignisreich. Er war durch weit verbreitete Stromausfälle und die Schuldenkrise bei Evergrande geprägt – dem zweitgrößten Immobilienentwickler des Landes. Was bedeutet dies für die wirtschaftliche Erholung und die Wachstumsaussichten Chinas nach der Pandemie?

Die Energiekrise begann, als eine schnelle Zunahme der – durch die globale Erholung angetriebenen – Exporte zu steigender Nachfrage nach Strom führte (China.Table berichtete). 56,8 Prozent der gesamten Stromproduktion Chinas hängt immer noch von der Verbrennung von Kohle ab. Trotzdem haben die Lokalregierungen in den vergangenen Jahren viele Kohlebergwerke geschlossen, um ihre Zielwerte für die Verringerung des Energieverbrauchs zu erreichen.

Gleichzeitig verringern die Klimaziele der Regierung – bis 2030 den Höchstwert der Kohlendioxidemissionen und bis 2060 Kohlenstoffneutralität zu erreichen – die Anreize für Investitionen in die Kohleindustrie. Natürlich werden dadurch auch Investitionen in erneuerbare Energien gefördert, die immer mehr zum chinesischen Energiemix beitragen. Aber die Erneuerbaren Energien sind längst noch nicht weit genug ausgebaut, um die aktuelle Knappheit ausgleichen zu können.

Energiewende gefährdet Wachstum

Also sind mit zunehmendem Energiebedarf auch die Kohlepreise gestiegen. Aber da die chinesische Regierung die Strompreise reguliert, konnten die Stromerzeuger – von denen die meisten in staatlicher Hand sind – die Kosten nicht an ihre Kunden weitergeben. So kappten sie, um ihre Verluste zu begrenzen, die Stromversorgung, und zwangen damit einige Hersteller, ihre Produktion zu drosseln.

Natürlich wurde die Regierung dann aktiv. Sie ordnete an, einige bestehende Kohlebergwerke schnell auszuweiten und andere, die geschlossen worden waren, wieder zu öffnen. Dies gab den Versorgern mehr Spielraum bei der Gestaltung ihrer Strompreise. Außerdem wurde das produzierende Gewerbe dazu gedrängt, seine Energieeffizienz zu steigern und die Investitionen in erneuerbare Energieträger zu beschleunigen.

China wird seine Stromknappheit, die bereits nachlässt, schnell überwinden. Aber einen resilienteren, nachhaltigeren Energiesektor aufzubauen, wird Zeit kosten. Und wenn die Regierung die einzelnen Entwicklungsschritte nicht sorgfältig plant und umsetzt, könnte diese Energiewende das Wirtschaftswachstum belasten.

Evergrande hat kein Solvenzproblem

Auch die Evergrande-Krise stellt eine massive Gefahr für das Wachstum dar. Über die Jahre hinweg ist der Entwickler aufgrund falscher staatlicher Verwaltung sehr schnell gewachsen – nicht nur durch seine Immobilieninvestitionen, sondern auch aufgrund seiner Diversifizierung in den Sektor der Elektrofahrzeuge. Um seine Aktivitäten zu finanzieren, hat er sich sowohl bei Geschäftsbanken als auch an den Kapitalmärkten stark verschuldet – darunter auch durch die Ausgabe von Dollar-Anleihen an ausländische Investoren. Zuletzt war er mit insgesamt etwa 800 Milliarden Yuan (110 Milliarden Euro) verschuldet.

Obwohl Evergrande über mehr als 1,85 Billionen Yuan an Aktivposten verfügt, konnte er sie nicht schnell genug verkaufen. Im vergangenen Monat, als das Unternehmen zugab, es könne seine Schulden wahrscheinlich nicht mehr bedienen, begannen die Gerüchte über einen bevorstehenden Zusammenbruch – und die Möglichkeit einer chinesischen Finanzkrise.

Aber die Ängste scheinen übertrieben gewesen zu sein. Natürlich wäre es unklug, Evergrandes Schicksal momentan genau vorhersagen zu wollen. Aber wahrscheinlich kann man davon ausgehen, dass das Debakel keine systemische Bedrohung des chinesischen Finanzsektors darstellt.

Seit 2012 prognostizieren Experten, ein Zusammenbruch des chinesischen Immobilienmarkts könnte im Land eine Finanzkrise auslösen. Aber Evergrande hat kein Solvenz-, sondern ein Liquiditätsproblem, und eventuelle externe Effekte können eingedämmt werden – nicht zuletzt deshalb, weil Chinas Bankensystem grundsätzlich gesund ist. Nur etwa 30 Prozent der Gesamtkredite der Banken wurden an Entwickler und Käufer von Immobilien vergeben – mit abnehmender Tendenz. Auch der Anteil immobilienbezogener Neukredite am Gesamtvolumen geht zurück: Von 45 Prozent im Jahr 2016 ist er bis zum September 2020 auf unter 24 Prozent gefallen.

Außerdem gibt es in China keine zweitklassigen Subprime-Kredite und so gut wie keine verbrieften Hypothekenkredite. Noch wichtiger ist, dass es nur sehr wenig Zahlungsverzüge gibt, ganz zu schweigen von uneinbringlichen Forderungen gegenüber Haushalten: Die meisten chinesischen Geschäftsbanken haben eine Kreditausfallquote von weniger als zwei Prozent. Und selbst im Fall eines großen finanziellen Fehlschlags verfügt die chinesische Regierung über genug Instrumente, um damit umgehen zu können.

Schwächen im Finanzsystem

Also stellt das Evergrande-Debakel ebenso wie die chinesische Energiekrise keine drohende systemische Gefahr dar. Aber dies bedeutet nicht, dass die Politiker untätig bleiben sollten. Der Immobiliensektor ist eine wichtige Stütze der chinesischen Wirtschaft und ein bedeutendes Glied in der Produktionskette. Er würde durch einen Zusammenbruch von Evergrande ernsthaft erschüttert – nicht zuletzt dadurch, dass einige andere große Entwickler dem Konzern in den Abgrund folgen könnten. Auch manche Finanzinstitute im Nichtbankensektor kämen in Schwierigkeiten. Und natürlich würden Evergrandes Lieferanten enorm leiden. All diese Faktoren könnten die wirtschaftlichen Aussichten Chinas verschlechtern.

Um sich darauf vorzubereiten, müssten die Schwächen im Finanzsystem angegangen werden – insbesondere der hohe Verschuldungsgrad der Konzerne. Aber am wichtigsten ist, die hartnäckige Wachstumsschwäche seit 2010 zu beenden. Dieser Trend ist mindestens so besorgniserregend wie die kurzfristigen strukturellen Probleme, die gerade in die Schlagzeilen gekommen sind. Chinas Erfahrung der vergangenen 40 Jahre zeigt, dass das Land ohne angemessenes Wachstum kaum finanzielle Stabilität erreichen kann.

Dieses Muster wird durch kürzlich veröffentlichte offizielle Prognosen bestätigt, dass Chinas jährliches Wachstum im dritten Quartal dieses Jahres mit 4,9 Prozent geringer sein wird als erwartet, und es wird weithin befürchtet, dass die Wachstumsrate im vierten Quartal sogar noch geringer sein könnte. Um dieser Möglichkeit zu begegnen, müssen die chinesischen Politiker neben strukturellen Reformen und Anpassungen eine mutigere haushalts- und geldpolitische Expansion betreiben.

Yu Yongding, ehemaliger Vorsitzender der Chinesischen Gesellschaft für Weltwirtschaft und Direktor des Instituts für Weltwirtschaft und Politik bei der chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, war von 2004 bis 2006 beim Ausschuss für Geldpolitik der Chinesischen Volksbank tätig. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff.

Copyright: Project Syndicate, 2021.
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Portrait

Wang Junzheng – Sanktionierter Kandidat für höhere Aufgaben

Wang Junzheng ist neuer Parteichef in Tibet
Wang Junzheng ist neuer Parteichef in Tibet

Für hochrangige Parteifunktionäre in der Volksrepublik China zählt die Bereitschaft zum Tapetenwechsel als Selbstverständlichkeit. Wer Karriere machen möchte in der Kommunistischen Partei, muss jederzeit bereit dazu sein, von einer Provinz in die nächste zu rotieren. Immer dorthin, wo ihn die mächtige Organisationsabteilung des Zentralkomitees hin kommandiert.

Die Posten-Rochade ist ein dauerhafter Prozess in einem riesigen Apparat mit mehr als 90 Millionen Mitgliedern. Deshalb weckt sie selten so viel Interesse wie die jüngste Versetzung von Wang Junzheng von Xinjiang nach Tibet. Der 58-Jährige gilt als Reizfigur im Westen. Er ist einer von vier KP-Funktionären, die zu Beginn des Jahres von der Europäischen Union, aber auch von den USA, Kanada und Großbritannien sanktioniert worden sind. Die Sanktionen gegen ihn verbieten Wang, in die EU einzureisen oder dort geschäftlich tätig zu werden.

Wahl von Wang Junzheng war kein Zufall

Als Sicherheitschef in Xinjiang galt Wang als eine der Schlüsselfiguren bei der Internierung von mehr als einer Million Uiguren. Zwar initiierte er die Internierung nicht persönlich, setzte sie aber während seiner Amtszeit ab Februar 2019 konsequent fort. Zahlreiche Menschenrechtsrechtsverbrechen gegen Mitglieder der muslimischen Minderheit in der Region fallen in seine politische Verantwortung.

Die chinesische Regierung reagierte empört und revanchierte sich mit Sanktionen ihrerseits gegen Funktionäre und Institutionen aus der EU (China.Table berichtete). Dass nun ausgerechnet Wang Junzheng zum obersten Kader in Tibet ernannt worden ist, wirkt wenig zufällig, sondern eher wie ein trotziges Signal aus Peking an das Ausland. Denn dort wirft man seit vielen Jahren schon kritische Blicke auf die Menschenrechtslage in Tibet. Die Tibeter klagen über Unterdrückung und willkürliche Strafverfolgung durch die örtlichen Behörden.

Menschenrechtspolitiker erkennen in der Personalie eine bewusste Botschaft Chinas an westliche Länder. “Den Sicherheitschef aus Xinjiang nun zum Parteichef in Tibet zu befördern, ist ein gezielter Affront gegen alle, die Wang Junzheng sanktioniert haben”, sagt Margarete Bause, langjähriges Mitglied im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages. Doch mehr noch sei Wangs Ernennung “auch ein dramatisches Zeichen für alle Tibeterinnen und Tibeter, dass sich die systematische Unterdrückung ihres Volkes noch weiter verschärfen wird.” Sie lässt sich daher als Warnung an die tibetischen Widerstandskräfte verstehen.

