Table.Briefing: China

Ex-Reporterin von Apple Daily im Interview – Peng Shuai dementiert ihre Vorwürfe

  • Leung dokumentiert Fälle inhaftierter Aktivist:innen
  • Tennisstar äußert sich erstmals gegenüber Medien
  • Pekingtreue Kanidat:innen dominieren Parlamentswahl
  • Exilanten: Geringe Wahlbeteiligung als Absage an Peking
  • Abriss der Säule der Schande beginnt
  • Livestreamerin akzeptiert horrende Steuerstrafe
  • Tschechien will China-Beziehungen prüfen
  • Keine “humanitären Ausnahmen” in Afghanistan
  • Im Portrait die verschwundene Uigurin Hayrigul Niyaz
Liebe Leserin, lieber Leser,

einen Wochentag früher als sonst finden Sie schon heute die neue Ausgabe von China.Table Human Rights in ihrem Postfach. Zu viel Relevantes hat sich in den vergangenen Tagen ereignet, sodass wir die angedachte Weihnachtspause lieber um ein paar Tage verkürzen wollten, statt auszusetzen.

Zum Beispiel hat Hongkong ein neues Parlament gewählt. Oder besser gesagt: Ein kleiner Teil der Stadt hat ein neues Parlament gewählt. Denn die meisten Hongkonger entschieden sich gegen ihre Teilnahme an dem Urnengang. Nur knapp jeder dritte Wahlberechtigte tat der Regierung den Gefallen, eine Abstimmung zu legitimieren, die im Kern entdemokratisiert worden ist. Mit ihrer Abwesenheit haben die Menschen ihre Mittel zum Protest gegen Pekings autokratische Übernahme der Metropole noch einmal ausgeschöpft. Wie sich die Atmosphäre in Hongkong seit der Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes verändert hat, schildert die ehemalige Reporterin der Tageszeitung Apple Daily, Shirley Leung, im Interview.

Abgesehen von ihren Aussagen ist es immer wieder beeindruckend, wie viel Mut Individuen in autoritären Staaten aufbringen, um sich dem ungleichen Kampf gegen einen übermächtigen Gegner zu stellen. Leungs Arbeit und ihre Bereitschaft, mit ausländischen Medien zu sprechen, sind ein Beispiel für solchen Mut.

Ein anderes lieferte die Tennisspielerin Peng Shuai mit ihren Vergewaltigungsvorwürfen gegen Ex-Vizepremier Zhang Gaoli. Dass sie ihre Aussagen von Anfang November inzwischen revidiert, werden Diktatur-Apologeten wie das Internationale Olympische Komitee als Bestätigung für ihren Schmusekurs mit Autokraten vermarkten. In Wahrheit ist Pengs seltsame Behauptung, alles sei nur ein Missverständnis, Ausdruck für die gnadenlose Brutalität chinesischer Sicherheitsbehörden. Pengs Angst vor der Vergeltung, die ihr und ihrer Familie droht, muss enorm sein.

Auch was Hayrigul Niyaz genau durchmacht, wissen wir nicht. Die Uigurin ist wohl inhaftiert worden, kurz nachdem sie 2017 von einem Auslandsaufenthalt in ihre Heimat zurückgekehrt war. Ihre Geschichte, die wir heute erzählen, ist ebenfalls nur ein Beispiel für Millionen anderer Fälle von Menschen in der Volksrepublik, die von heute auf morgen verschwinden. Manche nur kurz, andere für immer.

Ihr
Marcel Grzanna
Bild von Marcel  Grzanna

Analyse

“Für Pressefreiheit muss man kämpfen”

Shirley Leung berichtet über das Ende der Pressefreiheit in Hongkong.
Bis zur Schließung der Peking-kritischen Apple Daily harrte auch Reporterin Shirley Leung aus

Frau Leung, Sie sind eine der wenigen Journalist:innen in Hongkong, die pro-demokratischen Kräften noch eine Stimme geben. Mit welchen Gefühlen haben Sie die Parlamentswahl am vergangenen Sonntag verfolgt? 

Das war die erste Wahl, an der ich nicht teilgenommen habe, weder als Journalistin noch mit meiner Stimme als Wählerin. Ich sträube mich dagegen, diese Art von Wahl als echte, legitime Wahl anzuerkennen. Der beschränkte Kreis von Kandidaten bestand aus altbekannten Patrioten. Die Wahlbeteiligung war dementsprechend die niedrigste der Geschichte. 

Gab es keinen Kandidaten, der als Kompromiss vielleicht für Sie in Frage gekommen wäre?

Meine Wunschkandidaten sitzen alle im Gefängnis. Sehen Sie: Hongkong hat sich innerhalb eines Jahres komplett verändert. Die Wahlen sind ein deutliches Zeichen dafür. Die Medien berichten nicht mehr kritisch über Politik. Man findet als Journalist:in kaum noch Gesprächspartner, die offen sprechen wollen. Ein System von Checks and Balances existiert nicht mehr. Das ist nicht meine Idee von Demokratie.

Sie haben bis zur Schließung der Redaktion im Sommer 2021 für Apple Daily gearbeitet, die letzte große pro-demokratische Medien-Institution der Stadt. Wie haben Sie das Ende der Zeitung erlebt?

Ich war Senior-Reporterin bei Apple Daily und drei Jahre für die Lokalnachrichten verantwortlich. Nachdem das Nationale Sicherheitsgesetz verabschiedet wurde, stand die gesamte Redaktion unter Dauerstress. Wir wurden von allen Seiten angegriffen, regierungsfreundliche Medien brandmarkten uns als Kriminelle und behaupteten, wir würden Fake News verbreiten. Dann wurden unser Herausgeber, Jimmy Lai, und unsere beiden Chefredakteure verhaftet und unsere Redaktion zweimal von der Polizei durchsucht. Ab da haben wir jeden Tag damit gerechnet, dass die Regierung uns dicht macht. Wir gingen jeden Tag zur Arbeit, mit dem Gefühl, dass es der letzte sein könnte. Um die Mitarbeiter nicht weiter zu gefährden, hat der Vorstand den Betrieb schließlich eingestellt.

Hatten sie Angst, dass Sie selbst verhaftet werden könnten?

Gerüchte machten die Runde, dass einzelne Reporter und bestimmte Teams festgenommen werden sollen. Einige Mitarbeiter hatten deshalb bereits vorher die Kündigung eingereicht. Manche sind sogar ins Ausland geflüchtet. Ich habe mich jedoch immer relativ sicher gefühlt, weil ich im Vergleich zu anderen keine so sichtbare Journalistin war und bin. Aber die Dinge können sich schlagartig ändern. Es herrscht eine große Unsicherheit in der Stadt. Man weiß nicht, was morgen passiert. Man muss diese Angst aushalten, wenn man sich entscheidet, in Hongkong zu bleiben.

Woran arbeiten Sie gerade?

Ich stelle eine Serie über pro-demokratische Aktivistinnen und Demonstranten zusammen, die verhaftet und wieder entlassen wurden. Die meisten haben ein paar Monate bis zu einem Jahr im Gefängnis verbracht. Ich will ihre Geschichten erzählen: Wie hat sich ihr Leben verändert? Was hatte die Haft für einen Einfluss auf ihre Familien, ihr Studium, ihre Arbeit? Jede dieser Geschichten ist ein Puzzleteil eines größeren Narrativs, das erzählt und archiviert werden muss. Ganz praktisch können diese persönlichen Erfahrungen auch für Menschen wichtig sein, deren Verfahren noch laufen. Damit sie wissen, was im Gefängnis auf sie zukommt.

Viele Aktivisten sind ausgesprochen jung. Wie haben diese Menschen die Haft erlebt?

Die meisten kannten solche Orte vorher nur aus Filmen. Nun haben wir die Situation in Hongkong, dass viele junge Menschen mit Drogendealern und Mitgliedern der Triaden auf engstem Raum zusammenleben und sich in diese Hierarchie einfügen müssen. Die Kriminalisierung verändert natürlich auch das Selbstbild dieser Menschen.

Und die traditionellen Medien berichten nicht mehr über diese Dinge?

Artikel mit pro-demokratischem Fokus sind fast unmöglich geworden und kommen in der Mainstream-Presse kaum mehr vor. Man wird zynisch, wenn man heute als Journalist:in in Hongkong arbeitet. Keiner will mehr etwas sagen oder die Lage kommentieren. Wer auf Bewährung aus dem Gefängnis kommen will, muss sich verpflichten, nicht öffentlich über Politik zu sprechen. Die Menschen werden stummgeschaltet. Allen Hongkongern ist das bewusst. Es ist laut dem Nationalen Sicherheitsgesetz auch gefährlich, mit der ausländischen Presse zu reden.

Warum haben Sie sich entschieden, trotzdem ausländischen Medien Interviews zu geben?

