Herr Pfeiffer, Herr Rummel, die Messe München erlebt aktuell das sogenannte „Mega-Messejahr“ – acht von zwölf Weltleitmessen finden in diesem Jahr am Standort München statt. Was bedeutet das für Sie persönlich und für das Unternehmen?
Rummel: So ein Mega-Messejahr, wie wir es in diesem Jahr erleben, ist wirklich ein Highlight – nicht nur für die Messe München, sondern für die gesamte Stadt und Region. Wir erwarten rund 2,5 Millionen Besucherinnen und Besucher; allein die bauma, unsere größte Messe, zieht 600.000 Menschen aus über 200 Ländern an. Zum Vergleich: Nürnberg hat etwa 550.000 Einwohner. Das Messegelände wird dann zur Stadt in der Stadt, die logistisch geplant und organisiert werden muss.
Pfeiffer: Wir erleben einen Trend, den die Pandemie nur verstärkt hat: Messen haben dann eine gute Zukunft, wenn sie die Nummer-eins-Messe ihrer Branche sind. Ganz entscheidend ist auch, dass unsere Stärke bei den Investitionsgüter-Messen liegt. Dabei wird deutlich, wie Innovationen zusammenhängen: Der Chip, der auf der electronica präsentiert wird, wäre ohne eine andere Messe bei uns, die productronica mit den Chipfertigungsmaschinen, nicht möglich. Die Maschinen, die diese Chips fertigen, basieren wiederum auf Lasertechnologie, die auf unserer Laser World of Photonics im Fokus steht. Genau darum geht es: diese Wertschöpfungsketten sichtbar zu machen.
Sehen Sie im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie Veränderungen im Mindset oder in den Erwartungen der Teilnehmer?
Rummel: Es gibt viele Firmen, die mittlerweile komplett remote arbeiten, aber ihren Mitarbeitenden sagen: „Lasst uns gemeinsam die Messe nutzen und persönlich treffen.“ Gerade bei komplexen Fragestellungen – Elektronik, Bauteile, Baumaschinen – ist das persönliche Treffen zudem essenziell. Das wurde durch die Pandemie noch einmal deutlich. Und dann gibt es noch das Erlebniselement: Momente, die bewegen. Die Menschen wollen gemeinsame Erfahrungen machen, Vertrauen aufbauen und ein gutes Gefühl mitnehmen. Das ist es, was die Menschen nach Hause fahren und sagen lässt: „In München war die Messe der Hammer.“
Pfeiffer: Ich bin ehrlich gesagt beeindruckt, wie wenig sich trotz der Pandemie tatsächlich verändert hat. Mitte 2020 waren wir alle begeistert von den digitalen Möglichkeiten, und viele dachten: Dienstreisen brauchen wir nicht mehr, alles geht digital. Aber heute sind die Flieger und Züge wieder voll. Die Daten sprechen für sich: Ein Fachbesucher hat auf einer Messe im Schnitt zwölf bis 15 Kontakte – dafür müsste er sonst vier bis sechs Geschäftsreisen machen. Hier kommen alle an einem Ort zusammen, und das ist für das Business einfach maximal effizient.
Gerade nach der Pandemie halten sich trotzdem einige deutsche Unternehmen mit Messeauftritten zurück. Wie kann man diese Unternehmen wieder stärker motivieren?
Rummel: Für deutsche Unternehmen gilt: Sie dürfen sich auf den Messen nicht zu klein machen. Nehmen wir die Baubranche als Beispiel – hier haben deutsche Lieferanten die größten Chancen. Die Chinesen wollen den europäischen Markt erschließen, investieren viel und präsentieren sich groß. Wenn andere investieren und sich zeigen, dürfen wir uns keinesfalls verstecken. Das sieht man auch bei der IAA MOBILITY: Die deutschen Automarken dürfen weiterhin genauso selbstbewusst auftreten wie die chinesischen Hersteller, die neu auf den Markt drängen.
Haben Sie den Eindruck, dass sich die deutsche Wirtschaft zu sehr auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruht?
Pfeiffer: Was Sie ansprechen, ist tatsächlich ein Effekt des langjährigen Wohlstands: Er hat uns ein Stück weit bequem gemacht. Wir sind nicht mehr so leistungshungrig wie früher. Das Positive ist jedoch, dass wir auf unseren Messen immer wieder Weltmarktführer erleben, die häufig aus dem Mittelstand stammen – besonders aus Regionen wie Baden-Württemberg, Ostwestfalen oder Bayern. Dort wird nach wie vor enorm viel geleistet. Leider sind die Rahmenbedingungen in Deutschland inzwischen so, dass manche Unternehmen ihre nächste Investition lieber in einem Hochlohnland wie der Schweiz tätigen. Hier könnte man jedoch rasch gegensteuern. Ein Beispiel: das Lieferkettengesetz. Es verursacht enorme Dokumentationspflichten und Bürokratie, die vor allem den Mittelstand belasten, dadurch weniger Akzeptanz erfahren und so dem eigentlichen Sinn dann entgegenstehen. Wenn aber die Wirtschaft gerade von unnötiger Bürokratie befreit wird, dann kann es auch rasch wieder nach oben gehen.
