Table.Briefing: China

Franziska Brantner zur Zeitenwende + Einfluss durch SCO+ Unsicherheit in Hongkong

  • Staatssekretärin Franziska Brantner im Interview
  • SCO verschafft Peking eine gewichtige Rolle in Zentralasien
  • Verliert Hongkong an Bedeutung?
  • Im Kriegsfall sendet Biden Soldaten nach Taiwan
  • Tschentscher fürchtet um Relevanz des Hamburger Hafens
  • Epidemiologe: Ausländer meiden
  • Kritik an Null-Covid nach Busunglück in Guizhou
  • Opel legt Expansions-Pläne auf Eis
  • Sanktionen gegen US-Rüstungs-Chefs
  • Wirtschaft kommt nur langsam in Schwung
  • Standpunkt von Ralph Weber: Transparenz bei Kooperation
Liebe Leserin, lieber Leser,

Chinas wachsender Einfluss treibt derzeit die Bundesregierung um. Im Interview mit Table.Media spricht sich Wirtschafts-Staatssekretärin Franziska Brantner dafür aus, Investitionsgarantien nicht zu geben, wenn ethische oder arbeitsrechtliche Standards bei der Produktion in einer Region nicht eingehalten werden. Dass sich deutsche Unternehmen vom chinesischen Markt gänzlich zurückziehen, wünscht sie sich aber nicht. 

Brantner spricht sich stattdessen für mehr deutsche Innovationen auf, für eine stärkere Diversifizierung der Märkte und ein klareres Risikobewusstsein der Unternehmen. Die deutsche China-Politik müsse begreifen, wie sich das Land in den letzten Jahren verändert habe. Ansonsten drohten gefährliche Abhängigkeiten, warnt Brantner.

In Hongkong spielt Ideologie inzwischen eine viel größere Rolle im Wirtschaftskontext, seitdem John Lee der neue Regierungschef der Stadt ist. Wo es früher vornehmlich um Wachstum und Chancen ging, wird heute die Botschaft von der Bedeutung politischer Stabilität im Sinne der KP verbreitet, schreibt Ning Wang nach ihren Gesprächen mit Menschen vor Ort. 

Politische Stabilität ist im Übrigen auch das Mantra des türkischen Staatschefs Recep Erdoğan, der im nächsten Jahr erneut zum Präsidenten gewählt werden möchte. Er muss dringend wirtschaftliche Perspektiven schaffen und sieht in einer engeren Verbindung zu China als Mitglied der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit wohl gute Chancen dazu. Das sind eher unschöne Nachrichten für die Nato, die mit ansehen muss, wie Peking den Weg ebnet, zu größerem Einfluss auf einen Nato-Mitgliedsstaat. 

Immerhin kann das westliche Bündnis darauf hoffen, dass Beziehungen, die jemand vornehmlich aus wirtschaftlichen Interessen eingeht, kaum das Zeug haben, innige Freundschaften zu werden.

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

Ihre
Amelie Richter
Bild von Amelie  Richter

Interview

“Wir müssen realistisch auf China schauen”

Fransiska Brantner zur Naivität deutscher Unternehmen im Umgang mit China
Staatssekretärin Franziska Brantner

Frau Brantner, Zeitenwende in der deutschen China-Politik – das haben die Grünen angesichts einer immer aggressiveren Führung in Peking zu Beginn ihrer Regierungszeit angekündigt. Was will die Bundesregierung konkret anders machen als ihre Vorgängerin?

Franziska Brantner: Erstens müssen wir genau analysieren, was sich auf chinesischer Seite in den letzten Jahren verändert hat. Wir brauchen ein akkurates Bild der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes als Grundlage unserer Politik. Zweitens haben wir zuletzt erlebt, wie schmerzhaft zu große Abhängigkeiten von einem einzelnen Land sein können und wie notwendig eine Diversifizierung für unsere Wirtschaft ist. Wir müssen uns wieder stärker der gesamten Welt zuwenden. Das heißt nicht, dass wir uns von China komplett abkoppeln. Die veränderte Weltlage erfordert allerdings eine neue Einschätzung.

Wo genau würden Sie in der China-Politik sagen: So wie bisher geht es nicht mehr. 

Wir müssen endlich realistisch auf das Land schauen. Es darf nicht nur um kurzfristige Gewinne gehen, sondern um eine realistische Einschätzung der Chancen und Risiken. Wenn ich sehe, wie strategisch sich das Land wirtschaftspolitisch aufgestellt hat, zollt einem das ja erstmal Respekt ab. Es hat sich von der Werkbank der Welt zu einer hochinnovativen Nation entwickelt. Die chinesische Führung macht keinen Hehl daraus, welche Pläne sie hat und welche Ziele sie bis welches Jahr erreicht haben will. Wir stellen uns nun auch entsprechend strategisch auf. Um das Gleichgewicht zwischen Wettbewerber, Partner und Rivalen, was die EU-Kommission vorgegeben hat und wir auch im Koalitionsvertrag festgelegt haben, entsprechend auszugestalten, sollten wir etwa bei der technologischen Entwicklung, beim Ausbau der Infrastruktur oder beim Zugang zu Rohstoffen ebenfalls strategische Pläne aufstellen. 

Die Rivalität rückt im Umgang mit China immer stärker in den Vordergrund. Viele befürchten beim Taiwan-Konflikt eine weitere große Krise wie in der Ukraine – nur dass die deutsche Wirtschaft mit China sehr viel enger verwoben ist als mit Russland. 

China war noch nie eine liberale Demokratie. Und trotzdem stellt sich die Systemfrage mehr als vor zehn Jahren, weil die chinesische Politik im Inneren als auch nach Außen sich maßgeblich geändert hat. Es bleibt abzuwarten, welche Richtung die Führung nach dem großen Parteikongress im Oktober einschlägt. In einigen Sektoren haben wir bei Importen und bei Exporten große Abhängigkeiten. Diese gilt es konsequent durch Diversifizierung abzubauen. Außerdem muss die Menschenrechtslage stärker berücksichtigt werden. Gleichzeitig haben wir ein klares Interesse, beim Klimaschutz mit China zu kooperieren. In den internationalen Klimaverhandlungen ist Peking ein zentraler Akteur. Das Land hatte in diesem Sommer schlimme Dürren und Überschwemmungen. 

Ihr Ministerium will staatliche Investitionsgarantien für in China tätige deutsche Firmen kippen. Das ist doch ein sehr eindeutiges Signal. 

Wir kippen gar nichts, sondern prüfen genau. Wenn es klare Anhaltspunkte gibt, dass in einer Region, in der deutsche Unternehmen produzieren, nachweislich Zwangsarbeit vorhanden ist, wird es keine staatlichen Investitionsgarantien geben. 

Sie sprechen vom VW-Werk in Xinjiang.

VW ist der konkrete Fall, bei dem wir diese Investitionsgarantien nicht mehr geben. Der Bericht der UN-Menschenrechtskommissarin Bachelet wenige Minuten vor ihrem Abgang war ja eindeutig: In der Region Xinjiang finden Menschenrechtsverletzungen statt. Und da können wir als deutsche Regierung nicht so tun, als ob wir davon nichts wüssten. 

Die Frage ist ja, welche Art von Investitionen deutscher Firmen die Bundesregierung künftig noch unterstützen wird. 

Wenn wir als Regierung wollen, dass deutsche Unternehmen stärker diversifizieren, dann sollten wir das selbst auch tun. Und das sollten wir auch bei unseren Förderinstrumenten tun. Das bedeutet nicht, dass deutsche Unternehmen sich komplett vom chinesischen Markt zurückziehen sollen. In einigen zentralen Bereichen sollten sich einige von ihnen aber weniger abhängig machen. Diese Diversifizierung erfolgt aber nicht von heute auf morgen. 

Haben Sie denn den Eindruck, dass die deutsche Industrie verstanden hat, wie riskant eine zu große Abhängigkeit von China sein kann? Die Direktinvestitionen der Deutschen in China ist auf ein neues Rekordniveau gestiegen. Allein BASF will zehn Milliarden Euro in ein neues Werk investieren. 

Unsere Unternehmen wissen, dass Innovation auch bei uns im Land geschehen muss, um international noch mithalten zu können. Wir als Regierung werden deswegen den Rahmen für Innovationen wo nötig verbessern. Gleichzeitig haben viele in den letzten Monaten gesehen, wie hoch die Kosten von fragilen Lieferketten sind und arbeiten daran, Abhängigkeiten zu reduzieren. Das sind unsere großen Aufgaben: Innovationen hierzulande zu fördern, auf die Risiken in China deutlich hinzuweisen und Diversifizierung zu unterstützen. Damit werden wir als Volkswirtschaft widerstandsfähiger und sichern auch langfristig unseren Wohlstand.  

Wie wollen Sie das als Bundesregierung politisch flankieren? 

Wir treiben intensiv eine neue, faire und freie Handelspolitik voran. Wir erarbeiten eine neue Rohstoffstrategie, die gezielt auf Diversifizierung, auf Kreislaufwirtschaft und nachhaltigen Abbau bei uns setzt und entsprechende Anreize gibt. Aber am Ende investieren Unternehmen. Das ist der Vorteil einer Demokratie und freien Marktwirtschaft, dass die Unternehmen selbst entscheiden können, wo und wie viel sie investieren. Ich möchte nicht in einem Land leben, wo der Staat den Unternehmen permanent vorgibt, was und wo zu produzieren ist.

Das ist leichter gesagt als getan, wenn das umgekehrt nicht gilt. Chinesische Unternehmen haben in Europa freie Hand, europäische Unternehmen in China haben das nicht, sondern werden bei Großaufträgen klar gegenüber heimischen Anbietern benachteiligt. 

Deswegen haben wir schon länger ein Investment-Screening, also dass genau geschaut wird, wohin ausländische Investitionen gehen. Zusätzlich gibt es jetzt auch die Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen, mit der wir de facto Wettbewerbsverzerrungen frühzeitig erkennen und entsprechend darauf reagieren können. Also eine Beihilfeprüfung nicht nur für staatliche Unterstützung europäischer Regierungen, sondern auch ausländischer Regierungen. Damit wollen wir ein stärkeres Level Playing Field herstellen. 

Um mit China technologisch und auf den Weltmärkten mithalten zu können, brauchen wir eine eigene Industriepolitik?

Die haben wir doch längst und ich wage zu bezweifeln, dass es jemals keine Industriepolitik gab. Sie wurde vielleicht nicht so genannt oder nicht strategisch aufgestellt. Mein Eindruck ist, dass viele wissen, wie wichtig staatliche Förderungen gerade für Forschung und Innovation, aber auch Markthochläufe vor allem auf europäischer Ebene sein können. Ich kenne nur noch wenige, die das grundsätzlich infrage stellen würden. 

Auch bei Ihrem Koalitionspartner, der FDP, nicht?

Wir arbeiten bei diesen Themen gut mit der FDP zusammen.  

Die Industrie sieht die Politik in der Pflicht: Es brauche dringend neue Handelsabkommen, fordert der BDI, um alternative Beschaffungs- und Zielmärkte zu öffnen. 

Da hat der BDI recht, nur durch ein Zuwenden zur Welt in ihrer Breite werden wir Erfolg haben und unseren Wohlstand sichern, aber es muss dabei fair und nachhaltig zugehen. Wir befinden uns im Wettbewerb mit China, und die anderen Länder fragen: Was ist der Mehrwert für uns, wenn wir mit Europa zusammenarbeiten? Sie wollen keine reinen Rohstofflieferanten sein, sondern einen größeren Teil der Wertschöpfung bei sich behalten und eben auch ihre Umwelt dabei schonen. Die Wasserthematik ist in dem Zusammenhang zum Beispiel sehr relevant. Das ist anders als noch vor 20 oder 30 Jahren. 

Franziska Brantner ist seit Dezember 2021 Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz unter Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Die 43-Jährige ist zudem seit 2013 Grünen-Mitglied des Deutschen Bundestages. Zuvor war sie von 2009 bis 2013 Abgeordnete im EU-Parlament.

