beim Forum Außenpolitik in Berlin kam in dieser Woche wieder einmal intensiv zur Sprache, wie wichtig eine größere Unabhängigkeit Deutschlands von der Volksrepublik China ist. Der Hongkonger Regierungschef erklärte hingegen das Gegenteil zum Königsweg: John Lee will seine Stadt noch deutlicher tiefer in Festlandchina integrieren. Wirtschaft und Verwaltung sollten sich weiter annähern, betonte er in seiner ersten Grundsatzrede im Amt des Chief Executive. Er will die Auflösung der Sonderstellung seiner Stadt geradezu systematisch fortsetzen.
Nur beim Thema Covid hat Hongkong inzwischen einen weitgehend liberalen Pfad beschritten. Nach zwei Jahren strenger Auflagen ist von der Panik vor einer Ausbreitung der Krankheit kaum noch etwas übrig -ganz im Gegensatz zur Situation auf der anderen Seite der Grenze.
In Hongkong hat man wohl eingesehen, dass man wie keine andere Metropole unter dem Abgang von Fachkräften leidet und dringend die Kurve kriegen muss, um nicht endgültig abgehängt zu werden. Innerhalb von zwei Jahren haben 140.000 Menschen die Stadt für immer verlassen.
Eine solche Flucht ist den Menschen in der Volksrepublik nicht ohne Weiteres möglich. Dafür kristallisiert sich zunehmend eine Alternative heraus – die Umsiedlung in die Dörfer. Fabian Peltsch erzählt uns die Geschichte von mehreren Aussteigern, die schon beim Lesen dafür sorgt, dass man ein bisschen Stress abbaut.
In diesem Sinne
Der lange Schatten der Pekinger Zentralregierung legte sich über die erste Grundsatzrede von John Lee. Der Hongkonger Regierungschef bedankte sich gleich zu Anfang noch einmal bei Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping für dessen aufmunternde Worte zu seinem Amtsantritt. Das wäre eine nachvollziehbare Geste gewesen, hätte Lee erst am Tag zuvor den Dienst angetreten. Doch tatsächlich liegt die Übernahme der Stadtgeschäfte durch den früheren Polizeichef schon mehr als dreieinhalb Monate in der Vergangenheit.
Dass Lee dennoch umgehend ein Grußwort an den Parteichef in Peking richtete, ehe er sich den dringenden Problemen der Stadt widmete, darf als ritualisierte Pflichterfüllung im Rahmen einer neuen politischen Konformität Hongkongs gewertet werden. Die Stadt hat die ihr bis 2047 zugesagte Autonomie trotz monatelanger intensiver Proteste durch Millionen Menschen nicht behalten, geschweige denn eine demokratische Entwicklung eingenommen, so wie es vor 25 Jahren eigentlich vertraglich zugesichert worden war.
Dass Lee parallel zum Parteitag in Peking die Eckpunkte seiner Politik formulierte, steht symbolisch für die erzwungene ideologische Nähe Hongkongs zur Volksrepublik. Und als habe sich Lee bereits vollends mit den KP-Kadern assimiliert, hielt er die längste Grundsatzrede eines Hongkonger Regierungschefs seit der Rückgabe der Stadt an China. Satte zwei Stunden und 45 Minuten forderte er die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer.
So lange wie seine Rede, so lang ist auch die Liste der Herausforderungen, die Hongkong zu bewältigen hat. Über allem steht die politische Stabilität. Lee sagte, er hoffe auf eine “fähige Regierung, die Ergebnisse liefern” könne, um Hongkong in die Zukunft zu führen. Zentraler Ansatz: ein starkes Bewusstsein bei Verwaltungsangstelten auf allen Ebene für “nationale Souveränität und Sicherheit”. “Verdienstvolle und vorbildliche” Mitarbeiter sollen künftig eine Auszeichnung erhalten.
Die wachsende Bedeutung der nationalen Sicherheit, wie sie seit 2020 auch das Sicherheitsgesetz in Hongkong formuliert, hat in den vergangenen Jahren die aktive politische Opposition hinter Gitter gebracht oder außer Landes gejagt und freien Medien die Arbeitsbasis entzogen. Sicherheit, wie sie Lee definiert, wird daher am ehesten gewährleistet, wenn die Menschen der Metropole nach dem Verlust ihrer traditionellen Rechtsstaatlichkeit britischen Vorbildes, ihrer liberalen Bürgerrechte wie Meinungs-, Versammlungs- oder Pressefreiheit und ihrer zivilgesellschaftlichen Spielräume zumindest existenzielle Perspektiven entwickeln können.
Solche Bedürfnisse muss die Stadt deshalb zuallererst befriedigen. “Die Lösung des Wohnungsproblems steht ganz oben auf der Agenda der derzeitigen Regierung. Das Ziel ist es, den Menschen die Hoffnung zu geben, früher eine menschenwürdige Wohnungen zu bekommen”, sagte Lee. Im Rahmen einer neuen Light Public Housing (LPH)-Politik will er 30.000 neue Einheiten bauen lassen, günstiger im Erwerb als bisher und mindestens 26 Quadratmeter groß. Das alles soll schnell geschehen und die Wartezeit der Menschen auf eine entsprechende Einheit um zwei auf nur noch viereinhalb Jahre im Schnitt verkürzen.
Bei der Entwicklung neuen Wohnraum in der sogenannten Nördlichen Metropole in den New Territories, aber auch des geplanten Technologieparks an der Grenze zur Volksrepublik, will Lee die Zusammenarbeit mit chinesischen Unternehmen weiter vertiefen. Hongkong und das benachbarte Shenzhen sollen zunehmend integriert werden. Der geografische Zusammenschluss der Städte ist Teil von Chinas Expansionsplänen der gesamten Region, inklusive, Guangzhou, Zhuhai oder Macao.
Bei all dem wirkt die Corona-Pandemie nur noch wie lästiges Beiwerk. Die Stadt hat auch wegen der strengen Auflagen in den vergangenen zwei Jahren viele ausländische Unternehmen verschreckt. Jetzt benötigen Einreisende weder einen PCR-Test, noch müssen sie in Quarantäne. Lee wollte sich denn auch mit dem Thema nicht länger auseinandersetzen als unbedingt notwendig. “Die Regierung wird die Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung entsprechend der aktuellen Situation und Entwicklung weiter anpassen und verbessern”, sagte er.
Im Gegensatz zur Volksrepublik hat Hongkong die Grenzen nach Außen seit knapp einem Monat fast bedingungslos geöffnet. Nur noch drei Tage lang sind Neuankömmlinge für den Besuch bestimmter Einrichtungen gesperrt. Ansonsten dürfen sie sich frei in der Stadt bewegen – auch, weil kaum eine andere Finanzmetropole so unter dem Abgang internationaler Arbeitskräfte während der Pandemie gelitten hat wie Hongkong. 140.000 Menschen haben die Stadt in den vergangenen zwei Jahren verlassen. Darunter jedoch auch Zehntausende Hongkonger Bürger, die vor der zunehmend autoritären Entwicklung geflohen sind, weniger vor Covid.
Folglich fehlen der örtlichen Industrie immer mehr Fachkräfte und Experten. Lee versprach, die Stadt werde international auf die Suche gehen, um sich auf dem gesamten Erdball die “Talente zu schnappen”. Peking hat begriffen, dass Hongkong mehr als jede chinesische Stadt Lockerungen braucht- auch wegen des Expat-Abflusses.
Der Ansatz hier: Schon für Uniabsolventen will Lee Hongkong wieder attraktiver machen, indem Visa für zwei Jahre ausgestellt werden und deren Verlängerung entbürokratisiert werden soll. Ausländische Immobilienbesitzer sollen Steuern erstattet bekommen, um sie vom Erhalt des Eigentums und dem möglichen Verbleib in der Stadt zu überzeugen. Lokale Firmen soll prinzipiell die Anstellung ausländischer Arbeitskräfte erleichtert werden.
