wie sehr der aktuelle Parteitag der Kommunistischen Partei alles andere in China beeinflusst, zeigt eine Meldung von Montag: Völlig überraschend hat das staatliche Statistikamt zu Wochenbeginn die Bekanntgabe der aktuellen Wirtschaftszahlen verschoben. Es geht um das Bruttoinlandsprodukt, Angaben zur Industrieproduktion, zu den Umsätzen im Einzelhandel oder auch die Arbeitslosenquote. Was der Parteitag damit zu tun hat, lesen Sie in unseren News.
Unterdessen ist es in Manchester zu einem ungeheuerlichen Vorfall gekommen. Mitarbeiter des chinesischen Konsulats sind gewaltsam gegen friedlichen Demonstranten aus Hongkong vorgegangen. Marcel Grzanna hat sich die Hintergründe genauer angeschaut – und zeigt Erschreckendes: Chinas Diplomaten schüren bewusst Angst unter Exil-Hongkongern. In einigen Ländern sind sogar chinesische Polizeieinheiten aktiv. Auch in Deutschland.
In Brüssel suchen die EU-Außenminister nach einer passenden Antwort auf diesen wachsenden Einfluss Chinas in der Welt. Amelie Richter hat sich das Treffen rund um die China-Strategie der EU angeschaut und eine eindeutige Tendenz erkannt: Brüssel steuert klar in Richtung zunehmender Konfrontation mit Peking. Vor allem die Einschätzung des Europäischen Auswärtigen Dienstes lässt keinen Zweifel aufkommen.
Zu guter Letzt möchte ich Sie noch an den heutigen Gastbeitrag von Susanne Weigelin-Schwiedrzik aufmerksam machen. Die Sinologie der Universität Wien analysiert darin Chinas Haltung im Ukrainekrieg und kommt zu dem Schluss, dass Peking durchaus eine Mittel-Position einnehme. Doch der Moment zu handeln sei für Peking noch nicht gekommen.
Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht
Aktivisten und britische Politiker fordern die umfassende Aufklärung eines gewalttätigen Übergriffs durch chinesische Konsulatsmitarbeiter bei einer Protestaktion in Manchester. Hongkonger Demonstranten hatten am Sonntag vor dem Gebäude Plakate ausgerollt und Slogans geschrien, um gegen die Herrschaft der Kommunistischen Partei zu protestieren. Parallel dazu hatte in Peking der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei begonnen.
Auf Videos, die in Sozialmedien kursieren, ist zu sehen, wie mehrere Männer vor den Augen mehrerer örtlicher Polizisten ein Schmähplakat mit dem Konterfei von Chinas Staatspräsident Xi Jinping an sich reißen und einen der Demonstranten auf das Gelände des Konsulats zerren, wo sie ihn mit Tritten und Schlägen traktieren. Die Szenerie beruhigte sich erst, nachdem britische Beamten den am Boden liegenden Mann vom Konsulatsgelände zurück auf die öffentliche Straße gezerrt hatten.
Die Eskalation besorgt Hongkonger Aktivisten weltweit. Ray Wong, Gründer des Vereins Freiheit für Hongkong, sagt, er sei “außerordentlich schockiert, dass Chinas diplomatische Abteilungen immer aggressiver im Ausland” wüten. Der Protest der Gruppe sei zwar laut, aber im Rahmen bürgerlicher Freiheitsrechte verlaufen, ehe chinesische Diplomaten begonnen hätten, Gewalt anzuwenden.
Für den früheren Hongkonger Lokalpolitiker, der nach Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes in seiner Heimat nach Deutschland geflohen war und seit 2019 in Göttingen im Exil lebt, steht der Vorfall symbolisch für eine gefährliche Entwicklung. “Er zeigt, dass die Mitarbeiter von chinesischen Botschaften und Konsulaten zunehmend selbstgewiss sind, dass sie in anderen Ländern tun und lassen können, was sie wollen“, erläutert Wong im Gespräch mit China.Table.
Die Polizei in Manchester kündigte an, den Vorfall genau untersuchen zu wollen. Um den Aktivisten zu befreien, hatten sich mindestens zwei Beamte wenige Meter auf das Konsulatsgelände bewegt. Internationale Konventionen sehen jedoch vor, dass Polizisten nur mit ausdrücklicher Zustimmung des diplomatischen Personals das Gelände eines Konsulats oder einer Botschaft betreten dürfen. “Beamte waren anwesend und reagierten sofort, um die Situation zu entschärfen”, hieß es in der Stellungnahme.
Mehrere britische Parlamentarier äußerten sich auf Twitter empört. “Die britische Regierung muss eine umfassende Entschuldigung des chinesischen Botschafters im Vereinigten Königreich verlangen und fordern, dass die Verantwortlichen nach China zurückgeschickt werden”, schrieb der Abgeordnete der regierenden Konservativen Partei Iain Duncan Smith. Auch die Tory-Abgeordnete Alicia Kearns forderte die Behörden zu dringenden Ermittlungen auf. “Wenn ein Beamter Demonstranten geschlagen hat, muss er des Landes verwiesen oder strafrechtlich verfolgt werden“, forderte Kearns.
Der frühere Hongkonger Parlamentarier Ted Hui, der inzwischen in Australien lebt, warnt unterdessen vor einem inkonsequenten Umgang britischer Behörden bei der Untersuchung des Falls. “Er ist eine ernste Warnung für liberale Demokratien vor einer fortsetzenden Missachtung von Gesetzen und Regeln durch das Regime der Kommunistischen Partei nicht nur auf internationaler, sondern auch auf lokaler Ebene“, sagte Hui gegenüber China.Table. Exil-Hongkonger fürchten, dass sie künftig auch im Ausland in Angst davor leben müssten, von chinesischen Behörden entführt und nach China verschleppt zu werden, wenn die verantwortlichen Konsulatsmitarbeiter nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Der Hongkonger Aktivist und Lobbyist Nathan Law forderte die britische Regierung über Twitter auf, “zu ermitteln und unsere Gemeinschaft und die Menschen im Vereinigten Königreich zu schützen”.
Ein Sprecher des chinesischen Außenamtes sagte am Montag, dass sich chinesische Botschaften und Konsulate immer an die Gesetze der Länder gehalten hätten, in denen sie stationiert seien. Zu dem Vorfall in Manchester könne er aus Mangel an Informationen keine Stellung nehmen. Er appellierte jedoch an die britischen Behörden, in Übereinstimmung mit den Wiener Konventionen die Arbeit der chinesischen Botschaft und der Konsulate in Großbritannien zu erleichtern.
Schon vor einigen Wochen hatte die Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders über die zunehmenden Operationen chinesischer Polizeieinheiten im Ausland berichtet. Über sogenannte Polizei-Servicestationen in anderen Staaten und in enger Zusammenarbeit mit staatlichen chinesischen Organisationen der Einheitsfront wie die Overseas Chinese Federation (COCF) koordinierten die Sicherheitskräfte die Suche nach Auslandschinesen, die sie zu einer Rückkehr in die Volksrepublik bewegen wollten.
54 Stationen in 30 Ländern haben die Safeguard Defender eigenen Angaben zufolge bereits identifiziert. Auch in der Europäischen Union sind chinesische Sicherheitskräfte demnach besonders umtriebig. Allein in Spanien sollen sich neun solcher Stationen befinden. In Deutschland betreibe die Polizei mindestens eine Außenstelle in Frankfurt.
Tatsächlich scheinen die Behörden in Großbritannien die wachsende Gefahr für Aktivisten erkannt zu haben. “Bei unserer letzten Veranstaltung am 1. Oktober war der Polizeischutz sehr groß. Das war nicht immer der Fall”, erinnert sich Rahima Mahmut, Direktorin des Weltkongresses der Uiguren (WUC) in London, gegenüber China.Table
Bei der Protestaktion waren Uiguren zusammen mit Tibetern, Aktivisten aus Hongkong und britischen Unterstützern vor die chinesische Botschaft marschiert, um dort eine Kundgebung abzuhalten. Die hohe Polizeipräsenz haben den Teilnehmer zusätzliche Sicherheit gegeben. 2015 dagegen waren ein chinesischer Dissident und zwei Tibeter am Rande des Staatsbesuchs von Xi Jinping in London von der Polizei festgenommen worden, weil sie gegen den Gast protestiert hatten.