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  • Rohstoffe
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Analyse

Wie China über die SCO seinen Einfluss ausbaut

Usbekistan: Xi Jinping zeigt auf dem SCO-Gipfel in Samarkant, wo es langgeht. China möchte die SCO zu einem geopolitischen Faktor formen.
Xi Jinping zeigt auf dem SCO-Gipfel in Samarkant, wo es langgeht.

Wer sich für den Auf- und Abstieg von Großmächten interessiert, konnte am Wochenende auf dem Gipfeltreffen der Shanghai Cooperation Organization (SCO) in Usbekistan Erstaunliches beobachten – weniger in den offiziellen Reden oder den unterschriebenen Vereinbarungen, als vielmehr im Protokoll: Als Chinas Präsident Xi Jinping auf dem Flughafen von Samarkand landete, wartete auf der Landebahn herzlich winkend Präsident Schawkat Mirsijojew, flankiert von unzähligen Tanzgruppen. Selbst eine eigens auf der Landebahn errichtete Pagode wurde durchschritten. Ganz anders die Szenerie bei Wladimir Putin: Der russische Präsident musste sich mit dem usbekischen Ministerpräsidenten begnügen – ohne Folklore, ohne Musik und sogar ohne Handschlag.

Schon auf dem Rollfeld wurde deutlich: China hat mehr und mehr das Sagen in Zentralasien. Und als Vehikel dafür nutzt es zunehmend die Shanghai Cooperation Organization. “Die SCO gewinnt zunehmend an Größe und Gewicht. Sie dient China und Russland immer mehr als Alternative zu den bestehenden US-dominierten Institutionen der internationalen Politik”, erklärt Eva Seiwert, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Associate Research Fellow an der OSCE Academy in Bischkek, im Gespräch mit China.Table.

Nach anfänglicher Zurückhaltung ist Peking inzwischen bestrebt, die SCO zu einem wichtigen Akteur in der internationalen Politik auszubauen – und auf dem Gipfel in Samarkand wurden hierfür die nächsten Schritte unternommen: Es wurde beschlossen, dass Iran in Kürze als neues Mitglied in die Organisation aufgenommen wird (China.Table berichtete). Zudem verkündete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, dass auch sein Land eine SCO-Mitgliedschaft anstrebe.

SCO droht anti-westlicher zu werden

Der anstehende Beitritt Irans im kommenden April bedeute eine enorme Ausdehnung der SCO in Richtung Westen, urteilt Seiwert. Die SCO-Expertin merkt an, dass in diesem Zusammenhang auf dem Gipfel in Samarkand bereits weitere Schritte eingeleitet wurden, in dem Saudi-Arabien als neuer Dialogpartner in die SCO aufgenommen worden sei. “Dieser Schritt geht ganz klar auf das Betreiben Chinas zurück”, erklärt Seiwert. Mit Iran drohe die SCO sehr viel deutlicher, zu einer anti-westlichen Organisation zu werden.

Schon 2017 hatte der chinesische Wissenschaftler Pan Guang in einem Essay vorausgesagt, dass China versuchen werde, den Einfluss der SCO auszudehnen, unter anderem in den Nahen Osten. Der Direktor des SCO-Research-Centers der Shanghai Academy of Social Sciences nannte als Möglichkeiten chinesische Unternehmer und Bauarbeiter, aber auch chinesische Soldaten sowie den Marine-Stützpunkt in Dschibuti.

Klar ist: Hier geht es um Geopolitik. Die SCO – einst eine kleine, informelle Versammlung namens “Shanghai Five”, bestehend aus China, Russland, Kirgisistan, Tadschikistan und Kasachstan, wird zunehmend zu einem geostrategischen Faktor. Inzwischen sind Usbekistan, Indien und Pakistan hinzugekommen.

Heute repräsentieren die Mitglieder der Organisation vier Atommächte und 44 Prozent der Weltbevölkerung. Und es sollen noch mehr werden: Wohl im April 2023 folgt Iran. Ebenfalls im Rennen sind Belarus, Saudi-Arabien, Katar, Ägypten, die Malediven und Bahrain. Und eben die Türkei.

SCO-Beitritt der Türkei hätte enorme Konsequenzen

Auf dem SCO-Gipfeltreffen am Wochenende zeigte sich der türkische Präsident jedenfalls erpicht darauf, ebenfalls in den illustren Kreis aufgenommen zu werden. “Unsere Beziehungen zu diesen Ländern werden mit diesem Schritt eine ganz andere Position einnehmen”, sagte Erdogan in Samarkand. Es wäre ein gewaltiger Schritt, denn mit der Türkei würde erstmals ein Nato-Mitglied der von China geführten Gruppe beitreten. Die geopolitischen Konsequenzen wären enorm.

Entsprechend nervös regiert man in Deutschland. “Nato und Europäische Union müssen sich fragen lassen, wie lange sie sich von Erdoğan noch auf der Nase herumtanzen lassen”, sagte der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Jürgen Trittin, der Zeitung “Welt”. Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, weist vor allem auf die geopolitischen Konsequenzen hin: “Außenpolitisch wäre dies ein weiterer symbolischer Schritt weg vom Westen und seinen Werten – ein schwerer politischer Fehler für die Zukunft der Türkei.”

Derweil versuchte Cagri Erhan, Professor für internationale Beziehungen und Mitglied des Sicherheitsbeirats des türkischen Präsidenten, auf Twitter die Gemüter zu beruhigen: “Was Ankara tut, ist nicht, Alternativen zum Westen zu suchen, sondern ausgewogene Beziehungen mit der ganzen Welt aufzubauen.”

Auch für China brächte ein Beitritt der Türkei große Gewinne: Die geostrategische Lage der Türkei ist ein Schlüsselaspekt bei der Verwirklichung wichtiger Komponenten von Xi Jinpings geo-ökonomischen Großprojekt “Belt-and-Road”-Initiative. Und Seiwert weist noch auf einen anderen wichtigen Aspekt hin: Sollte die Türkei tatsächlich der SCO beitreten, verlöre sie ihr Recht, den Umgang der Chinesen mit den Uiguren in Xinjiang zu kritisieren. Denn: Innerhalb der SCO müssen die jeweiligen nationalen Terrorismus-Definitionen von allen Ländern übernommen werden. Das heißt: “So wie in Kasachstan schon jetzt die Proteste der Uiguren niedergeschlagen werden, weil China das so möchte, müsste die Türkei als SCO-Mitglied ebenfalls die Position Chinas übernehmen und die Uiguren als Gefahr einstufen.”  

China würde profitieren

Doch all das liege noch in weiter Ferne, meint Seiwert. Eine SCO-Mitgliedschaft der Türkei werde noch fünf Jahre dauern. Mindestens. Und auch das Bestreben der Türkei, der SCO beizutreten, sei schon viel älter als die aktuellen Meldungen suggerieren: Erdogan habe diesen Wunsch schon 2013 geäußert. Deshalb müsse man den Auftritt des türkischen Präsidenten auf dem Gipfel in Samarkand vor allem als Botschaft an den Westen verstehen: “Damit will er zeigen, dass die Türkei mit der SCO inzwischen ernstzunehmende Alternativen zum Westen hat”, sagt Seiwert.

Doch, ob in den kommenden Monaten oder erst in fünf Jahren: Ein möglicher Beitritt der Türkei würde die Machtbalance gewaltig verschieben. Denn trotz aller Querelen mit Erdogan ist die Türkei für den Westen weiterhin von hohem strategischen Wert – vor allem im Hinblick auf die Bewältigung regionaler Sicherheitsherausforderungen: Für die EU-Mitgliedstaaten ist es von größter Bedeutung, dass das im März 2016 geschlossene Flüchtlingsabkommen mit der Türkei Bestand hat. Zudem beherbergt die Türkei eine Reihe wichtiger militärischer Nato-Einrichtungen, die von entscheidender strategischer Bedeutung für die Fähigkeit des Bündnisses sind.

Ob mit oder ohne Türkei – die SCO hat am Wochenende in Samarkand weiter an Bedeutung gewonnen und Xi Jinping die Rolle Chinas als entscheidender Akteur innerhalb der Organisation weiter ausgebaut. Zudem gelingt es Chinas Führung immer wieder, günstige Gelegenheiten zu erkennen und zum eigenen Vorteil zu nutzen: Die aktuelle strategische Orientierungslosigkeit der Türkei wäre so ein Fall.

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Ungewissheit in Hongkong fördert China-plus-1-Strategie

Hongkong begeht seinen Jahrestag - hier wird deutlich, wie viel Autonomie aufgegeben wurde und wie nah die Metropole an Peking gerückt ist.
Nur noch an kleinen Dingen lässt sich die Autonomie Hongkongs interpretieren – die Ungewissheit lähmt.

Hongkongs neuer Regierungschef John Lee ist seit drei Monaten im Amt, aber es ist erstaunlich ruhig um ihn. Das ist womöglich so gewollt. Wo es bei seiner Vorgängerin Carrie Lam klare Ankündigungen, Handlungen und damit auch öffentlich diskutierte Kontroversen gab, herrschen unter Lee Schweigen und Unvorhersehbarkeit. Das wirft Fragen auf: Wohin geht die Reise Hongkongs? Wo sind die roten Linien? Die Unklarheit legt sich wie ein schwerer Mantel über die Metropole und macht auch den Expats der Stadt zu schaffen.

“Die Menschen halten sich mit politischen Äußerungen immer mehr zurück”, sagt eine Deutsche, die seit über 15 Jahren in Hongkong lebt und sich gegenüber China.Table nur anonym äußern möchte. “Auch ich bin sehr vorsichtig geworden”, sagt sie. In den sozialen Medien hält sie sich mit Posts zurück, die vielleicht negativ ausgelegt werden könnten. Für eine anstehende Kunstausstellung, an deren Organisation sie beteiligt war, wählte sie für die Beteiligten nicht schwarz bedruckte T-Shirts, sondern grüne, um bloß eine Assoziation zu den Protestbewegungen 2019 zu vermeiden. Es verbreitet sich ein vorauseilender Gehorsam, der in Festlandchina schon länger bekannt ist.

Wachsende Sorge erfassen nun auch zunehmend multinationale Unternehmen, Verbände und andere Institutionen. Für sie stellt sich immer öfter die Frage, ob Hongkong als Standort noch Sinn ergibt. Diese Zweifel wurden kürzlich auch beim Belt and Road Summit Ende August deutlich. Eine Teilnehmerin, die ebenfalls anonym bleiben möchte, schätzt im Gespräch mit China.Table, dass sich die Zahl der westlichen Expats im Saal “an zwei Händen abzählen” ließ – unter mehr als 1.300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

Die Entfremdung wurde auch anders spürbar. Die Veranstaltung, die eigentlich die globale Integration der Neuen Seidenstraße vorantreiben soll, wurde nur auf Hochchinesisch abgehalten – und nicht wie vorab angekündigt auch in englischer Sprache. Auch Kantonesisch, das in den Jahren zuvor üblich war, wurde als offizielle Sprache der Veranstaltung gestrichen.

Anderer Staaten locken Unternehmen mit Vergünstigungen

So glich der Summit des Hong Kong Trade Development Council, einer halbstaatlichen Non-Profit-Organisation zur Förderung der internationalen Handels– und Wirtschaftsbeziehungen, eher einer inszenierten politischen Kampagne, resümierte die Teilnehmerin. Ihr schien es eher darum zu gehen, dass die Teilnehmer das Motto “From chaos to governance and from governance to prosperity” (“Vom Chaos zur Regierungsführung zum Wohlstand”) als Mantra von der Regierung vorgebetet bekommen sollten.

Die Zuversicht ausländischer Firmen in den Standort Hongkong fördern solche Veranstaltung nicht, sondern dürften eher deren wachsende Skepsis bestärken. Schon im Frühjahr hatte die Außenwirtschaftsförderung der Bundesrepublik, GTAI festgestellt, dass viele Unternehmen ihre Niederlassungen außerhalb Hongkongs ausbauen. Singapur sei eine beliebte Alternative.