Beschossen von Russland, bedroht von China – Europas Versprechen von Sicherheit und Freiheit stehe auf dem Spiel, mahnte die Außenministerin Baerbock beim Berliner Forum Außenpolitik am Dienstag. Ihr Gebot der Stunde lautet: Resilienz gegenüber autoritären Regimen. Auch für Deutschland, das die Fehler der Russlandpolitik nicht mit China wiederholen dürfe, so Baerbock. “Einseitige wirtschaftliche Abhängigkeit macht uns politisch erpressbar.”
Baerbock will den chinapolitischen Wandel. Am Ende ist es aber Bundeskanzler Olaf Scholz, der mit Xi Jinping am Tisch sitzt. Und das schon in zwei Wochen. Der Bundeskanzler wird sich als erster G7-Regierungschef seit Beginn der Corona-Pandemie auf den Weg nach Peking machen. Allein ist er nicht: Ähnlich wie bei den zahlreichen Reisen seiner Vorgängerin Angela Merkel begleitet Scholz eine große Wirtschaftsdelegation, von der zumindest manche Mitglieder auf den großen Deal in China hoffen dürften.
Bedeutet das schon ein Festhalten am Kuschelkurs der Merkel-Jahre, die der Aussicht auf wirtschaftliche Vorteile alles andere unterordnete? Damit würde Scholz ein großes Risiko eingehen. Denn das Panda-China der Angela Merkel gäbe es nicht mehr, meint der ebenfalls anwesende Kevin Rudd, ehemaliger australischer Premierminister und Sinologe. Xi Jinping würde gestärkt aus dem Parteitag der KP diese Woche in Peking hervorgehen, glaubt Rudd. Xis “marxistisch-nationalistischer Kurs” werde China außenpolitisch aggressiver machen – auch weil die Wirtschaft nicht mehr die oberste Priorität habe. In diesen unsicheren Fahrwassern will Scholz Kontinuität, Baerbock nicht. Auch das ist ein Grund, weshalb Monate nach ihrer Ankündigung noch immer keine China-Strategie der Bundesregierung auf dem Tisch liegt.
Aber was wird eigentlich im Ausland von Deutschland erwartet? Das Baltikum begrüßt den Wunsch der deutschen Außenministerin nach mehr Unabhängigkeit von China, auch weil Litauen von Peking wegen seiner Haltung zu Taiwan seit Monaten mit Handelsbeschränkungen abgestraft wird. Lettland, Estland und Litauen haben das ehemals 17+1-Format ost- und südostosteuropäischer Staaten und China mit ihrem Austritt schrumpfen lassen – genervt von Pekings paternalistischem Auftreten und geplatzten Investitionsträumen.
Wenn auf Annalena Baerbocks Ankündigung von größerer Unabhängigkeit keine Taten folgen, droht der deutschen Außenpolitik nach den anhaltenden Debatten um Waffenlieferungen an die Ukraine ein weiterer Vertrauensverlust in Europa.
Um Vertrauen geht es auch den USA, vor allem mit Blick auf den Indopazifik. Chinas Militär baut sich vor Taiwan auf. Die USA erhöhen seit Jahren ihre Präsenz, und auch Deutschland wagt sich aus der Deckung. Nach der Entsendung der Fregatte Bayern im vergangenen Jahr will die deutsche Marine künftig alle zwei Jahre Kriegsschiffe in die Region entsenden. Für Washington ginge da noch mehr.
Kann oder will Deutschland nicht mehr? Staatssekretärin Franziska Brantner hofft, dass von Deutschlands Unterstützung für die Ukraine auch ein Signal in den Indopazifik geht: “Man kann nicht einfach ein anderes Land angreifen und damit ungeschoren davonkommen”, sagte Brantner beim Forum. Wird Deutschland also präsenter in der Region? Wohl eher nicht. “Im Bereich Sicherheit sind wir sind immer noch sehr abhängig von den USA”, meint Brantner.
Gespannt erwartet wird deshalb die China-Strategie der Bundesregierung, bei der das Auswärtige Amt federführend ist. Baerbocks Ministerium steht vor einem Spagat. Es muss den Erwartungen der Partnerländer gerecht werden und gleichzeitig die Stimmung im Land treffen.
Der Berlin Pulse zeigt: Mehr als 60 Prozent der Deutschen sind bereit, Einbußen in Kauf zu nehmen, damit Deutschland seine wirtschaftliche Abhängigkeit von China reduzieren kann. Nur knapp 20 Prozent der Deutschen wollen engere Beziehungen zu China. Auch das allgemeine Chinabild der Deutschen hat sich rapide verschlechtert. Dennoch wollen viele Deutsche eine zurückhaltende Außenpolitik: Verstärktes Engagement in internationalen Krisen kann sich nur knapp die Hälfte im Land vorstellen.
Falls China Taiwan angreift, würde Deutschlands Wirtschaft darunter leiden, zu eng sind die Verflechtungen mit dem chinesischen Markt. Es würde ein politischer Balanceakt folgen, so wie nach Putins Einmarsch in der Ukraine. Es bleibt also offen, ob Bundeskanzler Scholz die ausgerufene Zeitwende tatsächlich auch mit nach Peking nimmt. Seine Kollegen aus Osteuropa werden ihn noch oft genug daran erinnern. Jonathan Kaspar Lehrer
“Hier ist der Himmel auf Erden” sagt Zhang Jinglei über ihre neue Heimat. Zehn Jahre hatte die Filmemacherin in Chinas Hauptstadt Peking gelebt. Vor zehn Monaten packte sie ihre Sachen und zog ins gut 2.000 Kilometer entfernte Caicun, ein Vorort der Stadt Dali in der Provinz Yunnan. In wenigen Tagen fand die 32-Jährige in dem von der Bai-Minderheit geprägten Dorf eine Zwei-Zimmer-Wohnung für 1.000 Yuan. In Peking hatte sie gut das Dreifache bezahlt – für ein WG-Zimmer.
Der Wunsch, Peking zu verlassen, war schon länger in ihr gereift. In der Stadt konnte man dem sozialen Druck nur mit Vergnügungen und Alkohol entfliehen. “Ich musste den Absprung machen”, erzählt sie. Ihr Leben sei nun einfacher, sagt die in der 14-Millionen-Einwohner-Metropole Tianjin geborene Zhang. Sie hat einen Hund adoptiert und sogar ein Schwein, das sie nun mit Leine Gassi führt.
Obwohl der chinesische Staat seit Jahrzehnten die Urbanisierung förderte, hat sich auch eine umgekehrte Migrationsbewegung in Gang gesetzt. Die Immobilienpreise in den Ballungsräumen sind gerade für Berufsanfänger unerschwinglich geworden, der Konkurrenzkampf um Schulplätze in beliebten Vierteln nervenaufreibend. Hinzu kommt ein neues Bewusstsein der Mittelschicht für körperliche und mentale Gesundheit. Während der Corona-Pandemie entdeckten viele Chinesen zudem die Vielfalt ihres Heimatlandes. Laut dem chinesischen Reiseportal Trip.com wurden in China noch nie so viele Road Trips unternommen wie in den vergangenen zwei Jahren. Auch Outdoor-Sport und Camping waren in der Volksrepublik nie beliebter.
In ihrem Haus in Caicun leben weitere Städter, die dem urbanen Wahnsinn während der Pandemie den Rücken kehrten, erzählt Zhang, darunter zum Beispiel ein ehemaliger Huawei-Mitarbeiter. Viele junge Menschen, die aufs Land zögen, würden zunächst einmal “flach liegen” – “Tangping” – “躺平”, ein Modewort, das die Verweigerungshaltung junger Chinesen umschreibt, die statt nach Karriere, Familie und Besitz zu streben, nur das Nötigste tun, um über die Runden zu kommen (China.Table berichtete). Doch nach einer Zeit der Akklimatisation würden viele etwas tun wollen. “Brot backen, eine Bar aufmachen oder Kunst auf der Straße verkaufen.”
