China wird gerne als der einer der größten Klimasünder kritisiert. Zu Recht. Und doch ist das nur eine Seite der Medaille. Wir haben uns die dunkle andere Seite angeschaut und zeigen, mit welch dramatischen Folgen sich die Volksrepublik angesichts des Klimawandels konfrontiert sieht: China droht langfristig, 20 Prozent seiner Ernten zu verlieren; und es wird zu drastischen Arbeitsausfällen kommen, die gewaltige finanzielle Einbußen nach sich ziehen werden. China und den großen Co2-Emittenten des politischen Westens muss endlich klar werden: Um die schlimmsten Folgen der Klimakrise abzuwenden, ist die Volksrepublik genauso auf den Klimaschutz durch andere Staaten angewiesen wie westliche Staaten auf China.
Ein Weg zu mehr Klimaschutz ist der Emissionshandel. Emissionsrechte gelten in China genauso wie in der EU als wichtiges Instrument zum Erreichen der Klimaziele. Doch während die Preise für den Ausstoß von Treibhausgasen in Europa steil in die Höhe geschossen sind, machen sie in China bisher kaum einen Unterschied. Es fehlen noch entscheidende Zutaten, analysiert Christiane Kühl in einer ersten Bilanz des noch jungen chinesischen Emissionshandels. So richtig greifen wird das System wohl erst 2025. Ab dann soll laut Plan der Ausstoß an schädlichen Gasen sinken.
Wir wünschen viele neue Erkenntnisse!
Sie standen bis zum Hals im Wasser. Nicht wissend, ob Rettung naht oder der Tod durch Ertrinken. Die Videos aus überschwemmten U-Bahnen in Zhengzhou vom Sommer 2021 gehören zu den schockierendsten Bildern des vergangenen Jahres. Auslöser der Überschwemmungen waren sintflutartige Regenfälle (China.Table berichtete). An nur drei Tagen fiel in der Provinz Henan so viel Regen wie sonst im Jahresdurchschnitt. Mehr als 300 Menschen kamen ums Leben.
China ist schon heute stärker vom Klimawandel betroffen als andere Weltregionen. In den vergangenen Jahren nahmen extreme Wetterereignisse wie starker Niederschlag, Hitzewellen und Dürren zu. Katastrophen wie die in Henan drohen, in Zukunft regelmäßig aufzutreten. Je stärker sich die Atmosphäre aufheizt, desto häufiger und desto heftiger werden die Extremwetter-Ereignisse.
Neben dem menschlichen Leid sieht sich China mit hohen wirtschaftlichen Kosten konfrontiert. Allein die Flutkatastrophe im Sommer hat Schäden in Höhe von mehr als 17 Milliarden US-Dollar verursacht. Im vergangenen Jahrzehnt lagen die direkten wirtschaftlichen Kosten von Unwetterkatastrophen jährlich bei über 50 Milliarden US-Dollar.
Wenn die Staaten den Klimawandel nicht wirkungsvoller bekämpfen, drohen ihnen massive Kosten. Die Volksrepublik sieht sich in den nächsten 80 Jahren mit Schäden in Höhe von fast 190 Billionen US-Dollar konfrontiert. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie der Tsinghua-Universität in Peking und des Think-Tanks Chatham House aus London.
Die Wissenschaftler haben vier Bereiche untersucht, in denen durch den Klimawandel wirtschaftliche Schäden entstehen:
Am gravierendsten sind die Schäden durch Ernteausfälle. China droht 20 Prozent seiner Ernten zu verlieren, wenn es den Staaten weltweit nicht gelingt, die CO2-Emissionen zu senken. Die Forscher schreiben von einer “erheblichen Bedrohung für wichtige Getreideanbaugebiete“, sollten die Temperaturen in den nächsten 80 Jahren um 3,5 Grad ansteigen. Prognosen anderer Wissenschaftler gehen davon aus, dass die globale Durchschnittstemperatur bei der derzeitigen Klimapolitik um 2,7 Grad steigen wird. Doch die chinesischen Forscher schreiben, dass selbst bei einem Anstieg um lediglich 1,6 Grad bis 2100 acht Prozent der Ernten verloren gingen.
Eine Studie aus dem Online-Magazin Nature Food bestätigt diese Forschungsergebnisse. Der Temperaturanstieg könnte in China zu einer Verdopplung des Schädlingsbefalls und der Pflanzenkrankheiten führen, so ein internationales Wissenschaftsteam mit Forschern aus China, den USA, Deutschland und anderen Ländern. Allerdings sind die Forscher von dem sehr pessimistischen Szenario eines Temperaturanstiegs von vier Grad in den nächsten 80 Jahren ausgegangen.
Auch die Kosten durch eine hitzebedingte geringere Produktivität der Arbeitskräfte sind beträchtlich. Bei mittleren Emissionen (3,5 Grad Anstieg bis 2100) würde die Arbeitsproduktivität in China um drei Prozent abnehmen. In den wichtigen Wirtschaftszentren im Osten und Süden des Landes wären es sogar gut vier Prozent. Gelingt es, den Temperaturanstieg auf 1,6 Grad zu begrenzen, würde der Produktivitätsverlust 0,7 Prozent betragen. Schon 2019 hat China aufgrund von Hitzewellen über 28 Milliarden Arbeitsstunden verloren. Zum Vergleich: Durch die Corona-Pandemie gingen in China circa 70 Milliarden Arbeitsstunden verloren. “Die Auswirkungen des Klimawandels sind in diesem Bereich so gravierend, als würde alle zwei bis drei Jahre eine Covid-19-Pandemie stattfinden”, schreiben die Wissenschaftler.
Die direkten Kosten durch den ansteigenden Meeresspiegel an Infrastrukturen und Gebäuden beziffern die Studienautoren auf fünf Billionen US-Dollar bei einem Temperaturanstieg von 3,5 Grad. Selbst wenn es gelingt, den Temperaturanstieg bis 2100 auf 1,6 Grad zu begrenzen, drohen China Kosten in Höhe von drei Billionen Dollar. Chinas Küstenstädte sind weltweit am stärksten vom ansteigenden Meeresspiegel bedroht (China.Table berichtete). Der Meeresspiegel vor Chinas Küsten steigt stärker als im globalen Durchschnitt. Millionen Menschen sind von Hochwasser bedroht. Die Trinkwasserreservoire könnten versalzen.
Bei mittleren Emissionen (3,5 Grad Anstieg bis 2100) würde Chinas Energiebedarf bis zum Ende des Jahrhunderts allein aufgrund des Klimawandels um 90 Prozent steigen. Die Anzahl an Hitzetagen mit einer Temperatur von mehr als 27,5 Grad würde stark zunehmen. Dadurch wären beispielsweise mehr Klimaanlagen notwendig. Süd- und Ostchina wären am stärksten betroffen, so die Wissenschaftler.
Die Tsinghua-Studie endet mit einem deutlichen Plädoyer, den Klimaschutz frühzeitig und weltweit zu verstärken. Einer der Autoren der Studie sagte bei der Vorstellung, China müsse noch mehr unternehmen, um die Kohlenstoffneutralität zu erreichen. Die Regierung solle ihre Anstrengungen bei der nicht-fossilen Energieversorgung verdoppeln, schlug Teng Fei vor, der Professor an der Tsinghua Universität ist.
Agiert die Menschheit heute zu zögerlich, würden erhebliche Klimarisiken und -kosten auf die nächsten Generationen übertragen, so die Autoren der Studie. Mehr als 85 Prozent der wirtschaftlichen Klimaschäden würden erst zwischen 2050 und 2100 auftreten. Denn mit ansteigenden Temperaturen nehmen die Schäden immer stärker zu. Die Wissenschaftler schreiben: “Die Kosten des Nichthandelns in Bezug auf den Klimawandel werden wahrscheinlich weitaus höher sein als die Kosten der Emissionsminderung.”
Die Studie zeigt auch, dass die Weltgemeinschaft in einem Boot sitzt. China ist mittlerweile zwar einer der Hauptverursacher des Klimawandels. Die Volksrepublik ist für gut 30 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Doch die Wissenschaftler haben explizit nicht berechnet, was China durch die eigenen CO2-Emissionen droht, sondern den Fokus auf die globalen Emissionen gerichtet. Um die schlimmsten Folgen der Klimakrise abzuwenden, ist China genauso auf den Klimaschutz durch andere Staaten angewiesen, wie westliche Staaten auf Klimaschutz durch China angewiesen sind.