Auch der Exodus ausländischer Arbeitnehmer internationaler Unternehmen hält an: Lars Kuepper, Inhaber und Geschäftsführer der Umzugsfirma Relosmart schildert, dass er im vergangenen Jahr für 250 Umzüge pro Monat aus der Stadt hinaus beauftragt worden sei – und im Gegensatz dazu nur für 17 Zuzüge. Viele Ausländer verlassen die Sonderverwaltungszone, seitdem klar ist, dass auch internationale Schulen künftig Staatsbürgerkunde nach Pekings Definition unterrichten sollen (China.Table berichtete).

Für Firmen, die in der Stadt Waren produzieren – und nicht nur ein Büro in Hongkong haben – werden Länder wie Vietnam immer interessanter. So verfolgen viele ausländische Unternehmen seit einiger Zeit eine sogenannte China-plus-1-Strategie: Sie suchen sich neben China in der Region noch andere Standorte. Einige asiatische Länder wie Thailand, Vietnam oder Malaysia locken mit gewerblichen und steuerlichen Vorteilen, um ausländische Investitionen anzuziehen, berichtet The Diplomat.

Versicherer verzeichnen Mangel an Fachkräften

Für die gebürtige Hongkongerin Louisa Lim, deren Buch: Hongkong – “Indelible City: Dispossession and Defiance in Hong Kong” kürzlich erschien, sind die aktuellen Unklarheit Teil einer Taktik der chinesischen Regierung, um auch den letzten verbliebenen Widerstand der Hongkonger Zivilgesellschaft zu brechen: Die Ungewissheit lähmt, Sorgen diktieren den Alltag. “Im Moment gibt es ein weniger vorhersehbares Umfeld als in Festlandchina, insbesondere im Hinblick darauf, wo die politischen roten Linien verlaufen”, sagte Lim zur Situation in Hongkong dem Fachportal The Wire China.

Auch bleibt unklar, wie Hongkong mit dem derzeitigen Kurs an Attraktivität für multinationale Firmen gewinnen soll, statt sie zu verlieren. Der “Brain Drain”, also der Verlust von klugen Köpfe und Talenten, ist längst im Gange und mündet in einem Mangel an Fachkräften. Beispiel Versicherungen: So erklärte der Hongkonger Verband der Versicherer, dass rund jede dritte Versicherung dazu gezwungen sei, ihren Personalbestand vor Ort zu verkleinern.

Die Stadt setzt jedoch auf ihre Rolle als Finanzzentrum in der “Greater Bay Area” des Perlflussdelta, wonach Hongkong stärker mit wichtigen Städten der Küstenprovinz Guangdong vernetzt werden soll. Nach den Plänen gewinnt dieser Wirtschaftsraum bis 2035 durch die Integration international an Bedeutung. Sein Beitrag zum chinesischen Bruttoinlandsprodukt ist schon jetzt so groß wie die Wirtschaftsleistung Südkoreas.

Doch ungewiss ist, ob Hongkong dann nicht nur eine von vielen Städten ist, die sich einreihen soll, anstatt selbst im Zentrum zu stehen. Peking hatte zuletzt immer mehr Shenzhen und Shanghai als Finanzhandelsplätze im Fokus – und zum Beispiel vor zwei Jahren eigens die Technologiebörse Star-Market in Shanghai ins Leben gerufen.

Chinas Auslandsinvestitionen vor allem aus Hongkong

Chinas Regierungsdaten zeigen, dass die Auslandsinvestitionen in die Wirtschaft in diesem Jahr um fast ein Fünftel gestiegen sind. Das sieht die Regierung laut Staatsmedien als Beweis dafür, dass globale Unternehmen den Aufrufen von US- und europäischen Politikern widerstehen, sich vom Land unabhängiger zu machen.

Doch ein genauer Blick auf die Investitionen zeichnet ein anderes Bild. Ein Großteil dieser Investitionen in Festlandchina kommt tatsächlich aus Hongkong. Laut Experten liegt es daran, dass dort ansässige Festlandunternehmen Gelder in einem als “Round-Tripping” bezeichneten Kreislaufsystem durch die Stadt leiten. Forscher der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften und der Nankai-Universität schätzen, dass fast 37 Prozent der nach China eingehenden ausländischen Direktinvestitionen in diesem System “hin und her” wandern, berichtete der Finanzdienstleister Bloomberg. Ist das die künftig wichtigste Rolle der einstigen britischen Kronkolonie?

Laut Raymong Yeung sind zudem vor allem chinesische Unternehmen mit Sitz in Offshore-Finanzierungszentren für den Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen verantwortlich. “Das macht den Ausdruck ‘ausländische’ Investitionen zu einer etwas irreführenden Bezeichnung”, schrieb Yeung, Chefökonom der Greater China, Australia & New Zealand Banking Group, kürzlich in einer Mitteilung.

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News

Biden würde US-Soldaten nach Taiwan schicken

US-Präsident Joe Biden hat die Unterstützung Taiwans durch US-Soldaten zugesagt. In einem Interview mit dem Fernsehsender CBS kündigte Biden die Entsendung amerikanischer Truppen auf den Inselstaat an, sollte es zu einem “nie dagewesenen Angriff” durch China kommen. Damit impliziert Biden erstmals die Bereitschaft der USA zu einer unmittelbaren Beteiligung seines Landes an möglichen Kampfhandlungen zwischen China und Taiwan.

Durch Bestätigungen für weitere Waffenlieferungen und verstärkte Präsenz im Indo-Pazifik sowie in der Straße von Taiwan hatte Washington in den vergangenen Monaten bereits eine zunehmende Entschlossenheit signalisiert, seinen Verbündeten verteidigen zu wollen (China.Table berichtete).

Das chinesische Außenministerium kritisierte Joe Bidens Ankündigung und warf dem US-Präsidenten vor, separatistischen Kräften auf der Insel Vorschub zu leisten. Für Peking zählt eine mögliche formelle Unabhängigkeitserklärung Taiwans zu den roten Linien. Die Volksrepublik droht seit Jahren damit, sich Taiwan im Notfall militärisch einverleiben zu wollen, sollte diese rote Linie überschritten werden.

In Taiwans Hauptstadt Taipeh dagegen reagierte das Außenministerium erfreut, dass Biden “die felsenfeste Zusage der US-Regierung zur Sicherheit Taiwans” bekräftigt habe. Das Land wolle seine Kapazitäten zur Selbstverteidigung weiter ausbauen und sei an einer Vertiefung der Partnerschaft mit den USA in Verteidigungsfragen interessiert. grz

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Hamburgs Bürgermeister warnt vor Cosco-Ablehnung

Hamburgs erster Bürgermeister Peter Tschentscher hat am Montag eindringlich davor gewarnt, den Einstieg der chinesischen Reederei Cosco im Hamburger Hafen abzulehnen. Sollte Wirtschaftsminister Robert Habeck eine Beteiligung von Cosco am Container-Terminal “Tollerort” ablehnen, hätte das gravierende Wettbewerbsnachteile für Hamburg. “Eine Ablehnung der Cosco-Beteiligung durch die Bundesregierung ist im Hinblick auf die nationale Sicherheit und Unabhängigkeit nicht begründbar”, sagte Tschentscher der Nachrichtenagentur Reuters. “Sie wäre eine schwere Belastung für den Wirtschaftsstandort und eine einseitige, wettbewerbsverzerrende Benachteiligung Hamburgs gegenüber Rotterdam und Antwerpen, in denen Cosco bereits Terminal-Anteile besitzt.”

Tollerort ist einer von drei Containerterminals im Hamburger Hafen – und der chinesische Reeder Cosco will eine 35-prozentige Minderheitenbeteiligung erwerben. Während die Hamburger Politik sowie die Wirtschaft einen Einstieg begrüßen würden, scheint es im Wirtschaftsministerium Vorbehalte zu geben (China.Table berichtete). Derzeit läuft ein Investitionsprüfverfahren auf Grundlage des Außenwirtschaftsgesetzes. So mancher einer ist der Meinung, dass eine kritische Infrastruktur wie ein Hafenterminal nicht in chinesische Hände geraten dürfe, auch nicht in Teilen.

Tschentscher hingegen glaubt, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, müssten auch in Hamburg Terminalbeteiligungen von chinesischen Reedereien möglich sein. Hamburg wäre nicht der erste Hafen, in den die Chinesen investieren. Allein in Europa hat Cosco zusammen mit der Partnerfirma China Merchants in 14 Häfen investiert – dazu zählen Mehrheitsbeteiligungen in Valencia und Bilbao, sowie Anteile an den Nordrange-Häfen Rotterdam, Antwerpen und Zeebrügge. rad

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CDC empfiehlt Abstand zu Ausländern

Der Chef-Epidemiologe des chinesischen Zentrums für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC), Wu Zunyou, empfiehlt wegen der Ausbreitung der Affenpocken die Vermeidung von Körperkontakt mit Ausländern. Auch mit Chinesen, die nach einer internationalen Reise in die Volksrepublik zurückkehren, sowie grundsätzlich mit Fremden sollte drei Wochen lang jede Berührung umgangen werden, so Wu. Mit diesen Verhaltenstipps will der Mediziner die Infektionsverbreitung verhindern, nachdem am vergangenen Freitag der erste Fall der Krankheit in China in der westlichen Metropole Chongqing diagnostiziert worden war.

Die Gesundheitsbehörden vermuten, dass der Fall aus Deutschland eingeschleppt worden ist. Es seien deutliche Übereinstimmungen mit einem Virusstrang gefunden worden, der Ende Juni in Deutschland aufgetaucht war, heißt es in einer Mitteilung des CDC. Demnach habe sich der Patient zwischen dem 2. und 8. September in der Bundesrepublik aufgehalten und in dieser Zeit Sex gehabt, was die Behörden als Übertragungsgrund ansehen. grz

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Busunglück löst Kritik an Null-Covid aus

Der Unfalltod von 27 Menschen hat Kritik an der chinesischen Null-Covid-Politik ausgelöst. Die Opfer waren Insassen in einem Bus, der am Sonntagmorgen auf dem Weg in eine Quarantäne-Einrichtung in der Provinz Guizhou verunglückt war. Weitere 20 Menschen wurden verletzt. In Sozialmedien beklagten sich daraufhin Menschen über die Internierung von positiv Getesteten und deren Kontaktpersonen in den Isolationseinrichtungen – bis die kritischen Kommentare von der Zensur gelöscht wurden.

Die Nutzer stellten die Sinnhaftigkeit der Quarantänezentren infrage, obwohl Menschen sich auch wochenlang zu Hause isolieren könnten. Infizierte und solche mit vermeintlich erhöhtem Infektionsrisiko werden von den Behörden vieler chinesischer Städte oft wochenlang und auch nach mehrmaligen Negativtests in den Einrichtungen festgehalten (China.Table berichtete).

Das von Landwirtschaft geprägte Guizhou hatte am Wochenende einen deutlichen Anstieg der Infektionszahlen verzeichnet. 712 Ansteckungen waren am Samstag diagnostiziert worden. Zwei von drei Coronavirus-Fällen am Samstag stammten damit aus der südchinesischen Provinz. Der Bus mit 47 Insassen war in der Nacht zum Sonntag um 02:40 Uhr auf einer Autobahn verunglückt. Normalerweise ist es besetzten Passagierbussen zwischen 02:00 und 05:00 Uhr morgens nicht erlaubt, die Autobahnen zu befahren. grz

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Opel stoppt geplante Expansion in China

Opel legt die vor gut einem Jahr angekündigte Expansion in China auf Eis. Angesichts der aktuellen Herausforderungen für die Automobilindustrie sei es für Opel wichtiger denn je, sich auf klare Prioritäten zu konzentrieren, erklärte das Unternehmen am Freitag auf Anfrage. “Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht des erforderlichen Volumens, um einen wirklichen Effekt zu erzielen, lässt Opel die Pläne für einen Markteintritt in China derzeit ruhen.” Der zum italienisch-amerikanischen Stellantis-Konzern gehörende Rüsselsheimer Autobauer bereite jedoch weiterhin den Eintritt in neue Märkte vor, die schon mit kleineren Volumina eine gute Profitabilität versprächen.

