Table.Briefing: Bildung

Warten auf Stark-Watzinger + Quereinstieg im Klassenzimmer + Jobvermittlung

  • Kein Konzept, kein Budget: Unmut über Startchancen-Programm
  • Blick in die Bildungsforschung: Quereinsteiger besser als ihr Ruf
  • Gastbeitrag: Jugendliche mit digitalen Formaten in Ausbildung bringen
  • Corona-Herbst: Kommt der Schulgipfel?
  • Microsoft im Unterricht: Datenschutzbeauftragter rügt Schule
  • Brandbrief nach Aus von Sprach-Kita-Förderung
  • Presseschau
  • Im Portrait: Scobees-Gründerinnen Annie Doerfle und Lena Spak
  • Das datensichere Klassenzimmer
  • Termine
Liebe Leserin, lieber Leser,

es fühlt sich an wie ein Déjà-vu. Los ging es damit, dass die Ampel-Koalition mit dem Startchancen-Programm ein ambitioniertes Reformprojekt ankündigte. Im März hatten wir dann im Briefing berichtet, dass das Bundesbildungsministerium noch um ein wenig Geduld bittet: Man konzipiere noch, hieß es damals. Fünf Monate später sind es längst nicht mehr nur Journalisten, die ungeduldig nachfragen. Die Länder warten dringend auf Informationen, haben aber aus Berlin noch nicht einmal eine Projektskizze erhalten. Die Bildungspolitiker im Bundestag wollen am liebsten 2023 mit dem Programm starten, doch im Haushalt ist bislang kein Geld dafür vorgesehen. Alle tappen im Dunkeln und warten auf die Vorschläge von Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, deren ambitionierte Bildungspläne gerade aus dem Takt geraten.

Meine Kollegin Sofie Czilwik widmet sich in ihrer Analyse den vielen Quer- und Seiteneinsteigern, die mittlerweile an Deutschlands Schulen arbeiten. Die Bildungsforschung, schreibt sie, fange gerade erst an, sich mit dem Phänomen und den Folgen für die Unterrichtsqualität zu beschäftigen. Doch erste Publikationen gibt es bereits – und die stehen im Kontrast zur öffentlichen Hysterie.

Zuletzt möchte ich Ihnen heute den Gastbeitrag von Raphael Karrasch empfehlen, der mit seiner Initiative Joblinge Jugendlichen, die sonst durchs Netz fallen, eine Ausbildung ermöglicht. Er appelliert an die Bundesagentur für Arbeit, in der Jobvermittlung neue Wege zu gehen. “Während Jobcenter & Co. Jugendliche noch suchen, wissen wir: Sie waren und sind noch da – nur müssen wir sie anders erreichen”, schreibt Karrasch, der nach zwei Jahren Pandemie eine ernüchternde Bilanz zieht.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag!

Ihr
Moritz Baumann
Bild von Moritz  Baumann

Analyse

Startchancen-Programm: “Wir sind total unzufrieden”

Man sieht Ministerin Bettina Stark-Watzinger, sie erntet Kritik für das Startchancen-Programm
Ministerin Bettina Stark-Watzinger hatte sich einen größeren Bildungsetat im kommenden Jahr gewünscht.

Anfang Juni, der Bundestag verhandelt gerade über das Budget für 2022, tritt Bettina Stark-Watzinger ans Rednerpult. Es ist ein wichtiger Auftritt, sie muss ihren ersten eigenen Haushalt als Bundesministerin verteidigen. Während sich die Opposition an den sinkenden Ausgaben im Etat abarbeitet, schwört sie das Parlament auf einen Paradigmenwechsel ein. “Wenn wir auf die Bildung schauen”, sagt sie, “dann sehen wir: Geld alleine macht’s nicht.

Es ist ein Satz, der zwei Monate später in völlig neuem Licht erscheint.

Jetzt muss Stark-Watzinger selbst in den eigenen Reihen erklären, warum Prestigeprojekte der Ampel-Koalition aus dem Takt geraten, sich verzögern oder große Fragezeichen über der Finanzierung schweben. Einige Abgeordnete befürchten, dass auch das Startchancen-Programm unter die Räder gerät.

Start der Förderung erst 2024?

Es ist ein offenes Geheimnis, dass Christian Lindner nicht so viele Haushaltsmittel für das Bildungsressort freigibt, wie sich das seine Parteifreundin Stark-Watzinger erhofft hatte. Doch den Frust lässt sie sich nicht anmerken. Wenn es ums Geld geht, spricht die FDP-Ministerin lieber darüber, wie sie Bildungsprogramme und Förderrichtlinien verschlanken will – in Richtung mehr Effizienz, mehr Impact, weniger Bürokratie. Nur all das ändert nichts am Loch im BMBF-Haushalt.

Von Beginn an war das Startchancen-Programm ein teures Projekt. Von eineinhalb bis zweieinhalb Milliarden Euro – pro Jahr war in den Koalitionsgesprächen die Rede. Das berichten Verhandler rückblickend. Ursprünglich, so der Plan damals, sollte das Programm 2023 starten – mit der Option, dass schon im vierten Quartal 2022 erste Gelder bereitstehen. An diesen Zeitplan glaubt niemand mehr, längst ist 2024 als Startpunkt im Gespräch. In der Koalition wächst der Unmut. Hintergrundgespräche zum Fortschritt des Programms blockt das Ministerium ab. Stark-Watzinger schweigt.