Wachsende Chancen auf einen Posten im Politbüro

Die Beförderung zum Parteichef in einer Region mit hoch angespannter Sicherheitslage bietet Wang Junzheng die Möglichkeit, sich für höhere Aufgaben zu empfehlen. Wer als Kader in Tibet oder Xinjiang für Ordnung sorgt, beweist auch, dass er bereit ist, alle Register zu ziehen, um das Machtmonopol der Kommunistischen Partei zu verteidigen.

Prominentestes Beispiel derer, die fernab der glitzernden Küstenmetropolen in einer der Krisenregionen des Landes Karriere gemacht haben, ist der frühere Staatschef Hu Jintao. 1988 hatte er das Amt des Parteisekretärs in Tibet erhalten. Ein Jahr später zeichnete er für die gewaltsame Niederschlagung von Protesten verantwortlich und verhängte das Kriegsrecht. Im Jahr 2002 übernahm er die Macht im Land.

Die Chancen auf einen Aufstieg ins Politbüro werden für Wang Junzheng zumindest nicht kleiner, wenn er seinen Auftrag in Tibet im Sinne der Parteizentrale erfüllen sollte. Tapetenwechsel hatte Wang jedenfalls schon genug. Vor seiner Aufgabe in Xinjiang war der studierte Sozialwissenschaftler und Marxismus-Experte unter anderem Parteisekretär in der nordostchinesischen Stadt Changchun. Volkswagen fertigt dort Fahrzeuge.

Davor war Wang bereits Bürgermeister und Parteichef in der Touristenhochburg Lijiang in Yunnan im Süden Chinas. Später wurde er zum Vize-Gouverneur der zentralchinesischen Provinz Hubei ernannt. Wenig später macht ihn die Organisationsabteilung zum Parteisekretär der Stadt Xiangyang. Als solcher stieg er in den Ständigen Ausschuss der Parteispitze der Provinz auf.

Ganz rund lief es für Wang Junzheng allerdings nicht immer. Während seiner Zeit in Changchun ab 2016 geriet die Stadt landesweit in die Schlagzeilen. Eine lokale Firma hatte abgelaufene Substanzen für die Herstellung von Tollwut-Impfstoffen verwendet und die gesamte Pharmaindustrie der Volksrepublik in Misskredit gebracht. Der Imageschaden war auch ein innenpolitisches Problem. Denn die autoritär regierte Bevölkerung Chinas erwartet zumindest Fürsorge und Schutz durch die Partei, wenn ihr schon etliche Bürgerrechte nicht zugestanden werden. Doch seine Chance, sich in Tibet zu profilieren, hat der Skandal Wang Junzheng zumindest nicht gekostet. grz

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China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Interview mit Niels Peter Thomas: China bringt der Forschung neue Vielfalt
    • Lang erwarteter Klimaplan enthüllt
    • Aluminiumproduktion: Europa geht das Magnesium aus
    • Xi äußert sich zu Streit um Taiwan
    • Amnesty International schließt Büro in Hongkong
    • Mehr Steuerabgaben für Spitzenverdiener
    • Biden stärkt Taiwan den Rücken – ein wenig
    • Lockdown für Zehntausende im Norden Chinas
    • Evergrande kratzt Geld für Zinszahlung zusammen
    • Caixin darf nicht mehr verlinkt werden
    • Standpunkt von Yu Yongding: Chinas Wirtschaft muss wieder stärker wachsen
    • Im Portrait: Aufstieg des sanktionierten Funktionärs Wang Junzheng
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Stärkung von Technik und Wissenschaft war neben der Einführung der Marktwirtschaft der größte Faktor für Chinas Erfolge nach 1978. Nach der Kulturrevolution befand sich die Mathematik an Chinas Hochschulen auf dem Stand des deutschen Oberstufenunterrichts. Wie wir alle wissen, hat sich die Lage seitdem gedreht. Chinas Schulen und Unis haben Weltklasseniveau, die IT-Firmen des Landes rangieren weit vor der deutschen Konkurrenz, wo sie überhaupt vorhanden ist.

    Im Interview mit China.Table spricht Niels Peter Thomas über einen wichtigen Aspekt des Wissenschaftsbetriebs: das Publikationswesen. Er leitet die China-Niederlassung des Verlags Springer Nature, der wichtigen Fachzeitschriften herausbringt. Thomas zufolge geht der Aufstieg der chinesischen Wissenschaft derzeit in eine neue Phase. Er registriert einen rasanten Anstieg der Zahl hervorragender Veröffentlichungen. Rückkehrer von ausländischen Hochschulen haben die Methoden und den Geist der Wissenschaft nach China gebracht. Eine neue Generation steht jetzt den Forscherkollegen in den USA und Europa in nichts mehr nach. Der positive Effekt: “Die Vielfalt wird größer.”

    Kurz vor der großen COP26-Konferenz in Glasgow hat China seinen großen Klimaplan online gestellt. Darin finden sich die bekannten Ziele: einen Rückgang der Kohleverbrennung ab 2030 und CO2-Neutralität bis 2060. Dazu kommen aber zahlreiche neue Details, die Nico Beckert genauer unter die Lupe genommen hat.

    Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

    Ihre
    Amelie Richter
    Bild von Amelie  Richter

    Interview

    “Von Abschottung kann keine Rede sein”

    Niels Peter Thomas, President Greater China & Managing Director Books bei Springer Nature
    Niels Peter Thomas, President Greater China & Managing Director Books bei Springer Nature

    Dr. Niels Peter Thomas ist erst 49 Jahre alt und dennoch kennt er noch das China ohne Autos. Als Schüler hat er ab 1985 in Peking gelebt, seine Mutter war dort Lehrerin. Fasziniert von dem Land, kam er dann als Studierender wieder. Der Diplom-Elektroingenieur hat in Wirtschaft promoviert. Er ist nun schon zum zweiten Mal als Manager im Land.

    Heute ist er Präsident für die Region Greater China eines der größten Wissenschaftsverlage der Welt: Springer Nature. Das bedeutet viel Tradition. Denn zum Verlag gehören beispielsweise das britische Wissenschaftsjournal Nature (1908 gegründet), sowie Scientific American (1844 gegründet), für das später auch Albert Einstein geschrieben hat. Und der deutsche Springer Verlag aus Heidelberg ist sogar noch älter: Er ist 1842 entstanden. 

    Aber Springer Nature steht mindestens ebenso für Innovation. Der Verlag betreibt die größte Open-Access-Wissenschafts-Plattform der Welt. Er hat Fachbücher publiziert, die nicht mehr von Menschen, sondern von künstlicher Intelligenz geschrieben wurden. Die Muttergesellschaft ist mit 53 Prozent die Stuttgarter Holtzbrinck Publishing Group. Um das Gespräch in voller Länge als Video zu sehen, klicken Sie bitte hier.

    Herr Thomas, wie gut geht China mit seinem Wissen um?

    Beeindruckend ist ein zunehmendes Bewusstsein für die Bedeutung von Wissen, wenn man mit Universitäten oder Forschern spricht, aber auch mit Behörden. Es geht um die Sammlung, Organisation und den unkomplizierten Austausch von Wissen. Der Sinn dafür ist zuweilen sogar ausgeprägter als bei uns im Westen

    Woher kommt das?

    Für ein schnell wachsendes Land mit einer langen erfolgreichen Geschichte ist es offensichtlicher, wie wichtig Innovation und die Weitergabe von Wissen für die wirtschaftliche und technologische Entwicklung sind. China hat eine lange Tradition der Wissensweitergabe. Auch daraus resultiert der Wunsch, Wissen immer besser zu managen. Peking will dies nicht dem Zufall überlassen, wie das in manchen Bereichen im Westen leider der Fall ist. 

    Betrifft das auch die internationale Zusammenarbeit? Oder glaubt Peking, das Wissensmanagement mehr und mehr alleine hinzubekommen?

    Nein, auch Peking ist sich bewusst, dass man als globaler Einzelgänger die Entwicklungsgeschwindigkeit nicht halten kann. Das gilt übrigens nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Politik. Auch dort ist internationale Zusammenarbeit nötiger denn je. Es gibt zwar auch Bereiche, in denen man sich abschottet, aber das ist nicht der große Trend an den Universitäten.

    Die wissenschaftlichen Gemeinschaftsproduktionen zwischen chinesischen und ausländischen Wissenschaftlern sind in der vergangenen Dekade deutlich gestiegen. Das sehen wir an der Anzahl der wissenschaftlichen Fachaufsätze, die in begutachteten internationalen wissenschaftlichen Zeitschriften von chinesischen Forschern akzeptiert und publiziert wurden. Inzwischen sind 27 Prozent davon zusammen mit ausländischen Wissenschaftlern geschrieben, Tendenz steigend. Von einer Abschottung kann also nicht die Rede sein.

    Der Schwerpunkt liegt dann aber sicherlich im naturwissenschaftlichen Bereich?

    In jedem Fall, wenn man die absoluten Zahlen betrachtet. Allerdings gibt es auch ein beachtliches prozentuales Wachstum der chinesisch-ausländischen Artikel in den Sozial- und Geisteswissenschaften, auch wenn wir bei manchen ideologischen Themen nur schwer zusammenkommen. Und es werden Themen an chinesischen Universitäten erforscht, die in Europa nur noch Nischenthemen sind, zum Beispiel zur Soziologie des ländlichen Raums.

    https://youtu.be/C-2_TV4wXMo

    Woran liegt dieser Boom?

    Es ist ein zentraler Teil der chinesischen Politik, den internationalen Austausch in vielen Bereichen zu fördern. Internationale Publikationen oder Konferenzen auf internationalen Niveau werden finanziell gefördert oder sind mit besseren Karrierechancen verbunden. Gleichzeitig will sie den wissenschaftlichen Forschungsstand der Welt nach China holen. Beides hilft der chinesischen Wissenschaft besser zu werden und erhöht die Innovationsgeschwindigkeit im globalen Wettbewerb.

    Warum sind Chinas Wissenschaftler nun wieder so innovativ? Zwei, drei Jahrzehnte lang waren wir ja überzeugt: Das, was die Chinesen am besten können, ist vom Westen zu kopieren. 

    Sie mussten erst einmal wieder aufschließen. In der Wissenschaft würden wir das eher als Fleißarbeit bezeichnen denn als kopieren. Es gab lange ein nacherzählendes Wachstum an Forschungsarbeiten. Inzwischen sehen wir allerdings bei “Springer Nature” mit seiner strengen Auslese, was Relevanz und Qualität betrifft, ein signifikantes qualitatives Wachstum. Alle Artikel müssen sich, egal woher sie kommen, einem Peer-Review-Verfahren unterziehen. Das bedeutet, sie müssen von unabhängigen Fachkollegen für wissenschaftlich solide und relevant befunden werden, was meist bedeutet, dass westliche Wissenschaftler die Artikel ihrer chinesischen Kollegen begutachten.