Hintergrund der Entscheidung sind laut Handelsblatt wachsende geopolitische Spannungen zwischen der kommunistischen Führung in China auf der einen und den USA sowie der Europäischen Union auf der anderen Seite. Nationalistische Tendenzen in China, die drakonische Null-Covid-Politik und die Zuspitzung des Konflikts um die Unabhängigkeit von Taiwan erschwerten Opel den Markteintritt in die größte Absatzregion der Welt, berichtete die Zeitung unter Berufung auf Unternehmenskreise. Zudem fehle es Opel aktuell an attraktiven Modellen, die sich spürbar von jenen der Konkurrenz unterschieden, um in China wirklich erfolgreich zu sein. rtr/nib

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Sanktionen gegen Chefs von Boeing Defense und Raytheon

China hat Sanktionen gegen die Vorsitzenden der US-Rüstungskonzerne Boeing Defense und Raytheon, Ted Colbert und Gregory Hayes, verhängt. Die Strafmaßnahmen seien eine Antwort auf Rüstungsverträge, die die beiden Unternehmen kürzlich mit Taiwan abgeschlossen hätten. Die chinesische Seite gab keine Details zu den Sanktionen bekannt oder wie diese durchgesetzt werden sollen. Das ist jedoch kein unübliches Vorgehen bei chinesischen Strafmaßnahmen. Keines der beiden Unternehmen verkauft Rüstungsgüter an China, doch beide sind im zivilen Luftfahrtgeschäft in der Volksrepublik aktiv. Peking hatte schon in der Vergangenheit Sanktionen gegen Raytheon, Boeing Defense und nicht näher bezeichnete Personen verhängt, die an Waffenverkäufen an Taiwan beteiligt gewesen sein sollen. nib

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Leichte Erholung der Wirtschaft

Chinas Wirtschaft zeigte im August leichte Anzeichen einer Erholung. Die Lage bleibt jedoch angespannt und fragil. Die Industrieproduktion, Einzelhandelsumsätze und Anlageinvestitionen wuchsen stärker als prognostiziert. Allerdings ist der Anstieg der Einzelhandelsumsätze statistisch bedingt und die höhere Industrieproduktion ging teilweise auf einen Anstieg der Stromproduktion aufgrund der Hitzewelle und somit auf einen Einmaleffekt zurück, wie Bloomberg berichtet. Auch die Auto-Produktion stieg an. Analysten gehen mittlerweile von einem Wachstum von 3,5 Prozent aus. Die Regierung hatte ein Ziel von 5,5 Prozent festgesetzt.

Belastet wird der Ausblick vor allem vom schrumpfenden Immobiliensektor, der mit sinkenden Hauspreisen, Investitionen und Verkäufen zu kämpfen hat. So brachen die Immobilieninvestitionen im August um 13,8 Prozent ein und damit so stark wie seit Dezember 2021 nicht mehr, wie die Nachrichtenagentur Reuters auf der Grundlage offizieller Daten berechnet hat. Die Schwäche des Immobiliensektors wirkt sich auch auf andere Industrien wie die Zementproduktion aus. Im August wurde 13 Prozent weniger Zement hergestellt im Vergleich zum Vorjahr. Die Preise für neue Eigenheime fielen um 1,3 Prozent – das ist sogar der stärkste Rückgang seit August 2015. Schon im Juli hatte es ein Minus gegeben, das aber mit 0,9 Prozent kleiner ausgefallen war.

Der Immobilienmarkt war über Jahre ein wichtiger Konjunkturmotor. Er schlittert jedoch seit Mitte 2020 von einer Krise in die nächste (China.Table berichtete). Ein Grund: Die Aufsichtsbehörden sind eingeschritten, um die hohe Verschuldung der Bauträger zu reduzieren. Viele Projekte wurden daher gestoppt. In den ersten acht Monaten des Jahres gingen die Immobilien-Verkäufe nach Fläche im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 23,0 Prozent zurück, was auf eine weiterhin schwache Nachfrage hinweist. nib/rtr

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Standpunkt

Ab welchem Punkt führt Kooperation zu Komplizenschaft?

Von Ralph Weber
Ralph Weber, Professor für European Global Studies fordert mehr Transparenz bei der Kooperation mit China.
Ralph Weber, Professor für European Global Studies

Noch vor wenigen Jahren stand Kooperation mit Partnern aus der Volksrepublik China ganz hoch auf den Agenden zahlreicher europäischer Akteure. Wer hier nicht mitmachte, der hatte schlicht die Zeichen der Zeit nicht verstanden.

Doch die Kooperation ist komplizierter geworden. Das Image der chinesischen Regierung hat wegen ihrer Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang oder militärischer Drohungen gegenüber Taiwan – um nur zwei Aspekte zu nennen – in den vergangenen Jahren stark gelitten. Enge Kooperationen mit dem Systemrivalen, der unseren Demokratien und Werten offen den Kampf angesagt hat, müssen heute sehr gut begründet werden, um nicht ins Kreuzfeuer der Kritik zu geraten.

Weil es im Westen für manche allerdings viel zu verlieren gibt, malt der eine oder die andere das Schreckgespenst einer vollständigen Entkoppelung an die Wand. Es soll die Gefahren skizzieren, die uns drohen, wenn wir uns von China zu sehr entfremden. Oft tut das Gespenst seinen Dienst.

Unbedingte Kooperation und vollständige Entkoppelung stellen zwei unattraktive Enden eines Spektrums dar, das je nach Geschäftsfeld gesondert betrachtet werden muss. Wer Geschäfte in Xinjiang macht, wo Menschen gegen ihren Willen interniert, umerzogen und teils unter Zwang arbeiten müssen, sieht sich größerer (und praktisch nicht mehr durchzuführender) Sorgfaltspflicht ausgesetzt als ein Unternehmen, das in Shanghai Schraubenzieher produziert.

Suggeriert, dass Kooperationen an sich der richtige Weg sind

Kooperationspartner in der Volksrepublik unterliegen den Geboten und Launen des Parteistaats. Manche sind sogar direkt am Parteistaat angedockt. Auch der Druck, den der Parteistaat auf private chinesische Unternehmer ausüben kann, ist immens. In einem solchen System ist jede Kooperation letztlich immer auch eine Kooptation. Die Frage ist dann: Wie geht man damit um? Und wenn man davon weiß, wie transparent verhält man sich?

Der frühere Verteidigungsminister Rudolf Scharping beklagt, dass “die Zwischentöne” verloren gingen, wenn man nicht direkten und persönlichen Austausch pflege. Anstelle eines “Decoupling” brauche es nüchterne Analyse. Er plädiert für die Kooperation. Er erwähnt Handel, Investitionen, Forschung und Entwicklung sowie notwendige Verhandlungen. Denn ohne China gebe es beispielsweise keine global tragfähige Antwort auf den Klimawandel.

Grob gesprochen liest sich das so: Da die vollständige Entkopplung (die offenbar sogar Verhandlungen ausschließt) schlecht und Bemühungen um Klimawandel gut sind, wird suggeriert, dass Kooperation an sich der richtige Weg ist. Das Problem dabei ist, dass man sich nicht aussuchen kann, mit wem man in China kooperiert, sondern automatisch im Schoße derer landet, die die erwähnten Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang oder die militärischen Drohungen gegenüber Taiwan verantworten.

Auch Scharping kann sich diesen Kräften nicht entziehen. Das zeigt die 9. Deutsch-Chinesische Wirtschaftskonferenz Anfang September in Frankfurt, die sein Beratungsunternehmen gemeinsam mit dem China Economic Cooperation Center (CECC, 中国经济联络中心) veranstaltet hat und die vom “China Council for International Investment Promotion” (CCIIP, 中国国际投资促进会) unterstützt wurde.

Das CECC ist der im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas angesiedelten Internationalen Abteilung direkt unterstellt. Die Internationale Abteilung ist für die Beziehungen der KP mit anderen Parteien außerhalb des Landes zuständig, historisch gesehen vor allem mit anderen kommunistischen Parteien, seit der Reform- und Öffnungspolitik auch mit politischen Parteien jeglicher Couleur.

Dass es um Beeinflussung geht, wird kaum bestritten

Seit den frühen 2000er-Jahren und besonders auch unter Staatspräsident Xi Jinping hat die Internationale Abteilung (wie auch die Propagandaabteilung und vor allem das Einheitsfrontarbeitsdepartement) an Bedeutung gewonnen. Dass es hierbei um Beeinflussung, Kooptation und die Durchsetzung außenpolitischer Interessen des chinesischen Parteistaats geht, wird kaum bestritten.

Neuere Forschung zur Internationalen Abteilung erwähnt zudem die besondere Stellung in Europa, die Deutschland in diesen Bemühungen zukommt. Auch auf der Homepage des CECC ist das Ziel der Beförderung der “nach außen gerichteten Arbeit” (对外工作) der KP China und der Umsetzung des “Xi-Jinping-Denkens über den Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter” explizit festgehalten.

Dass hinter dem CECC die Internationale Abteilung steckt, lässt sich auch an der publizierten Liste der Vortragenden an der Frankfurter Konferenz ablesen. Mit Shen Beili 沈蓓莉 und Liu Jingqin 刘敬钦waren ein derzeitiger und ein ehemaliger Spitzenfunktionär der Internationalen Abteilung vor Ort. Auch Jiang Feng 姜锋, der Parteisekretär der Shanghai International Studies University, hat in Frankfurt vorgetragen. Dieser hat in einem von der Volkszeitung im Januar 2022 publizierten Gespräch mit Scharping das politische System der VR China “als Mehrparteiensystem” bezeichnet, in dem es “viele demokratischen Parteien” gäbe – womit er die “Parteien” meint, die unter der Führung und Kontrolle der KP China stehen und in der Einheitsfront versammelt sind.

Die Kooperation mit der Internationalen Abteilung ist keineswegs neu. Letztes Jahr hat Scharping etwa am “Gipfeltreffen zwischen dem Vorsitzenden der KP Chinas und politischen Parteien weltweit” teilgenommen, welches von der Internationalen Abteilung ausgerichtet wird, und in seiner Rede die KP China mehrfach gelobt. Doch dass Kooperation mit Akteuren aus der Volksrepublik China immer zu Kooptation führt, ist letztlich einer Systemnotwendigkeit geschuldet, welche einer Ein-Parteien-Diktatur, die Chinas politisches System wie in Art. 1 der Staatsverfassung festgehalten und trotz gegensätzlicher Behauptungen seiner Kader darstellt, inhärent ist. Bei der alle Beziehungen zur Welt außerhalb der Partei gemanagt und möglichst der Parteiagenda unterstellt werden.

Ab welchem Punkt führt Kooperation zu Komplizenschaft?

Wer sich für Kooperation entscheidet, wofür es gute Gründe geben mag, der muss einen Umgang mit der Kooptation finden. Zensiert man sich ein Stück weit selbst, weil man dem Gegenüber nicht zu viel zumuten möchte, aus Höflichkeit, klugem Taktieren oder weil man damit die Durchsetzung der eigenen Interessen erreichen würde? Oder wiederholt man sogar explizit Propagandapunkte der KP Chinas, welche dadurch normalisiert werden, und nimmt damit gar die erfolgreiche Ausübung von Diskursmacht in Kauf? Ab welchem Punkt führt Kooperation zu Komplizenschaft?

All diese Fragen dürfen und müssen unterschiedlich und für den jeweiligen Einzelfall beantwortet werden. Doch klar ist: Wenn man direkt mit Institutionen aus dem chinesischen Parteistaat kooperiert, muss man diese Tatsache transparent anzeigen. Nur so bleibt Dritten die Möglichkeit überlassen, wie weit sie selbst vereinnahmt werden möchten.

Ralph Weber ist Professor für European Global Studies an der Universität Basel in der Schweiz. Seine Forschungsgebiete umfassen die chinesische politische Philosophie, den modernen Konfuzianismus sowie die chinesische Politik. Er beschäftigt sich mit den europäisch-chinesischen Beziehungen und hat im Dezember 2020 eine viel beachtete Studie zur Einflussnahme des chinesischen Parteistaats in der Schweiz veröffentlicht.