Der erste Handelszyklus des chinesischen Emissionshandelssystems (ETS) ist abgeschlossen: Zeit für eine erste Bilanz. Sie fällt gemischt aus. Positiv ist der gelungene Start des Systems: Seit Mitte Juli läuft der Handel mit CO2-Emissionszertifikaten an der Shanghaier Umwelt- und Energiebörse (Shanghai Environment and Energy Exchange/SEEE). Doch auch wenn es am Markt reale Transaktionen gab, muss 2021 eher als ein Testlauf für ein künftiges, umfassenderes ETS gesehen werden. Denn das Instrument macht wegen geringer Reichweite bisher kaum einen Unterschied für die Emissionen:
Zum Stichtag am 31. Dezember erfüllten mit 99,5 Prozent praktisch alle der rund 2.200 teilnehmenden Unternehmen die Auflagen, wie das Umweltministerium am Silvestertag mitteilte. Das bedeutet, sie konnten ausreichend Emissionsberechtigungen für ihre verifizierten CO2-Emissionen aus 2019 und 2020 vorlegen und abgeben. Diese Berechtigungszertifikate haben sie entweder aus der Zuteilung oder kauften sie über das ETS hinzu. In der Regel erwerben ältere Kraftwerke mit hohem CO2-Ausstoß dabei überschüssige Zertifikate effizienterer neuer Anlagen.
Nach Berechnungen des Finanzdienstleisters Refinitiv emittierten die 99,5 Prozent als regelkonform gemeldeten Firmen in den beiden Jahren gewaltige 8,693 Gigatonnen CO2-Äquivalent, also rund 4,35 Gigatonnen pro Jahr. Das entspricht gut 40 Prozent der Emissionen Chinas und laut der britischen Fachwebsite Carbon Brief etwa zwölf Prozent der globalen Emissionen. Zum Vergleich: Die 1.817 vom ETS der EU erfassten deutschen Anlagen stießen 2020 nur 320 Millionen Tonnen (0,32 Gigatonnen) an Treibhausgasen aus.
Die gesamten CO2-Emissionen Deutschlands lagen 2020 nach Angaben der Internationalen Energie-Agentur (IEA) bei knapp 0,59 Gigatonnen. Diese Zahlen zeigen, wie wichtig das ETS in China für das Weltklima sein wird, wenn es irgendwann richtig funktioniert.
Insgesamt wurden nach Refinitiv-Daten 2021 Berechtigungen für gut 178 Millionen Tonnen CO2 gehandelt. Hinzu kamen knapp 33 Millionen Tonnen sogenannte Zertifizierte Emissionsreduktionen (Chinese Certified Emissions Reductions/CCER). CCER verifizieren Klimaschutzprojekte der ETS-Unternehmen zum Ausgleich (Offset) ihrer Emissionen, etwa durch Investitionen in erneuerbare Energien, Kohlenstoffsenken oder Methannutzung. In Chinas ETS dürfen Unternehmen bis zu fünf Prozent ihrer Compliance-Verpflichtungen mit solchen CCER ausgleichen. Refinitiv geht davon aus, dass derzeit CCER für weitere 30 Millionen Tonnen CO2 im Markt verblieben sind, die Firmen nun in diesem Jahr zukaufen können.
Generell bemängeln Kritiker, dass es in Chinas ETS einen Überschuss an Emissionsberechtigungen gibt, weil die Verteilungskriterien zu locker oder zu ungenau sind. (China.Table berichtete). Auch setzt das ETS den Firmen kaum Anreize zur Senkung ihrer Emissionen. Grund ist laut Carbon Brief, dass Kraftwerke nur für die ersten 20 Prozent Emissionen oberhalb ihrer zugeteilten Berechtigungen zusätzliche Zertifikate hinzukaufen müssen. Wer noch mehr emittiert, muss nicht mit Folgen rechnen.
Die wenigen Gaskraftwerke im ETS müssen sogar gar keine Zertifikate zukaufen, wenn sie mehr als die zugeteilte Menge CO2 emittieren. Der einzige Anreiz zum CO2-Sparen: Der Verkauf von Berechtigungen bringt Geld. Doch das haben nach Ansicht vieler Experten die meisten Kraftwerke bislang kaum auf dem Schirm.
Aufgrund dieser Probleme ist der Marktpreis am ETS ausgesprochen niedrig. Am Ende des Neujahrstages kostete die Berechtigung für eine Tonne CO2-Emissionen laut Refinitiv 54,22 Yuan (7,52 Euro), 13 Prozent mehr als zum Handelsstart am 16. Juli 2021. Im Durchschnitt lag der Preis demnach an den 104 Handelstagen des vergangenen Jahres bei 43,85 Yuan. Im EU-Emissionshandel stiegen die Preise zuletzt rasant und liegen heute über 60 Euro pro Tonne CO2. Auch das ETS der EU hatte anfangs wegen niedriger Preise in der Kritik gestanden.
Einer der am häufigsten kritisierten Mängel in China sind indes die niedrigen Strafen für Regelverstöße oder gefälschte Emissions-Daten: Die Höchststrafen betragen nur 30.000 Yuan (4.175 Euro).
Kinderkrankheiten wie diese seien bei einem neuen System aber normal, urteilten Yan Qin und Yuan Lin in der neuesten Refinitiv-Studie zum ETS vom Dezember. Es ist für alle Beteiligten ein Lernprozess. Teile des Regelwerks wurden erst aufgebaut, als der Handel bereits lief: So gab das Umweltministerium erst Ende Oktober Richtlinien wie die Compliance-Deadline im Dezember heraus. Die für Ende September vorgesehene Verteilung der Emissionsberechtigungen verzögerte sich bis November. Zwischendrin verlangte das Umweltministerium auch noch eine Überprüfung aller verifizierten Emissionsdaten, nachdem ein Datenbetrug in der Inneren Mongolei aufgeflogen war.
Das aktuelle ETS-System sei ein Kompromiss mit dem Ziel, die Teilnahme der Konzerne zu gewährleisten und Konflikte zu vermeiden, sagt Chen Zhibin, Senior Consultant der Pekinger Beraterfirma Sino-Carbon Innovation & Investment. “Es ist das Ergebnis jahrelanger Verhandlungen zwischen Aufsichtsbehörden, Branchenverbänden und großen Unternehmen.”
Bisher gibt es deshalb im ETS keine feste Obergrenze der verteilten CO2-Berechtigungen. Das Maximum kann je nach tatsächlicher Energieproduktion der Kraftwerke jedes Jahr variieren. Noch gibt es keine konkreten Pläne, CO2-Zertifikate aus dem Markt zu nehmen. Bloomberg berichtete am Donnerstag immerhin von ersten Vorschlägen, die Berechtigungen um maximal ein Prozent zu reduzieren. Noch hat China die in seinen Klimaschutzzielen angepeilten Emissionshöhepunkte nicht erreicht. Steigerungen sind zumindest bis 2025 in den meisten energieintensiven Sektoren erlaubt. Das dürfte sich auch im ETS-Format widerspiegeln.
Bis Ende März müssen die Energiekonzerne nun ihre Emissionen für 2021 zur Verifikation einreichen. Experten erwarten, dass diese weiterhin bei über vier Gigatonnen liegen werden.
Immerhin soll das System bald weitere Sektoren umfassen. SEEE-Chef Lai Xiaoming will zunächst Finanzunternehmen und dann Konzerne aus energieintensiven Sektoren wie Nichteisenmetallen oder Baustoffen aufnehmen. Das könne schon 2022 beginnen. Bis 2025 sollen laut Lai alle acht wichtigen emissionsintensiven Industrien Chinas einbezogen sein. Dazu gehören etwa Chemie, Zement, Raffinerien, Stahl sowie die Zellstoff- und Papierproduktion. Deren einflussreiche Industrieverbände müssen die Teilnahme bereits vorbereiten. Die Firmen dieser Sektoren mussten zudem bis Silvester ihre Emissionen für 2020 melden und verifizieren lassen.