    Hat Sie das überrascht? 

    Nein, das hat sich hinter den Kulissen über viele Jahre angebahnt. Die besten Universitäten bekommen sehr viel Geld und Infrastruktur. Schon lange, also seit mehr als zehn Jahren, gibt es Anreize für chinesische Wissenschaftler, die im Ausland Karriere gemacht haben, nach China zurückzukehren. Das wiederum prägt die nächste Generation der Doktoranden. Sie können inzwischen an vielen chinesischen Universitäten in manchen Fachgebieten so promovieren, als ob sie im Ausland wären.

    Sie waren schon als Schüler in den achtziger Jahren in China. Welche Erfahrungen können Sie mit uns teilen?

    China ist ein Land, das man nur wirklich begreifen kann, wenn man länger vor Ort ist. Und ich bin dankbar, dass ich die Chance hatte, China über so einen langen Zeitraum immer wieder zu erleben. Wenn ich damals mit der U-Bahn zur Schule gefahren bin und war einen Tag krank, haben mich am nächsten Tag unbekannte Mitfahrer gefragt, wo ich denn gestern gewesen sei. Das ist heute eher unwahrscheinlich und sagt viel über das alte und das neue Peking.

    Und ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als der dritte Ring gebaut wurde, der am Hotel Kempinski vorbeiführt. Damals wurde eine sechsspurige Autobahn ins Grüne gesetzt. Ich war nicht der einzige, der sich damals gefragt hat, ob das nicht ein großer Unsinn ist. Dort fuhren anfangs ja nur Pferdekarren und ein paar Fahrräder. Heute verläuft der dritte Ring mitten in der Stadt, er ist immer verstopft und es gibt inzwischen einen sechsten Ring. Aufgrund dieser Erfahrung sehe ich gegenwärtige Zukunftsprojekte Chinas mit ganz anderen Augen. 

    Ist China heute nationalistischer geworden?

    Das ist ein schwieriger Begriff im Deutschen. Wenn Nationalismus Stolz auf das Erreichte und ein größeres Selbstbewusstsein meint, bis hin zu der Tendenz, dass man sich von anderen immer weniger sagen lassen will, was man zu tun oder zu lassen hat, dann würde ich zustimmen. Wenn mit Nationalismus Abschottung gemeint ist, würde ich widersprechen. Es gibt in der Bevölkerung – jedenfalls bei den Menschen, mit denen ich zu tun habe – eine unglaubliche Aufgeschlossenheit und Neugier der Welt gegenüber, eine Bereitschaft voneinander zu lernen.

    Gilt das auch für das Verhältnis zwischen chinesischen und internationalen Wissenschaftlern? Politisch knirscht es ja gewaltig.

    In der Wissenschaft spürt man das kaum. Die Vernetzung steht im Vordergrund, nicht die Konfrontation. Wissenschaftler interessiert weniger, woher das neue Wissen kommt, das ihren Fachbereich voranbringt, sondern mehr, ob man zusammen schneller weiterkommt als auf eigene Faust. So sind sehr erfolgreiche internationale Kooperationen entstanden. Manche westlichen Wissenschaftler schauen inzwischen neidisch auf die Ausstattung ihrer chinesischen Kollegen.

    Welche Rolle hat das Corona-Virus gespielt? Hat es die Szene der Virologen politisch entzweit? 

    Nein. In der Not ist man sogar eher zusammengerückt. Die großen Wissenschaftsverlage haben sich kurz nach dem Corona-Ausbruch entschieden, alle Inhalte zu diesem Thema ohne Bezahlschranke zugänglich zu machen. Damit wurde es noch einfacher, weltweit zusammenzuarbeiten. Die erste Welle der Publikationen kam ja vor allem aus China, weil China früher von dem Virus betroffen war und schon Erfahrungen mit SARS hatte. Da haben sich die inzwischen stabilen und vertrauensvollen Netzwerke zwischen chinesischen und internationalen Forschern bewährt.

    Dass die Westler nicht ins Labor konnten, sondern zu Hause im Homeoffice saßen, während die chinesischen Kollegen schon wieder im Labor arbeiten konnten, hat den Austausch eher noch erhöht. Das alles finde ich sehr ermutigend. Natürlich kenne ich auch die politischen Spannungen in diesem Kontext, aber auf Arbeitsebene gibt es immer noch sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit.

    Wie verändert sich die Wissenschaftslandschaft dadurch, dass mit China nun ein großer neuer Spieler auf dem Markt ist, der gleichzeitig Partner und Wettbewerber ist? 

    Die Vielfalt wird größer. Sehr viele neu erforschte Themen kommen aus China. Schon jetzt gehören einige chinesische Metropolregionen zu den weltweit innovativsten Regionen. Peking gehört dazu, sicherlich auch Shanghai und Nanjing und vor allem auch die Greater Bay Area mit Shenzhen und Guangzhou im Süden des Landes. Sie müssen sich nicht mehr verstecken gegenüber traditionellen Zentren wie Boston in den USA, dem Silicon Valley für angewandte Forschung, Oxford in England oder auch München in Deutschland.

    Bei den Nobelpreisträgern sieht es aber noch anders aus. Da ist China nicht einmal unter den Top 10 aller Länder. Die USA haben rund 400, China nicht einmal 10. 

    Da der Preis seit 120 Jahren vergeben wird, dauert es natürlich entsprechend länger aufzuholen. Dass die Chinesen dieses Thema beschäftigt, habe ich jüngst auf einer Konferenz mitbekommen, bei der es um die Zukunft der chinesischen Wissenschaft geht. Da wurde die Frage an einen amerikanischen Nobelpreisträger gestellt, was China tun muss, um mehr Nobelpreise zu bekommen.

    Und?

    Die Antwort lautete: Such dir die schlausten Köpfe deines Landes, bring sie zusammen, gib ihnen genügend Ressourcen und maximale Freiheit, zu erforschen, was sie erforschen wollen und auch Fehler zu machen. Gib ihnen auf keinen Fall vor, in welche Richtung sie gehen sollen. Und dann warte geduldig 30 bis 35 Jahre ab. 

    Eine bittere Nachricht für Politiker, die sich selbst in China nicht 30 Jahre in ihrer Spitzenposition halten. 

    Das ist jedenfalls ein großer Ansporn, eine Abkürzung zu finden. Ich bin sehr gespannt, ob es in China nicht doch schneller geht.

    Wichtig ist dabei sicher auch das Thema Open Access. Wie steht man in China dazu?

    Es wird derzeit erstaunlicherweise viel über Open Access gesprochen. Dabei geht es vor allem darum, dass auch Forschungseinrichtungen in kleineren Städten guten Zugang zum globalen Wissenspool bekommen und dass Forschungen, wenn sie relevant sind, auch international wahrgenommen werden.

    Dass die Chinesen ein Interesse daran haben, kann man verstehen. Aber hat auch der Westen ein Interesse daran?

    Ich glaube, es ist wichtig einzusehen, dass wir die großen gesellschaftlichen und technischen Herausforderungen nur gemeinsam lösen können. Deswegen haben wir ein Interesse daran, die Vernetzung weiter zu fördern. Dazu gibt es keine Alternative aus wissenschaftlicher Sicht!

    Das ist klar. Aber ein Wissenschaftsverlag kann ja kein Interesse an Open Access haben. Denn er lebt von Bezahlschranken. 

    Auch bei Open Access wird unser Service bezahlt. Allerdings nicht vom Leser, sondern aus dem Budget der Institution, die die Forschung fördert, die ja ein großes Interesse daran hat, dass die Forschungsergebnisse breit wahrgenommen werden. 

    Schränkt das nicht die publizistische Unabhängigkeit ein?

    Nein. Open Access bedeutet nicht, dass jeder, der bezahlt, alles publizieren kann, was er will, sondern nur das, was unsere strenge Qualitätskontrolle durchlaufen hat und dann für alle erreichbar ist. Deshalb gibt es einen ganz klaren Trend zu mehr Open Access. In manchen Fachgebieten ist bereits die Schwelle von 50 Prozent überschritten. In den Lebenswissenschaften hat es angefangen und kommt nun auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften an. Die Ingenieure hinken noch ein wenig hinterher.

    Im politischen Kontext Chinas finde ich es sehr spannend, dass sich sowohl die Politik als auch die Wissenschaft mehr und mehr dafür interessiert, wie Open Access funktioniert. Die Chinese Academy of Sciences, also die hiesige wissenschaftliche Leitinstitution, wird noch in diesem Jahr eine Open-Access-Week veranstalten, um über das Thema zu informieren. 

    Open Access und Ideologie passen allerdings nicht gut zusammen. Denn Ideologie will Wissen kanalisieren, zensieren. 

    Wir müssen realistisch sein. Es wird in China Open Access und Zensur nebeneinander geben. Am Ende steht dann wohl ein Open Access mit chinesischen Charakteristiken. Immer noch wahrscheinlich ein beachtlicher Fortschritt, allerdings womöglich einer, der nicht so weit geht, wie wir uns das gewünscht hätten. 

    Wie gehen Sie denn mit dem Thema Zensur generell um? 

    In der Hauptrichtung unserer Arbeit spielt sie kaum eine Rolle: Wir wollen chinesischen Autoren, wie allen anderen Autoren weltweit auch, die Möglichkeit geben, international zu publizieren. Aber wir lizenzieren auch westliche Inhalte für China. Das ist in manchen Fachgebieten schwieriger, keine Frage. Aber es ist gut zu wissen, dass die Versorgung chinesischer Wissenschaftler mit internationaler Literatur auch aus den Sozial- und Geisteswissenschaften heute insgesamt vielfältiger ist als noch vor wenigen Jahren beziehungsweise Jahrzehnten. Pekings Schwerpunkt liegt immer noch eher in Richtung Versorgung mit Wissen als in Richtung Abschottung. Was für uns in diesem Zusammenhang wichtig ist: Wir legen als Verlag keine unterschiedlichen Kriterien für Publikationen aus verschiedenen Ländern an.

    China ist technologisch sehr offen. Hier stellt man sich womöglich früher die Frage, wie die vielen Daten und die Künstliche Intelligenz wissenschaftliche Texte und Verlage verändern. 

    Das ist eine junge und sehr spannende Diskussion, die extrem relevant ist für die weitere Entwicklung der Wissenschaftswelt. Wir sprechen dabei nicht mehr von Open Access, sondern von Open Science. Dieser Begriff beinhaltet nicht nur Texte, sondern eben auch Daten. Der einfache und freie Zugang zu einer ungeahnt großen Menge von Daten wird eine neue Wissenschaft ermöglichen. Für den Bereich der Forschung und Entwicklung ist in China die Offenheit dafür viel größer, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

    Wie werden sich die Publikationen dadurch verändern? 

