Table.Briefing: China

Kleinanleger zittern wegen Evergrande + Hamburg begrüßt Cosco

  • Evergrande gefährdet auch die KP
  • Hamburg begrüßt Cosco-Einstieg
  • Debatte um Subventionen: CAI “kein Retter in der Not”
  • Termine der Woche
  • Weniger Aktivität im verarbeitenden Gewerbe
  • Mehr Unabhängigkeit bei Magneten aus Seltenen Erden gefordert
  • Regulierung hat nur wenig Einfluss auf Investoren
  • Behörden konkretisieren Datensicherheitsgesetz
  • Johnny Erling über die Wiederauferstehung der Danwei
Liebe Leserin, lieber Leser,

in China fürchten gerade Zehntausende Kleinanlegerinnen und Kleinanleger um ihr Erspartes. Sie haben viel Geld in Evergrandes Vermögensprodukte gesteckt und bangen nun, ob der Staat eingreift und sie rettet oder Evergrande Zahlungen ausfallen lässt. Viele gehen auf die Straße, einige lassen ihren Frust sogar direkt am Evergrande-Gründer aus. Das Debakel um den Immobilienriesen bedroht auch die KP um Xi Jinping. Wie Xi die Krise löst, wird seine Zukunft mitbestimmen, analysiert Ning Wang.

Chinas Staatssubventionen bereiten der deutschen Wirtschaft zunehmend Sorgen. Unternehmen aus der Volksrepublik haben – auch dank Subventionen – so sehr aufgeholt, dass sie selbst der hoch entwickelten deutschen Exportwirtschaft Konkurrenz machen. Doch was tun gegen die hohen Staatssubventionen? Wirtschaftsexperten diskutierten darüber bei der Reihe “Global China Conversations” des IfW Kiel. Sie kommen zu dem Schluss: Das Investitionsabkommen der EU mit China ist kein “Retter in der Not”, die WTO ist blockiert und weitere Handelsinstrumente sind riskant, analysiert Amelie Richter.

Johnny Erling widmet sich in seiner heutigen Kolumne dem Wiederaufbau des Danwei-Systems. Diese Arbeitseinheiten dienten der KP lange als unterste Verwaltungsebene. Bis zu den Wirtschaftsreformen kontrollierten sie das tägliche Leben der Menschen in den Städten fast vollständig. Jetzt scheint es zu einem Aufleben der Danwei zu kommen. Schon in der Corona-Pandemie kontrollierten Überbleibsel der Arbeitseinheiten als Art Blockwarte die strikte Durchsetzung der Vorgaben. Mit High-Tech und Künstlicher Intelligenz könnte die Überwachung in neuer Vehemenz zurückkommen.

Wir wünschen Ihnen an entspanntes Wochenende!

Ihr
Nico Beckert
Bild von Nico  Beckert

Analyse

Lässt Evergrande die Kleinanleger hängen?

Zinsen von 7,5 Prozent hatte Frau Liu aus Shanghai von ihrem Bankberater angepriesen bekommen, wenn sie in Wertpapiere von Evergrande anlegt. Sie investierte, denn wenig andere Finanzprodukte bieten so hohe Rendite. Die Vermögensverwaltungsprodukte von Evergrande gelten als so gut “wie garantiert”, wie ihre Bank betonte – die sicherte ihr auch zu, dass Evergrandes Finanzprodukte für “konservative Anleger, eine stetige Rendite” abwerfen.

Seitdem bekannt ist, dass der Immobilienentwickler, der neben Anleihen für Großinvestoren und Banken auch Vermögensverwaltungsprodukte für kleine Privatanleger vertreibt, auf einem Schuldenberg von mehr als 300 Milliarden US-Dollar sitzt, schläft Frau Liu schlecht. “Alle meine Ersparnisse habe ich investiert. Es ist für unsere Altersvorsorge. Wir haben hart dafür gearbeitet. Jetzt ist alles weg”, sagt sie zu China.Table.

Sie gehört zu den rund 80.000 Kleinanleger:innen, die ihr Geld in Finanzprodukte von Evergrande investiert haben. Wie Frau Liu haben Mitarbeiter von Evergrande, ihre Familienmitglieder, deren Freunde und Bekannte in den vergangenen fünf Jahren in Produkte von Evergrande Wealth Managment angelegt: Umgerechnet wurden mehr als 13,3 Milliarden Euro investiert. Evergrandes Vermögensverwaltungsarm ist durch seine Bauprojekte im ganzen Land bekannt und genoss durch die breite Sichtbarkeit des Immobilienriesen einen guten Ruf.

Wird Peking Evergrande zerschlagen?

“Im Moment ist es für Evergrande schwierig, 40 Milliarden Yuan (umgerechnet 5,3 Milliarden Euro) auf einmal für die Vermögensverwaltungsprodukte zurückzuzahlen”, sagte Du Liang, Geschäftsführer von Evergrande Wealth Management zuletzt laut dem Wirtschaftsmagazin Caixin. “Investoren können mit Renditen rechnen, sobald die Immobilienprojekte von Evergrande verkauft worden sind”, fügte er hinzu.

Evergrande Wealth Management ging am 9. September mit einem Plan an die Öffentlichkeit. Er sieht vor, dass Anleger:innen innerhalb von fünf Jahren ihr Geld in bar ausgezahlt bekommen. Doch die meisten von ihnen lehnten den Plan weitestgehend ab – wohl auch wissend, dass fünf Jahre eine lange Zeit sind. Sie gehen damit das Risiko ein, dass die Zahlungen ausbleiben, sollte Evergrande zerschlagen werden, weil es doch nicht “too big to fail” ist und eine Zahlungsunfähigkeit droht (China.Table berichtete). 

Zuletzt wurde Investoren zugesagt, dass sie zwischen Wohngebäuden, Wohnungen, Geschäftsimmobilien und Parkplätzen als Entschädigungen wählen könnten. Evergrande versprach laut dem China Securities Journal, die Zahlung von Sachwerten in der zweiten Hälfte jedes Monats abzuwickeln und eine zentralisierte Registrierung und Online-Wohnungsauswahl einzurichten. Erst Ende September wurden die Manager der Vermögensverwaltung von Evergrande von den Behörden vorgeladen, um Einsicht in die Bücher zu bekommen und das Ausmaß des Schadens zu bewerten.

Baustellen sind verwaist

Evergrande-Gründer Xu Jiayin hatte zudem öffentlich zugesichert, dass Evergrande seine Verpflichtungen gegenüber Immobilienbesitzern, Anlegern, Partnerfirmen und Banken erfüllen werde. In einem Brief an seine Mitarbeiter zum chinesischen Mondfest versuchte Xu, Zuversicht zu verbreiten. Es sei sicher, dass das Unternehmen “seine dunkelste Stunde” hinter sich lassen werde (China.Table berichtete). Aber das war nur Tage, bevor neue Gerüchte die Runde machten, dass Peking den Immobilienentwickler wohl fallen lassen wird.

Etwa die Hälfte der Verbindlichkeiten von Evergrande bestehen gegenüber Lieferanten und Handelspartnern, Kunden, Mitarbeitern und Banken. Doch das Unternehmen hat auch von mehr als 1,5 Millionen Hauskäufern Anzahlungen für Immobilien erhalten, die zum Teil noch nicht einmal gebaut sind. Die Hauskäufer haben nicht nur Sorgen um die Fertigstellung der Bauprojekte. Sie befürchten darüber hinaus, dass sie die Kredite, die sie für den Kauf von Immobilien aufgenommen haben, trotzdem bezahlen müssen – auch wenn sie am Ende mit leeren Händen dastehen.

Immobilien haben in China eine enorme Bedeutung: Etwa 90 Prozent der Bevölkerung besitzen Eigentum und das Betongold macht bis zu 70 Prozent des Gesamtvermögens der Menschen in Großstädten aus. Derzeit ruht mindestens die Hälfte der etwa 800 Immobilienprojekte von Evergrande. Viele Baustellen sind schon seit Monaten verwaist. Rund 200 Milliarden US-Dollar haben Familien für Anzahlungen von Wohnungen von Evergrande ausgegeben, so schätzt Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, im Deutschlandfunk. Schon seit Wochen kommt es immer wieder zu Protesten. Viele Menschen sind verzweifelt und wütend.

Proteste am Hauptsitz von Evergrande

“Ich will mein Geld zurück, sonst springe ich” drohte eine Frau, die von Sicherheitsleuten von einem Glasgeländer am Hauptsitz von Evergrandes Bürogebäude in Shenzhen zurückgehalten wurd. Um sie herum herrscht Tumult. Mit ihr sind andere Wohnungskäufer da, die nach Bekanntwerden der Probleme gekommen sind, um Verantwortliche zur Rede zu stellen.

Ein Video dieser Szene wird in den sozialen Medien an dem Wochenende geteilt, an dem das Land sich im Feiertagsmodus befindet, um mit der Familie das Mondfest zu feiern. Eigentlich eine friedliche Zeit – doch dieses Jahr bewachen Polizisten Bürogebäude von Evergrande im ganzen Land. Sie fürchten Demonstrationen und Proteste. In der südchinesischen Stadt Chongqing etwa gingen Tausende Menschen erst vergangene Woche auf die Straße, um gegen den Immobilienentwickler zu protestieren. Es sind nicht nur Anleger, oft sind es auch Lieferanten oder Subunternehmer, die auf die Zahlungen ihrer Rechnungen oder Gehälter von Evergrande warten. Die Videos und Bilder auf den sozialen Medien setzen nicht nur Evergrande unter Druck.

Verzweifelte Kleinanleger wollen ihr Geld zurück

Wie groß die Wut der Menschen ist, die ihr Geld bei Evergrande – sei es in Wohnungen oder Vermögensverwaltungsprodukte – investiert haben, ist derzeit in einem Onlinevideo zu beobachten, in dem eine Frau den Evergrande-Gründer Xu Jiayin bei einer Gläubigerversammlung wüst beschimpft. Wie er es geschafft habe, sich so zu verschulden und so verantwortungslos mit dem Geld der Menschen zu zocken, schreit sie den Milliardär Xu vor versammeltem Publikum an und haut dabei – wie es eigentlich sonst nur für Chefs üblich ist – demonstrativ mit der flachen Hand auf den Konferenztisch. 

Es ist eher als Verzweiflung denn als Drohgebärde zu sehen. Viele der Kleinanleger und Kleinanlegerinnen, die in Evergrande investiert haben, warten seit Monaten vergeblich auf Zinszahlungen. Geld, womit sie bei ihren Investitionen geplant haben und das im Alltag gebraucht wird. 

Erfolgsgeschichte der KP in Gefahr

Aber auch die Zentralregierung in Peking gerät immer mehr unter Druck. Die Bürger wollen einen starken Staat, der sie beschützt. Das hat in der Coronakrise, trotz teils harscher Einschränkungen, gut funktioniert. Die Bevölkerung honoriert die Maßnahmen zu ihrem Schutz mit hohen Zustimmungsraten. Wenn es aber an die Substanz geht, ist es nicht weit her mit der Leidensfähigkeit und der G eduld. Die Botschaft, die die Partei offensichtlich senden will, ist klar: Auch größte Player in der chinesischen Wirtschaft sind nicht too big to fail. Auch sie müssen sich den Direktiven aus Peking beugen. Zuletzt hat die chinesische Regierung das in der Technologiebranche an den großen Namen wie Alibaba, Didi und Tencent demonstriert (China.Table berichtete).

Trägt sie diesen Konflikt allerdings auf dem Rücken der Kleinanleger aus, geht sie ein großes Risiko ein. Sie trifft damit die Bevölkerung, wo es am meisten schmerzt – dem Geldbeutel. Und da hört jeder Spaß auf. Den wichtigsten Teil ihrer Legitimität zieht die Kommunistische Partei nach wie vor aus der Tatsache, dass sie Millionen von Chinesen aus der Armut gehoben hat.