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China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Staatssekretärin Franziska Brantner im Interview
    • SCO verschafft Peking eine gewichtige Rolle in Zentralasien
    • Verliert Hongkong an Bedeutung?
    • Im Kriegsfall sendet Biden Soldaten nach Taiwan
    • Tschentscher fürchtet um Relevanz des Hamburger Hafens
    • Epidemiologe: Ausländer meiden
    • Kritik an Null-Covid nach Busunglück in Guizhou
    • Opel legt Expansions-Pläne auf Eis
    • Sanktionen gegen US-Rüstungs-Chefs
    • Wirtschaft kommt nur langsam in Schwung
    • Standpunkt von Ralph Weber: Transparenz bei Kooperation
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Chinas wachsender Einfluss treibt derzeit die Bundesregierung um. Im Interview mit Table.Media spricht sich Wirtschafts-Staatssekretärin Franziska Brantner dafür aus, Investitionsgarantien nicht zu geben, wenn ethische oder arbeitsrechtliche Standards bei der Produktion in einer Region nicht eingehalten werden. Dass sich deutsche Unternehmen vom chinesischen Markt gänzlich zurückziehen, wünscht sie sich aber nicht. 

    Brantner spricht sich stattdessen für mehr deutsche Innovationen auf, für eine stärkere Diversifizierung der Märkte und ein klareres Risikobewusstsein der Unternehmen. Die deutsche China-Politik müsse begreifen, wie sich das Land in den letzten Jahren verändert habe. Ansonsten drohten gefährliche Abhängigkeiten, warnt Brantner.

    In Hongkong spielt Ideologie inzwischen eine viel größere Rolle im Wirtschaftskontext, seitdem John Lee der neue Regierungschef der Stadt ist. Wo es früher vornehmlich um Wachstum und Chancen ging, wird heute die Botschaft von der Bedeutung politischer Stabilität im Sinne der KP verbreitet, schreibt Ning Wang nach ihren Gesprächen mit Menschen vor Ort. 

    Politische Stabilität ist im Übrigen auch das Mantra des türkischen Staatschefs Recep Erdoğan, der im nächsten Jahr erneut zum Präsidenten gewählt werden möchte. Er muss dringend wirtschaftliche Perspektiven schaffen und sieht in einer engeren Verbindung zu China als Mitglied der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit wohl gute Chancen dazu. Das sind eher unschöne Nachrichten für die Nato, die mit ansehen muss, wie Peking den Weg ebnet, zu größerem Einfluss auf einen Nato-Mitgliedsstaat. 

    Immerhin kann das westliche Bündnis darauf hoffen, dass Beziehungen, die jemand vornehmlich aus wirtschaftlichen Interessen eingeht, kaum das Zeug haben, innige Freundschaften zu werden.

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    Amelie Richter
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    Interview

    “Wir müssen realistisch auf China schauen”

    Fransiska Brantner zur Naivität deutscher Unternehmen im Umgang mit China
    Staatssekretärin Franziska Brantner

    Frau Brantner, Zeitenwende in der deutschen China-Politik – das haben die Grünen angesichts einer immer aggressiveren Führung in Peking zu Beginn ihrer Regierungszeit angekündigt. Was will die Bundesregierung konkret anders machen als ihre Vorgängerin?

    Franziska Brantner: Erstens müssen wir genau analysieren, was sich auf chinesischer Seite in den letzten Jahren verändert hat. Wir brauchen ein akkurates Bild der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes als Grundlage unserer Politik. Zweitens haben wir zuletzt erlebt, wie schmerzhaft zu große Abhängigkeiten von einem einzelnen Land sein können und wie notwendig eine Diversifizierung für unsere Wirtschaft ist. Wir müssen uns wieder stärker der gesamten Welt zuwenden. Das heißt nicht, dass wir uns von China komplett abkoppeln. Die veränderte Weltlage erfordert allerdings eine neue Einschätzung.

    Wo genau würden Sie in der China-Politik sagen: So wie bisher geht es nicht mehr. 

    Wir müssen endlich realistisch auf das Land schauen. Es darf nicht nur um kurzfristige Gewinne gehen, sondern um eine realistische Einschätzung der Chancen und Risiken. Wenn ich sehe, wie strategisch sich das Land wirtschaftspolitisch aufgestellt hat, zollt einem das ja erstmal Respekt ab. Es hat sich von der Werkbank der Welt zu einer hochinnovativen Nation entwickelt. Die chinesische Führung macht keinen Hehl daraus, welche Pläne sie hat und welche Ziele sie bis welches Jahr erreicht haben will. Wir stellen uns nun auch entsprechend strategisch auf. Um das Gleichgewicht zwischen Wettbewerber, Partner und Rivalen, was die EU-Kommission vorgegeben hat und wir auch im Koalitionsvertrag festgelegt haben, entsprechend auszugestalten, sollten wir etwa bei der technologischen Entwicklung, beim Ausbau der Infrastruktur oder beim Zugang zu Rohstoffen ebenfalls strategische Pläne aufstellen. 

    Die Rivalität rückt im Umgang mit China immer stärker in den Vordergrund. Viele befürchten beim Taiwan-Konflikt eine weitere große Krise wie in der Ukraine – nur dass die deutsche Wirtschaft mit China sehr viel enger verwoben ist als mit Russland. 

    China war noch nie eine liberale Demokratie. Und trotzdem stellt sich die Systemfrage mehr als vor zehn Jahren, weil die chinesische Politik im Inneren als auch nach Außen sich maßgeblich geändert hat. Es bleibt abzuwarten, welche Richtung die Führung nach dem großen Parteikongress im Oktober einschlägt. In einigen Sektoren haben wir bei Importen und bei Exporten große Abhängigkeiten. Diese gilt es konsequent durch Diversifizierung abzubauen. Außerdem muss die Menschenrechtslage stärker berücksichtigt werden. Gleichzeitig haben wir ein klares Interesse, beim Klimaschutz mit China zu kooperieren. In den internationalen Klimaverhandlungen ist Peking ein zentraler Akteur. Das Land hatte in diesem Sommer schlimme Dürren und Überschwemmungen. 

    Ihr Ministerium will staatliche Investitionsgarantien für in China tätige deutsche Firmen kippen. Das ist doch ein sehr eindeutiges Signal. 

    Wir kippen gar nichts, sondern prüfen genau. Wenn es klare Anhaltspunkte gibt, dass in einer Region, in der deutsche Unternehmen produzieren, nachweislich Zwangsarbeit vorhanden ist, wird es keine staatlichen Investitionsgarantien geben. 

    Sie sprechen vom VW-Werk in Xinjiang.

    VW ist der konkrete Fall, bei dem wir diese Investitionsgarantien nicht mehr geben. Der Bericht der UN-Menschenrechtskommissarin Bachelet wenige Minuten vor ihrem Abgang war ja eindeutig: In der Region Xinjiang finden Menschenrechtsverletzungen statt. Und da können wir als deutsche Regierung nicht so tun, als ob wir davon nichts wüssten. 

    Die Frage ist ja, welche Art von Investitionen deutscher Firmen die Bundesregierung künftig noch unterstützen wird. 

    Wenn wir als Regierung wollen, dass deutsche Unternehmen stärker diversifizieren, dann sollten wir das selbst auch tun. Und das sollten wir auch bei unseren Förderinstrumenten tun. Das bedeutet nicht, dass deutsche Unternehmen sich komplett vom chinesischen Markt zurückziehen sollen. In einigen zentralen Bereichen sollten sich einige von ihnen aber weniger abhängig machen. Diese Diversifizierung erfolgt aber nicht von heute auf morgen. 

    Haben Sie denn den Eindruck, dass die deutsche Industrie verstanden hat, wie riskant eine zu große Abhängigkeit von China sein kann? Die Direktinvestitionen der Deutschen in China ist auf ein neues Rekordniveau gestiegen. Allein BASF will zehn Milliarden Euro in ein neues Werk investieren. 

    Unsere Unternehmen wissen, dass Innovation auch bei uns im Land geschehen muss, um international noch mithalten zu können. Wir als Regierung werden deswegen den Rahmen für Innovationen wo nötig verbessern. Gleichzeitig haben viele in den letzten Monaten gesehen, wie hoch die Kosten von fragilen Lieferketten sind und arbeiten daran, Abhängigkeiten zu reduzieren. Das sind unsere großen Aufgaben: Innovationen hierzulande zu fördern, auf die Risiken in China deutlich hinzuweisen und Diversifizierung zu unterstützen. Damit werden wir als Volkswirtschaft widerstandsfähiger und sichern auch langfristig unseren Wohlstand.  

    Wie wollen Sie das als Bundesregierung politisch flankieren? 

    Wir treiben intensiv eine neue, faire und freie Handelspolitik voran. Wir erarbeiten eine neue Rohstoffstrategie, die gezielt auf Diversifizierung, auf Kreislaufwirtschaft und nachhaltigen Abbau bei uns setzt und entsprechende Anreize gibt. Aber am Ende investieren Unternehmen. Das ist der Vorteil einer Demokratie und freien Marktwirtschaft, dass die Unternehmen selbst entscheiden können, wo und wie viel sie investieren. Ich möchte nicht in einem Land leben, wo der Staat den Unternehmen permanent vorgibt, was und wo zu produzieren ist.

    Das ist leichter gesagt als getan, wenn das umgekehrt nicht gilt. Chinesische Unternehmen haben in Europa freie Hand, europäische Unternehmen in China haben das nicht, sondern werden bei Großaufträgen klar gegenüber heimischen Anbietern benachteiligt. 

    Deswegen haben wir schon länger ein Investment-Screening, also dass genau geschaut wird, wohin ausländische Investitionen gehen. Zusätzlich gibt es jetzt auch die Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen, mit der wir de facto Wettbewerbsverzerrungen frühzeitig erkennen und entsprechend darauf reagieren können. Also eine Beihilfeprüfung nicht nur für staatliche Unterstützung europäischer Regierungen, sondern auch ausländischer Regierungen. Damit wollen wir ein stärkeres Level Playing Field herstellen. 

    Um mit China technologisch und auf den Weltmärkten mithalten zu können, brauchen wir eine eigene Industriepolitik?

    Die haben wir doch längst und ich wage zu bezweifeln, dass es jemals keine Industriepolitik gab. Sie wurde vielleicht nicht so genannt oder nicht strategisch aufgestellt. Mein Eindruck ist, dass viele wissen, wie wichtig staatliche Förderungen gerade für Forschung und Innovation, aber auch Markthochläufe vor allem auf europäischer Ebene sein können. Ich kenne nur noch wenige, die das grundsätzlich infrage stellen würden. 

    Auch bei Ihrem Koalitionspartner, der FDP, nicht?

    Wir arbeiten bei diesen Themen gut mit der FDP zusammen.  

    Die Industrie sieht die Politik in der Pflicht: Es brauche dringend neue Handelsabkommen, fordert der BDI, um alternative Beschaffungs- und Zielmärkte zu öffnen. 

    Da hat der BDI recht, nur durch ein Zuwenden zur Welt in ihrer Breite werden wir Erfolg haben und unseren Wohlstand sichern, aber es muss dabei fair und nachhaltig zugehen. Wir befinden uns im Wettbewerb mit China, und die anderen Länder fragen: Was ist der Mehrwert für uns, wenn wir mit Europa zusammenarbeiten? Sie wollen keine reinen Rohstofflieferanten sein, sondern einen größeren Teil der Wertschöpfung bei sich behalten und eben auch ihre Umwelt dabei schonen. Die Wasserthematik ist in dem Zusammenhang zum Beispiel sehr relevant. Das ist anders als noch vor 20 oder 30 Jahren. 

    Franziska Brantner ist seit Dezember 2021 Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz unter Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Die 43-Jährige ist zudem seit 2013 Grünen-Mitglied des Deutschen Bundestages. Zuvor war sie von 2009 bis 2013 Abgeordnete im EU-Parlament.

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    Analyse

    Wie China über die SCO seinen Einfluss ausbaut

    Usbekistan: Xi Jinping zeigt auf dem SCO-Gipfel in Samarkant, wo es langgeht. China möchte die SCO zu einem geopolitischen Faktor formen.
    Xi Jinping zeigt auf dem SCO-Gipfel in Samarkant, wo es langgeht.