Der Staat heißt die neue Stadtflucht willkommen. Präsident Xi Jinping sprach 2017 erstmals von seiner Strategie zur “ländlichen Revitalisierung”. Dabei werden weiterhin Kleinbauern durch große Agrarunternehmen ersetzt, aber es gibt auch neuere Initiativen für die Förderung mittelgroßer, ökologischer Betriebe. Ein weiteres Ziel ist der Ausbau der Infrastruktur mit Schulen, Kliniken, Wohnungen, Straßen und Eisenbahnnetzen. Das Leben auf dem Land soll so attraktiv werden, dass auch junge Städter ihren Lebensmittelpunkt dorthin verlagern.
“Es gibt viele Versuche, ländliche Gebiete mit jungen Talenten zu beleben”, sagt Elena Meyer-Clement, Professorin für Chinastudien an der Universität Kopenhagen. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Forschung zu Urbanisierung, Verwaltungs- und Bodenreformen in Chinas ländlichen und semi-urbanen Regionen. Unternehmerische Initiativen und Tourismus werden von einzelnen Lokalregierungen gezielt gefördert, sagt sie. “Es ist ein Trend der auch in fast allen anderen postindustriellen Staaten zu sehen ist, sei es Japan oder Brandenburg in Deutschland.”
Das Besondere sei jedoch, dass der Prozess in China gleichzeitig mit einer raschen Urbanisierung stattfindet – “fast wie eine Art von oben gesteuerter Austausch der Bevölkerung”, so die Wissenschaftlerin. Das heißt, überspitzt formuliert, Kleinbauern sollen in die Städte abwandern, um dort den Binnenkonsum zu fördern, während junge gebildete Städter neue kreative Ideen aufs Land bringen sollen, um die dortige Wirtschaft sozialer und ökologisch nachhaltiger zu gestalten.
Dazu gehören auch die sogenannten “schönen Dörfer”, sagt Meyer-Clement. “Dafür werden bestehende Dörfer renoviert oder gleich völlig neue geschaffen, die aussehen wie aufgehübschte traditionelle Dörfer.” Ein Beispiel ist das Örtchen Longtan, das sich mit Bächlein und Mühlenrad pittoresk der Berglandschaft der Provinz Guangxi anschmiegt. 400 Jahre soll es alt sein, schreibt die lokale Regierung, die den Zuzug mit einem Budget für Kunstprojekte und Renovierungsarbeiten fördert.
Das Feng Shui stimmt offenbar: Jährlich kommen 200.000 Touristen nach Longtan, um die Qing-Architektur zu bewundern oder Pleinair-Malern bei der Arbeit zuzusehen. Sogar die älteren Dorfbewohner wurden hier zu Künstlern ausgebildet, die ihre Arbeiten nun an Touristen verkaufen. “Viele dieser kreativen Landbewohner haben Douyin-Kanäle, das chinesische Tiktok, auf denen sie demonstrieren, wie einfach aber auch modern das Leben auf dem Land sein kann”, sagt Meyer-Clement. “Jung, dynamisch, kreativ plus althergebrachter Werte, die in der Stadt verloren gegangen sind.”
Der Trend sei allerdings nur punktuell zu beobachten und beschränke sich auf eher entwickelte Gebiete, besonders an der Ostküste Chinas. “Die absolute Armut wurde eben erst überwunden. Da sind Künstlerdörfer noch nicht das große Thema”, sagt Meyer-Clement. “Dinge wie E-Commerce funktionieren auf dem Land schon sehr gut. Ob solche schönen Dörfer allerdings eine nachhaltige Strategie sind, wage ich zu bezweifeln.”
Die neuen Landbewohner sehen das freilich anders. Zu ihnen zählt Shen Lan. Kurz bevor Shanghai in den ersten großen Lockdown ging, siedelte die Autorin und Kulturwissenschaftlerin mit ihrem Ehemann in ein Künstlerdorf außerhalb von Liangzhu in der Provinz Zhejiang über. Die von Bergen und Flüssen geprägte Landschaft ist eng verwoben mit der chinesischen Kulturgeschichte. Vor einigen Tausend Jahren siedelten hier bereits Menschen.
Shen arbeitet in der malerischen Umgebung an einem Buch über chinesische Naturphilosophie, Einsiedelei und Kunst. Morgens steigt sie oft auf eine Anhöhe, zehn Minuten von ihrem Haus entfernt, und betrachtet den Sonnenaufgang. In ihrem Dorf leben noch andere Aussteiger wie sie, ein Schriftsteller, eine professionelle Tänzerin und ein Professor für Anthropologie. Die Atmosphäre sei sehr familiär, erzählt sie.
Sieben Jahre hatte Shen in Shanghai gelebt, in einem geräumigen Apartment in der Nähe des Jing’an-Tempels, mit einem kleinen Gärtchen im Hinterhof. Dennoch hat sie in der Stadt nicht gefunden, was sie suchte: Ausgeglichenheit und Spiritualität. Für Shen ist das Leben auf dem Land eng mit der Philosophie des tiān rén hé yi (天人合一) verwoben, die zum Beispiel der Philosoph Zhuangzi vertrat: Der Mensch ist Teil der Natur. Himmel und Mensch sind ursprünglich eins. Ziel ist die Harmonie aller Elemente. “Wir Chinesen haben eine sehr tiefe Verbindung zur Natur, sie liegt in unserem Blut”, sagt Shen. Schon die alten Konfuzianer hätten den Traum gehabt, sich auf dem Land zur Ruhe zu setzen, wenn sie ihre Pflicht in der Welt getan hatten.
Natürlich spielen auch für Shen weltliche Faktoren eine Rolle. In Liangzhu wohnt sie mit ihrem Partner auf 140 Quadratmeter für knapp 4.000 Yuan. Auch die Internetverbindung und Infrastruktur für die Dinge des täglichen Lebens seien ausgezeichnet. “Du kannst essen online bestellen oder auf Märkten einkaufen oder direkt beim Bauern”, sagt sie. “Wir können hier einen traditionellen Lifestyle mit modernen Annehmlichkeiten verbinden.”
Ihr Langzeitziel sei es, noch umweltfreundlicher und nachhaltiger zu leben und eines Tages vielleicht selbst eine Öko-Siedlung zu gründen. “Es ist, als kehren wir zu unseren Ursprüngen zurück. Mit einem höheren Bewusstsein für die Natur, für das Leben und dafür, wer wir wirklich sind.” Mitarbeit: Renxiu Zhao
Das australische Militär geht Berichten nach, wonach ehemalige Piloten Ausbildungsaufgaben in China angenommen hätten. “Ich wäre zutiefst schockiert und beunruhigt, wenn ich hören würde, dass es Angehörige des Militärs gibt, die von einem ausländischen Staat mit einem Gehaltsscheck gelockt werden, anstatt ihrem eigenen Land zu dienen”, sagte der australische Verteidigungsminister Richard Marles.
Marles reagierte damit auf einen Bericht der BBC vom Vortag. Dort hieß es, bis zu 30 frühere Piloten der britischen Royal Air Force hätten sich von Chinas Militär als Ausbilder anwerben lassen (China.Table berichtete). Demnach wurden den früheren Piloten bis zu umgerechnet 275.000 Euro geboten, damit sie ihr Expertenwissen mit der chinesischen Luftwaffe teilen.