Außerdem will die SEEE CO2-bezogene Derivateprodukte auf den Markt bringen, wie Lai Ende Dezember der Shanghaier Börsenzeitung sagte. Dazu gehören Swaps, Forwards und Optionen. Ziel sei es, China zu einem globalen Zentrum für CO2-Handel und -Preise zu machen. Irgendwann sollen die Berechtigungen laut den ETS-Regeln des Umweltministeriums auch etwas kosten und versteigert werden. Zeitpläne für all diese Reformen gibt es aber noch nicht.
Es ist klar, dass die CO2-Emissionen in China deutlich teurer und die Berechtigungen knapper werden müssen. Sonst hätte das ETS keinerlei Lenkungswirkung. Viele Experten gehen davon aus, dass nur ein so genanntes Cap-and-Trade-System mit stetig sinkender “Cap”, also einer Obergrenze für alle CO2-Zertifikate im Markt, wirkliche Effekte für eine Senkung der Emissionen hat. So, wie es in der EU geregelt ist.
Der wichtigste Effekt des ETS in seiner jetzigen Form ist daher, dass es den Beginn einer landesweiten CO2-Bepreisung darstellt – mit dem Potenzial für eine spätere Ausweitung und Verschärfung.
China hat für das vergangene Jahr einen neuen Temperatur-Rekord gemeldet. Die Durchschnittstemperatur lag bei 10,7 Grad. Das ist der höchste Stand seit Aufzeichnung der Daten im Jahr 1961 und ein Grad höher als in den Jahren zuvor, wie Chinas Amt für Meteorologie bekannt gab. Auch für zwölf Provinzen wurden demnach neue Höchststände vermeldet, darunter die dicht besiedelten Regionen Jiangsu und Zhejiang. Das berichtet die South China Morning Post.
Auch was die Tage mit Extremtemperaturen angeht, kam es fast zu einem neuen Höchststand. An zwölf Tagen lag die Temperatur bei 35 Grad oder mehr, was der zweithöchste jemals gemessene Wert ist. Zugleich verzeichnete der Norden Chinas das feuchteste Jahr nach 1964. Der Niederschlag lag mit knapp 700 Millimetern 40 Prozent über dem Durchschnitt der letzten Jahre. Laut einem Sprecher der Meteorologischen Behörde waren extreme Wetterereignisse im vergangenen Jahr in China “weit verbreitet, häufig, intensiv und zeitgleich”. Das stelle die Behörden bei der “Verhütung und Eindämmung meteorologischer Katastrophen vor große Herausforderungen”. Die Klimawissenschaft ist sich einig, dass steigende Temperaturen häufiger zu Extremwetterereignissen führen. nib
China investiert Milliarden Yuan in neue Fabriken zur Produktion von Polysilizium, dem Ausgangsstoff für Solarzellen. Laut Marktanalysten werden die Preise für Polysilizium bis zum Sommer noch auf hohem Niveau verbleiben. Bis 2023 könnten sie jedoch “auf einen historischen Tiefststand” fallen, zitiert Bloomberg einen Experten. Demnach werde das Angebot an Solarmodulen in den nächsten Jahren massiv steigen, sodass die Preise sinken. Ende 2021 lag der Preis für Polysilizium noch auf einem 10-Jahres-Höchststand. Nachdem drei chinesischer Hersteller neue Fabriken mit einer Gesamtkapazität von 160.000 Tonnen pro Jahr eröffnet hatten – mehr als ein Viertel der bisherigen globalen Kapazität – sank der Preis schon um 17 Prozent, so Bloomberg.
China dominiert den Markt für Polysilizium, Solarzellen und -module. Weltweit stammen drei von vier Solarmodulen und 83 Prozent der Solarzellen aus China. Beim Ausgangsstoff Polysilizium dominiert China 77 Prozent des Weltmarktes. Die Volksrepublik sieht sich massiver Kritik ausgesetzt, da es Indizien für uigurische Zwangsarbeit bei der Herstellung von Polysilizium gibt (China.Table berichtete). Laut Bloomberg sind viele der neuen Polysilizium-Fabriken außerhalb der Uiguren-Provinz Xinjiangs angesiedelt. Die USA haben jüngst ein Gesetz verabschiedet, dass Importe unter ein Embargo stellt, die unter dem Verdacht der Zwangsarbeit in Xinjiang stehen. Auch die neue Außenministerin Annalena Baerbock hatte jüngst ein ähnliches Vorgehen vorgeschlagen (China.Table berichtete).
Laut Analysten ist die Behebung des Polysilizium-Mangels für die Solarbranche von entscheidender Bedeutung, wie Bloomberg berichtet. Die Produktion des Rohstoffs sei der schwierigste Schritt in der Lieferkette, um neue Kapazitäten zu schaffen. Demnach könne die Inbetriebnahme neuer Fabriken aufgrund komplizierter Herstellungsverfahren 18 bis 24 Monate dauern. Bis Ende des Jahres könnten weltweit Polysilizium-Kapazitäten vorhanden sein, um 500 Gigawatt an neuer Solar-Kapazität zu bauen, so Bloomberg. nib
“Siemens defends slave labour (again)” titelte der britische Spectator letzte Woche. Die Entstehung dieser Schlagzeile ist ein Lehrstück darüber, was in der chinapolitischen Positionierung von einigen CEOs der Deutschland-AG danebengeht. Was war passiert? Siemens-Chef Roland Busch hatte zum Jahreswechsel in der Süddeutschen Zeitung vor einer “konfrontativen Außenpolitik” gewarnt und mahnte einen “respektvollen Umgang” mit China an.
Eine Sorge führte er sehr konkret aus: “Wenn Exportverbote erlassen werden, könnten diese dazu führen, dass wir keine Solarzellen aus China mehr kaufen können – dann ist die Energiewende an dieser Stelle zu Ende. Wollen wir das wirklich? Es ist doch unser gemeinsames Interesse, den weltweiten CO2-Ausstoß zu verringern”. Busch sprach es nicht direkt an, doch worauf er zielte, waren mögliche Sanktionen gegen Komponenten aus Xinjiang, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie auch mithilfe von Zwangsarbeit produziert werden.
Die Haltung der Amerikaner ist dazu klar: Im Dezember unterzeichnete US-Präsident Biden ein Gesetz, das Importe von Produkten, die in Xinjiang hergestellt wurden oder Komponenten und Materialien aus Xinjiang enthalten, weitgehend verbietet. Die Europäische Kommission ist dagegen skeptisch. Man könne die “US-Gesetzgebung in Europa nicht automatisch replizieren”, heißt es. Ein Importverbot würde nicht verhindern, dass diese Produkte weiter mit Zwangsarbeit hergestellt würden. Die EU-Kommission scheint ein Gesetz mit stärkeren Sorgfaltspflichten der Anbieter zu bevorzugen.
In diese Diskussion platzte Siemens-CEO Busch mit seiner Philippika gegen “Exportverbote”. Dabei hat Busch zumindest recht, was die Abhängigkeiten der Solarbranche von Xinjiang betrifft. Doch für einen Konzern, der eine Geschichte des Einsatzes von Zwangsarbeit hat, ist die Intervention bemerkenswert ungeschickt. Zumal Siemens laut FAZ mit dem chinesischen Rüstungszulieferer China Electronics Technology Group Corporation (CETC) zusammenarbeitet. CETC hat laut Human Rights Watch eine Überwachungs-App entwickelt, mit deren Hilfe Uiguren von der Polizei verfolgt und eingesperrt würden. Da hilft es eher wenig, dass Busch mit Blick auf die Menschenrechte versichert: “Wir halten diese weltweit ein, auch bei unseren Arbeitsplätzen in China”.
Nun rechtfertigt Busch natürlich keine Zwangsarbeit, anders als der Spectator es nahelegt. Es hätte aber viele geschicktere Wege gegeben, Skepsis an Importverboten zu äußern. Mit der ungelenken Art seiner Aussagen hat Busch der Fehlinterpretation seiner Worte Tür und Tor geöffnet. Was bei seiner Aussage etwa fehlt, ist ein explizites Bekenntnis, Menschenrechte auch in den Lieferketten und bei Kooperationspartnern einzuhalten.