    Wer sich für den Auf- und Abstieg von Großmächten interessiert, konnte am Wochenende auf dem Gipfeltreffen der Shanghai Cooperation Organization (SCO) in Usbekistan Erstaunliches beobachten – weniger in den offiziellen Reden oder den unterschriebenen Vereinbarungen, als vielmehr im Protokoll: Als Chinas Präsident Xi Jinping auf dem Flughafen von Samarkand landete, wartete auf der Landebahn herzlich winkend Präsident Schawkat Mirsijojew, flankiert von unzähligen Tanzgruppen. Selbst eine eigens auf der Landebahn errichtete Pagode wurde durchschritten. Ganz anders die Szenerie bei Wladimir Putin: Der russische Präsident musste sich mit dem usbekischen Ministerpräsidenten begnügen – ohne Folklore, ohne Musik und sogar ohne Handschlag.

    Schon auf dem Rollfeld wurde deutlich: China hat mehr und mehr das Sagen in Zentralasien. Und als Vehikel dafür nutzt es zunehmend die Shanghai Cooperation Organization. “Die SCO gewinnt zunehmend an Größe und Gewicht. Sie dient China und Russland immer mehr als Alternative zu den bestehenden US-dominierten Institutionen der internationalen Politik”, erklärt Eva Seiwert, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Associate Research Fellow an der OSCE Academy in Bischkek, im Gespräch mit China.Table.

    Nach anfänglicher Zurückhaltung ist Peking inzwischen bestrebt, die SCO zu einem wichtigen Akteur in der internationalen Politik auszubauen – und auf dem Gipfel in Samarkand wurden hierfür die nächsten Schritte unternommen: Es wurde beschlossen, dass Iran in Kürze als neues Mitglied in die Organisation aufgenommen wird (China.Table berichtete). Zudem verkündete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, dass auch sein Land eine SCO-Mitgliedschaft anstrebe.

    SCO droht anti-westlicher zu werden

    Der anstehende Beitritt Irans im kommenden April bedeute eine enorme Ausdehnung der SCO in Richtung Westen, urteilt Seiwert. Die SCO-Expertin merkt an, dass in diesem Zusammenhang auf dem Gipfel in Samarkand bereits weitere Schritte eingeleitet wurden, in dem Saudi-Arabien als neuer Dialogpartner in die SCO aufgenommen worden sei. “Dieser Schritt geht ganz klar auf das Betreiben Chinas zurück”, erklärt Seiwert. Mit Iran drohe die SCO sehr viel deutlicher, zu einer anti-westlichen Organisation zu werden.

    Schon 2017 hatte der chinesische Wissenschaftler Pan Guang in einem Essay vorausgesagt, dass China versuchen werde, den Einfluss der SCO auszudehnen, unter anderem in den Nahen Osten. Der Direktor des SCO-Research-Centers der Shanghai Academy of Social Sciences nannte als Möglichkeiten chinesische Unternehmer und Bauarbeiter, aber auch chinesische Soldaten sowie den Marine-Stützpunkt in Dschibuti.

    Klar ist: Hier geht es um Geopolitik. Die SCO – einst eine kleine, informelle Versammlung namens “Shanghai Five”, bestehend aus China, Russland, Kirgisistan, Tadschikistan und Kasachstan, wird zunehmend zu einem geostrategischen Faktor. Inzwischen sind Usbekistan, Indien und Pakistan hinzugekommen.

    Heute repräsentieren die Mitglieder der Organisation vier Atommächte und 44 Prozent der Weltbevölkerung. Und es sollen noch mehr werden: Wohl im April 2023 folgt Iran. Ebenfalls im Rennen sind Belarus, Saudi-Arabien, Katar, Ägypten, die Malediven und Bahrain. Und eben die Türkei.

    SCO-Beitritt der Türkei hätte enorme Konsequenzen

    Auf dem SCO-Gipfeltreffen am Wochenende zeigte sich der türkische Präsident jedenfalls erpicht darauf, ebenfalls in den illustren Kreis aufgenommen zu werden. “Unsere Beziehungen zu diesen Ländern werden mit diesem Schritt eine ganz andere Position einnehmen”, sagte Erdogan in Samarkand. Es wäre ein gewaltiger Schritt, denn mit der Türkei würde erstmals ein Nato-Mitglied der von China geführten Gruppe beitreten. Die geopolitischen Konsequenzen wären enorm.

    Entsprechend nervös regiert man in Deutschland. “Nato und Europäische Union müssen sich fragen lassen, wie lange sie sich von Erdoğan noch auf der Nase herumtanzen lassen”, sagte der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Jürgen Trittin, der Zeitung “Welt”. Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, weist vor allem auf die geopolitischen Konsequenzen hin: “Außenpolitisch wäre dies ein weiterer symbolischer Schritt weg vom Westen und seinen Werten – ein schwerer politischer Fehler für die Zukunft der Türkei.”

    Derweil versuchte Cagri Erhan, Professor für internationale Beziehungen und Mitglied des Sicherheitsbeirats des türkischen Präsidenten, auf Twitter die Gemüter zu beruhigen: “Was Ankara tut, ist nicht, Alternativen zum Westen zu suchen, sondern ausgewogene Beziehungen mit der ganzen Welt aufzubauen.”

    Auch für China brächte ein Beitritt der Türkei große Gewinne: Die geostrategische Lage der Türkei ist ein Schlüsselaspekt bei der Verwirklichung wichtiger Komponenten von Xi Jinpings geo-ökonomischen Großprojekt “Belt-and-Road”-Initiative. Und Seiwert weist noch auf einen anderen wichtigen Aspekt hin: Sollte die Türkei tatsächlich der SCO beitreten, verlöre sie ihr Recht, den Umgang der Chinesen mit den Uiguren in Xinjiang zu kritisieren. Denn: Innerhalb der SCO müssen die jeweiligen nationalen Terrorismus-Definitionen von allen Ländern übernommen werden. Das heißt: “So wie in Kasachstan schon jetzt die Proteste der Uiguren niedergeschlagen werden, weil China das so möchte, müsste die Türkei als SCO-Mitglied ebenfalls die Position Chinas übernehmen und die Uiguren als Gefahr einstufen.”  

    China würde profitieren

    Doch all das liege noch in weiter Ferne, meint Seiwert. Eine SCO-Mitgliedschaft der Türkei werde noch fünf Jahre dauern. Mindestens. Und auch das Bestreben der Türkei, der SCO beizutreten, sei schon viel älter als die aktuellen Meldungen suggerieren: Erdogan habe diesen Wunsch schon 2013 geäußert. Deshalb müsse man den Auftritt des türkischen Präsidenten auf dem Gipfel in Samarkand vor allem als Botschaft an den Westen verstehen: “Damit will er zeigen, dass die Türkei mit der SCO inzwischen ernstzunehmende Alternativen zum Westen hat”, sagt Seiwert.

    Doch, ob in den kommenden Monaten oder erst in fünf Jahren: Ein möglicher Beitritt der Türkei würde die Machtbalance gewaltig verschieben. Denn trotz aller Querelen mit Erdogan ist die Türkei für den Westen weiterhin von hohem strategischen Wert – vor allem im Hinblick auf die Bewältigung regionaler Sicherheitsherausforderungen: Für die EU-Mitgliedstaaten ist es von größter Bedeutung, dass das im März 2016 geschlossene Flüchtlingsabkommen mit der Türkei Bestand hat. Zudem beherbergt die Türkei eine Reihe wichtiger militärischer Nato-Einrichtungen, die von entscheidender strategischer Bedeutung für die Fähigkeit des Bündnisses sind.

    Ob mit oder ohne Türkei – die SCO hat am Wochenende in Samarkand weiter an Bedeutung gewonnen und Xi Jinping die Rolle Chinas als entscheidender Akteur innerhalb der Organisation weiter ausgebaut. Zudem gelingt es Chinas Führung immer wieder, günstige Gelegenheiten zu erkennen und zum eigenen Vorteil zu nutzen: Die aktuelle strategische Orientierungslosigkeit der Türkei wäre so ein Fall.

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    Ungewissheit in Hongkong fördert China-plus-1-Strategie

    Hongkong begeht seinen Jahrestag - hier wird deutlich, wie viel Autonomie aufgegeben wurde und wie nah die Metropole an Peking gerückt ist.
    Nur noch an kleinen Dingen lässt sich die Autonomie Hongkongs interpretieren – die Ungewissheit lähmt.

    Hongkongs neuer Regierungschef John Lee ist seit drei Monaten im Amt, aber es ist erstaunlich ruhig um ihn. Das ist womöglich so gewollt. Wo es bei seiner Vorgängerin Carrie Lam klare Ankündigungen, Handlungen und damit auch öffentlich diskutierte Kontroversen gab, herrschen unter Lee Schweigen und Unvorhersehbarkeit. Das wirft Fragen auf: Wohin geht die Reise Hongkongs? Wo sind die roten Linien? Die Unklarheit legt sich wie ein schwerer Mantel über die Metropole und macht auch den Expats der Stadt zu schaffen.

    “Die Menschen halten sich mit politischen Äußerungen immer mehr zurück”, sagt eine Deutsche, die seit über 15 Jahren in Hongkong lebt und sich gegenüber China.Table nur anonym äußern möchte. “Auch ich bin sehr vorsichtig geworden”, sagt sie. In den sozialen Medien hält sie sich mit Posts zurück, die vielleicht negativ ausgelegt werden könnten. Für eine anstehende Kunstausstellung, an deren Organisation sie beteiligt war, wählte sie für die Beteiligten nicht schwarz bedruckte T-Shirts, sondern grüne, um bloß eine Assoziation zu den Protestbewegungen 2019 zu vermeiden. Es verbreitet sich ein vorauseilender Gehorsam, der in Festlandchina schon länger bekannt ist.

    Wachsende Sorge erfassen nun auch zunehmend multinationale Unternehmen, Verbände und andere Institutionen. Für sie stellt sich immer öfter die Frage, ob Hongkong als Standort noch Sinn ergibt. Diese Zweifel wurden kürzlich auch beim Belt and Road Summit Ende August deutlich. Eine Teilnehmerin, die ebenfalls anonym bleiben möchte, schätzt im Gespräch mit China.Table, dass sich die Zahl der westlichen Expats im Saal “an zwei Händen abzählen” ließ – unter mehr als 1.300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

    Die Entfremdung wurde auch anders spürbar. Die Veranstaltung, die eigentlich die globale Integration der Neuen Seidenstraße vorantreiben soll, wurde nur auf Hochchinesisch abgehalten – und nicht wie vorab angekündigt auch in englischer Sprache. Auch Kantonesisch, das in den Jahren zuvor üblich war, wurde als offizielle Sprache der Veranstaltung gestrichen.

    Anderer Staaten locken Unternehmen mit Vergünstigungen

    So glich der Summit des Hong Kong Trade Development Council, einer halbstaatlichen Non-Profit-Organisation zur Förderung der internationalen Handels– und Wirtschaftsbeziehungen, eher einer inszenierten politischen Kampagne, resümierte die Teilnehmerin. Ihr schien es eher darum zu gehen, dass die Teilnehmer das Motto “From chaos to governance and from governance to prosperity” (“Vom Chaos zur Regierungsführung zum Wohlstand”) als Mantra von der Regierung vorgebetet bekommen sollten.

    Die Zuversicht ausländischer Firmen in den Standort Hongkong fördern solche Veranstaltung nicht, sondern dürften eher deren wachsende Skepsis bestärken. Schon im Frühjahr hatte die Außenwirtschaftsförderung der Bundesrepublik, GTAI festgestellt, dass viele Unternehmen ihre Niederlassungen außerhalb Hongkongs ausbauen. Singapur sei eine beliebte Alternative.