Ein Narrativ, das auch Staats- und Parteichef Xi Jinping nicht müde wird, immer und immer wieder zu betonen. Nicht auszudenken, was passiert, wenn die KP Tausende Kleinanleger und -anlegerinnen über die Klinge springen lässt, sie um deren Altersfinanzierung, angespartes Finanzpolster oder Eigentumswohnungen bringt. Es gab schon kleinere Anlässe, die die Partei in Aufruhr versetzt haben. Aber Xi Jinping pokert höher. Seine Zukunft hängt auch daran, wie er diesen Konflikt auflösen wird.

Zuletzt sprachen Analysten sogar davon, dass die Finanzprodukte von Evergrande womöglich einem Schneeballsystem unterlagen. Das dürfte zu noch mehr Aufregung führen.

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Hamburg: Willkommen für Cosco

Der erste aus China kommende Frachter, der 1982 am Hamburger Terminal Tollerort festmachte, hieß Fenhe 01. Er war 170 Meter lang, besaß eine Kapazität von gut 1.200 Standard-Containern (TEU) und zwei Bordkräne. Nach heutigem Maßstab ist das Schiff eine Nussschale: Inzwischen fertigt Tollerort auch die größten Containerschiffe mit einer Kapazität von über 22.000 Standardcontainern ab. Und Schiffe aus China sind längst keine Rarität mehr: Größter Kunde des Container Terminal Tollerort (CTT) ist heute die chinesische Reederei China Ocean Shipping Company, kurz Cosco.

Daher beschlossen Cosco und der Betreiber des CTT, die Hamburger Hafen Logistik AG, kurz HHLA, eine engere Bindung. Die an der Hongkonger Börse notierte Terminalsparte des chinesischen Konzerns, Cosco Shipping Ports Limited (CSPL), wird demnach eine Minderheitsbeteiligung von 35 Prozent am CTT bekommen. Damit werde Tollerort zu einem sogenannten “Preferred Hub” Coscos in Europa, an dem Ladungsströme konzentriert werden, teilte die HHLA mit. CSPL-Chef Zhang Dayu nannte Tollerort “eine wichtige Säule der Logistik in Europa” mit “sehr guten Entwicklungsperspektiven für die Zukunft”.

Tollerort ist einer von drei Containerterminals der HHLA im Hamburger Hafen. Die Anlage verfügt über vier Liegeplätze und 14 Containerbrücken, und ist mit fünf Gleisen zum Weitertransport in das Hinterland angebunden. Auch beim wachsenden Bahnverkehr ist eine Vernetzung mit China im Sinne Hamburgs, das sich durchaus als Teil der Neuen Seidenstraße begreift. Die Wirtschaftsbehörde berichtet auf Anfrage über neue Seidenstraßen-Containerzugverbindungen im ersten Halbjahr 2021, etwa von Hamburg nach Shijiazhuang in Hebei und Wuwei in Gansu. “Nahezu jeden Wochentag erreicht Ladung aus Xi’an die Terminals im Hafen”, so die Behörde. Auch mit Zhengzhou, Hauptstadt von Henan, gebe es eine direkte Verbindung.

Cosco-Einstieg wird in Hamburg als Chance gesehen

Alle Beteiligten in der Hansestadt sehen den Cosco-Deal jedenfalls als Stärkung der Rolle Hamburgs als zentraler europäischer Knotenpunkt für den Warenverkehr mit China. Die sonst bei Investitionen chinesischer Staatskonzerne übliche Kritik entfällt in der Hansestadt. Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher drückte bereits im Juli seine Unterstützung für den Cosco-Einstieg aus. Hamburg habe ein starkes Interesse daran, dass sein Hafen auch künftig am Handel Europas mit China partizipiert, so die Wirtschaftsbehörde zu China.Table. Der Tollerort-Einstieg sei auch ein “starkes Bekenntnis zu Hamburg” durch Cosco, das seinen europäischen Hauptsitz in der Hansestadt hat. Einzig die Gewerkschaft Ver.di sorgt sich um Arbeitsbedingungen und einen wachsenden “Einfluss der Reeder auf die lokalen Logistikbedingungen” durch solche Beteiligungen (China.Table berichtete).

Strategisches Ziel der Zusammenarbeit sei es, Cosco in einem Umfeld wachsenden Wettbewerbs unter den europäischen Häfen langfristig an den Standort Hamburg zu binden, sagte HHLA-Sprecher Hans-Jörg Heims China.Table. Der Kampf um Ladung habe in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. “Mit der Kooperation wird sichergestellt, dass die zukünftigen wachsenden Ladungsströme aus China auch weiterhin über einen deutschen Hafen geroutet werden, und damit verbundene Arbeitsplätze im Hamburger Hafen bei der HHLA gesichert werden“, so Heims. Für die HHLA bedeutet der Deal mehr Planungssicherheit.

Der HHLA-Aufsichtsrat hat dem Cosco-Einstieg bereits zugestimmt. Nun sind laut HHLA noch “verschiedene wettbewerbs- und außenwirtschaftsrechtliche Genehmigungen” nötig. Nach Angaben der Wirtschaftsbehörde gehört dazu unter anderem die Investitionsprüfung nach dem Außenwirtschaftsgesetz, ebenso wie eine Freigabe durch das Bundeskartellamt und die chinesischen Behörden.

Hamburg: Wachsender Umschlag mit China-Waren

China ist der wichtigste Handelspartner Deutschlands und damit auch Hamburgs. Jeder dritte in Hamburg umgeschlagene Container hat nach Angaben der Wirtschaftsbehörde seinen Ursprung oder sein Ziel in China. Im ersten Halbjahr 2021 legte der seeseitige – also nicht aus dem Hinterland einkommende – Containerumschlag des Hamburger Hafens mit China allen Schiffsstaus zum Trotz um 14,2 Prozent auf knapp 1,3 Millionen TEU zu. Das waren mehr als viermal so viele wie mit der Nummer 2, den USA (0,3 Millionen TEU).

Alle großen Terminals in Hamburg fertigen nach Angaben der Hafen Hamburg Marketing Schiffe aus China ab – einschließlich der Schwer-, Massen- und Stückgut-Terminals. Alle großen Reedereien, die Fernost-Dienste anbieten, laufen demnach Hamburg an, insgesamt rund ein Dutzend Liniendienste. Dazu gehören neben Cosco Shipping die Hamburg Süd, Hapag-Lloyd, Maersk, OOCL, Evergreen, CMA CGM, Yang Ming und andere.

China baut Engagement in Europas Häfen weiter aus

Hamburg ist indes nicht der erste Hafen, in den chinesisches Kapital fließt. Cosco und seine Partnerfirma China Merchants haben bereits in 14 europäische Häfen investiert. Dazu zählen Mehrheitsbeteiligungen in Valencia und Bilbao, sowie Anteile an den Nordrange-Häfen Rotterdam, Antwerpen und Zeebrügge. Über die sogenannte Nordrange, die aus den wichtigen kontinentaleuropäischen Häfen an der Nordsee besteht, werden etwa 80 % des europäischen Im- und Exports abgewickelt.

Das wichtigste Projekt Chinas in Europa aber ist der griechische Hafen Piräus bei Athen (China.Table berichtete). Dort bekam Cosco 2008 die Betriebslizenz für zwei Kais. 2016 übernahm das Unternehmen die Aktienmehrheit des gesamten Hafens – und baute ihn seither massiv aus. Zwischen 2008 und 2020 verdreizehnfachte sich der Containerumschlag in Piräus; der einst marode Hafen liegt in Europa beim Umschlag der Stahlboxen nun auf Rang vier – hinter Rotterdam, Antwerpen und Hamburg, und noch vor Bremerhaven.

In Deutschland ist Tollerort nun das zweite chinesische Projekt. In Wilhelmshaven, Deutschlands einzigem Tiefseehafen, unterzeichnete China Logistics einen Erbbaurechtsvertrag über 20 Hektar im Güterverkehrszentrum des Jade-Weser-Port Wilhelmshaven, um dort ein Logistikzentrum namens “China Logistics-Wilhelmshaven Hub” zu bauen. Der Bau verzögerte sich allerdings durch die Corona-Pandemie. Von Wilhelmshaven aus bedienen die Reederei-Verbünde Ocean Alliance und 2M mit Containerschiffen China.

Brüssel gilt derweil nicht als Fan der immer zahlreicheren Hafenbeteiligungen chinesischer Firmen in Europa. So gab es Kritik, dass der Cosco-Einstieg in Piräus dort zu niedrigeren Löhnen, höheren Mieten und einer Benachteiligung lokaler Anbieter geführt habe. All das soll in Hamburg nicht geschehen. Die Transaktion hat nach Angaben der Wirtschaftsbehörde keinen Einfluss auf bestehende Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen. Die Sorgen der Gewerkschaft Ver.di um die künftigen Arbeitsbedingungen seien unbegründet, sagt auch Heims von der HHLA. “Gerade, weil wir Beschäftigung im Hafen auch in der Zukunft sichern wollen, haben wir die Kooperation mit CSPL angestrebt.” Die HHLA behalte als Mehrheitseigner die unternehmerische Kontrolle.

Cosco und HHLA: Wie es weitergeht

Die HHLA sieht das Cosco-Engagement im Tollerort auch nur als Beginn einer langfristigen Partnerschaft. Diese solle “über den Hamburger Hafen hinaus Wirkung entfalten”, sagt Heims. “Mit einem wachsenden gemeinsamen Interesse können beide Unternehmen auch die Logistikströme von Waren aus China durch Europa auf dem Schienenweg effektiver steuern.” Was wiederum Hamburgs Rolle als Hub weiter stärken wird.

Die HHLA ist auch im Ausland aktiv. Sie hält die Mehrheit an einem Multifunktions-Terminal des italienischen Seehafens Triest, betreibt einen Multifunktions-Terminal im Hafen von Muuga, nahe der estnischen Hauptstadt Tallinn, sowie den größten Containerterminal der Ukraine in Odessa am Schwarzen Meer. Kooperationen mit Cosco in Triest oder anderen Häfen in Europa sind laut Heims aber nicht geplant.

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Konkurrenzdruck aus China wird spürbar

Chinas Industriechampions erobern die Weltmärkte, der Konkurrenzdruck wird spürbar: 2020 waren erstmals mehr chinesische als US-amerikanische Unternehmen in der Fortune-500-Liste, in 2021 setzte sich dieser Trend fort. Insbesondere Staatsunternehmen aus der Volksrepublik stechen dabei hervor. Die Veranstaltungsreihe zu den Wirtschaftsbeziehungen mit China am Institut für Weltwirtschaft (IfW) Kiel stellte sich deshalb die Frage: “Chinas Konkurrenz für Europas Unternehmen: Fairer Wettbewerb oder unerlaubte Subventionierung?” Antworten darauf gaben am Donnerstag der Ökonom Jürgen Matthes und der Juraprofessor Dietmar Baetge.

Jürgen Matthes, Leiter des Kompetenzfelds Internationale Wirtschaftsordnung und Konjunktur am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln, betonte, dass China die eigene Wirtschaft im erheblichen Umfang subventioniere. Dafür gebe es Belege. Mangelnde Transparenz von chinesischer Seite mache es jedoch schwer, die gesamte Subventionsvielfalt zu erfassen, so Matthes. Der Staat unterstütze die gesamte Wertschöpfungskette. Die Auswirkungen lassen sich auch an den zum Teil entstehenden Überkapazitäten ablesen. Diese seien außergewöhnlich groß und führten zu erheblichen Verzerrungen- nicht nur in China, sondern auch auf dem Weltmarkt, warnte der Ökonom. Die westliche Solarindustrie hatte genau damit bittere Bekanntschaft gemacht.

Chinas Exporte verschieben sich hin zu anspruchsvollen Produkten

Für westliche Unternehmen schlägt sich das bereits jetzt in zunehmendem Konkurrenzdruck nieder, wie eine Befragung des IW unter mehr als 1.000 deutschen Unternehmen ergab. Der Wettbewerbsdruck habe eine große Relevanz, vor allem in Unternehmen mit einem hohen Exportanteil, erklärte Matthes. “In Industrieunternehmen ist die Konkurrenz sogar ein dringerendes Problem als Protektionismus.”