In Peking kommt der Parteitag zusammen – und auch gut 8.000 Kilometer Luftlinie weiter im Westen spielt die künftige Ausrichtung der Volksrepublik eine entscheidende Rolle. Die EU wird ihren bekannten Dreiklang aus “Partner-Wettbewerber-Systemrivale” zunächst in dieser Form beibehalten, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Montag nach dem Treffen der Außenminister der EU-Staaten in Luxemburg. Der derzeit in der Mitte stehenden “Wettbewerber” (auf Englisch “competitor”) komme aber zunehmend zu Tragen, sagte Borrell. Denn so trete China derzeit auf. “Wir können nicht so tun, als gäbe es China nicht”, betonte der Spanier.
Die EU-Außenminister hatten zuvor erstmals seit längerer Zeit die EU-China-Strategie sowie eine neue Einschätzung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) besprochen. Auch über die Rede des chinesischen Staatschefs Xi Jinping habe man beim Außenrat debattiert, so Borrell. Diese habe gezeigt, wie China auch künftig im Weltgeschehen “eingreifen” werde. Vergangene Woche hatte der EU-Außenchef noch mit weit schärferen Aussagen für Aufsehen gesorgt (China.Table berichtete). “Sie – China und Russland – haben unseren Wohlstand begründet. Das ist eine Welt, die es nicht mehr gibt”, hatte Borrell gewarnt.
Eine Woche später klingt Borrell weniger inbrünstig. Die Tendenz ist jedoch auch hier deutlich: Es geht in Richtung zunehmender Konfrontation mit Peking. Wo es möglich sei, müsste allerdings weiterhin kooperiert werden, betonte unter anderem die französische Außenministerin Catherine Colonna nach dem Treffen. Am Donnerstag stehen die Beziehungen zu Asien auf der EU-Gipfel-Agenda der Staats- und Regierungschefs – welchen Teil China dabei einnehmen wird, ist jedoch noch nicht klar.
Auch ob die Einschätzung des Europäischen Auswärtigen Dienstes bei dem Gipfeltreffen besprochen wird, ist noch offen. In dem Papier empfiehlt der EEAS eine deutlich härtere Linie gegenüber der Volksrepublik: Die Volksrepublik müsse uneingeschränkt als Konkurrent mit nur begrenzten Bereichen für eine potenzielle Zusammenarbeit betrachtet werden. “China ist zu einem noch stärkeren globalen Wettbewerber für die EU, die USA und andere gleichgesinnte Partner geworden”, heißt es in dem Text. Die Bewertung des EEAS unterstreicht so die bemerkenswerte Verschlechterung der Beziehungen zwischen Brüssel und Peking seit dem Aufsetzen der China-Strategie im Jahr 2019.
Vor allem die Taiwan-Frage habe “sehr störende Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der EU und China gehabt”. Die Lösung müsse sein, “sich auf Deeskalation und Abschreckung zu konzentrieren, um die Erosion des Status quo zu verhindern”, rät der Auswärtige Dienst. Aber auch Chinas “Demontage von ‘Ein Land, zwei Systeme’ in Hongkong”, das Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger sowie schwere Menschenrechtsverletzungen seien Signale für eine “verstärkte politische Abschottung und staatlich geführten Interventionismus”, warnt der Außendienst.
Brüssel müsse außerdem seine Strategie gegenüber Drittstaaten, vor allem im globalen Süden, ausbauen. China sei der Ansicht, dass die derzeitige Weltordnung “nicht an die Realität” der Entwicklungsländer angepasst sei, betont das EEAS-Papier. Das bedeute, China werde Positionen “entgegengesetzt zu denen der EU in multilateralen Foren” unterstützen. Zu sehen ist das bereits in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (China.Table berichtete).
Im Kampf der Narrative müsse die EU dringend ihre Reichweite erhöhen, “um auf Widersprüche und Risiken hinzuweisen” in Chinas Darstellungen reagieren zu können. Die Infrastruktur-Initiative “Global Gateway” könne dabei laut EEAS einen Schlüssel darstellen. “Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass chinesische Angebote an seine Partner weiterhin eine große Attraktivität haben. Die EU sollte ein besseres Angebot machen, indem sie ihre eigenen Versprechen einlöst”, betont das Papier.
Daneben führt der Auswärtige Dienst Empfehlungen an, die in Brüssel nicht zum ersten Mal zu hören sind: Die EU sollte enger mit den USA kooperieren und ihre Abwehr gegen Cyber- und hybride Bedrohungen besser aufstellen. Der EEAS wartet bereits seit längerem auf ein Mandat der EU-Kommission, um chinesische Desinformation durch eine eigene Taskforce angehen zu können.
Zudem müssten die Lieferketten diverser gestaltet und Beziehungen zu Staaten in der Indo-Pazifik-Region gestärkt werden, heißt es in der Einschätzung. Die Abhängigkeit der EU von China bei Halbleitern und bestimmten Seltenerdmetallen wird in dem Papier als “strategische Schwachstelle” bezeichnet, in der neben den diversifizierten Lieferketten auch eine stärkere Inlandsproduktion und andere Initiativen wie ein besseres Recycling innerhalb der EU gefordert werden. Das fünfseitige Dokument enthält nur einen Absatz zu Bereichen mit demnach “begrenzter potenzieller Zusammenarbeit” mit China: Klima, Umwelt und Gesundheit.
Die EU müsse eine einheitliche Botschaft gegenüber China ausdrücken, betont der EEAS in seiner Einschätzung. Beobachter sahen das am Montag nicht zuletzt als Wink in Richtung Berlin. Denn dort bereitet sich Bundeskanzler Olaf Scholz auf seine erste Reise nach Peking vor. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron soll ebenfalls bald in die Volksrepublik reisen. “Bei den Besuchen ist es sinnvoll, eine gemeinsame Botschaft zu haben – auch wenn wir nicht mit einer Stimme sprechen, muss es eine Botschaft sein”, zitiert South China Morning Post einen EU-Diplomaten. Ob auch Berlin in China zukünftig vor allem einen “Wettbewerber” sieht, wird sich zeigen.
Es ist ein überraschender Schritt, der jedoch tief blicken lässt: China hat die Bekanntgabe wichtiger Daten zur Konjunkturentwicklung verschoben. Das meldet am Montag das staatliche Statistikamt auf seiner Internetseite. Zu den mit Spannung erwarteten Wirtschaftszahlen gehören unter anderem die Einschätzung zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) im dritten Quartal, sowie Angaben zur Industrieproduktion, zu den Umsätzen im Einzelhandel oder auch die Arbeitslosenquote. Die Zahlen hätten eigentlich am heutigen Dienstag um 10 Uhr Ortszeit veröffentlicht werden sollen. Zuvor hatte bereits der Zoll die Bekanntmachung der Export- und Importzahlen verschoben.
Gründe für die beiden sehr ungewöhnlichen Schritte wurden nicht genannt. Ein Mitarbeiter des chinesischen Statistikamtes sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, die Verschiebung sei “auf eine Anpassung der Arbeitsregelungen” zurückzuführen.
Es ist zu vermuten, dass der Grund mit dem derzeitigen Parteitag der Kommunistischen Partei zusammenhängt. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt steht seit Monaten unter Druck – schwaches Wachstum, hohe Arbeitslosigkeit, Probleme auf dem Immobilienmarkt. Nun scheint es, als wolle man mit weiteren schlechten Nachrichten nicht die Beratungen auf dem laufenden Parteitag überschatten.
Dessen ungeachtet gab sich der Chef der Reform- und Entwicklungskommission, Zhao Chenxin, auf dem Parteitag vor der Presse betont optimistisch: “Die Wirtschaft hat sich im dritten Quartal wirklich erholt.” Doch auch Zhao räumte ein, dass es in diesem Jahr “Schwierigkeiten und Herausforderungen” sowie “größer als erwartete Schocks” gäbe.
Der größte Klotz für das schleppende Wirtschaftswachstum ist unverkennbar die dogmatische Null-Covid-Politik, die den Alltag der 1,4 Milliarden Chinesen auch im dritten Jahr der Pandemie dominiert. Die Folge: Erstmals seit 30 Jahren liegt das Wachstum der Volksrepublik nach Einschätzung von Ökonomen unter dem asiatischen Durchschnitt (China.Table berichtete). Für das laufende Kalenderjahr prognostiziert die Weltbank eine Expansion des Bruttoinlandsprodukts von nur 2,8 Prozent. Das von der Regierung ausgegebene Wachstumsziel von 5,5 Prozent würde damit weit verfehlt. rad
Wegen der strengeren US-Exportkontrollen für chinesische Technologieunternehmen hat Apple seine Pläne zur Verwendung von Speicherchips von Yangtze Memory Technologies (YMTC) auf Eis gelegt. Wie die Wirtschaftszeitung Nikkei unter Berufung auf Insider berichtete, hatte Apple geplant, die Speicherchips des staatlich kontrollierten Konzerns bereits in diesem Jahr einzusetzen. Der Schritt fällt in die jüngste Runde der US-Exportkontrollen, die gegen den chinesischen Technologiesektor verhängt wurden.