    Auch der Exodus ausländischer Arbeitnehmer internationaler Unternehmen hält an: Lars Kuepper, Inhaber und Geschäftsführer der Umzugsfirma Relosmart schildert, dass er im vergangenen Jahr für 250 Umzüge pro Monat aus der Stadt hinaus beauftragt worden sei – und im Gegensatz dazu nur für 17 Zuzüge. Viele Ausländer verlassen die Sonderverwaltungszone, seitdem klar ist, dass auch internationale Schulen künftig Staatsbürgerkunde nach Pekings Definition unterrichten sollen (China.Table berichtete).

    Für Firmen, die in der Stadt Waren produzieren – und nicht nur ein Büro in Hongkong haben – werden Länder wie Vietnam immer interessanter. So verfolgen viele ausländische Unternehmen seit einiger Zeit eine sogenannte China-plus-1-Strategie: Sie suchen sich neben China in der Region noch andere Standorte. Einige asiatische Länder wie Thailand, Vietnam oder Malaysia locken mit gewerblichen und steuerlichen Vorteilen, um ausländische Investitionen anzuziehen, berichtet The Diplomat.

    Versicherer verzeichnen Mangel an Fachkräften

    Für die gebürtige Hongkongerin Louisa Lim, deren Buch: Hongkong – “Indelible City: Dispossession and Defiance in Hong Kong” kürzlich erschien, sind die aktuellen Unklarheit Teil einer Taktik der chinesischen Regierung, um auch den letzten verbliebenen Widerstand der Hongkonger Zivilgesellschaft zu brechen: Die Ungewissheit lähmt, Sorgen diktieren den Alltag. “Im Moment gibt es ein weniger vorhersehbares Umfeld als in Festlandchina, insbesondere im Hinblick darauf, wo die politischen roten Linien verlaufen”, sagte Lim zur Situation in Hongkong dem Fachportal The Wire China.

    Auch bleibt unklar, wie Hongkong mit dem derzeitigen Kurs an Attraktivität für multinationale Firmen gewinnen soll, statt sie zu verlieren. Der “Brain Drain”, also der Verlust von klugen Köpfe und Talenten, ist längst im Gange und mündet in einem Mangel an Fachkräften. Beispiel Versicherungen: So erklärte der Hongkonger Verband der Versicherer, dass rund jede dritte Versicherung dazu gezwungen sei, ihren Personalbestand vor Ort zu verkleinern.

    Die Stadt setzt jedoch auf ihre Rolle als Finanzzentrum in der “Greater Bay Area” des Perlflussdelta, wonach Hongkong stärker mit wichtigen Städten der Küstenprovinz Guangdong vernetzt werden soll. Nach den Plänen gewinnt dieser Wirtschaftsraum bis 2035 durch die Integration international an Bedeutung. Sein Beitrag zum chinesischen Bruttoinlandsprodukt ist schon jetzt so groß wie die Wirtschaftsleistung Südkoreas.

    Doch ungewiss ist, ob Hongkong dann nicht nur eine von vielen Städten ist, die sich einreihen soll, anstatt selbst im Zentrum zu stehen. Peking hatte zuletzt immer mehr Shenzhen und Shanghai als Finanzhandelsplätze im Fokus – und zum Beispiel vor zwei Jahren eigens die Technologiebörse Star-Market in Shanghai ins Leben gerufen.

    Chinas Auslandsinvestitionen vor allem aus Hongkong

    Chinas Regierungsdaten zeigen, dass die Auslandsinvestitionen in die Wirtschaft in diesem Jahr um fast ein Fünftel gestiegen sind. Das sieht die Regierung laut Staatsmedien als Beweis dafür, dass globale Unternehmen den Aufrufen von US- und europäischen Politikern widerstehen, sich vom Land unabhängiger zu machen.

    Doch ein genauer Blick auf die Investitionen zeichnet ein anderes Bild. Ein Großteil dieser Investitionen in Festlandchina kommt tatsächlich aus Hongkong. Laut Experten liegt es daran, dass dort ansässige Festlandunternehmen Gelder in einem als “Round-Tripping” bezeichneten Kreislaufsystem durch die Stadt leiten. Forscher der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften und der Nankai-Universität schätzen, dass fast 37 Prozent der nach China eingehenden ausländischen Direktinvestitionen in diesem System “hin und her” wandern, berichtete der Finanzdienstleister Bloomberg. Ist das die künftig wichtigste Rolle der einstigen britischen Kronkolonie?

    Laut Raymong Yeung sind zudem vor allem chinesische Unternehmen mit Sitz in Offshore-Finanzierungszentren für den Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen verantwortlich. “Das macht den Ausdruck ‘ausländische’ Investitionen zu einer etwas irreführenden Bezeichnung”, schrieb Yeung, Chefökonom der Greater China, Australia & New Zealand Banking Group, kürzlich in einer Mitteilung.

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    Biden würde US-Soldaten nach Taiwan schicken

    US-Präsident Joe Biden hat die Unterstützung Taiwans durch US-Soldaten zugesagt. In einem Interview mit dem Fernsehsender CBS kündigte Biden die Entsendung amerikanischer Truppen auf den Inselstaat an, sollte es zu einem “nie dagewesenen Angriff” durch China kommen. Damit impliziert Biden erstmals die Bereitschaft der USA zu einer unmittelbaren Beteiligung seines Landes an möglichen Kampfhandlungen zwischen China und Taiwan.

    Durch Bestätigungen für weitere Waffenlieferungen und verstärkte Präsenz im Indo-Pazifik sowie in der Straße von Taiwan hatte Washington in den vergangenen Monaten bereits eine zunehmende Entschlossenheit signalisiert, seinen Verbündeten verteidigen zu wollen (China.Table berichtete).

    Das chinesische Außenministerium kritisierte Joe Bidens Ankündigung und warf dem US-Präsidenten vor, separatistischen Kräften auf der Insel Vorschub zu leisten. Für Peking zählt eine mögliche formelle Unabhängigkeitserklärung Taiwans zu den roten Linien. Die Volksrepublik droht seit Jahren damit, sich Taiwan im Notfall militärisch einverleiben zu wollen, sollte diese rote Linie überschritten werden.

    In Taiwans Hauptstadt Taipeh dagegen reagierte das Außenministerium erfreut, dass Biden “die felsenfeste Zusage der US-Regierung zur Sicherheit Taiwans” bekräftigt habe. Das Land wolle seine Kapazitäten zur Selbstverteidigung weiter ausbauen und sei an einer Vertiefung der Partnerschaft mit den USA in Verteidigungsfragen interessiert. grz

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    Hamburgs Bürgermeister warnt vor Cosco-Ablehnung

    Hamburgs erster Bürgermeister Peter Tschentscher hat am Montag eindringlich davor gewarnt, den Einstieg der chinesischen Reederei Cosco im Hamburger Hafen abzulehnen. Sollte Wirtschaftsminister Robert Habeck eine Beteiligung von Cosco am Container-Terminal “Tollerort” ablehnen, hätte das gravierende Wettbewerbsnachteile für Hamburg. “Eine Ablehnung der Cosco-Beteiligung durch die Bundesregierung ist im Hinblick auf die nationale Sicherheit und Unabhängigkeit nicht begründbar”, sagte Tschentscher der Nachrichtenagentur Reuters. “Sie wäre eine schwere Belastung für den Wirtschaftsstandort und eine einseitige, wettbewerbsverzerrende Benachteiligung Hamburgs gegenüber Rotterdam und Antwerpen, in denen Cosco bereits Terminal-Anteile besitzt.”

    Tollerort ist einer von drei Containerterminals im Hamburger Hafen – und der chinesische Reeder Cosco will eine 35-prozentige Minderheitenbeteiligung erwerben. Während die Hamburger Politik sowie die Wirtschaft einen Einstieg begrüßen würden, scheint es im Wirtschaftsministerium Vorbehalte zu geben (China.Table berichtete). Derzeit läuft ein Investitionsprüfverfahren auf Grundlage des Außenwirtschaftsgesetzes. So mancher einer ist der Meinung, dass eine kritische Infrastruktur wie ein Hafenterminal nicht in chinesische Hände geraten dürfe, auch nicht in Teilen.

    Tschentscher hingegen glaubt, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, müssten auch in Hamburg Terminalbeteiligungen von chinesischen Reedereien möglich sein. Hamburg wäre nicht der erste Hafen, in den die Chinesen investieren. Allein in Europa hat Cosco zusammen mit der Partnerfirma China Merchants in 14 Häfen investiert – dazu zählen Mehrheitsbeteiligungen in Valencia und Bilbao, sowie Anteile an den Nordrange-Häfen Rotterdam, Antwerpen und Zeebrügge. rad

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    CDC empfiehlt Abstand zu Ausländern

    Der Chef-Epidemiologe des chinesischen Zentrums für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC), Wu Zunyou, empfiehlt wegen der Ausbreitung der Affenpocken die Vermeidung von Körperkontakt mit Ausländern. Auch mit Chinesen, die nach einer internationalen Reise in die Volksrepublik zurückkehren, sowie grundsätzlich mit Fremden sollte drei Wochen lang jede Berührung umgangen werden, so Wu. Mit diesen Verhaltenstipps will der Mediziner die Infektionsverbreitung verhindern, nachdem am vergangenen Freitag der erste Fall der Krankheit in China in der westlichen Metropole Chongqing diagnostiziert worden war.

    Die Gesundheitsbehörden vermuten, dass der Fall aus Deutschland eingeschleppt worden ist. Es seien deutliche Übereinstimmungen mit einem Virusstrang gefunden worden, der Ende Juni in Deutschland aufgetaucht war, heißt es in einer Mitteilung des CDC. Demnach habe sich der Patient zwischen dem 2. und 8. September in der Bundesrepublik aufgehalten und in dieser Zeit Sex gehabt, was die Behörden als Übertragungsgrund ansehen. grz

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    Busunglück löst Kritik an Null-Covid aus

    Der Unfalltod von 27 Menschen hat Kritik an der chinesischen Null-Covid-Politik ausgelöst. Die Opfer waren Insassen in einem Bus, der am Sonntagmorgen auf dem Weg in eine Quarantäne-Einrichtung in der Provinz Guizhou verunglückt war. Weitere 20 Menschen wurden verletzt. In Sozialmedien beklagten sich daraufhin Menschen über die Internierung von positiv Getesteten und deren Kontaktpersonen in den Isolationseinrichtungen – bis die kritischen Kommentare von der Zensur gelöscht wurden.

    Die Nutzer stellten die Sinnhaftigkeit der Quarantänezentren infrage, obwohl Menschen sich auch wochenlang zu Hause isolieren könnten. Infizierte und solche mit vermeintlich erhöhtem Infektionsrisiko werden von den Behörden vieler chinesischer Städte oft wochenlang und auch nach mehrmaligen Negativtests in den Einrichtungen festgehalten (China.Table berichtete).

    Das von Landwirtschaft geprägte Guizhou hatte am Wochenende einen deutlichen Anstieg der Infektionszahlen verzeichnet. 712 Ansteckungen waren am Samstag diagnostiziert worden. Zwei von drei Coronavirus-Fällen am Samstag stammten damit aus der südchinesischen Provinz. Der Bus mit 47 Insassen war in der Nacht zum Sonntag um 02:40 Uhr auf einer Autobahn verunglückt. Normalerweise ist es besetzten Passagierbussen zwischen 02:00 und 05:00 Uhr morgens nicht erlaubt, die Autobahnen zu befahren. grz

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    Opel stoppt geplante Expansion in China

    Opel legt die vor gut einem Jahr angekündigte Expansion in China auf Eis. Angesichts der aktuellen Herausforderungen für die Automobilindustrie sei es für Opel wichtiger denn je, sich auf klare Prioritäten zu konzentrieren, erklärte das Unternehmen am Freitag auf Anfrage. “Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht des erforderlichen Volumens, um einen wirklichen Effekt zu erzielen, lässt Opel die Pläne für einen Markteintritt in China derzeit ruhen.” Der zum italienisch-amerikanischen Stellantis-Konzern gehörende Rüsselsheimer Autobauer bereite jedoch weiterhin den Eintritt in neue Märkte vor, die schon mit kleineren Volumina eine gute Profitabilität versprächen.

