Table.Briefing: China

China-Politik nach der Wahl + Freilassung Meng Wanzhous

  • Nach der Wahl: Deutschlands China-Politik vor der Wende?
  • Chinesischsprachige Mitbürger blicken auf den Urnengang
  • Geiseltausch: Huawei-Finanzchefin gegen zwei Kanadier
  • Deutschland prüft Litauens Smartphone-Warnung
  • Josep Borrell und Wang Yi: Gespräche am Dienstag
  • Britisches Atomprojekt wohl ohne China
  • Quad: USA puscht weiteres Bündnis ohne EU
  • HNA-Führungspitze festgenommen
  • Aus für Krypto-Währungen
  • Standpunkt: Xi droht doch noch an Korruption zu scheitern
  • Zur Sprache: Fannudeln folgen Influencern
Liebe Leserin, lieber Leser,

es ist geschafft, eine lange Wahlnacht liegt hinter uns – mit dem erwarteten knappen Ergebnis. Nun beginnt das Warten auf die Bildung einer neuen Regierung. Bis wir die Grundzüge einer neuen Außen- und China-Politik Deutschlands erfahren, werden Wochen oder sogar Monate vergehen. Dazu brachte auch die sogenannte Elefantenrunde am Wahlabend keine Klarheit. Die meisten Experten im Ausland erwarten allerdings eine härtere Linie gegenüber China, egal welche Couleur die neue Regierung hat. Peking, Brüssel und Washington dürften gespannt sein auf die Koalitionsverhandlungen. Finn Mayer-Kuckuk analysiert auf Grundlage unserer Gespräche mit Außenpolitikern aller Fraktionen noch einmal die potenziellen Auswirkungen möglicher Szenarien auf wichtige Elemente der China-Politik.

Falls Sie Interesse an einem Dossier mit allen unseren acht Gesprächen mit den maßgeblichen Außenpolitikern der Parteien haben, schreiben Sie uns eine Mail an china@table.media. Darin finden sich unter anderem Interviews mit Nils Schmid, dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, dem stellvertretenden Parlamentspräsidenten Hans-Peter Friedrich von der CSU und der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock.

Marcel Grzanna hat derweil bei der chinesischsprachigen Gemeinde in Deutschland nachgefragt, welche China-Politik die Menschen sich von einer neuen Bundesregierung erhoffen. Er bekam ganz unterschiedliche Erwartungen zu hören – je nach Herkunft der Befragten.

Doch an diesem Wochenende stand nicht nur die deutsche Bundestagswahl statt – es gab auch eine Fülle wichtiger China-Nachrichten. Seien Sie daher vorgewarnt: Die heutige Ausgabe des China.Table ist prall gefüllt damit.

So analysieren Fabian Kretschmer, Frank Sieren und Amelie Richter das plötzliche Ende der diplomatischen Krise zwischen China, den USA und Kanada um den Hausarrest der Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou und die Inhaftierung zweier Kanadier in China. Außerdem geht es heute zum Beispiel um britische Atomkraftwerke ohne China, amerikansiche Sicherheitsbündnisse im Indo-Pazifik und Sicherheitsbedenken aus Litauen bei Smartphones chinesischer Marken.

Eine spannende Lektüre wünscht

Ihre
Christiane Kühl
Bild von Christiane  Kühl

Analyse

Nach der Wahl: Deutschlands China-Politik vor der Wende?

Die Außen- und Handelspolitik hat im zurückliegenden Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Doch das Verhältnis zu EU, USA und China wird das Leben der Bundesbürger in den kommenden Jahren konkret beeinflussen. Über die Fragen von Wettbewerbsfähigkeit und Marktzugang beeinflusst die Handelspolitik das Geschäft von Mittelstand und Großunternehmen gleichermaßen.

Die deutschen Parteien sind sich glücklicherweise in einem Punkt einig: China ist kein weit entfernter Absatzmarkt mehr, sondern Rivale, Konkurrent und Partner zugleich. Doch in der Frage nach den besten Antworten auf diese neuen Herausforderungen finden sich in den Aussagen der Parteien unterschiedliche Konzepte. Zugleich wirkt der Verweis auf die EU zunehmend unbefriedigend, weil diese eben nicht mit einer Stimme spricht.

CAI: Das auch unter den Parteien umstrittene Investitionsabkommen

Beispielhaft dafür ist der Umgang mit dem Investitionsabkommen CAI. Die scheidende Bundesregierung hat seinen Abschluss im vergangenen Jahr vorangetrieben. Die scheidende Kanzlerin Angela Merkel macht keinen Hehl daraus, dass sie es für sinnvoll hält: CAI verpflichtet China zu mehr Ehrlichkeit bei der Marktöffnung. Doch das Abkommen wurde auch zum Symbol für vermeintlich zu nachgiebige China-Politik ihrer Regierung.

Die beiden Oppositionsparteien mit sehr guter Chance auf Regierungsbeteiligung, die FDP und die Grünen, lehnen eine Wiederbelebung des CAI nun in ihren Programmen ab, was deren Vertreter auch im Gespräch mit dem China.Table bestätigen. CDU/CSU und SPD bleiben dagegen eher vage und scheinen ebenfalls nicht mehr hinter dem Vertrag zu stehen, den sie als Regierungskoalition selbst geprägt haben.

Die Königsmacher FDP und Grüne: China-kritischer denn je

Dabei wäre eine Kombination aus Union, Grünen und FDP durchaus eine Wunschkoalition für manches Unternehmen. Der deutsche Mittelstand hofft laut Umfragen jedenfalls auf eine Jamaika-Koalition. Jamaika wäre derzeit auch die Wunschkonstellation von FDP und CDU. Stark sozialpolitisch orientierte Wählerinnen und Wähler könnten auch die Ampel aus SPD, Grünen und FDP wünschen. Grüne und FDP können sich dementsprechend aussuchen, ob sie lieber den Kandidaten der SPD oder den der CDU ins Kanzleramt wählen. Den zwei mittelgroßen Parteien kommt daher in den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen eine strategisch wichtige Position zu.

Grünen und FDP ist etwas gemeinsam: Sie gehen in ihren Programmen und Äußerungen besonders kritisch mit China um. Während CDU und CSU sich in eher allgemeinen Worten zur Außenpolitik äußern, und die SPD sich von ihrer Rolle als Regierungspartei nur wenig glaubwürdig absetzen kann, profilieren sich Grüne und FDP mit deutlichen Forderungen.

“Die Wahlprogramme der derzeitigen Oppositionsparteien FDP und Grüne sind in ihren Aussagen zu China insgesamt ausführlicher und vielfach konkreter und auch kritischer als die der derzeitigen Regierungsparteien CDU/CSU und SPD”, schreibt auch das Wirtschaftsforschungsinstitut IfW Kiel. “Dies könnte darauf hindeuten, dass die nächste Bundesregierung im Falle einer Regierungsbeteiligung der FDP und/oder der Grünen eine insgesamt China-kritischere Politik einschlagen könnte.” Schließlich gehen sie besonders hart mit Menschen- und Völkerrechtsverletzungen sowie Drohungen gegen Taiwan ins Gericht. Die Beteiligung beider Parteien ist nach den ersten Erkenntnissen des Wahlabends indes durchaus wahrscheinlich.

Baerbock und Lambsdorff geben sich als Verteidiger der Bürgerrechte

Eine kritische Haltung zu Peking gehen auch aus den Gesprächen des China.Table mit Vertreterinnen und Vertretern von Grünen und FDP hervor. Spitzenfrau Annalena Baerbock kündigte für den Fall einer Regierungsbeteiligung an, die “Macht des europäischen Binnenmarktes zu nutzen, um europäische Werte zu schützen”. Sie nannte Menschenrechte, fairen Marktzugang, Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen als Punkte, die ihr besonders wichtig seien (China.Table berichtete).

Der Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer diagnostiziert bei der bisherigen Regierung “eine gehörige Portion Defätismus” (China.Table berichtete). Sie füge sich dem zunehmenden Machtanspruch Chinas, ohne ihm einen eigenen Gestaltungsanspruch entgegenzustellen. Sein Parteikollege Omid Nouripour entwirft als Konsequenz aus der deutschen Passivität ein dramatisches Szenario. Unsere Demokratie stehe auf dem Spiel, “wenn wir nicht den Kopf aus dem Sand ziehen und den Systemwettbewerb annehmen”. Die Grünen sind also dafür, härter mit China zu verhandeln und das eigene, demokratische System zu stärken.

Alexander Graf Lambsdorff und Johannes Vogel von der FDP äußern sich ähnlich, was zumindest in diesem Bereich auf Koalitionsfähigkeit hindeuten würde. “Für uns als Liberale kommen Menschenrechte zuerst”, sagt Lambsdorff. Auf den autoritären Kurs von Xi Jinping sei aus liberaler Sicht keine andere Antwort möglich. “Wir sind für wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit”, erklärt Johannes Vogel. Seine Partei sei zwar für Freihandel und vertrete die Bedürfnisse der Wirtschaft. Doch es liege eben auch in deren Interesse, dass sich die Staaten Europas dem zunehmenden globalen Machtanspruch und den unfairen Praktiken Chinas entgegenstellen.

Gemeinsam ist der FDP und den Grünen auch, dass sie die EU wieder handlungsfähig machen wollen, indem sie das Prinzip der Einstimmigkeit hinter sich lassen. “Einige Staaten können vorangehen”, sagt Nouripour. So würden Gruppen von besonders entschlossenen Ländern reichen, um eine starke Position für den Block zu formulieren.

Für die deutsche China-Wirtschaft beruhigend: Keine der beiden Parteien, die jetzt besonders an Einfluss gewinnen könnten, wollen den Handel mit China abreißen lassen. “Die Idee des generellen Entkoppelns, die Präsident Trump propagierte, habe ich nie für eine intelligente Perspektive gehalten. Das steht unserem europäischen Grundgedanken der multilateralen Kooperation diametral entgegen”, sagte uns Bütikofer. “Wir wollen keine Mauern bauen.”

Die SPD: Regierungspartei orientiert sich neu

Die SPD hat angesichts des voraussichtlich engen Ergebnisses gute Chancen, an der Regierung beteiligt zu sein. Falls sie die Regierung anführt, will sie ihr eigenes Profil stärker zur Geltung bringen. Nils Schmid, der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, kündigte im China.Table einen misstrauischeren Kurs gegenüber chinesischen Zulieferern für Infrastruktur an – konkret gegenüber dem Telekommunikationsausrüster Huawei. “Wir müssen schauen, wer hinter diesen Unternehmen steht und wie stark diese Unternehmen autoritären Staaten ausgeliefert sind”, sagte Schmid.

Schmid hält nicht viel von der Vorstellung, durch eine Fortsetzung des partnerschaftlichen Ansatzes in China etwas zu bewegen. Dieser “war immer mit der Annahme verbunden, dass China ein Entwicklungsland sei”. Aber: “Diese Zeit ist vorbei. Wir müssen jetzt unsere China-Politik neu definieren und erkennen, dass China uns wie auch das internationale System herausfordert.” Peking wolle weltweit autoritäre Vorstellungen stärken.

Schmid sorgt sich hier ganz konkret um Chinas Aufrüstung. Das Land sei eine “militärische Macht” geworden und bedrohe seine Nachbarn. Es sei trotz autoritärer Herrschaft wirtschaftlich erfolgreich und damit als Modell auch attraktiv für andere Staaten. Dem müssen Deutschland und die EU entgegenwirken, so Schmid.

Die Union: Veränderung oder nicht?

CDU und CSU sind mit einem besonderen Nachteil in diese Wahl gegangen: Sie haben lange regiert und müssen zur ihrer Politik der vergangenen Jahre stehen, um nicht unglaubwürdig zu klingen. Das betrifft auch die China-Strategie. Hans-Peter Friedrich hat uns dazu Rede und Antwort gestanden. Der prominente CSU-Politiker macht unter den Gesprächspartnern des China.Table in der Vorwahlzeit folglich am wenigsten den Eindruck, China künftig konfrontativer begegnen zu wollen.

Friedrich lehnt die Sanktionen klar ab, mit denen die EU Anfang des Jahres eine heftige Gegenreaktion Pekings provoziert hatte. Er sieht auch eine allzu kritische Haltung als nur wenig zielführend für deutsche Handelsinteressen in Fernost. So sieht er die Frage nach der Beteiligung Huaweis am Telekom-Ausbau als geklärt an: “Wir haben uns zusammengerauft und eine gangbare Lösung gefunden.” Deutschland nehme “Huaweis Weltklasse-Technologie gerne, weil sie unsere Wirtschaft wettbewerbsfähiger macht”. Das Geschäft finde aber “zu unseren Spielregeln und Wertvorstellungen” statt. Auch einen Zusammenschluss westlicher Mächte zur Eindämmung Chinas lehnt Friedrich ab.

Als ehemaliges Regierungsmitglied verteidigt Friedrich die Politik von Kanzlerin der vergangenen Jahre. Er sieht in dem von ihr eingeschlagenen Mittelweg weiterhin einen guten Kurs für die Interessen Deutschlands. Kanzlerkandidat Armin Laschet hat sich nun ebenfalls eindeutig zu China positioniert. Auch er ist, wie Friedrich, zwar dafür, westliche Werte klar durchzusetzen. Aber auch er spricht sich zugleich für eine “positive Agenda” aus, um – wo nötig und möglich – mit China zu kooperieren.

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Chinesische Gemeinde in Deutschland: Mehr Respekt oder mehr Härte

Als die Ergebnisse der Bundestagswahl am gestrigen Sonntagabend über den Bildschirm flimmerten, haben auch viele Mitglieder der chinesischsprachigen Gemeinde in Deutschland genau hingesehen. Denn auch für sie spielt das Ergebnis eine Rolle – unabhängig davon, ob sie selbst wählen durften oder nicht.

Tina Zhao interessiert das Wahlergebnis vornehmlich wegen der Zukunft ihres Sohnes. Der besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft, sie selbst hat die chinesische. Die 37-Jährige aus Siegburg in Nordrhein-Westfalen, die sich nicht mit ihrem richtigen Namen zur Politik in Deutschland äußern möchte, wünscht sich vor allem Sicherheit für sich und für ihren Neunjährigen. Die vielen Flüchtlinge in Deutschland machten ihr Angst, sagt sie. Wenn ihr Sohn einmal als Jugendlicher die Welt auf eigene Faust erkunden möchte, könnte er Opfer von Gewalttaten durch Flüchtlinge werden, fürchtet sie.