Vielleicht bin ich naiv, aber ich glaube, dass es meine Verantwortung als Journalistin ist, weiter sichtbar über diese Dinge zu berichten. Andere haben damit aufgehört, weil sie zum Beispiel einen festen Job haben, mit dem sie ihre Kinder und ihre Familien ernähren müssen. Das ist bei mir nicht der Fall. Ich bin freie Journalistin und nur für mich selbst verantwortlich. Ich möchte nicht, dass die Menschen, die für mehr Demokratie gekämpft haben, aus dem kollektiven Bewusstsein gelöscht werden.

Sie finanzieren sich über Crowdfunding, und veröffentlichen vor allem auf Social-Media-Kanälen wie Facebook, wo sie mittlerweile 27.000 Follower haben. Ist ihre Vergangenheit bei Apple Daily da eher Segen oder Fluch?

Anfangs wollten viele Leute nicht mit mir sprechen, weil ich für Apple Daily gearbeitet habe. Mittlerweile ist es fast umgekehrt: Die Menschen öffnen sich, weil es nicht mehr viele Reporter gibt, die über pro-demokratische Themen berichten. Alle großen Zeitungen sind pro-establishment. Pressefreiheit ist keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern etwas, wofür man kämpfen muss. Die wenigen Journalisten, die noch berichten, halten eng zusammen. Es gibt keinen Wettbewerb mehr zwischen uns. Wir sitzen alle im selben Boot. 

Glauben Sie, dass die Proteste nach den Corona-Beschränkungen weitergehen werden? Außerhalb Hongkongs entsteht oft der Eindruck, dass es in der Stadt keine politische Gegenkultur mehr gibt.

Es gibt einen Kern der Unzufriedenheit und einen gesellschaftlichen Pessimismus, der sich nach wie vor entladen will. Ich weiß nicht wann und wie, aber diese Energie ist nach wie vor da, und sie baut sich kontinuierlich weiter auf. Nicht alle tun so, als wäre nichts passiert. 

Unter welchen Umständen würden Sie selbst Hongkong endgültig den Rücken kehren?

Momentan wird ein neues Gesetz zur Eindämmung von “Fake News” diskutiert. Die Definition, was eine Falschmeldung ist, und was nicht, liegt dann komplett bei der Regierung. Der Interpretationsspielraum ist groß. Darunter kann prinzipiell alles fallen. Das wäre der Zeitpunkt, an dem freie Berichterstattung überhaupt nicht mehr möglich ist. Dann werde auch ich nicht mehr arbeiten können. Was ich jedoch während der Proteste gelernt habe, ist: Sei wie Wasser, sei flexibel. Es macht keinen Sinn, zu verzweifeln und zusammenzubrechen. Wenn die Zeit kommt, werde ich entsprechend reagieren. Bis dahin mache ich einfach weiter meinen Job.

Shirley Leung, 39, arbeitete drei Jahre lang als Lokalreporterin für Apple Daily, die auflagenstärkste pro-demokratische Zeitung Hongkongs. Nach Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes durch Peking wurde das Blatt im Sommer eingestellt. Seitdem macht Leung als freie Journalistin weiter, etwa indem sie die Geschichten inhaftierter Aktivisten dokumentiert.

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    Neue Fragen nach Pengs Dementi

    Die chinesische Weltklasse-Tennisspielerin Peng Shuai hat sich von ihren Vergewaltigungsvorwürfen gegen den früheren Vize-Premierminister Zhang Gaoli distanziert. Eine rund vierminütige Videosequenz vom vergangenen Sonntag, die seit Wochenbeginn in sozialen Medien kursiert, zeigt die 35-Jährige im Gespräch mit einer Journalistin aus Singapur. Darin sagt Peng, sie habe “niemals geschrieben oder gesagt, dass mich jemand vergewaltigt hat”.

    Die Aussage ist das Gegenteil von dem, was seit Anfang November zum globalen Politikum eskalierte. Damals hatte Peng dem ehemaligen Regierungsmitglied Zhang über den Kurznachrichtendienst Weibo vorgeworfen, sie zum Sex gezwungen zu haben. Nach 30 Minuten war der Beitrag wieder gelöscht. Danach verschwand für mehrere Wochen auch die Athletin (China.Table berichtete). Zhang zählte als Mitglied im Ständigen Ausschuss des Politbüros bis 2017 zum innersten Machtzirkel der Kommunistischen Partei.

    “Dieser Post bei Weibo war eine private Angelegenheit. Darüber hat es wahrscheinlich schon einige Missverständnisse gegeben. Jegliche verzerrte Interpretation ist grundlos”, sagte Peng am Sonntag. Das mutmaßlich nicht geplante Interview war ihre erste öffentliche mündliche Äußerung zu den Geschehnissen. Zuvor waren lediglich schriftliche Stellungnahmen aufgetaucht, bei denen aber nicht klar war, ob Peng sie selbst formuliert hatte.

    Peng sagt, ihr Englisch sei nicht gut genug

    Sie bestätigte der Reporterin der Tageszeitung Lianhe Zaobao dagegen, dass sie es selbst gewesen sei, die einen Brief an den Chef des Frauentennis-Weltverbandes WTA, Steve Simon, geschrieben habe. Darin hatte Peng Simon gebeten, ihre Privatsphäre zu respektieren, nachdem der Funktionär mit Konsequenzen für den Tennis-Standort China gedroht und Aufklärung von den chinesischen Behörden gefordert hatte. Peng räumte ein, dass sie das besagte Schreiben in Chinesisch formuliert habe, ehe es ins Englische übersetzt worden sei. Ihr Englisch sei nicht ausreichend gut, begründete sie.

    Doch auch das neue Video ist für viele Skeptiker nicht überzeugend. Peng schaut sich teilweise nervös um, antwortet auf mehrere Fragen, sie habe nicht richtig verstanden und wählt im entscheidenden Abschnitt ihre Worte sehr langsam und bedacht. Der Tennis-Weltverband erklärte, die Aufnahmen hätten “die erheblichen Bedenken der WTA hinsichtlich ihres Wohlbefindens und ihrer Möglichkeiten, frei von Zensur oder Zwang zu kommunizieren, weder verringert noch ausgeräumt”.

    Anlass für die Zweifel ist die dokumentiert schlechte Historie der chinesischen Regierung im Umgang mit Dissidenten, Aktivisten oder Kritikern im eigenen Land. Die Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders verwies auf eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2018 mit dem Titel “Scripted and Staged”, die vergleichbare Fälle untersucht, in denen Beschuldigte erst verschwanden und nach ihrem Auftauchen öffentlich Abbitte leisteten.

    Safeguard-Direktor Peter Dahlin stellte zudem die Aussage Pengs infrage, ihre Fremdsprachenkenntnisse seien nicht gut genug, um dem WTA-Direktor auf Englisch schreiben zu können. Er postete ein Video einer Pressekonferenz, in dem die frühere Wimbledon-Siegerin im Doppel in fließendem Englisch auf die Fragen von Journalisten antwortet.

    Braucht es 47 Tage, um ein Missverständnis aufzuklären?

    Auch der Menschenrechtsanwalt Teng Biao, der einst im Gewahrsam durch chinesische Sicherheitsbehörden gefoltert wurde und heute in den USA im Exil lebt, bezweifelt, dass Pengs Aussagen auf Freiwilligkeit beruhen. Beim Kurznachrichtendienst Twitter schrieb er: “Seit 47 Tagen wird das Thema in der Welt diskutiert, niemand war in der Lage, Peng zu erreichen, außer die Partei und ihre Marionetten. Braucht es 47 Tage, um mitzuteilen, dass sie missverstanden worden ist?”

    Zumal Peng in dem Video, das in Shanghai am Rande einer Werbeveranstaltung für die Olympischen Winterspiele im Februar in Peking entstanden ist, behauptet, sie habe sich während der gesamten Zeit “frei bewegen” können. Es drängt sich also die Frage auf, weshalb sie nicht früher an die Öffentlichkeit getreten ist, um die Eskalation zu verhindern.

    Denn ihr Fall brachte bei zahlreichen westlichen Regierungen das Fass zum Überlaufen. Angeführt von den USA haben bereits knapp zwei Dutzend westliche Nationen angekündigt, keine Regierungsdelegation zu den Olympischen Spielen senden zu wollen.

    Global Times: Peng hat sich nie als Opfer gesehen

    Gleichzeitig hat die WTA alle ihre Turniere in der Volksrepublik und in Hongkong bis auf Weiteres ausgesetzt. Peng hätte also frühzeitig Schadensbegrenzung betreiben können, wenn sie sich tatsächlich frei bewegen und äußern konnte, wie sie es jetzt behauptet. Stattdessen verschärften sich die Spannungen zwischen China und vielen demokratischen Staaten, während sie schwieg.

