Table.Briefing: China

Interview nach Haft + Influencer im Fokus

  • Im Interview: Lee Ming-che – Menschenrechtler zurück in Freiheit
  • KP geht nimmt Luxus-Influencer ins Visier
  • Bürgerrechtler Xu Zhiyong droht lange Haftstrafe
  • Tibeter muss für knapp viereinhalb Jahre hinter Gitter
  • Brüssel zieht Hongkong-Werbung aus dem Verkehr
  • Neue Narrative sollen Hongkongs Schüler “schützen”
  • Unruhen wegen Lebensmittelknappheit auch in China möglich
  • Wang Yaqiu: “Meine Geburt war ein Menschenrechtsproblem”
Liebe Leserin, lieber Leser,

fünf Jahre lang hat der Taiwaner Lee Ming-che in chinesischer Haft gesessen. In einem seiner ersten Interviews erzählte er uns, dass er es vor allem seiner mutigen Frau zu verdanken habe, dass er nicht länger im Land festgehalten wird. Sie habe sich von chinesischer Einschüchterung nicht abhalten lassen, immer wieder internationale Aufmerksamkeit für seinen Fall zu organisieren. Auch seien deshalb seine Haftbedingungen verbessert worden.

Das Muster ist immer dasselbe, wenn chinesische Gerichte auf Basis zweifelhafter Anklagen und dünner Beweislagen Menschen zu langen Haftstrafen verurteilen, deren Tun der Regierung ein Dorn im Auge ist. Die Angehörigen werden gewarnt oder gar bedroht. Ihnen wird gesagt, sie sollten öffentlich besser schweigen, wenn sie ihren Liebsten helfen wollen.

In Wahrheit hilft es den Betroffenen rein gar nicht, wenn sich niemand für sie einsetzt. Die chinesische Regierung profitiert dagegen sehr wohl von einem solchen Schweigen, weil sie ihr willkürliches Vorgehen gegen politischen Dissens besser unter den Teppich kehren kann.

Ihr
Marcel Grzanna
Bild von Marcel  Grzanna

Analyse

“Ich war nicht bereit, mein Land zu verraten”

Der taiwanische Menschenrechtler Lee Ming-che nach der Entlassung aus der Haft.
Menschenrechtler Lee Ming-che nach der Entlassung aus der Haft.

Herr Lee, Sie engagieren sich für Menschenrechte in China. Inwiefern hatte Ihre Festnahme vor fünf Jahren auch mit den angespannten Beziehungen zwischen Peking und Taipeh zu tun?

Ich glaube schon, dass da ein Zusammenhang besteht. Seit Präsidentin Tsai Ing-wen von der DPP 2016 ihr Amt angetreten hat, nutzt China jede Chance, um Taiwans Regierung unter Druck zu setzen. Die Staatssicherheit hat immer wieder versucht, mir Spionage anzuhängen. Sie hat ständig zwei Dinge gefragt: Ob ich Geld aus offiziellen Quellen in Taiwan erhalten habe, und wem in China ich dieses Geld gegeben hätte.

Haben Sie Geld erhalten?

Nein. Unter Druck habe ich damals den Tatbestand der versuchten “Untergrabung der Staatsgewalt” eingeräumt, aber niemals Spionage. Nach mir wurden noch drei weitere Taiwaner festgenommen, die alle der Spionage bezichtigt wurden. Ich glaube, das war ein Versuch, die Regierung von Präsidentin Tsai unter Druck zu setzen.

Wie sahen Ihre Aktivitäten in China denn aus?

Gemeinsam mit ein paar chinesischen Freunden hatte ich einen gemeinnützigen Fonds verwaltet, über den Hilfsgelder an chinesische politische Gefangene und deren Familien gespendet wurden. Als 2016 das Gemeinnützigkeitsgesetz (慈善法) verabschiedet wurde, hatte ich damit gerechnet, dass ich fortan vielleicht an der Einreise gehindert werden könnte. Aber nicht damit, dass China so überzogen reagieren würde. Ich war der erste Taiwaner, gegen den der Straftatbestand “Untergrabung der Staatsgewalt” angewandt wurde.

Warum haben Sie dieses Vergehen eingeräumt?

Die Staatssicherheit hat mir gedroht und gesagt, dass ich womöglich lebenslänglich ins Gefängnis müsse. Ob ich jemals wieder nach Hause und meinen Vater sehen wolle, fragten sie mich. Da bin ich ein bisschen weich geworden. Aber selbst dann konnte ich nur gestehen, was ich tatsächlich getan hatte.

Sie sagen, China wollte Sie als Spion verurteilen. Warum haben Sie den Forderungen der Staatssicherheit in dieser Frage nicht nachgegeben?

Wenn sie den Straftatbestand der Spionage gegen mich verwendet hätten, dann hätte das mein Land und Taiwans Regierung in den Fall mit hineingezogen. Ich war nicht bereit, mein eigenes Land so zu verraten. Abgesehen davon hatten sie keinerlei Anlass, geschweige denn Beweise für ihre Anschuldigungen.

Wie kamen Sie als Taiwaner darauf, sich für Menschenrechte in der Volksrepublik einzusetzen?

Aufgrund der geografischen Lage und wegen des politischen Drucks, den China auf Taiwan ausübt, war ich der Überzeugung, dass wir China besser verstehen müssen. Ich begann damit, die chinesischsprachigen Nachrichtenportale westlicher Medien zu lesen, die über die Situation innerhalb Chinas berichten. Über den Microblogging-Dienst Weibo und andere chinesische soziale Netzwerke wie QQ und Wechat habe ich sehr viele Chinesen kennengelernt und ein tieferes Verständnis für Chinas Unterdrückung der Menschenrechte entwickelt. Damals habe ich mich gefragt, was ich als Ausländer tun kann, um zu helfen. Auch in der Geschichte der taiwanischen Demokratiebewegung gab es Ausländer, die sich für Taiwan eingesetzt und politisch Verfolgten enorm geholfen haben.

Das haben Sie teuer bezahlen müssen. Aber sie haben auch von großer internationaler Unterstützung profitiert.

Bereits wenige Tage nach meiner Festnahme hatten taiwanische NGOs eine Pressekonferenz einberufen. Auch Amnesty International war schon aktiv. Zwei Wochen nach meiner Festnahme erklärte China öffentlich, dass gegen mich ermittelt werde. In anderen Fällen halten die Behörde jahrelang geheim, was mit politischen Gefangenen geschehen ist.

Auch ihre Frau war eine treibende Kraft für die große Solidarität im Ausland.

Kurz nach meiner Festnahme sollte ein chinesischer Gesandter meine Frau davon überzeugen, sich zurückzuhalten und sich nicht öffentlich zu meinem Fall zu äußern. Aber sie weigerte sich, jeglichem Druck aus China nachzugeben. Stattdessen sagte sie unter anderem vor dem US-Kongress aus und bewegte die UN dazu, meinen Fall aufzugreifen. In der Folge wurden meine Haftbedingungen verbessert.

Ihr Fall wurde sogar öffentlich verhandelt.

So waren die Behörden gezwungen, ein Mindestmaß an tauglichen Beweisen vorzulegen. Ohne dieses öffentliche Verfahren hätten sie mich vielleicht zu zehn Jahren oder sogar zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Es ist allein der internationalen Solidaritätskampagne zu verdanken, dass ich nach nur fünf Jahren gesund zurückgekehrt bin.

Es stand die Drohung im Raum, Ihnen ihre politischen Rechte zu entziehen und sie zwei Jahre nach der Haftentlassung nicht aus dem Land zu lassen.