Hätte Zhao wählen dürfen, SPD oder Grüne hätten ihre Stimme nicht bekommen. “Die CDU wäre für mich am ehesten in Frage gekommen, aber so richtig gut finde ich die auch nicht”, sagt Zhao, die seit neun Jahren in Deutschland lebt und als Projektmanagerin in einem deutschen Industrieunternehmen ihr Geld verdient. Sie bezeichnet sich selbst als klar ‘rechts von der Mitte’. Aber eine richtige politische Heimat hat sie hierzulande nie gefunden. Weil sie ohnehin nicht an den Wahlen teilnehmen darf, hat Liu sich auch nie ernsthaft auf die Suche danach begeben.

Aber sie ist überzeugt davon, dass die Parteien in Deutschland zu viel Energie, Zeit und Geld für “sinnlose Dinge” verschwendeten. Als Steuerzahlerin habe sie das Gefühl, dass soziale Leistungen wie Hartz IV “viel zu lange” an die Betroffenen ausgezahlt würden.

Afrikaner:innen beliebter als Menschen aus China

Doch Zhaos Leib- und Magen-Thema ist das Verhältnis der Deutschen zu ihrem Heimatland China. Von einer neuen Bundesregierung wünscht sie sich, dass “sie sich weniger in Dinge einmischt, die sie nichts angehen”. Themen wie die Unterdrückung der Tibeter, die Situation der Uiguren in Xinjiang oder Chinas Anspruch auf Taiwan seien chinesische Angelegenheiten. “China sagt den Deutschen doch auch nicht, was in Deutschland passieren muss.”

Sie spüre, dass die Deutschen “China nicht von Herzen mögen”, sagt Zhao. Stattdessen schauten sie “gerne von oben nach unten” auf sie herab. Sogar die Afrikaner:innen seien in Deutschland beliebter als die Chinesen:innen. “Das liegt wohl daran, dass China viel Geld hat, und die Deutschen uns als Konkurrenten wahrnehmen. “Wir lernen und arbeiten eben sehr schnell”, sagt Zhao.

Zhao glaubt, dass die Europäer:innen insgesamt immer noch den Eindruck hätten, dass sie “besser sind als andere”. Das habe sie auch in Italien festgestellt, wo sie vor ihrem Umzug nach Deutschland fünf Jahre lebte. Dabei seien es die Chinesen:innen, die heute für das Wirtschaftswachstum in Europa sorgen würden und den Wohlstand der Menschen des Kontinents sicherten. “China bekommt zu wenig Respekt”, findet sie.

Schweigen der Bundesregierung zur politischen Säuberung

Die gebürtige Hongkongerin Amy Siu sieht die Lage anders. Die Informatikerin lebt seit elf Jahren in Deutschland und arbeitet als Dozentin an einer Hochschule in Berlin. Die chinesische Regierung könne gar nicht deutlich genug kritisiert werden für ihre autoritäre Politik, findet sie. Von der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel sei sie enttäuscht. Vor einigen Jahren habe sie noch das Gefühl gehabt, Merkel würde sich wirklich für eine Verbesserung der Menschenrechtslage in China einsetzen. “Heute kümmert sie sich doch nur noch um die Interessen der Autoindustrie”, sagt die 45-Jährige, die sich vor allem mehr Unterstützung der Kanzlerin für die pro-demokratischen Kräfte in ihrer Heimatstadt gewünscht hätte. Auch sie ist wie Tina Zhao aber nicht wahlberechtigt.

Das weitgehende Schweigen der Bundesregierung zur politischen Säuberung in Hongkong sei ein Beispiel dafür, wie weit der lange Arm der Kommunistischen Partei Chinas bereits nach Deutschland reiche, sagt Siu. “Hier herrscht viel zu wenig Bewusstsein darüber, welchen Einfluss die chinesische Regierung heute schon in Deutschland nimmt. Das geschieht auf eine sehr subtile Art und Weise, indem immer mehr Druck aufgebaut wird, dem sich die Politik und Wirtschaft nicht zu entziehen wagen”, sagt Siu. Sie wünscht sich, dass die Politik diesen Einfluss künftig transparent darstellt. “Sonst ist es irgendwann zu spät, und Deutschland ist nicht mehr in der Lage, Entscheidungen zu treffen, ohne die Interessen der chinesischen Regierung berücksichtigen zu müssen.”

Hongkonger fürchten das neue Sicherheitsgesetz – auch in Deutschland

Hongkong sei ein gutes Beispiel, wie schnell Peking seine Versprechen vergesse, wenn es seine Interessen gefährdet sieht – und mit welch drastischen Maßnahmen es politischem Dissens begegne. Die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes habe viele Menschen der Stadt aus Furcht for Strafen für Bagatellen extrem eingeschüchtert.

Im eingetragenen Verein Hongkonger in Deutschland, der sich für die Bewahrung der Bürgerrechte in der Metropole einsetzt, hätten einige schon Angst, als Mitglieder der Gruppe identifiziert werden zu können, erzählt Siu. Nicht einmal auf Fotos in sozialen Medien möchten sie mehr auftauchen. “Die Leute haben Familie in Hongkong oder in der Volksrepublik und fürchten um die Sicherheit ihrer Verwandten“, sagt Siu. Auch sie hat Familie in der Stadt. Und dennoch möchte sie mit ihrem Namen öffentlich ihre Meinung sagen – um dem chinesischen Regime die Stirn zu bieten, wie sie sagt.

Eine der Forderungen der Hongkonger in Deutschland an eine künftige Bundesregierung ist eine unbürokratische und schnellere Visavergabe an Bürger:innen aus der Stadt. Zwischen der Antragstellung und der Bewilligung eines Visums vergehe oft zuviel Zeit, in der chinesische und Hongkonger Behörden die Auswanderungspläne spitz bekommen und mögliche Ermittlungen wegen Verstößen gegen das Sicherheitsgesetz einleiten könnten. Der Verein wünscht sich auch einen diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking 2022.

Uiguren in Deutschland: Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang als Genozid anerkennen

In der uigurischen Gemeinde in Deutschland hofft man derweil auf eine deutsche Politik, “die aufhört, Peking als eine ganz normale Regierung zu behandeln“, sagt Dolkun Isa, Präsident des Weltkongresses der Uiguren. Isa ist seit vielen Jahren deutscher Staatsbürger. Am gestrigen Sonntag weilte er in Kanada, weswegen er seine Stimme bereits in der vergangenen Woche per Briefwahl abgegeben hatte. Für wen, behält er lieber für sich.

Die Uigur:innen kämpfen auch in Deutschland darum, dass die Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Regierung in der Autonomen Region Xinjiang als Genozid anerkannt werden. Isa ist dankbar für die Aufmerksamkeit, die der Menschenrechtsausschuss im Deutschen Bundestag dem Thema bisher gewidmet hat. Doch auch er ist enttäuscht von der Kanzlerin. Seiner Meinung nach ist Angela Merkel “bis vor ein paar Jahren noch die Stimme für Demokratie und Menschenrechte in der Welt” gewesen. Viel sei von diesem Engagement nicht übrig geblieben, findet Isa.

Eine Wahlempfehlung an die uigurische Gemeinde in Deutschland hat der Weltkongress nicht ausgesprochen. “Aber wir haben die Deutschen uigurischer Abstammung aufgefordert, unbedingt ihre Stimme abzugeben, egal für wen. Es ist wichtig, dass Bürger in Demokratien ihr Wahlrecht auch nutzen”, sagt Isa.

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Einigung mit US-Justiz: Huawei-Finanzchefin Meng ist frei

Nach außen hin zeigte sich Huawei-Gründer Ren Zhengfei stets zuversichtlich über das Schicksal seiner in Vancouver verhafteten Tochter. Als der chinesische Unternehmermogul im November 2019 in sein luxuriöses Anwesen voll viktorianischer Wandschränke und griechischer Säulen in Shenzhen lud, sagte er ohne Groll: “Ich hoffe, sie kann diese Phase überwinden”. Doch es sollte noch fast zwei Jahre dauern, bis er seine Tochter Meng Wanzhou wiedertraf: In den Abendstunden des Freitag flog sie mit einer Maschine von Air China vom kanadischen Vancouver nach Shenzhen.

Die 49-Jährige hatte zuvor mit den US-amerikanischen Behörden einen Deal ausgehandelt: Demnach wird das Verfahren gegen sie bis zum 1. Dezember 2022 auf Eis gelegt, solange Meng der Darstellung der US-Justiz nicht öffentlich widerspricht. Die Anschuldigungen Washingtons – Bankbetrug sowie Umgehung der Sanktionen gegen den Iran – streitet Meng allerdings nach wie vor ab. Aufgrund eines Auslieferungsgesuchs der Regierung unter US-Präsident Donald Trump musste Kanada Meng langfristig festhalten. Am Freitag folgte nun nach jahrelangem Gezerre ihre Freilassung.

Noch während des Flugs dankte die Huawei-Finanzchefin der Kommunistischen Partei Chinas, die ihre Freilassung erst möglich gemacht habe. “Die Farbe Rot, das Symbol Chinas, leuchtet hell in meinem Herzen”, wird sie von den Staatsmedien zitiert. Ihre Ankunft wurde live übertragen und von rund 13 Millionen Menschen verfolgt. Ihr Auftritt in einem roten Kleid bekam mehr als 80 Millionen Likes in den sozialen Medien. Ihr wurde auf der Rollbahn des Flughafens ein roter Teppich ausgerollt.

Vorwürfe gegen Meng für USA immer schwieriger zu halten

Meng war Anfang Dezember 2018 bei einem Zwischenstopp in Vancouver auf dem Weg nach Lateinamerika festgenommen worden und stand seitdem unter Hausarrest. 2018 hatte die Justiz unter Trump einen Haftbefehl gegen Meng ausstellen lassen. Die USA warfen ihr vor, sie habe die britische Großbank HSBC 2013 über die Aktivitäten einer Huawei-Tochter namens Skycom in Iran belogen – wodurch die Bank Gefahr lief, die US-Sanktionen gegen Teheran zu verletzen.

Die USA belegen auch ausländische Firmen, die mit Iran Geschäfte machen, mit Sanktionen – eine Politik, die viele Staaten inklusive der EU und China ablehnen. Dieser Aspekt verlieh dem Fall von Anfang an auch eine geopolitische Komponente. Solange Trump US-Präsident war, stellten die US-Behörden die Bank als Betrogene und Meng als Betrügerin dar. Kanada geriet zwischen die Fronten.

Im Frühjahr dieses Jahres jedoch, nach dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Joe Biden, hatte sich die HSBC offenbar dazu entschlossen, mit Meng und Huawei zusammenzuarbeiten: Mengs Verteidigung konnte daraufhin den US-Behörden HSBC-Schriftstücke vorlegen, die belegen, dass die Bank umfassend informiert war. Aufgrund der neuen Entwicklung wurde es für die US-Justiz immer schwieriger, den Fall gegen Meng aufrechtzuerhalten. Zumal em Ende niemand finanziell geschädigt worden war. Die Verteidigung Mengs äußerte zudem den Verdacht, die kanadische Grenzpolizei habe ihren rechtlichen Spielraum überdehnt, um den US-Behörden Informationen für das Verfahren zu beschaffen. Dies wiederum von den kanadischen Behörden entschieden zurückgewiesen.

“Wir sind überzeugt, dass wir unschuldig sind”, sagte Huawei-Gründer Ren Zhengfei zu China.Table über den Fall. “Wenn ein Gericht uns bestrafen würde, nachdem es ein Urteil gesprochen hat, wären wir in der Lage, das zu verstehen, denn wir respektieren die rechtlichen Verfahren. Aber die USA spielen nach ihren eigenen Spielregeln. Ich weiß nicht, wie ich das verstehen soll.” Zu dem Urteil kam es nun jedoch gar nicht.

Peking feiert Heimkehr als diplomatischen Sieg

Die Propagandaorgane Pekings preisen Mengs Rückkehr nun als diplomatischen Sieg der Staatsführung. “Wir haben diesen Kampf gewonnen”, lautet einer der populärsten Kommentare auf der Online-Plattform Weibo. Meng Wanzhou stimmte in den Chor mit ein. Sie habe im Hausarrest stets die “Wärme und die Sorge der Partei, ihres Vaterlandes und der Menschen gespürt”, sagte sie laut der staatlichen Zeitung Global Times bei ihrer Ankunft. “Präsident Xi Jinping sorgt sich um die Sicherheit von jedem seiner Bürger, mich eingeschlossen. Ich bin sehr bewegt.”

Hu Xijin, Chefredakteur der nationalistischen Global Times kommentierte auf Weibo: “Ich hoffe, dass nun die internationale Ordnung wieder etwas hergestellt wird. In Zukunft sollten Geschäftsleute im Ausland nicht länger wegen politischen Gründen festgenommen werden”. Dabei verschweigen die chinesischen Medien gezielt, dass Chinas Sicherheitsapparat genau dies ebenfalls getan hat: Nur wenige Tage nach Mengs Festnahme im Dezember 2018 haben sie zwei kanadische Staatsbürger in der Volksrepublik festgenommen: den ehemaligen Diplomaten Michael Kovrig und Michael Spavor, der Reisen von Kultur- und Sportdelegationen nach Nordkorea organisierte. 

Zwei Kanadier als Geiseln einer diplomatischen Krise

Seither saßen die “zwei Michaels” in Haft. Spavor wurde im August zu elf Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem er seit 2018 ohne Prozess in einer Haftanstalt in Dandong eingesessen hatte (China.Table berichtete). Die Beweise, die eine angebliche Spionagetätigkeit des Kanadiers belegen sollten, waren mehr als fragwürdig: Spavor hat auf zivilen Flughäfen illegalerweise militärische Ausrüstung abfotografiert und die Dokumente an seinen Landsmann Michael Kovrig weitergeleitet. 

Den meisten Beobachtern war von Beginn an klar, dass es sich bei den Verhaftungen der Kanadier um eine klassische Form von Geiseldiplomatie handelt, auch wenn das Pekinger Außenministerium noch zu Beginn des Monats dies kategorisch abgestritten hat: Die Fälle von Meng und den zwei Michaels seien “von Natur aus völlig unterschiedlich”. 

Glaubwürdig war dies nicht. Doch nun hat Chinas Staatsführung den Gegenbeweis quasi selbst mitgeliefert: Denn nur wenige Stunden, nachdem Meng freigelassen wurde, wurden auch die zwei Kanadier ausgewiesen. Es ist überraschend, dass Peking nicht wenigstens ein paar Wochen abgewartet haben, um zumindest den Anschein von Rechtsstaatlichkeit zu wahren.

Bewusste Warnung davor, chinesische Staatsbürger anzurühren

Doch darum geht es der Regierung in Peking nicht. Die Botschaft war bewusst als Warnung intendiert. Insofern hinterlässt die Freude über die Freilassung Spavors und Kovrig auch einen bitteren Nachgeschmack: Sie demonstriert, dass Chinas Geiseldiplomatie tatsächlich funktioniert. Damit ist für die internationale Gemeinschaft ein Präzedenzfall geschaffen: Wer sich als Ausländer in China aufhält, kann jederzeit das willkürliche Opfer einer Verschlechterung der internationalen Beziehungen werden.