Nachhaltigkeit ist für die Messe München auch ein zentrales Thema. Wie sieht Ihre Strategie bis 2030 aus, um CO₂-Neutralität zu erreichen?
Pfeiffer: Die größten direkten Treiber sind bei uns vor allem Energie und Abfall. Seit 2009 haben wir unsere energiebezogenen CO₂-Emissionen bereits um 75 Prozent reduziert. Ein wichtiger Hebel ist grüner Strom. Wir investieren auch weiterhin in zahlreiche Photovoltaikanlagen auf unseren Dächern. Wir arbeiten zudem mit speziellen Abfallkonzepten, optimieren die Stoffströme und sortieren den Müll so, dass wir beispielsweise Plastik wieder zurückführen können. Hier wird sich in den nächsten Jahren noch viel tun. Wir sind also klar auf dem Weg.
Nicht nur CO₂-Neutralität, sondern auch Schlüsseltechnologien spielen bei Messen eine zentrale Rolle. Künstliche Intelligenz verändert nicht nur die Diskussionen auf Ihren Messen, sondern transformiert zunehmend auch das Messegeschäft selbst. Welche konkreten Pläne oder Anwendungen gibt es bereits, um KI in Ihre Abläufe zu integrieren?
Rummel: Wir wollen künftig mit Daten und KI jedem Besucher ein individuelles Messeerlebnis bieten. Zum Beispiel: Wenn Sie Einkäufer für Baumaschinen mit einem bestimmten Emissionsvolumen sind, könnten wir ihnen gezielt passende Angebote machen und Aussteller mit Kunden „matchen“. Das Ziel ist, das Beste aus beiden Welten zu verbinden – datengestützt, KI-getrieben das optimale Geschäftsergebnis für den Besucher generieren und das alles live vor Ort.
Gibt es bereits ein Team, das daran arbeitet?
Rummel: Wir haben dafür ein eigenes Datenmanagement-Team aufgebaut, das an einem Master Data Management arbeitet, auf dem die KI aufsetzt. Wenn Sie zum Beispiel eingeben, dass Sie Aussteller zu einem bestimmten Thema besuchen möchten, bekommen Sie schon jetzt von uns eine vorgeschlagene Route. Die App, die das direkt für den Besucher ausspielt, wird im nächsten Jahr kommen.
Wie sehen Sie die KI-Welt der Zukunft für Messen?
Rummel: Gerade im Operationsbereich gibt es tatsächlich viele Anwendungsfälle und Möglichkeiten für KI – von der Anmeldung bis zur Optimierung des Besucher-Flows. Wenn uns ein hoch personalisiertes Erlebnis gelingt, schaffen wir für beide Seiten, Aussteller wie Besucher, einen solchen Mehrwert, dass sich der Messebesuch wirklich auszahlt.
Wie bewerten Sie aktuell die Investitionsbereitschaft in Schlüsselbranchen? Beobachten Sie eher Investitionszurückhaltung oder einen Aufschwung?
Pfeiffer: Wenn man sich die einzelnen Segmente anschaut, gibt es Bereiche, in denen die Investitionsbereitschaft enorm hoch ist – zum Beispiel bei Automatisierung und Robotik. Das gilt auf alle Fälle für das Ausland. Im Hochbau dagegen, speziell bei Wohnungen in Deutschland, ist der Investitionsstau noch nicht gelöst – da rechne ich auch 2025 noch nicht mit einer Trendwende. Die Lösungen und Innovationen sind jedoch vorhanden, und ich bin überzeugt: Anfang 2026 wird die Branche auch in Deutschland wieder Aufwind bekommen und es wird kräftig investiert.
Rummel: Das sieht man auch ganz konkret bei der bauma: Wenn in Deutschland oder Europa die Bautätigkeit noch nicht richtig anzieht und der Investitionsstau bleibt, dann verkaufen die Unternehmen eben woanders – zum Beispiel nach Saudi-Arabien oder in den Globalen Süden.
Sie haben bereits angedeutet, dass sich einige deutsche Unternehmen von Ihren Weltleitmessen zurückgezogen haben. Beobachten Sie, dass internationale Aussteller und Besucher diesen Rückgang ausgleichen?
Pfeiffer: Deutsche Aussteller und Besucher sind weiterhin und mit Abstand auf Nummer eins. Aber die Tendenz ist klar. Das Positive ist, dass wir den rückläufigen Anteil deutscher Aussteller und Besucher nicht nur kompensieren, sondern teilweise sogar über das Ausland überkompensieren können. Für uns war es entscheidend, dass die Messe München schon vor 30 Jahren begonnen hat, in China aktiv zu werden. Es wird viel über Entkopplung gesprochen, aber China bleibt für uns ein zentraler Auslandsmarkt mit enormen Wachstumsraten. Das sichert unser Geschäft in München.