    Wir sind tatsächlich schon relativ weit. Wir publizieren schon zwei Jahre lang Bücher, die keinen menschlichen Autor mehr haben, sondern von einem Algorithmus geschrieben worden sind. Bei dem ersten Buch ging es um Lithium-Ionen-Batterien, also um ein Thema, bei dem auch chinesische Forschung eine zentrale Rolle spielt. 

    Wie funktioniert das?

    Wir haben einen Algorithmus damit trainiert, alles zu lesen, was zu diesem Thema zu finden war. Das können 15.000 und mehr Artikel oder Kapitel sein, also mehr als jeder Mensch in einem vernünftigen Zeitrahmen lesen und verarbeiten könnte. Der Algorithmus versucht, Wichtiges von weniger Wichtigem zu trennen, zum Beispiel, indem er schaut, was, wie oft und wo zitiert wird. So bilden sich Cluster, aus denen allmählich eine Struktur für ein solches Buch entsteht. Daraus wird am Ende ein Buch, von dem die Forscher überzeugt sind, dass es tatsächlich den Stand der Forschung angemessen darstellt. 

    Ein Buch allerdings, in dem nichts Neues drinsteht.

    Das haben wir uns auch gedacht. Es entsteht in diesen Clustern jedoch eine neue Struktur. Die Art, wie der Algorithmus die Erkenntnisse zusammen denkt, unterscheidet sich erheblich von den vorhandenen Reviews zu dem Thema. Es entsteht durchaus ein neuer eigenständiger Blickwinkel, der in eine neue Richtung weist. Einen Literaturnobelpreis wird ein solcher Text nicht bekommen. Aber die Elektro-Chemiker sagen, das bringt meine Doktoranden auf neue Ideen, weil es eine unglaubliche kompakte Form ist, den Stand der Forschung darzustellen.

    Neben den Autoren können wir auch den Lesern einen neuen Service bieten. Sprachbarrieren können immer mehr durch Software überwunden werden und die Leser können gewissermaßen dem Buch mitteilen, wie viel Zeit sie für welchen Aspekt des Buches haben und bekommen dann umgehend die entsprechende Zusammenfassung oder einen höheren Detailgrad. Es gibt dann noch eine Ursprungsausgabe, aber ansonsten kann sich das Buch den Wünschen des Lesers anpassen.

    Wie praktisch. Der Verlag schafft den lästigen Autor ab …

     … und gleich auch den Lektor. Wir produzieren dann auf Knopfdruck Bücher wie Waschmaschinen. Nein, darum geht es selbstverständlich nicht. Das ist wie beim autonomen Fahren. Es wird das Selbstfahren nie völlig ersetzen, ist aber hilfreich, um einfacher und schneller ans Ziel zu kommen. Beim Schreiben von Büchern wird es wahrscheinlich der Normalfall werden, dass die Algorithmen dem Autor helfen, die Daten und den Forschungsstand so aufzubereiten, dass der Forscher mehr Zeit und Spielraum hat, den Forschungsstand zu interpretieren. Damit schaffen es Autoren, Bücher zu verfassen, die dafür unter analogen Umständen keine Zeit hätten.

    Der Algorithmus kann dem Autor also helfen, mehr Zeit zu haben, Neues zu entdecken. Unsere Aufgabe als Verlag wird es zukünftig sein, den Autoren diesen Service zur Verfügung zu stellen. Eines der größten Hemmnisse im Verlagsgeschäft ist ja bekanntlich der innere Schweinehund des Autors. In Zukunft können wir mit Algorithmen den Autor unterstützen, diesen zu überwinden. 

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    Analyse

    Peking legt Klimaplan vor

    Kurz vor der Weltklimakonferenz in Glasgow hat China am Sonntag das lang erwartete “oberste Planungsdokument” zur Erreichung der nationalen Klimaziele vorgelegt. In dem Strategiepapier werden die wichtigsten Klimaziele bis 2025, 2030 und 2060 dargelegt. Die in Klimaplan aufgezeigten Ziele entsprechen in großen Teilen schon zuvor geäußerten Zielwerten, aber es gab auch Überraschungen:

    • Neu ist das Ziel, bis 2060 mehr als 80 Prozent des Energiebedarfs durch erneuerbare Quellen und Atomkraft zu decken.
    • Ebenfalls unerwartet war auch, dass der Ölverbrauch innerhalb des 15. Fünfjahresplans (2026-2030) seinen Höchststand erreichen soll. Im gleichen Zeitraum soll der Kohleverbrauch erstmals sinken.
    • Bis 2025 soll die Energieeffizienz der Wirtschaft erhöht werden. Konkret bedeutet das: Es soll weniger Energie verbraucht werden, um die gleichen Waren und Dienste hervorzubringen. Der Energiebedarf in Relation zur Wirtschaftsleistung soll im Vergleich zu 2020 um 13,5 Prozent sinken. Das Gleiche gilt für den CO2-Ausstoß. Er soll ebenfalls in Relation zur Wirtschaftsleistung um 18 Prozent sinken. Nicht-fossile Energieträger sollen “ungefähr 20 Prozent” am Gesamt-Energieverbrauch ausmachen.
    • Bis 2030 soll der CO2-Ausstoß in Relation zur Wirtschaftsleistung im Vergleich zu 2005 um 65 Prozent abnehmen. Der Anteil nicht-fossiler Energieträger soll bei 25 Prozent liegen. Es soll eine Kapazität von 1.200 Gigawatt an Solar- und Windkraft installiert sein. Auch der Ausbau von Speicherkapazitäten soll beschleunigt werden. Hierzu zählen sowohl Pumpspeicher als auch Batteriespeicher-Systeme.

    Die Volksrepublik agiert also kurzfristig nicht mit absoluten Zielen zur Senkung der CO2-Emissionen. Stattdessen gibt es weiterhin nur Ziele, die in Bezug zum Wirtschaftswachstum stehen. Die relativen Zielsetzungen bedeuten, dass die CO2-Emissionen bei hohem Wachstum nur langsam sinken.

    “Oberstes Planungsdokument”

    Der am Sonntag vorgelegte Klimaplan ist das oberste Planungsdokument für Chinas Weg zum Netto-Null-Ziel – also dem Ausstieg aus dem Treibhausgasausstoß unter Berücksichtigung von Ausgleichsmöglichkeiten. Der Plan gibt den Rahmen “für die gesamte künftige Klimaplanung vor”, wie die Analysten der Beratungsfirma Trivium China schreiben. Dem zentralen Plan wird nun eine Reihe von Aktionsplänen folgen, die mehr Details zur Erreichung der Klimaziele beinhalten werden.

    Diese Aktionspläne beziehen sich dann auf bestimmte Sektoren wie beispielsweise den Energie-, Industrie- oder Transportsektor. Insgesamt machen der Klimaplan und die Aktionspläne den sogenannten “1+N-Rahmenplan” aus. Die “1” steht für den Klimaplan, das “N” für eine bestimmte Anzahl an Aktionsplänen. Damit folgt er dem Ansatz der Fünfjahrespläne, die von einem Leitdokument ausgehend detaillierte Teilpläne für Branchen und Regionen umfassen.

    Laut Trivium China brauchte die Volksrepublik dringend diesen zentralen Klimaplan, um “all die willkürlichen Planungen, die bereits im Gange sind, einzudämmen.” Denn allerlei Akteure, von Ministerien über Provinz- und Lokalregierungen sowie den oft staatlichen Unternehmen versuchen “krampfhaft, ihre Übereinstimmung mit Xi Jinpings Klimazielen zu demonstrieren”, so die Analysten von Trivium.

    Der Klimaplan enthält auch eine Passage zum Transportsektor. Der Ausbau der E-Mobilität soll beschleunigt werden. Dazu gehört der Ausbau des Netzwerks von Ladestationen und Batterie-Tausch-Stationen für E-Autos. Zudem sollen die Energieeffizienzstandards für Autos mit Verbrennungsmotoren weiter verschärft werden. Zugstrecken sollen schneller elektrifiziert werden und der Gütertransport grüner werden.

    Auch der Bausektor soll energiesparender arbeiten und die vorhandenen Gebäude sollen weniger Strom verbrauchen. Innovationen und Technologien sollen dazu beitragen, dass die CO2-Emissionen in allen Sektoren sinken.

    Der Plan wiederholt zudem das schon in der Vergangenheit geäußerte Bekenntnis, Investitionen in CO2-intensive Projekte wie Kohlestrom, Stahl, Aluminium, Zement und petrochemische Produkte “streng zu kontrollieren”. Zudem sollen Projekte zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung unterstützt werden. Auch der Green Finance Sektor soll weiter ausgebaut und die Standards in diesem Bereich weiterentwickelt werden (China.Table berichtete). Banken sollen laut dem Klimaplan dazu ermutigt werden, günstige Kredite für nachhaltige Investitionen zur Verfügung zu stellen (China.Table berichtete).

    “Markt und Staat” und Energiesicherheit als Prinzipien

    Der Klimaplan enthält zudem einige sogenannte “Funktionsprinzipien”. Damit sind die politischen und wirtschaftlichen Mechanismen gemeint, die die Umsetzung voranbringen sollen. Beispielsweise sollen Staat und Markt gleichermaßen zur Erreichung der Klimaziele beitragen.

    Peking hat schon in den letzten Jahren vermehrt auf Marktmechanismen gesetzt. Im Juli wurde nach jahrelanger Planung ein nationaler Emissionshandel gestartet. Daran müssen bisher allerdings vorrangig Kohlekraftwerke teilnehmen. Auch der Preis pro Tonne CO2 ist derzeit noch sehr gering (China.Table berichtete).

    Nichtsdestotrotz umfasst der Emissionshandel schon heute gut 40 Prozent aller in China verursachten Emissionen. Nach dem langsamen Handelsstart könnte schon bald eine erhebliche Beschleunigung folgen, da die erste Phase des Emissionshandels lediglich als vorsichtige Testphase gilt. Der Klimaplan sieht die “schrittweise Ausweitung” des Emissionshandels vor, der allerdings schon ursprünglich mehr Sektoren umfassen sollte als lediglich die gut 2.000 Kraftwerke aus dem Energiesektor, die er derzeit umfasst.