Auch wenn Chinas Medien die Freilassung der zwei Kanadier weitergehend verschweigen, lassen sich auf Weibo dennoch etliche kritische Kommentare finden: “Als jemand, der beruflich mit der Justiz zu tun hat, fühle ich mich sehr beschämt”, schrieb ein Nutzer auf Weibo: “Wenn es sich doch so deutlich um Geiseldiplomatie handelt, welchen Sinn ergibt es dann, genau das abzustreiten?”. Ein anderer User meint: “Er wurde zu elf Jahren verurteilt – und ist jetzt sofort freigelassen worden. Gibt es eine legale Prozedur für eine solche Amnestie? Falls nein, könnten Leute mit niederen Motiven dies als Geiseldiplomatie verstehen”. Für Spavor und Kovrig dürften die Gründe für ihre Freilassung zweitrangig sein. Beide haben schließlich mehr als 1.000 Tage und Nächte in chinesischer Haft hinter sich.

Meng Wanzhou hingegen führte währenddessen in ihrer luxuriösen Villa in Vancouver ein vergleichsweise angenehmes Leben: Mehrmals wurde sie in Edel-Restaurants gesichtet, und Shopping-Malls haben exklusiv ihre Pforten für die Einkaufstouren der Huawei-Finanzchefin geöffnet. Während sich Meng mit ihrer Fußfessel in einem Radius von rund 100 Meilen (ca. 161 km) frei bewegen durfte, steht ihre größte Isolation womöglich erst noch bevor: Die 14-tägige, zentralisierte Quarantäne in China ist deutlich strenger als sämtliche Auflagen, die Meng Wanzhou in Vancouver absolvierten musste. 

Huawei erwartet Umsatzschwund im Smartphone-Geschäft

Die schwierige diplomatische Gemengelage um Huawei und die USA wird jedoch auch nach dem Ende des Gezerres um Meng, Spavor und Kovrig anhalten. 2019 war Huawei von Trump auf eine schwarze Exportliste gesetzt worden – auch sein Nachfolger Joe Biden scheint daran nichts ändern zu wollen. Am Freitag kündigte Huawei an, dass es angesichts der andauernden US-Sanktionen von einem drastischen Umsatzschwund im Smartphone-Geschäft ausgehe.

Die Erlöse würden 2021 mindestens um 30 bis 40 Milliarden Dollar einbrechen, sagte Huaweis rotierender Chairman Eric Xu zu Journalisten, wie mehrere Nachrichtenagenturen berichteten. Die neuen Wachstumsfelder wie die 5G-Technologie und Künstliche Intelligenz könnten dies noch nicht auffangen. Im vergangenen Jahr hatte Huawei mit Smartphones noch rund 50 Milliarden Dollar umgesetzt. Xu sagte, er hoffe, Huawei existiere auch noch in fünf bis zehn Jahren. Zumindest die Finanzchefin ist nun wieder einsatzfähig. Fabian Kretschmer/Frank Sieren/Amelie Richter

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News

BSI prüft Litauens Warnung zu China-Smartphones

Nach der Warnung der litauischen Cyberabwehr vor Sicherheitslücken und eingebauten Zensurfunktionen in chinesischen Mobiltelefonen schaltet sich nun auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ein. Das BSI nehme derzeit eine Bewertung des Berichts aus Litauen vor, bestätigte ein BSI-Sprecher China.Table. Das staatliche Zentrum für Cybersicherheit in Vilnius hatte vor allem ein Gerät des chinesischen Herstellers Xiaomi kritisch beurteilt, weil es technisch in der Lage sei, bestimmte Inhalte auf dem eingebauten Webbrowser zu zensieren (China.Table berichtete). Der Zensurfilter sei zwar nicht aktiv gewesen, habe aber aus der Ferne eingeschaltet werden können.

In dem Bericht wurden drei konkrete Smartphone-Modelle analysiert: Das Huawei P40 5G, das Xiaomi Mi 10T 5G sowie das OnePlus 8T 5G. Die schwersten Vorwürfe richtete das litauische Cybersicherheits-Zentrum NKSC (Nacionalinio Kibernetinio Saugumo Centro) gegen Xiaomi. Bei Huawei bemängelten die Litauer, dass der App-Store auch auf Quellen verlinke, die von der Agentur als unsicher eingestuft werden. Bei dem OnePlus-Gerät fand das NKSC dagegen keine Mängel.

Auf der Liste der Smartphone-Marken, die von Bundesbehörden offiziell bestellt werden können, stehe zwar weder Xiaomi noch ein anderer Hersteller aus China, sagte ein BSI-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur, das BSI könne aber nicht ausschließen, dass durch eine dienstliche Nutzung von privat angeschafften Geräten trotzdem ein Xiaomi-Smartphone im Einsatz sei. ari

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Borrell und Wang Yi setzen strategischen Dialog fort

Kurz nach der Bundestagswahl und inmitten unruhiger diplomatischer Fahrwasser haben sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und Chinas Außenminister Wang Yi zu Gesprächen verabredet. Borrell und Wang werden am Dienstag – im Rahmen des strategischen Dialogs zwischen der EU und China – rund zwei Stunden per Videoschalte miteinander sprechen, teilte eine Sprecherin des Europäischen Auswärtigen Dienstes China.Table mit. Es werde um die bilateralen Beziehungen, “regionale Fragen und globale Herausforderungen” gehen. Die genaue Agenda aber stehe noch nicht ganz fest.

Beobachter erwarteten, dass sich Borrell Wang Yi gegenüber auch zu Taiwan äußern wird. Derzeit gibt es unter anderem diplomatische Verstimmungen zwischen Peking und dem EU-Staat Litauen, da das baltische Land die Eröffnung eines “Taiwan-Büros” in seiner Hauptstadt Vilnius unterstützt (China.Table berichtete). Ein weiteres Konfliktthema ist das Investitionsabkommen zwischen der EU und China (CAI), das weiterhin auf Eis liegt. Auch die Indo-Pazifik-Strategie der EU solle auf die Tagesordnung, so die Sprecherin. Auch der Kommissions-Vize und Green-Deal-Beauftragte der EU Frans Timmermans und der chinesische Vize-Ministerpräsident Han Zheng werden am Dienstag im Rahmen des Dialogs mit sprechen. ari

 

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Großbritannien: Atomprojekt ohne China

Die britische Regierung will offenbar den chinesischen Staatskonzern CGN aus dem geplanten Neubau eines Atomkraftwerks in Sizewell im ostenglischen Suffolk herausdrängen. Möglicherweise werde die Regierung bereits im Oktober bekannt geben, dass sie sich zusammen mit dem französischen Atomkonzern EDF an dem Bau des Reaktors Sizewell C beteilige, berichtet die britische Zeitung The Guardian. Damit würde die CGN herausgedrängt, die derzeit 20 Prozent an dem Atomprojekt halte, hieß es.

Ein Aus für CGN in dem Atomprojekt dürfte für neue geopolitische Verwerfungen sorgen. Klar ist, dass CGN und auch die Regierung in Peking verärgert auf ein Aus für den Konzern reagieren werden. London steht dagegen laut Guardian seit längerem unter dem Druck der USA, China aus Gründen der nationalen Sicherheit von britischen Atomprojekten auszuschließen. Ein Rauswurf von CGN aus dem Sizewell-Projekt würde allerdings einen Vertrag von 2015 der Regierung in London mit CGN brechen.

Darin sagte CGN zu, Sizewell und einen weiteren Reaktor im Atomkraftwerk Hinkley Point zu finanzieren, und dann eigene Reaktoren an einem dritten Standort in Bradwell zu installieren. Die Chancen für den tatsächlichen Bau eines CGN-Reaktors in Bradwell seien gering, erwartet der Guardian. Bradwell sei aber für CGN der entscheidende Grund gewesen, den Vertrag zu unterschreiben, zitiert das Blatt den Experten Stephen Thomas, Professor für Energiepolitik an der Greenwich University.

Finanziell geht es bei Sizewell C um eine Investition von umgerechnet rund 23,5 Milliarden Euro – Geld, das nach dem Aus von CGN vom britischen Steuerzahler aufgebracht werden müsste. Ein Sprecher der britischen Regierung sagte dem Guardian, der chinesische Atomkonzern CGN sei bis zur endgültigen Entscheidung der Regierung aber noch Anteilseigner von Sizewell C. Sizewell soll nach seiner Fertigstellung sechs Millionen Haushalte mit Strom versorgen. Es gibt jedoch seit langem Widerstand lokaler Aktivisten gegen das Projekt – nicht zuletzt wegen der chinesischen Beteiligung. ck

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USA und Quad-Partner wollen mehr Einfluss im Indopazifik

Nach der Bekanntgabe des umstrittenen Aukus-Bündnisses mit Australien und Großbritannien treibt US-Präsident Joe Biden nun ein weiteres Sicherheitsbündnis für den Indopazifik ohne Beteiligung der EU voran. Im Weißen Haus traf Biden am Freitag erstmals persönlich mit den Regierungschefs der sogenannten Quad-Staaten zusammen. Die USA, Indien, Japan und Australien wollen demnach noch enger zusammenarbeiten und ihren Einfluss im Indo-Pazifik-Raum ausbauen. Die Region vom Indischen bis zum Pazifischen Ozean bilde die Grundlage für “gemeinsame Sicherheit und gemeinsamen Wohlstand”, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung Bidens mit Yoshihide Suga (Japan), Narendra Modi (Indien) und Scott Morrison (Australien) im Weißen Haus.

Wie immer bei Treffen dieser Art wird China nicht direkt benannt, aber gilt als sogenannter “Elefant im Raum”. Die USA und andere Staaten der Region sind besorgt über den chinesischen Expansionsdrang im Indopazifik, vor allem den Anspruch Pekings auf praktisch das gesamte Südchinesische Meer, eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt.

Das Quad-Bündnis galt lange als zahnloser Tiger. Nun will Biden es mit Leben füllen – und mit den Partnern künftig etwa bei der Bewältigung der Corona-Pandemie, im Bereich der Cybersicherheit, im Weltraum und im Kampf gegen den Klimawandel enger zusammenarbeiten. Sie wollen etwa mehr Corona-Impfstoff produzieren. Für 2022 könnte es eine gemeinsame Übung zur Vorbereitung auf künftige Pandemien geben. ck

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HNA-Führungspitze festgenommen

Zwei führende Manager des insolventen chinesischen Luftfahrt- und Tourismus-Konglomerats HNA Group sind festgenommen worden. Das teilte die HNA – zu der die Fluggesellschaft Hainan Airlines gehört – auf ihrem offiziellen WeChat-Account mit. Es handele sich bei den Festgenommenen um Vorstandschef Tan Xiangdong und Verwaltungsratschef Chen Feng. Die Unternehmensgruppe nannte keine Details zu den Vorwürfen. Pikanterweise besitzt Tan nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg die US-amerikanische Staatsangehörigkeit. Dort ist er auch unter dem Namen Adam Tan bekannt.

Die HNA bestätigte in ihrer Wechat-Mitteilung, dass der Insolvenz- und Sanierungsprozess wie geplant weiterlaufe (China.Table berichtete). Bereits vor drei Jahren waren Gerüchte aufgekommen, dass die Unternehmensgruppe in Zahlungsschwierigkeiten stecken soll und bei mehreren Banken um Aufschub von Darlehenszahlungen angefragt hatte. Nun soll das Unternehmen offenbar zerschlagen werden – ebenso wie derzeit eine Reihe chinesischer Technologiefirmen (China.Table berichtete) oder zuletzt der in Zahlungsschwierigkeiten geratene Immobilienentwickler Evergrande.

Das Unternehmen sicherte sich Mitte September laut Bloomberg strategische Investoren für die Hainan Airlines und das Flughafengeschäft. Zum HNA-Konglomerat gehört in Deutschland etwa der Regionalflughafen Hahn. In der Vergangenheit war HNA Group auch an der Deutschen Bank und der US-Hotelkette Hilton beteiligt (China.Table berichtete).

Die finanziellen Schwierigkeiten der chinesischen Problem-Konzerne machen auch Anlegern in Europa Sorgen. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, hält die direkten Auswirkungen der Evergrande-Krise auf Europa derzeit allerdings für begrenzt. “Im Moment sehen wir das auf China konzentriert”, sagte Lagarde dem US-Fernsehsender CNBC. Trotzdem verfolge die Notenbank aber die Entwicklung. niw/ck

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Aus für Krypto-Währungen

China erhöht den Druck auf die Kryptowährungen weiter. Peking erklärte am Freitag sämtliche Aktivitäten rund um Cyberdevisen für illegal. Ausländischen Kryptobörsen wurden jegliche Dienstleistungen für Kunden in China untersagt. Vergehen sollen streng geahndet werden: Geschäfte im Zusammenhang mit digitalen Währungen seien “illegale Finanzaktivitäten” und mutmaßliche Verdächtige müssten mit Strafermittlungen rechnen, hieß es in einer Erklärung der chinesischen Zentralbank auf ihrer Website.

Damit sind nicht nur der Handel mit digitaler Währung, sondern auch der Verkauf digitaler Vermögenswerte und Transaktionen mit Krypto-Derivaten verboten. In den vergangenen Jahren habe der Handel mit Bitcoin und anderen Kryptowährungen die “Wirtschafts- und Finanzordnung zerstört “und “Geldwäsche, illegale Kapitalbeschaffung, Betrug und andere kriminelle Aktivitäten begünstigt”, erklärte die Notenbank. Die Regierung werde entschlossen gegen Spekulationen mit Kryptowährungen vorgehen, um das Vermögen der Bürger sowie die wirtschaftliche, finanzielle und soziale Ordnung zu schützen.