Apple hatte den monatelangen Prozess zur Zertifizierung des 128-lagigen 3D-NAND-Flash-Speichers von YMTC für den Einsatz in iPhones bereits abgeschlossen, bevor die US-Regierung Anfang des Monats die verschärften Exportbeschränkungen gegen China bekannt gab, so mehrere Quellen. NAND-Flash-Speicher ist eine Schlüsselkomponente in allen elektronischen Geräten, von Smartphones und PCs bis hin zu Servern. Die 128-Schicht-Chips von YMTC sind bei weitem die fortschrittlichsten eines chinesischen Chipherstellers, auch wenn sie noch ein oder zwei Generationen hinter Marktführern wie Samsung Electronics und Micron zurückliegen.
Ursprünglich wollte Apple die von der Regierung finanzierten Chips von YMTC bereits in diesem Jahr einsetzen, da sie mindestens 20 Prozent billiger sind als die Chips der führenden Konkurrenten, so Führungskräfte aus der Lieferkette. Die YMTC-Chips sollten nur für iPhones verwendet werden, die auf dem chinesischen Markt verkauft werden.
Washington hat YMTC am 7. Oktober auf die Unverified List gesetzt. Ein Unternehmen wird auf diese Liste gesetzt, wenn die US-Behörden nicht überprüfen können, wer seine Endnutzer sind. US-Firmen ist es untersagt, Entwürfe, Technologien, Dokumente oder Spezifikationen ohne Lizenz an Unternehmen auf der Unverified List weiterzugeben.
China will seine Kohleförderung bis 2025 erhöhen. Das sagte Ren Jindong, stellvertretender Direktor der Nationalen Energiebehörde, am Montag auf einer Pressekonferenz beim Parteitag der Kommunistischen Partei. Konkret gehe es um eine Erhöhung auf bis zu 4,6 Milliarden Tonnen. Gegenüber dem Vorjahr wäre dies eine Zunahme von 12 Prozent.
Durch die Erhöhung sollen Ausfälle in der Stromversorgung wie im Sommer vermieden werden, als wegen Trockenheit in Südwestchina Wasserkraftwerke weniger Strom erzeugten. Ren sagte, Kohle habe eine “Ballast-Rolle” bei der Energie-Versorgung des Landes. Zudem solle die Erforschung von Öl- und Gasvorkommen energisch vorangetrieben werden.
Rens Aussagen von Montag lösten bei Umwelt-Experten die Befürchtung aus, Chinas CO2-Emissionen bis 2030 könnten noch schneller ansteigen als bisher kalkuliert worden war. Die Volksrepublik ist schon jetzt der weltweit größte Emittent von Treibhausgasen.
Staats- und Parteichef Xi Jinping kündigte bei seiner Rede auf dem aktuellen Parteitag in Peking einen Mix aus erneuerbaren und fossilen Energieträgern an. “Kohle wird sauberer und effizienter genutzt, und wir werden die Planung und Entwicklung neuer Energiesysteme beschleunigen”, sagte Xi. Dabei wolle man dem Grundsatz folgen: Das Neue bekommen, bevor man das Alte verwerfe. Dem aktuellen Fünfjahresplan zufolge will China bis 2025 rund 20 Prozent und bis 2030 rund 25 Prozent seines Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien abdecken.
Zuletzt hat China rund die Hälfte der globalen Investitionen in Wind- und Solarenergieprojekte aufgebracht. Dennoch wird davon ausgegangen, dass Kohle 60 Prozent des chinesischen Strombedarfs in der nächsten Zukunft liefern wird. rad
In der Ukraine haben sich Hunderte chinesische Staatsbürger für Evakuierungsaktionen angemeldet. Peking hatte sie zuvor aufgefordert, das Land zu verlassen, da sich die Sicherheitslage verschlechtere. Mehr als 200 Menschen hätten sich gemeldet, um die Ukraine zu verlassen, berichtete die staatliche Zeitung Global Times. Bis Montag haben sich rund 190 Menschen für eine von der Botschaft organisierten Evakuierung angemeldet. Rund 40 weitere Personen hatten sich registriert, um die Ukraine selbst zu verlassen, wie die chinesische Botschaft auf Wechat bekannt gab. Die Botschaft werde den verbleibenden Staatsangehörigen, die das Land verlassen wollten, “energisch Hilfe leisten”, hieß es dort.
Bereits kurz nach der Explosion auf eine wichtige Brücke zwischen Russland und der Halbinsel Krim am 8. Oktober hatte China seine Bürger erstmals aufgefordert, die Ukraine zu verlassen und in drei aufeinanderfolgende Mitteilungen vor der sich verschlechternden Sicherheitslage gewarnt. Chinas Botschaft in der Ukraine holt nach eigenen Angaben jeden Monat Informationen darüber ein, wie viele chinesische Staatsbürger noch im Land sind. Im März hatte man rund 6.000 chinesische Staatsangehörige in Sicherheit gebracht. Damals wurde kritisiert, dass China erst spät evakuiert hätte (China.Table berichtete).
Der Bundesnachrichtendienst (BND) warnt vor Naivität gegenüber China. Bei der jährlichen Sitzung des Bundestagsausschusses zur Kontrolle der Geheimdienste betonte BND-Präsident Bruno Kahl, sein Haus habe schon lange vor China gewarnt, die Warnungen würden aber erst nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine ernster genommen. China steige zur Globalmacht auf; Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in Deutschland seien bisher zu vertrauensselig gewesen und hätten sich in eine “schmerzhafte Abhängigkeit” begeben. China sei jedoch autokratisch regiert und scheine nicht mehr wohlgesonnen.
Der BND bemühe sich seit Jahren, in Wirtschaft und Wissenschaft das Bewusstsein für die von China ausgehenden Risiken zu schärfen, sagte Kahl. Er sieht es als Erfolg des BND an, dass der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vor drei Jahren für eine wirtschaftliche Entflechtung plädiert habe. Gerade in der Wissenschaft gebe es jedoch noch zu viel Naivität. fin
Am 12. Oktober 2022 fand in der UN-Generalversammlung eine Abstimmung über die Annexion der vier von Russland teilweise besetzten Gebiete an der russisch-ukrainischen Grenze statt. 143 Länder haben der Resolution zugestimmt, 35 Länder haben sich enthalten, und 5 Länder, darunter natürlich auch Russland, haben dagegen gestimmt. China hat sich der Stimme enthalten. Wie kann das möglich sein, wo doch die Volksrepublik doch vom ersten Tag des russischen Einmarsches in die Ukraine betont hat, dass man das Prinzip der Souveränität und territorialen Integrität für unverbrüchlich hält? Wäre diese Abstimmung nicht der Moment gewesen, in dem China hätte unter Beweis stellen können, dass es der Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine durch Russland in aller Deutlichkeit entgegentritt?
In einer Pressekonferenz des chinesischen Außenministeriums hieß es in diesem Zusammenhang: “Wir haben seit jeher die Auffassung vertreten, dass die Souveränität und territoriale Integrität eines jeden Staates respektiert werden muss. Die Grundausrichtung und die Prinzipien, die in den UN-Statuten festgehalten sind, müssen ebenfalls eingehalten werden. Die legitimen Sicherheitsinteressen aller Länder müssen berücksichtigt werden. Alle Bemühungen um eine friedliche Lösung der Krise müssen unterstützt werden. Als eine verantwortungsvolle Großmacht hat sich China stets um Friedensgespräche bemüht. Es krempelt nicht die Ärmel hoch und wartet den Gang der Dinge ab oder kippt Öl ins Feuer. Noch weniger hat China die Situation zu seinem eigenen Vorteil ausgenutzt.”