    Ein in den letzten Monaten ebenfalls diskutierter Marktmechanismus ist die Bepreisung von Naturgütern und -dienstleistungen. Die Idee dahinter: Wenn die Umwelt einen Preis hat, ist der Anreiz größer, sie zu schützen. Dadurch soll es gelingen, Naturdienstleistungen wie die Speicherung von CO2 durch Wälder und Moore zu erhalten. Die politischen Eliten debattieren dazu sogar die Einführung eines sogenannte “Brutto-Ökosystem-Produkts”, dass den Umweltschutz messbar machen soll und langfristig auf einer Ebene mit der Wirtschaftsleistung und dem BIP stehen könnte (China.Table berichtete). Der Klimaplan sieht nun vor, einen “ökologischen Ausgleichsmechanismus einzuführen, der den Wert von Kohlenstoffsenken widerspiegelt”.

    Neuer Passus zu Energiesicherheit und Lieferketten

    Ein weiteres Funktionsprinzip des Klimaplans ist die “Vorbeugung von Risiken”. Der Plan betont die “Beziehung zwischen Klimaschutz und Energiesicherheit und der Sicherheit von industriellen Lieferketten” und ruft dazu auf, eine “Überreaktion zu verhindern”. Das bedeutet, dass die Reduktion von CO2-Emissionen nicht auf Kosten der Energiesicherheit der Industrie gehen dürfen, beziehungsweise dass der Aufbau neuer Energiequellen abseits der Kohle schnell genug voranschreiten muss, damit es nicht zu wiederholten Energiekrisen wie derzeit kommt (China.Table berichtete).

    Die Analysten von Refinitiv gehen jedoch trotz des noch vor der Klimakonferenz in Glasgow vorgelegten Klimaplans nicht davon aus, dass China auf der Konferenz neue Zugeständnisse machen wird. Chinas politische Führung müsse kurzfristig “die Energieversorgung im Winter und anschließenden Frühling sicherstellen”, so Refinitiv.

    China hat den Plan in Hinblick auf die bevorstehende UN-Klimakonferenz (COP26) veröffentlicht. Die Volksrepublik befindet vor der COP26 in einem größeren Dilemma als ursprünglich angenommen (China.Table berichtete). Denn eine Häufung von Stromausfällen lässt einen schnellen Ausstieg aus der Kohle derzeit wieder unwahrscheinlicher erscheinen. Das Land ist derzeit noch zu abhängig vom Kohlestrom. Der starke Preisanstieg des Rohstoffs hat den Verbrauch verteuert. Da die Strompreise lange Zeit staatlich reguliert waren, konnten sie nicht ebenfalls ansteigen. Die Herstellung von Elektrizität war für die Kraftwerke nicht mehr profitabel. Strom aus anderen Quellen konnte den Ausfall beim Kohlestrom nicht ersetzen. In ganzen Regionen gingen die Lichter und Klimaanlagen aus, Fabriken standen still. All das zeigt, wie abhängig China nach derzeitigem Stand noch von der Kohle ist. Mitarbeit: Finn Mayer-Kuckuk

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    Magnesium-Mangel bedroht Industriezweige in Europa

    Chinas Stromkrise zieht immer weitere Kreise. Nun geht der Welt das Nichteisenmetall Magnesium verloren, da zwei chinesische Provinzen die Produktion bis Jahresende gestoppt oder reduziert haben, um ihre Energiesparziele zu erreichen. Der Sektor ist dafür verlockend, denn die Gewinnung dieses Metalls ist sehr energieintensiv.

    Magnesium ist ein wesentlicher Rohstoff der Aluminium-Industrie. Es erhöht als sogenanntes Legierungsmittel die Festigkeit des Aluminiums. Und China hat mit einem Anteil von 87 Prozent an der globalen Magnesiumproduktion heute ein nahezu vollständiges Monopol. Etwa 45 Prozent aller chinesischen Ausfuhren sind für Europa bestimmt. China stillt 95 Prozent des europäischen Bedarfs. Europa ist also besonders schwer getroffen. Die USA haben immerhin noch einen eigenen Produzenten, US Magnesium.

    Die Magnesiumproduktion in China ist so stark konzentriert, dass eine einzige Region diese Krise auslösen konnte. Ein Großteil des Metalls stammt aus einer einzigen Stadt namens Yulin in der Provinz Shaanxi. Anfang Oktober ordnete die lokale Regierung die Schließung von 35 ihrer 50 Magnesiumhütten bis Ende des Jahres an. Den Rest forderte sie auf, die Produktion um 50 Prozent zu drosseln. Auch in kleineren Produktionsstandorten der benachbarten Provinz Shanxi gibt es ähnliche Vorgaben.

    China: Herstellung von Magnesium und Aluminium gedrosselt

    Dazu muss man wissen, dass zur Herstellung vieler Nichteisenmetalle vor allem Strom benötigt wird – und weniger Brennstoffe. Um eine Tonne Magnesium zu produzieren, fallen satte 35-40 Megawattstunden (MWh) Elektrizität an. Für eine Tonne Primäraluminium sind es zwischen 15 und 20 MWh pro Tonne. Andere Metalle wie Kupfer, Zink oder Blei benötigen viel weniger Strom.

    Neben Magnesium-Produktionen wurden daher auch Aluminiumschmelzen zur Drosselung ihrer Produktion aufgefordert, etwa in Yunnan, Guangxi und Xinjiang. Mehr als zwei Millionen Tonnen aktiver Alu-Kapazität waren seit September betroffen, schreibt die Analystin Yao Wenyu von der Bank ING. Yao sieht dies in direkter Verbindung mit den Klimazielen der Regierung – zumal bei Aluminium laut ihrer Studie der Ausstoß von Treibhausgasen pro Tonne wesentlich höher ist als bei allen anderen Metallen.

    Bei Magnesium kommt erschwerend hinzu, dass es nicht lange gelagert werden kann: Es beginnt nach drei Monaten zu oxidieren. Die jetzigen Vorräte in Deutschland und Europa seien spätestens Ende November 2021 erschöpft, erwartet die Wirtschaftsvereinigung (WV) Metalle. “Die Lage ist schwer einzuschätzen”, sagt VW Metalle-Hauptgeschäftsführerin Franziska Erdle zu China.Table. “Denn die Unternehmen wissen nicht, ob die noch zugesicherten Lieferungen, die auf dem Schiffsweg nach Europa sein sollen, auch tatsächlich ankommen.”

    Die Lieferengpässe gefährden die gesamte globale Aluminium-Wertschöpfungskette. Zumal auch die Preise gewaltig steigen: Importiertes Magnesium kostet in Europa heute rund 9000 US-Dollar pro Tonne, 75 Prozent mehr als vor einem Monat. Hinzu kommen die steigenden Strompreise infolge der globalen Energiekrise. Vom Magnesiummangel sind Branchen wie Auto, Bau, Verpackung oder Maschinenbau betroffen. Abseits vom Aluminium findet Magnesium zudem auch in der Eisen- und Stahlerzeugung sowie im Druckguss Verwendung.

    Besonders betroffen ist die bereits vom weltweiten Chipmangel gebeutelte Autoindustrie (China.Table berichtete). 35 Prozent der Nachfrage nach Magnesium sei für Autobleche, zitiert die Financial Times den Barclays-Analysten Amos Fletcher. Bei Alu-Blechen gebe es für das Material keinen Ersatz: “Wenn die Magnesiumversorgung versiegt, wird möglicherweise die gesamte Automobilindustrie zu einem Halt gezwungen.” Alu-Legierungen mit Magnesium kommen neben den Blechen auch in Getrieben, Lenksäulen, Sitzrahmen und Tankdeckeln zum Einsatz.

    Magnesiumkrise: Verbände fordern Verhandlungen mit China

    Die WV Metalle und andere Verbände forderten die Bundesregierung daher auf, “dringend diplomatische Gespräche mit China einzuleiten.” Man erwarte eine Lage ähnlich der Chip-Krise. Magnesium steht seit 2017 auf der Liste der kritischen Rohstoffe der EU. Politisch-strategische Überlegungen und Maßnahmen zur Sicherstellung des Lieferflusses blieben laut WV Metalle bislang jedoch aus.

    Parallel forderte der Verband European Aluminium, dem viele Großkonzerne wie Norsk Hydro oder Alcoa angehören, die EU-Kommission auf, mit China zu verhandeln. Magnesium sollte in denselben Foren diskutiert werden wie die Halbleiter. Die aktuelle Krise sei “ein klares Beispiel für das Risiko, das die EU eingeht, indem sie ihre Binnenwirtschaft von chinesischen Importen abhängig macht”, kritisierte der Verband in einem Positionspapier. Die EU sei zum Thema bereits in Kontakt mit China, sagte ein Offizieller dem US-Nachrichtenportal Politico, ohne Details zu nennen.

    Magnesium sei nur ein Stoff in einer langen Liste von Produktionsverlusten seit Anfang der 1990er Jahre. so European Aluminium. Die Produktion von Primäraluminium – also neuem, nicht recyceltem Alu – habe seit 2008 mehr als 30 Prozent ihrer Kapazität verloren. “Parallel dazu hat China die Alu-Produktionskapazitäten kontinuierlich erhöht”, so das Positionspapier. Der Anteil Chinas an der weltweiten Magnesiumproduktion sei von 12 Prozent in 2000 auf die heutigen 87 Prozent gestiegen – bei einem Marktvolumen von inzwischen 1,2 Millionen Tonnen pro Jahr.

    2001 hatte Europa die letzte heimische Magnesiumproduktion aus Kostengründen aufgegeben, da sie mit billigen Importen aus China nicht mithalten konnten. Diese Einfuhren bezeichnen WV Metalle und European Aluminium heute als “Dumping”. “Magnesium ist kein seltener Rohstoff. Er kommt weltweit vor”, sagt Erdle. “Die Herstellung in Europa ist jedoch auf wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen angewiesen.” Diese seien in Europa nicht gegeben. Einer Wiederansiedlung der energieintensiven Produktion in der EU stehen nach Ansicht des Verbands die “aktuell drastisch gestiegenen Industriestrompreise und die unabsehbare Entwicklung der Energiekosten” entgegen.

    Die Magnesiumkrise ist letztlich ein weiteres Beispiel dafür, wie sich Europa in einer anderen Zeit relativ gedankenlos von Lieferungen aus China abhängig gemacht hat. In den Nullerjahren stand globale Arbeitsteilung hoch im Kurs. Niemand wollte teurere Vorprodukte kaufen, bloß weil sie daheim produziert wurden. Um den Nachschub sorgte man sich nicht – also wurde die heimische Fertigung auch nicht etwa durch EU-Schutzzölle auf chinesische Magnesium-Importe geschützt. Ähnliche Probleme gibt es etwa bei Seltenen Erden, deren schmutzige Gewinnung im Westen wegen der Umweltschäden aufgegeben wurde. Auch das führte zu einer marktbeherrschenden Stellung Chinas bei den eigentlich gar nicht so “seltenen” Mineralien.

