vor gut einem Jahr erreichten uns aus Henan dramatische Bilder: überschwemmte Straßen, von Wassermassen mitgerissene Autos, eine U-Bahn in Zhengzhou, in der den Fahrgäste das Wasser bedrohlich bis zum Oberkörper steht. Offiziell kamen bei der Hochwasserkatastrophe Mitte Juli 2021 in der zentralchinesischen Provinz mehr als 300 Menschen ums Leben.
Und auch dieses Jahr gibt es wieder Extremwetter: Die Temperaturen in Henan kletterten bereits auf über 40 Grad. In anderen Regionen kommt es wieder zu Hochwasser und Erdrutschen. Der Klimawandel könnte in Zukunft mit voller Härte zuschlagen. China droht bis zu 20 Prozent seiner Ernten zu verlieren. Die Volksrepublik will sich in Zukunft besser an die Veränderung des Klimas anpassen – bisher hat der Staat allerdings zu wenig unternommen, um die Kosten und Schäden zu minimieren, schreibt Nico Beckert. Unter anderem zählen die zuständigen Behörden das Thema noch nicht zu ihren Arbeitsprioritäten. Problematisch ist auch weiterhin die Finanzierung.
Als weitaus dringender könnte die KP Chinas derzeit ein anderes Problem wahrnehmen: Vor allem seit dem chaotischen Lockdown in Shanghai sinkt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die chinesische Regierung und ihre Null-Covid-Pandemiebekämpfung. An einigen Stellen sollen die Corona-Apps sogar missbraucht worden sein, um Proteste zu verhindern, schreibt unsere Autorin Christiane Kühl. Auch bei den lokalen Kadern steigt der Frust. Bis diese Wunden geheilt sind, könnte es noch eine Weile dauern.
Wir wünschen Ihnen einen guten Start in die Woche!
Im Nordosten 40 Grad Celsius und mehr. Starkregen und Überflutungen, die Autos und Häuser mitreißen, in Teilen Südchinas – auch in der Volksrepublik gab es jüngst Extremwetter-Ereignisse. Es kam zu Erdrutschen infolge des Starkregens. Fünf Menschen starben, nachdem ihr Haus von den Fluten mitgerissen wurde. In der Provinz Henan mit fast 100 Millionen Einwohnern kletterten die Temperaturen für mehrere Tage auf teilweise über 40 Grad.
Die Volksrepublik ist mittlerweile der größte Klimasünder und für gut 30 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Zugleich ist das Land ein großes Opfer des Klimawandels. China droht bis zu 20 Prozent seiner Ernten zu verlieren. Überflutungen gefährden die Infrastruktur und Hitzewellen schlagen sich nicht nur auf die Gesundheit der Menschen nieder, sondern verringern auch ihre Arbeitsproduktivität (China.Table berichtete).
Die Regierung sieht den Klimawandel als “großes Risiko für Chinas Modernisierung” an, wie aus der neuen “Nationalen Strategie zur Anpassung an den Klimawandel 2035” hervorgeht. Mit der Anpassung sollen Schäden und wirtschaftliche Kosten verringert werden. Denn selbst wenn die Weltgemeinschaft ihre Klimaziele erreicht, werden die Folgen des Klimawandels nicht sofort verschwinden und die Schäden durch den Klimawandel zunächst weiter zunehmen. Freigesetztes CO2 bleibt lange Zeit in der Atmosphäre und schädigt das Klima über Jahrzehnte. Eine Anpassung an diese neuen Bedingungen zur Minderung der Schäden wird als wichtig angesehen.
Die Strategie enthält einen bunten Strauß an Maßnahmen. Aufgrund der hohen Urbanisierungsrate fällt ein großer Teil der Schäden des Klimawandels in den Städten an. Der Plan sieht den Ausbau weiterer sogenannter “Schwammstädte” vor (China.Table berichtete). Sie sollen in der Lage sein, extreme Regenfälle und Überflutungen besser zu bewältigen. Die Versiegelung der Städte durch Straßen und andere Infrastruktur soll ein Stück weit aufgebrochen werden.
Doch der Umbau der Städte in Schwammstädte wird jedoch durch finanzielle Probleme ausgebremst (China.Table berichtete). Die 16 Städte, die in einem ersten Pilotprogramm zu Schwammstädten werden sollten, haben von der Zentralregierung lediglich zwei Milliarden Euro an Unterstützung erhalten – für einen wirksamen Umbau der Infrastruktur viel zu wenig. Die neue Klima-Strategie erhält zwar auch Passagen zur besseren Finanzierung von Maßnahmen. Doch sie nennt keine Details zum Umfang der Finanzmittel. Auch mehr Parks und Gärten sollen in den Städten dafür sorgen, dass mehr Regenwasser aufgenommen werden kann und das städtische Klima verbessert wird.
Zudem will China die Infrastruktur an den Klimawandel anpassen. Dazu gehört ein vor Extremwetter besser geschütztes Stromnetz. Wie ernst der Klimawandel genommen wird, zeigt sich in der geplanten Anpassung der Baustandards. Gebäude sollen in Zukunft stärkere Winde aushalten, die Fundamente stabiler gebaut werden, um die Gebäude gegen Überflutungen zu sichern.
Um die Nahrungsmittelversorgung in Zukunft sicherzustellen, will China an den Klimawandel angepasste Pflanzen und Tierarten entwickeln. Hitzewellen und Dürren bedrohen Chinas zukünftige Ernten sehr stark. Chinesische Forscher arbeiten deshalb an der Erforschung hitzeresistenter Arten. Beim Reis wurden erste Erfolge erzielt und zwei Gene gefunden, die die Ernten unter Hitzestress verbessern könnten. Die Forscher hoffen, diese Gene auch in andere Arten einpflanzen zu können. Daneben will die Regierung einen Aktionsplan vorlegen, um die Qualität der landwirtschaftlichen Böden zu verbessern. Durch den hohen Pestizid-Einsatz und die Verschmutzung durch industrielle Prozesse haben Chinas Böden in den letzten Jahrzehnten massiv gelitten (China.Table berichtete).
Auch das Gesundheitssystem soll an den Klimawandel angepasst werden. Durch vermehrte und längere Hitzewellen sind besonders ältere Menschen stark vom Klimawandel betroffen. Die Regierung will prüfen, ob das Gesundheitssystem darauf eingestellt ist. Beispielsweise soll ein Frühwarnsystem für Klima-bedingte Krankheiten und Gesundheitsschäden aufgebaut werden.
Frühwarnsysteme sollen ebenso in anderen Bereichen die Schäden durch den Klimawandel möglichst minimieren. Unternehmen und Banken sollen ihre Klimarisiken möglichst bald offenlegen (China.Table berichtete). Damit sollen Finanzkrisen verhindert werden. Investieren zu viele Unternehmen in fossile Sektoren, die in Zukunft keine Gewinne mehr abwerfen, würden die Banken und dann die Wirtschaft in Nöte geraten.
Auch im Bereich der Klima- und Wetter-Vorhersagen strebt China Verbesserungen an. Große Wetterereignisse sollen einen Monat, globale Klimaanomalien sogar ein Jahr im Voraus zuverlässig vorhergesagt werden. Experten bezweifeln, dass detaillierte Vorhersagen für so große Zeiträume überhaupt möglich sind.
China hat schon 2013 eine Strategie zur Anpassung an den Klimawandel vorgelegt. Die jetzt veröffentlichte Strategie stellt den verantwortlichen Stellen kein gutes Zeugnis aus:
Li Shuo von Greenpeace Ostasien stimmt mit dieser Einschätzung überein. Die Anpassung sei ein schwieriges Thema, für das sich schwer politische Aufmerksamkeit und Finanzierungen gewinnen lassen. “China macht nur erste Schritte bei der Anpassung an den Klimawandel“, so Li. Nach der Erneuerung der Strategie bleibe abzuwarten, ob es der Zentralregierung gelingt, “alle regional Verantwortlichen und alle Sektoren für die Klimawandel-Anpassung zu mobilisieren”.
Bisher haben die Regionen und einige verantwortliche Ministerien dem Thema noch nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt, sagt Patrick Verkooijen. “Wir arbeiten daran, die Anpassungspolitik und -steuerung auf nationaler und regionaler Ebene zu verbessern“, so der CEO der Organisation Global Center on Adaptation. Die Organisation ist internationaler Partner des chinesischen Umweltministeriums und wirkt an der Umsetzung der Anpassungsstrategie und der Entwicklung von Anpassungsstrategien auf Provinzebene mit.
Auch die Finanzierung ist problematisch. In der Vergangenheit hat die Zentralregierung kaum Haushaltsmittel zur Anpassung bereitgestellt. Zwar wurden Gelder für den Hochwasserschutz und die Dürrebekämpfung bewilligt, doch laut Experten reiche das angesichts der Schwere des Klimawandels nicht aus.