Die Aussage des Außenministeriums ist nicht klarer als die verschiedenen Statements, die wir seit dem ersten Tag des Krieges gehört haben und die in den USA und in den EU-Ländern so ausgelegt werden, dass sie Chinas Unterstützung für Russland zum Ausdruck bringen. Die Äußerung ist in der Tat aus demselben sprachlichen Material gestrickt wie frühere Antworten. Nur die Reihenfolge hat sich geändert.
In der Äußerung des Außenministeriums am 24. Februar 2022 stand an erster Stelle das Verständnis für die Vorgangsweise Russlands, das eine Reaktion auf die Ost-Erweiterung der Nato sei. Diesmal wird die Nato-Osterweiterung nicht mehr erwähnt und dafür nur auf die legitimen Sicherheitsinteressen verwiesen. Dieser pro-russische Satz steht allerdings hinter, nicht vor dem Satz, der zur Wahrung der Souveränität und territorialen Integrität aufruft und die Ukraine unterstützt. Im letzten Satz unterstreicht man die eigene Haltung als “verantwortungsvolle Großmacht”. Das bedeutet im chinesischen Kontext: Wer eine “mittlere” Position einnimmt, ist nicht neutral, sondern verantwortungsvoll. Er ist aufgefordert, einen Drahtseilakt des Ausbalancierens zu meistern, in dem er an beide Seiten positive Signale aussendet, damit keine der beiden Seiten verletzt wird. Auch Kritik ist aus diesem Grunde nicht angebracht.
Diese Form der Diplomatie ist für Kenner der chinesischen Geschichte, die durch den permanenten Balanceakt zwischen unterschiedlichen Fraktionen am Hof gekennzeichnet ist, durchaus bekannt. Dass sie außerhalb Chinas eher auf Unverständnis stößt, hat freilich nicht nur mit Unkenntnis zu tun, sondern auch damit, dass eine mögliche Moderator-Funktion Chinas in zukünftigen Verhandlungen über die Beendigung des Krieges weder von den USA noch von Russland gewünscht wird. Stellt sich die Frage, warum China auf dieser Mittelposition beharrt?
China hat 2013 einen Vertrag mit der Ukraine unterschrieben, der beinhaltet, dass die beiden Länder sich gegenseitig dabei unterstützen, die Souveränität und territoriale Integrität ihres jeweiligen Landes zu schützen. Für den Fall einer nuklearen Bedrohung hat China der Ukraine zugesichert, dem Procedere der UN entsprechend Maßnahmen zu ergreifen. Die Ukraine ist der wichtigste Partner Chinas in der “Belt and Road”-Initiative, und es gibt eine intensive Zusammenarbeit zwischen ukrainischen und chinesischen Ingenieuren bei der Entwicklung von militärischer Kapazität in China. Mit Russland ist China wiederum über eine strategische Partnerschaft verbunden, die insbesondere von Xi Jinping immer wieder gefeiert wird und die er zuletzt bei Putins Besuch aus Anlass der Eröffnung der Olympischen Spiele vor aller Welt zur Schau gestellt hat.
Hinzu kommt, dass die KPCh ungern politische Entscheidungen fällt, die einen schlechten Eindruck über die analytischen Fähigkeiten der Partei vermitteln. Stellte man sich auf die Seite Russlands und erwiese sich Russland als Verlierer, sähe das für die KPCh und ihr Urteilsvermögen sehr schlecht aus.
Schließlich haben wir erst kürzlich beobachten können, dass die Führungsspitze der KPCh sich nicht einig ist. Der dritte Mann im Staate, Li Zhanshu, reiste nach Moskau und sprach dort hinter verschlossenen Türen mit Mitgliedern der Duma. Seine Ausführungen wurde aufgenommen und geleakt. Dadurch wurde deutlich, dass er den russischen Abgeordneten gegenüber das uneingeschränkte Verständnis Chinas für die russische Vorgehensweise gegen die Ukraine zum Ausdruck brachte und angekündigte, man sei bereit, sich mit Russland zu koordinieren. Zu gleichen Zeitpunkt befand sich Xi Jinping in Samarkand auf der Sitzung der SCO (Shanghai Cooperation Organization). Xi musste die Zusammenkunft vorzeitig verlassen und wurde danach zehn Tage nicht mehr gesehen, wie übrigens auch Herr Li Zhanshu nach seiner Rückkehr aus Moskau.
Die andere Seite im politischen Spektrum hatte ihren Auftritt, als Außenminister Wang Yi eine Rede vor der UN hielt, in der er nur von Friedensbemühungen sprach. Russland und sein Anliegen wurden mit keinem Satz erwähnt. Die Kräfte innerhalb der KP-Führungsspitze, die anders denken als Herr Li Zhanshu, bestehen auf der mittleren Position als Kompromiss: Als Li Zhanshu diesen Kompromiss nicht einhielt, wurde wohl vermutet, dass Xi Jinping ihm dazu grünes Licht gegeben hatte. Nach chinesischem Kalkül darf aber auch der Parteivorsitzende nicht von einem einmal gefundenen Kompromiss abweichen. Deshalb musste Xi so schnell nach Hause zurückfliegen.
Bisher hat sich die Führung der VR China sich in Sachen Friedensvermittlung bedeckt gehalten. Man wartet auf eine Gelegenheit, sich erfolgreich einzuschalten. Doch die Zeit ist noch nicht reif. Der Leidensdruck muss noch wachsen. Drei Szenarien sind möglich: Es wird der Zeitpunkt kommen, da auch der eigentlich Stärkere in einem asymmetrischen Krieg derart in Bedrängnis gerät, dass er Verhandlungen sucht, bevor es zu spät ist. Diese Situation ist noch nicht eingetreten, obwohl in den letzten Tagen aus Moskau immer wieder Äußerungen zur Notwendigkeit von Verhandlungen zu hören sind. Hauptgrund ist, dass die ukrainische Seite derzeit nicht verhandlungsbereit ist und auch die USA den Krieg noch so lange führen wollen, wie es notwendig ist, um Russland so zu schwächen, dass es keinen Krieg in seiner Nachbarschaft führen kann.
Das zweite Szenario sieht einen Abnutzungskrieg vor. Er ist für die Soldaten beider Seiten und auch für die Zivilbevölkerung ein schreckliches Los, und obwohl man ihn aus diesem Grunde vermeiden sollte, gibt es viele historische Beispiele, die zeigen, dass die Abnutzung und Ermüdung beider Seiten eines Tages zur Gesprächsbereitschaft führen kann.
Bleibt ein drittes Szenario, über das in China allerdings nicht offen gesprochen wird: Durch Inflation und Energieknappheit werden die Menschen im reichen Westen wie im globalen Süden früher oder später auf die Straße gehen, und es wird zu einer erheblichen Destabilisierung der Verhältnisse kommen. In dieser Situation würden die nur mittelbar Beteiligten darum betteln, dass der Krieg beendet wird.
Egal, welches Szenario eintritt: China weiß, dass es sein Pulver nicht verschießen darf. Es verhandelt hinter den Kulissen, es wägt vorsichtig seine Worte, aber es macht keinen entscheidenden Schritt an den Bühnenrand. Denn letztendlich geht es doch darum, aus der Situation einen eigenen Nutzen zu ziehen: Würde China sich erfolgreich in die Verhandlungen einbringen, hätte es seine Position als verantwortungsvolle Großmacht gestärkt und sich auf der Weltbühne gut aufgestellt.
Susanne Weigelin-Schwiedrzik ist Professorin für Sinologie an der Universität Wien und Programmdirektorin China beim Centrum für Strategische Analyse. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Geschichte und Geschichtsschreibung in China mit dem Schwerpunkt Zeitgeschichte, Analyse der Innen- und Außenpolitik sowie internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Ostasien.
Peter Kreutzberger ist neuer Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Deutscher China-Gesellschaften (ADCG). Kreutzberger war zuletzt vor seiner Pensionierung Generalkonsul in Shenyang. Er folgt auf Johannes Pflug.
Thomas Hartig ist neuer Manager Mainland China und Hongkong bei PricewaterhouseCoopers. Hartig arbeitet seit August 2021 für die deutsche Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft mit Hauptsitz in Frankfurt, zuletzt als Senior Associate.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
Vorboten von Nesat: Ein Mann surft in der Big Wave Bay in Hongkong auf den rauen Wellen, die den Taifun ankündigen. Das Hong Kong Observatory hat zu Beginn der Woche Warnungen herausgegeben, dass Taifun Nesat näher an die Küste von Guangdong heranrückt. Der Sturm könnte demnach auch Hongkong treffen.
wie sehr der aktuelle Parteitag der Kommunistischen Partei alles andere in China beeinflusst, zeigt eine Meldung von Montag: Völlig überraschend hat das staatliche Statistikamt zu Wochenbeginn die Bekanntgabe der aktuellen Wirtschaftszahlen verschoben. Es geht um das Bruttoinlandsprodukt, Angaben zur Industrieproduktion, zu den Umsätzen im Einzelhandel oder auch die Arbeitslosenquote. Was der Parteitag damit zu tun hat, lesen Sie in unseren News.