    Wang Yaqiu von Human Rights Watch (HRW) bezweifelt sogar, dass das Interview mit der Journalistin aus Singapur ein Zufall war. “So traf Peng Shuai nach 48 Tagen unerwartet auf eine Journalistin einer pro-Pekinger Zeitung und beantwortete dann beiläufig ihre Fragen zu einem Ereignis, das internationale Aufmerksamkeit erregte. Wow, so natürlich, sehr echt, das glaubt jetzt jeder. Herzlichen Glückwunsch, KPC!”, schrieb Wang auf Twitter.

    Von staatlicher chinesischer Seite gab es dagegen den Versuch, die Glaubwürdigkeit von Pengs Aussagen zu untermauern. Der ehemalige Chefredakteur und jetzige Chef-Kolumnist der staatlichen Tageszeitung Global Times, Hu Xijin, behauptete, dass Peng es entschieden ablehne, von “sexuellen Übergriffen” zu sprechen, auch weil sie “bestritt, dass sie glaubte, sexuell missbraucht worden zu sein.” Hu forderte die “Außenwelt” auf, “ihre Grundeinstellung zu respektieren”. Im Klartext heißt das: Peng habe sich nie als Opfer von sexueller Gewalt gesehen, sondern Dritte hätten ihren Post lediglich falsch interpretiert.

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      News

      Chinatreue “Patrioten” gewinnen in Hongkong

      Bei der Parlamentswahl am Sonntag in Hongkong haben pro-Peking Kandidaten einen überwältigenden Sieg erreicht. 82 der 90 Parlamentssitze befinden sich nun in der Hand Peking-treuer Kräfte. Lediglich ein Sitz konnte von einem Peking-kritischen Kandidaten gewonnen werden.

      Aus Sicht von Beobachtern vor Ort war die erste Wahl seit der Niederschlagung der Demokratiebewegung allerdings eine Farce. Unter einem umstrittenen neuen Wahlsystem waren fast alle pro-demokratischen Vertreter ausgeschlossen worden. Antreten durften nur Peking-treue “Patrioten”. Aus Protest blieb deshalb die Mehrheit der Hongkonger der Wahl am Sonntag fern. Offiziellen Angaben zufolge gaben nur rund 30 Prozent der Stimmberechtigten ihre Stimme ab – etwa halb so viele wie bei der vorherigen Parlamentswahl im Jahr 2016. Bürgerrechtlern zufolge haben die Menschen in Hongkong mit der niedrigsten Wahlbeteiligung seit 1997 ein Zeichen gegen die Einschränkung der Demokratie durch China gesetzt.

      Gemäß dem neuen Wahlsystem wurden nur 20 der 90 Abgeordneten im Legislativrat direkt gewählt. Ganze 40 von ihnen wurden von einem Peking-treuen Wahlkomitee bestimmt, 30 weitere von ebenfalls der chinesischen Zentralregierung nahestehenden Interessengruppen. Alle 153 Kandidaten wurden zudem vor der Abstimmung auf ihren “Patriotismus” und ihre politische Loyalität gegenüber Peking hin überprüft (China.Table berichtete).

      Keine pro-demokratischen Kandidaten bei der Wahl in Hongkong

      Die größten pro-demokratischen Parteien hatten daraufhin keine Kandidaten aufgestellt. Dutzende prominente Oppositionelle – darunter viele, die bei der vorigen Wahl Sitze im Parlament gewonnen hatten – wurden wegen Verstößen gegen das sogenannte Nationale Sicherheitsgesetz inhaftiert oder von der Wahl ausgeschlossen.

      Ungeachtet dessen lobte Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam am Montag den Urnengang. “Fair, offen und ehrlich” sei der dieser gewesen, die ganze Breite der Gesellschaft sei im neuen Parlament repräsentiert. Kritik am Wahlsystem und der Vor-Auswahl der Kandidaten wies Lam zurück. Wenn 1,3 Millionen Menschen wählen, könne man nicht behaupten, es sei eine Wahl gewesen, die von den Bürger:innen nicht unterstützt werde. “Die Menschen benötigen noch Zeit, sich an das neue Wahlsystem zu gewöhnen”, meinte Lam.

      Einen ähnlichen Ton schlug am Montag auch Peking an. In dem Dokument “Hongkongs demokratischer Fortschritt im Rahmen von Ein Land, zwei Systeme” werden die Wahl und das neue Wahlsystem als ein verbessertes System gepriesen, welches die langfristige Entwicklung der Demokratie in Hongkong garantiere. Im Hinblick auf die Zukunft heißt es: “Die Zentralregierung wird die Demokratie in Hongkong entlang der Realitäten weiterentwickeln.” rad

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        Hongkong-Wahl “irrelevant und illegitim”

        Ehemalige Hongkonger Politiker interpretieren die geringe Beteiligung an der Parlamentswahl als klare Absage der Bürger:innen am wachsenden autoritären Einfluss der Volksrepublik China. Im Gespräch mit China.Table sagte der Aktivist Sunny Cheung, er halte das Fernbleiben vieler Wähler:innen für eine klare Botschaft, dass sie den Urnengang als reinen Schwindel bewerteten. Sie hätten diesem deshalb die Anerkennung verweigert. “Obwohl Peking die Wahlreform für Hongkong zum unvermeidbaren Mittel erklärt hat, um Stabilität und Wohlstand zu sichern, haben die Hongkonger am vergangenen Sonntag für die niedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte gesorgt, um damit gegenüber der Welt ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen”, sagte Cheung. Er hatte selbst im Juni 2020 als Kandidat des pro-demokratischen Lagers für den Legislativrat kandidiert. Später im Jahr aber floh er, um einer Verhaftung in Hongkong zu entgehen. Die Wahl fand erst jetzt statt – unter komplett veränderten Bedingungen.

        Die Wahlbeteiligung am Sonntag hatte auf dem historischen Tiefstand von rund 30 Prozent gelegen. Die Wahlrechtsform, die vom Nationalen Volkskongress in Peking im Frühjahr beschlossen worden war, hatte den Anteil frei wählbarer Parlamentarier drastisch reduziert. Nur 20 der 90 Abgeordneten im Legislativrat wurden nun noch direkt gewählt. 40 weitere wurden von einem pekingtreuen Wahlkomitee bestimmt. Der Rest kommt aus Interessengruppen, die der chinesischen Zentralregierung nahestehen. Alle 153 Kandidaten wurden zudem vor der Abstimmung auf ihren “Patriotismus” und ihre politische Loyalität gegenüber Peking überprüft (China.Table berichtete).

        Keine Demokraten bei der diesjährigen Wahl in Hongkong

        “Die Menschen in Hongkong waren sich darüber im Klaren, dass sie bei dieser Wahl nicht durch echte Demokraten vertreten sein würden. Deshalb haben sie sich geweigert, nach diesem Drehbuch mitzuspielen, nur um in Peking für gute Unterhaltung zu sorgen”, sagte Cheung. “In dieser falschen Legislative gibt es keine Autonomie und keine Legitimität.” Der 25-Jährige bezeichnet die Neubesetzung des Parlaments als Ansammlung politischer Marionetten und Jasagern. Schon seit den Regenschirm-Protesten 2014 war er in Hongkong politisch aktiv gewesen. Inzwischen lebt Cheung in den USA und tritt dort als Lobbyist für die Bewahrung freiheitlicher Bürgerrechte in Hongkong ein.

        Auch der frühere Parlamentarier Ted Hui betonte im Gespräch mit China.Table die mangelnde Glaubwürdigkeit des künftigen Legislativrates. “Die geringe Wahlbeteiligung ist eine deutliche Botschaft der Menschen: Die Wahl ist in ihren Augen irrelevant und illegitim. Die Mehrheit lehnte es ab, diesem Parlament Geltung zu verschaffen.” Auch Hui ist aus Hongkong geflohen und lebt heute in Australien (China.Table berichtete). grz

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          Abbau der “Säule der Schande” beginnt

          In Hongkong hat offenbar der Abriss einer politisch aufgeladenen Skulptur begonnen: Die “Säule der Schande” ist hinter gelben Bauplanen verschwunden. Bilder auf Sozialmedien zeigen, wie Arbeiter sich am Mittwochabend an dem acht Meter hohen Kunstwerk auf dem Geländer der University of Hong Kong zu schaffen machten. Die Säule erinnert an die blutige Niederschlagung von Protesten in Peking im Jahr 1989. Ihr Schöpfer, der dänische Künstler Jens Galschiøt, zeigte sich “entsetzt”. Er fordert Entschädigung für die Beschädigungen an dem Werk, an dem er Besitzrechte anmeldet. Es sei zudem “grotesk”, dass die Behörden den umstrittenen Abriss in der Weihnachtszeit vorantreiben, wenn weniger Proteste aus westlichen Ländern zu erwarten sind. Mehrere Länder hatten angeboten, die Skulptur nach einem Umzug aufzunehmen (China.Table berichtete). fin

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            Bloggerin Viya muss Milliarden-Strafe bezahlen

            Livestream-Verkäuferin Viya
            Livestream-Verkäuferin Viya

            Chinas “Königin des Livestreamings” muss wegen Steuerhinterziehung eine Geldstrafe in Millionen-Höhe bezahlen. Die Bloggerin Viya, die mit bürgerlichem Namen Huang Wei heißt, wurde zur Zahlung von 1,3 Milliarden Yuan (180 Millionen Euro) verurteilt, wie die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Chinas Steuerbehörden am Montag berichtete. Sie soll 2019 und 2020 unter anderem ihr Einkommen falsch angegeben haben. Die 36-Jährige entschuldigte sich öffentlich: “Es tut mir zutiefst leid, dass ich gegen die Steuergesetze und -vorschriften verstoßen habe”, erklärte sie dem Bericht zufolge auf Weibo. “Ich akzeptiere die Bestrafung durch das Finanzamt voll und ganz.”