Es war ein ungewöhnlicher Protest. Im Shanghaier Jingan-Distrikt gingen Dutzende weiß gekleidete Pandemiearbeiter, im Volksmund “Große Weiße”, auf die Straße und verlangten ihre nicht gezahlten Löhne: “Gebt uns unser hart verdientes Geld!” skandierten sie; Videos von der Aktion zirkulierten in sozialen Medien. Offiziell bestätigt wurde das Video und die ausgebliebenen Löhne nicht – aber der Protest ist kein Einzelfall. Es gebe immer mehr solche Unruhen von Arbeitern im Zusammenhang mit der Umsetzung der chinesischen Pandemie-Präventionspolitik, schreibt das China Labour Bulletin (CLB), eine Nichtregierungsorganisation für Arbeiterrechte in China mit Sitz in Hongkong.
Seit März zeichnete CLB auf seiner interaktiven Streik-Karte 14 Proteste im Zusammenhang mit dem Coronavirus auf, acht davon im Lockdown-müden Shanghai: “Schlechte Arbeitsbedingungen unter strengen Sperrmaßnahmen führten nicht nur zu Protesten von Ärzten, Krankenschwestern und weiß gekleideten Pandemiearbeitern, sondern auch von Fabrikarbeitern, Taxifahrern und anderen.”
Aber es ist nicht nur das. Die gesamte Ausführung des Shanghaier Lockdowns war teilweise so stümperhaft, dass sie das Selbstverständnis der Shanghaier erschütterte. In vielen Wohnanlagen funktionierten die Essenslieferungen nicht, manche bekamen dringend benötigte Medikamente nicht, und alle mussten dauernd stundenlang vor PCR-Teststationen warten – in ständiger Furcht, bei einem positiven Ergebnis sofort in eines der Isolationszentren gebracht zu werden. CLB berichtet von Protesten “Großer Weißer”, die nach dem Ende ihrer freiwilligen Einsätze nicht wie versprochen die vor der Heimkehr obligatorische Quarantäne im Hotel absitzen durften – sondern dafür wie die positiv Getesteten in eine Isolierstation verfrachtet wurden.
Auch die Unklarheit über die wechselnde Öffnung und Schließung von Wohnquartieren sorgt für Unmut. Mitte Juni etwa postete ein Anwohner den Mini-Protest von Menschen, denen die Öffnung ihres Wohnviertels zugesagt worden war – aber dann nicht erfolgte. Sie traten einfach den Zaun um, der ihr Viertel von der Außenwelt trennte.
“In Shanghai ist ein großer Schaden am sozialen Vertrag zwischen Partei und Bürgern entstanden”, sagt Nis Grünberg vom China-Institut Merics. Er nennt ein Beispiel. Zu Beginn der Pandemie seien viele Menschen genervt gewesen von dem Health Code auf dem Smartphone, den man seit langem überall vorzeigen muss. “Aber etwas später ist das dann reibungslos in den Alltag eingeflossen.” Und man habe erkannt, dass digital gestützte Pandemiebekämpfung durchaus sinnvoll sei, so Grünberg zu China.Table. “Doch dieses Vertrauen, dass Maßnahmen sinnvoll sind und dem Gemeinwohl dienen, ist in Shanghai wohl kaputtgegangen – und auch in manchen anderen Städten.”
Es werde lange dauern, bis diese Wunden geheilt seien, glaubt Grünberg. “Für Dienstleister, kleine Läden oder Restaurants ist der Schaden durch den Lockdown enorm groß. Die Menschen brauchen dauernd PCR-Tests für grüne Health Codes, das ist schon sehr anstrengend.” Darüber hinaus sind noch größere Probleme bekannt geworden. “Auch sind schon Missbräuche der Codes zur sozialen Kontrolle bekanntgeworden – Behörden können Bürgern die Mobilität einfach nehmen, indem sie die Codes auf Rot stellen.”
Im Juni zog ein Vorfall aus dem zentralchinesischen Zhengzhou – Provinzhauptstadt Henans – weite Kreise in sozialen Medien. Dort verhinderten die Behörden laut CLB einen Protest von hunderten wütenden Kunden einer lokalen Bank, indem sie ihre Health Codes auf Rot stellten.
Der Vorfall rief sogar Kritik aus ungewöhnlichen Ecken hervor – etwa von Hu Xijin, der sonst als nationalistisches Sprachrohr twitternde Ex-Chefredakteur der Global Times. Manipulationen des Codes beschädigten die Autorität des Code-Systems und würde die Unterstützung der Öffentlichkeit dafür schmälern, schrieb Hu laut New York Times auf Weibo. Der Hashtag habe Mitte Juni mit 280 Millionen Aufrufen zu den meistgesuchten Hashtags gehört.
Die Sache ist noch lange nicht vorbei, weder in Shanghai noch anderswo. Kleine Geschäftsleute kämpfen in diesem Umfeld ums Überleben. Hunderte Shanghaier Kleinunternehmer gingen laut CLB im Juni auf die Straße und forderten Mietbefreiungen von ihrem privaten Vermieter auf einem örtlichen Bekleidungsmarkt. Die Proteste zeigten, dass die staatlichen Maßnahmen zur Linderung einer Pandemie nicht weit genug gehen, um den immensen finanziellen Druck zu lindern, den Arbeitnehmer, Kleinunternehmer und andere Bürger in ganz China verspüren.
Ende Mai hatte Shanghai eine Reihe von rund 50 Maßnahmen angekündigt, um die angeschlagene Wirtschaft anzukurbeln. Doch diese griffen zu kurz, kritisiert CLB. Zum Beispiel gebe es bisher wenig bis gar keine Unterstützung für Arbeitnehmer oder Kleinfirmen. Stattdessen gebe es Anreize zum Autokauf von Neuwagenverkäufe in Shanghai sowie kleine einmalige Zahlungen an Unternehmen in Höhe von 600 Yuan für jeden Mitarbeiter, wenn sie wenige oder gar keine Arbeitnehmer entlassen hatten. Alternativ hatte der chinesische Ex-Chefökonom der Weltbank, Lin Yifu, der Zentralregierung empfohlen, Familien in abgeriegelten Gebieten 1.000 Yuan zu zahlen, um die Bürger zu unterstützen und den Konsum anzukurbeln.
Doch nicht nur die Bürger haben finanzielle Probleme. Berichten zufolge haben auch die Kommunalverwaltungen Schwierigkeiten, die hohen Kosten für die Pandemie-Präventionsmaßnahmen zu stemmen. (China.Table berichtete). Am Ende droht dadurch nach Ansicht des CLB immer die Gefahr, Löhne und Sozialausgaben nicht in vollem Umfang zahlen zu können.
Da die Anweisungen von ganz oben kommen, gebe es wegen der Null-Covid-Politik durchaus Frust unter lokalen Kadern, sagt Nis Grünberg. Häufig würden die Funktionäre dann aus Angst, dass Köpfe rollen, zur Über-Implementierung neigen, so der Merics-Forscher. “Man macht also lieber zu viel, als zu wenig.” Das Risiko einer lockereren Herangehensweise sei sehr groß, wenn es damit eben nicht klappt, das Virus zurückzudrängen – wie im Frühjahr in Shanghai gesehen.
Eine so starke Übersensibilisierung auf lokaler Ebene wie derzeit sei selten zu beobachten, sagt Grünberg. “Das führte sogar dazu, dass es eine Anweisung aus Peking gab, dass die Kommunen es mit den Lockdowns nicht übertreiben, sondern auch die Geschäfte und Firmen mitbedenken.” In China seien landesweit einheitliche Regeln noch schwieriger als in Deutschland, meint Grünberg. “Es ist einfach noch viel größer und heterogener.” Die lokalen Null-Covid-Maßnahmen laufen zudem eher im Kampagnen-Stil ab. “Die Regierung gebe eine Priorität aus: ‘Kein Covid’. Und dann geben sie eine Liste an legitimen Eingriffen und Instrumenten heraus. “Aber die Details muss dann die Kommune selbst entwerfen.”
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnt vor einer zu großen Abhängigkeit Deutschlands von China. “Auf manchen strategisch wichtigen Feldern ist unsere Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen deutlich größer als unsere Abhängigkeit von russischem Gas“, sagte Steinmeier in Hamburg beim Festakt zum 100. Geburtstags des Überseeclubs, der sich für Demokratie und Völkerverständigung einsetzt. Zu abhängig sei Deutschland etwa bei pharmazeutischen Produkten und “Technologien, die für die Energie- und Mobilitätswende unverzichtbar” seien.