Der Witz dabei ist, dass ich ja kein Bürger der Volksrepublik China bin und keine politischen Rechte habe, die mir entzogen werden könnten. Es gibt aber eine gesetzliche Regelung, die vorsieht, dass man während dieser zusätzlichen Strafe das Land nicht verlassen darf. Das ist spannend: Wenn China Taiwan wirklich als seine Provinz betrachtet, dann sollte es doch keine Ausreise ins Ausland sein, wenn ein Taiwaner nach Ende seiner Haftzeit nach Taiwan zurückkehrt.

Soweit kam es aber nicht.

Das war mir aber erst drei Tage vor meiner Entlassung klar, als man mir mitteilte, man wolle ein Flugticket für mich kaufen. Aber ich war bis zuletzt nervös. Wegen der Pandemie gibt es aktuell nur wenige Flüge nach Taiwan, und der nächste Flughafen war in Xiamen. Am Tag meiner Entlassung bin ich also von Hunan nach Xiamen gebracht worden, habe da übernachtet und wurde morgens nach Taiwan ausgeflogen.

Sie sind jetzt zurück in Taiwan, einem demokratischen Rechtsstaat. Machen Sie sich Sorgen, dass Ihnen die Kommunistische Partei Chinas auch hier zu Leibe rücken wird?

Wenn sie nur mich persönlich attackieren, dann kann ich damit leben. Mir bereitet eher Sorge, wie Taiwan von chinesischen Kräften unterwandert wird und unser Land in den Bereichen Wirtschaft, Kultur und Bildung infiltriert. Da müssen wir wachsam sein. Ich war fünf Jahre weg, und es gibt einige Veränderungen, die man nicht unterschätzen darf und die auch kein Zufall sind. Zum Beispiel nutzen Taiwans Mittelschüler kaum noch Facebook und sind jetzt alle auf chinesischen Apps wie Douyin (Tiktok) und Xiaohongshu (Little Red Book) unterwegs. In den letzten zwei Monaten ist mir auch aufgefallen, dass chinesische Umgangssprache in Taiwan Fuß fasst. Vor kurzem wurde außerdem berichtet, dass die Tageszeitung Apple Daily Taiwan von Hongkonger Investoren aufgekauft worden sein soll.

Wird es Sie in Zukunft zurück nach China ziehen? Und würden Sie anderen von einer Reise abraten?

Ich werde in Zukunft ganz sicher nicht mehr nach China reisen. Wenn man so etwas machen möchte wie ich oder für eine NGO arbeitet, dann sollte man lieber vorsichtig sein und sich vor Reiseantritt erstmal fragen, ob man so eine taffe Frau an seiner Seite hat wie ich. Taiwaner, die in China nur Geschäfte machen, haben meine Ratschläge wahrscheinlich nicht nötig. Das muss jeder selbst wissen.

Lee Ming-che (李明哲), Demokratieaktivist aus Taiwan, wurde von einem Gericht in der Provinz Hunan in der Volksrepublik China 2017 für seine Aktivitäten in Online-Chats wegen “Untergrabung der Staatsgewalt” schuldig gesprochen. Er saß fünf Jahre im Gefängnis.

  • Menschenrechte
  • Taiwan
  • Zivilgesellschaft

Zu viel Schein als Sein ist strafbar

Influencerin Viya hatte einst über 80 Millionen Follower, bevor sie wegen Steuerhinterziehung in Ungnade fiel. Reichtum zur Schau stellen ist in China nun strafbar.
Influencerin Viya hatte einst über 80 Millionen Follower, bevor sie wegen Steuerhinterziehung in Ungnade fiel.

Seinen Reichtum im Internet öffentlich zur Schau zu stellen, wird in China immer gefährlicher. Die Behörden bemängeln, dass “diese Art von Aktivität ernsthaft gegen die sozialen Werte Chinas verstößt und der Öffentlichkeit fehlgeleitete Inhalte aufzeigt”. Bekannte und viel genutzte Plattformen wie Xiaohongshu (wörtlich übersetzt “Kleines rotes Buch”) und Douyin haben bereits Konsequenzen gezogen, und bestimmte Online-Challenges untersagt, etwa jene, bei der besonders betuchte User sich vornahmen, eine Million Yuan (umgerechnet 140.000 Euro) am Tag auszugeben und dann auf sozialen Medien zu zeigen, was sich dafür kaufen lässt. Das “Erstellen von Inhalten, die absichtlich Reichtum zur Schau stellen, indem zum Beispiel luxuriöse Häuser, Autos oder Güter vorgeführt werden, ohne nützliche Informationen zu enthalten, soll bestraft” werden, heißt es in einer Vorgabe der Plattform Xiaohongshu.

Der Grund ist, wie so oft in China, auf einen Widerspruch zur offiziellen Parteilinie zurückzuführen. Ein Zurschaustellen extremen Reichtums passt nicht mehr zur Umverteilungslogik von Staats- und Parteichef Xi Jinping. Xi hatte im vergangenen Sommer angekündigt, dass “exzessiv hohe Einkommen” gekappt werden und Unternehmer mehr an die Gesellschaft zurückgeben sollen. Als er das Ziel des “gemeinsamen Wohlstandes” (Common Prosperity) bis 2049 ankündigte (China.Table berichtete), wurde eine Welle von gesellschaftspolitischen Veränderungen losgetreten. Der Wohlstand, der in den großen Metropolen wie Peking oder Shanghai zelebriert wird, ist der Parteiführung schon länger ein Dorn im Auge, denn er entspricht nicht dem “Sozialismus mit chinesischer Prägung”. Schon seit Jahren werden Kader darauf geeicht, nicht mit Rolex-Uhren und teuren Autos zu protzen. Jetzt trifft die Forderung nach “echtem Sozialismus” auch immer mehr die Online-Welt.

Bei Zuwiderhandlung droht die Löschung

Dadurch wird das ohnehin streng überwachte Internet für Chinas Bürger noch restriktiver. Bei Zuwiderhandlung droht die Löschung des Accounts. Und auch Marken, die mit Influencern arbeiten, könnten unter Druck geraten, wie eine ähnliche Kampagne gegen die Unterhaltungsindustrie zuletzt zeigte (China.Table berichtete). Viele ihrer Geschäftsstrategien werden durch die Anti-Protz-Kampagne der Regierung als “unmoralisch” abgestempelt.

Auch wenn Vieles in den sozialen Netzwerken nicht echt ist und gezeigter Luxus oft nur Schein, gibt es dennoch Werbedeals und Verträge zwischen sogenannten “wichtigen Meinungsführern” (Key Opinion Leaders – KOLs) mit enormer Reichweite und großen Marken. Für nur einen WeChat-Post etwa kann ein Social-Media-Sternchen aus der B- oder C-Liga durchaus eine fünfstellige Yuan-Summe verlangen.

Angeberei wird online immer weniger geduldet

Wie ernst es Peking mit den “sozialistischen Pfaden” ist, die die Regierung bis 2049 einschlagen will, zeigen Maßnahmen zur Erziehung der Nutzer:innen. Ihnen sollen verstärkt moralische Wertvorstellungen beigebracht werden. 

Damit befasst ist Zhang Yongjun von der Cyberspace Administration Chinas. Er stellt die Frage, ob das Zurschaustellen eigenen Wohlstandes durch einzelne Bürger berechtigten Stolz auf Erreichtes zeigt oder ob es schon längst umgeschlagen ist in Prahlerei. Zhang gibt bewusst erst mal keine Antwort. Doch allein die Frage ist ein Fingerzeig.