Ein Sprecher der neuseeländischen Streitkräfte sagte der Nachrichtenagentur Reuters, bislang seien vier Fälle bekannt, in denen frühere Militärmitarbeiter durch eine südafrikanische Flugschule neue Anstellung angenommen hätten. Es stehe früheren Mitarbeitern nach Ausscheiden aus dem Dienst zwar frei, eine neue Stelle anzunehmen. Dies könne aber Auswirkungen auf eine weitere Beschäftigung bei den Streitkräften haben. Das südafrikanische Unternehmen hat bislang nicht auf Anfragen reagiert, ob es Piloten aus Großbritannien, Australien und Neuseeland angeheuert habe, um sie nach China zu vermitteln. mw/rtr
Der taiwanische Chipauftragsfertiger TSMC prüft eine Expansion seiner Produktionskapazitäten in Japan. Ein Ziel sei es, das geopolitische Risiko zu verringern, berichtet das Wall Street Journal mit Verweis auf interne Quellen. Es wurde noch keine Entscheidung getroffen, heißt es hingegen bei TSMC. Es prüfe die Durchführbarkeit noch, heißt es. Das taiwanische Unternehmen, das Chips für eine Vielzahl großer Elektronikprodukte herstellt, baut zurzeit seine erste Chip-Fabrik in Japan, die sich auf der südlichen Insel Kyushu befindet.
Die Halbleiterindustrie befindet sich seit vergangenem Jahr im Umbruch, als weit verbreitete Engpässe bei den Chips die Autoindustrie und andere Branchen lahmlegten. Gleichzeitig sind die USA und Verbündete wie Japan besorgt über den Aufstieg der chinesischen Halbleiterindustrie.
Die im Bau befindliche Fabrik von TSMC in Japan ist Teil der Reaktion auf diese Probleme. Das Werk soll weniger fortschrittliche Chips produzieren, die üblicherweise in Autos und Komponenten wie Sensoren verwendet werden, und Ende 2024 liefern. Im Juli hatte TSMC-Präsident Mark Liu auf der Hauptversammlung gesagt, dass es keine “konkreten Pläne” für eine Fabrikansiedlung in Europa gebe (China.Table berichtete). mw
Der deutsche Anthropologe Adrian Zenz ist mit dem erstmals vergebenen Menschenrechtspreis “Schneelöwe” der International Campaign for Tibet (ICT) ausgezeichnet worden. Zenz erhielt den mit 3.000 Euro dotierten Preis am vergangenen Samstag bei einem Festakt im Umweltforum Berlin. Honoriert wurde der 47-Jährige für seine bahnbrechende Forschung zur Internierung von Millionen Uiguren und Mitgliedern anderer ethnischer Minderheiten in der nordwestchinesischen autonomen Region Xinjiang.
Zenz hatte erstmals im Jahr 2018 Details seiner Arbeit veröffentlicht, die eine systematische Umerziehung mit eklatanten Menschenrechtsverbrechen seitens der chinesischen Regierung in Xinjiang belegte. Zuletzt veröffentlichte Zenz die sogenannten Xinjiang Police Files, die aus großen Datensätzen der örtlichen Polizei bestehen (China.Table berichtete). Die Bilder gaben erstmals Einblicke in den Lageralltag der Gefangenen und halfen dabei, mehrere Tausende Inhaftierte namentlich zu identifizieren.
Der Bundestagsabgeordnete Michael Brand (CDU) lobte in seiner Laudatio die Entschlossenheit von Zenz, “obwohl er genau weiß, dass er sich damit gegen die größte Diktatur unseres Planeten stellt, die mit Gewalt nach innen und viel Geld und vielen Drohungen nach außen global viel Einfluss und Kontrolle erreicht hat”. grz
Im Jahr 2018 entscheidet sich Katja Drinhausen endgültig dazu, China zu verlassen. Zwölf Jahre lebte sie damals schon im Land, doch dann ging nichts mehr. “Der Debattenraum hat sich seit Xi Jinpings Amtsantritt immer weiter verengt”, sagt die heutige Programmleiterin beim Forschungsinstitut Merics. Ende der 2000er-Jahre hätten die Diskussionen im chinesischen Internet dagegen regelrecht gebrodelt.
Unter den bekanntesten Bloggern waren damals Künstler, Akademiker und Aktivisten. Doch nicht nur deren Spektrum wurde durch den Staat immer weiter eingeschränkt. Auch der Austausch und die Zusammenarbeit mit Chinas Wissenschaft oder Zivilgesellschaft zu sozialen, politischen oder rechtlichen Themen wurde immer schmaler. Diese Entwicklung war für Drinhausen Grund genug, nach Deutschland zurückzukehren.
Ein Leben mit oder in China ist Katja Drinhausen gewissermaßen in die Wiege gelegt worden. Ihre Mutter war Sinologin an der Universität Leipzig, Teile ihrer frühen Kindheit verbrachte sie in Taiwan. Insofern ist es eigentlich nicht überraschend, dass sich Drinhausen hierzulande den Ruf als profilierte China-Expertin erarbeitet hat. Wenn es um das chinesische Rechtssystem, die Menschenrechtslage oder die Kommunikationsstrategien der Kommunistischen Partei geht, ist Drinhausen häufig gefragte Fachfrau.
Doch so geradlinig, wie die biografischen Eckpunkte es erscheinen lassen, war ihr Weg keinesfalls. “Ich wollte eigentlich etwas ganz anderes als meine Mutter machen”, sagt sie heute. Zwar studierte sie auch zunächst Sinologie “Ich fand es aber seit jeher viel spannender, mir die aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in China anzuschauen.” Ein Bedürfnis, dem sie Anfang der 2000er-Jahre mit regelmäßigen Reisen in das Land begegnete. Ein Jahr vor den Olympischen Spielen verschlug es sie endgültig nach Peking.
Das Sinologiestudium brach sie ab, stürzte sich in die Event- und Gastroszene der Hauptstadt, weit weg von der akademischen Gesellschaft. Um am Puls der chinesischen Politikwelt zu bleiben, war diese Branche jedoch eher ungeeignet. Also zog Drinhausen schnell weiter, trat eine Stelle bei der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung an, wo sie sich zunächst dem Medien- und Politikmonitoring widmete. “Das Interesse an den Themen, die mich bis heute begleiten, stammt vor allem aus dieser Zeit”, sagt sie. Viele einflussreiche Blogger seien damals Juristen und Anwälte gewesen, die teils sehr offen die Regierung kritisierten. Das war ein Grund, in Peking internationales und chinesisches Recht zu studieren – mit Fokus auf die Menschenrechte.
So steht sie heute wie viele ihrer Kollegen auf der anderen Seite der Great Firewall, mit dem China längst nicht nur das Internet, sondern auch seine Gesellschaft zusehends kontrolliert. Katja Drinhausens Arbeit hat das verändert. Nicht nur zum Schlechteren, wie sie findet. Mittlerweile arbeitet sie viel mit Open Source Intelligence, durchsucht öffentlich zugängliche Quellen und Datenbanken, um ein Gesamtbild zu zeichnen.
Sie stellt fest: Obwohl die roten Linien zahlreicher geworden sind und näher rücken an den Alltag der Menschen, würden manche Themen weiterhin kontrovers und durchaus offen diskutiert, etwa die harten Lockdowns der vergangenen Monate oder Gewalt gegen Frauen in der chinesischen Gesellschaft. “Man sieht, wie schwer es selbst ein ausgeprägter Überwachungsstaat hat, alle Debatten im Zaum zu halten”, sagt sie.
Mit dem Projekt China Spektrum bemüht sie sich darum, genau diese Debattenvielfalt auch für die europäische Öffentlichkeit abzubilden. Auch, um die Aufmerksamkeit auf das Schicksal der ganz normalen Bürgerinnen und Bürger der Volksrepublik zu lenken. China, das sei eben mehr als der Staat. Nils Wischmeyer
Anton Vong ist bei BMW in München seit August Project Lead für Change and Cooperation Management Joint Ventures BMW China.
Tian Huiyu, ehemaliger Bankdirektor, wurde aus der KP Chinas ausgeschlossen. Im April war er als Chef der China Merchants Bank wegen Korruption verhaftet worden.