Gleichzeitig erließ die Regierung ein landesweites Verbot des sogenannten Krypto-Mining. Im Sommer hatte die chinesische Regierung Provinz um Provinz nach Minern abgesucht und der energiefressenden Industrie letztlich den Stromhahn zugedreht (China.Table berichtete). Die neuen Ankündigungen sorgten am Kryptomarkt für einen Kurssturz: Unmittelbar nach der Ankündigung verlor der Bitcoin, der als bekannteste Kryptowährung gilt, an Wert und brach mehr als sechs Prozent ein. Auch die digitale Währung Ethereum verlor mit minus 10,7 Prozent deutlich an Wert. ari

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Presseschau

Hong Kong Tiananmen vigil group disbands amid crackdown on dissent THE GUARDIAN
Russia says it’s in sync with US, China, Pakistan on Taliban INDEPENDENT
Chinese cities seize Evergrande presales to block potential misuse of funds FT (PAY)
Sleep First for Freed Kovrig as Canada Ponders Future With China BLOOMBERG
Xi Jinping may be the world’s fiercest tiger parent FT (PAY)
Epidemic in NE China’s Heilongjiang affects more areas, sparks concern before holidays GLOBALTIMES (STAATSMEDIUM)
Huawei-Managerin: Propaganda-Empfang für Meng in China TAGESSCHAU
Zum möglichen Bankrott des Immobilienriesen Evergrande: Peking warnt die Welt – aber die Welt hört nicht hin TAGESSPIEGEL
Angst vor Evergrande-Crash: “Wird schwierig, soziale Unruhen zu vermeiden” N-TV
Mehr China? Was die Welt von Deutschland erwartet BERLINER ZEITUNG

Standpunkt

Kann Xi das vergoldete Zeitalter in China beenden?

Von Yuen Yuen Ang

Innerhalb einer Generation entsteht in einer Gesellschaft, in der Millionen Landarbeiter für einen Hungerlohn in Fabriken schuften, eine neue Klasse von Superreichen. Korruption und Bestechung werden zur gängigsten Form der Einflussnahme auf die Politik. Opportunisten spekulieren rücksichtslos mit Grundstücken und Immobilien. Da Gebietskörperschaften zur Finanzierung von Eisenbahnlinien und anderer großer Infrastrukturprojekte Kredite aufnehmen, schlummern in diesen Bereichen finanzielle Risiken. Und all das passiert im weltweit chancenreichsten Schwellenland, das gleichzeitig auch aufstrebende Weltmacht ist.

Nein, hier handelt es sich nicht um eine Beschreibung des heutigen Chinas, sondern der Vereinigten Staaten während des “vergoldeten Zeitalters” (des “Gilded Age” von etwa 1870 bis 1900). Diese prägende Phase des amerikanischen Kapitalismus wird nicht als “goldenes”, sondern als “vergoldetes” Zeitalter bezeichnet, weil hinter der Fassade der raschen Industrialisierung und des Wirtschaftswachstums zahlreiche Probleme vor sich hin schwelten.

Öffentlicher Widerstand gegen die Zustände während des vergoldeten Zeitalters in Amerika führte zu weitreichenden Wirtschafts- und Sozialreformen, die schließlich die Progressive Era (etwa von 1890 bis 1920) einläuteten. Diese Revolution im Inland ebnete neben den imperialen Aneignungen außerhalb der Grenzen des Landes den Weg für Amerikas Aufstieg zur Supermacht des 20. Jahrhunderts.  

Bestechung der Politiker mit hohen Summen

China durchläuft derzeit eine ähnliche – wenn auch sicher nicht gleichartige – Phase. Präsident Xi Jinping kam im Jahr 2012, also während Chinas eigenem vergoldeten Zeitalter, an die Macht und steht heute einem weitaus wohlhabenderen Land vor als seine Amtsvorgänger. Allerdings muss sich Xi auch einer Reihe von Problemen stellen, die mit einer auf Günstlingswirtschaft beruhenden Ökonomie mittleren Einkommens zusammenhängen – nicht zuletzt Korruption. Wie er in seiner Antrittsrede vor dem Politbüro 2012 warnte, wird Korruption “unweigerlich zum Untergang der Partei und des Staates führen.”

In den letzten Jahrzehnten ist Chinas Wirtschaft an der Seite einer besonderen Art der Käuflichkeit prächtig gediehen: nämlich dem von mir als “Access Money” bezeichneten Austausch von Macht und Reichtum unter den Eliten. Seit den 2000er-Jahren ist die Zahl der Unterschlagungen und kleinen Erpressungen rückläufig, da die Regierung ihre Überwachungskapazitäten ausbaute und sich überaus engagiert um Investoren bemühte. Doch die Bestechung mit hohen Summen explodierte, da politisch gut vernetzte Kapitalisten im Austausch für lukrative Privilegien emsig Politiker schmierten.

Mit der Günstlingswirtschaft wuchs auch die Ungleichheit. Seit den 1980er-Jahren ist die Einkommensungleichheit in China rascher gestiegen als in den USA. Chinas Gini-Koeffizient (das Standardmaß für Einkommensungleichheit) übertraf 2012 den entsprechenden Wert der USA. Und in China ist die Vermögensungleichheit sogar stärker ausgeprägt als die Einkommensungleichheit, weil diejenigen, die sich während der frühen Wachstumsphase Vermögenswerte sicherten, enorme Gewinne realisierten.

Ein drittes Problem bilden systemische Finanzrisiken. Im Jahr 2020 warnte das chinesische Finanzministerium, dass die Verschuldung der lokalen Gebietskörperschaften nahezu 100 Prozent aller Einnahmen ausmacht. Ein Zahlungsausfall dieser Gebietskörperschaften brächte Banken und Finanzinstitutionen in Bedrängnis, bei denen hohe Summen aufgenommen wurden. Das wiederum könnte eine Kettenreaktion auslösen. Aber nicht nur öffentliche Finanzen befinden sich in Schwierigkeiten. Chinas zweitgrößter Immobilienentwickler, Evergrande, ist mit 300 Milliarden Dollar verschuldet und steht kurz vor der Insolvenz (China.Table berichtete).

Chinas Krisen zeigen die Probleme des vergoldeten Zeitalters

Diese schwelenden Krisen sollten nicht isoliert voneinander betrachtet werden, denn sie bilden vielmehr zusammenhängende Teile des vergoldeten Zeitalters in China. Korruption in Form von Access Money motivierte offizielle Regierungsvertreter, Bau- und Investitionsprojekte, ungeachtet ihrer Nachhaltigkeit, aggressiv voranzutreiben. Luxusimmobilien, an denen sich konspirative Staats- und Wirtschaftseliten bereichern, sind im ganzen Land wie Pilze aus dem Boden geschossen, während erschwinglicher Wohnraum weiterhin Mangelware bleibt. Wer über politische Verbindungen und Reichtum verfügt, hat mit spekulativen Investitionen leicht überdurchschnittliche Profite erzielt.

Auch in der Digitalwirtschaft, einst Spielwiese eines freien Wettbewerbs, hat sich alles rund um ein paar Titanen konsolidiert, die kleinere Akteure mit Leichtigkeit vernichten können. Fabrikarbeiter werden durch Gig-Arbeitnehmer ersetzt, die lange Stunden ohne nennenswerten Arbeitsschutz schuften. Genervt vom exzessiven Materialismus und dem täglichen Hamsterrad protestieren junge Menschen, indem sie sich “hinlegen” (also aufhören, sich abzumühen).

Korruption unter den Eliten

Die Dekadenz des vergoldeten Zeitalters in China stellt für Xi eine mehrfache Bedrohung dar. Korruption, Ungleichheit und Finanzkrisen können soziale Unruhen auslösen und die Legitimität der Kommunistischen Partei Chinas aushöhlen, die ja Gleichheit und Gerechtigkeit verspricht. Diese Probleme – insbesondere die Korruption unter den Eliten, im Rahmen derer sich rivalisierende Gruppen bereichern – untergraben Xis persönlichen Machterhalt.

Xi ist daher entschlossen, China aus dem vergoldeten Zeitalter herauszuführen. Dies sowohl um die Kommunistische Partei China (KPCh) zu retten, als auch um sein Vermächtnis als Führer zu festigen, der die “ursprüngliche Mission” der Partei “erfüllen wird.” Während Deng Xiaoping danach strebte, China reich zu machen, geht es Xi darum, China auch sauber und gerecht zu erhalten.

In den letzten zwei Monaten wurden westliche Investoren abrupt auf Xis Forderungen nach “gemeinsamen Wohlstand” aufmerksam. Doch Xis sozialistische Mission begann eigentlich schon 2012, als er versprach, die Armut auf dem Land zu beseitigen und er gleichzeitig die größte Anti-Korruptionskampagne in der Geschichte der KPCh startete. Xi hat diese Kampagnen trotz Pandemie fortgesetzt und 2020 stolz verkündet, dass seine Ziele im Bereich Armutsbekämpfung planmäßig erreicht wurden.

In jüngster Zeit wurden diese Kampagnen um eine Welle behördlicher Maßnahmen gegen große Technologieunternehmen ausgeweitet, Privatunterricht wurde verboten, Obergrenzen für Immobilienpreise eingeführt und gegen reiche Prominente hart durchgegriffen. Und obendrein hat Xi die Reichen persönlich ermahnt, ihren Wohlstand mit der Gesellschaft zu teilen.

Willkürliche Dekrete von oben schwächen Vertrauen

Amerikas vergoldetes Zeitalter bietet einen historischen Blickwinkel, um Xis Handeln zu verstehen. Jede noch so rasch wachsende, von Günstlingswirtschaft geprägte Ökonomie stieß letztlich an ihre Grenzen. Wenn die amerikanische Geschichte als Leitfaden dient, müssen die Probleme, mit denen China heute konfrontiert ist, jedoch nicht unbedingt den Untergang bedeuten. Vieles hängt davon ab, was die politischen Entscheidungsträger als Nächstes tun. Werden die Probleme in entsprechender Weise angegangen, kann auch China von einem riskanten, unausgewogenen Wachstum zu einer qualitätvolleren Entwicklung übergehen.

Doch während man sich in der Progressive Era in Amerika auf demokratische Maßnahmen zur Bekämpfung der Günstlingswirtschaft stützte – beispielsweise auf politischen Aktivismus und die Anfänge des abschätzig als “Muckraking” bezeichneten Investigativjournalismus einer freien Presse zur Aufdeckung der Korruption – versucht Xi, in China eine eigene Progressive Era durch Befehls- und Kontrollgewalt heraufzubeschwören. Allerdings hat man auch noch nicht gesehen, dass eine Regierung die Nebenwirkungen des Kapitalismus erfolgreich per Dekret überwunden hätte.

Mao Zedong scheiterte – wird Xi es schaffen?

Jahrzehnte zuvor hatte Mao Zedong versucht, eine rasche Industrialisierung zu verfügen und war katastrophal gescheitert. Die daraus zu ziehende Lehre besteht darin, dass Befehle von oben schiefgehen können, sie es auch tun und dass man sich auf sie nicht als Lösung für alle Probleme verlassen darf. Bei übermäßiger und willkürlicher Anwendung schwächen Verbote und Erlasse das Vertrauen der Investoren in das Bekenntnis der chinesischen Führung zu regelbasierten Märkten.

In Amerika schuf der Progressivismus die innenpolitische Grundlage für die internationale Vormachtstellung des Landes im 20. Jahrhundert. Ob es Xi gelingen wird, China aus dem vergoldeten Zeitalter herauszuführen, wird darüber entscheiden, ob sich Chinas Aufstieg im 21. Jahrhundert fortsetzt.

Yuen Yuen Ang ist außerordentliche Professorin für Politikwissenschaft an der University of Michigan in Ann Arbor und Verfasserin von “How China Escaped the Poverty Trap and China’s Gilded Age”. Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier.

Copyright: Project Syndicate, 2021.
www.project-syndicate.org

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Personalien

Cecilia Zhong wurde bei der US-Handelsplattform Interactive Brokers zum Executive Director ernannt. Zhong wird sich in der neu geschaffenen Position auf die Geschäftsentwicklung für Greater China konzentrieren. Sie kommt von China Zhuhai Bluestone Asset Management zu Interactive Brokers. Zuvor war sie länger als zwei Jahre bei Guojin Metal Technology tätig.

James Wei ist neu ernannter Senior Vice President of Development, Luxury & Lifestyle für die französische Hotelkette Accor Greater China. Wei hatte in den letzten zehn Jahren im Luxus- und Lifestyle-Bereich für Hilton Worldwide gearbeitet, wo er an der Einführung mehrerer internationaler Markenhotels in China beteiligt war.

Steven Li ist bei Accor Greater China neuer Senior Vice President für Entwicklung und strategische Partnerschaften. Er wird sich auf die Entwicklung von Premium- und Midscale-Projekten und Franchise-Deals sowie auf strategische Partnerschaftsmöglichkeiten konzentrieren.

Zur Sprache

fěnsī 粉丝 – “Fannudeln”

粉丝 - fěnsī -
粉丝 – fěnsī -“Fannudeln”

Wie viele Glasnudeln folgen Ihnen eigentlich so auf Twitter? In unseren Breiten sind ja bekanntlich Follower das Pfund, mit dem in Influencer-Kreisen gewuchert wird. In China sammelt man dagegen 粉丝 fěnsī – wörtlich “Glasnudeln”. Da die Zeichenkombo fast genauso klingt wie das englische Wort “fans”, wurde sie kurzerhand zum Lehnwort mit entsprechender Bedeutung umgemünzt. Damit war die “Fannudel” geboren. Und diese gibt es in China gleich in unterschiedlichen Dicken und Ausformungen.

Die Nudelpalette reicht von der “Stahlnudel” (铁杆粉丝 tiěgǎn fěnsī oder kurz 铁粉 tiěfěn – “Hardcorefan”) über “Gaga-Groupies” (脑残粉 nǎocánfěn – verrückte, ihrem Idol um jeden Preis ergebene Fans, wörtlich “geistig gestörte/hirntote Fans”) bis hin zur “Schwarznudel” (黑粉 hēifěn – “Anti-Fan”). Verpönt sind dagegen “Zombienudeln” (僵尸粉 jiāngshǐfěn – “Zombiefans”, mit Fake-Accounts generierte Follower) und “Dreimonatsnudeln” (三月粉 sānyuèfěn – Fans, die nur einem Hype folgen und nach drei Monaten zum nächsten Idol hoppen – so lange dauert nämlich in etwa die Erstausstrahlung von Serien oder neuen Unterhaltungsformaten).

Auf Sprachneulinge lauert im Reich der Mitte übrigens noch eine andere Nudelstolperfalle. Denn anders als bei uns, wo alles, was wie Nudel aussieht, praktischerweise auch Nudel heißt, werden in China nur Nudelsorten aus Weizenstärke auch als Nudel (面条 miàntiáo – wörtlich “Mehlstreifen”) bezeichnet. Was hingegen aus Kartoffel-, Süßkartoffel-, Reis- oder Bohnenstärke nudelig geknetet und gezogen wird, fällt sprachlich unter die Kategorie 粉条 fěntiáo (wörtl. “Pulver-” oder “Puderstreifen”). Wer also eine dampfende Schüssel Glasnudeln als “miàntiáo” bestellen will, outet sich in China schnell als sprachkulinarisches Greenhorn.