Busch fällt auch hinter das zurück, was sein Vorgänger als Siemens-Chef und Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Joe Kaeser, kurz vor Ende seiner Amtszeit im September 2020 formulierte: “Wir beobachten die aktuellen Entwicklungen in Hongkong, aber auch in der Provinz Xinjiang aufmerksam und mit Sorge. Wir lehnen jede Form von Unterdrückung, Zwangsarbeit und Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen kategorisch ab. All das würden wir grundsätzlich weder in unseren Betrieben dulden noch bei unseren Partnern folgenlos hinnehmen.” Für Kaeser, der jahrelang den chinesischen Parteistaat rhetorisch hofiert hatte, war dies eine bemerkenswert klare Formulierung. Busch signalisiert nun, dass er an Kaesers Kritik nicht anknüpfen möchte.
Stattdessen scheint sich Busch den Volkswagen-CEO Diess als Vorbild zu nehmen, den Chef eines weiteren deutschen Weltkonzerns mit Zwangsarbeits-Vergangenheit. Diess hatte 2019 der BBC gesagt, dass er von Umerziehungslagern nicht wisse und “stolz” sei auf die Arbeitsplätze, die Volkswagen in Xinjiang geschaffen habe. Dabei klingt er wie der ehemalige ZEIT-Herausgeber Theo Sommer, der 2019 behauptete, deutsche Unternehmen “können und werden in dem schwierigen Umfeld Xinjiangs einen Beitrag zum ersprießlichen Zusammenleben verschiedener Völkerschaften leisten. Dann werden – wie einst die südafrikanischen Schwarzen von BMW – eines Tages auch die Uiguren sagen können, wer zu den Mitarbeitern der deutschen Firmen gehört, der hat das große Los gezogen”.
Ganz so vehement wie Sommer würden wahrscheinlich nur wenige deutsche CEOs öffentlich argumentieren. Aber allzu oft wirken sie so, als hätten sie selbst das große Los des Kotaus gegenüber der chinesischen Führung gezogen. Der Journalist Robin Alexander berichtet in seinem Buch “Machtverfall” über die deutschen CEOs, die Merkel auf deren letzter China-Reise im September 2019 begleiteten: “Die Bosse haben auf die Kanzlerin eingewirkt, die chinesische Regierung nicht mit einer allzu deutlichen Kritik an der Aussetzung des Basic Law der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong und den Repressionen gegen die dortige Demokratiebewegung zu brüskieren”.
Weiter berichtet der Autor über eine Abstimmung unter den deutschen Managern während besagter Reise, ob sie die Chinesen ihrerseits auf die engere Überwachung von Internetaktivitäten chinesischer Belegschaften in Firmen mit deutscher Beteiligung ansprechen sollten – denn die gefährdet nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern auch deutsche Geschäftsgeheimnisse. Per Handzeichen im Kanzlerflugzeug stimmten die CEOs dagegen. Erschreckend daran ist, dass die Unternehmensführer auch dann gegenüber Peking zu kuschen scheinen, wenn ihre Kerninteressen tangiert sind.
Bei der Suche nach mehr strategischer Klarheit kombiniert mit Rückgrat könnten die CEOs beim BDI fündig werden. Dieser hatte im vergangenen Sommer ein Diskussionspapier über “Außenwirtschaftliche Zusammenarbeit mit Autokratien” zur “Gestaltung der Wirtschaftsbeziehungen im internationalen Systemwettbewerb” veröffentlicht und dabei den Begriff der “verantwortungsvollen Koexistenz” geprägt.
Mehr strategische Klarheit in der Chinapolitik ist auf Seiten von CEOs wie Busch dringend vonnöten, denn die vom Spectator verzerrte menschenrechtliche Komponente ist nicht das größte Problem. Ebenfalls beunruhigend ist, dass Busch die Klimakrise zu instrumentalisieren scheint für einen “Business as Usual”-Kurs gegenüber Peking. Und noch konsternierender ist die Tatsache, dass Busch die Thematik auf die Frage der Menschenrechte reduziert. Dabei geht es im Systemwettbewerb mit Pekings autoritärem Staatskapitalismus um weit mehr.
Zwangsarbeit ist nicht unser Hauptproblem, wenn wir uns bei Kerntechnologien für die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft von Produktion in China abhängig machen, oder wenn sich Unternehmen wie Volkswagen ein Klumpenrisiko China aufhalsen, in dem sie sich über Gebühr vom chinesischen Markt abhängig machen. 2020 unterzeichnete Siemens eine weitreichende “strategische Kooperationsvereinbarung” mit der schon erwähnten China Electronic Technology Group Corporation (CETC). Das Staatsunternehmen ist für das chinesische Militär als Zulieferer von zentraler Bedeutung. Tochterunternehmen von CETC unterliegen bereits US-Sanktionen. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die USA auch die Siemens-Kooperation mit CETC genauer anschauen werden.
Die Woche, in der ihr Lieblingsverein Borussia Dortmund gegen Bayern München verlor, bescherte Julia Hammelehle zumindest noch politische Genugtuung. Wenige Tage nach der schmerzhaften Bundesliga-Pleite ihres BVB übernahm “ihre” SPD das Kanzleramt – eine Form der emotionalen Wiedergutmachung. Fußball und Politik liegen manchmal eben nicht sehr weit auseinander, besonders was ihre Slogans angeht.
Als Strategieberaterin analysiert Julia Hammelehle internationale Politikfelder und konzipiert seit zwei Jahren Veranstaltungen und Begegnungen für die Münchner Sicherheitskonferenz. “Road to Munich” steht über dem Vorprogramm für die kommende Sicherheitskonferenz, die vom 18. bis 20. Februar 2022 stattfindet. So ähnlich heißen oft auch Marketing-Kampagnen von potenziellen Champions-League-Finalisten. Statt auf grünem Rasen zu kicken, wird jedoch im Hotel Bayerischer Hof über Klima und Nachhaltigkeit gesprochen. Statt Viererkette stehen neue Technologien und digitale Innovationen auf der Agenda.
Julia Hammelehle hat in Dresden Internationale Beziehungen studiert und in London EU-Politik. Zwischendurch war sie für ein Auslandssemester in Boston. Die 25-Jährige ist sicher, dass Veränderungen in der Klima- und Energiepolitik auch sicherheitspolitische Auswirkungen nach sich ziehen. Ihrer persönlichen Einschätzung nach könnte die Umstellung auf grüne Energien sogar zu Destabilisierungen in solchen Ländern führen, die noch auf fossile Energien setzen.
Mehr noch bringe die Umstellung “Herausforderungen für Länder mit sich, die auf Rohstoffen wie Lithium oder Kobalt sitzen, die für grüne Technologien benötigt werden”, sagt Hammelehle. Europa und die USA betrachteten die Dominanz Chinas in den Lieferketten für den Bau von Elektroautos oder Solarmodulen mit Sorge. “50 bis 70 Prozent des weltweiten Lithiums und Kobalts werden in China weiterverarbeitet. Die Volksrepublik dominiert die komplette Wertschöpfungskette von Seltenen Erden. Das ist nicht nur ein Wettbewerbsvorteil für China, sondern auch ein möglicher geopolitischer Hebel.”
Deshalb sei es wichtiger denn je, dass die EU und ihre transatlantischen Verbündeten die Volksrepublik China gleichzeitig als Partner, Wettbewerber und als systemischen Rivalen begreifen. “Das ist eine wichtige Grundlage für eine gemeinsame Strategie.” Und die sollte sich darauf konzentrieren, sich vor chinesischer Einflussnahme und ökonomischem Druck besser zu schützen und die eigene Handlungsfähigkeit zu stärken, so Hammelehle. “Eine gemeinsame Strategie muss beinhalten, über Investitionskontrollen für ein Level Playing Field einzutreten, Abhängigkeiten zu reduzieren und Anti-Coercion-Instrumente zu schärfen.”