Matthes hat die Ergebnisse seiner Untersuchung bereits hier im China.Table dargelegt: China dringt mit seinen Exporten immer mehr in die Branchen vor, in denen die deutsche Wirtschaft ihre Stärken hat wie Maschinen- und Automobilbau. Das zeige ein Blick auf die Marktanteile der Volksrepublik und Deutschlands bei den EU-Importen zwischen 2000 und 2019.

Chinas Anteile sind Matthes zufolge hier sehr deutlich gestiegen, Deutschlands Anteile waren dagegen seit 2005 leicht rückläufig. Bei anspruchsvollen industriellen Produktgruppen, in denen Deutschland stärker spezialisiert ist, sei der Gegensatz etwas ausgeprägter als im Warenhandel insgesamt. Zudem haben sich die chinesischen Exporte sehr deutlich in Richtung der anspruchsvollen Industriewaren verschoben, so Matthes.

Der Ökonom warnt jedoch vor vorschnellen Kausalitätsschlüssen. Ob der Vorstoß der Volksrepublik der Hauptgrund für den moderaten Rückgang auf deutscher Seite sei, sei nicht untersucht worden. “Es ist aber ein gewisses Indiz dafür, dass China uns hier zunehmend auf die Pelle rückt”, so Matthes. Die Studie und auch die Umfrage bei den Unternehmen sei als Bestandsaufnahme zu lesen.

Vor allem Großunternehmen unter Druck

Die Bilanz der Befragten ist vor allem bei den exportorientierten Unternehmen deutlich: Das Problem des Konkurrenzdrucks nimmt zu. Bezogen auf den Wettbewerbsdruck durch China antwortete von allen befragten Unternehmen nur rund ein Siebtel, dass sie die Konkurrenz als “eher groß bis sehr groß” ansehen. “Das verwundert jedoch nicht, da viele Unternehmen auf den heimischen Markt fokussiert und nicht international aktiv sind”, schreibt Matthes in der Studie.

Bei Großunternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten oder nur Industrieunternehmen liege der Anteil mit knapp einem Drittel der eher oder sehr betroffenen Unternehmen deutlich höher. Ähnlich sieht es bei Unternehmen mit einem Exportanteil von mehr als 25 Prozent oder mit Auslandsproduktion aus. “Offensichtlich ist der empfundene Konkurrenzdruck deutlich größer, wenn die Unternehmen auf dem Weltmarkt aktiv sind.”

Matthes und Dietmar Baetge, Professor für Internationales Handelsrecht und Wirtschaftsprivatrecht an der Technischen Hochschule Wildau, gehen davon aus, dass sich diese Entwicklung in den kommenden Jahren noch verschärft – denn die Staatsunternehmen gewinnen auch unter der Strategie “Made in China 2025” (MIC 25) weiter an Bedeutung. Die Volksrepublik halte außerdem Handelsbarrieren aufrecht.

Baetges: Investitionsabkommen CAI kein “Retter in der Not”

Eine einfache Möglichkeit zur Neujustierung der Wettbewerbsschrauben gibt es nach Ansicht Baetges leider nicht – denn der Hauptvorteil Chinas liegt im Staatskapitalismus. “Und auf der Welthandelsebene kann jeder Staat sein Wirtschaftssystem frei bestimmen.” Die Organisationen und Mechanismen, die das Problem zumindest tangieren könnten, sind derzeit allerdings schachmatt gesetzt: Der Streit um das Streitbeilegungsverfahren der Welthandelsorganisation (WTO) hat das Verfahren lahmgelegt. Abgesehen davon, ist das WTO-China-Verhältnis komplex: “Die WTO hat keine Vorgaben, was ein bestimmtes Wirtschaftssystem angeht”, so Baetge, somit auch keine Handhabe bei den Staatsunternehmen. Zudem gebe es bei den Subventionsregeln keine allgemeine wettbewerbspolitische Zielsetzung.

Auch das von der Europäischen Union anvisierte Investitionsabkommen CAI sei kein “Retter in der Not”, so Baetge. “Viele Fragen im CAI bleiben ungelöst.” Das Ziel, mit dem Abkommen ein Level Playing Field, also gleiche Wettbewerbsbedingungen, zu schaffen, sei nicht erreicht worden. Das CAI liegt derzeit ohnehin auf Eis. Auch einseitige Maßnahmen wie das von der EU-Kommission geplante Anti-Zwangs-Instrument (“Anti-Coercion Instrument”) sind laut Baetge keine ideale Lösung: “Wenn wir einseitige Maßnahmen erlassen können, können das die anderen auch.” Auch Anti-Dumping-Zölle seien mittlerweile eine hochpolitische Angelegenheit.

Lange To-do-Liste für die WTO

Das Fazit der beiden Experten: Es muss an mehreren Ecken gearbeitet werden, um der chinesischen Wettbewerbsverzerrung die Stirn zu bieten. Auf der To-do-Empfehlungsliste von Baetge für die WTO: Die Streitbeilegung erneuern, Chinas Vorteil als Entwicklungsland abbauen, ein umfassendes Subventionsverbot und allgemeine Wettbewerbsregeln. Auch auf die Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA könnte ein Fokus gelegt werden, wie in dieser Woche mit dem “EU-US Tech and Trade Council” (TTC) in Pittsburgh (China.Table berichtete).

Lösungen müssten jedoch gefunden werden, betonten beide Experten. Denn letztendlich seien die Leidtragenden der zunehmenden Wettbewerbsverzerrung die Konsumenten.

Die nächste Veranstaltung aus der Reihe findet am 21. Oktober statt, diesmal auf Englisch: 40 Years of Poverty Alleviation in China (TBC). Teilnehmer wird unter anderem Martin Raiser, China-Direktor der Weltbank, sein. Die Anmeldung ist ab Anfang Oktober möglich.

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Termine

04.10.2021, 21:00 Uhr (05.10.2021, 03:00 Uhr Beijing Time)
Institute for Peace & Diplomacy, Webinar: After the Two Michaels: How should Canada navigate the US-China rivalry?

04.10.2021, 22:00 Uhr (04:00 Uhr Beijing Time)
Harvard Fairbank Center, Vortrag: China Humanities Seminar Featuring Stephanie Balkwill – Another Cakravartin Ruler? Feminist History and the History of Buddhism in Early Medieval China Mehr

05.10.2021, 13:00 Uhr (19:00 Uhr Beijing Time)
Dezan Shira & Associates, Webinar: 928 Startup Challenge | Business Environment in the Greater Bay Area Mehr

07.10.2021, 12:00 Uhr (18:00 Uhr Beijing Time)
Founder Institute Frankfurt, Webinar: Unicorn or Dragon? How can Early Stage Founders Tap into the Chinese Market Mehr

07.10.2021, 17:30 Uhr (23:30 Uhr Beijing Time)
CSIS, Report Launch: “Chinese State Capitalism: Diagnosis and Prognosis” Mehr

08.10.2021, 02:00 Uhr (08:00 Uhr Beijing Time)
Harvard Fairbank Center, Vortrag: Weixia Gu – Dispute Resolution in China: Litigation, Arbitration, Mediation and their Interactions Mehr

News

Verarbeitendes Gewerbe schrumpft

Chinas verarbeitendes Gewerbe hat im September weniger produziert. Wie das Pekinger Statistikamt am Donnerstag mitteilte, fiel der offizielle Einkaufsmanagerindex (PMI) für das verarbeitende Gewerbe auf 49,6 Punkte. Im August lag der Konjunkturindikator noch bei 50,1 Punkten. Während ein Wert über 50 eine Expansion der Industrie anzeigt, wird ein Wert darunter als ein Rückgang der Wirtschaftstätigkeit gesehen. Damit endet Chinas 18 Monate andauernde Expansion in dem Sektor, die nach der Corona-Pandemie einsetzte. Zhao Qinghe, Ökonom beim Nationalen Statistikamt führte dies auf die schwache Stimmung bei Unternehmen in energieintensiven Branchen wie der Öl-, Kohle-, Gummi- und Kunststoffindustrie zurück, so die South China Morning Post.

Mehr als die Hälfte der chinesischen Provinzen hat die Energieverbrauchsziele der Zentralregierung in der ersten Jahreshälfte nicht erreicht, so Chinas staatlicher Wirtschaftsplaner. Viele Ortschaften in diesen Provinzen – darunter die Wirtschaftszentren der Provinzen Jiangsu, Zhejiang und Guangdong – haben einen streng begrenzten Stromverbrauch für Unternehmen und Fabriken vorgeschrieben. Auch ausländische und deutsche Unternehmen in China sind von Pekings Strombegrenzungen betroffen.

Der schwache PMI habe die Regierung alarmiert, zitierte Bloomberg Zhang Zhiwei, Chefökonom von Pinpoint Asset Management Ltd. “Die große Frage ist nun, ob die Geld- und Fiskalpolitik der Regierung bereits jetzt unterstützend eingreift oder ob sie bis zum Ende des Jahres mit einem Kurswechsel abwartet.” niw

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Investoren etwas vorsichtiger bei China-Engagement

Große Investoren wie Pensionsfonds und Versicherer haben in einer Umfrage angegeben, ihr China-Engagement derzeit vorsichtiger auszuweiten, wie Financial Times berichtete. Eine Umfrage unter mehr als 200 Vermögensverwaltern ergab, dass zwölf Prozent ihr Engagement in China verringern wollen. 2019 als die Umfrage zuletzt erhoben wurde, waren es noch vier Prozent. Allerdings gaben 64 Prozent der Vermögensverwalter an, ihr China-Engagement ausweiten zu wollen. 2019 lag diese Zahl bei 80 Prozent.

Laut einer Erhebung von Goldman Sachs könnten bis zu umgerechnet 2,7 Billionen Euro an Marktkapitalisierung in China weiteren regulatorischen Unsicherheiten ausgesetzt sein. Peking hatte im Sommer angefangen, regulatorische Maßnahmen (China.Table berichtete) gegen eine Vielzahl von Sektoren – von der Tech-Branche bis hin zum Immobilienmarkt – durchzusetzen. nib

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Peking legt Details zu Datengesetz vor

Peking hat am Donnerstag einen Entwurf mit Details zu seinem Datensicherheitsgesetz vorgelegt, wie Reuters berichtet. Die Behörden definieren darin, welche Daten als gewöhnliche Daten, wichtige Daten und “Kerndaten” gelten. Gewöhnliche Daten sind demnach solche, die nur minimale Auswirkungen auf die Gesellschaft haben und nur wenige Personen und Unternehmen betreffen. Wichtige Daten seien solche, die eine Bedrohung für Chinas nationale und wirtschaftliche Interessen darstellten. Auch Daten, die die Rechte von Einzelpersonen oder Organisationen beeinträchtigen, werden so definiert.

“Kerndaten” werden definiert als Daten, die eine “ernsthafte Bedrohung” für Chinas nationale und wirtschaftliche Sicherheit und Interessen darstellen. Experten hatten das am 1. September veröffentlichte Datensicherheitsgesetz als zu vage beschrieben und damals kritisiert, dass es keine Definition für die Daten enthalte.

Die Regulierer halten nun zudem fest, dass Organisationen eine Genehmigung brauchen, um “Kerndaten” und wichtige Daten über Landesgrenzen hinweg zu transferieren. Dafür solle ein spezieller Mechanismus eingerichtet werden. Details nannte Reuters dazu nicht. nib

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Seltene Erden: EU soll 200 Millionen pro Jahr investieren

Mit einem Förderfonds über 200 Millionen Euro pro Jahr soll die EU die europäische Produktion von Seltenerdmagneten ankurbeln, die für Elektroautos und Windkraftanlagen unerlässlich sind. Das forderte die European Raw Materials Alliance (ERMA) am Donnerstag. Auf diese Weise soll die Abhängigkeit von China verringert werden.