Verena Menzel leitet in Peking die Sprachschule New Chinese.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Nach der Wahl: Deutschlands China-Politik vor der Wende?
    • Chinesischsprachige Mitbürger blicken auf den Urnengang
    • Geiseltausch: Huawei-Finanzchefin gegen zwei Kanadier
    • Deutschland prüft Litauens Smartphone-Warnung
    • Josep Borrell und Wang Yi: Gespräche am Dienstag
    • Britisches Atomprojekt wohl ohne China
    • Quad: USA puscht weiteres Bündnis ohne EU
    • HNA-Führungspitze festgenommen
    • Aus für Krypto-Währungen
    • Standpunkt: Xi droht doch noch an Korruption zu scheitern
    • Zur Sprache: Fannudeln folgen Influencern
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    es ist geschafft, eine lange Wahlnacht liegt hinter uns – mit dem erwarteten knappen Ergebnis. Nun beginnt das Warten auf die Bildung einer neuen Regierung. Bis wir die Grundzüge einer neuen Außen- und China-Politik Deutschlands erfahren, werden Wochen oder sogar Monate vergehen. Dazu brachte auch die sogenannte Elefantenrunde am Wahlabend keine Klarheit. Die meisten Experten im Ausland erwarten allerdings eine härtere Linie gegenüber China, egal welche Couleur die neue Regierung hat. Peking, Brüssel und Washington dürften gespannt sein auf die Koalitionsverhandlungen. Finn Mayer-Kuckuk analysiert auf Grundlage unserer Gespräche mit Außenpolitikern aller Fraktionen noch einmal die potenziellen Auswirkungen möglicher Szenarien auf wichtige Elemente der China-Politik.

    Falls Sie Interesse an einem Dossier mit allen unseren acht Gesprächen mit den maßgeblichen Außenpolitikern der Parteien haben, schreiben Sie uns eine Mail an china@table.media. Darin finden sich unter anderem Interviews mit Nils Schmid, dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, dem stellvertretenden Parlamentspräsidenten Hans-Peter Friedrich von der CSU und der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock.

    Marcel Grzanna hat derweil bei der chinesischsprachigen Gemeinde in Deutschland nachgefragt, welche China-Politik die Menschen sich von einer neuen Bundesregierung erhoffen. Er bekam ganz unterschiedliche Erwartungen zu hören – je nach Herkunft der Befragten.

    Doch an diesem Wochenende stand nicht nur die deutsche Bundestagswahl statt – es gab auch eine Fülle wichtiger China-Nachrichten. Seien Sie daher vorgewarnt: Die heutige Ausgabe des China.Table ist prall gefüllt damit.

    So analysieren Fabian Kretschmer, Frank Sieren und Amelie Richter das plötzliche Ende der diplomatischen Krise zwischen China, den USA und Kanada um den Hausarrest der Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou und die Inhaftierung zweier Kanadier in China. Außerdem geht es heute zum Beispiel um britische Atomkraftwerke ohne China, amerikansiche Sicherheitsbündnisse im Indo-Pazifik und Sicherheitsbedenken aus Litauen bei Smartphones chinesischer Marken.

    Eine spannende Lektüre wünscht

    Ihre
    Christiane Kühl
    Bild von Christiane  Kühl

    Analyse

    Nach der Wahl: Deutschlands China-Politik vor der Wende?

    Die Außen- und Handelspolitik hat im zurückliegenden Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Doch das Verhältnis zu EU, USA und China wird das Leben der Bundesbürger in den kommenden Jahren konkret beeinflussen. Über die Fragen von Wettbewerbsfähigkeit und Marktzugang beeinflusst die Handelspolitik das Geschäft von Mittelstand und Großunternehmen gleichermaßen.

    Die deutschen Parteien sind sich glücklicherweise in einem Punkt einig: China ist kein weit entfernter Absatzmarkt mehr, sondern Rivale, Konkurrent und Partner zugleich. Doch in der Frage nach den besten Antworten auf diese neuen Herausforderungen finden sich in den Aussagen der Parteien unterschiedliche Konzepte. Zugleich wirkt der Verweis auf die EU zunehmend unbefriedigend, weil diese eben nicht mit einer Stimme spricht.

    CAI: Das auch unter den Parteien umstrittene Investitionsabkommen

    Beispielhaft dafür ist der Umgang mit dem Investitionsabkommen CAI. Die scheidende Bundesregierung hat seinen Abschluss im vergangenen Jahr vorangetrieben. Die scheidende Kanzlerin Angela Merkel macht keinen Hehl daraus, dass sie es für sinnvoll hält: CAI verpflichtet China zu mehr Ehrlichkeit bei der Marktöffnung. Doch das Abkommen wurde auch zum Symbol für vermeintlich zu nachgiebige China-Politik ihrer Regierung.

    Die beiden Oppositionsparteien mit sehr guter Chance auf Regierungsbeteiligung, die FDP und die Grünen, lehnen eine Wiederbelebung des CAI nun in ihren Programmen ab, was deren Vertreter auch im Gespräch mit dem China.Table bestätigen. CDU/CSU und SPD bleiben dagegen eher vage und scheinen ebenfalls nicht mehr hinter dem Vertrag zu stehen, den sie als Regierungskoalition selbst geprägt haben.

    Die Königsmacher FDP und Grüne: China-kritischer denn je

    Dabei wäre eine Kombination aus Union, Grünen und FDP durchaus eine Wunschkoalition für manches Unternehmen. Der deutsche Mittelstand hofft laut Umfragen jedenfalls auf eine Jamaika-Koalition. Jamaika wäre derzeit auch die Wunschkonstellation von FDP und CDU. Stark sozialpolitisch orientierte Wählerinnen und Wähler könnten auch die Ampel aus SPD, Grünen und FDP wünschen. Grüne und FDP können sich dementsprechend aussuchen, ob sie lieber den Kandidaten der SPD oder den der CDU ins Kanzleramt wählen. Den zwei mittelgroßen Parteien kommt daher in den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen eine strategisch wichtige Position zu.

    Grünen und FDP ist etwas gemeinsam: Sie gehen in ihren Programmen und Äußerungen besonders kritisch mit China um. Während CDU und CSU sich in eher allgemeinen Worten zur Außenpolitik äußern, und die SPD sich von ihrer Rolle als Regierungspartei nur wenig glaubwürdig absetzen kann, profilieren sich Grüne und FDP mit deutlichen Forderungen.

    “Die Wahlprogramme der derzeitigen Oppositionsparteien FDP und Grüne sind in ihren Aussagen zu China insgesamt ausführlicher und vielfach konkreter und auch kritischer als die der derzeitigen Regierungsparteien CDU/CSU und SPD”, schreibt auch das Wirtschaftsforschungsinstitut IfW Kiel. “Dies könnte darauf hindeuten, dass die nächste Bundesregierung im Falle einer Regierungsbeteiligung der FDP und/oder der Grünen eine insgesamt China-kritischere Politik einschlagen könnte.” Schließlich gehen sie besonders hart mit Menschen- und Völkerrechtsverletzungen sowie Drohungen gegen Taiwan ins Gericht. Die Beteiligung beider Parteien ist nach den ersten Erkenntnissen des Wahlabends indes durchaus wahrscheinlich.

    Baerbock und Lambsdorff geben sich als Verteidiger der Bürgerrechte

    Eine kritische Haltung zu Peking gehen auch aus den Gesprächen des China.Table mit Vertreterinnen und Vertretern von Grünen und FDP hervor. Spitzenfrau Annalena Baerbock kündigte für den Fall einer Regierungsbeteiligung an, die “Macht des europäischen Binnenmarktes zu nutzen, um europäische Werte zu schützen”. Sie nannte Menschenrechte, fairen Marktzugang, Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen als Punkte, die ihr besonders wichtig seien (China.Table berichtete).

    Der Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer diagnostiziert bei der bisherigen Regierung “eine gehörige Portion Defätismus” (China.Table berichtete). Sie füge sich dem zunehmenden Machtanspruch Chinas, ohne ihm einen eigenen Gestaltungsanspruch entgegenzustellen. Sein Parteikollege Omid Nouripour entwirft als Konsequenz aus der deutschen Passivität ein dramatisches Szenario. Unsere Demokratie stehe auf dem Spiel, “wenn wir nicht den Kopf aus dem Sand ziehen und den Systemwettbewerb annehmen”. Die Grünen sind also dafür, härter mit China zu verhandeln und das eigene, demokratische System zu stärken.

    Alexander Graf Lambsdorff und Johannes Vogel von der FDP äußern sich ähnlich, was zumindest in diesem Bereich auf Koalitionsfähigkeit hindeuten würde. “Für uns als Liberale kommen Menschenrechte zuerst”, sagt Lambsdorff. Auf den autoritären Kurs von Xi Jinping sei aus liberaler Sicht keine andere Antwort möglich. “Wir sind für wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit”, erklärt Johannes Vogel. Seine Partei sei zwar für Freihandel und vertrete die Bedürfnisse der Wirtschaft. Doch es liege eben auch in deren Interesse, dass sich die Staaten Europas dem zunehmenden globalen Machtanspruch und den unfairen Praktiken Chinas entgegenstellen.

    Gemeinsam ist der FDP und den Grünen auch, dass sie die EU wieder handlungsfähig machen wollen, indem sie das Prinzip der Einstimmigkeit hinter sich lassen. “Einige Staaten können vorangehen”, sagt Nouripour. So würden Gruppen von besonders entschlossenen Ländern reichen, um eine starke Position für den Block zu formulieren.

    Für die deutsche China-Wirtschaft beruhigend: Keine der beiden Parteien, die jetzt besonders an Einfluss gewinnen könnten, wollen den Handel mit China abreißen lassen. “Die Idee des generellen Entkoppelns, die Präsident Trump propagierte, habe ich nie für eine intelligente Perspektive gehalten. Das steht unserem europäischen Grundgedanken der multilateralen Kooperation diametral entgegen”, sagte uns Bütikofer. “Wir wollen keine Mauern bauen.”

    Die SPD: Regierungspartei orientiert sich neu

    Die SPD hat angesichts des voraussichtlich engen Ergebnisses gute Chancen, an der Regierung beteiligt zu sein. Falls sie die Regierung anführt, will sie ihr eigenes Profil stärker zur Geltung bringen. Nils Schmid, der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, kündigte im China.Table einen misstrauischeren Kurs gegenüber chinesischen Zulieferern für Infrastruktur an – konkret gegenüber dem Telekommunikationsausrüster Huawei. “Wir müssen schauen, wer hinter diesen Unternehmen steht und wie stark diese Unternehmen autoritären Staaten ausgeliefert sind”, sagte Schmid.

    Schmid hält nicht viel von der Vorstellung, durch eine Fortsetzung des partnerschaftlichen Ansatzes in China etwas zu bewegen. Dieser “war immer mit der Annahme verbunden, dass China ein Entwicklungsland sei”. Aber: “Diese Zeit ist vorbei. Wir müssen jetzt unsere China-Politik neu definieren und erkennen, dass China uns wie auch das internationale System herausfordert.” Peking wolle weltweit autoritäre Vorstellungen stärken.

    Schmid sorgt sich hier ganz konkret um Chinas Aufrüstung. Das Land sei eine “militärische Macht” geworden und bedrohe seine Nachbarn. Es sei trotz autoritärer Herrschaft wirtschaftlich erfolgreich und damit als Modell auch attraktiv für andere Staaten. Dem müssen Deutschland und die EU entgegenwirken, so Schmid.

    Die Union: Veränderung oder nicht?

    CDU und CSU sind mit einem besonderen Nachteil in diese Wahl gegangen: Sie haben lange regiert und müssen zur ihrer Politik der vergangenen Jahre stehen, um nicht unglaubwürdig zu klingen. Das betrifft auch die China-Strategie. Hans-Peter Friedrich hat uns dazu Rede und Antwort gestanden. Der prominente CSU-Politiker macht unter den Gesprächspartnern des China.Table in der Vorwahlzeit folglich am wenigsten den Eindruck, China künftig konfrontativer begegnen zu wollen.

    Friedrich lehnt die Sanktionen klar ab, mit denen die EU Anfang des Jahres eine heftige Gegenreaktion Pekings provoziert hatte. Er sieht auch eine allzu kritische Haltung als nur wenig zielführend für deutsche Handelsinteressen in Fernost. So sieht er die Frage nach der Beteiligung Huaweis am Telekom-Ausbau als geklärt an: “Wir haben uns zusammengerauft und eine gangbare Lösung gefunden.” Deutschland nehme “Huaweis Weltklasse-Technologie gerne, weil sie unsere Wirtschaft wettbewerbsfähiger macht”. Das Geschäft finde aber “zu unseren Spielregeln und Wertvorstellungen” statt. Auch einen Zusammenschluss westlicher Mächte zur Eindämmung Chinas lehnt Friedrich ab.

    Als ehemaliges Regierungsmitglied verteidigt Friedrich die Politik von Kanzlerin der vergangenen Jahre. Er sieht in dem von ihr eingeschlagenen Mittelweg weiterhin einen guten Kurs für die Interessen Deutschlands. Kanzlerkandidat Armin Laschet hat sich nun ebenfalls eindeutig zu China positioniert. Auch er ist, wie Friedrich, zwar dafür, westliche Werte klar durchzusetzen. Aber auch er spricht sich zugleich für eine “positive Agenda” aus, um – wo nötig und möglich – mit China zu kooperieren.

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    Chinesische Gemeinde in Deutschland: Mehr Respekt oder mehr Härte

    Als die Ergebnisse der Bundestagswahl am gestrigen Sonntagabend über den Bildschirm flimmerten, haben auch viele Mitglieder der chinesischsprachigen Gemeinde in Deutschland genau hingesehen. Denn auch für sie spielt das Ergebnis eine Rolle – unabhängig davon, ob sie selbst wählen durften oder nicht.

    Tina Zhao interessiert das Wahlergebnis vornehmlich wegen der Zukunft ihres Sohnes. Der besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft, sie selbst hat die chinesische. Die 37-Jährige aus Siegburg in Nordrhein-Westfalen, die sich nicht mit ihrem richtigen Namen zur Politik in Deutschland äußern möchte, wünscht sich vor allem Sicherheit für sich und für ihren Neunjährigen. Die vielen Flüchtlinge in Deutschland machten ihr Angst, sagt sie. Wenn ihr Sohn einmal als Jugendlicher die Welt auf eigene Faust erkunden möchte, könnte er Opfer von Gewalttaten durch Flüchtlinge werden, fürchtet sie.

    Hätte Zhao wählen dürfen, SPD oder Grüne hätten ihre Stimme nicht bekommen. “Die CDU wäre für mich am ehesten in Frage gekommen, aber so richtig gut finde ich die auch nicht”, sagt Zhao, die seit neun Jahren in Deutschland lebt und als Projektmanagerin in einem deutschen Industrieunternehmen ihr Geld verdient. Sie bezeichnet sich selbst als klar ‘rechts von der Mitte’. Aber eine richtige politische Heimat hat sie hierzulande nie gefunden. Weil sie ohnehin nicht an den Wahlen teilnehmen darf, hat Liu sich auch nie ernsthaft auf die Suche danach begeben.