Unterdessen ist es in Manchester zu einem ungeheuerlichen Vorfall gekommen. Mitarbeiter des chinesischen Konsulats sind gewaltsam gegen friedlichen Demonstranten aus Hongkong vorgegangen. Marcel Grzanna hat sich die Hintergründe genauer angeschaut – und zeigt Erschreckendes: Chinas Diplomaten schüren bewusst Angst unter Exil-Hongkongern. In einigen Ländern sind sogar chinesische Polizeieinheiten aktiv. Auch in Deutschland.
In Brüssel suchen die EU-Außenminister nach einer passenden Antwort auf diesen wachsenden Einfluss Chinas in der Welt. Amelie Richter hat sich das Treffen rund um die China-Strategie der EU angeschaut und eine eindeutige Tendenz erkannt: Brüssel steuert klar in Richtung zunehmender Konfrontation mit Peking. Vor allem die Einschätzung des Europäischen Auswärtigen Dienstes lässt keinen Zweifel aufkommen.
Zu guter Letzt möchte ich Sie noch an den heutigen Gastbeitrag von Susanne Weigelin-Schwiedrzik aufmerksam machen. Die Sinologie der Universität Wien analysiert darin Chinas Haltung im Ukrainekrieg und kommt zu dem Schluss, dass Peking durchaus eine Mittel-Position einnehme. Doch der Moment zu handeln sei für Peking noch nicht gekommen.
Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht
Aktivisten und britische Politiker fordern die umfassende Aufklärung eines gewalttätigen Übergriffs durch chinesische Konsulatsmitarbeiter bei einer Protestaktion in Manchester. Hongkonger Demonstranten hatten am Sonntag vor dem Gebäude Plakate ausgerollt und Slogans geschrien, um gegen die Herrschaft der Kommunistischen Partei zu protestieren. Parallel dazu hatte in Peking der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei begonnen.
Auf Videos, die in Sozialmedien kursieren, ist zu sehen, wie mehrere Männer vor den Augen mehrerer örtlicher Polizisten ein Schmähplakat mit dem Konterfei von Chinas Staatspräsident Xi Jinping an sich reißen und einen der Demonstranten auf das Gelände des Konsulats zerren, wo sie ihn mit Tritten und Schlägen traktieren. Die Szenerie beruhigte sich erst, nachdem britische Beamten den am Boden liegenden Mann vom Konsulatsgelände zurück auf die öffentliche Straße gezerrt hatten.
Die Eskalation besorgt Hongkonger Aktivisten weltweit. Ray Wong, Gründer des Vereins Freiheit für Hongkong, sagt, er sei “außerordentlich schockiert, dass Chinas diplomatische Abteilungen immer aggressiver im Ausland” wüten. Der Protest der Gruppe sei zwar laut, aber im Rahmen bürgerlicher Freiheitsrechte verlaufen, ehe chinesische Diplomaten begonnen hätten, Gewalt anzuwenden.
Für den früheren Hongkonger Lokalpolitiker, der nach Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes in seiner Heimat nach Deutschland geflohen war und seit 2019 in Göttingen im Exil lebt, steht der Vorfall symbolisch für eine gefährliche Entwicklung. “Er zeigt, dass die Mitarbeiter von chinesischen Botschaften und Konsulaten zunehmend selbstgewiss sind, dass sie in anderen Ländern tun und lassen können, was sie wollen“, erläutert Wong im Gespräch mit China.Table.
Die Polizei in Manchester kündigte an, den Vorfall genau untersuchen zu wollen. Um den Aktivisten zu befreien, hatten sich mindestens zwei Beamte wenige Meter auf das Konsulatsgelände bewegt. Internationale Konventionen sehen jedoch vor, dass Polizisten nur mit ausdrücklicher Zustimmung des diplomatischen Personals das Gelände eines Konsulats oder einer Botschaft betreten dürfen. “Beamte waren anwesend und reagierten sofort, um die Situation zu entschärfen”, hieß es in der Stellungnahme.
Mehrere britische Parlamentarier äußerten sich auf Twitter empört. “Die britische Regierung muss eine umfassende Entschuldigung des chinesischen Botschafters im Vereinigten Königreich verlangen und fordern, dass die Verantwortlichen nach China zurückgeschickt werden”, schrieb der Abgeordnete der regierenden Konservativen Partei Iain Duncan Smith. Auch die Tory-Abgeordnete Alicia Kearns forderte die Behörden zu dringenden Ermittlungen auf. “Wenn ein Beamter Demonstranten geschlagen hat, muss er des Landes verwiesen oder strafrechtlich verfolgt werden“, forderte Kearns.
Der frühere Hongkonger Parlamentarier Ted Hui, der inzwischen in Australien lebt, warnt unterdessen vor einem inkonsequenten Umgang britischer Behörden bei der Untersuchung des Falls. “Er ist eine ernste Warnung für liberale Demokratien vor einer fortsetzenden Missachtung von Gesetzen und Regeln durch das Regime der Kommunistischen Partei nicht nur auf internationaler, sondern auch auf lokaler Ebene“, sagte Hui gegenüber China.Table. Exil-Hongkonger fürchten, dass sie künftig auch im Ausland in Angst davor leben müssten, von chinesischen Behörden entführt und nach China verschleppt zu werden, wenn die verantwortlichen Konsulatsmitarbeiter nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Der Hongkonger Aktivist und Lobbyist Nathan Law forderte die britische Regierung über Twitter auf, “zu ermitteln und unsere Gemeinschaft und die Menschen im Vereinigten Königreich zu schützen”.
Ein Sprecher des chinesischen Außenamtes sagte am Montag, dass sich chinesische Botschaften und Konsulate immer an die Gesetze der Länder gehalten hätten, in denen sie stationiert seien. Zu dem Vorfall in Manchester könne er aus Mangel an Informationen keine Stellung nehmen. Er appellierte jedoch an die britischen Behörden, in Übereinstimmung mit den Wiener Konventionen die Arbeit der chinesischen Botschaft und der Konsulate in Großbritannien zu erleichtern.
Schon vor einigen Wochen hatte die Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders über die zunehmenden Operationen chinesischer Polizeieinheiten im Ausland berichtet. Über sogenannte Polizei-Servicestationen in anderen Staaten und in enger Zusammenarbeit mit staatlichen chinesischen Organisationen der Einheitsfront wie die Overseas Chinese Federation (COCF) koordinierten die Sicherheitskräfte die Suche nach Auslandschinesen, die sie zu einer Rückkehr in die Volksrepublik bewegen wollten.
54 Stationen in 30 Ländern haben die Safeguard Defender eigenen Angaben zufolge bereits identifiziert. Auch in der Europäischen Union sind chinesische Sicherheitskräfte demnach besonders umtriebig. Allein in Spanien sollen sich neun solcher Stationen befinden. In Deutschland betreibe die Polizei mindestens eine Außenstelle in Frankfurt.
Tatsächlich scheinen die Behörden in Großbritannien die wachsende Gefahr für Aktivisten erkannt zu haben. “Bei unserer letzten Veranstaltung am 1. Oktober war der Polizeischutz sehr groß. Das war nicht immer der Fall”, erinnert sich Rahima Mahmut, Direktorin des Weltkongresses der Uiguren (WUC) in London, gegenüber China.Table
Bei der Protestaktion waren Uiguren zusammen mit Tibetern, Aktivisten aus Hongkong und britischen Unterstützern vor die chinesische Botschaft marschiert, um dort eine Kundgebung abzuhalten. Die hohe Polizeipräsenz haben den Teilnehmer zusätzliche Sicherheit gegeben. 2015 dagegen waren ein chinesischer Dissident und zwei Tibeter am Rande des Staatsbesuchs von Xi Jinping in London von der Polizei festgenommen worden, weil sie gegen den Gast protestiert hatten.