Ergänzend dazu müsse in die eigene Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit, besonders in der Digitaltechnologie, investiert und neue Partnerschaften über Infrastrukturprojekte erschlossen und vertieft werden. Eine weitere Möglichkeit haben die USA mit dem diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele im Februar in Peking gewählt. “Aber auch da wäre es wichtig, innerhalb der EU ein gemeinsames Signal zu senden”, erklärt die Sport-Fanatikerin. “Wenn aber gar keine Sportlerinnen und Sportler geschickt würden, fände ich das nicht gut.” Gabriel Bub
China wird gerne als der einer der größten Klimasünder kritisiert. Zu Recht. Und doch ist das nur eine Seite der Medaille. Wir haben uns die dunkle andere Seite angeschaut und zeigen, mit welch dramatischen Folgen sich die Volksrepublik angesichts des Klimawandels konfrontiert sieht: China droht langfristig, 20 Prozent seiner Ernten zu verlieren; und es wird zu drastischen Arbeitsausfällen kommen, die gewaltige finanzielle Einbußen nach sich ziehen werden. China und den großen Co2-Emittenten des politischen Westens muss endlich klar werden: Um die schlimmsten Folgen der Klimakrise abzuwenden, ist die Volksrepublik genauso auf den Klimaschutz durch andere Staaten angewiesen wie westliche Staaten auf China.
Ein Weg zu mehr Klimaschutz ist der Emissionshandel. Emissionsrechte gelten in China genauso wie in der EU als wichtiges Instrument zum Erreichen der Klimaziele. Doch während die Preise für den Ausstoß von Treibhausgasen in Europa steil in die Höhe geschossen sind, machen sie in China bisher kaum einen Unterschied. Es fehlen noch entscheidende Zutaten, analysiert Christiane Kühl in einer ersten Bilanz des noch jungen chinesischen Emissionshandels. So richtig greifen wird das System wohl erst 2025. Ab dann soll laut Plan der Ausstoß an schädlichen Gasen sinken.
Wir wünschen viele neue Erkenntnisse!
Sie standen bis zum Hals im Wasser. Nicht wissend, ob Rettung naht oder der Tod durch Ertrinken. Die Videos aus überschwemmten U-Bahnen in Zhengzhou vom Sommer 2021 gehören zu den schockierendsten Bildern des vergangenen Jahres. Auslöser der Überschwemmungen waren sintflutartige Regenfälle (China.Table berichtete). An nur drei Tagen fiel in der Provinz Henan so viel Regen wie sonst im Jahresdurchschnitt. Mehr als 300 Menschen kamen ums Leben.
China ist schon heute stärker vom Klimawandel betroffen als andere Weltregionen. In den vergangenen Jahren nahmen extreme Wetterereignisse wie starker Niederschlag, Hitzewellen und Dürren zu. Katastrophen wie die in Henan drohen, in Zukunft regelmäßig aufzutreten. Je stärker sich die Atmosphäre aufheizt, desto häufiger und desto heftiger werden die Extremwetter-Ereignisse.
Neben dem menschlichen Leid sieht sich China mit hohen wirtschaftlichen Kosten konfrontiert. Allein die Flutkatastrophe im Sommer hat Schäden in Höhe von mehr als 17 Milliarden US-Dollar verursacht. Im vergangenen Jahrzehnt lagen die direkten wirtschaftlichen Kosten von Unwetterkatastrophen jährlich bei über 50 Milliarden US-Dollar.
Wenn die Staaten den Klimawandel nicht wirkungsvoller bekämpfen, drohen ihnen massive Kosten. Die Volksrepublik sieht sich in den nächsten 80 Jahren mit Schäden in Höhe von fast 190 Billionen US-Dollar konfrontiert. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie der Tsinghua-Universität in Peking und des Think-Tanks Chatham House aus London.
Die Wissenschaftler haben vier Bereiche untersucht, in denen durch den Klimawandel wirtschaftliche Schäden entstehen:
Am gravierendsten sind die Schäden durch Ernteausfälle. China droht 20 Prozent seiner Ernten zu verlieren, wenn es den Staaten weltweit nicht gelingt, die CO2-Emissionen zu senken. Die Forscher schreiben von einer “erheblichen Bedrohung für wichtige Getreideanbaugebiete“, sollten die Temperaturen in den nächsten 80 Jahren um 3,5 Grad ansteigen. Prognosen anderer Wissenschaftler gehen davon aus, dass die globale Durchschnittstemperatur bei der derzeitigen Klimapolitik um 2,7 Grad steigen wird. Doch die chinesischen Forscher schreiben, dass selbst bei einem Anstieg um lediglich 1,6 Grad bis 2100 acht Prozent der Ernten verloren gingen.
Eine Studie aus dem Online-Magazin Nature Food bestätigt diese Forschungsergebnisse. Der Temperaturanstieg könnte in China zu einer Verdopplung des Schädlingsbefalls und der Pflanzenkrankheiten führen, so ein internationales Wissenschaftsteam mit Forschern aus China, den USA, Deutschland und anderen Ländern. Allerdings sind die Forscher von dem sehr pessimistischen Szenario eines Temperaturanstiegs von vier Grad in den nächsten 80 Jahren ausgegangen.
Auch die Kosten durch eine hitzebedingte geringere Produktivität der Arbeitskräfte sind beträchtlich. Bei mittleren Emissionen (3,5 Grad Anstieg bis 2100) würde die Arbeitsproduktivität in China um drei Prozent abnehmen. In den wichtigen Wirtschaftszentren im Osten und Süden des Landes wären es sogar gut vier Prozent. Gelingt es, den Temperaturanstieg auf 1,6 Grad zu begrenzen, würde der Produktivitätsverlust 0,7 Prozent betragen. Schon 2019 hat China aufgrund von Hitzewellen über 28 Milliarden Arbeitsstunden verloren. Zum Vergleich: Durch die Corona-Pandemie gingen in China circa 70 Milliarden Arbeitsstunden verloren. “Die Auswirkungen des Klimawandels sind in diesem Bereich so gravierend, als würde alle zwei bis drei Jahre eine Covid-19-Pandemie stattfinden”, schreiben die Wissenschaftler.
Die direkten Kosten durch den ansteigenden Meeresspiegel an Infrastrukturen und Gebäuden beziffern die Studienautoren auf fünf Billionen US-Dollar bei einem Temperaturanstieg von 3,5 Grad. Selbst wenn es gelingt, den Temperaturanstieg bis 2100 auf 1,6 Grad zu begrenzen, drohen China Kosten in Höhe von drei Billionen Dollar. Chinas Küstenstädte sind weltweit am stärksten vom ansteigenden Meeresspiegel bedroht (China.Table berichtete). Der Meeresspiegel vor Chinas Küsten steigt stärker als im globalen Durchschnitt. Millionen Menschen sind von Hochwasser bedroht. Die Trinkwasserreservoire könnten versalzen.
Bei mittleren Emissionen (3,5 Grad Anstieg bis 2100) würde Chinas Energiebedarf bis zum Ende des Jahrhunderts allein aufgrund des Klimawandels um 90 Prozent steigen. Die Anzahl an Hitzetagen mit einer Temperatur von mehr als 27,5 Grad würde stark zunehmen. Dadurch wären beispielsweise mehr Klimaanlagen notwendig. Süd- und Ostchina wären am stärksten betroffen, so die Wissenschaftler.
Die Tsinghua-Studie endet mit einem deutlichen Plädoyer, den Klimaschutz frühzeitig und weltweit zu verstärken. Einer der Autoren der Studie sagte bei der Vorstellung, China müsse noch mehr unternehmen, um die Kohlenstoffneutralität zu erreichen. Die Regierung solle ihre Anstrengungen bei der nicht-fossilen Energieversorgung verdoppeln, schlug Teng Fei vor, der Professor an der Tsinghua Universität ist.
Agiert die Menschheit heute zu zögerlich, würden erhebliche Klimarisiken und -kosten auf die nächsten Generationen übertragen, so die Autoren der Studie. Mehr als 85 Prozent der wirtschaftlichen Klimaschäden würden erst zwischen 2050 und 2100 auftreten. Denn mit ansteigenden Temperaturen nehmen die Schäden immer stärker zu. Die Wissenschaftler schreiben: “Die Kosten des Nichthandelns in Bezug auf den Klimawandel werden wahrscheinlich weitaus höher sein als die Kosten der Emissionsminderung.”
Die Studie zeigt auch, dass die Weltgemeinschaft in einem Boot sitzt. China ist mittlerweile zwar einer der Hauptverursacher des Klimawandels. Die Volksrepublik ist für gut 30 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Doch die Wissenschaftler haben explizit nicht berechnet, was China durch die eigenen CO2-Emissionen droht, sondern den Fokus auf die globalen Emissionen gerichtet. Um die schlimmsten Folgen der Klimakrise abzuwenden, ist China genauso auf den Klimaschutz durch andere Staaten angewiesen, wie westliche Staaten auf Klimaschutz durch China angewiesen sind.