    Aber sie ist überzeugt davon, dass die Parteien in Deutschland zu viel Energie, Zeit und Geld für “sinnlose Dinge” verschwendeten. Als Steuerzahlerin habe sie das Gefühl, dass soziale Leistungen wie Hartz IV “viel zu lange” an die Betroffenen ausgezahlt würden.

    Afrikaner:innen beliebter als Menschen aus China

    Doch Zhaos Leib- und Magen-Thema ist das Verhältnis der Deutschen zu ihrem Heimatland China. Von einer neuen Bundesregierung wünscht sie sich, dass “sie sich weniger in Dinge einmischt, die sie nichts angehen”. Themen wie die Unterdrückung der Tibeter, die Situation der Uiguren in Xinjiang oder Chinas Anspruch auf Taiwan seien chinesische Angelegenheiten. “China sagt den Deutschen doch auch nicht, was in Deutschland passieren muss.”

    Sie spüre, dass die Deutschen “China nicht von Herzen mögen”, sagt Zhao. Stattdessen schauten sie “gerne von oben nach unten” auf sie herab. Sogar die Afrikaner:innen seien in Deutschland beliebter als die Chinesen:innen. “Das liegt wohl daran, dass China viel Geld hat, und die Deutschen uns als Konkurrenten wahrnehmen. “Wir lernen und arbeiten eben sehr schnell”, sagt Zhao.

    Zhao glaubt, dass die Europäer:innen insgesamt immer noch den Eindruck hätten, dass sie “besser sind als andere”. Das habe sie auch in Italien festgestellt, wo sie vor ihrem Umzug nach Deutschland fünf Jahre lebte. Dabei seien es die Chinesen:innen, die heute für das Wirtschaftswachstum in Europa sorgen würden und den Wohlstand der Menschen des Kontinents sicherten. “China bekommt zu wenig Respekt”, findet sie.

    Schweigen der Bundesregierung zur politischen Säuberung

    Die gebürtige Hongkongerin Amy Siu sieht die Lage anders. Die Informatikerin lebt seit elf Jahren in Deutschland und arbeitet als Dozentin an einer Hochschule in Berlin. Die chinesische Regierung könne gar nicht deutlich genug kritisiert werden für ihre autoritäre Politik, findet sie. Von der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel sei sie enttäuscht. Vor einigen Jahren habe sie noch das Gefühl gehabt, Merkel würde sich wirklich für eine Verbesserung der Menschenrechtslage in China einsetzen. “Heute kümmert sie sich doch nur noch um die Interessen der Autoindustrie”, sagt die 45-Jährige, die sich vor allem mehr Unterstützung der Kanzlerin für die pro-demokratischen Kräfte in ihrer Heimatstadt gewünscht hätte. Auch sie ist wie Tina Zhao aber nicht wahlberechtigt.

    Das weitgehende Schweigen der Bundesregierung zur politischen Säuberung in Hongkong sei ein Beispiel dafür, wie weit der lange Arm der Kommunistischen Partei Chinas bereits nach Deutschland reiche, sagt Siu. “Hier herrscht viel zu wenig Bewusstsein darüber, welchen Einfluss die chinesische Regierung heute schon in Deutschland nimmt. Das geschieht auf eine sehr subtile Art und Weise, indem immer mehr Druck aufgebaut wird, dem sich die Politik und Wirtschaft nicht zu entziehen wagen”, sagt Siu. Sie wünscht sich, dass die Politik diesen Einfluss künftig transparent darstellt. “Sonst ist es irgendwann zu spät, und Deutschland ist nicht mehr in der Lage, Entscheidungen zu treffen, ohne die Interessen der chinesischen Regierung berücksichtigen zu müssen.”

    Hongkonger fürchten das neue Sicherheitsgesetz – auch in Deutschland

    Hongkong sei ein gutes Beispiel, wie schnell Peking seine Versprechen vergesse, wenn es seine Interessen gefährdet sieht – und mit welch drastischen Maßnahmen es politischem Dissens begegne. Die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes habe viele Menschen der Stadt aus Furcht for Strafen für Bagatellen extrem eingeschüchtert.

    Im eingetragenen Verein Hongkonger in Deutschland, der sich für die Bewahrung der Bürgerrechte in der Metropole einsetzt, hätten einige schon Angst, als Mitglieder der Gruppe identifiziert werden zu können, erzählt Siu. Nicht einmal auf Fotos in sozialen Medien möchten sie mehr auftauchen. “Die Leute haben Familie in Hongkong oder in der Volksrepublik und fürchten um die Sicherheit ihrer Verwandten“, sagt Siu. Auch sie hat Familie in der Stadt. Und dennoch möchte sie mit ihrem Namen öffentlich ihre Meinung sagen – um dem chinesischen Regime die Stirn zu bieten, wie sie sagt.

    Eine der Forderungen der Hongkonger in Deutschland an eine künftige Bundesregierung ist eine unbürokratische und schnellere Visavergabe an Bürger:innen aus der Stadt. Zwischen der Antragstellung und der Bewilligung eines Visums vergehe oft zuviel Zeit, in der chinesische und Hongkonger Behörden die Auswanderungspläne spitz bekommen und mögliche Ermittlungen wegen Verstößen gegen das Sicherheitsgesetz einleiten könnten. Der Verein wünscht sich auch einen diplomatischen Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking 2022.

    Uiguren in Deutschland: Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang als Genozid anerkennen

    In der uigurischen Gemeinde in Deutschland hofft man derweil auf eine deutsche Politik, “die aufhört, Peking als eine ganz normale Regierung zu behandeln“, sagt Dolkun Isa, Präsident des Weltkongresses der Uiguren. Isa ist seit vielen Jahren deutscher Staatsbürger. Am gestrigen Sonntag weilte er in Kanada, weswegen er seine Stimme bereits in der vergangenen Woche per Briefwahl abgegeben hatte. Für wen, behält er lieber für sich.

    Die Uigur:innen kämpfen auch in Deutschland darum, dass die Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Regierung in der Autonomen Region Xinjiang als Genozid anerkannt werden. Isa ist dankbar für die Aufmerksamkeit, die der Menschenrechtsausschuss im Deutschen Bundestag dem Thema bisher gewidmet hat. Doch auch er ist enttäuscht von der Kanzlerin. Seiner Meinung nach ist Angela Merkel “bis vor ein paar Jahren noch die Stimme für Demokratie und Menschenrechte in der Welt” gewesen. Viel sei von diesem Engagement nicht übrig geblieben, findet Isa.

    Eine Wahlempfehlung an die uigurische Gemeinde in Deutschland hat der Weltkongress nicht ausgesprochen. “Aber wir haben die Deutschen uigurischer Abstammung aufgefordert, unbedingt ihre Stimme abzugeben, egal für wen. Es ist wichtig, dass Bürger in Demokratien ihr Wahlrecht auch nutzen”, sagt Isa.

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    Einigung mit US-Justiz: Huawei-Finanzchefin Meng ist frei

    Nach außen hin zeigte sich Huawei-Gründer Ren Zhengfei stets zuversichtlich über das Schicksal seiner in Vancouver verhafteten Tochter. Als der chinesische Unternehmermogul im November 2019 in sein luxuriöses Anwesen voll viktorianischer Wandschränke und griechischer Säulen in Shenzhen lud, sagte er ohne Groll: “Ich hoffe, sie kann diese Phase überwinden”. Doch es sollte noch fast zwei Jahre dauern, bis er seine Tochter Meng Wanzhou wiedertraf: In den Abendstunden des Freitag flog sie mit einer Maschine von Air China vom kanadischen Vancouver nach Shenzhen.

    Die 49-Jährige hatte zuvor mit den US-amerikanischen Behörden einen Deal ausgehandelt: Demnach wird das Verfahren gegen sie bis zum 1. Dezember 2022 auf Eis gelegt, solange Meng der Darstellung der US-Justiz nicht öffentlich widerspricht. Die Anschuldigungen Washingtons – Bankbetrug sowie Umgehung der Sanktionen gegen den Iran – streitet Meng allerdings nach wie vor ab. Aufgrund eines Auslieferungsgesuchs der Regierung unter US-Präsident Donald Trump musste Kanada Meng langfristig festhalten. Am Freitag folgte nun nach jahrelangem Gezerre ihre Freilassung.

    Noch während des Flugs dankte die Huawei-Finanzchefin der Kommunistischen Partei Chinas, die ihre Freilassung erst möglich gemacht habe. “Die Farbe Rot, das Symbol Chinas, leuchtet hell in meinem Herzen”, wird sie von den Staatsmedien zitiert. Ihre Ankunft wurde live übertragen und von rund 13 Millionen Menschen verfolgt. Ihr Auftritt in einem roten Kleid bekam mehr als 80 Millionen Likes in den sozialen Medien. Ihr wurde auf der Rollbahn des Flughafens ein roter Teppich ausgerollt.

    Vorwürfe gegen Meng für USA immer schwieriger zu halten

    Meng war Anfang Dezember 2018 bei einem Zwischenstopp in Vancouver auf dem Weg nach Lateinamerika festgenommen worden und stand seitdem unter Hausarrest. 2018 hatte die Justiz unter Trump einen Haftbefehl gegen Meng ausstellen lassen. Die USA warfen ihr vor, sie habe die britische Großbank HSBC 2013 über die Aktivitäten einer Huawei-Tochter namens Skycom in Iran belogen – wodurch die Bank Gefahr lief, die US-Sanktionen gegen Teheran zu verletzen.

    Die USA belegen auch ausländische Firmen, die mit Iran Geschäfte machen, mit Sanktionen – eine Politik, die viele Staaten inklusive der EU und China ablehnen. Dieser Aspekt verlieh dem Fall von Anfang an auch eine geopolitische Komponente. Solange Trump US-Präsident war, stellten die US-Behörden die Bank als Betrogene und Meng als Betrügerin dar. Kanada geriet zwischen die Fronten.

    Im Frühjahr dieses Jahres jedoch, nach dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Joe Biden, hatte sich die HSBC offenbar dazu entschlossen, mit Meng und Huawei zusammenzuarbeiten: Mengs Verteidigung konnte daraufhin den US-Behörden HSBC-Schriftstücke vorlegen, die belegen, dass die Bank umfassend informiert war. Aufgrund der neuen Entwicklung wurde es für die US-Justiz immer schwieriger, den Fall gegen Meng aufrechtzuerhalten. Zumal em Ende niemand finanziell geschädigt worden war. Die Verteidigung Mengs äußerte zudem den Verdacht, die kanadische Grenzpolizei habe ihren rechtlichen Spielraum überdehnt, um den US-Behörden Informationen für das Verfahren zu beschaffen. Dies wiederum von den kanadischen Behörden entschieden zurückgewiesen.

    “Wir sind überzeugt, dass wir unschuldig sind”, sagte Huawei-Gründer Ren Zhengfei zu China.Table über den Fall. “Wenn ein Gericht uns bestrafen würde, nachdem es ein Urteil gesprochen hat, wären wir in der Lage, das zu verstehen, denn wir respektieren die rechtlichen Verfahren. Aber die USA spielen nach ihren eigenen Spielregeln. Ich weiß nicht, wie ich das verstehen soll.” Zu dem Urteil kam es nun jedoch gar nicht.

    Peking feiert Heimkehr als diplomatischen Sieg

    Die Propagandaorgane Pekings preisen Mengs Rückkehr nun als diplomatischen Sieg der Staatsführung. “Wir haben diesen Kampf gewonnen”, lautet einer der populärsten Kommentare auf der Online-Plattform Weibo. Meng Wanzhou stimmte in den Chor mit ein. Sie habe im Hausarrest stets die “Wärme und die Sorge der Partei, ihres Vaterlandes und der Menschen gespürt”, sagte sie laut der staatlichen Zeitung Global Times bei ihrer Ankunft. “Präsident Xi Jinping sorgt sich um die Sicherheit von jedem seiner Bürger, mich eingeschlossen. Ich bin sehr bewegt.”

    Hu Xijin, Chefredakteur der nationalistischen Global Times kommentierte auf Weibo: “Ich hoffe, dass nun die internationale Ordnung wieder etwas hergestellt wird. In Zukunft sollten Geschäftsleute im Ausland nicht länger wegen politischen Gründen festgenommen werden”. Dabei verschweigen die chinesischen Medien gezielt, dass Chinas Sicherheitsapparat genau dies ebenfalls getan hat: Nur wenige Tage nach Mengs Festnahme im Dezember 2018 haben sie zwei kanadische Staatsbürger in der Volksrepublik festgenommen: den ehemaligen Diplomaten Michael Kovrig und Michael Spavor, der Reisen von Kultur- und Sportdelegationen nach Nordkorea organisierte. 

    Zwei Kanadier als Geiseln einer diplomatischen Krise

    Seither saßen die “zwei Michaels” in Haft. Spavor wurde im August zu elf Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem er seit 2018 ohne Prozess in einer Haftanstalt in Dandong eingesessen hatte (China.Table berichtete). Die Beweise, die eine angebliche Spionagetätigkeit des Kanadiers belegen sollten, waren mehr als fragwürdig: Spavor hat auf zivilen Flughäfen illegalerweise militärische Ausrüstung abfotografiert und die Dokumente an seinen Landsmann Michael Kovrig weitergeleitet. 

    Den meisten Beobachtern war von Beginn an klar, dass es sich bei den Verhaftungen der Kanadier um eine klassische Form von Geiseldiplomatie handelt, auch wenn das Pekinger Außenministerium noch zu Beginn des Monats dies kategorisch abgestritten hat: Die Fälle von Meng und den zwei Michaels seien “von Natur aus völlig unterschiedlich”. 

    Glaubwürdig war dies nicht. Doch nun hat Chinas Staatsführung den Gegenbeweis quasi selbst mitgeliefert: Denn nur wenige Stunden, nachdem Meng freigelassen wurde, wurden auch die zwei Kanadier ausgewiesen. Es ist überraschend, dass Peking nicht wenigstens ein paar Wochen abgewartet haben, um zumindest den Anschein von Rechtsstaatlichkeit zu wahren.

    Bewusste Warnung davor, chinesische Staatsbürger anzurühren

    Doch darum geht es der Regierung in Peking nicht. Die Botschaft war bewusst als Warnung intendiert. Insofern hinterlässt die Freude über die Freilassung Spavors und Kovrig auch einen bitteren Nachgeschmack: Sie demonstriert, dass Chinas Geiseldiplomatie tatsächlich funktioniert. Damit ist für die internationale Gemeinschaft ein Präzedenzfall geschaffen: Wer sich als Ausländer in China aufhält, kann jederzeit das willkürliche Opfer einer Verschlechterung der internationalen Beziehungen werden.