Laut ERMA sollten Produzenten Steuererleichterungen bekommen als Teil des EU-Plans, bis 2030 ein Fünftel ihres eigenen Bedarfs an Magneten selbst zu produzieren. Derzeit werden 95 Prozent der Magnete der EU aus der Volksrepublik importiert. Die EU berät deshalb über Möglichkeiten, europäische Produzenten zu unterstützen, um sie konkurrenzfähig zu machen.

Die ERMA fordert, dass die EU gleiche Wettbewerbsbedingungen zu China schaffen müsse, da chinesische Magnete aufgrund der staatlichen Subvention aus Peking 20 bis 30 Prozent günstiger sind als europäische Produkte. Produzenten haben der ERMA 14 Projekte im Gesamtumfang von 1,7 Milliarden Euro vorgeschlagen, die es der EU ermöglichen würden, die Produktion von Permanentmagneten bis 2030 von derzeit 500 Tonnen auf 7.000 Tonnen zu vergrößern. rtr/luk

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  • Seltene Erden

Presseschau

Hong Kong seeks to resurrect legislation to further crush dissent THE GUARDIAN
US, Philippines assessing defense treaty, China wary INDEPENDENT
‘There’s cameras everywhere’: testimonies detail far-reaching surveillance of Uyghurs in China THE GUARDIAN (PAY)
China Levels Series of Allegations Against Former Law-Enforcement Official Sun Lijun WSJ (PAY)
US should show sincerity and come up with a realistic dialogue plan for Korean Peninsula: Chinese FM GLOBALTIMES (STAATSMEDIUM)
Deutsche Industrie bangt um chinesische Lieferanten FAZ (PAY)
Evergrande-Krise: Chinas Zentralbank fordert Stabilisierung des Immobilienmarkts SPIEGEL
Kohle-Engpässe setzen Chinas Wirtschaft unter Druck – Bürger fürchten Heizprobleme HANDELSBLATT (PAY)
VW-Desaster in China – Tesla, BYD und ein Mini von GM fahren davon DER AKTIONÄR
Deutsche Chinapolitik: “Das sind Szenarien, auf die sich die neue Regierung vorbereiten muss” WELT (PAY)

Kolumne

Die Rückkehr der Danwei 2.0

Von Johnny Erling
Ein Bild von Johnny Erling

Mehr als 90 Prozent aller Stadtbewohner Chinas gehörten nach 1949 einer Danwei (单位 = Arbeitseinheit) an. Sie galt als Grundpfeiler der sozialistischen Planwirtschaft. Fabriken, Behörden, Wohngebiete, Krankenhäuser, Schulen oder Universitäten waren jeweils eine Danwei. Sie garantierte jedem, der ihr angehörte, neben dem lebenslang sicheren Arbeitsplatz auch ein Mindestmaß an medizinischer Betreuung und sozialer Rundum-Versorgung.

Die Danwei nannte sich “klein aber umfassend” (小而全), war für alles zuständig, von der Beschaffung einer Wohnung bis zum Krippenplatz. Ihre Administration bewilligte Ehen oder Scheidungen. Durch Chinas marktwirtschaftliche Reformen ab 1978 verlor die Danwei ihre sozialen und amtlichen Befugnisse. Der Partei diente sie einst als unterste Verwaltungseinheit für politische Schulungen, Überwachung und Mobilisierung der Basis. Diese Rolle will Pekings Führung jetzt neu aufleben lassen als Teil ihrer Re-Ideologisierung der Gesellschaft.

Als Parteichef Xi Jinping vergangenen September in Peking den Sieg Chinas über die Covid-19-Pandemie feiern ließ, lobte er nicht nur sich selbst und seine KP dafür. Er nannte eine Zahl, die aufhorchen ließ. Beigetragen hätten auch “mehr als vier Millionen Beteiligte auf kommunaler Ebene (社区工作者), die Tag und Nacht Wache hielten.” Xi meinte die lokalen Nachbarschafts-Komitees, Überbleibsel der verflossenen Danwei aus planwirtschaftlichen Zeiten.

Xi lobte die “kommunale Ebene” im Kampf gegen Covid-19

Peking hatte zur Abwehr der Infektion eine Armee aus Blockwarten und anderen Aufpassern in den städtischen Wohnvierteln mobilisiert. Ausgestattet mit Sondervollmachten verriegelten die Männer und Frauen für den angeordneten vollständigen Lockdown alle Eingänge zu Gebäuden und Häusern, kontrollierten sie Tag und Nacht und organisierten eine von außen gelieferte Versorgung der Bewohner. 

Chinas Kommunisten hatten nach ihrem Sieg und der Gründung der Volksrepublik 1949 das sogenannte Danwei-System in allen Städten aufgebaut. Es fußte auf dem Gemeineigentum und Maos utopischen Sozialismus-Ideen über eine egalitäre Verteilung. Vorbilder für den Aufbau der Arbeitseinheiten in den Städten der Volksrepublik wurden sowohl die Erfahrungen der Verwaltung in den Revolutionsgebieten von Yan’an, als auch die Einflüsse traditioneller konfuzianischer Kultur, die den Einzelnen in den kollektiven Verband der Großfamilie einordnete. Das schreiben Zhou Yihu und Yang Xiaoming in ihrem Standardwerk “Das chinesische Danwei-System” (中国单位制度). Die sozialistische Danwei verwaltete ausschließlich die Stadtbewohner. Daher erfasste sie nur zehn bis 28 Prozent aller Chinesen in einer Zeit, als 80 Prozent der Bevölkerung noch als Bauern auf dem Land lebten. 

Standartwerk "Das chinesische Danwei-System" von Zhou Yihu und Yang Xiaomin
Die Soziologen Zhou Yihu und Yang Xiaomin schrieben 1999 ein Standardwerk über “Das chinesische Danwei-System”, als sich das Relikt der Planwirtschaft gerade auflöste. Nun scheint es in China wieder im Kommen zu sein.

Das Buch der beiden Soziologen erschien 1999 und stellte die Danwei zwei Jahrzehnte nach Beginn der chinesischen Wirtschaftsreformen “als ein System in Auflösung” vorDer Aufschwung der Privatwirtschaft und die erstmals erlaubte Freizügigkeit beim Reisen hatte Hunderte Millionen Bauern auf Arbeitssuche in die Städte strömen lassen. Fabriken und Institute trennten sich von allem früheren Danwei-Balast, wie den unproduktiven sozialen Fürsorgeleistungen. Die Arbeitseinheiten garantierten nicht mehr den ewigen Arbeitsplatz. Nach 2003 verlor sie auch alle amtlichen Funktionen. Chinesen wurden aus ihrer Unmündigkeit entlassen und durften selbst – ohne schriftliche Befürwortung einer Danwei – für sich Reisepässe beantragen, heiraten oder sich scheiden lassen.

Der Staat zog sich aus seiner Einmischung und Kontrolle des Privatlebens der Chinesen fast völlig zurück, der haushaltsüblich verbreitete Name verschwand. Vom früheren Danwei-System blieben bald nur noch die Nachbarschaftskomitees übrig, die Aufsicht über die Wohnviertel und die öffentliche Ordnung führten und noch mithalfen, die Durchsetzung der verordneten Einkind-Familienpolitik zu überwachen.

Nun scheint das Relikt der Planwirtschaft in China wieder im Kommen zu sein. Seit dem Amtsantritt von KP-Chef Xi versucht seine Partei Teile des Systems erneut zu beleben und sich auf der Lokalebene besser zu verankern. 2019 ließ sich der Pekinger Professor Zhou Wang von einem Nachbarschaftskomitee als “Danwei-Ren” rekrutieren, als neuer Mitarbeiter. Seine Aufgabe ist, das Management der Nachbarschaftsgemeinschaft zu optimieren.

Neue “Danwei-Ren” als rote Blutkörperchen des Staatsapparats

Zhou, selbst ein KP-Mitglied, schildert in einem Aufsatz für das Magazin Caixin: “Warum China sein Danwei-System entstaubt?”, dass die Partei wieder mehr Einfluss auf die lokale Ebene ausüben will. “Die Rückkehr des Danwei-Ren in das Community-Management ist Teil einer breit angelegten Initiative, um die Reichweite der Parteiorganisationen auf die lokale Ebene zu intensivieren.” Die dazu eingestellten “Danwei-Ren” würden die “roten Blutkörperchen des Staatsapparats genannt, die den Willen und die Interessen der Partei wie Sauerstoff zu den verschiedenen lokalen Verwaltungsorganen transportieren.” Die “Danwei-Ren” bildeten “ein großes Netzwerk und sind ein Pool von Ressourcen, auf die die Partei zurückgreifen kann.”

Parteichef Xi, der sich die Re-Ideologisierung Chinas und absolute Parteiherrschaft auf seine Fahnen geschrieben hat, setzt zugleich auf die Anwendung von Hightech, um moderne Kontrollsysteme zu institutionalisieren, die ihm und seiner KP die Überwachung und Mobilisierung der Bevölkerung besser ermöglichen. Seit 2014 ist Peking dabei, ein Bonitätssystem mit Sozialkreditpunkten zu entwickeln, über das die Kredit- und Vertrauenswürdigkeit jedes einzelnen Chinesen, seiner Familie, aber auch jedes Wirtschaftsunternehmen oder Institution gemessen werden können: Blitzschnell und unvergleichlich effizienter als es die alte Danwei-Administration bewerkstelligte.

Der Pekinger Philosoph Zhao Tingyang warnt in seinem Buch “Über das Tianxia-System” (Alles unter dem Himmel, Suhrkamp 2020), dass die Menschheit in Gefahr ist, sich weltweit und auch noch freiwillig einer zukünftigen “Service-Diktatur” und ihrer Kontrolle auszuliefern. “Es handelt sich um eine völlig neue Form von Diktatur.” Ohne konkret China oder das Danwei-System zu nennen, (wohl aber auf sie anzuspielen) schreibt er: Die Menschheit sei durch “die Verbindung von Biologie, künstlicher Intelligenz (KI) und sozialen Netzwerken” mit “einigen hochriskanten Dingen zu Gange.”

Weil die technischen Systeme “jedermann einen Top- und Rundum-Service bieten”, akzeptieren dessen Nutznießer, dass sie die “Informationen jedes Menschen sammeln und überwachen” und ihn in eine “unauflösbare Abhängigkeit” führen. Die Menschen würden sich “freiwillig kontrollieren lassen, weil sie das Gesamtpaket der vom technologischen System bereitgestellten Service-Leistungen benötigen.”

China führt in diesen KI-Technologien. Sie liefern das perfekte Setting für die Neuauflage eines Danwei-System 2.0. 

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Personalien

Gavin Allen ist neuer Chefredakteur beim Telekommunikationsausrüster Huawei. Allen war zuletzt sieben Jahre lang Leiter der Nachrichtenausgabe der BBC. Seine Ernennung erfolgt inmitten der angespannten Beziehungen zwischen China und dem britischen TV-Sender (China.Table berichtete).

Jörg Mull ist zum Executive Vice President der Volkswagen Group China mit Verantwortung für Finanzen ernannt worden. Mull ist seit 2002 bei der Volkswagen AG in unterschiedlichen Positionen in Deutschland, Großbritannien und China tätig.