    Hintergrund der Entscheidung sind laut Handelsblatt wachsende geopolitische Spannungen zwischen der kommunistischen Führung in China auf der einen und den USA sowie der Europäischen Union auf der anderen Seite. Nationalistische Tendenzen in China, die drakonische Null-Covid-Politik und die Zuspitzung des Konflikts um die Unabhängigkeit von Taiwan erschwerten Opel den Markteintritt in die größte Absatzregion der Welt, berichtete die Zeitung unter Berufung auf Unternehmenskreise. Zudem fehle es Opel aktuell an attraktiven Modellen, die sich spürbar von jenen der Konkurrenz unterschieden, um in China wirklich erfolgreich zu sein. rtr/nib

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    Sanktionen gegen Chefs von Boeing Defense und Raytheon

    China hat Sanktionen gegen die Vorsitzenden der US-Rüstungskonzerne Boeing Defense und Raytheon, Ted Colbert und Gregory Hayes, verhängt. Die Strafmaßnahmen seien eine Antwort auf Rüstungsverträge, die die beiden Unternehmen kürzlich mit Taiwan abgeschlossen hätten. Die chinesische Seite gab keine Details zu den Sanktionen bekannt oder wie diese durchgesetzt werden sollen. Das ist jedoch kein unübliches Vorgehen bei chinesischen Strafmaßnahmen. Keines der beiden Unternehmen verkauft Rüstungsgüter an China, doch beide sind im zivilen Luftfahrtgeschäft in der Volksrepublik aktiv. Peking hatte schon in der Vergangenheit Sanktionen gegen Raytheon, Boeing Defense und nicht näher bezeichnete Personen verhängt, die an Waffenverkäufen an Taiwan beteiligt gewesen sein sollen. nib

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    Leichte Erholung der Wirtschaft

    Chinas Wirtschaft zeigte im August leichte Anzeichen einer Erholung. Die Lage bleibt jedoch angespannt und fragil. Die Industrieproduktion, Einzelhandelsumsätze und Anlageinvestitionen wuchsen stärker als prognostiziert. Allerdings ist der Anstieg der Einzelhandelsumsätze statistisch bedingt und die höhere Industrieproduktion ging teilweise auf einen Anstieg der Stromproduktion aufgrund der Hitzewelle und somit auf einen Einmaleffekt zurück, wie Bloomberg berichtet. Auch die Auto-Produktion stieg an. Analysten gehen mittlerweile von einem Wachstum von 3,5 Prozent aus. Die Regierung hatte ein Ziel von 5,5 Prozent festgesetzt.

    Belastet wird der Ausblick vor allem vom schrumpfenden Immobiliensektor, der mit sinkenden Hauspreisen, Investitionen und Verkäufen zu kämpfen hat. So brachen die Immobilieninvestitionen im August um 13,8 Prozent ein und damit so stark wie seit Dezember 2021 nicht mehr, wie die Nachrichtenagentur Reuters auf der Grundlage offizieller Daten berechnet hat. Die Schwäche des Immobiliensektors wirkt sich auch auf andere Industrien wie die Zementproduktion aus. Im August wurde 13 Prozent weniger Zement hergestellt im Vergleich zum Vorjahr. Die Preise für neue Eigenheime fielen um 1,3 Prozent – das ist sogar der stärkste Rückgang seit August 2015. Schon im Juli hatte es ein Minus gegeben, das aber mit 0,9 Prozent kleiner ausgefallen war.

    Der Immobilienmarkt war über Jahre ein wichtiger Konjunkturmotor. Er schlittert jedoch seit Mitte 2020 von einer Krise in die nächste (China.Table berichtete). Ein Grund: Die Aufsichtsbehörden sind eingeschritten, um die hohe Verschuldung der Bauträger zu reduzieren. Viele Projekte wurden daher gestoppt. In den ersten acht Monaten des Jahres gingen die Immobilien-Verkäufe nach Fläche im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 23,0 Prozent zurück, was auf eine weiterhin schwache Nachfrage hinweist. nib/rtr

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    Standpunkt

    Ab welchem Punkt führt Kooperation zu Komplizenschaft?

    Von Ralph Weber
    Ralph Weber, Professor für European Global Studies fordert mehr Transparenz bei der Kooperation mit China.
    Ralph Weber, Professor für European Global Studies

    Noch vor wenigen Jahren stand Kooperation mit Partnern aus der Volksrepublik China ganz hoch auf den Agenden zahlreicher europäischer Akteure. Wer hier nicht mitmachte, der hatte schlicht die Zeichen der Zeit nicht verstanden.

    Doch die Kooperation ist komplizierter geworden. Das Image der chinesischen Regierung hat wegen ihrer Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang oder militärischer Drohungen gegenüber Taiwan – um nur zwei Aspekte zu nennen – in den vergangenen Jahren stark gelitten. Enge Kooperationen mit dem Systemrivalen, der unseren Demokratien und Werten offen den Kampf angesagt hat, müssen heute sehr gut begründet werden, um nicht ins Kreuzfeuer der Kritik zu geraten.

    Weil es im Westen für manche allerdings viel zu verlieren gibt, malt der eine oder die andere das Schreckgespenst einer vollständigen Entkoppelung an die Wand. Es soll die Gefahren skizzieren, die uns drohen, wenn wir uns von China zu sehr entfremden. Oft tut das Gespenst seinen Dienst.

    Unbedingte Kooperation und vollständige Entkoppelung stellen zwei unattraktive Enden eines Spektrums dar, das je nach Geschäftsfeld gesondert betrachtet werden muss. Wer Geschäfte in Xinjiang macht, wo Menschen gegen ihren Willen interniert, umerzogen und teils unter Zwang arbeiten müssen, sieht sich größerer (und praktisch nicht mehr durchzuführender) Sorgfaltspflicht ausgesetzt als ein Unternehmen, das in Shanghai Schraubenzieher produziert.

    Suggeriert, dass Kooperationen an sich der richtige Weg sind

    Kooperationspartner in der Volksrepublik unterliegen den Geboten und Launen des Parteistaats. Manche sind sogar direkt am Parteistaat angedockt. Auch der Druck, den der Parteistaat auf private chinesische Unternehmer ausüben kann, ist immens. In einem solchen System ist jede Kooperation letztlich immer auch eine Kooptation. Die Frage ist dann: Wie geht man damit um? Und wenn man davon weiß, wie transparent verhält man sich?

    Der frühere Verteidigungsminister Rudolf Scharping beklagt, dass “die Zwischentöne” verloren gingen, wenn man nicht direkten und persönlichen Austausch pflege. Anstelle eines “Decoupling” brauche es nüchterne Analyse. Er plädiert für die Kooperation. Er erwähnt Handel, Investitionen, Forschung und Entwicklung sowie notwendige Verhandlungen. Denn ohne China gebe es beispielsweise keine global tragfähige Antwort auf den Klimawandel.

    Grob gesprochen liest sich das so: Da die vollständige Entkopplung (die offenbar sogar Verhandlungen ausschließt) schlecht und Bemühungen um Klimawandel gut sind, wird suggeriert, dass Kooperation an sich der richtige Weg ist. Das Problem dabei ist, dass man sich nicht aussuchen kann, mit wem man in China kooperiert, sondern automatisch im Schoße derer landet, die die erwähnten Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang oder die militärischen Drohungen gegenüber Taiwan verantworten.

    Auch Scharping kann sich diesen Kräften nicht entziehen. Das zeigt die 9. Deutsch-Chinesische Wirtschaftskonferenz Anfang September in Frankfurt, die sein Beratungsunternehmen gemeinsam mit dem China Economic Cooperation Center (CECC, 中国经济联络中心) veranstaltet hat und die vom “China Council for International Investment Promotion” (CCIIP, 中国国际投资促进会) unterstützt wurde.

    Das CECC ist der im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas angesiedelten Internationalen Abteilung direkt unterstellt. Die Internationale Abteilung ist für die Beziehungen der KP mit anderen Parteien außerhalb des Landes zuständig, historisch gesehen vor allem mit anderen kommunistischen Parteien, seit der Reform- und Öffnungspolitik auch mit politischen Parteien jeglicher Couleur.

    Dass es um Beeinflussung geht, wird kaum bestritten

    Seit den frühen 2000er-Jahren und besonders auch unter Staatspräsident Xi Jinping hat die Internationale Abteilung (wie auch die Propagandaabteilung und vor allem das Einheitsfrontarbeitsdepartement) an Bedeutung gewonnen. Dass es hierbei um Beeinflussung, Kooptation und die Durchsetzung außenpolitischer Interessen des chinesischen Parteistaats geht, wird kaum bestritten.

    Neuere Forschung zur Internationalen Abteilung erwähnt zudem die besondere Stellung in Europa, die Deutschland in diesen Bemühungen zukommt. Auch auf der Homepage des CECC ist das Ziel der Beförderung der “nach außen gerichteten Arbeit” (对外工作) der KP China und der Umsetzung des “Xi-Jinping-Denkens über den Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter” explizit festgehalten.

    Dass hinter dem CECC die Internationale Abteilung steckt, lässt sich auch an der publizierten Liste der Vortragenden an der Frankfurter Konferenz ablesen. Mit Shen Beili 沈蓓莉 und Liu Jingqin 刘敬钦waren ein derzeitiger und ein ehemaliger Spitzenfunktionär der Internationalen Abteilung vor Ort. Auch Jiang Feng 姜锋, der Parteisekretär der Shanghai International Studies University, hat in Frankfurt vorgetragen. Dieser hat in einem von der Volkszeitung im Januar 2022 publizierten Gespräch mit Scharping das politische System der VR China “als Mehrparteiensystem” bezeichnet, in dem es “viele demokratischen Parteien” gäbe – womit er die “Parteien” meint, die unter der Führung und Kontrolle der KP China stehen und in der Einheitsfront versammelt sind.

    Die Kooperation mit der Internationalen Abteilung ist keineswegs neu. Letztes Jahr hat Scharping etwa am “Gipfeltreffen zwischen dem Vorsitzenden der KP Chinas und politischen Parteien weltweit” teilgenommen, welches von der Internationalen Abteilung ausgerichtet wird, und in seiner Rede die KP China mehrfach gelobt. Doch dass Kooperation mit Akteuren aus der Volksrepublik China immer zu Kooptation führt, ist letztlich einer Systemnotwendigkeit geschuldet, welche einer Ein-Parteien-Diktatur, die Chinas politisches System wie in Art. 1 der Staatsverfassung festgehalten und trotz gegensätzlicher Behauptungen seiner Kader darstellt, inhärent ist. Bei der alle Beziehungen zur Welt außerhalb der Partei gemanagt und möglichst der Parteiagenda unterstellt werden.

    Ab welchem Punkt führt Kooperation zu Komplizenschaft?

    Wer sich für Kooperation entscheidet, wofür es gute Gründe geben mag, der muss einen Umgang mit der Kooptation finden. Zensiert man sich ein Stück weit selbst, weil man dem Gegenüber nicht zu viel zumuten möchte, aus Höflichkeit, klugem Taktieren oder weil man damit die Durchsetzung der eigenen Interessen erreichen würde? Oder wiederholt man sogar explizit Propagandapunkte der KP Chinas, welche dadurch normalisiert werden, und nimmt damit gar die erfolgreiche Ausübung von Diskursmacht in Kauf? Ab welchem Punkt führt Kooperation zu Komplizenschaft?

    All diese Fragen dürfen und müssen unterschiedlich und für den jeweiligen Einzelfall beantwortet werden. Doch klar ist: Wenn man direkt mit Institutionen aus dem chinesischen Parteistaat kooperiert, muss man diese Tatsache transparent anzeigen. Nur so bleibt Dritten die Möglichkeit überlassen, wie weit sie selbst vereinnahmt werden möchten.

    Ralph Weber ist Professor für European Global Studies an der Universität Basel in der Schweiz. Seine Forschungsgebiete umfassen die chinesische politische Philosophie, den modernen Konfuzianismus sowie die chinesische Politik. Er beschäftigt sich mit den europäisch-chinesischen Beziehungen und hat im Dezember 2020 eine viel beachtete Studie zur Einflussnahme des chinesischen Parteistaats in der Schweiz veröffentlicht.

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    China.Table Redaktion

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