Um sich aus der Abhängigkeit zu befreien, müsse Deutschland etwa “Metalle der seltenen Erden auch und ergänzend aus anderen Quellen” beziehen, sie recyceln oder ersetzen, so der Bundespräsident weiter. Deutschland dürfe von keinem Land der Welt erpressbar sein. China sei und bleibe ein wichtiger Partner, so Steinmeier weiter. Gleichzeitig plädiere er für neue Freihandelsabkommen mit Ländern wie Kanada, den USA, Australien, Neuseeland, Mexiko, Chile “und vielen anderen”. “Vernetzung ausbauen, Verwundbarkeit abbauen, genau das muss die Maxime unseres Handelns sein und werden.” fpe
Staatschef Xi Jinping hat in einer Grundsatzrede in Hongkong zum 25. Jahrestag der Rückgabe (China.Table berichtete) sein Verständnis des Grundsatzes “ein Land, zwei Systeme” dargelegt. Er stellt darin die Arbeitsteilung der zwei Systeme als völlig intakt dar. Auf der einen Seite stehe das sozialistische System mit chinesischen Charakteristiken auf dem Festland, auf der anderen das kapitalistische System, das sich vor der Rückgabe in Hongkong etabliert habe. “Genau so war das Prinzip ursprünglich angelegt”, sagt Xi am Freitag in Hongkong. Eine nicht-wirtschaftliche Dimension war dem Geist seiner Rede zufolge von den Vertragspartnern China und Großbritannien nicht beabsichtigt. Erst mit der Rückkehr ins Mutterland habe die wahre Demokratie in Hongkong begonnen. Vorher sei es fremd beherrscht gewesen.
Das Vorhandensein der zwei Systeme dient Xi zufolge höheren Zwecken: der Souveränität, der Sicherheit und dem Wohlstand des Mutterlandes. Es stehe nicht darüber, sondern sei ein Teil davon. Deshalb müsse die Zentralregierung immer das letzte Wort haben. Innerhalb dieses Rahmens könne die Sonderregion jedoch ein hohes Maß an Autonomie genießen. Es müsse aber stets sichergestellt werden, dass Hongkong von “Patrioten” regiert wird, die diese höheren Ziele im Blick behalten. “Es gibt kein Land auf der Welt, in dem die Menschen es unpatriotischen Kräften erlauben würden, die Macht zu übernehmen.” Die Patrioten sollten dann die “speziellen Vorteile” des Standorts zum Wohle des ganzen Landes ausspielen.
Dem aktuellen Patrioten an der Hongkonger Verwaltungsspitze, John Lee (China.Table berichtete), gibt Xi zum Amtsantritt eine ganze Reihe Aufgaben mit.
Schon am Sonntag berief Lee eilfertig eine Kabinettssitzung ein, um die Maßgaben des Staatsführers zu besprechen und ein Handlungsprogramm zu entwerfen.
Xis verkehrt mit seiner Rede die im liberalen Teil der Hongkonger Gesellschaft weit verbreitete Interpretation von “ein Land, zwei Systeme” ins Gegenteil. Dort stehen als entscheidende Systemunterschiede demokratische Wahlen, freie Meinungsäußerung und eine unabhängige Justiz im Vordergrund. Die Volksrepublik hat sich seit Abschluss des Vertrags zwischen Großbritannien und China 1984 so kapitalistisch entwickelt, dass der Unterschied der Wirtschaftssysteme in den Hintergrund gerückt ist.
Als Kernsatz der Sino-British Joint Declaration gilt hier, dass die “Legislative der Sonderverwaltungsregion Hongkong durch Wahlen” bestimmt sein soll. In Anhang I, Absatz 13, legt sie zudem fest, dass folgende Grundrechte erhalten bleiben sollten:
Das Sicherheitsgesetz von 2020, die Unterdrückung der Proteste, die Verfolgung von Politikern des demokratischen Lagers und von Journalisten werden daher von Großbritannien als Vertragsbruch der Joint Declaration gesehen. fin
Bill Nelson, der Chef der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa, hält Chinas Raumfahrt-Programm für militärisch motiviert. Das erklärte der 79-Jährige am Samstag in einem Interview mit der Bild-Zeitung. “Wir müssen sehr besorgt darüber sein, dass China auf dem Mond landet und sagt: Das gehört jetzt uns, und ihr bleibt draußen”, so der ehemalige Astronaut.
Anders als beim “Artemis”-Programm der Amerikaner seien die Chinesen nicht gewillt, ihre Forschungsergebnisse zu teilen und den Mond gemeinsam zu nutzen. “Es gibt ein neues Rennen zum Weltraum – diesmal mit China”, so der Nasa-Chef. Mit dem “Artemis”-Programm will die amerikanische Raumfahrtbehörde zum ersten Mal seit 50 Jahren amerikanische Astronauten auf den Mond bringen.
China hat bereits mehrfach Forschungsroboter auf die Mondoberfläche geschickt. Bemannte Mondmissionen sind in Planung. In den 2030er-Jahren wollen die Chinesen dann eine permanente Raumstation auf dem Mond errichten. Nasa-Chef Nelson vermutet, dass diese dazu dienen könnte, die Satelliten von anderen Nationen zu zerstören. Auch eine chinesische Zusammenarbeit mit Russland hält Nelson für denkbar. rtr/fpe
China Southern Airlines plant, 96 Airbus A320neo-Jets zu ordern. Dabei handelt es sich um die größte Bestellung neuer Flugzeuge seit Beginn der Corona-Pandemie, die für die Flugzeug- und Reisebranche beispiellose Einbrüche gebracht hatte. Für Airbus selbst bedeutet die Lieferung einen bemerkenswerten Schub im chinesischen Markt. Der Auftrag war China Southern Airlines zufolge rund 12,25 Milliarden US-Dollar wert.
Die Auslieferungen sollen von 2024 bis 2027 erfolgen: 30 Jets im Jahr 2024, 40 im Jahr 2025, 19 im Jahr 2026 und sieben im Jahr 2027. “Der Vorstand ist der Ansicht, dass der Flugzeugkauf mit der im 14. Fünfjahresplan des Unternehmens festgelegten Flottenstrategie übereinstimmt”, teilte die Fluggesellschaft mit und fügte an, dass der Kauf zur Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens beitragen werde. ari/rtr
Der chinesische Mineralölkonzern China National Offshore Oil Corporation (CNOOC) will seine Ausgaben für saubere Energie erhöhen. Geplant sei es, 2028 den Höhepunkt der CO2-Emissionen zu erreichen, CO2-Neutralität solle dann im Jahr 2050 erlangt werden, teilte der teilstaatliche Konzern mit. Die neuen Ziele sind damit ehrgeiziger als bisher und gehen über staatliche Ankündigungen hinaus: Peking hatte die CO2-Neutralität für 2060 angekündigt. Demnach will CNOOC zwischen den Jahren 2026 und 2030 seine Ausgaben für erneuerbare Energien auf zehn bis 15 Prozent seiner Gesamtausgaben anheben. Im vergangenen Jahr und bis 2025 liegen diese bisher bei fünf bis zehn Prozent.
Chinas drei große staatliche Öl- und Gasunternehmen, darunter CNOOC, China National Petroleum Corp. und Sinopec Group, haben sich alle individuelle Klimaziele gesetzt. Laut Bloomberg gibt es keine Details für einen einheitlichen Plan. Im Gegensatz dazu haben sich Chinas Stromerzeuger gemeinsam zu staatlich vorgeschriebenen Emissionssenkungen verpflichtet. Um die neuen Ziele zu erreichen, will CNOOC vor allem in Wind- uns Solarkapazitäten investieren. Vergangene Woche verkündete das Unternehmen zudem, gemeinsam mit Exxon Mobil und Shell eine CO2-Abscheidungsanlage entwickeln zu wollen. niw
Die chinesische Stadt Wuhan meldet neue Corona-Fälle: Bei zwei Hafenarbeitern seien asymptomatische Infektionen festgestellt worden, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. Es seien die ersten Covid-Erkrankungen in Wuhan seit einem Monat. In der 11-Millionen-Einwohner-Metropole war Ende 2019 zum ersten Mal das Coronavirus nachgewiesen worden.
Erst am Mittwoch hatte Chinas Präsident Xi Jinping Wuhan besucht. Trotz der hohen wirtschaftlichen Kosten verteidigte er bei dem symbolischen Besuch die Null-Covid-Politik der Regierung. Diese Strategie sei “richtig und wirksam” und solle unbedingt beibehalten werden, zitierte ihn die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua.
Am Sonntag meldeten Chinas Gesundheitsbehörden 473 neue Coronavirus-Fälle für das ganze Land, 292 davon in der Provinz Anhui, die östlich an die Provinz Hubei mit der Hauptstadt Wuhan grenzt. Teile der Region befinden sich bereits in einem Lockdown. Neue Massentests werden erwartet. fpe
Jeder Mensch ist anders. Keine zwei Personen gleichen sich vollkommen. Und doch stellt unsere Gesellschaft bestimmte Menschen oder Gruppen als “anders” heraus und meint damit: anders als wir. Es ist leicht, Teil der größeren Gruppe zu sein, und es ist schwer, Außenseiter zu sein. Wenn Li Cheng heute über ihre chinesischen Wurzeln spricht, über das Chinesischsein in Deutschland und über die Vorurteile, mit denen sie konfrontiert wird, merkt man ihr diese Last jedoch nicht an. Sie hat ihren Frieden mit dem vermeintlichen “Anderssein” geschlossen.