Der erste Handelszyklus des chinesischen Emissionshandelssystems (ETS) ist abgeschlossen: Zeit für eine erste Bilanz. Sie fällt gemischt aus. Positiv ist der gelungene Start des Systems: Seit Mitte Juli läuft der Handel mit CO2-Emissionszertifikaten an der Shanghaier Umwelt- und Energiebörse (Shanghai Environment and Energy Exchange/SEEE). Doch auch wenn es am Markt reale Transaktionen gab, muss 2021 eher als ein Testlauf für ein künftiges, umfassenderes ETS gesehen werden. Denn das Instrument macht wegen geringer Reichweite bisher kaum einen Unterschied für die Emissionen:
Zum Stichtag am 31. Dezember erfüllten mit 99,5 Prozent praktisch alle der rund 2.200 teilnehmenden Unternehmen die Auflagen, wie das Umweltministerium am Silvestertag mitteilte. Das bedeutet, sie konnten ausreichend Emissionsberechtigungen für ihre verifizierten CO2-Emissionen aus 2019 und 2020 vorlegen und abgeben. Diese Berechtigungszertifikate haben sie entweder aus der Zuteilung oder kauften sie über das ETS hinzu. In der Regel erwerben ältere Kraftwerke mit hohem CO2-Ausstoß dabei überschüssige Zertifikate effizienterer neuer Anlagen.
Nach Berechnungen des Finanzdienstleisters Refinitiv emittierten die 99,5 Prozent als regelkonform gemeldeten Firmen in den beiden Jahren gewaltige 8,693 Gigatonnen CO2-Äquivalent, also rund 4,35 Gigatonnen pro Jahr. Das entspricht gut 40 Prozent der Emissionen Chinas und laut der britischen Fachwebsite Carbon Brief etwa zwölf Prozent der globalen Emissionen. Zum Vergleich: Die 1.817 vom ETS der EU erfassten deutschen Anlagen stießen 2020 nur 320 Millionen Tonnen (0,32 Gigatonnen) an Treibhausgasen aus.
Die gesamten CO2-Emissionen Deutschlands lagen 2020 nach Angaben der Internationalen Energie-Agentur (IEA) bei knapp 0,59 Gigatonnen. Diese Zahlen zeigen, wie wichtig das ETS in China für das Weltklima sein wird, wenn es irgendwann richtig funktioniert.
Insgesamt wurden nach Refinitiv-Daten 2021 Berechtigungen für gut 178 Millionen Tonnen CO2 gehandelt. Hinzu kamen knapp 33 Millionen Tonnen sogenannte Zertifizierte Emissionsreduktionen (Chinese Certified Emissions Reductions/CCER). CCER verifizieren Klimaschutzprojekte der ETS-Unternehmen zum Ausgleich (Offset) ihrer Emissionen, etwa durch Investitionen in erneuerbare Energien, Kohlenstoffsenken oder Methannutzung. In Chinas ETS dürfen Unternehmen bis zu fünf Prozent ihrer Compliance-Verpflichtungen mit solchen CCER ausgleichen. Refinitiv geht davon aus, dass derzeit CCER für weitere 30 Millionen Tonnen CO2 im Markt verblieben sind, die Firmen nun in diesem Jahr zukaufen können.
Generell bemängeln Kritiker, dass es in Chinas ETS einen Überschuss an Emissionsberechtigungen gibt, weil die Verteilungskriterien zu locker oder zu ungenau sind. (China.Table berichtete). Auch setzt das ETS den Firmen kaum Anreize zur Senkung ihrer Emissionen. Grund ist laut Carbon Brief, dass Kraftwerke nur für die ersten 20 Prozent Emissionen oberhalb ihrer zugeteilten Berechtigungen zusätzliche Zertifikate hinzukaufen müssen. Wer noch mehr emittiert, muss nicht mit Folgen rechnen.
Die wenigen Gaskraftwerke im ETS müssen sogar gar keine Zertifikate zukaufen, wenn sie mehr als die zugeteilte Menge CO2 emittieren. Der einzige Anreiz zum CO2-Sparen: Der Verkauf von Berechtigungen bringt Geld. Doch das haben nach Ansicht vieler Experten die meisten Kraftwerke bislang kaum auf dem Schirm.
Aufgrund dieser Probleme ist der Marktpreis am ETS ausgesprochen niedrig. Am Ende des Neujahrstages kostete die Berechtigung für eine Tonne CO2-Emissionen laut Refinitiv 54,22 Yuan (7,52 Euro), 13 Prozent mehr als zum Handelsstart am 16. Juli 2021. Im Durchschnitt lag der Preis demnach an den 104 Handelstagen des vergangenen Jahres bei 43,85 Yuan. Im EU-Emissionshandel stiegen die Preise zuletzt rasant und liegen heute über 60 Euro pro Tonne CO2. Auch das ETS der EU hatte anfangs wegen niedriger Preise in der Kritik gestanden.
Einer der am häufigsten kritisierten Mängel in China sind indes die niedrigen Strafen für Regelverstöße oder gefälschte Emissions-Daten: Die Höchststrafen betragen nur 30.000 Yuan (4.175 Euro).
Kinderkrankheiten wie diese seien bei einem neuen System aber normal, urteilten Yan Qin und Yuan Lin in der neuesten Refinitiv-Studie zum ETS vom Dezember. Es ist für alle Beteiligten ein Lernprozess. Teile des Regelwerks wurden erst aufgebaut, als der Handel bereits lief: So gab das Umweltministerium erst Ende Oktober Richtlinien wie die Compliance-Deadline im Dezember heraus. Die für Ende September vorgesehene Verteilung der Emissionsberechtigungen verzögerte sich bis November. Zwischendrin verlangte das Umweltministerium auch noch eine Überprüfung aller verifizierten Emissionsdaten, nachdem ein Datenbetrug in der Inneren Mongolei aufgeflogen war.
Das aktuelle ETS-System sei ein Kompromiss mit dem Ziel, die Teilnahme der Konzerne zu gewährleisten und Konflikte zu vermeiden, sagt Chen Zhibin, Senior Consultant der Pekinger Beraterfirma Sino-Carbon Innovation & Investment. “Es ist das Ergebnis jahrelanger Verhandlungen zwischen Aufsichtsbehörden, Branchenverbänden und großen Unternehmen.”
Bisher gibt es deshalb im ETS keine feste Obergrenze der verteilten CO2-Berechtigungen. Das Maximum kann je nach tatsächlicher Energieproduktion der Kraftwerke jedes Jahr variieren. Noch gibt es keine konkreten Pläne, CO2-Zertifikate aus dem Markt zu nehmen. Bloomberg berichtete am Donnerstag immerhin von ersten Vorschlägen, die Berechtigungen um maximal ein Prozent zu reduzieren. Noch hat China die in seinen Klimaschutzzielen angepeilten Emissionshöhepunkte nicht erreicht. Steigerungen sind zumindest bis 2025 in den meisten energieintensiven Sektoren erlaubt. Das dürfte sich auch im ETS-Format widerspiegeln.
Bis Ende März müssen die Energiekonzerne nun ihre Emissionen für 2021 zur Verifikation einreichen. Experten erwarten, dass diese weiterhin bei über vier Gigatonnen liegen werden.
Immerhin soll das System bald weitere Sektoren umfassen. SEEE-Chef Lai Xiaoming will zunächst Finanzunternehmen und dann Konzerne aus energieintensiven Sektoren wie Nichteisenmetallen oder Baustoffen aufnehmen. Das könne schon 2022 beginnen. Bis 2025 sollen laut Lai alle acht wichtigen emissionsintensiven Industrien Chinas einbezogen sein. Dazu gehören etwa Chemie, Zement, Raffinerien, Stahl sowie die Zellstoff- und Papierproduktion. Deren einflussreiche Industrieverbände müssen die Teilnahme bereits vorbereiten. Die Firmen dieser Sektoren mussten zudem bis Silvester ihre Emissionen für 2020 melden und verifizieren lassen.