Die Influencer auf Chinas Social-Media-Plattformen sind durch vorherige Kampagnen alarmiert. Zu tief sitzen die Erinnerungen an die “Säuberungsmaßnahmen” in der Unterhaltungsbranche im vergangenen Jahr. Viele der einst großen Namen in der Film-, Mode-, Unterhaltungsbranche wie Angela Baby (Fang Binbin), Zhao Wei und selbst Stars mit ausländischen Pässen wie Kris Wu, der in Kanada aufgewachsen ist, sind nach Vorwürfen der Steuerhinterziehung oder anderen Vorwänden vollkommen von der Bildfläche verschwunden.

Dass Luxus aber auch ein Ausdruck von öffentlichem Dissens werden kann, zeigten zuletzt Bilder in den sozialen Medien während des Shanghaier Lockdowns. Viele Bewohner wählten Einkaufstaschen der Marken Hermes, Gucci oder Prada, um ihre täglichen Coronatests zur Abholung durch die Behörden an der Wohnungstür zu platzieren. Auch das wird den Parteiverantwortlichen negativ aufgestoßen sein. Mitarbeit: Renxiu Zhao

  • Common Prosperity
  • Gesellschaft
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News

Prozess nach Offenem Brief an Xi

Mehr als zwei Jahre nach seiner Festnahme hat der Gerichtsprozess gegen den chinesischen Bürgerrechtler Xu Zhiyong in der Provinz Shandong begonnen. Dem Juristen wird Untergrabung der Staatsgewalt vorgeworfen. Am Mittwoch plädierte der Angeklagte auf ‘nicht schuldig’, wie aus Medienberichten hervorgeht. Der Prozess ist nicht öffentlich. Xus Anwalt darf die Interessen seines Mandanten vor Gericht nicht vertreten.

Anfang 2020 hatte Xu einen offenen Brief an Xi Jinping veröffentlicht, in dem er die Politik des chinesischen Parteichefs kritisierte und ihm unter anderem vorwarf, “nicht schlau genug” zu sein. Im Falle einer Verurteilung droht Xu eine lange Haftstrafe.

Der 49-Jährige hatte zwischen 2013 und 2017 für die Gründung einer Bürgerrechtsbewegung bereits vier Jahre in Haft gesessen. Die Strafe hielt ihn jedoch nicht davon ab, sein Engagement auch nach seiner Freilassung fortzusetzen. Nach einem Treffen mit einer Gruppe von Aktivisten im Herbst 2019 im südchinesischen Xiamen war Xu für zwei Monate untergetaucht, ehe die Behörden ihn verhafteten.

Während der Flucht verfasste er den offenen Brief. Darin prangerte der Universitäts-Dozent die zunehmende Kontrolle der chinesischen Bevölkerung durch die Kommunistischen Partei, die Entdemokratisierung Hongkongs und Xis Krisenmanagement nach Ausbruch des Coronavirus an.

Der chinesische Menschenrechtsanwalt Teng Biao sagte CNN, dass er mit einer deutlich längeren Strafe für Xu rechne, als bei dessen erster Verurteilung. Dissidenten, die nach einer Haft als Bürgerrechtler aktiv bleiben, würden in einem zweiten Prozess wesentlicher härter bestraft. grz

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  • Menschenrechte
  • Xi Jinping
  • Zivilgesellschaft

Tibeter wegen Übersetzungen verurteilt

Mit einer weiteren langen Haftstrafe gegen einen Aktivisten setzen chinesische Behörden ihren Feldzug gegen tibetische Intellektuelle fort. Mitte Juni sprach ein Gericht in Sichuan einen zweifachen Familienvater wegen angeblicher “separatistischer Aktivitäten” und der “Schaffung gesellschaftlicher Unordnung” schuldig. Er wurde zu knapp viereinhalb Jahren Haft verurteilt.

Der Mann namens Thupten Lodoe hatte sich für den Erhalt der tibetischen Sprache eingesetzt. Über soziale Medien verbreitete er seine Übersetzungen von englisch- oder chinesischsprachigen Texten ins Tibetische. Freunde des Verurteilten hatten gegenüber Radio Free Asia die Vermutung geäußert, dass Lodoe bei den Behörden als Gefahr für die sogenannte nationale Sicherheit galt, ein Euphemismus für politischen Dissens jeglicher Art. Er soll mit Exilanten außerhalb Tibets in Kontakt gestanden habe.

Lodoe war im Oktober vergangenen Jahres von Beamten der Provinzregierung verhaftet worden. Das ist unüblich und Ausdruck für die Dringlichkeit des behördlichen Handelns. Normalerweise übernehmen Beamte aus den zuständigen Bezirken solche Verhaftungen. Lodoe stammt aus Shiqu im Verwaltungsbezirk Ganzi in den tibetischen Siedlungsgebieten in Sichuan.

Laut Lodoes persönlichem Umfeld hatten die Behörden ihm einen Posten in der Verwaltung mit einem monatlichen Salär in Höhe von 10.000 Yuan angeboten, etwa 1.400 Euro. Lodoe soll jedoch abgelehnt haben, um sich weiter dem Erhalt der tibetischen Sprache zu widmen.

Wo genau der Tibeter inhaftiert ist, wissen Freunde und Angehörige ebenso wie in vergleichbaren Fällen nicht. Oft halten die chinesischen Behörden die Aufenthaltsorte jahrelang geheim. Die Vereinten Nationen hatten Anfang des Jahres auf drei Fälle aufmerksam gemacht (China.Table berichete) und die Volksrepublik um konkrete Informationen zu Gefängnissen und Haftbedingungen gebeten. Im Falle der Lehrerin Rinchen Kyi folgte wenige Woche danach deren Freilassung (China.Table berichtete). grz

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  • Tibet
  • Zivilgesellschaft

Brüssel zieht Hongkong-Werbung aus dem Verkehr

Die Stadt Brüssel hat nach Beschwerden von Kunden Anzeigen auf mehreren Straßenbahnen zum 25. Jahrestag der Übergabe Hongkongs zurückgezogen. Die zwei Straßenbahnen mit dem Slogan “A New Era – Stability. Prosperity. Opportunity” hätten eigentlich bis zum 29. August in der Hauptstadt Belgiens fahren sollen, wie die South China Morning Post berichtet. Nach Hinweisen von Fahrgästen seien die Anzeigen nun jedoch zurückgezogen worden, sagte eine Sprecherin der Brüsseler Verkehrsbetriebe STIB. Beschwerden über die Kampagne habe es auch in den sozialen Medien gegeben, so die Sprecherin.

“STIB hat eine Satzung, die unter anderem vorschreibt, dass keine Werbung mit politischen Konnotationen verbreitet werden darf”, erklärte die Sprecherin dem Bericht zufolge. Die Vertretung Hongkongs in Brüssel zeigte sich ob der Entscheidung enttäuscht. Der Aufdruck wurde demnach vor Beginn der Kampagne von STIB abgesegnet. Straßenbahnen mit der Anzeige zur Übergabe Hongkongs fahren auch auf den Straßen von Istanbul, Lissabon und Mailand.

Auch in der italienischen Stadt regt sich dem Bericht zufolge Widerstand: Politiker in Mailand reichten laut lokaler Medienberichte beim Bürgermeister Beschwerde ein. Die Botschaft auf den Trams seien “ein Symbol der chinesischen Unterdrückung”. Die Straßenbahnen wurden jedoch noch nicht aus dem Verkehr gezogen. ari

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Neue Schulbücher in Hongkong deuten die Geschichte um

Eine Reihe neuer Schulbücher im Fach Staatsbürgerkunde sollen Hongkonger Schülern das Bild vermitteln, dass China Hongkong nie offiziell als Kolonie Großbritanniens anerkannt hat. Die Bücher, die sich laut lokalen Berichten an Schüler der vierten Klasse richten, erläutern demnach, dass die Briten das Kolonialrecht nach den Opiumkriegen eigenmächtig und unter Zwang ausgeübt hätten. China habe seine Souveränität nie aufgegeben. Die Bücher vertreten auch Pekings Narrativ, dass die Protestbewegung von 2019 von “ausländischen Kräften” angetrieben wurde.