    Auch wenn Chinas Medien die Freilassung der zwei Kanadier weitergehend verschweigen, lassen sich auf Weibo dennoch etliche kritische Kommentare finden: “Als jemand, der beruflich mit der Justiz zu tun hat, fühle ich mich sehr beschämt”, schrieb ein Nutzer auf Weibo: “Wenn es sich doch so deutlich um Geiseldiplomatie handelt, welchen Sinn ergibt es dann, genau das abzustreiten?”. Ein anderer User meint: “Er wurde zu elf Jahren verurteilt – und ist jetzt sofort freigelassen worden. Gibt es eine legale Prozedur für eine solche Amnestie? Falls nein, könnten Leute mit niederen Motiven dies als Geiseldiplomatie verstehen”. Für Spavor und Kovrig dürften die Gründe für ihre Freilassung zweitrangig sein. Beide haben schließlich mehr als 1.000 Tage und Nächte in chinesischer Haft hinter sich.

    Meng Wanzhou hingegen führte währenddessen in ihrer luxuriösen Villa in Vancouver ein vergleichsweise angenehmes Leben: Mehrmals wurde sie in Edel-Restaurants gesichtet, und Shopping-Malls haben exklusiv ihre Pforten für die Einkaufstouren der Huawei-Finanzchefin geöffnet. Während sich Meng mit ihrer Fußfessel in einem Radius von rund 100 Meilen (ca. 161 km) frei bewegen durfte, steht ihre größte Isolation womöglich erst noch bevor: Die 14-tägige, zentralisierte Quarantäne in China ist deutlich strenger als sämtliche Auflagen, die Meng Wanzhou in Vancouver absolvierten musste. 

    Huawei erwartet Umsatzschwund im Smartphone-Geschäft

    Die schwierige diplomatische Gemengelage um Huawei und die USA wird jedoch auch nach dem Ende des Gezerres um Meng, Spavor und Kovrig anhalten. 2019 war Huawei von Trump auf eine schwarze Exportliste gesetzt worden – auch sein Nachfolger Joe Biden scheint daran nichts ändern zu wollen. Am Freitag kündigte Huawei an, dass es angesichts der andauernden US-Sanktionen von einem drastischen Umsatzschwund im Smartphone-Geschäft ausgehe.

    Die Erlöse würden 2021 mindestens um 30 bis 40 Milliarden Dollar einbrechen, sagte Huaweis rotierender Chairman Eric Xu zu Journalisten, wie mehrere Nachrichtenagenturen berichteten. Die neuen Wachstumsfelder wie die 5G-Technologie und Künstliche Intelligenz könnten dies noch nicht auffangen. Im vergangenen Jahr hatte Huawei mit Smartphones noch rund 50 Milliarden Dollar umgesetzt. Xu sagte, er hoffe, Huawei existiere auch noch in fünf bis zehn Jahren. Zumindest die Finanzchefin ist nun wieder einsatzfähig. Fabian Kretschmer/Frank Sieren/Amelie Richter

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    BSI prüft Litauens Warnung zu China-Smartphones

    Nach der Warnung der litauischen Cyberabwehr vor Sicherheitslücken und eingebauten Zensurfunktionen in chinesischen Mobiltelefonen schaltet sich nun auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ein. Das BSI nehme derzeit eine Bewertung des Berichts aus Litauen vor, bestätigte ein BSI-Sprecher China.Table. Das staatliche Zentrum für Cybersicherheit in Vilnius hatte vor allem ein Gerät des chinesischen Herstellers Xiaomi kritisch beurteilt, weil es technisch in der Lage sei, bestimmte Inhalte auf dem eingebauten Webbrowser zu zensieren (China.Table berichtete). Der Zensurfilter sei zwar nicht aktiv gewesen, habe aber aus der Ferne eingeschaltet werden können.

    In dem Bericht wurden drei konkrete Smartphone-Modelle analysiert: Das Huawei P40 5G, das Xiaomi Mi 10T 5G sowie das OnePlus 8T 5G. Die schwersten Vorwürfe richtete das litauische Cybersicherheits-Zentrum NKSC (Nacionalinio Kibernetinio Saugumo Centro) gegen Xiaomi. Bei Huawei bemängelten die Litauer, dass der App-Store auch auf Quellen verlinke, die von der Agentur als unsicher eingestuft werden. Bei dem OnePlus-Gerät fand das NKSC dagegen keine Mängel.

    Auf der Liste der Smartphone-Marken, die von Bundesbehörden offiziell bestellt werden können, stehe zwar weder Xiaomi noch ein anderer Hersteller aus China, sagte ein BSI-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur, das BSI könne aber nicht ausschließen, dass durch eine dienstliche Nutzung von privat angeschafften Geräten trotzdem ein Xiaomi-Smartphone im Einsatz sei. ari

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    Borrell und Wang Yi setzen strategischen Dialog fort

    Kurz nach der Bundestagswahl und inmitten unruhiger diplomatischer Fahrwasser haben sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und Chinas Außenminister Wang Yi zu Gesprächen verabredet. Borrell und Wang werden am Dienstag – im Rahmen des strategischen Dialogs zwischen der EU und China – rund zwei Stunden per Videoschalte miteinander sprechen, teilte eine Sprecherin des Europäischen Auswärtigen Dienstes China.Table mit. Es werde um die bilateralen Beziehungen, “regionale Fragen und globale Herausforderungen” gehen. Die genaue Agenda aber stehe noch nicht ganz fest.

    Beobachter erwarteten, dass sich Borrell Wang Yi gegenüber auch zu Taiwan äußern wird. Derzeit gibt es unter anderem diplomatische Verstimmungen zwischen Peking und dem EU-Staat Litauen, da das baltische Land die Eröffnung eines “Taiwan-Büros” in seiner Hauptstadt Vilnius unterstützt (China.Table berichtete). Ein weiteres Konfliktthema ist das Investitionsabkommen zwischen der EU und China (CAI), das weiterhin auf Eis liegt. Auch die Indo-Pazifik-Strategie der EU solle auf die Tagesordnung, so die Sprecherin. Auch der Kommissions-Vize und Green-Deal-Beauftragte der EU Frans Timmermans und der chinesische Vize-Ministerpräsident Han Zheng werden am Dienstag im Rahmen des Dialogs mit sprechen. ari

     

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    Großbritannien: Atomprojekt ohne China

    Die britische Regierung will offenbar den chinesischen Staatskonzern CGN aus dem geplanten Neubau eines Atomkraftwerks in Sizewell im ostenglischen Suffolk herausdrängen. Möglicherweise werde die Regierung bereits im Oktober bekannt geben, dass sie sich zusammen mit dem französischen Atomkonzern EDF an dem Bau des Reaktors Sizewell C beteilige, berichtet die britische Zeitung The Guardian. Damit würde die CGN herausgedrängt, die derzeit 20 Prozent an dem Atomprojekt halte, hieß es.

    Ein Aus für CGN in dem Atomprojekt dürfte für neue geopolitische Verwerfungen sorgen. Klar ist, dass CGN und auch die Regierung in Peking verärgert auf ein Aus für den Konzern reagieren werden. London steht dagegen laut Guardian seit längerem unter dem Druck der USA, China aus Gründen der nationalen Sicherheit von britischen Atomprojekten auszuschließen. Ein Rauswurf von CGN aus dem Sizewell-Projekt würde allerdings einen Vertrag von 2015 der Regierung in London mit CGN brechen.

    Darin sagte CGN zu, Sizewell und einen weiteren Reaktor im Atomkraftwerk Hinkley Point zu finanzieren, und dann eigene Reaktoren an einem dritten Standort in Bradwell zu installieren. Die Chancen für den tatsächlichen Bau eines CGN-Reaktors in Bradwell seien gering, erwartet der Guardian. Bradwell sei aber für CGN der entscheidende Grund gewesen, den Vertrag zu unterschreiben, zitiert das Blatt den Experten Stephen Thomas, Professor für Energiepolitik an der Greenwich University.

    Finanziell geht es bei Sizewell C um eine Investition von umgerechnet rund 23,5 Milliarden Euro – Geld, das nach dem Aus von CGN vom britischen Steuerzahler aufgebracht werden müsste. Ein Sprecher der britischen Regierung sagte dem Guardian, der chinesische Atomkonzern CGN sei bis zur endgültigen Entscheidung der Regierung aber noch Anteilseigner von Sizewell C. Sizewell soll nach seiner Fertigstellung sechs Millionen Haushalte mit Strom versorgen. Es gibt jedoch seit langem Widerstand lokaler Aktivisten gegen das Projekt – nicht zuletzt wegen der chinesischen Beteiligung. ck

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    USA und Quad-Partner wollen mehr Einfluss im Indopazifik

    Nach der Bekanntgabe des umstrittenen Aukus-Bündnisses mit Australien und Großbritannien treibt US-Präsident Joe Biden nun ein weiteres Sicherheitsbündnis für den Indopazifik ohne Beteiligung der EU voran. Im Weißen Haus traf Biden am Freitag erstmals persönlich mit den Regierungschefs der sogenannten Quad-Staaten zusammen. Die USA, Indien, Japan und Australien wollen demnach noch enger zusammenarbeiten und ihren Einfluss im Indo-Pazifik-Raum ausbauen. Die Region vom Indischen bis zum Pazifischen Ozean bilde die Grundlage für “gemeinsame Sicherheit und gemeinsamen Wohlstand”, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung Bidens mit Yoshihide Suga (Japan), Narendra Modi (Indien) und Scott Morrison (Australien) im Weißen Haus.

    Wie immer bei Treffen dieser Art wird China nicht direkt benannt, aber gilt als sogenannter “Elefant im Raum”. Die USA und andere Staaten der Region sind besorgt über den chinesischen Expansionsdrang im Indopazifik, vor allem den Anspruch Pekings auf praktisch das gesamte Südchinesische Meer, eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt.

    Das Quad-Bündnis galt lange als zahnloser Tiger. Nun will Biden es mit Leben füllen – und mit den Partnern künftig etwa bei der Bewältigung der Corona-Pandemie, im Bereich der Cybersicherheit, im Weltraum und im Kampf gegen den Klimawandel enger zusammenarbeiten. Sie wollen etwa mehr Corona-Impfstoff produzieren. Für 2022 könnte es eine gemeinsame Übung zur Vorbereitung auf künftige Pandemien geben. ck

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    HNA-Führungspitze festgenommen

    Zwei führende Manager des insolventen chinesischen Luftfahrt- und Tourismus-Konglomerats HNA Group sind festgenommen worden. Das teilte die HNA – zu der die Fluggesellschaft Hainan Airlines gehört – auf ihrem offiziellen WeChat-Account mit. Es handele sich bei den Festgenommenen um Vorstandschef Tan Xiangdong und Verwaltungsratschef Chen Feng. Die Unternehmensgruppe nannte keine Details zu den Vorwürfen. Pikanterweise besitzt Tan nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg die US-amerikanische Staatsangehörigkeit. Dort ist er auch unter dem Namen Adam Tan bekannt.

    Die HNA bestätigte in ihrer Wechat-Mitteilung, dass der Insolvenz- und Sanierungsprozess wie geplant weiterlaufe (China.Table berichtete). Bereits vor drei Jahren waren Gerüchte aufgekommen, dass die Unternehmensgruppe in Zahlungsschwierigkeiten stecken soll und bei mehreren Banken um Aufschub von Darlehenszahlungen angefragt hatte. Nun soll das Unternehmen offenbar zerschlagen werden – ebenso wie derzeit eine Reihe chinesischer Technologiefirmen (China.Table berichtete) oder zuletzt der in Zahlungsschwierigkeiten geratene Immobilienentwickler Evergrande.

    Das Unternehmen sicherte sich Mitte September laut Bloomberg strategische Investoren für die Hainan Airlines und das Flughafengeschäft. Zum HNA-Konglomerat gehört in Deutschland etwa der Regionalflughafen Hahn. In der Vergangenheit war HNA Group auch an der Deutschen Bank und der US-Hotelkette Hilton beteiligt (China.Table berichtete).

    Die finanziellen Schwierigkeiten der chinesischen Problem-Konzerne machen auch Anlegern in Europa Sorgen. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, hält die direkten Auswirkungen der Evergrande-Krise auf Europa derzeit allerdings für begrenzt. “Im Moment sehen wir das auf China konzentriert”, sagte Lagarde dem US-Fernsehsender CNBC. Trotzdem verfolge die Notenbank aber die Entwicklung. niw/ck

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    Aus für Krypto-Währungen

    China erhöht den Druck auf die Kryptowährungen weiter. Peking erklärte am Freitag sämtliche Aktivitäten rund um Cyberdevisen für illegal. Ausländischen Kryptobörsen wurden jegliche Dienstleistungen für Kunden in China untersagt. Vergehen sollen streng geahndet werden: Geschäfte im Zusammenhang mit digitalen Währungen seien “illegale Finanzaktivitäten” und mutmaßliche Verdächtige müssten mit Strafermittlungen rechnen, hieß es in einer Erklärung der chinesischen Zentralbank auf ihrer Website.

    Damit sind nicht nur der Handel mit digitaler Währung, sondern auch der Verkauf digitaler Vermögenswerte und Transaktionen mit Krypto-Derivaten verboten. In den vergangenen Jahren habe der Handel mit Bitcoin und anderen Kryptowährungen die “Wirtschafts- und Finanzordnung zerstört “und “Geldwäsche, illegale Kapitalbeschaffung, Betrug und andere kriminelle Aktivitäten begünstigt”, erklärte die Notenbank. Die Regierung werde entschlossen gegen Spekulationen mit Kryptowährungen vorgehen, um das Vermögen der Bürger sowie die wirtschaftliche, finanzielle und soziale Ordnung zu schützen.