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Bei den Pressekonferenzen rund um den derzeitigen 20. Parteitag sind zwar alle Medien des Landes und auch ausländische Medienvertreter vertreten. Doch wer eine Frage stellen darf und vor allem welche, ist vorher bis ins Detail abgesprochen. Auch wenn dieses Bild vortäuscht, dass beharrliches Handheben zum Erfolg führt – selbst das ist orchestriert.
beim Forum Außenpolitik in Berlin kam in dieser Woche wieder einmal intensiv zur Sprache, wie wichtig eine größere Unabhängigkeit Deutschlands von der Volksrepublik China ist. Der Hongkonger Regierungschef erklärte hingegen das Gegenteil zum Königsweg: John Lee will seine Stadt noch deutlicher tiefer in Festlandchina integrieren. Wirtschaft und Verwaltung sollten sich weiter annähern, betonte er in seiner ersten Grundsatzrede im Amt des Chief Executive. Er will die Auflösung der Sonderstellung seiner Stadt geradezu systematisch fortsetzen.
Nur beim Thema Covid hat Hongkong inzwischen einen weitgehend liberalen Pfad beschritten. Nach zwei Jahren strenger Auflagen ist von der Panik vor einer Ausbreitung der Krankheit kaum noch etwas übrig -ganz im Gegensatz zur Situation auf der anderen Seite der Grenze.
In Hongkong hat man wohl eingesehen, dass man wie keine andere Metropole unter dem Abgang von Fachkräften leidet und dringend die Kurve kriegen muss, um nicht endgültig abgehängt zu werden. Innerhalb von zwei Jahren haben 140.000 Menschen die Stadt für immer verlassen.
Eine solche Flucht ist den Menschen in der Volksrepublik nicht ohne Weiteres möglich. Dafür kristallisiert sich zunehmend eine Alternative heraus – die Umsiedlung in die Dörfer. Fabian Peltsch erzählt uns die Geschichte von mehreren Aussteigern, die schon beim Lesen dafür sorgt, dass man ein bisschen Stress abbaut.
In diesem Sinne
Der lange Schatten der Pekinger Zentralregierung legte sich über die erste Grundsatzrede von John Lee. Der Hongkonger Regierungschef bedankte sich gleich zu Anfang noch einmal bei Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping für dessen aufmunternde Worte zu seinem Amtsantritt. Das wäre eine nachvollziehbare Geste gewesen, hätte Lee erst am Tag zuvor den Dienst angetreten. Doch tatsächlich liegt die Übernahme der Stadtgeschäfte durch den früheren Polizeichef schon mehr als dreieinhalb Monate in der Vergangenheit.
Dass Lee dennoch umgehend ein Grußwort an den Parteichef in Peking richtete, ehe er sich den dringenden Problemen der Stadt widmete, darf als ritualisierte Pflichterfüllung im Rahmen einer neuen politischen Konformität Hongkongs gewertet werden. Die Stadt hat die ihr bis 2047 zugesagte Autonomie trotz monatelanger intensiver Proteste durch Millionen Menschen nicht behalten, geschweige denn eine demokratische Entwicklung eingenommen, so wie es vor 25 Jahren eigentlich vertraglich zugesichert worden war.
Dass Lee parallel zum Parteitag in Peking die Eckpunkte seiner Politik formulierte, steht symbolisch für die erzwungene ideologische Nähe Hongkongs zur Volksrepublik. Und als habe sich Lee bereits vollends mit den KP-Kadern assimiliert, hielt er die längste Grundsatzrede eines Hongkonger Regierungschefs seit der Rückgabe der Stadt an China. Satte zwei Stunden und 45 Minuten forderte er die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer.
So lange wie seine Rede, so lang ist auch die Liste der Herausforderungen, die Hongkong zu bewältigen hat. Über allem steht die politische Stabilität. Lee sagte, er hoffe auf eine “fähige Regierung, die Ergebnisse liefern” könne, um Hongkong in die Zukunft zu führen. Zentraler Ansatz: ein starkes Bewusstsein bei Verwaltungsangstelten auf allen Ebene für “nationale Souveränität und Sicherheit”. “Verdienstvolle und vorbildliche” Mitarbeiter sollen künftig eine Auszeichnung erhalten.
Die wachsende Bedeutung der nationalen Sicherheit, wie sie seit 2020 auch das Sicherheitsgesetz in Hongkong formuliert, hat in den vergangenen Jahren die aktive politische Opposition hinter Gitter gebracht oder außer Landes gejagt und freien Medien die Arbeitsbasis entzogen. Sicherheit, wie sie Lee definiert, wird daher am ehesten gewährleistet, wenn die Menschen der Metropole nach dem Verlust ihrer traditionellen Rechtsstaatlichkeit britischen Vorbildes, ihrer liberalen Bürgerrechte wie Meinungs-, Versammlungs- oder Pressefreiheit und ihrer zivilgesellschaftlichen Spielräume zumindest existenzielle Perspektiven entwickeln können.
Solche Bedürfnisse muss die Stadt deshalb zuallererst befriedigen. “Die Lösung des Wohnungsproblems steht ganz oben auf der Agenda der derzeitigen Regierung. Das Ziel ist es, den Menschen die Hoffnung zu geben, früher eine menschenwürdige Wohnungen zu bekommen”, sagte Lee. Im Rahmen einer neuen Light Public Housing (LPH)-Politik will er 30.000 neue Einheiten bauen lassen, günstiger im Erwerb als bisher und mindestens 26 Quadratmeter groß. Das alles soll schnell geschehen und die Wartezeit der Menschen auf eine entsprechende Einheit um zwei auf nur noch viereinhalb Jahre im Schnitt verkürzen.
Bei der Entwicklung neuen Wohnraum in der sogenannten Nördlichen Metropole in den New Territories, aber auch des geplanten Technologieparks an der Grenze zur Volksrepublik, will Lee die Zusammenarbeit mit chinesischen Unternehmen weiter vertiefen. Hongkong und das benachbarte Shenzhen sollen zunehmend integriert werden. Der geografische Zusammenschluss der Städte ist Teil von Chinas Expansionsplänen der gesamten Region, inklusive, Guangzhou, Zhuhai oder Macao.
Bei all dem wirkt die Corona-Pandemie nur noch wie lästiges Beiwerk. Die Stadt hat auch wegen der strengen Auflagen in den vergangenen zwei Jahren viele ausländische Unternehmen verschreckt. Jetzt benötigen Einreisende weder einen PCR-Test, noch müssen sie in Quarantäne. Lee wollte sich denn auch mit dem Thema nicht länger auseinandersetzen als unbedingt notwendig. “Die Regierung wird die Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung entsprechend der aktuellen Situation und Entwicklung weiter anpassen und verbessern”, sagte er.
Im Gegensatz zur Volksrepublik hat Hongkong die Grenzen nach Außen seit knapp einem Monat fast bedingungslos geöffnet. Nur noch drei Tage lang sind Neuankömmlinge für den Besuch bestimmter Einrichtungen gesperrt. Ansonsten dürfen sie sich frei in der Stadt bewegen – auch, weil kaum eine andere Finanzmetropole so unter dem Abgang internationaler Arbeitskräfte während der Pandemie gelitten hat wie Hongkong. 140.000 Menschen haben die Stadt in den vergangenen zwei Jahren verlassen. Darunter jedoch auch Zehntausende Hongkonger Bürger, die vor der zunehmend autoritären Entwicklung geflohen sind, weniger vor Covid.
Folglich fehlen der örtlichen Industrie immer mehr Fachkräfte und Experten. Lee versprach, die Stadt werde international auf die Suche gehen, um sich auf dem gesamten Erdball die “Talente zu schnappen”. Peking hat begriffen, dass Hongkong mehr als jede chinesische Stadt Lockerungen braucht- auch wegen des Expat-Abflusses.
Der Ansatz hier: Schon für Uniabsolventen will Lee Hongkong wieder attraktiver machen, indem Visa für zwei Jahre ausgestellt werden und deren Verlängerung entbürokratisiert werden soll. Ausländische Immobilienbesitzer sollen Steuern erstattet bekommen, um sie vom Erhalt des Eigentums und dem möglichen Verbleib in der Stadt zu überzeugen. Lokale Firmen soll prinzipiell die Anstellung ausländischer Arbeitskräfte erleichtert werden.