  • BBC
  • CGTN
  • Huawei

Dessert

Online-Shopping mit Katzenohren: Eine Ausstellerin verkauft beim International Cartoon and Animation Festival (CICAF) in Hangzhou ihre Waren per Livestream an Fans. Die Convention zieht laut Veranstaltern jährlich Besucher aus rund “50 Ländern und Regionen” an. Ob in diesem Jahr angesichts der strengen Corona-Einreiseregeln auch ausländische Cartoon-Fans das Festival besuchten, war nicht bekannt.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Evergrande gefährdet auch die KP
    • Hamburg begrüßt Cosco-Einstieg
    • Debatte um Subventionen: CAI “kein Retter in der Not”
    • Termine der Woche
    • Weniger Aktivität im verarbeitenden Gewerbe
    • Mehr Unabhängigkeit bei Magneten aus Seltenen Erden gefordert
    • Regulierung hat nur wenig Einfluss auf Investoren
    • Behörden konkretisieren Datensicherheitsgesetz
    • Johnny Erling über die Wiederauferstehung der Danwei
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    in China fürchten gerade Zehntausende Kleinanlegerinnen und Kleinanleger um ihr Erspartes. Sie haben viel Geld in Evergrandes Vermögensprodukte gesteckt und bangen nun, ob der Staat eingreift und sie rettet oder Evergrande Zahlungen ausfallen lässt. Viele gehen auf die Straße, einige lassen ihren Frust sogar direkt am Evergrande-Gründer aus. Das Debakel um den Immobilienriesen bedroht auch die KP um Xi Jinping. Wie Xi die Krise löst, wird seine Zukunft mitbestimmen, analysiert Ning Wang.

    Chinas Staatssubventionen bereiten der deutschen Wirtschaft zunehmend Sorgen. Unternehmen aus der Volksrepublik haben – auch dank Subventionen – so sehr aufgeholt, dass sie selbst der hoch entwickelten deutschen Exportwirtschaft Konkurrenz machen. Doch was tun gegen die hohen Staatssubventionen? Wirtschaftsexperten diskutierten darüber bei der Reihe “Global China Conversations” des IfW Kiel. Sie kommen zu dem Schluss: Das Investitionsabkommen der EU mit China ist kein “Retter in der Not”, die WTO ist blockiert und weitere Handelsinstrumente sind riskant, analysiert Amelie Richter.

    Johnny Erling widmet sich in seiner heutigen Kolumne dem Wiederaufbau des Danwei-Systems. Diese Arbeitseinheiten dienten der KP lange als unterste Verwaltungsebene. Bis zu den Wirtschaftsreformen kontrollierten sie das tägliche Leben der Menschen in den Städten fast vollständig. Jetzt scheint es zu einem Aufleben der Danwei zu kommen. Schon in der Corona-Pandemie kontrollierten Überbleibsel der Arbeitseinheiten als Art Blockwarte die strikte Durchsetzung der Vorgaben. Mit High-Tech und Künstlicher Intelligenz könnte die Überwachung in neuer Vehemenz zurückkommen.

    Wir wünschen Ihnen an entspanntes Wochenende!

    Ihr
    Nico Beckert
    Bild von Nico  Beckert

    Analyse

    Lässt Evergrande die Kleinanleger hängen?

    Zinsen von 7,5 Prozent hatte Frau Liu aus Shanghai von ihrem Bankberater angepriesen bekommen, wenn sie in Wertpapiere von Evergrande anlegt. Sie investierte, denn wenig andere Finanzprodukte bieten so hohe Rendite. Die Vermögensverwaltungsprodukte von Evergrande gelten als so gut “wie garantiert”, wie ihre Bank betonte – die sicherte ihr auch zu, dass Evergrandes Finanzprodukte für “konservative Anleger, eine stetige Rendite” abwerfen.

    Seitdem bekannt ist, dass der Immobilienentwickler, der neben Anleihen für Großinvestoren und Banken auch Vermögensverwaltungsprodukte für kleine Privatanleger vertreibt, auf einem Schuldenberg von mehr als 300 Milliarden US-Dollar sitzt, schläft Frau Liu schlecht. “Alle meine Ersparnisse habe ich investiert. Es ist für unsere Altersvorsorge. Wir haben hart dafür gearbeitet. Jetzt ist alles weg”, sagt sie zu China.Table.

    Sie gehört zu den rund 80.000 Kleinanleger:innen, die ihr Geld in Finanzprodukte von Evergrande investiert haben. Wie Frau Liu haben Mitarbeiter von Evergrande, ihre Familienmitglieder, deren Freunde und Bekannte in den vergangenen fünf Jahren in Produkte von Evergrande Wealth Managment angelegt: Umgerechnet wurden mehr als 13,3 Milliarden Euro investiert. Evergrandes Vermögensverwaltungsarm ist durch seine Bauprojekte im ganzen Land bekannt und genoss durch die breite Sichtbarkeit des Immobilienriesen einen guten Ruf.

    Wird Peking Evergrande zerschlagen?

    “Im Moment ist es für Evergrande schwierig, 40 Milliarden Yuan (umgerechnet 5,3 Milliarden Euro) auf einmal für die Vermögensverwaltungsprodukte zurückzuzahlen”, sagte Du Liang, Geschäftsführer von Evergrande Wealth Management zuletzt laut dem Wirtschaftsmagazin Caixin. “Investoren können mit Renditen rechnen, sobald die Immobilienprojekte von Evergrande verkauft worden sind”, fügte er hinzu.

    Evergrande Wealth Management ging am 9. September mit einem Plan an die Öffentlichkeit. Er sieht vor, dass Anleger:innen innerhalb von fünf Jahren ihr Geld in bar ausgezahlt bekommen. Doch die meisten von ihnen lehnten den Plan weitestgehend ab – wohl auch wissend, dass fünf Jahre eine lange Zeit sind. Sie gehen damit das Risiko ein, dass die Zahlungen ausbleiben, sollte Evergrande zerschlagen werden, weil es doch nicht “too big to fail” ist und eine Zahlungsunfähigkeit droht (China.Table berichtete). 

    Zuletzt wurde Investoren zugesagt, dass sie zwischen Wohngebäuden, Wohnungen, Geschäftsimmobilien und Parkplätzen als Entschädigungen wählen könnten. Evergrande versprach laut dem China Securities Journal, die Zahlung von Sachwerten in der zweiten Hälfte jedes Monats abzuwickeln und eine zentralisierte Registrierung und Online-Wohnungsauswahl einzurichten. Erst Ende September wurden die Manager der Vermögensverwaltung von Evergrande von den Behörden vorgeladen, um Einsicht in die Bücher zu bekommen und das Ausmaß des Schadens zu bewerten.

    Baustellen sind verwaist

    Evergrande-Gründer Xu Jiayin hatte zudem öffentlich zugesichert, dass Evergrande seine Verpflichtungen gegenüber Immobilienbesitzern, Anlegern, Partnerfirmen und Banken erfüllen werde. In einem Brief an seine Mitarbeiter zum chinesischen Mondfest versuchte Xu, Zuversicht zu verbreiten. Es sei sicher, dass das Unternehmen “seine dunkelste Stunde” hinter sich lassen werde (China.Table berichtete). Aber das war nur Tage, bevor neue Gerüchte die Runde machten, dass Peking den Immobilienentwickler wohl fallen lassen wird.

    Etwa die Hälfte der Verbindlichkeiten von Evergrande bestehen gegenüber Lieferanten und Handelspartnern, Kunden, Mitarbeitern und Banken. Doch das Unternehmen hat auch von mehr als 1,5 Millionen Hauskäufern Anzahlungen für Immobilien erhalten, die zum Teil noch nicht einmal gebaut sind. Die Hauskäufer haben nicht nur Sorgen um die Fertigstellung der Bauprojekte. Sie befürchten darüber hinaus, dass sie die Kredite, die sie für den Kauf von Immobilien aufgenommen haben, trotzdem bezahlen müssen – auch wenn sie am Ende mit leeren Händen dastehen.

    Immobilien haben in China eine enorme Bedeutung: Etwa 90 Prozent der Bevölkerung besitzen Eigentum und das Betongold macht bis zu 70 Prozent des Gesamtvermögens der Menschen in Großstädten aus. Derzeit ruht mindestens die Hälfte der etwa 800 Immobilienprojekte von Evergrande. Viele Baustellen sind schon seit Monaten verwaist. Rund 200 Milliarden US-Dollar haben Familien für Anzahlungen von Wohnungen von Evergrande ausgegeben, so schätzt Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, im Deutschlandfunk. Schon seit Wochen kommt es immer wieder zu Protesten. Viele Menschen sind verzweifelt und wütend.

    Proteste am Hauptsitz von Evergrande

    “Ich will mein Geld zurück, sonst springe ich” drohte eine Frau, die von Sicherheitsleuten von einem Glasgeländer am Hauptsitz von Evergrandes Bürogebäude in Shenzhen zurückgehalten wurd. Um sie herum herrscht Tumult. Mit ihr sind andere Wohnungskäufer da, die nach Bekanntwerden der Probleme gekommen sind, um Verantwortliche zur Rede zu stellen.

    Ein Video dieser Szene wird in den sozialen Medien an dem Wochenende geteilt, an dem das Land sich im Feiertagsmodus befindet, um mit der Familie das Mondfest zu feiern. Eigentlich eine friedliche Zeit – doch dieses Jahr bewachen Polizisten Bürogebäude von Evergrande im ganzen Land. Sie fürchten Demonstrationen und Proteste. In der südchinesischen Stadt Chongqing etwa gingen Tausende Menschen erst vergangene Woche auf die Straße, um gegen den Immobilienentwickler zu protestieren. Es sind nicht nur Anleger, oft sind es auch Lieferanten oder Subunternehmer, die auf die Zahlungen ihrer Rechnungen oder Gehälter von Evergrande warten. Die Videos und Bilder auf den sozialen Medien setzen nicht nur Evergrande unter Druck.

    Verzweifelte Kleinanleger wollen ihr Geld zurück

    Wie groß die Wut der Menschen ist, die ihr Geld bei Evergrande – sei es in Wohnungen oder Vermögensverwaltungsprodukte – investiert haben, ist derzeit in einem Onlinevideo zu beobachten, in dem eine Frau den Evergrande-Gründer Xu Jiayin bei einer Gläubigerversammlung wüst beschimpft. Wie er es geschafft habe, sich so zu verschulden und so verantwortungslos mit dem Geld der Menschen zu zocken, schreit sie den Milliardär Xu vor versammeltem Publikum an und haut dabei – wie es eigentlich sonst nur für Chefs üblich ist – demonstrativ mit der flachen Hand auf den Konferenztisch. 

    Es ist eher als Verzweiflung denn als Drohgebärde zu sehen. Viele der Kleinanleger und Kleinanlegerinnen, die in Evergrande investiert haben, warten seit Monaten vergeblich auf Zinszahlungen. Geld, womit sie bei ihren Investitionen geplant haben und das im Alltag gebraucht wird. 

    Erfolgsgeschichte der KP in Gefahr

    Aber auch die Zentralregierung in Peking gerät immer mehr unter Druck. Die Bürger wollen einen starken Staat, der sie beschützt. Das hat in der Coronakrise, trotz teils harscher Einschränkungen, gut funktioniert. Die Bevölkerung honoriert die Maßnahmen zu ihrem Schutz mit hohen Zustimmungsraten. Wenn es aber an die Substanz geht, ist es nicht weit her mit der Leidensfähigkeit und der G eduld. Die Botschaft, die die Partei offensichtlich senden will, ist klar: Auch größte Player in der chinesischen Wirtschaft sind nicht too big to fail. Auch sie müssen sich den Direktiven aus Peking beugen. Zuletzt hat die chinesische Regierung das in der Technologiebranche an den großen Namen wie Alibaba, Didi und Tencent demonstriert (China.Table berichtete).

    Trägt sie diesen Konflikt allerdings auf dem Rücken der Kleinanleger aus, geht sie ein großes Risiko ein. Sie trifft damit die Bevölkerung, wo es am meisten schmerzt – dem Geldbeutel. Und da hört jeder Spaß auf. Den wichtigsten Teil ihrer Legitimität zieht die Kommunistische Partei nach wie vor aus der Tatsache, dass sie Millionen von Chinesen aus der Armut gehoben hat.