    Gleichzeitig erließ die Regierung ein landesweites Verbot des sogenannten Krypto-Mining. Im Sommer hatte die chinesische Regierung Provinz um Provinz nach Minern abgesucht und der energiefressenden Industrie letztlich den Stromhahn zugedreht (China.Table berichtete). Die neuen Ankündigungen sorgten am Kryptomarkt für einen Kurssturz: Unmittelbar nach der Ankündigung verlor der Bitcoin, der als bekannteste Kryptowährung gilt, an Wert und brach mehr als sechs Prozent ein. Auch die digitale Währung Ethereum verlor mit minus 10,7 Prozent deutlich an Wert. ari

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    Presseschau

    Hong Kong Tiananmen vigil group disbands amid crackdown on dissent THE GUARDIAN
    Russia says it’s in sync with US, China, Pakistan on Taliban INDEPENDENT
    Chinese cities seize Evergrande presales to block potential misuse of funds FT (PAY)
    Sleep First for Freed Kovrig as Canada Ponders Future With China BLOOMBERG
    Xi Jinping may be the world’s fiercest tiger parent FT (PAY)
    Epidemic in NE China’s Heilongjiang affects more areas, sparks concern before holidays GLOBALTIMES (STAATSMEDIUM)
    Huawei-Managerin: Propaganda-Empfang für Meng in China TAGESSCHAU
    Zum möglichen Bankrott des Immobilienriesen Evergrande: Peking warnt die Welt – aber die Welt hört nicht hin TAGESSPIEGEL
    Angst vor Evergrande-Crash: “Wird schwierig, soziale Unruhen zu vermeiden” N-TV
    Mehr China? Was die Welt von Deutschland erwartet BERLINER ZEITUNG

    Standpunkt

    Kann Xi das vergoldete Zeitalter in China beenden?

    Von Yuen Yuen Ang

    Innerhalb einer Generation entsteht in einer Gesellschaft, in der Millionen Landarbeiter für einen Hungerlohn in Fabriken schuften, eine neue Klasse von Superreichen. Korruption und Bestechung werden zur gängigsten Form der Einflussnahme auf die Politik. Opportunisten spekulieren rücksichtslos mit Grundstücken und Immobilien. Da Gebietskörperschaften zur Finanzierung von Eisenbahnlinien und anderer großer Infrastrukturprojekte Kredite aufnehmen, schlummern in diesen Bereichen finanzielle Risiken. Und all das passiert im weltweit chancenreichsten Schwellenland, das gleichzeitig auch aufstrebende Weltmacht ist.

    Nein, hier handelt es sich nicht um eine Beschreibung des heutigen Chinas, sondern der Vereinigten Staaten während des “vergoldeten Zeitalters” (des “Gilded Age” von etwa 1870 bis 1900). Diese prägende Phase des amerikanischen Kapitalismus wird nicht als “goldenes”, sondern als “vergoldetes” Zeitalter bezeichnet, weil hinter der Fassade der raschen Industrialisierung und des Wirtschaftswachstums zahlreiche Probleme vor sich hin schwelten.

    Öffentlicher Widerstand gegen die Zustände während des vergoldeten Zeitalters in Amerika führte zu weitreichenden Wirtschafts- und Sozialreformen, die schließlich die Progressive Era (etwa von 1890 bis 1920) einläuteten. Diese Revolution im Inland ebnete neben den imperialen Aneignungen außerhalb der Grenzen des Landes den Weg für Amerikas Aufstieg zur Supermacht des 20. Jahrhunderts.  

    Bestechung der Politiker mit hohen Summen

    China durchläuft derzeit eine ähnliche – wenn auch sicher nicht gleichartige – Phase. Präsident Xi Jinping kam im Jahr 2012, also während Chinas eigenem vergoldeten Zeitalter, an die Macht und steht heute einem weitaus wohlhabenderen Land vor als seine Amtsvorgänger. Allerdings muss sich Xi auch einer Reihe von Problemen stellen, die mit einer auf Günstlingswirtschaft beruhenden Ökonomie mittleren Einkommens zusammenhängen – nicht zuletzt Korruption. Wie er in seiner Antrittsrede vor dem Politbüro 2012 warnte, wird Korruption “unweigerlich zum Untergang der Partei und des Staates führen.”

    In den letzten Jahrzehnten ist Chinas Wirtschaft an der Seite einer besonderen Art der Käuflichkeit prächtig gediehen: nämlich dem von mir als “Access Money” bezeichneten Austausch von Macht und Reichtum unter den Eliten. Seit den 2000er-Jahren ist die Zahl der Unterschlagungen und kleinen Erpressungen rückläufig, da die Regierung ihre Überwachungskapazitäten ausbaute und sich überaus engagiert um Investoren bemühte. Doch die Bestechung mit hohen Summen explodierte, da politisch gut vernetzte Kapitalisten im Austausch für lukrative Privilegien emsig Politiker schmierten.

    Mit der Günstlingswirtschaft wuchs auch die Ungleichheit. Seit den 1980er-Jahren ist die Einkommensungleichheit in China rascher gestiegen als in den USA. Chinas Gini-Koeffizient (das Standardmaß für Einkommensungleichheit) übertraf 2012 den entsprechenden Wert der USA. Und in China ist die Vermögensungleichheit sogar stärker ausgeprägt als die Einkommensungleichheit, weil diejenigen, die sich während der frühen Wachstumsphase Vermögenswerte sicherten, enorme Gewinne realisierten.

    Ein drittes Problem bilden systemische Finanzrisiken. Im Jahr 2020 warnte das chinesische Finanzministerium, dass die Verschuldung der lokalen Gebietskörperschaften nahezu 100 Prozent aller Einnahmen ausmacht. Ein Zahlungsausfall dieser Gebietskörperschaften brächte Banken und Finanzinstitutionen in Bedrängnis, bei denen hohe Summen aufgenommen wurden. Das wiederum könnte eine Kettenreaktion auslösen. Aber nicht nur öffentliche Finanzen befinden sich in Schwierigkeiten. Chinas zweitgrößter Immobilienentwickler, Evergrande, ist mit 300 Milliarden Dollar verschuldet und steht kurz vor der Insolvenz (China.Table berichtete).

    Chinas Krisen zeigen die Probleme des vergoldeten Zeitalters

    Diese schwelenden Krisen sollten nicht isoliert voneinander betrachtet werden, denn sie bilden vielmehr zusammenhängende Teile des vergoldeten Zeitalters in China. Korruption in Form von Access Money motivierte offizielle Regierungsvertreter, Bau- und Investitionsprojekte, ungeachtet ihrer Nachhaltigkeit, aggressiv voranzutreiben. Luxusimmobilien, an denen sich konspirative Staats- und Wirtschaftseliten bereichern, sind im ganzen Land wie Pilze aus dem Boden geschossen, während erschwinglicher Wohnraum weiterhin Mangelware bleibt. Wer über politische Verbindungen und Reichtum verfügt, hat mit spekulativen Investitionen leicht überdurchschnittliche Profite erzielt.

    Auch in der Digitalwirtschaft, einst Spielwiese eines freien Wettbewerbs, hat sich alles rund um ein paar Titanen konsolidiert, die kleinere Akteure mit Leichtigkeit vernichten können. Fabrikarbeiter werden durch Gig-Arbeitnehmer ersetzt, die lange Stunden ohne nennenswerten Arbeitsschutz schuften. Genervt vom exzessiven Materialismus und dem täglichen Hamsterrad protestieren junge Menschen, indem sie sich “hinlegen” (also aufhören, sich abzumühen).

    Korruption unter den Eliten

    Die Dekadenz des vergoldeten Zeitalters in China stellt für Xi eine mehrfache Bedrohung dar. Korruption, Ungleichheit und Finanzkrisen können soziale Unruhen auslösen und die Legitimität der Kommunistischen Partei Chinas aushöhlen, die ja Gleichheit und Gerechtigkeit verspricht. Diese Probleme – insbesondere die Korruption unter den Eliten, im Rahmen derer sich rivalisierende Gruppen bereichern – untergraben Xis persönlichen Machterhalt.

    Xi ist daher entschlossen, China aus dem vergoldeten Zeitalter herauszuführen. Dies sowohl um die Kommunistische Partei China (KPCh) zu retten, als auch um sein Vermächtnis als Führer zu festigen, der die “ursprüngliche Mission” der Partei “erfüllen wird.” Während Deng Xiaoping danach strebte, China reich zu machen, geht es Xi darum, China auch sauber und gerecht zu erhalten.

    In den letzten zwei Monaten wurden westliche Investoren abrupt auf Xis Forderungen nach “gemeinsamen Wohlstand” aufmerksam. Doch Xis sozialistische Mission begann eigentlich schon 2012, als er versprach, die Armut auf dem Land zu beseitigen und er gleichzeitig die größte Anti-Korruptionskampagne in der Geschichte der KPCh startete. Xi hat diese Kampagnen trotz Pandemie fortgesetzt und 2020 stolz verkündet, dass seine Ziele im Bereich Armutsbekämpfung planmäßig erreicht wurden.

    In jüngster Zeit wurden diese Kampagnen um eine Welle behördlicher Maßnahmen gegen große Technologieunternehmen ausgeweitet, Privatunterricht wurde verboten, Obergrenzen für Immobilienpreise eingeführt und gegen reiche Prominente hart durchgegriffen. Und obendrein hat Xi die Reichen persönlich ermahnt, ihren Wohlstand mit der Gesellschaft zu teilen.

    Willkürliche Dekrete von oben schwächen Vertrauen

    Amerikas vergoldetes Zeitalter bietet einen historischen Blickwinkel, um Xis Handeln zu verstehen. Jede noch so rasch wachsende, von Günstlingswirtschaft geprägte Ökonomie stieß letztlich an ihre Grenzen. Wenn die amerikanische Geschichte als Leitfaden dient, müssen die Probleme, mit denen China heute konfrontiert ist, jedoch nicht unbedingt den Untergang bedeuten. Vieles hängt davon ab, was die politischen Entscheidungsträger als Nächstes tun. Werden die Probleme in entsprechender Weise angegangen, kann auch China von einem riskanten, unausgewogenen Wachstum zu einer qualitätvolleren Entwicklung übergehen.

    Doch während man sich in der Progressive Era in Amerika auf demokratische Maßnahmen zur Bekämpfung der Günstlingswirtschaft stützte – beispielsweise auf politischen Aktivismus und die Anfänge des abschätzig als “Muckraking” bezeichneten Investigativjournalismus einer freien Presse zur Aufdeckung der Korruption – versucht Xi, in China eine eigene Progressive Era durch Befehls- und Kontrollgewalt heraufzubeschwören. Allerdings hat man auch noch nicht gesehen, dass eine Regierung die Nebenwirkungen des Kapitalismus erfolgreich per Dekret überwunden hätte.

    Mao Zedong scheiterte – wird Xi es schaffen?

    Jahrzehnte zuvor hatte Mao Zedong versucht, eine rasche Industrialisierung zu verfügen und war katastrophal gescheitert. Die daraus zu ziehende Lehre besteht darin, dass Befehle von oben schiefgehen können, sie es auch tun und dass man sich auf sie nicht als Lösung für alle Probleme verlassen darf. Bei übermäßiger und willkürlicher Anwendung schwächen Verbote und Erlasse das Vertrauen der Investoren in das Bekenntnis der chinesischen Führung zu regelbasierten Märkten.

    In Amerika schuf der Progressivismus die innenpolitische Grundlage für die internationale Vormachtstellung des Landes im 20. Jahrhundert. Ob es Xi gelingen wird, China aus dem vergoldeten Zeitalter herauszuführen, wird darüber entscheiden, ob sich Chinas Aufstieg im 21. Jahrhundert fortsetzt.

    Yuen Yuen Ang ist außerordentliche Professorin für Politikwissenschaft an der University of Michigan in Ann Arbor und Verfasserin von “How China Escaped the Poverty Trap and China’s Gilded Age”. Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier.

    Copyright: Project Syndicate, 2021.
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    Personalien

    Cecilia Zhong wurde bei der US-Handelsplattform Interactive Brokers zum Executive Director ernannt. Zhong wird sich in der neu geschaffenen Position auf die Geschäftsentwicklung für Greater China konzentrieren. Sie kommt von China Zhuhai Bluestone Asset Management zu Interactive Brokers. Zuvor war sie länger als zwei Jahre bei Guojin Metal Technology tätig.

    James Wei ist neu ernannter Senior Vice President of Development, Luxury & Lifestyle für die französische Hotelkette Accor Greater China. Wei hatte in den letzten zehn Jahren im Luxus- und Lifestyle-Bereich für Hilton Worldwide gearbeitet, wo er an der Einführung mehrerer internationaler Markenhotels in China beteiligt war.

    Steven Li ist bei Accor Greater China neuer Senior Vice President für Entwicklung und strategische Partnerschaften. Er wird sich auf die Entwicklung von Premium- und Midscale-Projekten und Franchise-Deals sowie auf strategische Partnerschaftsmöglichkeiten konzentrieren.

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    fěnsī 粉丝 – “Fannudeln”

    粉丝 - fěnsī -
    粉丝 – fěnsī -“Fannudeln”

    Wie viele Glasnudeln folgen Ihnen eigentlich so auf Twitter? In unseren Breiten sind ja bekanntlich Follower das Pfund, mit dem in Influencer-Kreisen gewuchert wird. In China sammelt man dagegen 粉丝 fěnsī – wörtlich “Glasnudeln”. Da die Zeichenkombo fast genauso klingt wie das englische Wort “fans”, wurde sie kurzerhand zum Lehnwort mit entsprechender Bedeutung umgemünzt. Damit war die “Fannudel” geboren. Und diese gibt es in China gleich in unterschiedlichen Dicken und Ausformungen.

    Die Nudelpalette reicht von der “Stahlnudel” (铁杆粉丝 tiěgǎn fěnsī oder kurz 铁粉 tiěfěn – “Hardcorefan”) über “Gaga-Groupies” (脑残粉 nǎocánfěn – verrückte, ihrem Idol um jeden Preis ergebene Fans, wörtlich “geistig gestörte/hirntote Fans”) bis hin zur “Schwarznudel” (黑粉 hēifěn – “Anti-Fan”). Verpönt sind dagegen “Zombienudeln” (僵尸粉 jiāngshǐfěn – “Zombiefans”, mit Fake-Accounts generierte Follower) und “Dreimonatsnudeln” (三月粉 sānyuèfěn – Fans, die nur einem Hype folgen und nach drei Monaten zum nächsten Idol hoppen – so lange dauert nämlich in etwa die Erstausstrahlung von Serien oder neuen Unterhaltungsformaten).

    Auf Sprachneulinge lauert im Reich der Mitte übrigens noch eine andere Nudelstolperfalle. Denn anders als bei uns, wo alles, was wie Nudel aussieht, praktischerweise auch Nudel heißt, werden in China nur Nudelsorten aus Weizenstärke auch als Nudel (面条 miàntiáo – wörtlich “Mehlstreifen”) bezeichnet. Was hingegen aus Kartoffel-, Süßkartoffel-, Reis- oder Bohnenstärke nudelig geknetet und gezogen wird, fällt sprachlich unter die Kategorie 粉条 fěntiáo (wörtl. “Pulver-” oder “Puderstreifen”). Wer also eine dampfende Schüssel Glasnudeln als “miàntiáo” bestellen will, outet sich in China schnell als sprachkulinarisches Greenhorn.

    Verena Menzel leitet in Peking die Sprachschule New Chinese.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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