In Peking kommt der Parteitag zusammen – und auch gut 8.000 Kilometer Luftlinie weiter im Westen spielt die künftige Ausrichtung der Volksrepublik eine entscheidende Rolle. Die EU wird ihren bekannten Dreiklang aus “Partner-Wettbewerber-Systemrivale” zunächst in dieser Form beibehalten, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Montag nach dem Treffen der Außenminister der EU-Staaten in Luxemburg. Der derzeit in der Mitte stehenden “Wettbewerber” (auf Englisch “competitor”) komme aber zunehmend zu Tragen, sagte Borrell. Denn so trete China derzeit auf. “Wir können nicht so tun, als gäbe es China nicht”, betonte der Spanier.
Die EU-Außenminister hatten zuvor erstmals seit längerer Zeit die EU-China-Strategie sowie eine neue Einschätzung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) besprochen. Auch über die Rede des chinesischen Staatschefs Xi Jinping habe man beim Außenrat debattiert, so Borrell. Diese habe gezeigt, wie China auch künftig im Weltgeschehen “eingreifen” werde. Vergangene Woche hatte der EU-Außenchef noch mit weit schärferen Aussagen für Aufsehen gesorgt (China.Table berichtete). “Sie – China und Russland – haben unseren Wohlstand begründet. Das ist eine Welt, die es nicht mehr gibt”, hatte Borrell gewarnt.
Eine Woche später klingt Borrell weniger inbrünstig. Die Tendenz ist jedoch auch hier deutlich: Es geht in Richtung zunehmender Konfrontation mit Peking. Wo es möglich sei, müsste allerdings weiterhin kooperiert werden, betonte unter anderem die französische Außenministerin Catherine Colonna nach dem Treffen. Am Donnerstag stehen die Beziehungen zu Asien auf der EU-Gipfel-Agenda der Staats- und Regierungschefs – welchen Teil China dabei einnehmen wird, ist jedoch noch nicht klar.
Auch ob die Einschätzung des Europäischen Auswärtigen Dienstes bei dem Gipfeltreffen besprochen wird, ist noch offen. In dem Papier empfiehlt der EEAS eine deutlich härtere Linie gegenüber der Volksrepublik: Die Volksrepublik müsse uneingeschränkt als Konkurrent mit nur begrenzten Bereichen für eine potenzielle Zusammenarbeit betrachtet werden. “China ist zu einem noch stärkeren globalen Wettbewerber für die EU, die USA und andere gleichgesinnte Partner geworden”, heißt es in dem Text. Die Bewertung des EEAS unterstreicht so die bemerkenswerte Verschlechterung der Beziehungen zwischen Brüssel und Peking seit dem Aufsetzen der China-Strategie im Jahr 2019.
Vor allem die Taiwan-Frage habe “sehr störende Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der EU und China gehabt”. Die Lösung müsse sein, “sich auf Deeskalation und Abschreckung zu konzentrieren, um die Erosion des Status quo zu verhindern”, rät der Auswärtige Dienst. Aber auch Chinas “Demontage von ‘Ein Land, zwei Systeme’ in Hongkong”, das Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger sowie schwere Menschenrechtsverletzungen seien Signale für eine “verstärkte politische Abschottung und staatlich geführten Interventionismus”, warnt der Außendienst.
Brüssel müsse außerdem seine Strategie gegenüber Drittstaaten, vor allem im globalen Süden, ausbauen. China sei der Ansicht, dass die derzeitige Weltordnung “nicht an die Realität” der Entwicklungsländer angepasst sei, betont das EEAS-Papier. Das bedeute, China werde Positionen “entgegengesetzt zu denen der EU in multilateralen Foren” unterstützen. Zu sehen ist das bereits in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (China.Table berichtete).
Im Kampf der Narrative müsse die EU dringend ihre Reichweite erhöhen, “um auf Widersprüche und Risiken hinzuweisen” in Chinas Darstellungen reagieren zu können. Die Infrastruktur-Initiative “Global Gateway” könne dabei laut EEAS einen Schlüssel darstellen. “Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass chinesische Angebote an seine Partner weiterhin eine große Attraktivität haben. Die EU sollte ein besseres Angebot machen, indem sie ihre eigenen Versprechen einlöst”, betont das Papier.
Daneben führt der Auswärtige Dienst Empfehlungen an, die in Brüssel nicht zum ersten Mal zu hören sind: Die EU sollte enger mit den USA kooperieren und ihre Abwehr gegen Cyber- und hybride Bedrohungen besser aufstellen. Der EEAS wartet bereits seit längerem auf ein Mandat der EU-Kommission, um chinesische Desinformation durch eine eigene Taskforce angehen zu können.
Zudem müssten die Lieferketten diverser gestaltet und Beziehungen zu Staaten in der Indo-Pazifik-Region gestärkt werden, heißt es in der Einschätzung. Die Abhängigkeit der EU von China bei Halbleitern und bestimmten Seltenerdmetallen wird in dem Papier als “strategische Schwachstelle” bezeichnet, in der neben den diversifizierten Lieferketten auch eine stärkere Inlandsproduktion und andere Initiativen wie ein besseres Recycling innerhalb der EU gefordert werden. Das fünfseitige Dokument enthält nur einen Absatz zu Bereichen mit demnach “begrenzter potenzieller Zusammenarbeit” mit China: Klima, Umwelt und Gesundheit.
Die EU müsse eine einheitliche Botschaft gegenüber China ausdrücken, betont der EEAS in seiner Einschätzung. Beobachter sahen das am Montag nicht zuletzt als Wink in Richtung Berlin. Denn dort bereitet sich Bundeskanzler Olaf Scholz auf seine erste Reise nach Peking vor. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron soll ebenfalls bald in die Volksrepublik reisen. “Bei den Besuchen ist es sinnvoll, eine gemeinsame Botschaft zu haben – auch wenn wir nicht mit einer Stimme sprechen, muss es eine Botschaft sein”, zitiert South China Morning Post einen EU-Diplomaten. Ob auch Berlin in China zukünftig vor allem einen “Wettbewerber” sieht, wird sich zeigen.
Es ist ein überraschender Schritt, der jedoch tief blicken lässt: China hat die Bekanntgabe wichtiger Daten zur Konjunkturentwicklung verschoben. Das meldet am Montag das staatliche Statistikamt auf seiner Internetseite. Zu den mit Spannung erwarteten Wirtschaftszahlen gehören unter anderem die Einschätzung zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) im dritten Quartal, sowie Angaben zur Industrieproduktion, zu den Umsätzen im Einzelhandel oder auch die Arbeitslosenquote. Die Zahlen hätten eigentlich am heutigen Dienstag um 10 Uhr Ortszeit veröffentlicht werden sollen. Zuvor hatte bereits der Zoll die Bekanntmachung der Export- und Importzahlen verschoben.
Gründe für die beiden sehr ungewöhnlichen Schritte wurden nicht genannt. Ein Mitarbeiter des chinesischen Statistikamtes sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, die Verschiebung sei “auf eine Anpassung der Arbeitsregelungen” zurückzuführen.
Es ist zu vermuten, dass der Grund mit dem derzeitigen Parteitag der Kommunistischen Partei zusammenhängt. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt steht seit Monaten unter Druck – schwaches Wachstum, hohe Arbeitslosigkeit, Probleme auf dem Immobilienmarkt. Nun scheint es, als wolle man mit weiteren schlechten Nachrichten nicht die Beratungen auf dem laufenden Parteitag überschatten.
Dessen ungeachtet gab sich der Chef der Reform- und Entwicklungskommission, Zhao Chenxin, auf dem Parteitag vor der Presse betont optimistisch: “Die Wirtschaft hat sich im dritten Quartal wirklich erholt.” Doch auch Zhao räumte ein, dass es in diesem Jahr “Schwierigkeiten und Herausforderungen” sowie “größer als erwartete Schocks” gäbe.
Der größte Klotz für das schleppende Wirtschaftswachstum ist unverkennbar die dogmatische Null-Covid-Politik, die den Alltag der 1,4 Milliarden Chinesen auch im dritten Jahr der Pandemie dominiert. Die Folge: Erstmals seit 30 Jahren liegt das Wachstum der Volksrepublik nach Einschätzung von Ökonomen unter dem asiatischen Durchschnitt (China.Table berichtete). Für das laufende Kalenderjahr prognostiziert die Weltbank eine Expansion des Bruttoinlandsprodukts von nur 2,8 Prozent. Das von der Regierung ausgegebene Wachstumsziel von 5,5 Prozent würde damit weit verfehlt. rad
Wegen der strengeren US-Exportkontrollen für chinesische Technologieunternehmen hat Apple seine Pläne zur Verwendung von Speicherchips von Yangtze Memory Technologies (YMTC) auf Eis gelegt. Wie die Wirtschaftszeitung Nikkei unter Berufung auf Insider berichtete, hatte Apple geplant, die Speicherchips des staatlich kontrollierten Konzerns bereits in diesem Jahr einzusetzen. Der Schritt fällt in die jüngste Runde der US-Exportkontrollen, die gegen den chinesischen Technologiesektor verhängt wurden.