            Zur Berühmtheit wurde Viya durch ihre Verkaufs-Livestreams auf der Plattform Taobao. Bei dem als Singles’ Day bekannten Online-Shopping-Tag im November verkaufte sie Medienberichten zufolge an nur einem Abend Produkte im Gesamtwert von 8,5 Milliarden Yuan.

            Viya ist lediglich der jüngste Fall eines öffentlich denunzierten Promis. Die Regierung in Peking geht derzeit nicht nur gegen Technologie-Firmen und Plattformen vor, sondern auch gegen Berühmtheiten, die sich nach Ansicht der KPCh nicht regelkonform verhalten (China.Table berichtete). Razzien wegen Steuerhinterziehung hatten bereits die Karriere anderer bekannter Persönlichkeiten der Unterhaltungsindustrie beendet. ari/rtr

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              Auch Prag will sich mit China anlegen

              Die neue Regierung Tschechiens schlägt gegenüber Peking einen offensiveren Weg ein als ihre Vorgängerin: Ministerpräsident Petr Fiala wählte für sein Kabinett den China-kritischen Jan Lipavský als Außenminister. Der 36-Jährige aus der tschechischen Piraten-Partei hatte die Volksrepublik vor seinem Amtsantritt Medienberichten zufolge bereits als “Gefahr für die Tschechische Republik” bezeichnet. Er betonte, dass die Außenpolitik seines Landes diese Gefahr “richtig widerspiegeln” müsse. Die Tschechische Republik habe in den jüngsten Verhandlungen mit Russland und China einige ihrer Prinzipien aufgegeben, fügte er hinzu. Ende Oktober versprach Lipavský, “eine erneuerte Menschenrechtstradition zu verfolgen” und gelobte “starke Zusammenarbeit auf EU- und NATO-Ebene”.

              Lipavský will zudem die Beziehungen zu Taiwan vertiefen. Taipeh sei “ein wichtiger Wirtschaftspartner der Tschechischen Republik, um ein Vielfaches wichtiger als die Volksrepublik China”, sagte der neue Außenminister den Berichten zufolge im Oktober. Tschechiens Staatschef Miloš Zeman hatte Vorbehalte gegenüber Lipavský als Außenminister, stimmte am Freitag aber seiner Ernennung zu. Zeman gilt Peking als freundlicher zugewandt und hat stets für die wirtschaftlichen Vorteile einer Zusammenarbeit mit China geworben. Tschechiens Verhältnis zu China hatte sich zuletzt zunehmend eingetrübt (China.Table berichtete). ari

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                China bei Taliban-Sanktionen gegen Ausnahmen

                Die Vetomächte China und Russland haben im UN-Sicherheitsrat “humanitäre Ausnahmen” auf Einzelfallbasis im Sanktionsregime gegen die radikalislamischen Taliban abgelehnt. Stein des Anstoßes für Peking und Moskau sei ein Absatz in dem von den USA eingebrachten Resolutionsentwurf gewesen, berichtet die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf Diplomaten. Dieser Absatz sollte es dem für die Afghanistan-Sanktionen verantwortlichen Komitee erlauben, bei konkretem Bedarf Ausnahmen von den Finanzsanktionen gegen die Taliban zu beschließen. China sei “grundsätzlich gegen Sanktionen” und damit auch gegen Mechanismen, die im Einzelfall Ausnahmeregelungen erlaubten, schreibt AFP.

                Die USA legten bereits einen geänderten Entwurf vor, der am heutigen Dienstag beschlossen werden soll. Darin heißt es nun, dass humanitäre Hilfe für die Dauer eines Jahres grundsätzlich nicht als Verstoß gegen die Sanktionen gegen Afghanistan gewertet werde. Dieser Entwurf gilt als Übergangsregelung.

                Seit 2015 gibt es die UN-Sanktionen gegen die Taliban. Diese erstrecken sich seit der Machtübernahme der Radikal-Islamisten im August auf ganz Afghanistan. Das Land steckt in einer schweren wirtschaftlichen und humanitären Krise und ist in hohem Maße auf ausländische Hilfen angewiesen. Die Hilfslieferungen wurden aber seit August stark zurückgefahren. Die UNO hat daher wiederholt vor einer humanitären Katastrophe in dem Land gewarnt. ck

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                  Hayrigul Niyaz – Eine von mehr als einer Million

                  Sie trug eine modische Brille, hatte dezent Lippenstift aufgetragen und blickte offensiv in die Kamera. Das war einer der letzten Eindrücke von Hayrigul Niyaz in den Sozialmedien, bevor sie verschwand. Sie war kurz davor von einem Auslandsstudium in der Türkei zurückgekehrt und hatte ein Reisebüro in Urumqi aufgemacht, der Hauptstadt der Autonomen Region Xinjiang. Der Aufenthalt in der Türkei war für die chinesischen Behörden offenbar Grund genug, sie festzunehmen. Polizisten tauchten bei ihr zu Hause auf und nahmen sie mit. Das war 2017.

                  Ihr Bruder Memeteli, der als Geflüchteter in Deutschland lebt, vermutet, dass sie in einem Gefängnis oder Internierungslager festgehalten wird. Auch der Rest der Familie hat keinen Kontakt zu ihr und weiß nichts über ihren Verbleib. Die Organisation Amnesty International setzt sich nun mit einer weltweiten Kampagne für die Freilassung von Hayrigul Niyaz ein.

                  Hayrigul Niyaz wurde in der Stadt Toksu am Rande der Wüste Taklamakan geboren und ist dort auch aufgewachsen. Anders als etwa in der Provinzhauptstadt Urumqi bilden die Uigur:innen dort noch die Mehrheit der Bevölkerung. Das ist der Regierung in Peking ein Dorn im Auge, weshalb sie den Zuzug von Han-Chinesen in die Region fördert. Niyaz zog es aber schon früh weg aus Toksu. Sie hat es in die große weite Welt geschafft: Zum Studium ging sie an die Marmara-Universität in Istanbul.

                  Die heute 35-jährige Hayrigul Niyaz gilt in ihrem Umfeld als fröhlicher Mensch. Sie reist gerne und fährt gerne Ski. Sie spricht neben Uigurisch und Mandarin auch Russisch, Englisch und Türkisch. Diese internationale Erfahrung wollte sie nutzen, als sie 2016 nach China zurückkehrte und in Urumqi ihr eigenes Business eröffnete.

                  Ein Beispiel für Willkür im Umgang mit den Uiguren

                  Ihr völliges Verschwinden beleuchtet nun die Ungerechtigkeiten des Polizeistaats in Xinjiang. “Wir sind typische Uiguren, Religion ist Teil unserer Identität, aber wir sind keine ultrareligiösen Menschen”, sagt Memeteli. Der Führung in Peking gehe es nicht um Religion, sagt er, sondern darum, die uigurische Identität auszulöschen.

                  Ziemlich sicher ist, dass Hayrigul Niyaz keinen Rechtsbeistand hat. Sie hat auch keinen Zugang zu Kommunikationswegen. Im April 2020 hat ihr Bruder mit Familienmitgliedern in Xinjiang gesprochen. Doch das Gespräch war von der Polizei arrangiert und überwacht. Als Memeteli sich weigerte, den Behörden zusätzliche Informationen zu seiner Schwester zu geben, reagierte diese mit Drohungen. Seitdem ist jeder Kontakt abgerissen – auch zu den anderen Familienmitgliedern.