Das neue Lehrmaterial ist Teil einer umfassenderen Überarbeitung der Lehrpläne in der Sonderverwaltungszone, die in Zukunft einen besonderen Fokus auf “nationale Sicherheit und Patriotismus” legen sollen. Peking macht die Bildung an Schulen und Universitäten für die pro-demokratischen Proteste der vergangenen Jahre mitverantwortlich. Die noch bis zum Monatsende amtierende Regierungschefin von Hongkong, Carrie Lam, erklärte, die Schüler bräuchten Schutz davor, “vergiftet” und mit “falschen und voreingenommenen Informationen” versorgt zu werden.

Anfang des Monats hatte das Bildungsministerium der Stadt zudem einen Erlass veröffentlicht, nachdem Englischlehrer aus dem Ausland in Hongkong künftig einen Treue-Eid leisten müssen, um lehren zu dürfen. Bis zum 21. Juni müssen alle muttersprachlichen Englischlehrerinnen und -lehrer eine Erklärung unterzeichnen, in der steht, dass sie Hongkong die Treue halten, das Grundgesetz der chinesischen Sonderverwaltungszone respektieren und der Regierung gegenüber verantwortlich sind. Sollten sie sich weigern oder nicht daran halten, werde ihr Vertrag gekündigt. fpe

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Unruhe-Risiko wegen steigender Nahrungspreise

Der Kreditversicherer Allianz Trade hat untersucht, in welchen Ländern die Risiken vor sozialen Unruhen aufgrund der steigenden Lebensmittelpreise besonders hoch sind. Elf Länder, die Nettoimporteure von Lebensmitteln sind oder auf Importe knapp gewordener Lebensmittel wie Getreide angewiesen sind, seien besonders gefährdet, schreibt der Kreditversicherer in einer Studie. Diese Staaten seien Algerien, Tunesien, Bosnien-Herzegowina, Ägypten, Jordanien, der Libanon, Nigeria, Pakistan, Philippinen, Türkei und Sri Lanka. Der Versicherer stuft auch Saudi-Arabien und China als gefährdet ein, allerdings ist das Risiko dort noch etwas geringer, da die beiden Länder über solidere Finanzen verfügen.

In einigen Ländern könne der Preisanstieg bei Lebensmitteln sogar zum Sturz von Regierungen wie im Arabischen Frühling führen, warnt der Versicherer. Auch vor den damaligen Massenprotesten in mehreren arabischen Ländern seien die Lebensmittelpreise zwischenzeitlich um 50 Prozent gestiegen. Diese Befürchtung hatte damals auch die chinesische Führung, denn auch in China waren die Lebensmittelpreise massiv gestiegen. Es kam in der Volksrepublik aber nur zu vereinzelten Protesten, gegen die die Führung zudem äußerst rabiat vorging. Heute liegt der Weizenpreis schon über dem Niveau von 2012. flee

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Portrait

Yaqiu Wang – Eine Stimme für Gerechtigkeit

Das Bild zeigt Yaqiu Wang, Senior Researcher China bei Human Rights Watch
Yaqiu Wang, Senior Researcher China bei Human Rights Watch

Bei der Frage nach der Motivation für ihr menschenrechtliches Engagement in China runzelt Yaqiu Wang, Senior China Researcher bei Human Rights Watch, leicht die Stirn: “Bereits meine Geburt war ein Menschenrechtsproblem.” Als Drittgeborene zur Zeit der Ein-Kind-Politik bekam sie rasch zu spüren, was es bedeutet, unter staatlicher Kontrolle und Repression leben zu müssen.

Sie erfuhr früh, dass ihre Mutter sich während ihrer Schwangerschaft bei Verwandten verstecken musste, um einer Zwangsabtreibung zu entkommen. Dies gelang glücklicherweise, führte aber dazu, dass Wang verarmt aufwuchs, denn wegen der ausgebliebenen Abtreibung wurde ihre Familie mit einer Geldstrafe bestraft.

Dazu kam, dass sie mit ihren Problemen und ihrer Scham weitgehend allein war. Denn in der Schule konnte sie über ihre Familiensituation nichts preisgeben, aus Angst vor Stigmatisierung und Ächtung. “Ich fühlte mich so stimmlos, ich fühlte mich unfrei. Aber aufgrund der Staatsindoktrination hatte ich nicht einmal die Sprache, um das auszudrücken.”

Dass dieser Zustand kein andauernder sein muss, wurde ihr in ihrer Collegezeit in China bewusst, in der sie die Tiefen des Internets entdeckte – für sie damals eine “historische Schatzkiste”, die Funde wie eine kritische Darstellung des Tian’anmen-Massakers parat hielt.

Verteidigerin von freier Meinungsäußerung

2012 kehrte Wang nach Abschluss ihres Masters aus den USA zurück in die Volksrepublik. Sie war zuversichtlich, den Weg Chinas hin zu einer rechtsstaatlichen Demokratie vor Ort unterstützen zu können. Doch direkt bei ihrer Ankunft wird sie inhaftiert: “Ich war wortwörtlich ein Niemand! Das sprach Bände über die umfangreiche Überwachung, denen alle Chinesen weltweit ausgesetzt sind.”

Dementsprechend war es ihr, in Anbetracht ihrer eigenen Sicherheit, unmöglich, in diesem China zu arbeiten. Ihre Ideale hingegen hat sie bis heute nicht aufgegeben, nur verfolgt sie diese seit 2017 von New York aus, wo das Hauptbüro von Human Rights Watch China liegt.

Momentan fokussiert sich Wang thematisch auf Zensur, den Schutz von Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtlern und die Rechte von Frauen. Sie bearbeitet dabei in erster Linie aktuelle Angelegenheiten, teils geht es um akut gefährdete Personen.

Aber auch längerfristige Trends nimmt sie ins Visier: “Uns geht es darum, effektive Veränderungen zu bewirken, da müssen wir anpassungsfähig sein.” Denn auch wenn sich im Nachrichtenzyklus kein prominenter Platz dafür finden lässt, dass bei vielen Stellenausschreibungen Männer explizit bevorzugt werden, ist es unerlässlich, auch solche Ungerechtigkeiten aufzuarbeiten. Es sind schließlich nicht weniger als mehrere Hundert Millionen Frauen betroffen.

Wer eine Stimme hat, trägt Verantwortung

Zwar führt Wang ihre Recherchearbeit hauptsächlich online in New York durch, aber durch die vielen Außenposten von Human Rights Watch und ihre Kontakte ist sie global vernetzt. Klar, nach China sowieso.

Aber wenn es um Fälle wie die Berichte von Zwangsarbeit in den Fabriken deutscher Firmen in Xinjiang geht, kann sie das Berliner Büro beauftragen, ihr einen Termin bei der deutschen Regierung oder den betreffenden Firmen zu verschaffen. Ob sie diese Anfragen dann über ihre Vertrauten in den Medien an ein breiteres Publikum trägt, ist situationsabhängig, denn “größere Öffentlichkeit entspricht nicht zwangsweise größerer Wirksamkeit”.