Apple hatte den monatelangen Prozess zur Zertifizierung des 128-lagigen 3D-NAND-Flash-Speichers von YMTC für den Einsatz in iPhones bereits abgeschlossen, bevor die US-Regierung Anfang des Monats die verschärften Exportbeschränkungen gegen China bekannt gab, so mehrere Quellen. NAND-Flash-Speicher ist eine Schlüsselkomponente in allen elektronischen Geräten, von Smartphones und PCs bis hin zu Servern. Die 128-Schicht-Chips von YMTC sind bei weitem die fortschrittlichsten eines chinesischen Chipherstellers, auch wenn sie noch ein oder zwei Generationen hinter Marktführern wie Samsung Electronics und Micron zurückliegen.
Ursprünglich wollte Apple die von der Regierung finanzierten Chips von YMTC bereits in diesem Jahr einsetzen, da sie mindestens 20 Prozent billiger sind als die Chips der führenden Konkurrenten, so Führungskräfte aus der Lieferkette. Die YMTC-Chips sollten nur für iPhones verwendet werden, die auf dem chinesischen Markt verkauft werden.
Washington hat YMTC am 7. Oktober auf die Unverified List gesetzt. Ein Unternehmen wird auf diese Liste gesetzt, wenn die US-Behörden nicht überprüfen können, wer seine Endnutzer sind. US-Firmen ist es untersagt, Entwürfe, Technologien, Dokumente oder Spezifikationen ohne Lizenz an Unternehmen auf der Unverified List weiterzugeben.
China will seine Kohleförderung bis 2025 erhöhen. Das sagte Ren Jindong, stellvertretender Direktor der Nationalen Energiebehörde, am Montag auf einer Pressekonferenz beim Parteitag der Kommunistischen Partei. Konkret gehe es um eine Erhöhung auf bis zu 4,6 Milliarden Tonnen. Gegenüber dem Vorjahr wäre dies eine Zunahme von 12 Prozent.
Durch die Erhöhung sollen Ausfälle in der Stromversorgung wie im Sommer vermieden werden, als wegen Trockenheit in Südwestchina Wasserkraftwerke weniger Strom erzeugten. Ren sagte, Kohle habe eine “Ballast-Rolle” bei der Energie-Versorgung des Landes. Zudem solle die Erforschung von Öl- und Gasvorkommen energisch vorangetrieben werden.
Rens Aussagen von Montag lösten bei Umwelt-Experten die Befürchtung aus, Chinas CO2-Emissionen bis 2030 könnten noch schneller ansteigen als bisher kalkuliert worden war. Die Volksrepublik ist schon jetzt der weltweit größte Emittent von Treibhausgasen.
Staats- und Parteichef Xi Jinping kündigte bei seiner Rede auf dem aktuellen Parteitag in Peking einen Mix aus erneuerbaren und fossilen Energieträgern an. “Kohle wird sauberer und effizienter genutzt, und wir werden die Planung und Entwicklung neuer Energiesysteme beschleunigen”, sagte Xi. Dabei wolle man dem Grundsatz folgen: Das Neue bekommen, bevor man das Alte verwerfe. Dem aktuellen Fünfjahresplan zufolge will China bis 2025 rund 20 Prozent und bis 2030 rund 25 Prozent seines Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien abdecken.
Zuletzt hat China rund die Hälfte der globalen Investitionen in Wind- und Solarenergieprojekte aufgebracht. Dennoch wird davon ausgegangen, dass Kohle 60 Prozent des chinesischen Strombedarfs in der nächsten Zukunft liefern wird. rad
In der Ukraine haben sich Hunderte chinesische Staatsbürger für Evakuierungsaktionen angemeldet. Peking hatte sie zuvor aufgefordert, das Land zu verlassen, da sich die Sicherheitslage verschlechtere. Mehr als 200 Menschen hätten sich gemeldet, um die Ukraine zu verlassen, berichtete die staatliche Zeitung Global Times. Bis Montag haben sich rund 190 Menschen für eine von der Botschaft organisierten Evakuierung angemeldet. Rund 40 weitere Personen hatten sich registriert, um die Ukraine selbst zu verlassen, wie die chinesische Botschaft auf Wechat bekannt gab. Die Botschaft werde den verbleibenden Staatsangehörigen, die das Land verlassen wollten, “energisch Hilfe leisten”, hieß es dort.
Bereits kurz nach der Explosion auf eine wichtige Brücke zwischen Russland und der Halbinsel Krim am 8. Oktober hatte China seine Bürger erstmals aufgefordert, die Ukraine zu verlassen und in drei aufeinanderfolgende Mitteilungen vor der sich verschlechternden Sicherheitslage gewarnt. Chinas Botschaft in der Ukraine holt nach eigenen Angaben jeden Monat Informationen darüber ein, wie viele chinesische Staatsbürger noch im Land sind. Im März hatte man rund 6.000 chinesische Staatsangehörige in Sicherheit gebracht. Damals wurde kritisiert, dass China erst spät evakuiert hätte (China.Table berichtete).
Der Bundesnachrichtendienst (BND) warnt vor Naivität gegenüber China. Bei der jährlichen Sitzung des Bundestagsausschusses zur Kontrolle der Geheimdienste betonte BND-Präsident Bruno Kahl, sein Haus habe schon lange vor China gewarnt, die Warnungen würden aber erst nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine ernster genommen. China steige zur Globalmacht auf; Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in Deutschland seien bisher zu vertrauensselig gewesen und hätten sich in eine “schmerzhafte Abhängigkeit” begeben. China sei jedoch autokratisch regiert und scheine nicht mehr wohlgesonnen.
Der BND bemühe sich seit Jahren, in Wirtschaft und Wissenschaft das Bewusstsein für die von China ausgehenden Risiken zu schärfen, sagte Kahl. Er sieht es als Erfolg des BND an, dass der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vor drei Jahren für eine wirtschaftliche Entflechtung plädiert habe. Gerade in der Wissenschaft gebe es jedoch noch zu viel Naivität. fin
Am 12. Oktober 2022 fand in der UN-Generalversammlung eine Abstimmung über die Annexion der vier von Russland teilweise besetzten Gebiete an der russisch-ukrainischen Grenze statt. 143 Länder haben der Resolution zugestimmt, 35 Länder haben sich enthalten, und 5 Länder, darunter natürlich auch Russland, haben dagegen gestimmt. China hat sich der Stimme enthalten. Wie kann das möglich sein, wo doch die Volksrepublik doch vom ersten Tag des russischen Einmarsches in die Ukraine betont hat, dass man das Prinzip der Souveränität und territorialen Integrität für unverbrüchlich hält? Wäre diese Abstimmung nicht der Moment gewesen, in dem China hätte unter Beweis stellen können, dass es der Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine durch Russland in aller Deutlichkeit entgegentritt?
In einer Pressekonferenz des chinesischen Außenministeriums hieß es in diesem Zusammenhang: “Wir haben seit jeher die Auffassung vertreten, dass die Souveränität und territoriale Integrität eines jeden Staates respektiert werden muss. Die Grundausrichtung und die Prinzipien, die in den UN-Statuten festgehalten sind, müssen ebenfalls eingehalten werden. Die legitimen Sicherheitsinteressen aller Länder müssen berücksichtigt werden. Alle Bemühungen um eine friedliche Lösung der Krise müssen unterstützt werden. Als eine verantwortungsvolle Großmacht hat sich China stets um Friedensgespräche bemüht. Es krempelt nicht die Ärmel hoch und wartet den Gang der Dinge ab oder kippt Öl ins Feuer. Noch weniger hat China die Situation zu seinem eigenen Vorteil ausgenutzt.”