Cheng ist in der Nähe von Düsseldorf geboren und aufgewachsen, ihre Eltern kamen in den 1980er-Jahren mit der Hoffnung auf bessere Jobs aus Shanghai nach Deutschland. “Sie haben für sich keine Zukunft gesehen in China”, erzählt die 21-Jährige, die mittlerweile in Abu Dhabi studiert. “Damals verdiente man in Deutschland selbst in einer Fabrik den chinesischen Monatslohn an einem einzigen Tag.”
Als Cheng eingeschult wurde, lernte sie, die Antworten zu geben, die von ihr erwartet wurden. Wenn jemand fragte, woher sie kam – und diese Frage kam häufig – antwortete sie: “aus China”. Dabei war sie erst mit sechs Jahren erstmals nach China gereist – es war für sie ein fremdes Land. “Oft wollen Menschen nicht wissen, wo ich geboren bin”, sagt Cheng. “Sie fragen so lange, bis sie wissen, dass meine Eltern aus China kommen.” Über das “Ah”, das häufig auf diese Information folgt, kann sie nur lachen. “Ich weiß eigentlich bis heute nicht, was das bedeuten soll.”
Das “Ah” bedeutet wohl, dass die Fragenden in ihrer Vermutung bestätigt wurden. Wie es sich anfühlt, immer wieder aufgrund von Äußerlichkeiten einsortiert zu werden. Diese Erfahrung teilt Cheng mit der chinesischen Community in Deutschland. “Besonders spürbar wurden die Vorurteile zu Beginn der Coronavirus-Pandemie”, sagt sie. “Die Berichterstattung über das Virus war stark auf China fokussiert, immer wieder wurden Chinesinnen und Chinesen und asiatisch aussende Menschen in meinem Freundeskreis diskriminiert.”
Cheng lebte zu der Zeit in Berlin und lernte die aktivistische Szene der Stadt kennen – ließ sich schließlich inspirieren, selbst etwas zu tun. Im vergangenen Jahr gründete sie das ZhongDe Magazin, in dem Autorinnen und Autoren mit chinesisch-deutscher Herkunft über das Chinesischsein schreiben. “Ich wollte aktiv etwas dazu beitragen, unsere Lebensrealität sichtbarer zu machen.” Sie verfasste einen Instagram-Post, fragte, ob jemand Lust hat, mitzumachen. “Dann ging alles ganz schnell. Es meldeten sich mehr als zehn Leute, die schreiben oder anders teilhaben wollten.”
Die erste Ausgabe erschien vier Monate später und nahm sich das Thema Familie vor. “Darüber konnte jeder sofort etwas erzählen.” Sie selbst outet sich in ihrem Artikel als “People Pleaser” und schreibt über die Werte, die ihre Eltern ihr vermittelt haben: “In meiner Kindheit war es völlig normal, dass meine Eltern und Großeltern große Opfer brachten und selbstlos handelten, ohne sich je anmerken zu lassen, was für eine große Last das für sie war.” Cheng lernte früh, sich zurückzunehmen, ging jedem Konflikt aus dem Weg und verbog sich, um jedem zu gefallen. “Dieses kulturelle Denken, dass man großzügig zu anderen und sparsam mit sich selbst ist, das musste ich erst einmal reflektieren, um es aufzubrechen.”
Ein “People Pleaser” möchte sie heute nicht mehr sein. Cheng hat sich fest vorgenommen, ihre Stimme zu erheben – sicher auch in den kommenden Ausgaben ihres ZhongDe-Magazins. Svenja Napp
Yang Yuan wird für die Financial Times künftig über Europa-China-Themen aus London berichten. Yang war sechs Jahre lang Korrespondentin für FT in Peking.
Zudem hat Chinas Staatsrat vor dem großen Stühlerücken im Herbst mehrere Personalien bekannt gegeben:
Zur Abwechslung zum Einstieg ein kleines Quiz: Was sind gängige chinesische Ausdrucksweisen für “die Regelblutung haben”? (Achtung: mehrere Antworten sind möglich!)
A: “Ich habe ,du weißt schon was’ bekommen.” (我来那个了Wǒ lái nèige le)
B: “Mein Hausmädchen ist da.” (我阿姨来了Wǒ āyí lái le)
C: “Meine Tante ist gekommen.” (我大姨妈来了Wǒ dàyímā lái le).
Und, Vorschläge? Antwort A konnten Sie ja vielleicht schon intuitiv abhaken. Schließlich drücken wir Frauen uns ja auch im Deutschen gerne mal nebulös aus, wenn die Sprache auf das Thema Monatsblutung kommt. Das deutsche “Ich habe ,meine Tage’ ist für Chinesen sicherlich genauso diffus, wie für uns der Ausspruch “Ich habe ,du weißt schon was’ (wörtlich eigentlich: ,das da’) bekommen”. Kurzum: Variante A ist tatsächlich eine Möglichkeit, um auf Chinesisch über die Periode zu sprechen.
Bleiben also noch die Stippvisiten von Hausmädchen und buckliger Verwandtschaft. Um noch ein bisschen an der Verwirrungsschraube zu drehen, verrate ich Ihnen, dass die Wörter 阿姨 āyí (Antwort B) und 大姨妈 dàyímā (Antwort C) eigentlich beide “Tante” bedeuten. Das erste Tantenlabel wird oft auch im Sinne von Zugehfrau oder Reinigungskraft gebraucht. Die letztere Tante ist dagegen wörtlich die “ältere Schwester der Mutter”. Okay. Ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen. Tatsächlich ist “meine Tante ist gekommen” (我大姨妈来了wǒ dàyímā lái le oder 我来大姨妈了 wǒ lái dàyímā le) in China eine gängige Metapher für die einsetzende Regelblutung. Mit Antwort B habe ich Sie also auf einen Holzweg gelockt.
Aber was zum Teufel haben Tantenbesuche überhaupt mit Menstruationstagen zu tun? Nun, wenn es Sie beruhigt: Das ist den Chinesen heute selbst ein wenig schleierhaft. Im Internet kursieren verschiedene Erklärungsversuche. Einer besagt, dass Frauen im alten China während der Regelblutung es oft nicht wagten, frei herumzuspazieren. Einladungen lehnten Sie in diesen Tagen gerne diskret unter dem Vorwand ab, “eine Tante sei zu Besuch gekommen”. Daraus soll sich dann mit der Zeit besagter Spruch entwickelt haben. Eine andere Version lautet, dass sich Chinas Frauen in der Antike bei schambehafteten Körperthemen (wenn überhaupt) nur älteren Geschlechtsgenossinnen anvertrauten – Tanten also, oder zumindest Frauen im tantenfähigen Alter. Damals soll “Tantentücher” sogar ein Synonym für Menstruationstücher gewesen sein.
Nebulös wird es für Ausländer übrigens auch, wenn man das Wort “Tante” einmal spaßeshalber in ein deutsch-chinesisches Onlinewörterbuch eintippt. Statt für Aufklärung zu sorgen, wirft das Ergebnis nur noch mehr Fragen auf. Das Thema Verwandtschaftsbezeichnungen ist im Chinesischen nämlich eine Wissenschaft für sich. Hier erfreut “Putonghua” im Vergleich zum Deutschen mit zwei zusätzlichen Koordinaten im semantischen System – nämlich erstens der Staffelung nach Alter und zweitens nach Geschlecht der Bezugsperson. Kultur-vergleichend mag das spannend sein. Illustriert es doch immerhin, wie Altersunterschiede und Geschlechtszugehörigkeit in China lange eine derart zentrale Rolle im gesellschaftlichen Hierarchiegefüge spielten, dass sich dies sogar lexikalisch niederschlug – also im Wortschatz. Uns Sprachenlernern stellen sich bei ersten Gehversuchen im chinesischen Verwandtschaftsbezeichnungsdschungel dagegen oft die Nackenhaare auf.
Allein für das Wort “Tante” erscheinen im Wörterbuch nämlich unzählige Varianten. Hier eine kleine (unvollständige) Auswahl:
姨 yí / 阿姨āyí – Schwester der Mutter
大姨 dàyí / 姨妈 yímā / 大姨妈 dàyímā – ältere Schwester der Mutter
小姨 xiǎoyí – jüngere Schwester der Mutter
姑姑 gūgu / 姑母 gūmǔ / 姑妈 gūmā – ältere oder jüngere Schwester des Vaters
伯母 bómǔ – Ehefrau eines älteren Bruders des Vaters
婶子 shěnzi / 婶母 shěnmǔ / 叔母 shūmǔ – Ehefrau eines jüngeren Bruders des Vaters
Wer jetzt bei so vielen Tanten-Varianten am liebsten wie von der Tarantel gestochen die Flucht ergreifen möchte, dem sei wenigstens Folgendes ein Trost: Periode-Bekundungen kann man auf Chinesisch auch mit der förmlicheren Formel 我来月经了wǒ lái yuèjīng le – “Ich habe meine Menstruation/Monatsblutung (bekommen)” tätigen. Taktvoll und doch völlig tantenfrei, was will man mehr.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.
vor gut einem Jahr erreichten uns aus Henan dramatische Bilder: überschwemmte Straßen, von Wassermassen mitgerissene Autos, eine U-Bahn in Zhengzhou, in der den Fahrgäste das Wasser bedrohlich bis zum Oberkörper steht. Offiziell kamen bei der Hochwasserkatastrophe Mitte Juli 2021 in der zentralchinesischen Provinz mehr als 300 Menschen ums Leben.