Sie ist sich bewusst, dass ihre zumeist harsche Kritik an China von einigen aufgenommen und verzerrt werden kann, um rassistische Ressentiments zu schüren. Verschüchterung ist Wang jedoch ein Fremdwort: “Wenigstens habe ich eine Stimme hier, die Uiguren haben keine. Ich würde nie meine Zunge bezüglich China zügeln, aus Furcht, instrumentalisiert zu werden.” Julius Schwarzwälder

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China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    • Im Interview: Lee Ming-che – Menschenrechtler zurück in Freiheit
    • KP geht nimmt Luxus-Influencer ins Visier
    • Bürgerrechtler Xu Zhiyong droht lange Haftstrafe
    • Tibeter muss für knapp viereinhalb Jahre hinter Gitter
    • Brüssel zieht Hongkong-Werbung aus dem Verkehr
    • Neue Narrative sollen Hongkongs Schüler “schützen”
    • Unruhen wegen Lebensmittelknappheit auch in China möglich
    • Wang Yaqiu: “Meine Geburt war ein Menschenrechtsproblem”
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    fünf Jahre lang hat der Taiwaner Lee Ming-che in chinesischer Haft gesessen. In einem seiner ersten Interviews erzählte er uns, dass er es vor allem seiner mutigen Frau zu verdanken habe, dass er nicht länger im Land festgehalten wird. Sie habe sich von chinesischer Einschüchterung nicht abhalten lassen, immer wieder internationale Aufmerksamkeit für seinen Fall zu organisieren. Auch seien deshalb seine Haftbedingungen verbessert worden.

    Das Muster ist immer dasselbe, wenn chinesische Gerichte auf Basis zweifelhafter Anklagen und dünner Beweislagen Menschen zu langen Haftstrafen verurteilen, deren Tun der Regierung ein Dorn im Auge ist. Die Angehörigen werden gewarnt oder gar bedroht. Ihnen wird gesagt, sie sollten öffentlich besser schweigen, wenn sie ihren Liebsten helfen wollen.

    In Wahrheit hilft es den Betroffenen rein gar nicht, wenn sich niemand für sie einsetzt. Die chinesische Regierung profitiert dagegen sehr wohl von einem solchen Schweigen, weil sie ihr willkürliches Vorgehen gegen politischen Dissens besser unter den Teppich kehren kann.

    Ihr
    Marcel Grzanna
    Bild von Marcel  Grzanna

    Analyse

    “Ich war nicht bereit, mein Land zu verraten”

    Der taiwanische Menschenrechtler Lee Ming-che nach der Entlassung aus der Haft.
    Menschenrechtler Lee Ming-che nach der Entlassung aus der Haft.

    Herr Lee, Sie engagieren sich für Menschenrechte in China. Inwiefern hatte Ihre Festnahme vor fünf Jahren auch mit den angespannten Beziehungen zwischen Peking und Taipeh zu tun?

    Ich glaube schon, dass da ein Zusammenhang besteht. Seit Präsidentin Tsai Ing-wen von der DPP 2016 ihr Amt angetreten hat, nutzt China jede Chance, um Taiwans Regierung unter Druck zu setzen. Die Staatssicherheit hat immer wieder versucht, mir Spionage anzuhängen. Sie hat ständig zwei Dinge gefragt: Ob ich Geld aus offiziellen Quellen in Taiwan erhalten habe, und wem in China ich dieses Geld gegeben hätte.

    Haben Sie Geld erhalten?

    Nein. Unter Druck habe ich damals den Tatbestand der versuchten “Untergrabung der Staatsgewalt” eingeräumt, aber niemals Spionage. Nach mir wurden noch drei weitere Taiwaner festgenommen, die alle der Spionage bezichtigt wurden. Ich glaube, das war ein Versuch, die Regierung von Präsidentin Tsai unter Druck zu setzen.

    Wie sahen Ihre Aktivitäten in China denn aus?

    Gemeinsam mit ein paar chinesischen Freunden hatte ich einen gemeinnützigen Fonds verwaltet, über den Hilfsgelder an chinesische politische Gefangene und deren Familien gespendet wurden. Als 2016 das Gemeinnützigkeitsgesetz (慈善法) verabschiedet wurde, hatte ich damit gerechnet, dass ich fortan vielleicht an der Einreise gehindert werden könnte. Aber nicht damit, dass China so überzogen reagieren würde. Ich war der erste Taiwaner, gegen den der Straftatbestand “Untergrabung der Staatsgewalt” angewandt wurde.

    Warum haben Sie dieses Vergehen eingeräumt?

    Die Staatssicherheit hat mir gedroht und gesagt, dass ich womöglich lebenslänglich ins Gefängnis müsse. Ob ich jemals wieder nach Hause und meinen Vater sehen wolle, fragten sie mich. Da bin ich ein bisschen weich geworden. Aber selbst dann konnte ich nur gestehen, was ich tatsächlich getan hatte.

    Sie sagen, China wollte Sie als Spion verurteilen. Warum haben Sie den Forderungen der Staatssicherheit in dieser Frage nicht nachgegeben?

    Wenn sie den Straftatbestand der Spionage gegen mich verwendet hätten, dann hätte das mein Land und Taiwans Regierung in den Fall mit hineingezogen. Ich war nicht bereit, mein eigenes Land so zu verraten. Abgesehen davon hatten sie keinerlei Anlass, geschweige denn Beweise für ihre Anschuldigungen.

    Wie kamen Sie als Taiwaner darauf, sich für Menschenrechte in der Volksrepublik einzusetzen?

    Aufgrund der geografischen Lage und wegen des politischen Drucks, den China auf Taiwan ausübt, war ich der Überzeugung, dass wir China besser verstehen müssen. Ich begann damit, die chinesischsprachigen Nachrichtenportale westlicher Medien zu lesen, die über die Situation innerhalb Chinas berichten. Über den Microblogging-Dienst Weibo und andere chinesische soziale Netzwerke wie QQ und Wechat habe ich sehr viele Chinesen kennengelernt und ein tieferes Verständnis für Chinas Unterdrückung der Menschenrechte entwickelt. Damals habe ich mich gefragt, was ich als Ausländer tun kann, um zu helfen. Auch in der Geschichte der taiwanischen Demokratiebewegung gab es Ausländer, die sich für Taiwan eingesetzt und politisch Verfolgten enorm geholfen haben.

    Das haben Sie teuer bezahlen müssen. Aber sie haben auch von großer internationaler Unterstützung profitiert.

    Bereits wenige Tage nach meiner Festnahme hatten taiwanische NGOs eine Pressekonferenz einberufen. Auch Amnesty International war schon aktiv. Zwei Wochen nach meiner Festnahme erklärte China öffentlich, dass gegen mich ermittelt werde. In anderen Fällen halten die Behörde jahrelang geheim, was mit politischen Gefangenen geschehen ist.

    Auch ihre Frau war eine treibende Kraft für die große Solidarität im Ausland.

    Kurz nach meiner Festnahme sollte ein chinesischer Gesandter meine Frau davon überzeugen, sich zurückzuhalten und sich nicht öffentlich zu meinem Fall zu äußern. Aber sie weigerte sich, jeglichem Druck aus China nachzugeben. Stattdessen sagte sie unter anderem vor dem US-Kongress aus und bewegte die UN dazu, meinen Fall aufzugreifen. In der Folge wurden meine Haftbedingungen verbessert.

    Ihr Fall wurde sogar öffentlich verhandelt.

    So waren die Behörden gezwungen, ein Mindestmaß an tauglichen Beweisen vorzulegen. Ohne dieses öffentliche Verfahren hätten sie mich vielleicht zu zehn Jahren oder sogar zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Es ist allein der internationalen Solidaritätskampagne zu verdanken, dass ich nach nur fünf Jahren gesund zurückgekehrt bin.

    Es stand die Drohung im Raum, Ihnen ihre politischen Rechte zu entziehen und sie zwei Jahre nach der Haftentlassung nicht aus dem Land zu lassen.