Außerdem will die SEEE CO2-bezogene Derivateprodukte auf den Markt bringen, wie Lai Ende Dezember der Shanghaier Börsenzeitung sagte. Dazu gehören Swaps, Forwards und Optionen. Ziel sei es, China zu einem globalen Zentrum für CO2-Handel und -Preise zu machen. Irgendwann sollen die Berechtigungen laut den ETS-Regeln des Umweltministeriums auch etwas kosten und versteigert werden. Zeitpläne für all diese Reformen gibt es aber noch nicht.
Es ist klar, dass die CO2-Emissionen in China deutlich teurer und die Berechtigungen knapper werden müssen. Sonst hätte das ETS keinerlei Lenkungswirkung. Viele Experten gehen davon aus, dass nur ein so genanntes Cap-and-Trade-System mit stetig sinkender “Cap”, also einer Obergrenze für alle CO2-Zertifikate im Markt, wirkliche Effekte für eine Senkung der Emissionen hat. So, wie es in der EU geregelt ist.
Der wichtigste Effekt des ETS in seiner jetzigen Form ist daher, dass es den Beginn einer landesweiten CO2-Bepreisung darstellt – mit dem Potenzial für eine spätere Ausweitung und Verschärfung.
China hat für das vergangene Jahr einen neuen Temperatur-Rekord gemeldet. Die Durchschnittstemperatur lag bei 10,7 Grad. Das ist der höchste Stand seit Aufzeichnung der Daten im Jahr 1961 und ein Grad höher als in den Jahren zuvor, wie Chinas Amt für Meteorologie bekannt gab. Auch für zwölf Provinzen wurden demnach neue Höchststände vermeldet, darunter die dicht besiedelten Regionen Jiangsu und Zhejiang. Das berichtet die South China Morning Post.
Auch was die Tage mit Extremtemperaturen angeht, kam es fast zu einem neuen Höchststand. An zwölf Tagen lag die Temperatur bei 35 Grad oder mehr, was der zweithöchste jemals gemessene Wert ist. Zugleich verzeichnete der Norden Chinas das feuchteste Jahr nach 1964. Der Niederschlag lag mit knapp 700 Millimetern 40 Prozent über dem Durchschnitt der letzten Jahre. Laut einem Sprecher der Meteorologischen Behörde waren extreme Wetterereignisse im vergangenen Jahr in China “weit verbreitet, häufig, intensiv und zeitgleich”. Das stelle die Behörden bei der “Verhütung und Eindämmung meteorologischer Katastrophen vor große Herausforderungen”. Die Klimawissenschaft ist sich einig, dass steigende Temperaturen häufiger zu Extremwetterereignissen führen. nib
China investiert Milliarden Yuan in neue Fabriken zur Produktion von Polysilizium, dem Ausgangsstoff für Solarzellen. Laut Marktanalysten werden die Preise für Polysilizium bis zum Sommer noch auf hohem Niveau verbleiben. Bis 2023 könnten sie jedoch “auf einen historischen Tiefststand” fallen, zitiert Bloomberg einen Experten. Demnach werde das Angebot an Solarmodulen in den nächsten Jahren massiv steigen, sodass die Preise sinken. Ende 2021 lag der Preis für Polysilizium noch auf einem 10-Jahres-Höchststand. Nachdem drei chinesischer Hersteller neue Fabriken mit einer Gesamtkapazität von 160.000 Tonnen pro Jahr eröffnet hatten – mehr als ein Viertel der bisherigen globalen Kapazität – sank der Preis schon um 17 Prozent, so Bloomberg.
China dominiert den Markt für Polysilizium, Solarzellen und -module. Weltweit stammen drei von vier Solarmodulen und 83 Prozent der Solarzellen aus China. Beim Ausgangsstoff Polysilizium dominiert China 77 Prozent des Weltmarktes. Die Volksrepublik sieht sich massiver Kritik ausgesetzt, da es Indizien für uigurische Zwangsarbeit bei der Herstellung von Polysilizium gibt (China.Table berichtete). Laut Bloomberg sind viele der neuen Polysilizium-Fabriken außerhalb der Uiguren-Provinz Xinjiangs angesiedelt. Die USA haben jüngst ein Gesetz verabschiedet, dass Importe unter ein Embargo stellt, die unter dem Verdacht der Zwangsarbeit in Xinjiang stehen. Auch die neue Außenministerin Annalena Baerbock hatte jüngst ein ähnliches Vorgehen vorgeschlagen (China.Table berichtete).
Laut Analysten ist die Behebung des Polysilizium-Mangels für die Solarbranche von entscheidender Bedeutung, wie Bloomberg berichtet. Die Produktion des Rohstoffs sei der schwierigste Schritt in der Lieferkette, um neue Kapazitäten zu schaffen. Demnach könne die Inbetriebnahme neuer Fabriken aufgrund komplizierter Herstellungsverfahren 18 bis 24 Monate dauern. Bis Ende des Jahres könnten weltweit Polysilizium-Kapazitäten vorhanden sein, um 500 Gigawatt an neuer Solar-Kapazität zu bauen, so Bloomberg. nib
“Siemens defends slave labour (again)” titelte der britische Spectator letzte Woche. Die Entstehung dieser Schlagzeile ist ein Lehrstück darüber, was in der chinapolitischen Positionierung von einigen CEOs der Deutschland-AG danebengeht. Was war passiert? Siemens-Chef Roland Busch hatte zum Jahreswechsel in der Süddeutschen Zeitung vor einer “konfrontativen Außenpolitik” gewarnt und mahnte einen “respektvollen Umgang” mit China an.
Eine Sorge führte er sehr konkret aus: “Wenn Exportverbote erlassen werden, könnten diese dazu führen, dass wir keine Solarzellen aus China mehr kaufen können – dann ist die Energiewende an dieser Stelle zu Ende. Wollen wir das wirklich? Es ist doch unser gemeinsames Interesse, den weltweiten CO2-Ausstoß zu verringern”. Busch sprach es nicht direkt an, doch worauf er zielte, waren mögliche Sanktionen gegen Komponenten aus Xinjiang, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie auch mithilfe von Zwangsarbeit produziert werden.
Die Haltung der Amerikaner ist dazu klar: Im Dezember unterzeichnete US-Präsident Biden ein Gesetz, das Importe von Produkten, die in Xinjiang hergestellt wurden oder Komponenten und Materialien aus Xinjiang enthalten, weitgehend verbietet. Die Europäische Kommission ist dagegen skeptisch. Man könne die “US-Gesetzgebung in Europa nicht automatisch replizieren”, heißt es. Ein Importverbot würde nicht verhindern, dass diese Produkte weiter mit Zwangsarbeit hergestellt würden. Die EU-Kommission scheint ein Gesetz mit stärkeren Sorgfaltspflichten der Anbieter zu bevorzugen.
In diese Diskussion platzte Siemens-CEO Busch mit seiner Philippika gegen “Exportverbote”. Dabei hat Busch zumindest recht, was die Abhängigkeiten der Solarbranche von Xinjiang betrifft. Doch für einen Konzern, der eine Geschichte des Einsatzes von Zwangsarbeit hat, ist die Intervention bemerkenswert ungeschickt. Zumal Siemens laut FAZ mit dem chinesischen Rüstungszulieferer China Electronics Technology Group Corporation (CETC) zusammenarbeitet. CETC hat laut Human Rights Watch eine Überwachungs-App entwickelt, mit deren Hilfe Uiguren von der Polizei verfolgt und eingesperrt würden. Da hilft es eher wenig, dass Busch mit Blick auf die Menschenrechte versichert: “Wir halten diese weltweit ein, auch bei unseren Arbeitsplätzen in China”.
Nun rechtfertigt Busch natürlich keine Zwangsarbeit, anders als der Spectator es nahelegt. Es hätte aber viele geschicktere Wege gegeben, Skepsis an Importverboten zu äußern. Mit der ungelenken Art seiner Aussagen hat Busch der Fehlinterpretation seiner Worte Tür und Tor geöffnet. Was bei seiner Aussage etwa fehlt, ist ein explizites Bekenntnis, Menschenrechte auch in den Lieferketten und bei Kooperationspartnern einzuhalten.