    Ein Narrativ, das auch Staats- und Parteichef Xi Jinping nicht müde wird, immer und immer wieder zu betonen. Nicht auszudenken, was passiert, wenn die KP Tausende Kleinanleger und -anlegerinnen über die Klinge springen lässt, sie um deren Altersfinanzierung, angespartes Finanzpolster oder Eigentumswohnungen bringt. Es gab schon kleinere Anlässe, die die Partei in Aufruhr versetzt haben. Aber Xi Jinping pokert höher. Seine Zukunft hängt auch daran, wie er diesen Konflikt auflösen wird.

    Zuletzt sprachen Analysten sogar davon, dass die Finanzprodukte von Evergrande womöglich einem Schneeballsystem unterlagen. Das dürfte zu noch mehr Aufregung führen.

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    Hamburg: Willkommen für Cosco

    Der erste aus China kommende Frachter, der 1982 am Hamburger Terminal Tollerort festmachte, hieß Fenhe 01. Er war 170 Meter lang, besaß eine Kapazität von gut 1.200 Standard-Containern (TEU) und zwei Bordkräne. Nach heutigem Maßstab ist das Schiff eine Nussschale: Inzwischen fertigt Tollerort auch die größten Containerschiffe mit einer Kapazität von über 22.000 Standardcontainern ab. Und Schiffe aus China sind längst keine Rarität mehr: Größter Kunde des Container Terminal Tollerort (CTT) ist heute die chinesische Reederei China Ocean Shipping Company, kurz Cosco.

    Daher beschlossen Cosco und der Betreiber des CTT, die Hamburger Hafen Logistik AG, kurz HHLA, eine engere Bindung. Die an der Hongkonger Börse notierte Terminalsparte des chinesischen Konzerns, Cosco Shipping Ports Limited (CSPL), wird demnach eine Minderheitsbeteiligung von 35 Prozent am CTT bekommen. Damit werde Tollerort zu einem sogenannten “Preferred Hub” Coscos in Europa, an dem Ladungsströme konzentriert werden, teilte die HHLA mit. CSPL-Chef Zhang Dayu nannte Tollerort “eine wichtige Säule der Logistik in Europa” mit “sehr guten Entwicklungsperspektiven für die Zukunft”.

    Tollerort ist einer von drei Containerterminals der HHLA im Hamburger Hafen. Die Anlage verfügt über vier Liegeplätze und 14 Containerbrücken, und ist mit fünf Gleisen zum Weitertransport in das Hinterland angebunden. Auch beim wachsenden Bahnverkehr ist eine Vernetzung mit China im Sinne Hamburgs, das sich durchaus als Teil der Neuen Seidenstraße begreift. Die Wirtschaftsbehörde berichtet auf Anfrage über neue Seidenstraßen-Containerzugverbindungen im ersten Halbjahr 2021, etwa von Hamburg nach Shijiazhuang in Hebei und Wuwei in Gansu. “Nahezu jeden Wochentag erreicht Ladung aus Xi’an die Terminals im Hafen”, so die Behörde. Auch mit Zhengzhou, Hauptstadt von Henan, gebe es eine direkte Verbindung.

    Cosco-Einstieg wird in Hamburg als Chance gesehen

    Alle Beteiligten in der Hansestadt sehen den Cosco-Deal jedenfalls als Stärkung der Rolle Hamburgs als zentraler europäischer Knotenpunkt für den Warenverkehr mit China. Die sonst bei Investitionen chinesischer Staatskonzerne übliche Kritik entfällt in der Hansestadt. Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher drückte bereits im Juli seine Unterstützung für den Cosco-Einstieg aus. Hamburg habe ein starkes Interesse daran, dass sein Hafen auch künftig am Handel Europas mit China partizipiert, so die Wirtschaftsbehörde zu China.Table. Der Tollerort-Einstieg sei auch ein “starkes Bekenntnis zu Hamburg” durch Cosco, das seinen europäischen Hauptsitz in der Hansestadt hat. Einzig die Gewerkschaft Ver.di sorgt sich um Arbeitsbedingungen und einen wachsenden “Einfluss der Reeder auf die lokalen Logistikbedingungen” durch solche Beteiligungen (China.Table berichtete).

    Strategisches Ziel der Zusammenarbeit sei es, Cosco in einem Umfeld wachsenden Wettbewerbs unter den europäischen Häfen langfristig an den Standort Hamburg zu binden, sagte HHLA-Sprecher Hans-Jörg Heims China.Table. Der Kampf um Ladung habe in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. “Mit der Kooperation wird sichergestellt, dass die zukünftigen wachsenden Ladungsströme aus China auch weiterhin über einen deutschen Hafen geroutet werden, und damit verbundene Arbeitsplätze im Hamburger Hafen bei der HHLA gesichert werden“, so Heims. Für die HHLA bedeutet der Deal mehr Planungssicherheit.

    Der HHLA-Aufsichtsrat hat dem Cosco-Einstieg bereits zugestimmt. Nun sind laut HHLA noch “verschiedene wettbewerbs- und außenwirtschaftsrechtliche Genehmigungen” nötig. Nach Angaben der Wirtschaftsbehörde gehört dazu unter anderem die Investitionsprüfung nach dem Außenwirtschaftsgesetz, ebenso wie eine Freigabe durch das Bundeskartellamt und die chinesischen Behörden.

    Hamburg: Wachsender Umschlag mit China-Waren

    China ist der wichtigste Handelspartner Deutschlands und damit auch Hamburgs. Jeder dritte in Hamburg umgeschlagene Container hat nach Angaben der Wirtschaftsbehörde seinen Ursprung oder sein Ziel in China. Im ersten Halbjahr 2021 legte der seeseitige – also nicht aus dem Hinterland einkommende – Containerumschlag des Hamburger Hafens mit China allen Schiffsstaus zum Trotz um 14,2 Prozent auf knapp 1,3 Millionen TEU zu. Das waren mehr als viermal so viele wie mit der Nummer 2, den USA (0,3 Millionen TEU).

    Alle großen Terminals in Hamburg fertigen nach Angaben der Hafen Hamburg Marketing Schiffe aus China ab – einschließlich der Schwer-, Massen- und Stückgut-Terminals. Alle großen Reedereien, die Fernost-Dienste anbieten, laufen demnach Hamburg an, insgesamt rund ein Dutzend Liniendienste. Dazu gehören neben Cosco Shipping die Hamburg Süd, Hapag-Lloyd, Maersk, OOCL, Evergreen, CMA CGM, Yang Ming und andere.

    China baut Engagement in Europas Häfen weiter aus

    Hamburg ist indes nicht der erste Hafen, in den chinesisches Kapital fließt. Cosco und seine Partnerfirma China Merchants haben bereits in 14 europäische Häfen investiert. Dazu zählen Mehrheitsbeteiligungen in Valencia und Bilbao, sowie Anteile an den Nordrange-Häfen Rotterdam, Antwerpen und Zeebrügge. Über die sogenannte Nordrange, die aus den wichtigen kontinentaleuropäischen Häfen an der Nordsee besteht, werden etwa 80 % des europäischen Im- und Exports abgewickelt.

    Das wichtigste Projekt Chinas in Europa aber ist der griechische Hafen Piräus bei Athen (China.Table berichtete). Dort bekam Cosco 2008 die Betriebslizenz für zwei Kais. 2016 übernahm das Unternehmen die Aktienmehrheit des gesamten Hafens – und baute ihn seither massiv aus. Zwischen 2008 und 2020 verdreizehnfachte sich der Containerumschlag in Piräus; der einst marode Hafen liegt in Europa beim Umschlag der Stahlboxen nun auf Rang vier – hinter Rotterdam, Antwerpen und Hamburg, und noch vor Bremerhaven.

    In Deutschland ist Tollerort nun das zweite chinesische Projekt. In Wilhelmshaven, Deutschlands einzigem Tiefseehafen, unterzeichnete China Logistics einen Erbbaurechtsvertrag über 20 Hektar im Güterverkehrszentrum des Jade-Weser-Port Wilhelmshaven, um dort ein Logistikzentrum namens “China Logistics-Wilhelmshaven Hub” zu bauen. Der Bau verzögerte sich allerdings durch die Corona-Pandemie. Von Wilhelmshaven aus bedienen die Reederei-Verbünde Ocean Alliance und 2M mit Containerschiffen China.

    Brüssel gilt derweil nicht als Fan der immer zahlreicheren Hafenbeteiligungen chinesischer Firmen in Europa. So gab es Kritik, dass der Cosco-Einstieg in Piräus dort zu niedrigeren Löhnen, höheren Mieten und einer Benachteiligung lokaler Anbieter geführt habe. All das soll in Hamburg nicht geschehen. Die Transaktion hat nach Angaben der Wirtschaftsbehörde keinen Einfluss auf bestehende Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen. Die Sorgen der Gewerkschaft Ver.di um die künftigen Arbeitsbedingungen seien unbegründet, sagt auch Heims von der HHLA. “Gerade, weil wir Beschäftigung im Hafen auch in der Zukunft sichern wollen, haben wir die Kooperation mit CSPL angestrebt.” Die HHLA behalte als Mehrheitseigner die unternehmerische Kontrolle.

    Cosco und HHLA: Wie es weitergeht

    Die HHLA sieht das Cosco-Engagement im Tollerort auch nur als Beginn einer langfristigen Partnerschaft. Diese solle “über den Hamburger Hafen hinaus Wirkung entfalten”, sagt Heims. “Mit einem wachsenden gemeinsamen Interesse können beide Unternehmen auch die Logistikströme von Waren aus China durch Europa auf dem Schienenweg effektiver steuern.” Was wiederum Hamburgs Rolle als Hub weiter stärken wird.

    Die HHLA ist auch im Ausland aktiv. Sie hält die Mehrheit an einem Multifunktions-Terminal des italienischen Seehafens Triest, betreibt einen Multifunktions-Terminal im Hafen von Muuga, nahe der estnischen Hauptstadt Tallinn, sowie den größten Containerterminal der Ukraine in Odessa am Schwarzen Meer. Kooperationen mit Cosco in Triest oder anderen Häfen in Europa sind laut Heims aber nicht geplant.

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    Konkurrenzdruck aus China wird spürbar

    Chinas Industriechampions erobern die Weltmärkte, der Konkurrenzdruck wird spürbar: 2020 waren erstmals mehr chinesische als US-amerikanische Unternehmen in der Fortune-500-Liste, in 2021 setzte sich dieser Trend fort. Insbesondere Staatsunternehmen aus der Volksrepublik stechen dabei hervor. Die Veranstaltungsreihe zu den Wirtschaftsbeziehungen mit China am Institut für Weltwirtschaft (IfW) Kiel stellte sich deshalb die Frage: “Chinas Konkurrenz für Europas Unternehmen: Fairer Wettbewerb oder unerlaubte Subventionierung?” Antworten darauf gaben am Donnerstag der Ökonom Jürgen Matthes und der Juraprofessor Dietmar Baetge.

    Jürgen Matthes, Leiter des Kompetenzfelds Internationale Wirtschaftsordnung und Konjunktur am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln, betonte, dass China die eigene Wirtschaft im erheblichen Umfang subventioniere. Dafür gebe es Belege. Mangelnde Transparenz von chinesischer Seite mache es jedoch schwer, die gesamte Subventionsvielfalt zu erfassen, so Matthes. Der Staat unterstütze die gesamte Wertschöpfungskette. Die Auswirkungen lassen sich auch an den zum Teil entstehenden Überkapazitäten ablesen. Diese seien außergewöhnlich groß und führten zu erheblichen Verzerrungen- nicht nur in China, sondern auch auf dem Weltmarkt, warnte der Ökonom. Die westliche Solarindustrie hatte genau damit bittere Bekanntschaft gemacht.

    Chinas Exporte verschieben sich hin zu anspruchsvollen Produkten

    Für westliche Unternehmen schlägt sich das bereits jetzt in zunehmendem Konkurrenzdruck nieder, wie eine Befragung des IW unter mehr als 1.000 deutschen Unternehmen ergab. Der Wettbewerbsdruck habe eine große Relevanz, vor allem in Unternehmen mit einem hohen Exportanteil, erklärte Matthes. “In Industrieunternehmen ist die Konkurrenz sogar ein dringerendes Problem als Protektionismus.”