Beschossen von Russland, bedroht von China – Europas Versprechen von Sicherheit und Freiheit stehe auf dem Spiel, mahnte die Außenministerin Baerbock beim Berliner Forum Außenpolitik am Dienstag. Ihr Gebot der Stunde lautet: Resilienz gegenüber autoritären Regimen. Auch für Deutschland, das die Fehler der Russlandpolitik nicht mit China wiederholen dürfe, so Baerbock. “Einseitige wirtschaftliche Abhängigkeit macht uns politisch erpressbar.”
Baerbock will den chinapolitischen Wandel. Am Ende ist es aber Bundeskanzler Olaf Scholz, der mit Xi Jinping am Tisch sitzt. Und das schon in zwei Wochen. Der Bundeskanzler wird sich als erster G7-Regierungschef seit Beginn der Corona-Pandemie auf den Weg nach Peking machen. Allein ist er nicht: Ähnlich wie bei den zahlreichen Reisen seiner Vorgängerin Angela Merkel begleitet Scholz eine große Wirtschaftsdelegation, von der zumindest manche Mitglieder auf den großen Deal in China hoffen dürften.
Bedeutet das schon ein Festhalten am Kuschelkurs der Merkel-Jahre, die der Aussicht auf wirtschaftliche Vorteile alles andere unterordnete? Damit würde Scholz ein großes Risiko eingehen. Denn das Panda-China der Angela Merkel gäbe es nicht mehr, meint der ebenfalls anwesende Kevin Rudd, ehemaliger australischer Premierminister und Sinologe. Xi Jinping würde gestärkt aus dem Parteitag der KP diese Woche in Peking hervorgehen, glaubt Rudd. Xis “marxistisch-nationalistischer Kurs” werde China außenpolitisch aggressiver machen – auch weil die Wirtschaft nicht mehr die oberste Priorität habe. In diesen unsicheren Fahrwassern will Scholz Kontinuität, Baerbock nicht. Auch das ist ein Grund, weshalb Monate nach ihrer Ankündigung noch immer keine China-Strategie der Bundesregierung auf dem Tisch liegt.
Aber was wird eigentlich im Ausland von Deutschland erwartet? Das Baltikum begrüßt den Wunsch der deutschen Außenministerin nach mehr Unabhängigkeit von China, auch weil Litauen von Peking wegen seiner Haltung zu Taiwan seit Monaten mit Handelsbeschränkungen abgestraft wird. Lettland, Estland und Litauen haben das ehemals 17+1-Format ost- und südostosteuropäischer Staaten und China mit ihrem Austritt schrumpfen lassen – genervt von Pekings paternalistischem Auftreten und geplatzten Investitionsträumen.
Wenn auf Annalena Baerbocks Ankündigung von größerer Unabhängigkeit keine Taten folgen, droht der deutschen Außenpolitik nach den anhaltenden Debatten um Waffenlieferungen an die Ukraine ein weiterer Vertrauensverlust in Europa.
Um Vertrauen geht es auch den USA, vor allem mit Blick auf den Indopazifik. Chinas Militär baut sich vor Taiwan auf. Die USA erhöhen seit Jahren ihre Präsenz, und auch Deutschland wagt sich aus der Deckung. Nach der Entsendung der Fregatte Bayern im vergangenen Jahr will die deutsche Marine künftig alle zwei Jahre Kriegsschiffe in die Region entsenden. Für Washington ginge da noch mehr.
Kann oder will Deutschland nicht mehr? Staatssekretärin Franziska Brantner hofft, dass von Deutschlands Unterstützung für die Ukraine auch ein Signal in den Indopazifik geht: “Man kann nicht einfach ein anderes Land angreifen und damit ungeschoren davonkommen”, sagte Brantner beim Forum. Wird Deutschland also präsenter in der Region? Wohl eher nicht. “Im Bereich Sicherheit sind wir sind immer noch sehr abhängig von den USA”, meint Brantner.
Gespannt erwartet wird deshalb die China-Strategie der Bundesregierung, bei der das Auswärtige Amt federführend ist. Baerbocks Ministerium steht vor einem Spagat. Es muss den Erwartungen der Partnerländer gerecht werden und gleichzeitig die Stimmung im Land treffen.
Der Berlin Pulse zeigt: Mehr als 60 Prozent der Deutschen sind bereit, Einbußen in Kauf zu nehmen, damit Deutschland seine wirtschaftliche Abhängigkeit von China reduzieren kann. Nur knapp 20 Prozent der Deutschen wollen engere Beziehungen zu China. Auch das allgemeine Chinabild der Deutschen hat sich rapide verschlechtert. Dennoch wollen viele Deutsche eine zurückhaltende Außenpolitik: Verstärktes Engagement in internationalen Krisen kann sich nur knapp die Hälfte im Land vorstellen.
Falls China Taiwan angreift, würde Deutschlands Wirtschaft darunter leiden, zu eng sind die Verflechtungen mit dem chinesischen Markt. Es würde ein politischer Balanceakt folgen, so wie nach Putins Einmarsch in der Ukraine. Es bleibt also offen, ob Bundeskanzler Scholz die ausgerufene Zeitwende tatsächlich auch mit nach Peking nimmt. Seine Kollegen aus Osteuropa werden ihn noch oft genug daran erinnern. Jonathan Kaspar Lehrer
“Hier ist der Himmel auf Erden” sagt Zhang Jinglei über ihre neue Heimat. Zehn Jahre hatte die Filmemacherin in Chinas Hauptstadt Peking gelebt. Vor zehn Monaten packte sie ihre Sachen und zog ins gut 2.000 Kilometer entfernte Caicun, ein Vorort der Stadt Dali in der Provinz Yunnan. In wenigen Tagen fand die 32-Jährige in dem von der Bai-Minderheit geprägten Dorf eine Zwei-Zimmer-Wohnung für 1.000 Yuan. In Peking hatte sie gut das Dreifache bezahlt – für ein WG-Zimmer.
Der Wunsch, Peking zu verlassen, war schon länger in ihr gereift. In der Stadt konnte man dem sozialen Druck nur mit Vergnügungen und Alkohol entfliehen. “Ich musste den Absprung machen”, erzählt sie. Ihr Leben sei nun einfacher, sagt die in der 14-Millionen-Einwohner-Metropole Tianjin geborene Zhang. Sie hat einen Hund adoptiert und sogar ein Schwein, das sie nun mit Leine Gassi führt.
Obwohl der chinesische Staat seit Jahrzehnten die Urbanisierung förderte, hat sich auch eine umgekehrte Migrationsbewegung in Gang gesetzt. Die Immobilienpreise in den Ballungsräumen sind gerade für Berufsanfänger unerschwinglich geworden, der Konkurrenzkampf um Schulplätze in beliebten Vierteln nervenaufreibend. Hinzu kommt ein neues Bewusstsein der Mittelschicht für körperliche und mentale Gesundheit. Während der Corona-Pandemie entdeckten viele Chinesen zudem die Vielfalt ihres Heimatlandes. Laut dem chinesischen Reiseportal Trip.com wurden in China noch nie so viele Road Trips unternommen wie in den vergangenen zwei Jahren. Auch Outdoor-Sport und Camping waren in der Volksrepublik nie beliebter.
In ihrem Haus in Caicun leben weitere Städter, die dem urbanen Wahnsinn während der Pandemie den Rücken kehrten, erzählt Zhang, darunter zum Beispiel ein ehemaliger Huawei-Mitarbeiter. Viele junge Menschen, die aufs Land zögen, würden zunächst einmal “flach liegen” – “Tangping” – “躺平”, ein Modewort, das die Verweigerungshaltung junger Chinesen umschreibt, die statt nach Karriere, Familie und Besitz zu streben, nur das Nötigste tun, um über die Runden zu kommen (China.Table berichtete). Doch nach einer Zeit der Akklimatisation würden viele etwas tun wollen. “Brot backen, eine Bar aufmachen oder Kunst auf der Straße verkaufen.”