    Der Witz dabei ist, dass ich ja kein Bürger der Volksrepublik China bin und keine politischen Rechte habe, die mir entzogen werden könnten. Es gibt aber eine gesetzliche Regelung, die vorsieht, dass man während dieser zusätzlichen Strafe das Land nicht verlassen darf. Das ist spannend: Wenn China Taiwan wirklich als seine Provinz betrachtet, dann sollte es doch keine Ausreise ins Ausland sein, wenn ein Taiwaner nach Ende seiner Haftzeit nach Taiwan zurückkehrt.

    Soweit kam es aber nicht.

    Das war mir aber erst drei Tage vor meiner Entlassung klar, als man mir mitteilte, man wolle ein Flugticket für mich kaufen. Aber ich war bis zuletzt nervös. Wegen der Pandemie gibt es aktuell nur wenige Flüge nach Taiwan, und der nächste Flughafen war in Xiamen. Am Tag meiner Entlassung bin ich also von Hunan nach Xiamen gebracht worden, habe da übernachtet und wurde morgens nach Taiwan ausgeflogen.

    Sie sind jetzt zurück in Taiwan, einem demokratischen Rechtsstaat. Machen Sie sich Sorgen, dass Ihnen die Kommunistische Partei Chinas auch hier zu Leibe rücken wird?

    Wenn sie nur mich persönlich attackieren, dann kann ich damit leben. Mir bereitet eher Sorge, wie Taiwan von chinesischen Kräften unterwandert wird und unser Land in den Bereichen Wirtschaft, Kultur und Bildung infiltriert. Da müssen wir wachsam sein. Ich war fünf Jahre weg, und es gibt einige Veränderungen, die man nicht unterschätzen darf und die auch kein Zufall sind. Zum Beispiel nutzen Taiwans Mittelschüler kaum noch Facebook und sind jetzt alle auf chinesischen Apps wie Douyin (Tiktok) und Xiaohongshu (Little Red Book) unterwegs. In den letzten zwei Monaten ist mir auch aufgefallen, dass chinesische Umgangssprache in Taiwan Fuß fasst. Vor kurzem wurde außerdem berichtet, dass die Tageszeitung Apple Daily Taiwan von Hongkonger Investoren aufgekauft worden sein soll.

    Wird es Sie in Zukunft zurück nach China ziehen? Und würden Sie anderen von einer Reise abraten?

    Ich werde in Zukunft ganz sicher nicht mehr nach China reisen. Wenn man so etwas machen möchte wie ich oder für eine NGO arbeitet, dann sollte man lieber vorsichtig sein und sich vor Reiseantritt erstmal fragen, ob man so eine taffe Frau an seiner Seite hat wie ich. Taiwaner, die in China nur Geschäfte machen, haben meine Ratschläge wahrscheinlich nicht nötig. Das muss jeder selbst wissen.

    Lee Ming-che (李明哲), Demokratieaktivist aus Taiwan, wurde von einem Gericht in der Provinz Hunan in der Volksrepublik China 2017 für seine Aktivitäten in Online-Chats wegen “Untergrabung der Staatsgewalt” schuldig gesprochen. Er saß fünf Jahre im Gefängnis.

    • Menschenrechte
    • Taiwan
    • Zivilgesellschaft

    Zu viel Schein als Sein ist strafbar

    Influencerin Viya hatte einst über 80 Millionen Follower, bevor sie wegen Steuerhinterziehung in Ungnade fiel. Reichtum zur Schau stellen ist in China nun strafbar.
    Influencerin Viya hatte einst über 80 Millionen Follower, bevor sie wegen Steuerhinterziehung in Ungnade fiel.

    Seinen Reichtum im Internet öffentlich zur Schau zu stellen, wird in China immer gefährlicher. Die Behörden bemängeln, dass “diese Art von Aktivität ernsthaft gegen die sozialen Werte Chinas verstößt und der Öffentlichkeit fehlgeleitete Inhalte aufzeigt”. Bekannte und viel genutzte Plattformen wie Xiaohongshu (wörtlich übersetzt “Kleines rotes Buch”) und Douyin haben bereits Konsequenzen gezogen, und bestimmte Online-Challenges untersagt, etwa jene, bei der besonders betuchte User sich vornahmen, eine Million Yuan (umgerechnet 140.000 Euro) am Tag auszugeben und dann auf sozialen Medien zu zeigen, was sich dafür kaufen lässt. Das “Erstellen von Inhalten, die absichtlich Reichtum zur Schau stellen, indem zum Beispiel luxuriöse Häuser, Autos oder Güter vorgeführt werden, ohne nützliche Informationen zu enthalten, soll bestraft” werden, heißt es in einer Vorgabe der Plattform Xiaohongshu.

    Der Grund ist, wie so oft in China, auf einen Widerspruch zur offiziellen Parteilinie zurückzuführen. Ein Zurschaustellen extremen Reichtums passt nicht mehr zur Umverteilungslogik von Staats- und Parteichef Xi Jinping. Xi hatte im vergangenen Sommer angekündigt, dass “exzessiv hohe Einkommen” gekappt werden und Unternehmer mehr an die Gesellschaft zurückgeben sollen. Als er das Ziel des “gemeinsamen Wohlstandes” (Common Prosperity) bis 2049 ankündigte (China.Table berichtete), wurde eine Welle von gesellschaftspolitischen Veränderungen losgetreten. Der Wohlstand, der in den großen Metropolen wie Peking oder Shanghai zelebriert wird, ist der Parteiführung schon länger ein Dorn im Auge, denn er entspricht nicht dem “Sozialismus mit chinesischer Prägung”. Schon seit Jahren werden Kader darauf geeicht, nicht mit Rolex-Uhren und teuren Autos zu protzen. Jetzt trifft die Forderung nach “echtem Sozialismus” auch immer mehr die Online-Welt.

    Bei Zuwiderhandlung droht die Löschung

    Dadurch wird das ohnehin streng überwachte Internet für Chinas Bürger noch restriktiver. Bei Zuwiderhandlung droht die Löschung des Accounts. Und auch Marken, die mit Influencern arbeiten, könnten unter Druck geraten, wie eine ähnliche Kampagne gegen die Unterhaltungsindustrie zuletzt zeigte (China.Table berichtete). Viele ihrer Geschäftsstrategien werden durch die Anti-Protz-Kampagne der Regierung als “unmoralisch” abgestempelt.

    Auch wenn Vieles in den sozialen Netzwerken nicht echt ist und gezeigter Luxus oft nur Schein, gibt es dennoch Werbedeals und Verträge zwischen sogenannten “wichtigen Meinungsführern” (Key Opinion Leaders – KOLs) mit enormer Reichweite und großen Marken. Für nur einen WeChat-Post etwa kann ein Social-Media-Sternchen aus der B- oder C-Liga durchaus eine fünfstellige Yuan-Summe verlangen.

    Angeberei wird online immer weniger geduldet

    Wie ernst es Peking mit den “sozialistischen Pfaden” ist, die die Regierung bis 2049 einschlagen will, zeigen Maßnahmen zur Erziehung der Nutzer:innen. Ihnen sollen verstärkt moralische Wertvorstellungen beigebracht werden. 

    Damit befasst ist Zhang Yongjun von der Cyberspace Administration Chinas. Er stellt die Frage, ob das Zurschaustellen eigenen Wohlstandes durch einzelne Bürger berechtigten Stolz auf Erreichtes zeigt oder ob es schon längst umgeschlagen ist in Prahlerei. Zhang gibt bewusst erst mal keine Antwort. Doch allein die Frage ist ein Fingerzeig.