Rummel: Ein weiterer wichtiger Wachstumsmarkt ist Indien: Dort hat sich unser Umsatz verdoppelt, und wir verzeichnen bei allen Messen zweistellige Wachstumsraten. Besonders wichtig war es beispielsweise, Logistikmessen nach Südostasien zu bringen, gerade wenn sich Produktionsketten aus China in andere Länder Südostasiens verlagern. Mit unseren Messen begleiten wir diese wirtschaftspolitischen Entwicklungen gezielt.
Haben Sie konkrete Pläne, das Engagement der Messe München in Indien in den nächsten Jahren weiter auszubauen?
Rummel: Wir haben in Indien fast das gesamte Portfolio der Messe München etabliert und von Anfang an sehr nachhaltig investiert. Mittlerweile sind wir die Nummer zwei im indischen Markt. Unser klares Ziel ist es, in Indien die Nummer eins zu werden.
Und in China?
Pfeiffer: Vor knapp drei Jahren haben wir uns tatsächlich gefragt, ob wir in China weiterhin so aktiv bleiben wollen. Die Antwort war ein klares Ja – und zwar mit voller Rückendeckung unserer Gesellschafter, also vom Freistaat Bayern und der Landeshauptstadt München. Wir wollen in China weiter wachsen. Wir wollten jedoch nie alles auf eine Karte setzen und haben deshalb früh begonnen, zu diversifizieren: Wir sind nach Singapur gegangen, um Südostasien zu erschließen, nach Saudi-Arabien, wo sich ein neuer Markt öffnet, und wollen in den USA reüssieren.
Sie haben Saudi-Arabien und den Nahen Osten angesprochen. Welche Pläne verfolgen Sie dort?
Rummel: Saudi-Arabien ist für uns ein besonders spannender Markt, vor allem im Bereich Umwelttechnologie, bei Themen wie Trinkwasserversorgung, Abwasserentsorgung und Recycling – das sind riesige Zukunftsmärkte in Saudi-Arabien. Hinzu kommt der Bereich Mining, der auch bei der bauma eine große Rolle spielt, also große Mining-Maschinen und generell Baumaschinen, da im Nahen Osten sehr viel investiert und gebaut wird.
Wie wirken sich die aktuellen globalen Herausforderungen, insbesondere in den USA, auf Ihre Messeaktivitäten und Investitionen aus?
Pfeiffer: Wenn ich zum Beispiel an die analytica denke, die erstmals im September dieses Jahres in den USA in Columbus, Ohio, stattfindet, wird deutlich: Es ist insbesondere hinsichtlich der Aussteller durchaus herausfordernd. Ein chinesischer Gemeinschaftsstand ist derzeit schwer realisierbar. Auf der anderen Seite gibt es Unternehmen, die sagen: Mit den drohenden Zöllen bin ich vielleicht sogar gezwungen, nicht nur in Europa zu produzieren, und interessiere mich daher für den US-Markt.
Rummel: Die Messen in den USA sind ohnehin schon sehr lokal und stark auf Nordamerika fokussiert – die meisten Besucher kommen aus den USA, Mexiko oder Kanada. Sollte es zu weiteren Handelshemmnissen kommen, könnten kanadische Unternehmen beispielsweise überlegen, lieber auf andere internationale Messen auszuweichen. Gleichzeitig werden die US-Messen dadurch vermutlich noch lokaler, was für einen so großen Markt jedoch auch Vorteile mit sich bringt: Wenn vor Ort produziert werden muss, sind solche Messen besonders attraktiv.
Welche Maßnahmen erwarten Sie konkret von der nächsten Bundesregierung, insbesondere im Hinblick auf die Messewirtschaft?
Rummel: Auch die Exportförderung ist entscheidend – Mittelständler und Start-ups aus Deutschland sollten die Möglichkeit bekommen, gemeinsam mit uns auf Messen im Ausland neue Märkte zu erschließen. Darüber hinaus sollte die Bundesregierung, insbesondere bei Tarifentwicklungen, möglichst zügig bilaterale Handelsabkommen abschließen – etwa mit den lateinamerikanischen Mercosur- oder den südostasiatischen ASEAN-Staaten.
Pfeiffer: Für uns als Messe ist das Wichtigste, dass wir möglichst hohe Internationalität ermöglichen. Ein gutes Beispiel ist die Visa-Vergabe für Fachbesucher aus China oder Indien. Gerade aus China gab es zuletzt viele Hürden, die rein national, also auf deutscher Ebene, auch wieder gelöst werden können.
Seit 1. Juli 2022 sind Dr. Reinhard Pfeiffer und Stefan Rummel die CEOs der Messe München. In einer Doppelspitze als gleichberechtigte Geschäftsführer sind sie für die Gesamtleitung und Koordination des Konzerns Messe München zuständig.
Dr. Reinhard Pfeiffer startete seine berufliche Laufbahn bei der Messe München GmbH 2008 als Mitglied der Geschäftsführung, seit 2014 als stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung. Stefan Rummel kam 2010 zur Messe München und gestaltete als Leiter des Zentralbereichs Unternehmensstrategie maßgeblich die Entwicklung der Messe München mit. Im Jahr 2015 wurde er in die Geschäftsführung berufen.