Die Aussage des Außenministeriums ist nicht klarer als die verschiedenen Statements, die wir seit dem ersten Tag des Krieges gehört haben und die in den USA und in den EU-Ländern so ausgelegt werden, dass sie Chinas Unterstützung für Russland zum Ausdruck bringen. Die Äußerung ist in der Tat aus demselben sprachlichen Material gestrickt wie frühere Antworten. Nur die Reihenfolge hat sich geändert.
In der Äußerung des Außenministeriums am 24. Februar 2022 stand an erster Stelle das Verständnis für die Vorgangsweise Russlands, das eine Reaktion auf die Ost-Erweiterung der Nato sei. Diesmal wird die Nato-Osterweiterung nicht mehr erwähnt und dafür nur auf die legitimen Sicherheitsinteressen verwiesen. Dieser pro-russische Satz steht allerdings hinter, nicht vor dem Satz, der zur Wahrung der Souveränität und territorialen Integrität aufruft und die Ukraine unterstützt. Im letzten Satz unterstreicht man die eigene Haltung als “verantwortungsvolle Großmacht”. Das bedeutet im chinesischen Kontext: Wer eine “mittlere” Position einnimmt, ist nicht neutral, sondern verantwortungsvoll. Er ist aufgefordert, einen Drahtseilakt des Ausbalancierens zu meistern, in dem er an beide Seiten positive Signale aussendet, damit keine der beiden Seiten verletzt wird. Auch Kritik ist aus diesem Grunde nicht angebracht.
Diese Form der Diplomatie ist für Kenner der chinesischen Geschichte, die durch den permanenten Balanceakt zwischen unterschiedlichen Fraktionen am Hof gekennzeichnet ist, durchaus bekannt. Dass sie außerhalb Chinas eher auf Unverständnis stößt, hat freilich nicht nur mit Unkenntnis zu tun, sondern auch damit, dass eine mögliche Moderator-Funktion Chinas in zukünftigen Verhandlungen über die Beendigung des Krieges weder von den USA noch von Russland gewünscht wird. Stellt sich die Frage, warum China auf dieser Mittelposition beharrt?
China hat 2013 einen Vertrag mit der Ukraine unterschrieben, der beinhaltet, dass die beiden Länder sich gegenseitig dabei unterstützen, die Souveränität und territoriale Integrität ihres jeweiligen Landes zu schützen. Für den Fall einer nuklearen Bedrohung hat China der Ukraine zugesichert, dem Procedere der UN entsprechend Maßnahmen zu ergreifen. Die Ukraine ist der wichtigste Partner Chinas in der “Belt and Road”-Initiative, und es gibt eine intensive Zusammenarbeit zwischen ukrainischen und chinesischen Ingenieuren bei der Entwicklung von militärischer Kapazität in China. Mit Russland ist China wiederum über eine strategische Partnerschaft verbunden, die insbesondere von Xi Jinping immer wieder gefeiert wird und die er zuletzt bei Putins Besuch aus Anlass der Eröffnung der Olympischen Spiele vor aller Welt zur Schau gestellt hat.
Hinzu kommt, dass die KPCh ungern politische Entscheidungen fällt, die einen schlechten Eindruck über die analytischen Fähigkeiten der Partei vermitteln. Stellte man sich auf die Seite Russlands und erwiese sich Russland als Verlierer, sähe das für die KPCh und ihr Urteilsvermögen sehr schlecht aus.
Schließlich haben wir erst kürzlich beobachten können, dass die Führungsspitze der KPCh sich nicht einig ist. Der dritte Mann im Staate, Li Zhanshu, reiste nach Moskau und sprach dort hinter verschlossenen Türen mit Mitgliedern der Duma. Seine Ausführungen wurde aufgenommen und geleakt. Dadurch wurde deutlich, dass er den russischen Abgeordneten gegenüber das uneingeschränkte Verständnis Chinas für die russische Vorgehensweise gegen die Ukraine zum Ausdruck brachte und angekündigte, man sei bereit, sich mit Russland zu koordinieren. Zu gleichen Zeitpunkt befand sich Xi Jinping in Samarkand auf der Sitzung der SCO (Shanghai Cooperation Organization). Xi musste die Zusammenkunft vorzeitig verlassen und wurde danach zehn Tage nicht mehr gesehen, wie übrigens auch Herr Li Zhanshu nach seiner Rückkehr aus Moskau.
Die andere Seite im politischen Spektrum hatte ihren Auftritt, als Außenminister Wang Yi eine Rede vor der UN hielt, in der er nur von Friedensbemühungen sprach. Russland und sein Anliegen wurden mit keinem Satz erwähnt. Die Kräfte innerhalb der KP-Führungsspitze, die anders denken als Herr Li Zhanshu, bestehen auf der mittleren Position als Kompromiss: Als Li Zhanshu diesen Kompromiss nicht einhielt, wurde wohl vermutet, dass Xi Jinping ihm dazu grünes Licht gegeben hatte. Nach chinesischem Kalkül darf aber auch der Parteivorsitzende nicht von einem einmal gefundenen Kompromiss abweichen. Deshalb musste Xi so schnell nach Hause zurückfliegen.
Bisher hat sich die Führung der VR China sich in Sachen Friedensvermittlung bedeckt gehalten. Man wartet auf eine Gelegenheit, sich erfolgreich einzuschalten. Doch die Zeit ist noch nicht reif. Der Leidensdruck muss noch wachsen. Drei Szenarien sind möglich: Es wird der Zeitpunkt kommen, da auch der eigentlich Stärkere in einem asymmetrischen Krieg derart in Bedrängnis gerät, dass er Verhandlungen sucht, bevor es zu spät ist. Diese Situation ist noch nicht eingetreten, obwohl in den letzten Tagen aus Moskau immer wieder Äußerungen zur Notwendigkeit von Verhandlungen zu hören sind. Hauptgrund ist, dass die ukrainische Seite derzeit nicht verhandlungsbereit ist und auch die USA den Krieg noch so lange führen wollen, wie es notwendig ist, um Russland so zu schwächen, dass es keinen Krieg in seiner Nachbarschaft führen kann.
Das zweite Szenario sieht einen Abnutzungskrieg vor. Er ist für die Soldaten beider Seiten und auch für die Zivilbevölkerung ein schreckliches Los, und obwohl man ihn aus diesem Grunde vermeiden sollte, gibt es viele historische Beispiele, die zeigen, dass die Abnutzung und Ermüdung beider Seiten eines Tages zur Gesprächsbereitschaft führen kann.
Bleibt ein drittes Szenario, über das in China allerdings nicht offen gesprochen wird: Durch Inflation und Energieknappheit werden die Menschen im reichen Westen wie im globalen Süden früher oder später auf die Straße gehen, und es wird zu einer erheblichen Destabilisierung der Verhältnisse kommen. In dieser Situation würden die nur mittelbar Beteiligten darum betteln, dass der Krieg beendet wird.
Egal, welches Szenario eintritt: China weiß, dass es sein Pulver nicht verschießen darf. Es verhandelt hinter den Kulissen, es wägt vorsichtig seine Worte, aber es macht keinen entscheidenden Schritt an den Bühnenrand. Denn letztendlich geht es doch darum, aus der Situation einen eigenen Nutzen zu ziehen: Würde China sich erfolgreich in die Verhandlungen einbringen, hätte es seine Position als verantwortungsvolle Großmacht gestärkt und sich auf der Weltbühne gut aufgestellt.
Susanne Weigelin-Schwiedrzik ist Professorin für Sinologie an der Universität Wien und Programmdirektorin China beim Centrum für Strategische Analyse. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Geschichte und Geschichtsschreibung in China mit dem Schwerpunkt Zeitgeschichte, Analyse der Innen- und Außenpolitik sowie internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Ostasien.
Peter Kreutzberger ist neuer Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Deutscher China-Gesellschaften (ADCG). Kreutzberger war zuletzt vor seiner Pensionierung Generalkonsul in Shenyang. Er folgt auf Johannes Pflug.
Thomas Hartig ist neuer Manager Mainland China und Hongkong bei PricewaterhouseCoopers. Hartig arbeitet seit August 2021 für die deutsche Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft mit Hauptsitz in Frankfurt, zuletzt als Senior Associate.
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Vorboten von Nesat: Ein Mann surft in der Big Wave Bay in Hongkong auf den rauen Wellen, die den Taifun ankündigen. Das Hong Kong Observatory hat zu Beginn der Woche Warnungen herausgegeben, dass Taifun Nesat näher an die Küste von Guangdong heranrückt. Der Sturm könnte demnach auch Hongkong treffen.