    Auswege aus der Krise

    Belastbare Informationen über weitere Bezugsquellen für Magnesium außerhalb Chinas liegen WV Metalle nach eigenen Angaben nicht vor. Kurzfristig müssen sich also alle mit der Lage arrangieren. Der Verband fordert aber langfristig “eine industriepolitische Strategie Deutschlands für den gesicherten Zugang zu Industriemetallen.” Gemeinsam mit der EU müssten “mittel- und langfristige wirksame Maßnahmen zur Aufrechterhaltung funktionierender und zukunftsfähiger Wertschöpfungsketten ergriffen werden.” European Aluminium forderte etwas direkter formuliert Maßnahmen zur Verteidigung gegen unfair subventionierte Importe aus China.

    Ein weiterer Ausweg könnte eine weitere Stärkung der Kreislaufwirtschaft sein. In Deutschland wird schon heute mehr recyceltes Aluminium produziert als Neualuminium. So werden etwa im Verkehrs- und Bausektor 95 Prozent wiederverwendet. Auch Verpackungen werden zu etwa 90 Prozent recycelt. Die Herstellung dieses sogenannten Sekundäraluminiums benötigt gerade einmal fünf Prozent der Energie wie für Primäraluminium. In den USA durchflöhen Hersteller laut der Financial Times verstärkt Aluschrott nach Magnesium, das extrahiert werden kann. Vielleicht ließe sich als vorübergehende Alternative mehr Aluschrott zum Recyceln aus dem Ausland importieren. Ob das nötig wird, hängt von der weiteren Entwicklung der Lage ab.

    • Autoindustrie

    News

    Xi heizt Streit um Taiwan an

    Um den Status von Taiwan ist neuer Streit ausgebrochen. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping sagte am Montag in einer UN-Rede, mit der Resolution 2758 habe die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 25. Oktober 1971 anerkannt, dass die Regierungsvertreter der Volksrepublik die “einzig rechtmäßigen Repräsentanten Chinas in den UN” seien. Er sprach von einem “Sieg für das chinesische Volk”.

    Anlass von Xis Rede in Peking ist der 50. Jahrestag der Aufnahme der kommunistischen Volksrepublik Chinas in die Vereinten Nationen. Im Gegenzug wurden die Vertreter der in Taiwan ansässigen nationalchinesischen Republik China 1971 aus den UN ausgeschlossen. Seither ist der Status Taiwans immer wieder Ausgangspunkt heftiger Diskussionen (China.Table berichtete)

    Taiwans Regierung widersprach am Montag umgehend der Pekinger Darstellung, dass die UN damals auch anerkannt habe, dass Taiwan zur Volksrepublik gehöre. Die UN-Resolution habe nur die Frage der Vertretung Chinas im UN-System behandelt. “Sie sagt weder, dass Taiwan ein Teil der Volksrepublik ist, noch autorisiert sie die Volksrepublik, das Volk Taiwans zu repräsentieren”, sagte Außenamtssprecherin Joanne Ou in Taipeh. “Nur die demokratisch gewählte Regierung von Taiwan hat das Recht, ihr Volk in internationalen Organisationen, bei den UN oder in internationalen Foren zu repräsentieren.”

    Drei Tage vor dem Jahrestag am Montag hatten Regierungsvertreter aus Washington und Taipeh offiziell darüber gesprochen, wie die demokratische Inselrepublik wieder richtig in den UN mitarbeiten könnte. “Die Diskussionen konzentrierten sich darauf, die Fähigkeit Taiwans zu unterstützen, sich bedeutsam in den UN zu beteiligen”, teilte das Außenministerium in Washington mit.

    US-Angaben zufolge ging es hierbei um “globale Herausforderungen” wie Gesundheit, Entwicklungshilfe, Klimawandel und Umweltverschmutzung, technische Standards und Wirtschaftskooperation. Die US-Vertreter hätten auch die Unterstützung der USA für eine “bedeutungsvolle Teilnahme” Taiwans in der Weltgesundheitsorganisation und dem Pariser Klimaabkommen bekräftigt, hieß es.

    Peking betrachtet das 23 Millionen Einwohner zählende Taiwan als Teil der Volksrepublik und droht mit einer Eroberung, um eine “Wiedervereinigung” zu erreichen (China.Table berichtete). Zudem versucht man, Taiwan international zu isolieren. Wegen der “Ein-China-Doktrin” dürfen diplomatische Partner keine offiziellen Beziehungen zu Taipeh unterhalten. Nur weniger als 20 – meist kleinere – Staaten erkennen Taiwan trotzdem an. Auch Deutschland unterhält in Taipeh nur inoffizielle Vertretungen. rad

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    Amnesty gibt auf in Hongkong

    Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zieht sich aus Hongkong zurück. In einer Presseerklärung kündigte man am Montag an, die beiden Amnesty-Büros in der chinesischen Sonderverwaltungszone bis Ende des Jahres schließen zu wollen. Grund sei das umstrittene Hongkonger Sicherheitsgesetz, so Anjhula Mya Singh Bais, Vorstandsvorsitzender von Amnesty International. Das im Juni 2020 eingeführte Gesetz habe es “praktisch unmöglich gemacht, frei und ohne Angst vor ernsthaften Repressalien der Regierung zu arbeiten”, sagte Bais laut Pressemitteilung.

    Hongkong sei lange ein idealer regionaler Stützpunkt für internationale Organisationen der Zivilgesellschaft gewesen. Die jüngsten Angriffe auf lokale Menschenrechts- und Gewerkschaftsgruppen belegten allerdings “eine Intensivierung der Kampagne der Behörden, die Stadt von allen abweichenden Stimmen zu befreien“. “Es wird immer schwieriger für uns, in einem so instabilen Umfeld weiterzuarbeiten”, heißt es in der Mitteilung.

    Seit die Führung in Peking das Sicherheitsgesetz erlassen hat, wurden mehr als 100 Aktivisten wurden festgenommen oder warten auf ihren Prozess. Einige wurden verurteilt. Aus Angst vor Strafverfolgung haben sich viele Oppositionsmitglieder ins Ausland abgesetzt (China.Table berichtete). Das Gesetz erlaubt es, gegen sämtliche Aktivitäten vorzugehen, die Peking vage als umstürzlerisch, separatistisch, terroristisch oder verschwörerisch ansieht. Eigentlich sollen die sieben Millionen Hongkonger bis 2047 “ein hohes Maß an Autonomie” und weiter viele politische Freiheiten genießen. rad

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    Chinas Reiche sollen mehr Steuern zahlen

    Chinas Spitzenverdiener sollen künftig mehr Steuern zahlen. Dafür soll es Änderungen bei der Steuererhebung geben, wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua am Montag berichtet. Zudem werde in einigen Regionen probeweise eine Immobiliensteuer eingeführt, auch über eine Vermögenssteuer wird offenbar diskutiert. Laut Xinhua dienen die neuen Maßnahmen dazu, den “Kuchen” gerechter zu verteilen. So sollen die Änderungen dazu führen, dass eine “olivenförmige” Verteilungsstruktur bei den Einkommen mit einer großen Mitte und zwei kleinen Enden erreicht wird, heißt es in dem Bericht.

    “Die Ankündigung kam früher als erwartet und bestätigt unsere seit langem vertretene Ansicht, dass China entschlossen ist, seinen Immobilienmarkt zu reformieren”, urteilt Ökonomin Betty Wang von ANZ Research. Die nun angekündigten Steuern auf Immobilienbesitz sollen vor allem Käufer abschrecken, die in der Vergangenheit vermehrt auf Immobilien zu Spekulationsgründen gesetzt haben. Zum Wochenbeginn fielen die Aktien chinesischer Immobilienunternehmen nach Bekanntgabe der neuen Pläne aus Peking um mehr als drei Prozent.

    Von den zusätzlichen Einnahmen erhofft sich Peking, die gesetzten Ziele zum “gemeinsamen Wohlstand” zu erreichen. Staats- und Parteichef Xi Jinping will unter dem Begriff Maßnahmen einführen, die zum Ziel haben, die ungleichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse im Land zu verringern. Xinhua betonte gleichzeitig, dass Chinas Steuerpolitik nicht als eine Maßnahme interpretiert werden dürfte, bei der “die Reichen beraubt werden, um den Armen zu helfen”.

    Laut einem Merics-Beitrag von Bert Hofmann, Direktor des Ostasiatischen Instituts an der National University in Singapur, tragen die Einkommensteuereinnahmen nur vier Prozent zu den Staatseinnahmen in China bei. Das seien weit weniger als die 20 Prozent in einem durchschnittlichen OECD-Land, so der Autor. Der Großteil der chinesischen Steuereinnahmen stammt laut dem Bericht aus Mehrwertsteuer, Konsum-(Luxus-)Steuer und Sozialversicherungsbeiträgen. “Diese Steuern belasten die weniger Wohlhabenden stärker als die Reichen”, urteilt Hofmann. niw

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    Biden bestätigt “Verpflichtung” gegenüber Taiwan

    Die USA würden Taiwan nach Worten von Präsident Joe Biden im Falle eines chinesischen Angriffs dabei helfen, sich zu verteidigen. Die US-Regierung habe eine “Verpflichtung”, dies zu tun, sagte Biden bei CNN. Washington suche keinen Konflikt mit China, aber Peking müsse verstehen, “dass wir keinen Schritt zurück machen werden, dass wir unsere Positionen nicht ändern werden”, so Biden. Die USA haben sich darauf festgelegt, die Verteidigungsfähigkeit Taiwans zu erhalten. Das bedeutet bislang vor allem Waffenlieferungen. Die Frage nach einem militärischen Beistand im Angriffsfall wurde meist bewusst offengelassen. 

    Nach der Frage eines Bürgers zu dem Thema hakte CNN-Moderator Anderson Cooper bei einer Town Hall-Veranstaltung in Baltimore nach und fragte Biden mit Blick auf China: “Sagen Sie, dass die Vereinigten Staaten Taiwan verteidigen würden, falls es versuchen würde, anzugreifen?” Biden antwortete daraufhin: “Ja, wir haben uns verpflichtet, das zu tun.”

    Verpflichtung kein Zeichen für Veränderung

    Bidens Wortwahl signalisiert in der derzeitigen Lage allerdings nur vergleichsweise schwache Rückendeckung für Taiwan. Er verspricht “keinen Schritt zurück zu machen” – aber eben auch keinen nach vorn. Die Selbstverpflichtung zum Schutz Taiwans besteht zudem bereits seit Jahrzehnten. Biden hätte mit stärkerer Wortwahl auch eine deutlichere Botschaft nach Peking senden können. Er hat darauf aber vorerst verzichtet – vermutlich bewusst, um keinen diplomatischen Schlagabtausch mit China auszulösen.