Und auch dieses Jahr gibt es wieder Extremwetter: Die Temperaturen in Henan kletterten bereits auf über 40 Grad. In anderen Regionen kommt es wieder zu Hochwasser und Erdrutschen. Der Klimawandel könnte in Zukunft mit voller Härte zuschlagen. China droht bis zu 20 Prozent seiner Ernten zu verlieren. Die Volksrepublik will sich in Zukunft besser an die Veränderung des Klimas anpassen – bisher hat der Staat allerdings zu wenig unternommen, um die Kosten und Schäden zu minimieren, schreibt Nico Beckert. Unter anderem zählen die zuständigen Behörden das Thema noch nicht zu ihren Arbeitsprioritäten. Problematisch ist auch weiterhin die Finanzierung.
Als weitaus dringender könnte die KP Chinas derzeit ein anderes Problem wahrnehmen: Vor allem seit dem chaotischen Lockdown in Shanghai sinkt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die chinesische Regierung und ihre Null-Covid-Pandemiebekämpfung. An einigen Stellen sollen die Corona-Apps sogar missbraucht worden sein, um Proteste zu verhindern, schreibt unsere Autorin Christiane Kühl. Auch bei den lokalen Kadern steigt der Frust. Bis diese Wunden geheilt sind, könnte es noch eine Weile dauern.
Wir wünschen Ihnen einen guten Start in die Woche!
Im Nordosten 40 Grad Celsius und mehr. Starkregen und Überflutungen, die Autos und Häuser mitreißen, in Teilen Südchinas – auch in der Volksrepublik gab es jüngst Extremwetter-Ereignisse. Es kam zu Erdrutschen infolge des Starkregens. Fünf Menschen starben, nachdem ihr Haus von den Fluten mitgerissen wurde. In der Provinz Henan mit fast 100 Millionen Einwohnern kletterten die Temperaturen für mehrere Tage auf teilweise über 40 Grad.
Die Volksrepublik ist mittlerweile der größte Klimasünder und für gut 30 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Zugleich ist das Land ein großes Opfer des Klimawandels. China droht bis zu 20 Prozent seiner Ernten zu verlieren. Überflutungen gefährden die Infrastruktur und Hitzewellen schlagen sich nicht nur auf die Gesundheit der Menschen nieder, sondern verringern auch ihre Arbeitsproduktivität (China.Table berichtete).
Die Regierung sieht den Klimawandel als “großes Risiko für Chinas Modernisierung” an, wie aus der neuen “Nationalen Strategie zur Anpassung an den Klimawandel 2035” hervorgeht. Mit der Anpassung sollen Schäden und wirtschaftliche Kosten verringert werden. Denn selbst wenn die Weltgemeinschaft ihre Klimaziele erreicht, werden die Folgen des Klimawandels nicht sofort verschwinden und die Schäden durch den Klimawandel zunächst weiter zunehmen. Freigesetztes CO2 bleibt lange Zeit in der Atmosphäre und schädigt das Klima über Jahrzehnte. Eine Anpassung an diese neuen Bedingungen zur Minderung der Schäden wird als wichtig angesehen.
Die Strategie enthält einen bunten Strauß an Maßnahmen. Aufgrund der hohen Urbanisierungsrate fällt ein großer Teil der Schäden des Klimawandels in den Städten an. Der Plan sieht den Ausbau weiterer sogenannter “Schwammstädte” vor (China.Table berichtete). Sie sollen in der Lage sein, extreme Regenfälle und Überflutungen besser zu bewältigen. Die Versiegelung der Städte durch Straßen und andere Infrastruktur soll ein Stück weit aufgebrochen werden.
Doch der Umbau der Städte in Schwammstädte wird jedoch durch finanzielle Probleme ausgebremst (China.Table berichtete). Die 16 Städte, die in einem ersten Pilotprogramm zu Schwammstädten werden sollten, haben von der Zentralregierung lediglich zwei Milliarden Euro an Unterstützung erhalten – für einen wirksamen Umbau der Infrastruktur viel zu wenig. Die neue Klima-Strategie erhält zwar auch Passagen zur besseren Finanzierung von Maßnahmen. Doch sie nennt keine Details zum Umfang der Finanzmittel. Auch mehr Parks und Gärten sollen in den Städten dafür sorgen, dass mehr Regenwasser aufgenommen werden kann und das städtische Klima verbessert wird.
Zudem will China die Infrastruktur an den Klimawandel anpassen. Dazu gehört ein vor Extremwetter besser geschütztes Stromnetz. Wie ernst der Klimawandel genommen wird, zeigt sich in der geplanten Anpassung der Baustandards. Gebäude sollen in Zukunft stärkere Winde aushalten, die Fundamente stabiler gebaut werden, um die Gebäude gegen Überflutungen zu sichern.
Um die Nahrungsmittelversorgung in Zukunft sicherzustellen, will China an den Klimawandel angepasste Pflanzen und Tierarten entwickeln. Hitzewellen und Dürren bedrohen Chinas zukünftige Ernten sehr stark. Chinesische Forscher arbeiten deshalb an der Erforschung hitzeresistenter Arten. Beim Reis wurden erste Erfolge erzielt und zwei Gene gefunden, die die Ernten unter Hitzestress verbessern könnten. Die Forscher hoffen, diese Gene auch in andere Arten einpflanzen zu können. Daneben will die Regierung einen Aktionsplan vorlegen, um die Qualität der landwirtschaftlichen Böden zu verbessern. Durch den hohen Pestizid-Einsatz und die Verschmutzung durch industrielle Prozesse haben Chinas Böden in den letzten Jahrzehnten massiv gelitten (China.Table berichtete).
Auch das Gesundheitssystem soll an den Klimawandel angepasst werden. Durch vermehrte und längere Hitzewellen sind besonders ältere Menschen stark vom Klimawandel betroffen. Die Regierung will prüfen, ob das Gesundheitssystem darauf eingestellt ist. Beispielsweise soll ein Frühwarnsystem für Klima-bedingte Krankheiten und Gesundheitsschäden aufgebaut werden.
Frühwarnsysteme sollen ebenso in anderen Bereichen die Schäden durch den Klimawandel möglichst minimieren. Unternehmen und Banken sollen ihre Klimarisiken möglichst bald offenlegen (China.Table berichtete). Damit sollen Finanzkrisen verhindert werden. Investieren zu viele Unternehmen in fossile Sektoren, die in Zukunft keine Gewinne mehr abwerfen, würden die Banken und dann die Wirtschaft in Nöte geraten.
Auch im Bereich der Klima- und Wetter-Vorhersagen strebt China Verbesserungen an. Große Wetterereignisse sollen einen Monat, globale Klimaanomalien sogar ein Jahr im Voraus zuverlässig vorhergesagt werden. Experten bezweifeln, dass detaillierte Vorhersagen für so große Zeiträume überhaupt möglich sind.
China hat schon 2013 eine Strategie zur Anpassung an den Klimawandel vorgelegt. Die jetzt veröffentlichte Strategie stellt den verantwortlichen Stellen kein gutes Zeugnis aus:
Li Shuo von Greenpeace Ostasien stimmt mit dieser Einschätzung überein. Die Anpassung sei ein schwieriges Thema, für das sich schwer politische Aufmerksamkeit und Finanzierungen gewinnen lassen. “China macht nur erste Schritte bei der Anpassung an den Klimawandel“, so Li. Nach der Erneuerung der Strategie bleibe abzuwarten, ob es der Zentralregierung gelingt, “alle regional Verantwortlichen und alle Sektoren für die Klimawandel-Anpassung zu mobilisieren”.
Bisher haben die Regionen und einige verantwortliche Ministerien dem Thema noch nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt, sagt Patrick Verkooijen. “Wir arbeiten daran, die Anpassungspolitik und -steuerung auf nationaler und regionaler Ebene zu verbessern“, so der CEO der Organisation Global Center on Adaptation. Die Organisation ist internationaler Partner des chinesischen Umweltministeriums und wirkt an der Umsetzung der Anpassungsstrategie und der Entwicklung von Anpassungsstrategien auf Provinzebene mit.
Auch die Finanzierung ist problematisch. In der Vergangenheit hat die Zentralregierung kaum Haushaltsmittel zur Anpassung bereitgestellt. Zwar wurden Gelder für den Hochwasserschutz und die Dürrebekämpfung bewilligt, doch laut Experten reiche das angesichts der Schwere des Klimawandels nicht aus.