Der Staat heißt die neue Stadtflucht willkommen. Präsident Xi Jinping sprach 2017 erstmals von seiner Strategie zur “ländlichen Revitalisierung”. Dabei werden weiterhin Kleinbauern durch große Agrarunternehmen ersetzt, aber es gibt auch neuere Initiativen für die Förderung mittelgroßer, ökologischer Betriebe. Ein weiteres Ziel ist der Ausbau der Infrastruktur mit Schulen, Kliniken, Wohnungen, Straßen und Eisenbahnnetzen. Das Leben auf dem Land soll so attraktiv werden, dass auch junge Städter ihren Lebensmittelpunkt dorthin verlagern.
“Es gibt viele Versuche, ländliche Gebiete mit jungen Talenten zu beleben”, sagt Elena Meyer-Clement, Professorin für Chinastudien an der Universität Kopenhagen. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Forschung zu Urbanisierung, Verwaltungs- und Bodenreformen in Chinas ländlichen und semi-urbanen Regionen. Unternehmerische Initiativen und Tourismus werden von einzelnen Lokalregierungen gezielt gefördert, sagt sie. “Es ist ein Trend der auch in fast allen anderen postindustriellen Staaten zu sehen ist, sei es Japan oder Brandenburg in Deutschland.”
Das Besondere sei jedoch, dass der Prozess in China gleichzeitig mit einer raschen Urbanisierung stattfindet – “fast wie eine Art von oben gesteuerter Austausch der Bevölkerung”, so die Wissenschaftlerin. Das heißt, überspitzt formuliert, Kleinbauern sollen in die Städte abwandern, um dort den Binnenkonsum zu fördern, während junge gebildete Städter neue kreative Ideen aufs Land bringen sollen, um die dortige Wirtschaft sozialer und ökologisch nachhaltiger zu gestalten.
Dazu gehören auch die sogenannten “schönen Dörfer”, sagt Meyer-Clement. “Dafür werden bestehende Dörfer renoviert oder gleich völlig neue geschaffen, die aussehen wie aufgehübschte traditionelle Dörfer.” Ein Beispiel ist das Örtchen Longtan, das sich mit Bächlein und Mühlenrad pittoresk der Berglandschaft der Provinz Guangxi anschmiegt. 400 Jahre soll es alt sein, schreibt die lokale Regierung, die den Zuzug mit einem Budget für Kunstprojekte und Renovierungsarbeiten fördert.
Das Feng Shui stimmt offenbar: Jährlich kommen 200.000 Touristen nach Longtan, um die Qing-Architektur zu bewundern oder Pleinair-Malern bei der Arbeit zuzusehen. Sogar die älteren Dorfbewohner wurden hier zu Künstlern ausgebildet, die ihre Arbeiten nun an Touristen verkaufen. “Viele dieser kreativen Landbewohner haben Douyin-Kanäle, das chinesische Tiktok, auf denen sie demonstrieren, wie einfach aber auch modern das Leben auf dem Land sein kann”, sagt Meyer-Clement. “Jung, dynamisch, kreativ plus althergebrachter Werte, die in der Stadt verloren gegangen sind.”
Der Trend sei allerdings nur punktuell zu beobachten und beschränke sich auf eher entwickelte Gebiete, besonders an der Ostküste Chinas. “Die absolute Armut wurde eben erst überwunden. Da sind Künstlerdörfer noch nicht das große Thema”, sagt Meyer-Clement. “Dinge wie E-Commerce funktionieren auf dem Land schon sehr gut. Ob solche schönen Dörfer allerdings eine nachhaltige Strategie sind, wage ich zu bezweifeln.”
Die neuen Landbewohner sehen das freilich anders. Zu ihnen zählt Shen Lan. Kurz bevor Shanghai in den ersten großen Lockdown ging, siedelte die Autorin und Kulturwissenschaftlerin mit ihrem Ehemann in ein Künstlerdorf außerhalb von Liangzhu in der Provinz Zhejiang über. Die von Bergen und Flüssen geprägte Landschaft ist eng verwoben mit der chinesischen Kulturgeschichte. Vor einigen Tausend Jahren siedelten hier bereits Menschen.
Shen arbeitet in der malerischen Umgebung an einem Buch über chinesische Naturphilosophie, Einsiedelei und Kunst. Morgens steigt sie oft auf eine Anhöhe, zehn Minuten von ihrem Haus entfernt, und betrachtet den Sonnenaufgang. In ihrem Dorf leben noch andere Aussteiger wie sie, ein Schriftsteller, eine professionelle Tänzerin und ein Professor für Anthropologie. Die Atmosphäre sei sehr familiär, erzählt sie.
Sieben Jahre hatte Shen in Shanghai gelebt, in einem geräumigen Apartment in der Nähe des Jing’an-Tempels, mit einem kleinen Gärtchen im Hinterhof. Dennoch hat sie in der Stadt nicht gefunden, was sie suchte: Ausgeglichenheit und Spiritualität. Für Shen ist das Leben auf dem Land eng mit der Philosophie des tiān rén hé yi (天人合一) verwoben, die zum Beispiel der Philosoph Zhuangzi vertrat: Der Mensch ist Teil der Natur. Himmel und Mensch sind ursprünglich eins. Ziel ist die Harmonie aller Elemente. “Wir Chinesen haben eine sehr tiefe Verbindung zur Natur, sie liegt in unserem Blut”, sagt Shen. Schon die alten Konfuzianer hätten den Traum gehabt, sich auf dem Land zur Ruhe zu setzen, wenn sie ihre Pflicht in der Welt getan hatten.
Natürlich spielen auch für Shen weltliche Faktoren eine Rolle. In Liangzhu wohnt sie mit ihrem Partner auf 140 Quadratmeter für knapp 4.000 Yuan. Auch die Internetverbindung und Infrastruktur für die Dinge des täglichen Lebens seien ausgezeichnet. “Du kannst essen online bestellen oder auf Märkten einkaufen oder direkt beim Bauern”, sagt sie. “Wir können hier einen traditionellen Lifestyle mit modernen Annehmlichkeiten verbinden.”
Ihr Langzeitziel sei es, noch umweltfreundlicher und nachhaltiger zu leben und eines Tages vielleicht selbst eine Öko-Siedlung zu gründen. “Es ist, als kehren wir zu unseren Ursprüngen zurück. Mit einem höheren Bewusstsein für die Natur, für das Leben und dafür, wer wir wirklich sind.” Mitarbeit: Renxiu Zhao
Das australische Militär geht Berichten nach, wonach ehemalige Piloten Ausbildungsaufgaben in China angenommen hätten. “Ich wäre zutiefst schockiert und beunruhigt, wenn ich hören würde, dass es Angehörige des Militärs gibt, die von einem ausländischen Staat mit einem Gehaltsscheck gelockt werden, anstatt ihrem eigenen Land zu dienen”, sagte der australische Verteidigungsminister Richard Marles.
Marles reagierte damit auf einen Bericht der BBC vom Vortag. Dort hieß es, bis zu 30 frühere Piloten der britischen Royal Air Force hätten sich von Chinas Militär als Ausbilder anwerben lassen (China.Table berichtete). Demnach wurden den früheren Piloten bis zu umgerechnet 275.000 Euro geboten, damit sie ihr Expertenwissen mit der chinesischen Luftwaffe teilen.