    Die Reaktionen aus Peking und Taipeh folgten dennoch prompt: Taiwans Regierung begrüßte die Aussage. “Seit Bidens Amtsübernahme hat die US-Regierung kontinuierlich durch praktische Schritte ihre felsenfeste Unterstützung für Taiwan demonstriert”, sagte ein Präsidentensprecher am Freitag – und erlaubte sich damit die maximale Interpretation der Worte Bidens.

    Peking riet indes zu “Vorsicht”: “China wird keine Kompromisse eingehen, wenn es um seine grundlegenden Interessen wie Souveränität und territoriale Integrität geht”, sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin laut einem Bericht der Nachrichtenagentur AFP. Chinas Präsident Xi Jinping hatte den chinesischen Anspruch auf eine Vereinigung mit Taiwan zuletzt wiederholt bekräftigt (China.Table berichtete). ari

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    Lockdown für Zehntausende im Norden Chinas

    Chinas Regierung hat am Montag einen Corona-Lockdown für zehntausende Menschen im Norden der Volksrepublik angeordnet. Grund sind Neuinfektionen in mehreren Provinzen. In der Inneren Mongolei dürfen seit Wochenbeginn die rund 35.000 Einwohner des Landkreises Ejin ihre Wohnungen nicht mehr verlassen.

    Auch in Peking wurden neue Corona-Beschränkungen verhängt: Die Bewohner der Hauptstadt wurden aufgefordert, Peking nur noch in dringenden Fällen zu verlassen und auf größere Menschenansammlungen zu verzichten. Der für kommenden Sonntag geplante Marathon wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Zudem wurden mehrere Wohnkomplexe abgeriegelt. Die rund 23.000 Bewohner einer Wohnanlage im Stadtbezirk Changping müssen in ihren Wohnungen bleiben, nachdem dort neun Infektionsfälle entdeckt wurden (China.Table berichtete). In gut hundert Tagen beginnen die Olympischen Winterspiele in Peking und Umgebung. Vor der Eröffnung am 4. Februar soll unbedingt ein größerer Corona-Ausbruch verhindert werden.

    Am Montag meldeten die chinesischen Behörden insgesamt 39 neue Corona-Fälle. Damit wurden seit vergangener Woche landesweit mehr als hundert Neuinfektionen registriert. Berichten zufolge gehen die aktuellen Neuinfektionen auf eine chinesische Reisegruppe zurück, die in mehreren Provinzen unterwegs war. Mittlerweile sind mindestens elf Provinzen betroffen. Der aktuelle Ausbruch befinde sich “in einer rasanten Entwicklungsphase”, sagte ein stellvertretender Direktor des Seuchenkontrollbüros der Gesundheitskommission. Man erwarte, dass die Zahl der entdeckten Fälle in den nächsten Tagen weiter steigen werde.

    Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Zahl der Neuinfektionen in China sehr niedrig. Dennoch ergreift die Regierung harte Maßnahmen, weil das Land seit Beginn der Pandemie eine strikte Null-Covid-Strategie verfolgt. rad

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    Evergrande vermeidet vorerst Insolvenz

    Der angeschlagene Immobilienkonzern Evergrande hat in letzter Minute eine Zahlung für Auslandsschulden geleistet. Eine letzte Nachfrist hätte am Samstag geendet – und 24 Stunden vorher hat das Unternehmen die nötigen 84 Millionen Dollar überwiesen. Das berichtet die Finanzzeitung Securities Times. Es ging um die Zahlung von Zinsen für eine Anleihe von ausländischen Investoren unter Federführung der Citibank.

    Der Vorgang hat erhebliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen, weil das Unternehmen die relativ kleine Summe im vergangenen Monat zum ursprünglichen Stichtag nicht aufbringen konnte. Das galt als sicheres Zeichen, dass mit Evergrande etwas nicht stimmt (China.Table berichtete). Noch bis Ende vergangenen Jahres hat Firmengründer Xu Jiayin mit Millionen und Milliarden um sich geworfen.

    Die Überweisung hat an den Börsen zwar Erleichterung ausgelöst. Diese Reaktion kann jedoch als übertrieben gelten. Denn Evergrande schuldet seinen Geldgebern immer noch gut das 3.500-fache der Summe, die es jetzt mit Ach und Krach aufgebracht hat. Die meisten Gläubiger sitzen dabei im chinesischen Inland. Auch wenn Evergrande nun alle Auslandskredite regulär bediente, bliebe das Unternehmen überschuldet. Allein bis Jahresende sind Zinszahlungen in Höhe von umgerechnet einer halben Milliarde Dollar fällig. Damit ist noch nichts von den eigentlichen Schulden getilgt.

    Evergrande bemüht sich dennoch, wieder zumindest ein bisschen gute Stimmung zu verbreiten. Am Sonntag hat das Unternehmen bekannt gegeben, an zehn Bauprojekten die Arbeit wieder aufzunehmen. Ein Symptom der Zahlungsschwierigkeiten war der Stillstand auf zahlreichen Baustellen von Evergrande. Der Immobilienentwickler konnte den Baufirmen und Handwerkern die Rechnungen nicht mehr bezahlen. Auch die Wiederaufnahme der Arbeiten soll als positives Signal an die Märkte dienen. Denn je mehr Zweifel das Unternehmen umgeben, desto schwerer wird es, frische Mittel aufzutreiben. fin

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    • Finanzen
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    Caixin fliegt von der Liste offizieller Medien

    Die chinesische Regierung hat das vergleichsweise kritische Nachrichtenportal Caixin von der Liste der Medien gestrichen, deren Inhalte von anderen chinesischen Webseiten übernommen werden dürfen. Das schädigt die Reichweite des Nachrichtenportals erheblich. Die Publikation hat einen Schwerpunkt bei Finanz- und Wirtschaftsthemen. Sie hat sich trotz der staatlichen Zensur ein erhebliches Maß an Unabhängigkeit bewahrt und gilt daher als wichtige Quelle zu den Geschehnissen in China. Caixin erscheint auf Chinesisch und auf Englisch. Die Themensetzung ist kreativer als bei den Staatsmedien. Die Redaktion genießt einen exzellenten Ruf.

    Die offizielle Liste der zur Weiterveröffentlichung zugelassenen Medien hat erhebliche Bedeutung für Chinas Verlage. Sie gibt an, welche Nachrichtenquellen chinesische Webseiten übernehmen dürfen. Auf Chinas News-Portalen finden sich viele Artikel, die von Zeitungen, Zeitschriften und Online-Medien herübergezogen werden; die Herkunftsangabe findet sich dann samt Link in der Autorenzeile. Das verschafft den Originalseiten sowohl Klicks als auch Glaubwürdigkeit bei Suchmaschinen. Wer jetzt Texte von Caixin lesen will, muss die Webseite direkt ansteuern.

    Die Internetaufsicht hat die Löschung von Caixin nun mit inhaltlichen Mängeln begründet. Die Artikel “erreichen nicht mehr die nötigen Standards und es mangelt ihnen an Einfluss”, zitiert die Nachrichtenagentur AP ein Dokument der Cyberspace Administration. Die Behörde müsse die “Glaubwürdigkeit” der Liste schützen, indem sie unzuverlässige Medien aussortiere.

    Bevor Xi Jinping die Medien wieder an die kurze Leine genommen hat, konnte sich Caixin einen Namen machen mit Berichten über Missstände und Korruption. Auch heute hat Caixin einen vergleichsweise aufmüpfigen Ansatz. Gründerin Hu Shuli konnte dank guter Vernetzung in der Politik die schlimmsten Eingriffe in die Arbeit ihrer Redaktion verhindern. fin

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    Standpunkt

    Chinas Wirtschaft muss wieder stärker wachsen

    Von Yu Yongding
    Yu Yongding zu Chinas Weltwirtschaft und Evergrande.
    Yu Yonding ist chinesischer Ökonom.

    Dieser Monat war für Chinas Wirtschaft sehr ereignisreich. Er war durch weit verbreitete Stromausfälle und die Schuldenkrise bei Evergrande geprägt – dem zweitgrößten Immobilienentwickler des Landes. Was bedeutet dies für die wirtschaftliche Erholung und die Wachstumsaussichten Chinas nach der Pandemie?

    Die Energiekrise begann, als eine schnelle Zunahme der – durch die globale Erholung angetriebenen – Exporte zu steigender Nachfrage nach Strom führte (China.Table berichtete). 56,8 Prozent der gesamten Stromproduktion Chinas hängt immer noch von der Verbrennung von Kohle ab. Trotzdem haben die Lokalregierungen in den vergangenen Jahren viele Kohlebergwerke geschlossen, um ihre Zielwerte für die Verringerung des Energieverbrauchs zu erreichen.

    Gleichzeitig verringern die Klimaziele der Regierung – bis 2030 den Höchstwert der Kohlendioxidemissionen und bis 2060 Kohlenstoffneutralität zu erreichen – die Anreize für Investitionen in die Kohleindustrie. Natürlich werden dadurch auch Investitionen in erneuerbare Energien gefördert, die immer mehr zum chinesischen Energiemix beitragen. Aber die Erneuerbaren Energien sind längst noch nicht weit genug ausgebaut, um die aktuelle Knappheit ausgleichen zu können.

    Energiewende gefährdet Wachstum

    Also sind mit zunehmendem Energiebedarf auch die Kohlepreise gestiegen. Aber da die chinesische Regierung die Strompreise reguliert, konnten die Stromerzeuger – von denen die meisten in staatlicher Hand sind – die Kosten nicht an ihre Kunden weitergeben. So kappten sie, um ihre Verluste zu begrenzen, die Stromversorgung, und zwangen damit einige Hersteller, ihre Produktion zu drosseln.

    Natürlich wurde die Regierung dann aktiv. Sie ordnete an, einige bestehende Kohlebergwerke schnell auszuweiten und andere, die geschlossen worden waren, wieder zu öffnen. Dies gab den Versorgern mehr Spielraum bei der Gestaltung ihrer Strompreise. Außerdem wurde das produzierende Gewerbe dazu gedrängt, seine Energieeffizienz zu steigern und die Investitionen in erneuerbare Energieträger zu beschleunigen.

    China wird seine Stromknappheit, die bereits nachlässt, schnell überwinden. Aber einen resilienteren, nachhaltigeren Energiesektor aufzubauen, wird Zeit kosten. Und wenn die Regierung die einzelnen Entwicklungsschritte nicht sorgfältig plant und umsetzt, könnte diese Energiewende das Wirtschaftswachstum belasten.