Es war ein ungewöhnlicher Protest. Im Shanghaier Jingan-Distrikt gingen Dutzende weiß gekleidete Pandemiearbeiter, im Volksmund “Große Weiße”, auf die Straße und verlangten ihre nicht gezahlten Löhne: “Gebt uns unser hart verdientes Geld!” skandierten sie; Videos von der Aktion zirkulierten in sozialen Medien. Offiziell bestätigt wurde das Video und die ausgebliebenen Löhne nicht – aber der Protest ist kein Einzelfall. Es gebe immer mehr solche Unruhen von Arbeitern im Zusammenhang mit der Umsetzung der chinesischen Pandemie-Präventionspolitik, schreibt das China Labour Bulletin (CLB), eine Nichtregierungsorganisation für Arbeiterrechte in China mit Sitz in Hongkong.
Seit März zeichnete CLB auf seiner interaktiven Streik-Karte 14 Proteste im Zusammenhang mit dem Coronavirus auf, acht davon im Lockdown-müden Shanghai: “Schlechte Arbeitsbedingungen unter strengen Sperrmaßnahmen führten nicht nur zu Protesten von Ärzten, Krankenschwestern und weiß gekleideten Pandemiearbeitern, sondern auch von Fabrikarbeitern, Taxifahrern und anderen.”
Aber es ist nicht nur das. Die gesamte Ausführung des Shanghaier Lockdowns war teilweise so stümperhaft, dass sie das Selbstverständnis der Shanghaier erschütterte. In vielen Wohnanlagen funktionierten die Essenslieferungen nicht, manche bekamen dringend benötigte Medikamente nicht, und alle mussten dauernd stundenlang vor PCR-Teststationen warten – in ständiger Furcht, bei einem positiven Ergebnis sofort in eines der Isolationszentren gebracht zu werden. CLB berichtet von Protesten “Großer Weißer”, die nach dem Ende ihrer freiwilligen Einsätze nicht wie versprochen die vor der Heimkehr obligatorische Quarantäne im Hotel absitzen durften – sondern dafür wie die positiv Getesteten in eine Isolierstation verfrachtet wurden.
Auch die Unklarheit über die wechselnde Öffnung und Schließung von Wohnquartieren sorgt für Unmut. Mitte Juni etwa postete ein Anwohner den Mini-Protest von Menschen, denen die Öffnung ihres Wohnviertels zugesagt worden war – aber dann nicht erfolgte. Sie traten einfach den Zaun um, der ihr Viertel von der Außenwelt trennte.
“In Shanghai ist ein großer Schaden am sozialen Vertrag zwischen Partei und Bürgern entstanden”, sagt Nis Grünberg vom China-Institut Merics. Er nennt ein Beispiel. Zu Beginn der Pandemie seien viele Menschen genervt gewesen von dem Health Code auf dem Smartphone, den man seit langem überall vorzeigen muss. “Aber etwas später ist das dann reibungslos in den Alltag eingeflossen.” Und man habe erkannt, dass digital gestützte Pandemiebekämpfung durchaus sinnvoll sei, so Grünberg zu China.Table. “Doch dieses Vertrauen, dass Maßnahmen sinnvoll sind und dem Gemeinwohl dienen, ist in Shanghai wohl kaputtgegangen – und auch in manchen anderen Städten.”
Es werde lange dauern, bis diese Wunden geheilt seien, glaubt Grünberg. “Für Dienstleister, kleine Läden oder Restaurants ist der Schaden durch den Lockdown enorm groß. Die Menschen brauchen dauernd PCR-Tests für grüne Health Codes, das ist schon sehr anstrengend.” Darüber hinaus sind noch größere Probleme bekannt geworden. “Auch sind schon Missbräuche der Codes zur sozialen Kontrolle bekanntgeworden – Behörden können Bürgern die Mobilität einfach nehmen, indem sie die Codes auf Rot stellen.”
Im Juni zog ein Vorfall aus dem zentralchinesischen Zhengzhou – Provinzhauptstadt Henans – weite Kreise in sozialen Medien. Dort verhinderten die Behörden laut CLB einen Protest von hunderten wütenden Kunden einer lokalen Bank, indem sie ihre Health Codes auf Rot stellten.
Der Vorfall rief sogar Kritik aus ungewöhnlichen Ecken hervor – etwa von Hu Xijin, der sonst als nationalistisches Sprachrohr twitternde Ex-Chefredakteur der Global Times. Manipulationen des Codes beschädigten die Autorität des Code-Systems und würde die Unterstützung der Öffentlichkeit dafür schmälern, schrieb Hu laut New York Times auf Weibo. Der Hashtag habe Mitte Juni mit 280 Millionen Aufrufen zu den meistgesuchten Hashtags gehört.
Die Sache ist noch lange nicht vorbei, weder in Shanghai noch anderswo. Kleine Geschäftsleute kämpfen in diesem Umfeld ums Überleben. Hunderte Shanghaier Kleinunternehmer gingen laut CLB im Juni auf die Straße und forderten Mietbefreiungen von ihrem privaten Vermieter auf einem örtlichen Bekleidungsmarkt. Die Proteste zeigten, dass die staatlichen Maßnahmen zur Linderung einer Pandemie nicht weit genug gehen, um den immensen finanziellen Druck zu lindern, den Arbeitnehmer, Kleinunternehmer und andere Bürger in ganz China verspüren.
Ende Mai hatte Shanghai eine Reihe von rund 50 Maßnahmen angekündigt, um die angeschlagene Wirtschaft anzukurbeln. Doch diese griffen zu kurz, kritisiert CLB. Zum Beispiel gebe es bisher wenig bis gar keine Unterstützung für Arbeitnehmer oder Kleinfirmen. Stattdessen gebe es Anreize zum Autokauf von Neuwagenverkäufe in Shanghai sowie kleine einmalige Zahlungen an Unternehmen in Höhe von 600 Yuan für jeden Mitarbeiter, wenn sie wenige oder gar keine Arbeitnehmer entlassen hatten. Alternativ hatte der chinesische Ex-Chefökonom der Weltbank, Lin Yifu, der Zentralregierung empfohlen, Familien in abgeriegelten Gebieten 1.000 Yuan zu zahlen, um die Bürger zu unterstützen und den Konsum anzukurbeln.
Doch nicht nur die Bürger haben finanzielle Probleme. Berichten zufolge haben auch die Kommunalverwaltungen Schwierigkeiten, die hohen Kosten für die Pandemie-Präventionsmaßnahmen zu stemmen. (China.Table berichtete). Am Ende droht dadurch nach Ansicht des CLB immer die Gefahr, Löhne und Sozialausgaben nicht in vollem Umfang zahlen zu können.
Da die Anweisungen von ganz oben kommen, gebe es wegen der Null-Covid-Politik durchaus Frust unter lokalen Kadern, sagt Nis Grünberg. Häufig würden die Funktionäre dann aus Angst, dass Köpfe rollen, zur Über-Implementierung neigen, so der Merics-Forscher. “Man macht also lieber zu viel, als zu wenig.” Das Risiko einer lockereren Herangehensweise sei sehr groß, wenn es damit eben nicht klappt, das Virus zurückzudrängen – wie im Frühjahr in Shanghai gesehen.
Eine so starke Übersensibilisierung auf lokaler Ebene wie derzeit sei selten zu beobachten, sagt Grünberg. “Das führte sogar dazu, dass es eine Anweisung aus Peking gab, dass die Kommunen es mit den Lockdowns nicht übertreiben, sondern auch die Geschäfte und Firmen mitbedenken.” In China seien landesweit einheitliche Regeln noch schwieriger als in Deutschland, meint Grünberg. “Es ist einfach noch viel größer und heterogener.” Die lokalen Null-Covid-Maßnahmen laufen zudem eher im Kampagnen-Stil ab. “Die Regierung gebe eine Priorität aus: ‘Kein Covid’. Und dann geben sie eine Liste an legitimen Eingriffen und Instrumenten heraus. “Aber die Details muss dann die Kommune selbst entwerfen.”
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnt vor einer zu großen Abhängigkeit Deutschlands von China. “Auf manchen strategisch wichtigen Feldern ist unsere Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen deutlich größer als unsere Abhängigkeit von russischem Gas“, sagte Steinmeier in Hamburg beim Festakt zum 100. Geburtstags des Überseeclubs, der sich für Demokratie und Völkerverständigung einsetzt. Zu abhängig sei Deutschland etwa bei pharmazeutischen Produkten und “Technologien, die für die Energie- und Mobilitätswende unverzichtbar” seien.