Busch fällt auch hinter das zurück, was sein Vorgänger als Siemens-Chef und Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Joe Kaeser, kurz vor Ende seiner Amtszeit im September 2020 formulierte: “Wir beobachten die aktuellen Entwicklungen in Hongkong, aber auch in der Provinz Xinjiang aufmerksam und mit Sorge. Wir lehnen jede Form von Unterdrückung, Zwangsarbeit und Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen kategorisch ab. All das würden wir grundsätzlich weder in unseren Betrieben dulden noch bei unseren Partnern folgenlos hinnehmen.” Für Kaeser, der jahrelang den chinesischen Parteistaat rhetorisch hofiert hatte, war dies eine bemerkenswert klare Formulierung. Busch signalisiert nun, dass er an Kaesers Kritik nicht anknüpfen möchte.
Stattdessen scheint sich Busch den Volkswagen-CEO Diess als Vorbild zu nehmen, den Chef eines weiteren deutschen Weltkonzerns mit Zwangsarbeits-Vergangenheit. Diess hatte 2019 der BBC gesagt, dass er von Umerziehungslagern nicht wisse und “stolz” sei auf die Arbeitsplätze, die Volkswagen in Xinjiang geschaffen habe. Dabei klingt er wie der ehemalige ZEIT-Herausgeber Theo Sommer, der 2019 behauptete, deutsche Unternehmen “können und werden in dem schwierigen Umfeld Xinjiangs einen Beitrag zum ersprießlichen Zusammenleben verschiedener Völkerschaften leisten. Dann werden – wie einst die südafrikanischen Schwarzen von BMW – eines Tages auch die Uiguren sagen können, wer zu den Mitarbeitern der deutschen Firmen gehört, der hat das große Los gezogen”.
Ganz so vehement wie Sommer würden wahrscheinlich nur wenige deutsche CEOs öffentlich argumentieren. Aber allzu oft wirken sie so, als hätten sie selbst das große Los des Kotaus gegenüber der chinesischen Führung gezogen. Der Journalist Robin Alexander berichtet in seinem Buch “Machtverfall” über die deutschen CEOs, die Merkel auf deren letzter China-Reise im September 2019 begleiteten: “Die Bosse haben auf die Kanzlerin eingewirkt, die chinesische Regierung nicht mit einer allzu deutlichen Kritik an der Aussetzung des Basic Law der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong und den Repressionen gegen die dortige Demokratiebewegung zu brüskieren”.
Weiter berichtet der Autor über eine Abstimmung unter den deutschen Managern während besagter Reise, ob sie die Chinesen ihrerseits auf die engere Überwachung von Internetaktivitäten chinesischer Belegschaften in Firmen mit deutscher Beteiligung ansprechen sollten – denn die gefährdet nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern auch deutsche Geschäftsgeheimnisse. Per Handzeichen im Kanzlerflugzeug stimmten die CEOs dagegen. Erschreckend daran ist, dass die Unternehmensführer auch dann gegenüber Peking zu kuschen scheinen, wenn ihre Kerninteressen tangiert sind.
Bei der Suche nach mehr strategischer Klarheit kombiniert mit Rückgrat könnten die CEOs beim BDI fündig werden. Dieser hatte im vergangenen Sommer ein Diskussionspapier über “Außenwirtschaftliche Zusammenarbeit mit Autokratien” zur “Gestaltung der Wirtschaftsbeziehungen im internationalen Systemwettbewerb” veröffentlicht und dabei den Begriff der “verantwortungsvollen Koexistenz” geprägt.
Mehr strategische Klarheit in der Chinapolitik ist auf Seiten von CEOs wie Busch dringend vonnöten, denn die vom Spectator verzerrte menschenrechtliche Komponente ist nicht das größte Problem. Ebenfalls beunruhigend ist, dass Busch die Klimakrise zu instrumentalisieren scheint für einen “Business as Usual”-Kurs gegenüber Peking. Und noch konsternierender ist die Tatsache, dass Busch die Thematik auf die Frage der Menschenrechte reduziert. Dabei geht es im Systemwettbewerb mit Pekings autoritärem Staatskapitalismus um weit mehr.
Zwangsarbeit ist nicht unser Hauptproblem, wenn wir uns bei Kerntechnologien für die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft von Produktion in China abhängig machen, oder wenn sich Unternehmen wie Volkswagen ein Klumpenrisiko China aufhalsen, in dem sie sich über Gebühr vom chinesischen Markt abhängig machen. 2020 unterzeichnete Siemens eine weitreichende “strategische Kooperationsvereinbarung” mit der schon erwähnten China Electronic Technology Group Corporation (CETC). Das Staatsunternehmen ist für das chinesische Militär als Zulieferer von zentraler Bedeutung. Tochterunternehmen von CETC unterliegen bereits US-Sanktionen. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die USA auch die Siemens-Kooperation mit CETC genauer anschauen werden.
Die Woche, in der ihr Lieblingsverein Borussia Dortmund gegen Bayern München verlor, bescherte Julia Hammelehle zumindest noch politische Genugtuung. Wenige Tage nach der schmerzhaften Bundesliga-Pleite ihres BVB übernahm “ihre” SPD das Kanzleramt – eine Form der emotionalen Wiedergutmachung. Fußball und Politik liegen manchmal eben nicht sehr weit auseinander, besonders was ihre Slogans angeht.
Als Strategieberaterin analysiert Julia Hammelehle internationale Politikfelder und konzipiert seit zwei Jahren Veranstaltungen und Begegnungen für die Münchner Sicherheitskonferenz. “Road to Munich” steht über dem Vorprogramm für die kommende Sicherheitskonferenz, die vom 18. bis 20. Februar 2022 stattfindet. So ähnlich heißen oft auch Marketing-Kampagnen von potenziellen Champions-League-Finalisten. Statt auf grünem Rasen zu kicken, wird jedoch im Hotel Bayerischer Hof über Klima und Nachhaltigkeit gesprochen. Statt Viererkette stehen neue Technologien und digitale Innovationen auf der Agenda.
Julia Hammelehle hat in Dresden Internationale Beziehungen studiert und in London EU-Politik. Zwischendurch war sie für ein Auslandssemester in Boston. Die 25-Jährige ist sicher, dass Veränderungen in der Klima- und Energiepolitik auch sicherheitspolitische Auswirkungen nach sich ziehen. Ihrer persönlichen Einschätzung nach könnte die Umstellung auf grüne Energien sogar zu Destabilisierungen in solchen Ländern führen, die noch auf fossile Energien setzen.
Mehr noch bringe die Umstellung “Herausforderungen für Länder mit sich, die auf Rohstoffen wie Lithium oder Kobalt sitzen, die für grüne Technologien benötigt werden”, sagt Hammelehle. Europa und die USA betrachteten die Dominanz Chinas in den Lieferketten für den Bau von Elektroautos oder Solarmodulen mit Sorge. “50 bis 70 Prozent des weltweiten Lithiums und Kobalts werden in China weiterverarbeitet. Die Volksrepublik dominiert die komplette Wertschöpfungskette von Seltenen Erden. Das ist nicht nur ein Wettbewerbsvorteil für China, sondern auch ein möglicher geopolitischer Hebel.”
Deshalb sei es wichtiger denn je, dass die EU und ihre transatlantischen Verbündeten die Volksrepublik China gleichzeitig als Partner, Wettbewerber und als systemischen Rivalen begreifen. “Das ist eine wichtige Grundlage für eine gemeinsame Strategie.” Und die sollte sich darauf konzentrieren, sich vor chinesischer Einflussnahme und ökonomischem Druck besser zu schützen und die eigene Handlungsfähigkeit zu stärken, so Hammelehle. “Eine gemeinsame Strategie muss beinhalten, über Investitionskontrollen für ein Level Playing Field einzutreten, Abhängigkeiten zu reduzieren und Anti-Coercion-Instrumente zu schärfen.”
Ergänzend dazu müsse in die eigene Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit, besonders in der Digitaltechnologie, investiert und neue Partnerschaften über Infrastrukturprojekte erschlossen und vertieft werden. Eine weitere Möglichkeit haben die USA mit dem diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele im Februar in Peking gewählt. “Aber auch da wäre es wichtig, innerhalb der EU ein gemeinsames Signal zu senden”, erklärt die Sport-Fanatikerin. “Wenn aber gar keine Sportlerinnen und Sportler geschickt würden, fände ich das nicht gut.” Gabriel Bub