    Evergrande hat kein Solvenzproblem

    Auch die Evergrande-Krise stellt eine massive Gefahr für das Wachstum dar. Über die Jahre hinweg ist der Entwickler aufgrund falscher staatlicher Verwaltung sehr schnell gewachsen – nicht nur durch seine Immobilieninvestitionen, sondern auch aufgrund seiner Diversifizierung in den Sektor der Elektrofahrzeuge. Um seine Aktivitäten zu finanzieren, hat er sich sowohl bei Geschäftsbanken als auch an den Kapitalmärkten stark verschuldet – darunter auch durch die Ausgabe von Dollar-Anleihen an ausländische Investoren. Zuletzt war er mit insgesamt etwa 800 Milliarden Yuan (110 Milliarden Euro) verschuldet.

    Obwohl Evergrande über mehr als 1,85 Billionen Yuan an Aktivposten verfügt, konnte er sie nicht schnell genug verkaufen. Im vergangenen Monat, als das Unternehmen zugab, es könne seine Schulden wahrscheinlich nicht mehr bedienen, begannen die Gerüchte über einen bevorstehenden Zusammenbruch – und die Möglichkeit einer chinesischen Finanzkrise.

    Aber die Ängste scheinen übertrieben gewesen zu sein. Natürlich wäre es unklug, Evergrandes Schicksal momentan genau vorhersagen zu wollen. Aber wahrscheinlich kann man davon ausgehen, dass das Debakel keine systemische Bedrohung des chinesischen Finanzsektors darstellt.

    Seit 2012 prognostizieren Experten, ein Zusammenbruch des chinesischen Immobilienmarkts könnte im Land eine Finanzkrise auslösen. Aber Evergrande hat kein Solvenz-, sondern ein Liquiditätsproblem, und eventuelle externe Effekte können eingedämmt werden – nicht zuletzt deshalb, weil Chinas Bankensystem grundsätzlich gesund ist. Nur etwa 30 Prozent der Gesamtkredite der Banken wurden an Entwickler und Käufer von Immobilien vergeben – mit abnehmender Tendenz. Auch der Anteil immobilienbezogener Neukredite am Gesamtvolumen geht zurück: Von 45 Prozent im Jahr 2016 ist er bis zum September 2020 auf unter 24 Prozent gefallen.

    Außerdem gibt es in China keine zweitklassigen Subprime-Kredite und so gut wie keine verbrieften Hypothekenkredite. Noch wichtiger ist, dass es nur sehr wenig Zahlungsverzüge gibt, ganz zu schweigen von uneinbringlichen Forderungen gegenüber Haushalten: Die meisten chinesischen Geschäftsbanken haben eine Kreditausfallquote von weniger als zwei Prozent. Und selbst im Fall eines großen finanziellen Fehlschlags verfügt die chinesische Regierung über genug Instrumente, um damit umgehen zu können.

    Schwächen im Finanzsystem

    Also stellt das Evergrande-Debakel ebenso wie die chinesische Energiekrise keine drohende systemische Gefahr dar. Aber dies bedeutet nicht, dass die Politiker untätig bleiben sollten. Der Immobiliensektor ist eine wichtige Stütze der chinesischen Wirtschaft und ein bedeutendes Glied in der Produktionskette. Er würde durch einen Zusammenbruch von Evergrande ernsthaft erschüttert – nicht zuletzt dadurch, dass einige andere große Entwickler dem Konzern in den Abgrund folgen könnten. Auch manche Finanzinstitute im Nichtbankensektor kämen in Schwierigkeiten. Und natürlich würden Evergrandes Lieferanten enorm leiden. All diese Faktoren könnten die wirtschaftlichen Aussichten Chinas verschlechtern.

    Um sich darauf vorzubereiten, müssten die Schwächen im Finanzsystem angegangen werden – insbesondere der hohe Verschuldungsgrad der Konzerne. Aber am wichtigsten ist, die hartnäckige Wachstumsschwäche seit 2010 zu beenden. Dieser Trend ist mindestens so besorgniserregend wie die kurzfristigen strukturellen Probleme, die gerade in die Schlagzeilen gekommen sind. Chinas Erfahrung der vergangenen 40 Jahre zeigt, dass das Land ohne angemessenes Wachstum kaum finanzielle Stabilität erreichen kann.

    Dieses Muster wird durch kürzlich veröffentlichte offizielle Prognosen bestätigt, dass Chinas jährliches Wachstum im dritten Quartal dieses Jahres mit 4,9 Prozent geringer sein wird als erwartet, und es wird weithin befürchtet, dass die Wachstumsrate im vierten Quartal sogar noch geringer sein könnte. Um dieser Möglichkeit zu begegnen, müssen die chinesischen Politiker neben strukturellen Reformen und Anpassungen eine mutigere haushalts- und geldpolitische Expansion betreiben.

    Yu Yongding, ehemaliger Vorsitzender der Chinesischen Gesellschaft für Weltwirtschaft und Direktor des Instituts für Weltwirtschaft und Politik bei der chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, war von 2004 bis 2006 beim Ausschuss für Geldpolitik der Chinesischen Volksbank tätig. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff.

    Copyright: Project Syndicate, 2021.
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    Portrait

    Wang Junzheng – Sanktionierter Kandidat für höhere Aufgaben

    Wang Junzheng ist neuer Parteichef in Tibet
    Wang Junzheng ist neuer Parteichef in Tibet

    Für hochrangige Parteifunktionäre in der Volksrepublik China zählt die Bereitschaft zum Tapetenwechsel als Selbstverständlichkeit. Wer Karriere machen möchte in der Kommunistischen Partei, muss jederzeit bereit dazu sein, von einer Provinz in die nächste zu rotieren. Immer dorthin, wo ihn die mächtige Organisationsabteilung des Zentralkomitees hin kommandiert.

    Die Posten-Rochade ist ein dauerhafter Prozess in einem riesigen Apparat mit mehr als 90 Millionen Mitgliedern. Deshalb weckt sie selten so viel Interesse wie die jüngste Versetzung von Wang Junzheng von Xinjiang nach Tibet. Der 58-Jährige gilt als Reizfigur im Westen. Er ist einer von vier KP-Funktionären, die zu Beginn des Jahres von der Europäischen Union, aber auch von den USA, Kanada und Großbritannien sanktioniert worden sind. Die Sanktionen gegen ihn verbieten Wang, in die EU einzureisen oder dort geschäftlich tätig zu werden.

    Wahl von Wang Junzheng war kein Zufall

    Als Sicherheitschef in Xinjiang galt Wang als eine der Schlüsselfiguren bei der Internierung von mehr als einer Million Uiguren. Zwar initiierte er die Internierung nicht persönlich, setzte sie aber während seiner Amtszeit ab Februar 2019 konsequent fort. Zahlreiche Menschenrechtsrechtsverbrechen gegen Mitglieder der muslimischen Minderheit in der Region fallen in seine politische Verantwortung.

    Die chinesische Regierung reagierte empört und revanchierte sich mit Sanktionen ihrerseits gegen Funktionäre und Institutionen aus der EU (China.Table berichtete). Dass nun ausgerechnet Wang Junzheng zum obersten Kader in Tibet ernannt worden ist, wirkt wenig zufällig, sondern eher wie ein trotziges Signal aus Peking an das Ausland. Denn dort wirft man seit vielen Jahren schon kritische Blicke auf die Menschenrechtslage in Tibet. Die Tibeter klagen über Unterdrückung und willkürliche Strafverfolgung durch die örtlichen Behörden.

    Menschenrechtspolitiker erkennen in der Personalie eine bewusste Botschaft Chinas an westliche Länder. “Den Sicherheitschef aus Xinjiang nun zum Parteichef in Tibet zu befördern, ist ein gezielter Affront gegen alle, die Wang Junzheng sanktioniert haben”, sagt Margarete Bause, langjähriges Mitglied im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages. Doch mehr noch sei Wangs Ernennung “auch ein dramatisches Zeichen für alle Tibeterinnen und Tibeter, dass sich die systematische Unterdrückung ihres Volkes noch weiter verschärfen wird.” Sie lässt sich daher als Warnung an die tibetischen Widerstandskräfte verstehen.

    Wachsende Chancen auf einen Posten im Politbüro

    Die Beförderung zum Parteichef in einer Region mit hoch angespannter Sicherheitslage bietet Wang Junzheng die Möglichkeit, sich für höhere Aufgaben zu empfehlen. Wer als Kader in Tibet oder Xinjiang für Ordnung sorgt, beweist auch, dass er bereit ist, alle Register zu ziehen, um das Machtmonopol der Kommunistischen Partei zu verteidigen.

    Prominentestes Beispiel derer, die fernab der glitzernden Küstenmetropolen in einer der Krisenregionen des Landes Karriere gemacht haben, ist der frühere Staatschef Hu Jintao. 1988 hatte er das Amt des Parteisekretärs in Tibet erhalten. Ein Jahr später zeichnete er für die gewaltsame Niederschlagung von Protesten verantwortlich und verhängte das Kriegsrecht. Im Jahr 2002 übernahm er die Macht im Land.

    Die Chancen auf einen Aufstieg ins Politbüro werden für Wang Junzheng zumindest nicht kleiner, wenn er seinen Auftrag in Tibet im Sinne der Parteizentrale erfüllen sollte. Tapetenwechsel hatte Wang jedenfalls schon genug. Vor seiner Aufgabe in Xinjiang war der studierte Sozialwissenschaftler und Marxismus-Experte unter anderem Parteisekretär in der nordostchinesischen Stadt Changchun. Volkswagen fertigt dort Fahrzeuge.

    Davor war Wang bereits Bürgermeister und Parteichef in der Touristenhochburg Lijiang in Yunnan im Süden Chinas. Später wurde er zum Vize-Gouverneur der zentralchinesischen Provinz Hubei ernannt. Wenig später macht ihn die Organisationsabteilung zum Parteisekretär der Stadt Xiangyang. Als solcher stieg er in den Ständigen Ausschuss der Parteispitze der Provinz auf.

    Ganz rund lief es für Wang Junzheng allerdings nicht immer. Während seiner Zeit in Changchun ab 2016 geriet die Stadt landesweit in die Schlagzeilen. Eine lokale Firma hatte abgelaufene Substanzen für die Herstellung von Tollwut-Impfstoffen verwendet und die gesamte Pharmaindustrie der Volksrepublik in Misskredit gebracht. Der Imageschaden war auch ein innenpolitisches Problem. Denn die autoritär regierte Bevölkerung Chinas erwartet zumindest Fürsorge und Schutz durch die Partei, wenn ihr schon etliche Bürgerrechte nicht zugestanden werden. Doch seine Chance, sich in Tibet zu profilieren, hat der Skandal Wang Junzheng zumindest nicht gekostet. grz

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    China.Table Redaktion

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