                  So wie Hayrigul Niyaz und ihrer Familie ergeht es derzeit vielen Uiguren. Der UN-Menschenrechtsausschuss vermutet, dass die chinesischen Behörden in den vergangenen vier Jahren Hunderttausende Menschen zeitweise in Internierungs- und Umerziehungslagern festgehalten haben. Offizielle Zahlen gibt die chinesische Führung nicht bekannt. Die kommunistische Führung in Peking wirft offiziell nur einigen uigurischen Gruppen Separatismus und Terrorismus vor. Doch längst stehen rund zehn Millionen Uiguren in der Provinz Xinjiang unter Generalverdacht. Felix Lee

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                      Liebe Leserin, lieber Leser,

                      einen Wochentag früher als sonst finden Sie schon heute die neue Ausgabe von China.Table Human Rights in ihrem Postfach. Zu viel Relevantes hat sich in den vergangenen Tagen ereignet, sodass wir die angedachte Weihnachtspause lieber um ein paar Tage verkürzen wollten, statt auszusetzen.

                      Zum Beispiel hat Hongkong ein neues Parlament gewählt. Oder besser gesagt: Ein kleiner Teil der Stadt hat ein neues Parlament gewählt. Denn die meisten Hongkonger entschieden sich gegen ihre Teilnahme an dem Urnengang. Nur knapp jeder dritte Wahlberechtigte tat der Regierung den Gefallen, eine Abstimmung zu legitimieren, die im Kern entdemokratisiert worden ist. Mit ihrer Abwesenheit haben die Menschen ihre Mittel zum Protest gegen Pekings autokratische Übernahme der Metropole noch einmal ausgeschöpft. Wie sich die Atmosphäre in Hongkong seit der Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes verändert hat, schildert die ehemalige Reporterin der Tageszeitung Apple Daily, Shirley Leung, im Interview.

                      Abgesehen von ihren Aussagen ist es immer wieder beeindruckend, wie viel Mut Individuen in autoritären Staaten aufbringen, um sich dem ungleichen Kampf gegen einen übermächtigen Gegner zu stellen. Leungs Arbeit und ihre Bereitschaft, mit ausländischen Medien zu sprechen, sind ein Beispiel für solchen Mut.

                      Ein anderes lieferte die Tennisspielerin Peng Shuai mit ihren Vergewaltigungsvorwürfen gegen Ex-Vizepremier Zhang Gaoli. Dass sie ihre Aussagen von Anfang November inzwischen revidiert, werden Diktatur-Apologeten wie das Internationale Olympische Komitee als Bestätigung für ihren Schmusekurs mit Autokraten vermarkten. In Wahrheit ist Pengs seltsame Behauptung, alles sei nur ein Missverständnis, Ausdruck für die gnadenlose Brutalität chinesischer Sicherheitsbehörden. Pengs Angst vor der Vergeltung, die ihr und ihrer Familie droht, muss enorm sein.

                      Auch was Hayrigul Niyaz genau durchmacht, wissen wir nicht. Die Uigurin ist wohl inhaftiert worden, kurz nachdem sie 2017 von einem Auslandsaufenthalt in ihre Heimat zurückgekehrt war. Ihre Geschichte, die wir heute erzählen, ist ebenfalls nur ein Beispiel für Millionen anderer Fälle von Menschen in der Volksrepublik, die von heute auf morgen verschwinden. Manche nur kurz, andere für immer.

                      Ihr
                      Marcel Grzanna
                      Bild von Marcel  Grzanna

                      Analyse

                      “Für Pressefreiheit muss man kämpfen”

                      Shirley Leung berichtet über das Ende der Pressefreiheit in Hongkong.
                      Bis zur Schließung der Peking-kritischen Apple Daily harrte auch Reporterin Shirley Leung aus

                      Frau Leung, Sie sind eine der wenigen Journalist:innen in Hongkong, die pro-demokratischen Kräften noch eine Stimme geben. Mit welchen Gefühlen haben Sie die Parlamentswahl am vergangenen Sonntag verfolgt? 

                      Das war die erste Wahl, an der ich nicht teilgenommen habe, weder als Journalistin noch mit meiner Stimme als Wählerin. Ich sträube mich dagegen, diese Art von Wahl als echte, legitime Wahl anzuerkennen. Der beschränkte Kreis von Kandidaten bestand aus altbekannten Patrioten. Die Wahlbeteiligung war dementsprechend die niedrigste der Geschichte. 

                      Gab es keinen Kandidaten, der als Kompromiss vielleicht für Sie in Frage gekommen wäre?

                      Meine Wunschkandidaten sitzen alle im Gefängnis. Sehen Sie: Hongkong hat sich innerhalb eines Jahres komplett verändert. Die Wahlen sind ein deutliches Zeichen dafür. Die Medien berichten nicht mehr kritisch über Politik. Man findet als Journalist:in kaum noch Gesprächspartner, die offen sprechen wollen. Ein System von Checks and Balances existiert nicht mehr. Das ist nicht meine Idee von Demokratie.

                      Sie haben bis zur Schließung der Redaktion im Sommer 2021 für Apple Daily gearbeitet, die letzte große pro-demokratische Medien-Institution der Stadt. Wie haben Sie das Ende der Zeitung erlebt?

                      Ich war Senior-Reporterin bei Apple Daily und drei Jahre für die Lokalnachrichten verantwortlich. Nachdem das Nationale Sicherheitsgesetz verabschiedet wurde, stand die gesamte Redaktion unter Dauerstress. Wir wurden von allen Seiten angegriffen, regierungsfreundliche Medien brandmarkten uns als Kriminelle und behaupteten, wir würden Fake News verbreiten. Dann wurden unser Herausgeber, Jimmy Lai, und unsere beiden Chefredakteure verhaftet und unsere Redaktion zweimal von der Polizei durchsucht. Ab da haben wir jeden Tag damit gerechnet, dass die Regierung uns dicht macht. Wir gingen jeden Tag zur Arbeit, mit dem Gefühl, dass es der letzte sein könnte. Um die Mitarbeiter nicht weiter zu gefährden, hat der Vorstand den Betrieb schließlich eingestellt.

                      Hatten sie Angst, dass Sie selbst verhaftet werden könnten?

                      Gerüchte machten die Runde, dass einzelne Reporter und bestimmte Teams festgenommen werden sollen. Einige Mitarbeiter hatten deshalb bereits vorher die Kündigung eingereicht. Manche sind sogar ins Ausland geflüchtet. Ich habe mich jedoch immer relativ sicher gefühlt, weil ich im Vergleich zu anderen keine so sichtbare Journalistin war und bin. Aber die Dinge können sich schlagartig ändern. Es herrscht eine große Unsicherheit in der Stadt. Man weiß nicht, was morgen passiert. Man muss diese Angst aushalten, wenn man sich entscheidet, in Hongkong zu bleiben.

                      Woran arbeiten Sie gerade?

                      Ich stelle eine Serie über pro-demokratische Aktivistinnen und Demonstranten zusammen, die verhaftet und wieder entlassen wurden. Die meisten haben ein paar Monate bis zu einem Jahr im Gefängnis verbracht. Ich will ihre Geschichten erzählen: Wie hat sich ihr Leben verändert? Was hatte die Haft für einen Einfluss auf ihre Familien, ihr Studium, ihre Arbeit? Jede dieser Geschichten ist ein Puzzleteil eines größeren Narrativs, das erzählt und archiviert werden muss. Ganz praktisch können diese persönlichen Erfahrungen auch für Menschen wichtig sein, deren Verfahren noch laufen. Damit sie wissen, was im Gefängnis auf sie zukommt.

                      Viele Aktivisten sind ausgesprochen jung. Wie haben diese Menschen die Haft erlebt?

                      Die meisten kannten solche Orte vorher nur aus Filmen. Nun haben wir die Situation in Hongkong, dass viele junge Menschen mit Drogendealern und Mitgliedern der Triaden auf engstem Raum zusammenleben und sich in diese Hierarchie einfügen müssen. Die Kriminalisierung verändert natürlich auch das Selbstbild dieser Menschen.

                      Und die traditionellen Medien berichten nicht mehr über diese Dinge?

                      Artikel mit pro-demokratischem Fokus sind fast unmöglich geworden und kommen in der Mainstream-Presse kaum mehr vor. Man wird zynisch, wenn man heute als Journalist:in in Hongkong arbeitet. Keiner will mehr etwas sagen oder die Lage kommentieren. Wer auf Bewährung aus dem Gefängnis kommen will, muss sich verpflichten, nicht öffentlich über Politik zu sprechen. Die Menschen werden stummgeschaltet. Allen Hongkongern ist das bewusst. Es ist laut dem Nationalen Sicherheitsgesetz auch gefährlich, mit der ausländischen Presse zu reden.

                      Warum haben Sie sich entschieden, trotzdem ausländischen Medien Interviews zu geben?

                      Vielleicht bin ich naiv, aber ich glaube, dass es meine Verantwortung als Journalistin ist, weiter sichtbar über diese Dinge zu berichten. Andere haben damit aufgehört, weil sie zum Beispiel einen festen Job haben, mit dem sie ihre Kinder und ihre Familien ernähren müssen. Das ist bei mir nicht der Fall. Ich bin freie Journalistin und nur für mich selbst verantwortlich. Ich möchte nicht, dass die Menschen, die für mehr Demokratie gekämpft haben, aus dem kollektiven Bewusstsein gelöscht werden.