Um sich aus der Abhängigkeit zu befreien, müsse Deutschland etwa “Metalle der seltenen Erden auch und ergänzend aus anderen Quellen” beziehen, sie recyceln oder ersetzen, so der Bundespräsident weiter. Deutschland dürfe von keinem Land der Welt erpressbar sein. China sei und bleibe ein wichtiger Partner, so Steinmeier weiter. Gleichzeitig plädiere er für neue Freihandelsabkommen mit Ländern wie Kanada, den USA, Australien, Neuseeland, Mexiko, Chile “und vielen anderen”. “Vernetzung ausbauen, Verwundbarkeit abbauen, genau das muss die Maxime unseres Handelns sein und werden.” fpe
Staatschef Xi Jinping hat in einer Grundsatzrede in Hongkong zum 25. Jahrestag der Rückgabe (China.Table berichtete) sein Verständnis des Grundsatzes “ein Land, zwei Systeme” dargelegt. Er stellt darin die Arbeitsteilung der zwei Systeme als völlig intakt dar. Auf der einen Seite stehe das sozialistische System mit chinesischen Charakteristiken auf dem Festland, auf der anderen das kapitalistische System, das sich vor der Rückgabe in Hongkong etabliert habe. “Genau so war das Prinzip ursprünglich angelegt”, sagt Xi am Freitag in Hongkong. Eine nicht-wirtschaftliche Dimension war dem Geist seiner Rede zufolge von den Vertragspartnern China und Großbritannien nicht beabsichtigt. Erst mit der Rückkehr ins Mutterland habe die wahre Demokratie in Hongkong begonnen. Vorher sei es fremd beherrscht gewesen.
Das Vorhandensein der zwei Systeme dient Xi zufolge höheren Zwecken: der Souveränität, der Sicherheit und dem Wohlstand des Mutterlandes. Es stehe nicht darüber, sondern sei ein Teil davon. Deshalb müsse die Zentralregierung immer das letzte Wort haben. Innerhalb dieses Rahmens könne die Sonderregion jedoch ein hohes Maß an Autonomie genießen. Es müsse aber stets sichergestellt werden, dass Hongkong von “Patrioten” regiert wird, die diese höheren Ziele im Blick behalten. “Es gibt kein Land auf der Welt, in dem die Menschen es unpatriotischen Kräften erlauben würden, die Macht zu übernehmen.” Die Patrioten sollten dann die “speziellen Vorteile” des Standorts zum Wohle des ganzen Landes ausspielen.
Dem aktuellen Patrioten an der Hongkonger Verwaltungsspitze, John Lee (China.Table berichtete), gibt Xi zum Amtsantritt eine ganze Reihe Aufgaben mit.
Schon am Sonntag berief Lee eilfertig eine Kabinettssitzung ein, um die Maßgaben des Staatsführers zu besprechen und ein Handlungsprogramm zu entwerfen.
Xis verkehrt mit seiner Rede die im liberalen Teil der Hongkonger Gesellschaft weit verbreitete Interpretation von “ein Land, zwei Systeme” ins Gegenteil. Dort stehen als entscheidende Systemunterschiede demokratische Wahlen, freie Meinungsäußerung und eine unabhängige Justiz im Vordergrund. Die Volksrepublik hat sich seit Abschluss des Vertrags zwischen Großbritannien und China 1984 so kapitalistisch entwickelt, dass der Unterschied der Wirtschaftssysteme in den Hintergrund gerückt ist.
Als Kernsatz der Sino-British Joint Declaration gilt hier, dass die “Legislative der Sonderverwaltungsregion Hongkong durch Wahlen” bestimmt sein soll. In Anhang I, Absatz 13, legt sie zudem fest, dass folgende Grundrechte erhalten bleiben sollten:
Das Sicherheitsgesetz von 2020, die Unterdrückung der Proteste, die Verfolgung von Politikern des demokratischen Lagers und von Journalisten werden daher von Großbritannien als Vertragsbruch der Joint Declaration gesehen. fin
Bill Nelson, der Chef der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa, hält Chinas Raumfahrt-Programm für militärisch motiviert. Das erklärte der 79-Jährige am Samstag in einem Interview mit der Bild-Zeitung. “Wir müssen sehr besorgt darüber sein, dass China auf dem Mond landet und sagt: Das gehört jetzt uns, und ihr bleibt draußen”, so der ehemalige Astronaut.
Anders als beim “Artemis”-Programm der Amerikaner seien die Chinesen nicht gewillt, ihre Forschungsergebnisse zu teilen und den Mond gemeinsam zu nutzen. “Es gibt ein neues Rennen zum Weltraum – diesmal mit China”, so der Nasa-Chef. Mit dem “Artemis”-Programm will die amerikanische Raumfahrtbehörde zum ersten Mal seit 50 Jahren amerikanische Astronauten auf den Mond bringen.
China hat bereits mehrfach Forschungsroboter auf die Mondoberfläche geschickt. Bemannte Mondmissionen sind in Planung. In den 2030er-Jahren wollen die Chinesen dann eine permanente Raumstation auf dem Mond errichten. Nasa-Chef Nelson vermutet, dass diese dazu dienen könnte, die Satelliten von anderen Nationen zu zerstören. Auch eine chinesische Zusammenarbeit mit Russland hält Nelson für denkbar. rtr/fpe
China Southern Airlines plant, 96 Airbus A320neo-Jets zu ordern. Dabei handelt es sich um die größte Bestellung neuer Flugzeuge seit Beginn der Corona-Pandemie, die für die Flugzeug- und Reisebranche beispiellose Einbrüche gebracht hatte. Für Airbus selbst bedeutet die Lieferung einen bemerkenswerten Schub im chinesischen Markt. Der Auftrag war China Southern Airlines zufolge rund 12,25 Milliarden US-Dollar wert.
Die Auslieferungen sollen von 2024 bis 2027 erfolgen: 30 Jets im Jahr 2024, 40 im Jahr 2025, 19 im Jahr 2026 und sieben im Jahr 2027. “Der Vorstand ist der Ansicht, dass der Flugzeugkauf mit der im 14. Fünfjahresplan des Unternehmens festgelegten Flottenstrategie übereinstimmt”, teilte die Fluggesellschaft mit und fügte an, dass der Kauf zur Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens beitragen werde. ari/rtr
Der chinesische Mineralölkonzern China National Offshore Oil Corporation (CNOOC) will seine Ausgaben für saubere Energie erhöhen. Geplant sei es, 2028 den Höhepunkt der CO2-Emissionen zu erreichen, CO2-Neutralität solle dann im Jahr 2050 erlangt werden, teilte der teilstaatliche Konzern mit. Die neuen Ziele sind damit ehrgeiziger als bisher und gehen über staatliche Ankündigungen hinaus: Peking hatte die CO2-Neutralität für 2060 angekündigt. Demnach will CNOOC zwischen den Jahren 2026 und 2030 seine Ausgaben für erneuerbare Energien auf zehn bis 15 Prozent seiner Gesamtausgaben anheben. Im vergangenen Jahr und bis 2025 liegen diese bisher bei fünf bis zehn Prozent.
Chinas drei große staatliche Öl- und Gasunternehmen, darunter CNOOC, China National Petroleum Corp. und Sinopec Group, haben sich alle individuelle Klimaziele gesetzt. Laut Bloomberg gibt es keine Details für einen einheitlichen Plan. Im Gegensatz dazu haben sich Chinas Stromerzeuger gemeinsam zu staatlich vorgeschriebenen Emissionssenkungen verpflichtet. Um die neuen Ziele zu erreichen, will CNOOC vor allem in Wind- uns Solarkapazitäten investieren. Vergangene Woche verkündete das Unternehmen zudem, gemeinsam mit Exxon Mobil und Shell eine CO2-Abscheidungsanlage entwickeln zu wollen. niw
Die chinesische Stadt Wuhan meldet neue Corona-Fälle: Bei zwei Hafenarbeitern seien asymptomatische Infektionen festgestellt worden, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. Es seien die ersten Covid-Erkrankungen in Wuhan seit einem Monat. In der 11-Millionen-Einwohner-Metropole war Ende 2019 zum ersten Mal das Coronavirus nachgewiesen worden.
Erst am Mittwoch hatte Chinas Präsident Xi Jinping Wuhan besucht. Trotz der hohen wirtschaftlichen Kosten verteidigte er bei dem symbolischen Besuch die Null-Covid-Politik der Regierung. Diese Strategie sei “richtig und wirksam” und solle unbedingt beibehalten werden, zitierte ihn die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua.
Am Sonntag meldeten Chinas Gesundheitsbehörden 473 neue Coronavirus-Fälle für das ganze Land, 292 davon in der Provinz Anhui, die östlich an die Provinz Hubei mit der Hauptstadt Wuhan grenzt. Teile der Region befinden sich bereits in einem Lockdown. Neue Massentests werden erwartet. fpe
Jeder Mensch ist anders. Keine zwei Personen gleichen sich vollkommen. Und doch stellt unsere Gesellschaft bestimmte Menschen oder Gruppen als “anders” heraus und meint damit: anders als wir. Es ist leicht, Teil der größeren Gruppe zu sein, und es ist schwer, Außenseiter zu sein. Wenn Li Cheng heute über ihre chinesischen Wurzeln spricht, über das Chinesischsein in Deutschland und über die Vorurteile, mit denen sie konfrontiert wird, merkt man ihr diese Last jedoch nicht an. Sie hat ihren Frieden mit dem vermeintlichen “Anderssein” geschlossen.
