Executive Summary
Erscheinungsdatum: 07. Februar 2025

Rüstungsindustrie wächst und lockt Fachkräfte aus Autoindustrie

Von Thilo Boss und Kristián Kudela

Die deutsche Automobilindustrie schrumpft und baut Stellen ab, die deutsche Rüstungsindustrie befindet sich auf Wachstumskurs und sucht händeringend Mitarbeiter. „Die Verteidigungsindustrie in Deutschland ist durch geringe Stückzahlen nach Ende des Kalten Krieges zum Manufakturgeschäft geworden. Das ändert sich jetzt, weil sich auch die Bedrohungsszenarien mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine geändert haben“, beschreibt Hensoldt-Vorstand und CHRO des Konzerns, Lars Immisch, im Gespräch dem CEO.Table die veränderte Lage.

Längst sind es aber nicht nur einzelne Mitarbeiter, die die Branchen wechseln, sondern Einstellungen der Rüstungsindustrie aus anderen Bereichen finden bereits im großen Stil statt. So will etwa der Radar- und Sensorspezialist Hensoldt in Wetzlar bis zu 200 Mitarbeiter von den von Auftragsverlusten geplagten Autozulieferern Continental und Robert Bosch übernehmen. Heeresausrüster Rheinmetall hat gerade in Gifhorn 100 Beschäftigten des defizitären Conti-Bremsenwerks den Wechsel in eine Munitionsfabrik angeboten. Und der deutsch-französische Panzerbauer KNDS besiegelte erst am Mittwoch in Anwesenheit von Bundeskanzler Olaf Scholz eine Vereinbarung mit dem Bahntechnik-Konzern Alstom. Der Panzerbauer sicherte zu, in Görlitz das vor dem Aus stehende Werk zu übernehmen und etwa die Hälfte der 700 Mitarbeiter weiterzubeschäftigen.

„Für qualifizierte Ingenieure und Fachkräfte aus der Automobilindustrie und technisch anspruchsvollen Branchen kann die deutsche Wehrtechnik eine berufliche Perspektive bieten und ein lukrativer Arbeitgeber sein“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) und ehemalige Thyssen-Krupp-Marine-Systems-CEO, Hans Christoph Atzpodien. Soll heißen: Die Auftragsbücher der Konzerne sind prall gefüllt und werden sich noch weiter füllen, was sich aber nicht nur in den Bilanzen der Unternehmen ablesen lässt.

2024 gaben die EU-Staaten nach Angaben der Verteidigungsagentur der Europäischen Union (EDA) rund 326 Milliarden Euro für Rüstung aus. Im Vergleich zum Vorkriegsjahr 2021 sind die Ausgaben damit um 31 Prozent gestiegen. Tendenz: stark steigend. Denn noch immer haben nicht alle europäischen Nato-Mitgliedstaaten ihre Verpflichtung erfüllt, mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Verteidigung zu investieren. Mittlerweile ist sogar die von US-Präsident Donald Trump geforderte Anhebung der Verteidigungsausgaben von bis zu fünf Prozent des BIPs nicht mehr unwahrscheinlich.

Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW) und CEO.Table-Kolumist, Professor Moritz Schularick, hält diese Größenordnung für Deutschland durchaus für realistisch, wenn die Bundeswehr „von einer Friedensverwaltungsbürokratie“, wie er es nennt, zu einer „schlagkräftigen Truppe umgebaut wird“, die das Land auch verteidigen kann. Dafür ist nach Berechnungen des Volkswirts eine Anhebung der Verteidigungsausgaben von mindestens drei bis vier Prozent des BIPs notwendig.

Für Deutschland, das in der Rezession steckt und wieder mit steigender Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat, hätte das konjunkturell positive Effekte, falls die Aufträge auch großteils im Land vergeben würden. Laut Schularick liegen die Multiplikatoren für Verteidigungsausgaben zwischen 0,6 und 1,5. Gibt der Staat also 100 Milliarden Euro zusätzlich für Verteidigung aus, steigt das Bruttoinlandsprodukt um 60 bis 150 Milliarden Euro. „In anderen Worten, wenn wir dauerhaft zwei Prozent des BIP mehr für Verteidigung ausgeben, steigt das Bruttoinlandsprodukt um eins bis drei Prozent“, sagt der IfW-Präsident, der dazu in der kommenden Woche auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) eine entsprechende Studie vorlegen wird (siehe dazu CEO.Economis).

Was das für den Jobaufbau in der Rüstungsindustrie bedeutet – 2024 zählte die Rüstungsbranche hierzulande rund 14.000 Beschäftigte –, hat Arbeitsmarktforscher Professor Enzo Weber vom IAB ausgerechnet. „Bei einer Erhöhung von zwei auf drei Prozent wären 200.000 zusätzliche Jobs möglich“, sagt Weber. Dafür sei allerdings eine antizipierbare Politik wichtig, damit Kapazitäten im Inland aufgebaut würden: sowohl für private Investitionen als auch für berufliche Entwicklung. „Die staatliche Beschaffung sollte man auch als Chance nutzen, darüber Technologie- und Innovationsförderung zu betreiben“, so Weber weiter.

Jedenfalls heben die deutschen Rüstungskonzerne schon jetzt ihre mittelfristigen Umsatzprognosen kräftig an. Rheinmetall-Vorstandsvorsitzender Armin Papperger will bis 2027 die Erlöse des Düsseldorfer Dax-Konzerns auf 20 Milliarden Euro verdoppeln, Hensoldt-CEO Oliver Dörre plant bis 2030 mit einem jährlichen durchschnittlichen Erlöswachstum von zehn Prozent und will den Umsatz von derzeit 2,3 auf fünf Milliarden Euro steigern. Und bei den anderen deutschen Rüstungsschmieden wie Renk, KNDS, Diehl, MTU oder Heckler Koch sieht es ähnlich aus.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
Teilen
Kopiert!