                      Sie finanzieren sich über Crowdfunding, und veröffentlichen vor allem auf Social-Media-Kanälen wie Facebook, wo sie mittlerweile 27.000 Follower haben. Ist ihre Vergangenheit bei Apple Daily da eher Segen oder Fluch?

                      Anfangs wollten viele Leute nicht mit mir sprechen, weil ich für Apple Daily gearbeitet habe. Mittlerweile ist es fast umgekehrt: Die Menschen öffnen sich, weil es nicht mehr viele Reporter gibt, die über pro-demokratische Themen berichten. Alle großen Zeitungen sind pro-establishment. Pressefreiheit ist keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern etwas, wofür man kämpfen muss. Die wenigen Journalisten, die noch berichten, halten eng zusammen. Es gibt keinen Wettbewerb mehr zwischen uns. Wir sitzen alle im selben Boot. 

                      Glauben Sie, dass die Proteste nach den Corona-Beschränkungen weitergehen werden? Außerhalb Hongkongs entsteht oft der Eindruck, dass es in der Stadt keine politische Gegenkultur mehr gibt.

                      Es gibt einen Kern der Unzufriedenheit und einen gesellschaftlichen Pessimismus, der sich nach wie vor entladen will. Ich weiß nicht wann und wie, aber diese Energie ist nach wie vor da, und sie baut sich kontinuierlich weiter auf. Nicht alle tun so, als wäre nichts passiert. 

                      Unter welchen Umständen würden Sie selbst Hongkong endgültig den Rücken kehren?

                      Momentan wird ein neues Gesetz zur Eindämmung von “Fake News” diskutiert. Die Definition, was eine Falschmeldung ist, und was nicht, liegt dann komplett bei der Regierung. Der Interpretationsspielraum ist groß. Darunter kann prinzipiell alles fallen. Das wäre der Zeitpunkt, an dem freie Berichterstattung überhaupt nicht mehr möglich ist. Dann werde auch ich nicht mehr arbeiten können. Was ich jedoch während der Proteste gelernt habe, ist: Sei wie Wasser, sei flexibel. Es macht keinen Sinn, zu verzweifeln und zusammenzubrechen. Wenn die Zeit kommt, werde ich entsprechend reagieren. Bis dahin mache ich einfach weiter meinen Job.

                      Shirley Leung, 39, arbeitete drei Jahre lang als Lokalreporterin für Apple Daily, die auflagenstärkste pro-demokratische Zeitung Hongkongs. Nach Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes durch Peking wurde das Blatt im Sommer eingestellt. Seitdem macht Leung als freie Journalistin weiter, etwa indem sie die Geschichten inhaftierter Aktivisten dokumentiert.

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                        Neue Fragen nach Pengs Dementi

                        Die chinesische Weltklasse-Tennisspielerin Peng Shuai hat sich von ihren Vergewaltigungsvorwürfen gegen den früheren Vize-Premierminister Zhang Gaoli distanziert. Eine rund vierminütige Videosequenz vom vergangenen Sonntag, die seit Wochenbeginn in sozialen Medien kursiert, zeigt die 35-Jährige im Gespräch mit einer Journalistin aus Singapur. Darin sagt Peng, sie habe “niemals geschrieben oder gesagt, dass mich jemand vergewaltigt hat”.

                        Die Aussage ist das Gegenteil von dem, was seit Anfang November zum globalen Politikum eskalierte. Damals hatte Peng dem ehemaligen Regierungsmitglied Zhang über den Kurznachrichtendienst Weibo vorgeworfen, sie zum Sex gezwungen zu haben. Nach 30 Minuten war der Beitrag wieder gelöscht. Danach verschwand für mehrere Wochen auch die Athletin (China.Table berichtete). Zhang zählte als Mitglied im Ständigen Ausschuss des Politbüros bis 2017 zum innersten Machtzirkel der Kommunistischen Partei.

                        “Dieser Post bei Weibo war eine private Angelegenheit. Darüber hat es wahrscheinlich schon einige Missverständnisse gegeben. Jegliche verzerrte Interpretation ist grundlos”, sagte Peng am Sonntag. Das mutmaßlich nicht geplante Interview war ihre erste öffentliche mündliche Äußerung zu den Geschehnissen. Zuvor waren lediglich schriftliche Stellungnahmen aufgetaucht, bei denen aber nicht klar war, ob Peng sie selbst formuliert hatte.

                        Peng sagt, ihr Englisch sei nicht gut genug

                        Sie bestätigte der Reporterin der Tageszeitung Lianhe Zaobao dagegen, dass sie es selbst gewesen sei, die einen Brief an den Chef des Frauentennis-Weltverbandes WTA, Steve Simon, geschrieben habe. Darin hatte Peng Simon gebeten, ihre Privatsphäre zu respektieren, nachdem der Funktionär mit Konsequenzen für den Tennis-Standort China gedroht und Aufklärung von den chinesischen Behörden gefordert hatte. Peng räumte ein, dass sie das besagte Schreiben in Chinesisch formuliert habe, ehe es ins Englische übersetzt worden sei. Ihr Englisch sei nicht ausreichend gut, begründete sie.

                        Doch auch das neue Video ist für viele Skeptiker nicht überzeugend. Peng schaut sich teilweise nervös um, antwortet auf mehrere Fragen, sie habe nicht richtig verstanden und wählt im entscheidenden Abschnitt ihre Worte sehr langsam und bedacht. Der Tennis-Weltverband erklärte, die Aufnahmen hätten “die erheblichen Bedenken der WTA hinsichtlich ihres Wohlbefindens und ihrer Möglichkeiten, frei von Zensur oder Zwang zu kommunizieren, weder verringert noch ausgeräumt”.

                        Anlass für die Zweifel ist die dokumentiert schlechte Historie der chinesischen Regierung im Umgang mit Dissidenten, Aktivisten oder Kritikern im eigenen Land. Die Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders verwies auf eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2018 mit dem Titel “Scripted and Staged”, die vergleichbare Fälle untersucht, in denen Beschuldigte erst verschwanden und nach ihrem Auftauchen öffentlich Abbitte leisteten.

                        Safeguard-Direktor Peter Dahlin stellte zudem die Aussage Pengs infrage, ihre Fremdsprachenkenntnisse seien nicht gut genug, um dem WTA-Direktor auf Englisch schreiben zu können. Er postete ein Video einer Pressekonferenz, in dem die frühere Wimbledon-Siegerin im Doppel in fließendem Englisch auf die Fragen von Journalisten antwortet.

                        Braucht es 47 Tage, um ein Missverständnis aufzuklären?

                        Auch der Menschenrechtsanwalt Teng Biao, der einst im Gewahrsam durch chinesische Sicherheitsbehörden gefoltert wurde und heute in den USA im Exil lebt, bezweifelt, dass Pengs Aussagen auf Freiwilligkeit beruhen. Beim Kurznachrichtendienst Twitter schrieb er: “Seit 47 Tagen wird das Thema in der Welt diskutiert, niemand war in der Lage, Peng zu erreichen, außer die Partei und ihre Marionetten. Braucht es 47 Tage, um mitzuteilen, dass sie missverstanden worden ist?”

                        Zumal Peng in dem Video, das in Shanghai am Rande einer Werbeveranstaltung für die Olympischen Winterspiele im Februar in Peking entstanden ist, behauptet, sie habe sich während der gesamten Zeit “frei bewegen” können. Es drängt sich also die Frage auf, weshalb sie nicht früher an die Öffentlichkeit getreten ist, um die Eskalation zu verhindern.

                        Denn ihr Fall brachte bei zahlreichen westlichen Regierungen das Fass zum Überlaufen. Angeführt von den USA haben bereits knapp zwei Dutzend westliche Nationen angekündigt, keine Regierungsdelegation zu den Olympischen Spielen senden zu wollen.

                        Global Times: Peng hat sich nie als Opfer gesehen

                        Gleichzeitig hat die WTA alle ihre Turniere in der Volksrepublik und in Hongkong bis auf Weiteres ausgesetzt. Peng hätte also frühzeitig Schadensbegrenzung betreiben können, wenn sie sich tatsächlich frei bewegen und äußern konnte, wie sie es jetzt behauptet. Stattdessen verschärften sich die Spannungen zwischen China und vielen demokratischen Staaten, während sie schwieg.

                        Wang Yaqiu von Human Rights Watch (HRW) bezweifelt sogar, dass das Interview mit der Journalistin aus Singapur ein Zufall war. “So traf Peng Shuai nach 48 Tagen unerwartet auf eine Journalistin einer pro-Pekinger Zeitung und beantwortete dann beiläufig ihre Fragen zu einem Ereignis, das internationale Aufmerksamkeit erregte. Wow, so natürlich, sehr echt, das glaubt jetzt jeder. Herzlichen Glückwunsch, KPC!”, schrieb Wang auf Twitter.