Cheng ist in der Nähe von Düsseldorf geboren und aufgewachsen, ihre Eltern kamen in den 1980er-Jahren mit der Hoffnung auf bessere Jobs aus Shanghai nach Deutschland. “Sie haben für sich keine Zukunft gesehen in China”, erzählt die 21-Jährige, die mittlerweile in Abu Dhabi studiert. “Damals verdiente man in Deutschland selbst in einer Fabrik den chinesischen Monatslohn an einem einzigen Tag.”
Als Cheng eingeschult wurde, lernte sie, die Antworten zu geben, die von ihr erwartet wurden. Wenn jemand fragte, woher sie kam – und diese Frage kam häufig – antwortete sie: “aus China”. Dabei war sie erst mit sechs Jahren erstmals nach China gereist – es war für sie ein fremdes Land. “Oft wollen Menschen nicht wissen, wo ich geboren bin”, sagt Cheng. “Sie fragen so lange, bis sie wissen, dass meine Eltern aus China kommen.” Über das “Ah”, das häufig auf diese Information folgt, kann sie nur lachen. “Ich weiß eigentlich bis heute nicht, was das bedeuten soll.”
Das “Ah” bedeutet wohl, dass die Fragenden in ihrer Vermutung bestätigt wurden. Wie es sich anfühlt, immer wieder aufgrund von Äußerlichkeiten einsortiert zu werden. Diese Erfahrung teilt Cheng mit der chinesischen Community in Deutschland. “Besonders spürbar wurden die Vorurteile zu Beginn der Coronavirus-Pandemie”, sagt sie. “Die Berichterstattung über das Virus war stark auf China fokussiert, immer wieder wurden Chinesinnen und Chinesen und asiatisch aussende Menschen in meinem Freundeskreis diskriminiert.”
Cheng lebte zu der Zeit in Berlin und lernte die aktivistische Szene der Stadt kennen – ließ sich schließlich inspirieren, selbst etwas zu tun. Im vergangenen Jahr gründete sie das ZhongDe Magazin, in dem Autorinnen und Autoren mit chinesisch-deutscher Herkunft über das Chinesischsein schreiben. “Ich wollte aktiv etwas dazu beitragen, unsere Lebensrealität sichtbarer zu machen.” Sie verfasste einen Instagram-Post, fragte, ob jemand Lust hat, mitzumachen. “Dann ging alles ganz schnell. Es meldeten sich mehr als zehn Leute, die schreiben oder anders teilhaben wollten.”
Die erste Ausgabe erschien vier Monate später und nahm sich das Thema Familie vor. “Darüber konnte jeder sofort etwas erzählen.” Sie selbst outet sich in ihrem Artikel als “People Pleaser” und schreibt über die Werte, die ihre Eltern ihr vermittelt haben: “In meiner Kindheit war es völlig normal, dass meine Eltern und Großeltern große Opfer brachten und selbstlos handelten, ohne sich je anmerken zu lassen, was für eine große Last das für sie war.” Cheng lernte früh, sich zurückzunehmen, ging jedem Konflikt aus dem Weg und verbog sich, um jedem zu gefallen. “Dieses kulturelle Denken, dass man großzügig zu anderen und sparsam mit sich selbst ist, das musste ich erst einmal reflektieren, um es aufzubrechen.”
Ein “People Pleaser” möchte sie heute nicht mehr sein. Cheng hat sich fest vorgenommen, ihre Stimme zu erheben – sicher auch in den kommenden Ausgaben ihres ZhongDe-Magazins. Svenja Napp
Yang Yuan wird für die Financial Times künftig über Europa-China-Themen aus London berichten. Yang war sechs Jahre lang Korrespondentin für FT in Peking.
Zudem hat Chinas Staatsrat vor dem großen Stühlerücken im Herbst mehrere Personalien bekannt gegeben:
Zur Abwechslung zum Einstieg ein kleines Quiz: Was sind gängige chinesische Ausdrucksweisen für “die Regelblutung haben”? (Achtung: mehrere Antworten sind möglich!)
A: “Ich habe ,du weißt schon was’ bekommen.” (我来那个了Wǒ lái nèige le)
B: “Mein Hausmädchen ist da.” (我阿姨来了Wǒ āyí lái le)
C: “Meine Tante ist gekommen.” (我大姨妈来了Wǒ dàyímā lái le).
Und, Vorschläge? Antwort A konnten Sie ja vielleicht schon intuitiv abhaken. Schließlich drücken wir Frauen uns ja auch im Deutschen gerne mal nebulös aus, wenn die Sprache auf das Thema Monatsblutung kommt. Das deutsche “Ich habe ,meine Tage’ ist für Chinesen sicherlich genauso diffus, wie für uns der Ausspruch “Ich habe ,du weißt schon was’ (wörtlich eigentlich: ,das da’) bekommen”. Kurzum: Variante A ist tatsächlich eine Möglichkeit, um auf Chinesisch über die Periode zu sprechen.
Bleiben also noch die Stippvisiten von Hausmädchen und buckliger Verwandtschaft. Um noch ein bisschen an der Verwirrungsschraube zu drehen, verrate ich Ihnen, dass die Wörter 阿姨 āyí (Antwort B) und 大姨妈 dàyímā (Antwort C) eigentlich beide “Tante” bedeuten. Das erste Tantenlabel wird oft auch im Sinne von Zugehfrau oder Reinigungskraft gebraucht. Die letztere Tante ist dagegen wörtlich die “ältere Schwester der Mutter”. Okay. Ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen. Tatsächlich ist “meine Tante ist gekommen” (我大姨妈来了wǒ dàyímā lái le oder 我来大姨妈了 wǒ lái dàyímā le) in China eine gängige Metapher für die einsetzende Regelblutung. Mit Antwort B habe ich Sie also auf einen Holzweg gelockt.
Aber was zum Teufel haben Tantenbesuche überhaupt mit Menstruationstagen zu tun? Nun, wenn es Sie beruhigt: Das ist den Chinesen heute selbst ein wenig schleierhaft. Im Internet kursieren verschiedene Erklärungsversuche. Einer besagt, dass Frauen im alten China während der Regelblutung es oft nicht wagten, frei herumzuspazieren. Einladungen lehnten Sie in diesen Tagen gerne diskret unter dem Vorwand ab, “eine Tante sei zu Besuch gekommen”. Daraus soll sich dann mit der Zeit besagter Spruch entwickelt haben. Eine andere Version lautet, dass sich Chinas Frauen in der Antike bei schambehafteten Körperthemen (wenn überhaupt) nur älteren Geschlechtsgenossinnen anvertrauten – Tanten also, oder zumindest Frauen im tantenfähigen Alter. Damals soll “Tantentücher” sogar ein Synonym für Menstruationstücher gewesen sein.
Nebulös wird es für Ausländer übrigens auch, wenn man das Wort “Tante” einmal spaßeshalber in ein deutsch-chinesisches Onlinewörterbuch eintippt. Statt für Aufklärung zu sorgen, wirft das Ergebnis nur noch mehr Fragen auf. Das Thema Verwandtschaftsbezeichnungen ist im Chinesischen nämlich eine Wissenschaft für sich. Hier erfreut “Putonghua” im Vergleich zum Deutschen mit zwei zusätzlichen Koordinaten im semantischen System – nämlich erstens der Staffelung nach Alter und zweitens nach Geschlecht der Bezugsperson. Kultur-vergleichend mag das spannend sein. Illustriert es doch immerhin, wie Altersunterschiede und Geschlechtszugehörigkeit in China lange eine derart zentrale Rolle im gesellschaftlichen Hierarchiegefüge spielten, dass sich dies sogar lexikalisch niederschlug – also im Wortschatz. Uns Sprachenlernern stellen sich bei ersten Gehversuchen im chinesischen Verwandtschaftsbezeichnungsdschungel dagegen oft die Nackenhaare auf.
Allein für das Wort “Tante” erscheinen im Wörterbuch nämlich unzählige Varianten. Hier eine kleine (unvollständige) Auswahl:
姨 yí / 阿姨āyí – Schwester der Mutter
大姨 dàyí / 姨妈 yímā / 大姨妈 dàyímā – ältere Schwester der Mutter
小姨 xiǎoyí – jüngere Schwester der Mutter
姑姑 gūgu / 姑母 gūmǔ / 姑妈 gūmā – ältere oder jüngere Schwester des Vaters
伯母 bómǔ – Ehefrau eines älteren Bruders des Vaters
婶子 shěnzi / 婶母 shěnmǔ / 叔母 shūmǔ – Ehefrau eines jüngeren Bruders des Vaters
Wer jetzt bei so vielen Tanten-Varianten am liebsten wie von der Tarantel gestochen die Flucht ergreifen möchte, dem sei wenigstens Folgendes ein Trost: Periode-Bekundungen kann man auf Chinesisch auch mit der förmlicheren Formel 我来月经了wǒ lái yuèjīng le – “Ich habe meine Menstruation/Monatsblutung (bekommen)” tätigen. Taktvoll und doch völlig tantenfrei, was will man mehr.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.