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Erscheinungsdatum: 20. Dezember 2024

Verteidigung, Sozialstaat oder Schuldenbremse? Wir müssen uns jetzt nicht entscheiden

Wofür gibt Deutschland Geld aus und wofür nicht? Diese Frage dürfte den Wahlkampf dominieren. Dabei braucht es keine Entscheidung zwischen Verteidigung, Sozialstaat oder Schuldenbremse. Wie ein anderer Weg aussieht, erklärt Table-Kolumnist Michael Böhmer.

Es gibt da diesen Satz von Olaf Scholz: „Ich bin nicht bereit, unsere Unterstützung für die Ukraine und Investitionen in unsere Verteidigung zulasten des sozialen Zusammenhalts zu finanzieren, zulasten von Rente, Gesundheit oder Pflege." Es ist der scholzigste Satz aus einer ansonsten unscholzigen Rede, mit der der Bundeskanzler den Finanzminister entließ. Genau dieser Satz stellt die Frage, die im Winterwahlkampf zum Schlager werden dürfte: Wofür gibt Deutschland Geld aus, wofür nicht – und wie verfährt es mit seinen Schulden?

Mathematisch ist die Sache klar: Will Deutschland mehr für Sicherheit und Verteidigung ausgeben, ohne die Steuern zu erhöhen, muss es woanders kürzen oder neue Kredite aufnehmen und dafür die Schuldenbremse anfassen – was ja schon ein Grund für den Bruch der Berliner Ampel gewesen ist.

Die kommende Bundesregierung muss die Ukraine und die Bundeswehr nicht gegen das Bürgergeld aufrechnen. Die Kosten für die Ukrainehilfen fallen sofort an. Dasselbe gilt für die Investitionen in die Bundeswehr, damit wir unsere Verteidigung möglichst schnell selbst übernehmen können. Wir brauchen also jetzt einen Sprint, um die Aufgaben mit vollem Einsatz anzugehen. Denn sie verzeihen keinen Aufschub. Es ist jedoch nicht möglich, zeitgleich zu ihrer Finanzierung das Bürgergeld zu kürzen, oder den Bundeszuschuss zur Rente. Das geht rechtlich nicht und wäre sozialpolitisch und ökonomisch töricht.

Zugleich haben all diejenigen recht, die mahnen, man könne zusätzliche Aufgaben nicht mal eben über Verschuldung finanzieren, nur um andere, lieb gewonnene Ausgaben nicht anfassen zu müssen. Selbstverständlich gehören die Ausgaben für Verteidigung langfristig vollständig in den regulären Bundeshaushalt – schuldenfrei finanziert. Als Land verteidigungsfähig zu sein, ist eine Kernaufgabe des Staates. Wenn das nicht, was dann? Die Summen, die dafür erforderlich sind, machen es unumgänglich, bestehende Ausgaben zu reduzieren. Will Deutschland zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben, muss der Verteidigungsetat um 36 Milliarden Euro steigen. 80 Milliarden Euro wären es bei einer Zielmarke von drei Prozent. Dauerhaft kann der Bund nicht mehr Geld für Verteidigung ausgeben, ohne bei Konsum, Transfers und Subventionen zu sparen. Geht nicht.

Sie mögen jetzt einwenden: Wenn wir das über Wirtschaftswachstum finanzieren, müssen wir nirgendwo kürzen. Das ist eine Spitzenidee, aber nicht sehr realistisch. Niemand traut Europas größter Volkswirtschaft derzeit einen starken Aufschwung zu. Zudem nutzen Regierungen zusätzliche Steuereinnahmen immer dazu, sie wieder zu verteilen. Andernfalls wären die staatlichen Konsum- oder Sozialleistungsquoten im Zeitverlauf gesunken. Sind sie aber nicht.

Fazit: Ein kluger Umgang mit der Fristigkeit ist der Weg, um den vermeintlichen Konflikt zwischen Ukrainehilfen und Verteidigungsausgaben, Sozialleistungen und Schuldenbremse aufzulösen.

Das bedeutet: Kurzfristig sollte der nächste Deutsche Bundestag eine Notsituation innerhalb der Schuldenbremse nach Art. 115, Absatz 2 GG geltend machen, um der Ukraine die erforderliche Unterstützung gewähren zu können. Für den Kraftakt der Renovierung der Bundeswehr kann er ein erneutes Sondervermögen über 2027 hinaus erwägen. Beides muss verfassungs- und europarechtssicher umgesetzt werden. Gleichzeitig muss die nächste Bundesregierung von Beginn an daran arbeiten, die Ausgaben langfristig neu zu priorisieren, sodass spätestens zur übernächsten Legislaturperiode gilt: Nach dem Zwischensprint geht der Marathon weiter und dafür müssen die Ressourcen aus dem regulären Bundeshaushalt ausreichen. So vortrefflich man über die Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse debattieren kann, für diese Operation müsste man sie nicht einmal anfassen.

Michael Böhmer ist Chefvolkswirt des Forschungs- und Beratungsunternehmens Prognos. Er lebt in München.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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