Ein Sprecher der neuseeländischen Streitkräfte sagte der Nachrichtenagentur Reuters, bislang seien vier Fälle bekannt, in denen frühere Militärmitarbeiter durch eine südafrikanische Flugschule neue Anstellung angenommen hätten. Es stehe früheren Mitarbeitern nach Ausscheiden aus dem Dienst zwar frei, eine neue Stelle anzunehmen. Dies könne aber Auswirkungen auf eine weitere Beschäftigung bei den Streitkräften haben. Das südafrikanische Unternehmen hat bislang nicht auf Anfragen reagiert, ob es Piloten aus Großbritannien, Australien und Neuseeland angeheuert habe, um sie nach China zu vermitteln. mw/rtr
Der taiwanische Chipauftragsfertiger TSMC prüft eine Expansion seiner Produktionskapazitäten in Japan. Ein Ziel sei es, das geopolitische Risiko zu verringern, berichtet das Wall Street Journal mit Verweis auf interne Quellen. Es wurde noch keine Entscheidung getroffen, heißt es hingegen bei TSMC. Es prüfe die Durchführbarkeit noch, heißt es. Das taiwanische Unternehmen, das Chips für eine Vielzahl großer Elektronikprodukte herstellt, baut zurzeit seine erste Chip-Fabrik in Japan, die sich auf der südlichen Insel Kyushu befindet.
Die Halbleiterindustrie befindet sich seit vergangenem Jahr im Umbruch, als weit verbreitete Engpässe bei den Chips die Autoindustrie und andere Branchen lahmlegten. Gleichzeitig sind die USA und Verbündete wie Japan besorgt über den Aufstieg der chinesischen Halbleiterindustrie.
Die im Bau befindliche Fabrik von TSMC in Japan ist Teil der Reaktion auf diese Probleme. Das Werk soll weniger fortschrittliche Chips produzieren, die üblicherweise in Autos und Komponenten wie Sensoren verwendet werden, und Ende 2024 liefern. Im Juli hatte TSMC-Präsident Mark Liu auf der Hauptversammlung gesagt, dass es keine “konkreten Pläne” für eine Fabrikansiedlung in Europa gebe (China.Table berichtete). mw
Der deutsche Anthropologe Adrian Zenz ist mit dem erstmals vergebenen Menschenrechtspreis “Schneelöwe” der International Campaign for Tibet (ICT) ausgezeichnet worden. Zenz erhielt den mit 3.000 Euro dotierten Preis am vergangenen Samstag bei einem Festakt im Umweltforum Berlin. Honoriert wurde der 47-Jährige für seine bahnbrechende Forschung zur Internierung von Millionen Uiguren und Mitgliedern anderer ethnischer Minderheiten in der nordwestchinesischen autonomen Region Xinjiang.
Zenz hatte erstmals im Jahr 2018 Details seiner Arbeit veröffentlicht, die eine systematische Umerziehung mit eklatanten Menschenrechtsverbrechen seitens der chinesischen Regierung in Xinjiang belegte. Zuletzt veröffentlichte Zenz die sogenannten Xinjiang Police Files, die aus großen Datensätzen der örtlichen Polizei bestehen (China.Table berichtete). Die Bilder gaben erstmals Einblicke in den Lageralltag der Gefangenen und halfen dabei, mehrere Tausende Inhaftierte namentlich zu identifizieren.
Der Bundestagsabgeordnete Michael Brand (CDU) lobte in seiner Laudatio die Entschlossenheit von Zenz, “obwohl er genau weiß, dass er sich damit gegen die größte Diktatur unseres Planeten stellt, die mit Gewalt nach innen und viel Geld und vielen Drohungen nach außen global viel Einfluss und Kontrolle erreicht hat”. grz
Im Jahr 2018 entscheidet sich Katja Drinhausen endgültig dazu, China zu verlassen. Zwölf Jahre lebte sie damals schon im Land, doch dann ging nichts mehr. “Der Debattenraum hat sich seit Xi Jinpings Amtsantritt immer weiter verengt”, sagt die heutige Programmleiterin beim Forschungsinstitut Merics. Ende der 2000er-Jahre hätten die Diskussionen im chinesischen Internet dagegen regelrecht gebrodelt.
Unter den bekanntesten Bloggern waren damals Künstler, Akademiker und Aktivisten. Doch nicht nur deren Spektrum wurde durch den Staat immer weiter eingeschränkt. Auch der Austausch und die Zusammenarbeit mit Chinas Wissenschaft oder Zivilgesellschaft zu sozialen, politischen oder rechtlichen Themen wurde immer schmaler. Diese Entwicklung war für Drinhausen Grund genug, nach Deutschland zurückzukehren.
Ein Leben mit oder in China ist Katja Drinhausen gewissermaßen in die Wiege gelegt worden. Ihre Mutter war Sinologin an der Universität Leipzig, Teile ihrer frühen Kindheit verbrachte sie in Taiwan. Insofern ist es eigentlich nicht überraschend, dass sich Drinhausen hierzulande den Ruf als profilierte China-Expertin erarbeitet hat. Wenn es um das chinesische Rechtssystem, die Menschenrechtslage oder die Kommunikationsstrategien der Kommunistischen Partei geht, ist Drinhausen häufig gefragte Fachfrau.
Doch so geradlinig, wie die biografischen Eckpunkte es erscheinen lassen, war ihr Weg keinesfalls. “Ich wollte eigentlich etwas ganz anderes als meine Mutter machen”, sagt sie heute. Zwar studierte sie auch zunächst Sinologie “Ich fand es aber seit jeher viel spannender, mir die aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in China anzuschauen.” Ein Bedürfnis, dem sie Anfang der 2000er-Jahre mit regelmäßigen Reisen in das Land begegnete. Ein Jahr vor den Olympischen Spielen verschlug es sie endgültig nach Peking.
Das Sinologiestudium brach sie ab, stürzte sich in die Event- und Gastroszene der Hauptstadt, weit weg von der akademischen Gesellschaft. Um am Puls der chinesischen Politikwelt zu bleiben, war diese Branche jedoch eher ungeeignet. Also zog Drinhausen schnell weiter, trat eine Stelle bei der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung an, wo sie sich zunächst dem Medien- und Politikmonitoring widmete. “Das Interesse an den Themen, die mich bis heute begleiten, stammt vor allem aus dieser Zeit”, sagt sie. Viele einflussreiche Blogger seien damals Juristen und Anwälte gewesen, die teils sehr offen die Regierung kritisierten. Das war ein Grund, in Peking internationales und chinesisches Recht zu studieren – mit Fokus auf die Menschenrechte.
So steht sie heute wie viele ihrer Kollegen auf der anderen Seite der Great Firewall, mit dem China längst nicht nur das Internet, sondern auch seine Gesellschaft zusehends kontrolliert. Katja Drinhausens Arbeit hat das verändert. Nicht nur zum Schlechteren, wie sie findet. Mittlerweile arbeitet sie viel mit Open Source Intelligence, durchsucht öffentlich zugängliche Quellen und Datenbanken, um ein Gesamtbild zu zeichnen.
Sie stellt fest: Obwohl die roten Linien zahlreicher geworden sind und näher rücken an den Alltag der Menschen, würden manche Themen weiterhin kontrovers und durchaus offen diskutiert, etwa die harten Lockdowns der vergangenen Monate oder Gewalt gegen Frauen in der chinesischen Gesellschaft. “Man sieht, wie schwer es selbst ein ausgeprägter Überwachungsstaat hat, alle Debatten im Zaum zu halten”, sagt sie.
Mit dem Projekt China Spektrum bemüht sie sich darum, genau diese Debattenvielfalt auch für die europäische Öffentlichkeit abzubilden. Auch, um die Aufmerksamkeit auf das Schicksal der ganz normalen Bürgerinnen und Bürger der Volksrepublik zu lenken. China, das sei eben mehr als der Staat. Nils Wischmeyer
Anton Vong ist bei BMW in München seit August Project Lead für Change and Cooperation Management Joint Ventures BMW China.
Tian Huiyu, ehemaliger Bankdirektor, wurde aus der KP Chinas ausgeschlossen. Im April war er als Chef der China Merchants Bank wegen Korruption verhaftet worden.
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Bei den Pressekonferenzen rund um den derzeitigen 20. Parteitag sind zwar alle Medien des Landes und auch ausländische Medienvertreter vertreten. Doch wer eine Frage stellen darf und vor allem welche, ist vorher bis ins Detail abgesprochen. Auch wenn dieses Bild vortäuscht, dass beharrliches Handheben zum Erfolg führt – selbst das ist orchestriert.