    Die Influencer auf Chinas Social-Media-Plattformen sind durch vorherige Kampagnen alarmiert. Zu tief sitzen die Erinnerungen an die “Säuberungsmaßnahmen” in der Unterhaltungsbranche im vergangenen Jahr. Viele der einst großen Namen in der Film-, Mode-, Unterhaltungsbranche wie Angela Baby (Fang Binbin), Zhao Wei und selbst Stars mit ausländischen Pässen wie Kris Wu, der in Kanada aufgewachsen ist, sind nach Vorwürfen der Steuerhinterziehung oder anderen Vorwänden vollkommen von der Bildfläche verschwunden.

    Dass Luxus aber auch ein Ausdruck von öffentlichem Dissens werden kann, zeigten zuletzt Bilder in den sozialen Medien während des Shanghaier Lockdowns. Viele Bewohner wählten Einkaufstaschen der Marken Hermes, Gucci oder Prada, um ihre täglichen Coronatests zur Abholung durch die Behörden an der Wohnungstür zu platzieren. Auch das wird den Parteiverantwortlichen negativ aufgestoßen sein. Mitarbeit: Renxiu Zhao

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    Prozess nach Offenem Brief an Xi

    Mehr als zwei Jahre nach seiner Festnahme hat der Gerichtsprozess gegen den chinesischen Bürgerrechtler Xu Zhiyong in der Provinz Shandong begonnen. Dem Juristen wird Untergrabung der Staatsgewalt vorgeworfen. Am Mittwoch plädierte der Angeklagte auf ‘nicht schuldig’, wie aus Medienberichten hervorgeht. Der Prozess ist nicht öffentlich. Xus Anwalt darf die Interessen seines Mandanten vor Gericht nicht vertreten.

    Anfang 2020 hatte Xu einen offenen Brief an Xi Jinping veröffentlicht, in dem er die Politik des chinesischen Parteichefs kritisierte und ihm unter anderem vorwarf, “nicht schlau genug” zu sein. Im Falle einer Verurteilung droht Xu eine lange Haftstrafe.

    Der 49-Jährige hatte zwischen 2013 und 2017 für die Gründung einer Bürgerrechtsbewegung bereits vier Jahre in Haft gesessen. Die Strafe hielt ihn jedoch nicht davon ab, sein Engagement auch nach seiner Freilassung fortzusetzen. Nach einem Treffen mit einer Gruppe von Aktivisten im Herbst 2019 im südchinesischen Xiamen war Xu für zwei Monate untergetaucht, ehe die Behörden ihn verhafteten.

    Während der Flucht verfasste er den offenen Brief. Darin prangerte der Universitäts-Dozent die zunehmende Kontrolle der chinesischen Bevölkerung durch die Kommunistischen Partei, die Entdemokratisierung Hongkongs und Xis Krisenmanagement nach Ausbruch des Coronavirus an.

    Der chinesische Menschenrechtsanwalt Teng Biao sagte CNN, dass er mit einer deutlich längeren Strafe für Xu rechne, als bei dessen erster Verurteilung. Dissidenten, die nach einer Haft als Bürgerrechtler aktiv bleiben, würden in einem zweiten Prozess wesentlicher härter bestraft. grz

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    Tibeter wegen Übersetzungen verurteilt

    Mit einer weiteren langen Haftstrafe gegen einen Aktivisten setzen chinesische Behörden ihren Feldzug gegen tibetische Intellektuelle fort. Mitte Juni sprach ein Gericht in Sichuan einen zweifachen Familienvater wegen angeblicher “separatistischer Aktivitäten” und der “Schaffung gesellschaftlicher Unordnung” schuldig. Er wurde zu knapp viereinhalb Jahren Haft verurteilt.

    Der Mann namens Thupten Lodoe hatte sich für den Erhalt der tibetischen Sprache eingesetzt. Über soziale Medien verbreitete er seine Übersetzungen von englisch- oder chinesischsprachigen Texten ins Tibetische. Freunde des Verurteilten hatten gegenüber Radio Free Asia die Vermutung geäußert, dass Lodoe bei den Behörden als Gefahr für die sogenannte nationale Sicherheit galt, ein Euphemismus für politischen Dissens jeglicher Art. Er soll mit Exilanten außerhalb Tibets in Kontakt gestanden habe.

    Lodoe war im Oktober vergangenen Jahres von Beamten der Provinzregierung verhaftet worden. Das ist unüblich und Ausdruck für die Dringlichkeit des behördlichen Handelns. Normalerweise übernehmen Beamte aus den zuständigen Bezirken solche Verhaftungen. Lodoe stammt aus Shiqu im Verwaltungsbezirk Ganzi in den tibetischen Siedlungsgebieten in Sichuan.

    Laut Lodoes persönlichem Umfeld hatten die Behörden ihm einen Posten in der Verwaltung mit einem monatlichen Salär in Höhe von 10.000 Yuan angeboten, etwa 1.400 Euro. Lodoe soll jedoch abgelehnt haben, um sich weiter dem Erhalt der tibetischen Sprache zu widmen.

    Wo genau der Tibeter inhaftiert ist, wissen Freunde und Angehörige ebenso wie in vergleichbaren Fällen nicht. Oft halten die chinesischen Behörden die Aufenthaltsorte jahrelang geheim. Die Vereinten Nationen hatten Anfang des Jahres auf drei Fälle aufmerksam gemacht (China.Table berichete) und die Volksrepublik um konkrete Informationen zu Gefängnissen und Haftbedingungen gebeten. Im Falle der Lehrerin Rinchen Kyi folgte wenige Woche danach deren Freilassung (China.Table berichtete). grz

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    Brüssel zieht Hongkong-Werbung aus dem Verkehr

    Die Stadt Brüssel hat nach Beschwerden von Kunden Anzeigen auf mehreren Straßenbahnen zum 25. Jahrestag der Übergabe Hongkongs zurückgezogen. Die zwei Straßenbahnen mit dem Slogan “A New Era – Stability. Prosperity. Opportunity” hätten eigentlich bis zum 29. August in der Hauptstadt Belgiens fahren sollen, wie die South China Morning Post berichtet. Nach Hinweisen von Fahrgästen seien die Anzeigen nun jedoch zurückgezogen worden, sagte eine Sprecherin der Brüsseler Verkehrsbetriebe STIB. Beschwerden über die Kampagne habe es auch in den sozialen Medien gegeben, so die Sprecherin.

    “STIB hat eine Satzung, die unter anderem vorschreibt, dass keine Werbung mit politischen Konnotationen verbreitet werden darf”, erklärte die Sprecherin dem Bericht zufolge. Die Vertretung Hongkongs in Brüssel zeigte sich ob der Entscheidung enttäuscht. Der Aufdruck wurde demnach vor Beginn der Kampagne von STIB abgesegnet. Straßenbahnen mit der Anzeige zur Übergabe Hongkongs fahren auch auf den Straßen von Istanbul, Lissabon und Mailand.

    Auch in der italienischen Stadt regt sich dem Bericht zufolge Widerstand: Politiker in Mailand reichten laut lokaler Medienberichte beim Bürgermeister Beschwerde ein. Die Botschaft auf den Trams seien “ein Symbol der chinesischen Unterdrückung”. Die Straßenbahnen wurden jedoch noch nicht aus dem Verkehr gezogen. ari

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    Neue Schulbücher in Hongkong deuten die Geschichte um

    Eine Reihe neuer Schulbücher im Fach Staatsbürgerkunde sollen Hongkonger Schülern das Bild vermitteln, dass China Hongkong nie offiziell als Kolonie Großbritanniens anerkannt hat. Die Bücher, die sich laut lokalen Berichten an Schüler der vierten Klasse richten, erläutern demnach, dass die Briten das Kolonialrecht nach den Opiumkriegen eigenmächtig und unter Zwang ausgeübt hätten. China habe seine Souveränität nie aufgegeben. Die Bücher vertreten auch Pekings Narrativ, dass die Protestbewegung von 2019 von “ausländischen Kräften” angetrieben wurde.