    Matthes hat die Ergebnisse seiner Untersuchung bereits hier im China.Table dargelegt: China dringt mit seinen Exporten immer mehr in die Branchen vor, in denen die deutsche Wirtschaft ihre Stärken hat wie Maschinen- und Automobilbau. Das zeige ein Blick auf die Marktanteile der Volksrepublik und Deutschlands bei den EU-Importen zwischen 2000 und 2019.

    Chinas Anteile sind Matthes zufolge hier sehr deutlich gestiegen, Deutschlands Anteile waren dagegen seit 2005 leicht rückläufig. Bei anspruchsvollen industriellen Produktgruppen, in denen Deutschland stärker spezialisiert ist, sei der Gegensatz etwas ausgeprägter als im Warenhandel insgesamt. Zudem haben sich die chinesischen Exporte sehr deutlich in Richtung der anspruchsvollen Industriewaren verschoben, so Matthes.

    Der Ökonom warnt jedoch vor vorschnellen Kausalitätsschlüssen. Ob der Vorstoß der Volksrepublik der Hauptgrund für den moderaten Rückgang auf deutscher Seite sei, sei nicht untersucht worden. “Es ist aber ein gewisses Indiz dafür, dass China uns hier zunehmend auf die Pelle rückt”, so Matthes. Die Studie und auch die Umfrage bei den Unternehmen sei als Bestandsaufnahme zu lesen.

    Vor allem Großunternehmen unter Druck

    Die Bilanz der Befragten ist vor allem bei den exportorientierten Unternehmen deutlich: Das Problem des Konkurrenzdrucks nimmt zu. Bezogen auf den Wettbewerbsdruck durch China antwortete von allen befragten Unternehmen nur rund ein Siebtel, dass sie die Konkurrenz als “eher groß bis sehr groß” ansehen. “Das verwundert jedoch nicht, da viele Unternehmen auf den heimischen Markt fokussiert und nicht international aktiv sind”, schreibt Matthes in der Studie.

    Bei Großunternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten oder nur Industrieunternehmen liege der Anteil mit knapp einem Drittel der eher oder sehr betroffenen Unternehmen deutlich höher. Ähnlich sieht es bei Unternehmen mit einem Exportanteil von mehr als 25 Prozent oder mit Auslandsproduktion aus. “Offensichtlich ist der empfundene Konkurrenzdruck deutlich größer, wenn die Unternehmen auf dem Weltmarkt aktiv sind.”

    Matthes und Dietmar Baetge, Professor für Internationales Handelsrecht und Wirtschaftsprivatrecht an der Technischen Hochschule Wildau, gehen davon aus, dass sich diese Entwicklung in den kommenden Jahren noch verschärft – denn die Staatsunternehmen gewinnen auch unter der Strategie “Made in China 2025” (MIC 25) weiter an Bedeutung. Die Volksrepublik halte außerdem Handelsbarrieren aufrecht.

    Baetges: Investitionsabkommen CAI kein “Retter in der Not”

    Eine einfache Möglichkeit zur Neujustierung der Wettbewerbsschrauben gibt es nach Ansicht Baetges leider nicht – denn der Hauptvorteil Chinas liegt im Staatskapitalismus. “Und auf der Welthandelsebene kann jeder Staat sein Wirtschaftssystem frei bestimmen.” Die Organisationen und Mechanismen, die das Problem zumindest tangieren könnten, sind derzeit allerdings schachmatt gesetzt: Der Streit um das Streitbeilegungsverfahren der Welthandelsorganisation (WTO) hat das Verfahren lahmgelegt. Abgesehen davon, ist das WTO-China-Verhältnis komplex: “Die WTO hat keine Vorgaben, was ein bestimmtes Wirtschaftssystem angeht”, so Baetge, somit auch keine Handhabe bei den Staatsunternehmen. Zudem gebe es bei den Subventionsregeln keine allgemeine wettbewerbspolitische Zielsetzung.

    Auch das von der Europäischen Union anvisierte Investitionsabkommen CAI sei kein “Retter in der Not”, so Baetge. “Viele Fragen im CAI bleiben ungelöst.” Das Ziel, mit dem Abkommen ein Level Playing Field, also gleiche Wettbewerbsbedingungen, zu schaffen, sei nicht erreicht worden. Das CAI liegt derzeit ohnehin auf Eis. Auch einseitige Maßnahmen wie das von der EU-Kommission geplante Anti-Zwangs-Instrument (“Anti-Coercion Instrument”) sind laut Baetge keine ideale Lösung: “Wenn wir einseitige Maßnahmen erlassen können, können das die anderen auch.” Auch Anti-Dumping-Zölle seien mittlerweile eine hochpolitische Angelegenheit.

    Lange To-do-Liste für die WTO

    Das Fazit der beiden Experten: Es muss an mehreren Ecken gearbeitet werden, um der chinesischen Wettbewerbsverzerrung die Stirn zu bieten. Auf der To-do-Empfehlungsliste von Baetge für die WTO: Die Streitbeilegung erneuern, Chinas Vorteil als Entwicklungsland abbauen, ein umfassendes Subventionsverbot und allgemeine Wettbewerbsregeln. Auch auf die Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA könnte ein Fokus gelegt werden, wie in dieser Woche mit dem “EU-US Tech and Trade Council” (TTC) in Pittsburgh (China.Table berichtete).

    Lösungen müssten jedoch gefunden werden, betonten beide Experten. Denn letztendlich seien die Leidtragenden der zunehmenden Wettbewerbsverzerrung die Konsumenten.

    Die nächste Veranstaltung aus der Reihe findet am 21. Oktober statt, diesmal auf Englisch: 40 Years of Poverty Alleviation in China (TBC). Teilnehmer wird unter anderem Martin Raiser, China-Direktor der Weltbank, sein. Die Anmeldung ist ab Anfang Oktober möglich.

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    Termine

    04.10.2021, 21:00 Uhr (05.10.2021, 03:00 Uhr Beijing Time)
    Institute for Peace & Diplomacy, Webinar: After the Two Michaels: How should Canada navigate the US-China rivalry?

    04.10.2021, 22:00 Uhr (04:00 Uhr Beijing Time)
    Harvard Fairbank Center, Vortrag: China Humanities Seminar Featuring Stephanie Balkwill – Another Cakravartin Ruler? Feminist History and the History of Buddhism in Early Medieval China Mehr

    05.10.2021, 13:00 Uhr (19:00 Uhr Beijing Time)
    Dezan Shira & Associates, Webinar: 928 Startup Challenge | Business Environment in the Greater Bay Area Mehr

    07.10.2021, 12:00 Uhr (18:00 Uhr Beijing Time)
    Founder Institute Frankfurt, Webinar: Unicorn or Dragon? How can Early Stage Founders Tap into the Chinese Market Mehr

    07.10.2021, 17:30 Uhr (23:30 Uhr Beijing Time)
    CSIS, Report Launch: “Chinese State Capitalism: Diagnosis and Prognosis” Mehr

    08.10.2021, 02:00 Uhr (08:00 Uhr Beijing Time)
    Harvard Fairbank Center, Vortrag: Weixia Gu – Dispute Resolution in China: Litigation, Arbitration, Mediation and their Interactions Mehr

    News

    Verarbeitendes Gewerbe schrumpft

    Chinas verarbeitendes Gewerbe hat im September weniger produziert. Wie das Pekinger Statistikamt am Donnerstag mitteilte, fiel der offizielle Einkaufsmanagerindex (PMI) für das verarbeitende Gewerbe auf 49,6 Punkte. Im August lag der Konjunkturindikator noch bei 50,1 Punkten. Während ein Wert über 50 eine Expansion der Industrie anzeigt, wird ein Wert darunter als ein Rückgang der Wirtschaftstätigkeit gesehen. Damit endet Chinas 18 Monate andauernde Expansion in dem Sektor, die nach der Corona-Pandemie einsetzte. Zhao Qinghe, Ökonom beim Nationalen Statistikamt führte dies auf die schwache Stimmung bei Unternehmen in energieintensiven Branchen wie der Öl-, Kohle-, Gummi- und Kunststoffindustrie zurück, so die South China Morning Post.

    Mehr als die Hälfte der chinesischen Provinzen hat die Energieverbrauchsziele der Zentralregierung in der ersten Jahreshälfte nicht erreicht, so Chinas staatlicher Wirtschaftsplaner. Viele Ortschaften in diesen Provinzen – darunter die Wirtschaftszentren der Provinzen Jiangsu, Zhejiang und Guangdong – haben einen streng begrenzten Stromverbrauch für Unternehmen und Fabriken vorgeschrieben. Auch ausländische und deutsche Unternehmen in China sind von Pekings Strombegrenzungen betroffen.

    Der schwache PMI habe die Regierung alarmiert, zitierte Bloomberg Zhang Zhiwei, Chefökonom von Pinpoint Asset Management Ltd. “Die große Frage ist nun, ob die Geld- und Fiskalpolitik der Regierung bereits jetzt unterstützend eingreift oder ob sie bis zum Ende des Jahres mit einem Kurswechsel abwartet.” niw

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    Investoren etwas vorsichtiger bei China-Engagement

    Große Investoren wie Pensionsfonds und Versicherer haben in einer Umfrage angegeben, ihr China-Engagement derzeit vorsichtiger auszuweiten, wie Financial Times berichtete. Eine Umfrage unter mehr als 200 Vermögensverwaltern ergab, dass zwölf Prozent ihr Engagement in China verringern wollen. 2019 als die Umfrage zuletzt erhoben wurde, waren es noch vier Prozent. Allerdings gaben 64 Prozent der Vermögensverwalter an, ihr China-Engagement ausweiten zu wollen. 2019 lag diese Zahl bei 80 Prozent.

    Laut einer Erhebung von Goldman Sachs könnten bis zu umgerechnet 2,7 Billionen Euro an Marktkapitalisierung in China weiteren regulatorischen Unsicherheiten ausgesetzt sein. Peking hatte im Sommer angefangen, regulatorische Maßnahmen (China.Table berichtete) gegen eine Vielzahl von Sektoren – von der Tech-Branche bis hin zum Immobilienmarkt – durchzusetzen. nib

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    Peking legt Details zu Datengesetz vor

    Peking hat am Donnerstag einen Entwurf mit Details zu seinem Datensicherheitsgesetz vorgelegt, wie Reuters berichtet. Die Behörden definieren darin, welche Daten als gewöhnliche Daten, wichtige Daten und “Kerndaten” gelten. Gewöhnliche Daten sind demnach solche, die nur minimale Auswirkungen auf die Gesellschaft haben und nur wenige Personen und Unternehmen betreffen. Wichtige Daten seien solche, die eine Bedrohung für Chinas nationale und wirtschaftliche Interessen darstellten. Auch Daten, die die Rechte von Einzelpersonen oder Organisationen beeinträchtigen, werden so definiert.

    “Kerndaten” werden definiert als Daten, die eine “ernsthafte Bedrohung” für Chinas nationale und wirtschaftliche Sicherheit und Interessen darstellen. Experten hatten das am 1. September veröffentlichte Datensicherheitsgesetz als zu vage beschrieben und damals kritisiert, dass es keine Definition für die Daten enthalte.

    Die Regulierer halten nun zudem fest, dass Organisationen eine Genehmigung brauchen, um “Kerndaten” und wichtige Daten über Landesgrenzen hinweg zu transferieren. Dafür solle ein spezieller Mechanismus eingerichtet werden. Details nannte Reuters dazu nicht. nib

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    Seltene Erden: EU soll 200 Millionen pro Jahr investieren

    Mit einem Förderfonds über 200 Millionen Euro pro Jahr soll die EU die europäische Produktion von Seltenerdmagneten ankurbeln, die für Elektroautos und Windkraftanlagen unerlässlich sind. Das forderte die European Raw Materials Alliance (ERMA) am Donnerstag. Auf diese Weise soll die Abhängigkeit von China verringert werden.