                        Von staatlicher chinesischer Seite gab es dagegen den Versuch, die Glaubwürdigkeit von Pengs Aussagen zu untermauern. Der ehemalige Chefredakteur und jetzige Chef-Kolumnist der staatlichen Tageszeitung Global Times, Hu Xijin, behauptete, dass Peng es entschieden ablehne, von “sexuellen Übergriffen” zu sprechen, auch weil sie “bestritt, dass sie glaubte, sexuell missbraucht worden zu sein.” Hu forderte die “Außenwelt” auf, “ihre Grundeinstellung zu respektieren”. Im Klartext heißt das: Peng habe sich nie als Opfer von sexueller Gewalt gesehen, sondern Dritte hätten ihren Post lediglich falsch interpretiert.

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                          News

                          Chinatreue “Patrioten” gewinnen in Hongkong

                          Bei der Parlamentswahl am Sonntag in Hongkong haben pro-Peking Kandidaten einen überwältigenden Sieg erreicht. 82 der 90 Parlamentssitze befinden sich nun in der Hand Peking-treuer Kräfte. Lediglich ein Sitz konnte von einem Peking-kritischen Kandidaten gewonnen werden.

                          Aus Sicht von Beobachtern vor Ort war die erste Wahl seit der Niederschlagung der Demokratiebewegung allerdings eine Farce. Unter einem umstrittenen neuen Wahlsystem waren fast alle pro-demokratischen Vertreter ausgeschlossen worden. Antreten durften nur Peking-treue “Patrioten”. Aus Protest blieb deshalb die Mehrheit der Hongkonger der Wahl am Sonntag fern. Offiziellen Angaben zufolge gaben nur rund 30 Prozent der Stimmberechtigten ihre Stimme ab – etwa halb so viele wie bei der vorherigen Parlamentswahl im Jahr 2016. Bürgerrechtlern zufolge haben die Menschen in Hongkong mit der niedrigsten Wahlbeteiligung seit 1997 ein Zeichen gegen die Einschränkung der Demokratie durch China gesetzt.

                          Gemäß dem neuen Wahlsystem wurden nur 20 der 90 Abgeordneten im Legislativrat direkt gewählt. Ganze 40 von ihnen wurden von einem Peking-treuen Wahlkomitee bestimmt, 30 weitere von ebenfalls der chinesischen Zentralregierung nahestehenden Interessengruppen. Alle 153 Kandidaten wurden zudem vor der Abstimmung auf ihren “Patriotismus” und ihre politische Loyalität gegenüber Peking hin überprüft (China.Table berichtete).

                          Keine pro-demokratischen Kandidaten bei der Wahl in Hongkong

                          Die größten pro-demokratischen Parteien hatten daraufhin keine Kandidaten aufgestellt. Dutzende prominente Oppositionelle – darunter viele, die bei der vorigen Wahl Sitze im Parlament gewonnen hatten – wurden wegen Verstößen gegen das sogenannte Nationale Sicherheitsgesetz inhaftiert oder von der Wahl ausgeschlossen.

                          Ungeachtet dessen lobte Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam am Montag den Urnengang. “Fair, offen und ehrlich” sei der dieser gewesen, die ganze Breite der Gesellschaft sei im neuen Parlament repräsentiert. Kritik am Wahlsystem und der Vor-Auswahl der Kandidaten wies Lam zurück. Wenn 1,3 Millionen Menschen wählen, könne man nicht behaupten, es sei eine Wahl gewesen, die von den Bürger:innen nicht unterstützt werde. “Die Menschen benötigen noch Zeit, sich an das neue Wahlsystem zu gewöhnen”, meinte Lam.

                          Einen ähnlichen Ton schlug am Montag auch Peking an. In dem Dokument “Hongkongs demokratischer Fortschritt im Rahmen von Ein Land, zwei Systeme” werden die Wahl und das neue Wahlsystem als ein verbessertes System gepriesen, welches die langfristige Entwicklung der Demokratie in Hongkong garantiere. Im Hinblick auf die Zukunft heißt es: “Die Zentralregierung wird die Demokratie in Hongkong entlang der Realitäten weiterentwickeln.” rad

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                            Hongkong-Wahl “irrelevant und illegitim”

                            Ehemalige Hongkonger Politiker interpretieren die geringe Beteiligung an der Parlamentswahl als klare Absage der Bürger:innen am wachsenden autoritären Einfluss der Volksrepublik China. Im Gespräch mit China.Table sagte der Aktivist Sunny Cheung, er halte das Fernbleiben vieler Wähler:innen für eine klare Botschaft, dass sie den Urnengang als reinen Schwindel bewerteten. Sie hätten diesem deshalb die Anerkennung verweigert. “Obwohl Peking die Wahlreform für Hongkong zum unvermeidbaren Mittel erklärt hat, um Stabilität und Wohlstand zu sichern, haben die Hongkonger am vergangenen Sonntag für die niedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte gesorgt, um damit gegenüber der Welt ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen”, sagte Cheung. Er hatte selbst im Juni 2020 als Kandidat des pro-demokratischen Lagers für den Legislativrat kandidiert. Später im Jahr aber floh er, um einer Verhaftung in Hongkong zu entgehen. Die Wahl fand erst jetzt statt – unter komplett veränderten Bedingungen.

                            Die Wahlbeteiligung am Sonntag hatte auf dem historischen Tiefstand von rund 30 Prozent gelegen. Die Wahlrechtsform, die vom Nationalen Volkskongress in Peking im Frühjahr beschlossen worden war, hatte den Anteil frei wählbarer Parlamentarier drastisch reduziert. Nur 20 der 90 Abgeordneten im Legislativrat wurden nun noch direkt gewählt. 40 weitere wurden von einem pekingtreuen Wahlkomitee bestimmt. Der Rest kommt aus Interessengruppen, die der chinesischen Zentralregierung nahestehen. Alle 153 Kandidaten wurden zudem vor der Abstimmung auf ihren “Patriotismus” und ihre politische Loyalität gegenüber Peking überprüft (China.Table berichtete).

                            Keine Demokraten bei der diesjährigen Wahl in Hongkong

                            “Die Menschen in Hongkong waren sich darüber im Klaren, dass sie bei dieser Wahl nicht durch echte Demokraten vertreten sein würden. Deshalb haben sie sich geweigert, nach diesem Drehbuch mitzuspielen, nur um in Peking für gute Unterhaltung zu sorgen”, sagte Cheung. “In dieser falschen Legislative gibt es keine Autonomie und keine Legitimität.” Der 25-Jährige bezeichnet die Neubesetzung des Parlaments als Ansammlung politischer Marionetten und Jasagern. Schon seit den Regenschirm-Protesten 2014 war er in Hongkong politisch aktiv gewesen. Inzwischen lebt Cheung in den USA und tritt dort als Lobbyist für die Bewahrung freiheitlicher Bürgerrechte in Hongkong ein.

                            Auch der frühere Parlamentarier Ted Hui betonte im Gespräch mit China.Table die mangelnde Glaubwürdigkeit des künftigen Legislativrates. “Die geringe Wahlbeteiligung ist eine deutliche Botschaft der Menschen: Die Wahl ist in ihren Augen irrelevant und illegitim. Die Mehrheit lehnte es ab, diesem Parlament Geltung zu verschaffen.” Auch Hui ist aus Hongkong geflohen und lebt heute in Australien (China.Table berichtete). grz

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                              In Hongkong hat offenbar der Abriss einer politisch aufgeladenen Skulptur begonnen: Die “Säule der Schande” ist hinter gelben Bauplanen verschwunden. Bilder auf Sozialmedien zeigen, wie Arbeiter sich am Mittwochabend an dem acht Meter hohen Kunstwerk auf dem Geländer der University of Hong Kong zu schaffen machten. Die Säule erinnert an die blutige Niederschlagung von Protesten in Peking im Jahr 1989. Ihr Schöpfer, der dänische Künstler Jens Galschiøt, zeigte sich “entsetzt”. Er fordert Entschädigung für die Beschädigungen an dem Werk, an dem er Besitzrechte anmeldet. Es sei zudem “grotesk”, dass die Behörden den umstrittenen Abriss in der Weihnachtszeit vorantreiben, wenn weniger Proteste aus westlichen Ländern zu erwarten sind. Mehrere Länder hatten angeboten, die Skulptur nach einem Umzug aufzunehmen (China.Table berichtete). fin

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                                Bloggerin Viya muss Milliarden-Strafe bezahlen

                                Livestream-Verkäuferin Viya
                                Livestream-Verkäuferin Viya

                                Chinas “Königin des Livestreamings” muss wegen Steuerhinterziehung eine Geldstrafe in Millionen-Höhe bezahlen. Die Bloggerin Viya, die mit bürgerlichem Namen Huang Wei heißt, wurde zur Zahlung von 1,3 Milliarden Yuan (180 Millionen Euro) verurteilt, wie die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Chinas Steuerbehörden am Montag berichtete. Sie soll 2019 und 2020 unter anderem ihr Einkommen falsch angegeben haben. Die 36-Jährige entschuldigte sich öffentlich: “Es tut mir zutiefst leid, dass ich gegen die Steuergesetze und -vorschriften verstoßen habe”, erklärte sie dem Bericht zufolge auf Weibo. “Ich akzeptiere die Bestrafung durch das Finanzamt voll und ganz.”