    Das neue Lehrmaterial ist Teil einer umfassenderen Überarbeitung der Lehrpläne in der Sonderverwaltungszone, die in Zukunft einen besonderen Fokus auf “nationale Sicherheit und Patriotismus” legen sollen. Peking macht die Bildung an Schulen und Universitäten für die pro-demokratischen Proteste der vergangenen Jahre mitverantwortlich. Die noch bis zum Monatsende amtierende Regierungschefin von Hongkong, Carrie Lam, erklärte, die Schüler bräuchten Schutz davor, “vergiftet” und mit “falschen und voreingenommenen Informationen” versorgt zu werden.

    Anfang des Monats hatte das Bildungsministerium der Stadt zudem einen Erlass veröffentlicht, nachdem Englischlehrer aus dem Ausland in Hongkong künftig einen Treue-Eid leisten müssen, um lehren zu dürfen. Bis zum 21. Juni müssen alle muttersprachlichen Englischlehrerinnen und -lehrer eine Erklärung unterzeichnen, in der steht, dass sie Hongkong die Treue halten, das Grundgesetz der chinesischen Sonderverwaltungszone respektieren und der Regierung gegenüber verantwortlich sind. Sollten sie sich weigern oder nicht daran halten, werde ihr Vertrag gekündigt. fpe

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    Unruhe-Risiko wegen steigender Nahrungspreise

    Der Kreditversicherer Allianz Trade hat untersucht, in welchen Ländern die Risiken vor sozialen Unruhen aufgrund der steigenden Lebensmittelpreise besonders hoch sind. Elf Länder, die Nettoimporteure von Lebensmitteln sind oder auf Importe knapp gewordener Lebensmittel wie Getreide angewiesen sind, seien besonders gefährdet, schreibt der Kreditversicherer in einer Studie. Diese Staaten seien Algerien, Tunesien, Bosnien-Herzegowina, Ägypten, Jordanien, der Libanon, Nigeria, Pakistan, Philippinen, Türkei und Sri Lanka. Der Versicherer stuft auch Saudi-Arabien und China als gefährdet ein, allerdings ist das Risiko dort noch etwas geringer, da die beiden Länder über solidere Finanzen verfügen.

    In einigen Ländern könne der Preisanstieg bei Lebensmitteln sogar zum Sturz von Regierungen wie im Arabischen Frühling führen, warnt der Versicherer. Auch vor den damaligen Massenprotesten in mehreren arabischen Ländern seien die Lebensmittelpreise zwischenzeitlich um 50 Prozent gestiegen. Diese Befürchtung hatte damals auch die chinesische Führung, denn auch in China waren die Lebensmittelpreise massiv gestiegen. Es kam in der Volksrepublik aber nur zu vereinzelten Protesten, gegen die die Führung zudem äußerst rabiat vorging. Heute liegt der Weizenpreis schon über dem Niveau von 2012. flee

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    Yaqiu Wang – Eine Stimme für Gerechtigkeit

    Das Bild zeigt Yaqiu Wang, Senior Researcher China bei Human Rights Watch
    Yaqiu Wang, Senior Researcher China bei Human Rights Watch

    Bei der Frage nach der Motivation für ihr menschenrechtliches Engagement in China runzelt Yaqiu Wang, Senior China Researcher bei Human Rights Watch, leicht die Stirn: “Bereits meine Geburt war ein Menschenrechtsproblem.” Als Drittgeborene zur Zeit der Ein-Kind-Politik bekam sie rasch zu spüren, was es bedeutet, unter staatlicher Kontrolle und Repression leben zu müssen.

    Sie erfuhr früh, dass ihre Mutter sich während ihrer Schwangerschaft bei Verwandten verstecken musste, um einer Zwangsabtreibung zu entkommen. Dies gelang glücklicherweise, führte aber dazu, dass Wang verarmt aufwuchs, denn wegen der ausgebliebenen Abtreibung wurde ihre Familie mit einer Geldstrafe bestraft.

    Dazu kam, dass sie mit ihren Problemen und ihrer Scham weitgehend allein war. Denn in der Schule konnte sie über ihre Familiensituation nichts preisgeben, aus Angst vor Stigmatisierung und Ächtung. “Ich fühlte mich so stimmlos, ich fühlte mich unfrei. Aber aufgrund der Staatsindoktrination hatte ich nicht einmal die Sprache, um das auszudrücken.”

    Dass dieser Zustand kein andauernder sein muss, wurde ihr in ihrer Collegezeit in China bewusst, in der sie die Tiefen des Internets entdeckte – für sie damals eine “historische Schatzkiste”, die Funde wie eine kritische Darstellung des Tian’anmen-Massakers parat hielt.

    Verteidigerin von freier Meinungsäußerung

    2012 kehrte Wang nach Abschluss ihres Masters aus den USA zurück in die Volksrepublik. Sie war zuversichtlich, den Weg Chinas hin zu einer rechtsstaatlichen Demokratie vor Ort unterstützen zu können. Doch direkt bei ihrer Ankunft wird sie inhaftiert: “Ich war wortwörtlich ein Niemand! Das sprach Bände über die umfangreiche Überwachung, denen alle Chinesen weltweit ausgesetzt sind.”

    Dementsprechend war es ihr, in Anbetracht ihrer eigenen Sicherheit, unmöglich, in diesem China zu arbeiten. Ihre Ideale hingegen hat sie bis heute nicht aufgegeben, nur verfolgt sie diese seit 2017 von New York aus, wo das Hauptbüro von Human Rights Watch China liegt.

    Momentan fokussiert sich Wang thematisch auf Zensur, den Schutz von Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtlern und die Rechte von Frauen. Sie bearbeitet dabei in erster Linie aktuelle Angelegenheiten, teils geht es um akut gefährdete Personen.

    Aber auch längerfristige Trends nimmt sie ins Visier: “Uns geht es darum, effektive Veränderungen zu bewirken, da müssen wir anpassungsfähig sein.” Denn auch wenn sich im Nachrichtenzyklus kein prominenter Platz dafür finden lässt, dass bei vielen Stellenausschreibungen Männer explizit bevorzugt werden, ist es unerlässlich, auch solche Ungerechtigkeiten aufzuarbeiten. Es sind schließlich nicht weniger als mehrere Hundert Millionen Frauen betroffen.

    Wer eine Stimme hat, trägt Verantwortung

    Zwar führt Wang ihre Recherchearbeit hauptsächlich online in New York durch, aber durch die vielen Außenposten von Human Rights Watch und ihre Kontakte ist sie global vernetzt. Klar, nach China sowieso.

    Aber wenn es um Fälle wie die Berichte von Zwangsarbeit in den Fabriken deutscher Firmen in Xinjiang geht, kann sie das Berliner Büro beauftragen, ihr einen Termin bei der deutschen Regierung oder den betreffenden Firmen zu verschaffen. Ob sie diese Anfragen dann über ihre Vertrauten in den Medien an ein breiteres Publikum trägt, ist situationsabhängig, denn “größere Öffentlichkeit entspricht nicht zwangsweise größerer Wirksamkeit”.

    Sie ist sich bewusst, dass ihre zumeist harsche Kritik an China von einigen aufgenommen und verzerrt werden kann, um rassistische Ressentiments zu schüren. Verschüchterung ist Wang jedoch ein Fremdwort: “Wenigstens habe ich eine Stimme hier, die Uiguren haben keine. Ich würde nie meine Zunge bezüglich China zügeln, aus Furcht, instrumentalisiert zu werden.” Julius Schwarzwälder

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    China.Table Redaktion

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