    Laut ERMA sollten Produzenten Steuererleichterungen bekommen als Teil des EU-Plans, bis 2030 ein Fünftel ihres eigenen Bedarfs an Magneten selbst zu produzieren. Derzeit werden 95 Prozent der Magnete der EU aus der Volksrepublik importiert. Die EU berät deshalb über Möglichkeiten, europäische Produzenten zu unterstützen, um sie konkurrenzfähig zu machen.

    Die ERMA fordert, dass die EU gleiche Wettbewerbsbedingungen zu China schaffen müsse, da chinesische Magnete aufgrund der staatlichen Subvention aus Peking 20 bis 30 Prozent günstiger sind als europäische Produkte. Produzenten haben der ERMA 14 Projekte im Gesamtumfang von 1,7 Milliarden Euro vorgeschlagen, die es der EU ermöglichen würden, die Produktion von Permanentmagneten bis 2030 von derzeit 500 Tonnen auf 7.000 Tonnen zu vergrößern. rtr/luk

    • EU
    • Rohstoffe
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    Presseschau

    Hong Kong seeks to resurrect legislation to further crush dissent THE GUARDIAN
    US, Philippines assessing defense treaty, China wary INDEPENDENT
    ‘There’s cameras everywhere’: testimonies detail far-reaching surveillance of Uyghurs in China THE GUARDIAN (PAY)
    China Levels Series of Allegations Against Former Law-Enforcement Official Sun Lijun WSJ (PAY)
    US should show sincerity and come up with a realistic dialogue plan for Korean Peninsula: Chinese FM GLOBALTIMES (STAATSMEDIUM)
    Deutsche Industrie bangt um chinesische Lieferanten FAZ (PAY)
    Evergrande-Krise: Chinas Zentralbank fordert Stabilisierung des Immobilienmarkts SPIEGEL
    Kohle-Engpässe setzen Chinas Wirtschaft unter Druck – Bürger fürchten Heizprobleme HANDELSBLATT (PAY)
    VW-Desaster in China – Tesla, BYD und ein Mini von GM fahren davon DER AKTIONÄR
    Deutsche Chinapolitik: “Das sind Szenarien, auf die sich die neue Regierung vorbereiten muss” WELT (PAY)

    Kolumne

    Die Rückkehr der Danwei 2.0

    Von Johnny Erling
    Ein Bild von Johnny Erling

    Mehr als 90 Prozent aller Stadtbewohner Chinas gehörten nach 1949 einer Danwei (单位 = Arbeitseinheit) an. Sie galt als Grundpfeiler der sozialistischen Planwirtschaft. Fabriken, Behörden, Wohngebiete, Krankenhäuser, Schulen oder Universitäten waren jeweils eine Danwei. Sie garantierte jedem, der ihr angehörte, neben dem lebenslang sicheren Arbeitsplatz auch ein Mindestmaß an medizinischer Betreuung und sozialer Rundum-Versorgung.

    Die Danwei nannte sich “klein aber umfassend” (小而全), war für alles zuständig, von der Beschaffung einer Wohnung bis zum Krippenplatz. Ihre Administration bewilligte Ehen oder Scheidungen. Durch Chinas marktwirtschaftliche Reformen ab 1978 verlor die Danwei ihre sozialen und amtlichen Befugnisse. Der Partei diente sie einst als unterste Verwaltungseinheit für politische Schulungen, Überwachung und Mobilisierung der Basis. Diese Rolle will Pekings Führung jetzt neu aufleben lassen als Teil ihrer Re-Ideologisierung der Gesellschaft.

    Als Parteichef Xi Jinping vergangenen September in Peking den Sieg Chinas über die Covid-19-Pandemie feiern ließ, lobte er nicht nur sich selbst und seine KP dafür. Er nannte eine Zahl, die aufhorchen ließ. Beigetragen hätten auch “mehr als vier Millionen Beteiligte auf kommunaler Ebene (社区工作者), die Tag und Nacht Wache hielten.” Xi meinte die lokalen Nachbarschafts-Komitees, Überbleibsel der verflossenen Danwei aus planwirtschaftlichen Zeiten.

    Xi lobte die “kommunale Ebene” im Kampf gegen Covid-19

    Peking hatte zur Abwehr der Infektion eine Armee aus Blockwarten und anderen Aufpassern in den städtischen Wohnvierteln mobilisiert. Ausgestattet mit Sondervollmachten verriegelten die Männer und Frauen für den angeordneten vollständigen Lockdown alle Eingänge zu Gebäuden und Häusern, kontrollierten sie Tag und Nacht und organisierten eine von außen gelieferte Versorgung der Bewohner. 

    Chinas Kommunisten hatten nach ihrem Sieg und der Gründung der Volksrepublik 1949 das sogenannte Danwei-System in allen Städten aufgebaut. Es fußte auf dem Gemeineigentum und Maos utopischen Sozialismus-Ideen über eine egalitäre Verteilung. Vorbilder für den Aufbau der Arbeitseinheiten in den Städten der Volksrepublik wurden sowohl die Erfahrungen der Verwaltung in den Revolutionsgebieten von Yan’an, als auch die Einflüsse traditioneller konfuzianischer Kultur, die den Einzelnen in den kollektiven Verband der Großfamilie einordnete. Das schreiben Zhou Yihu und Yang Xiaoming in ihrem Standardwerk “Das chinesische Danwei-System” (中国单位制度). Die sozialistische Danwei verwaltete ausschließlich die Stadtbewohner. Daher erfasste sie nur zehn bis 28 Prozent aller Chinesen in einer Zeit, als 80 Prozent der Bevölkerung noch als Bauern auf dem Land lebten. 

    Standartwerk "Das chinesische Danwei-System" von Zhou Yihu und Yang Xiaomin
    Die Soziologen Zhou Yihu und Yang Xiaomin schrieben 1999 ein Standardwerk über “Das chinesische Danwei-System”, als sich das Relikt der Planwirtschaft gerade auflöste. Nun scheint es in China wieder im Kommen zu sein.

    Das Buch der beiden Soziologen erschien 1999 und stellte die Danwei zwei Jahrzehnte nach Beginn der chinesischen Wirtschaftsreformen “als ein System in Auflösung” vorDer Aufschwung der Privatwirtschaft und die erstmals erlaubte Freizügigkeit beim Reisen hatte Hunderte Millionen Bauern auf Arbeitssuche in die Städte strömen lassen. Fabriken und Institute trennten sich von allem früheren Danwei-Balast, wie den unproduktiven sozialen Fürsorgeleistungen. Die Arbeitseinheiten garantierten nicht mehr den ewigen Arbeitsplatz. Nach 2003 verlor sie auch alle amtlichen Funktionen. Chinesen wurden aus ihrer Unmündigkeit entlassen und durften selbst – ohne schriftliche Befürwortung einer Danwei – für sich Reisepässe beantragen, heiraten oder sich scheiden lassen.

    Der Staat zog sich aus seiner Einmischung und Kontrolle des Privatlebens der Chinesen fast völlig zurück, der haushaltsüblich verbreitete Name verschwand. Vom früheren Danwei-System blieben bald nur noch die Nachbarschaftskomitees übrig, die Aufsicht über die Wohnviertel und die öffentliche Ordnung führten und noch mithalfen, die Durchsetzung der verordneten Einkind-Familienpolitik zu überwachen.

    Nun scheint das Relikt der Planwirtschaft in China wieder im Kommen zu sein. Seit dem Amtsantritt von KP-Chef Xi versucht seine Partei Teile des Systems erneut zu beleben und sich auf der Lokalebene besser zu verankern. 2019 ließ sich der Pekinger Professor Zhou Wang von einem Nachbarschaftskomitee als “Danwei-Ren” rekrutieren, als neuer Mitarbeiter. Seine Aufgabe ist, das Management der Nachbarschaftsgemeinschaft zu optimieren.

    Neue “Danwei-Ren” als rote Blutkörperchen des Staatsapparats

    Zhou, selbst ein KP-Mitglied, schildert in einem Aufsatz für das Magazin Caixin: “Warum China sein Danwei-System entstaubt?”, dass die Partei wieder mehr Einfluss auf die lokale Ebene ausüben will. “Die Rückkehr des Danwei-Ren in das Community-Management ist Teil einer breit angelegten Initiative, um die Reichweite der Parteiorganisationen auf die lokale Ebene zu intensivieren.” Die dazu eingestellten “Danwei-Ren” würden die “roten Blutkörperchen des Staatsapparats genannt, die den Willen und die Interessen der Partei wie Sauerstoff zu den verschiedenen lokalen Verwaltungsorganen transportieren.” Die “Danwei-Ren” bildeten “ein großes Netzwerk und sind ein Pool von Ressourcen, auf die die Partei zurückgreifen kann.”

    Parteichef Xi, der sich die Re-Ideologisierung Chinas und absolute Parteiherrschaft auf seine Fahnen geschrieben hat, setzt zugleich auf die Anwendung von Hightech, um moderne Kontrollsysteme zu institutionalisieren, die ihm und seiner KP die Überwachung und Mobilisierung der Bevölkerung besser ermöglichen. Seit 2014 ist Peking dabei, ein Bonitätssystem mit Sozialkreditpunkten zu entwickeln, über das die Kredit- und Vertrauenswürdigkeit jedes einzelnen Chinesen, seiner Familie, aber auch jedes Wirtschaftsunternehmen oder Institution gemessen werden können: Blitzschnell und unvergleichlich effizienter als es die alte Danwei-Administration bewerkstelligte.

    Der Pekinger Philosoph Zhao Tingyang warnt in seinem Buch “Über das Tianxia-System” (Alles unter dem Himmel, Suhrkamp 2020), dass die Menschheit in Gefahr ist, sich weltweit und auch noch freiwillig einer zukünftigen “Service-Diktatur” und ihrer Kontrolle auszuliefern. “Es handelt sich um eine völlig neue Form von Diktatur.” Ohne konkret China oder das Danwei-System zu nennen, (wohl aber auf sie anzuspielen) schreibt er: Die Menschheit sei durch “die Verbindung von Biologie, künstlicher Intelligenz (KI) und sozialen Netzwerken” mit “einigen hochriskanten Dingen zu Gange.”

    Weil die technischen Systeme “jedermann einen Top- und Rundum-Service bieten”, akzeptieren dessen Nutznießer, dass sie die “Informationen jedes Menschen sammeln und überwachen” und ihn in eine “unauflösbare Abhängigkeit” führen. Die Menschen würden sich “freiwillig kontrollieren lassen, weil sie das Gesamtpaket der vom technologischen System bereitgestellten Service-Leistungen benötigen.”

    China führt in diesen KI-Technologien. Sie liefern das perfekte Setting für die Neuauflage eines Danwei-System 2.0. 

    • Gesellschaft
    • KP Chinas
    • Xi Jinping

    Personalien

    Gavin Allen ist neuer Chefredakteur beim Telekommunikationsausrüster Huawei. Allen war zuletzt sieben Jahre lang Leiter der Nachrichtenausgabe der BBC. Seine Ernennung erfolgt inmitten der angespannten Beziehungen zwischen China und dem britischen TV-Sender (China.Table berichtete).

    Jörg Mull ist zum Executive Vice President der Volkswagen Group China mit Verantwortung für Finanzen ernannt worden. Mull ist seit 2002 bei der Volkswagen AG in unterschiedlichen Positionen in Deutschland, Großbritannien und China tätig.

    • BBC
    • CGTN
    • Huawei

    Dessert

    Online-Shopping mit Katzenohren: Eine Ausstellerin verkauft beim International Cartoon and Animation Festival (CICAF) in Hangzhou ihre Waren per Livestream an Fans. Die Convention zieht laut Veranstaltern jährlich Besucher aus rund “50 Ländern und Regionen” an. Ob in diesem Jahr angesichts der strengen Corona-Einreiseregeln auch ausländische Cartoon-Fans das Festival besuchten, war nicht bekannt.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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