                                Zur Berühmtheit wurde Viya durch ihre Verkaufs-Livestreams auf der Plattform Taobao. Bei dem als Singles’ Day bekannten Online-Shopping-Tag im November verkaufte sie Medienberichten zufolge an nur einem Abend Produkte im Gesamtwert von 8,5 Milliarden Yuan.

                                Viya ist lediglich der jüngste Fall eines öffentlich denunzierten Promis. Die Regierung in Peking geht derzeit nicht nur gegen Technologie-Firmen und Plattformen vor, sondern auch gegen Berühmtheiten, die sich nach Ansicht der KPCh nicht regelkonform verhalten (China.Table berichtete). Razzien wegen Steuerhinterziehung hatten bereits die Karriere anderer bekannter Persönlichkeiten der Unterhaltungsindustrie beendet. ari/rtr

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                                  Auch Prag will sich mit China anlegen

                                  Die neue Regierung Tschechiens schlägt gegenüber Peking einen offensiveren Weg ein als ihre Vorgängerin: Ministerpräsident Petr Fiala wählte für sein Kabinett den China-kritischen Jan Lipavský als Außenminister. Der 36-Jährige aus der tschechischen Piraten-Partei hatte die Volksrepublik vor seinem Amtsantritt Medienberichten zufolge bereits als “Gefahr für die Tschechische Republik” bezeichnet. Er betonte, dass die Außenpolitik seines Landes diese Gefahr “richtig widerspiegeln” müsse. Die Tschechische Republik habe in den jüngsten Verhandlungen mit Russland und China einige ihrer Prinzipien aufgegeben, fügte er hinzu. Ende Oktober versprach Lipavský, “eine erneuerte Menschenrechtstradition zu verfolgen” und gelobte “starke Zusammenarbeit auf EU- und NATO-Ebene”.

                                  Lipavský will zudem die Beziehungen zu Taiwan vertiefen. Taipeh sei “ein wichtiger Wirtschaftspartner der Tschechischen Republik, um ein Vielfaches wichtiger als die Volksrepublik China”, sagte der neue Außenminister den Berichten zufolge im Oktober. Tschechiens Staatschef Miloš Zeman hatte Vorbehalte gegenüber Lipavský als Außenminister, stimmte am Freitag aber seiner Ernennung zu. Zeman gilt Peking als freundlicher zugewandt und hat stets für die wirtschaftlichen Vorteile einer Zusammenarbeit mit China geworben. Tschechiens Verhältnis zu China hatte sich zuletzt zunehmend eingetrübt (China.Table berichtete). ari

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                                    China bei Taliban-Sanktionen gegen Ausnahmen

                                    Die Vetomächte China und Russland haben im UN-Sicherheitsrat “humanitäre Ausnahmen” auf Einzelfallbasis im Sanktionsregime gegen die radikalislamischen Taliban abgelehnt. Stein des Anstoßes für Peking und Moskau sei ein Absatz in dem von den USA eingebrachten Resolutionsentwurf gewesen, berichtet die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf Diplomaten. Dieser Absatz sollte es dem für die Afghanistan-Sanktionen verantwortlichen Komitee erlauben, bei konkretem Bedarf Ausnahmen von den Finanzsanktionen gegen die Taliban zu beschließen. China sei “grundsätzlich gegen Sanktionen” und damit auch gegen Mechanismen, die im Einzelfall Ausnahmeregelungen erlaubten, schreibt AFP.

                                    Die USA legten bereits einen geänderten Entwurf vor, der am heutigen Dienstag beschlossen werden soll. Darin heißt es nun, dass humanitäre Hilfe für die Dauer eines Jahres grundsätzlich nicht als Verstoß gegen die Sanktionen gegen Afghanistan gewertet werde. Dieser Entwurf gilt als Übergangsregelung.

                                    Seit 2015 gibt es die UN-Sanktionen gegen die Taliban. Diese erstrecken sich seit der Machtübernahme der Radikal-Islamisten im August auf ganz Afghanistan. Das Land steckt in einer schweren wirtschaftlichen und humanitären Krise und ist in hohem Maße auf ausländische Hilfen angewiesen. Die Hilfslieferungen wurden aber seit August stark zurückgefahren. Die UNO hat daher wiederholt vor einer humanitären Katastrophe in dem Land gewarnt. ck

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                                      Hayrigul Niyaz – Eine von mehr als einer Million

                                      Sie trug eine modische Brille, hatte dezent Lippenstift aufgetragen und blickte offensiv in die Kamera. Das war einer der letzten Eindrücke von Hayrigul Niyaz in den Sozialmedien, bevor sie verschwand. Sie war kurz davor von einem Auslandsstudium in der Türkei zurückgekehrt und hatte ein Reisebüro in Urumqi aufgemacht, der Hauptstadt der Autonomen Region Xinjiang. Der Aufenthalt in der Türkei war für die chinesischen Behörden offenbar Grund genug, sie festzunehmen. Polizisten tauchten bei ihr zu Hause auf und nahmen sie mit. Das war 2017.

                                      Ihr Bruder Memeteli, der als Geflüchteter in Deutschland lebt, vermutet, dass sie in einem Gefängnis oder Internierungslager festgehalten wird. Auch der Rest der Familie hat keinen Kontakt zu ihr und weiß nichts über ihren Verbleib. Die Organisation Amnesty International setzt sich nun mit einer weltweiten Kampagne für die Freilassung von Hayrigul Niyaz ein.

                                      Hayrigul Niyaz wurde in der Stadt Toksu am Rande der Wüste Taklamakan geboren und ist dort auch aufgewachsen. Anders als etwa in der Provinzhauptstadt Urumqi bilden die Uigur:innen dort noch die Mehrheit der Bevölkerung. Das ist der Regierung in Peking ein Dorn im Auge, weshalb sie den Zuzug von Han-Chinesen in die Region fördert. Niyaz zog es aber schon früh weg aus Toksu. Sie hat es in die große weite Welt geschafft: Zum Studium ging sie an die Marmara-Universität in Istanbul.

                                      Die heute 35-jährige Hayrigul Niyaz gilt in ihrem Umfeld als fröhlicher Mensch. Sie reist gerne und fährt gerne Ski. Sie spricht neben Uigurisch und Mandarin auch Russisch, Englisch und Türkisch. Diese internationale Erfahrung wollte sie nutzen, als sie 2016 nach China zurückkehrte und in Urumqi ihr eigenes Business eröffnete.

                                      Ein Beispiel für Willkür im Umgang mit den Uiguren

                                      Ihr völliges Verschwinden beleuchtet nun die Ungerechtigkeiten des Polizeistaats in Xinjiang. “Wir sind typische Uiguren, Religion ist Teil unserer Identität, aber wir sind keine ultrareligiösen Menschen”, sagt Memeteli. Der Führung in Peking gehe es nicht um Religion, sagt er, sondern darum, die uigurische Identität auszulöschen.

                                      Ziemlich sicher ist, dass Hayrigul Niyaz keinen Rechtsbeistand hat. Sie hat auch keinen Zugang zu Kommunikationswegen. Im April 2020 hat ihr Bruder mit Familienmitgliedern in Xinjiang gesprochen. Doch das Gespräch war von der Polizei arrangiert und überwacht. Als Memeteli sich weigerte, den Behörden zusätzliche Informationen zu seiner Schwester zu geben, reagierte diese mit Drohungen. Seitdem ist jeder Kontakt abgerissen – auch zu den anderen Familienmitgliedern.

                                      So wie Hayrigul Niyaz und ihrer Familie ergeht es derzeit vielen Uiguren. Der UN-Menschenrechtsausschuss vermutet, dass die chinesischen Behörden in den vergangenen vier Jahren Hunderttausende Menschen zeitweise in Internierungs- und Umerziehungslagern festgehalten haben. Offizielle Zahlen gibt die chinesische Führung nicht bekannt. Die kommunistische Führung in Peking wirft offiziell nur einigen uigurischen Gruppen Separatismus und Terrorismus vor. Doch längst stehen rund zehn Millionen Uiguren in der Provinz Xinjiang unter Generalverdacht. Felix Lee

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