Der Plan der Ampel-Regierung ist, 4.000 Schulen mit einer hohen Quote sozial benachteiligter Schüler mit vielen Milliarden Euro zu unterstützen. Für das Startchancen-Programm sind drei Säulen geplant: Mit einem Investitionsprogramm soll der Bund die Sanierung von Schulgebäuden finanzieren. Daneben setzte die SPD durch, dass die Koalition die Länder unterstützt, dauerhafte Stellen für die Schulsozialarbeit an insgesamt 8.000 Schulen zu schaffen. Die letzte Säule trägt schließlich die Handschrift der FDP: Die Ampel will den 4.000 ausgewählten Schulen ein Chancenbudget zur Verfügung zu stellen. Über dieses Geld könnten die Schulleiter dann frei verfügen, um Unterricht und Lernangebote weiterzuentwickeln und außerschulische Kooperationen zu fördern.

Länder warten auf Informationen aus Berlin

Nur: Im Haushaltentwurf für das kommende Jahr ist bislang kein einziger Euro eingeplant, obwohl die Ampel-Fraktionen im Bundestag genau darauf gedrungen hatten. In einem Maßgabebeschluss, der Bildung.Table vorliegt, heißt es: Der Haushaltsausschuss “bittet die Bundesregierung, das Startchancen-Programm bei der Aufstellung des Bundeshaushalts 2023 zu berücksichtigen.” Darüber hinaus solle das BMBF, unter Federführung von Staatssekretärin Kornelia Haugg, bis zum 30. September ein konkretes Konzept vorlegen.

Die Parlamentarier rechneten offenbar damit, dass die Bund-Länder-Verhandlungen im Spätsommer längst gestartet sind. Es fände derzeit ein “fachlicher Austausch mit den Ländern zur Konzeption des Programms statt”, erklärt ein BMBF-Sprecher auf Anfrage. Doch echte Verhandlungen sind das nach Informationen von Bildung.Table noch nicht – eher ein zaghaftes Herantasten.

Die Länder warten auch acht Monate nach Amtsantritt von Stark-Watzinger noch immer auf konkrete Informationen aus Berlin. Das BMBF hat bislang weder Projektskizzen noch Beratungsvorlagen verschickt. “Wir wissen nicht viel mehr, als das, was im Koalitionsvertrag steht”, erklärt ein beteiligter Beamter.

Erst im September ist ein offizielles Gespräch zwischen den zuständigen Staatssekretären in Bund und Ländern geplant. Noch im selben Monat muss das BMBF den Abgeordneten im Bundestag ein Konzept vorlegen. Fraglich, ob das binnen weniger Wochen funktioniert. So tief, wie das Startchancen-Programm in die Bildungshoheit der Länder hineinragt, ist wohl mit keiner schnellen Einigung zu rechnen. Man erinnere sich an die Zankerei rund um den Digitalpakt. Dennoch betont KMK-Präsidentin Karin Prien gegenüber Bildung.Table, die Länder hätten ein “großes Interesse an der Verwirklichung des Programms.”

Startchancen-Programm: Bildungspolitiker erwarten frühstmöglichen Start

Die Bildungspolitiker im Bundestag, die nach wie vor im Dunkeln tappen, erhöhen währenddessen den Druck. “Bislang haben wir keinerlei Informationen aus dem BMBF erhalten”, erklärt die SPD-Abgeordnete Wiebke Esdar. Sie betreut im Haushaltsausschuss den Bildungsetat. “Wir erwarten, dass der Maßgabebeschluss umgesetzt wird und das Ministerium uns Abgeordnete bis Ende September informiert, wie die drei Säulen des Programms inhaltlich gestaltet, finanziert und administriert werden sollen”, erklärt sie gegenüber Bildung.Table. “Eine grobe Projektskizze allein reicht dafür nicht.”

Der Frust wächst, dass Stark-Watzinger für Wasserstoffkooperationen um die halbe Welt jettet und dabei, so die Kritik, die Bildungsprojekte in ihrem Ministerium vernachlässigt. “Wir sind total unzufrieden”, beklagt sich ein Bildungspolitiker. “Es ist klar, dass bis Januar 2023 nicht sofort 4.000 Schulen gefördert werden können”, sagt auch Esdar. “Aber wir erwarten, dass sich Bund und Länder bis dahin einigen und zeitnah die Umsetzung beginnt.”

Stark-Watzingers Parteifreundin Ria Schröder will ebenfalls einen baldigen Start – “frühestmöglich”. “Das Startchancenprogramm ist unsere liberale DNA im Koalitionsvertrag und meine Top-Priorität”, sagt die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion. “Diese Investition ist auch und gerade bei der angespannten Haushaltslage unverzichtbar.”

Verhandlungen könnten an fünf Punkten scheitern

Sie weiß, dass hinter den Kulissen die Ressorts gerade um jeden Euro ringen. Der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, Entlastungspakete und militärische Aufrüstung verschlingen Milliardensummen. Stark-Watzingers Spielraum wird immer enger. Und dann sind da noch 16 eigenwillige Bildungsminister in den Ländern, mit denen sie sich einigen muss. Dabei zeichnen sich fünf Knackpunkte ab.

  • Kriterien: Bund und Länder müssen einen Katalog entwickeln, nach welchen Kriterien sie die 4.000 Schulen auswählen. In den Koalitionsverhandlungen konnten sich die Parteien zunächst nicht einigen, ob dieser Katalog bundesweit einheitlich gilt oder jedes Land eigene Kriterien definiert. Dazu kommt das Problem, dass die benachteiligen Schulen nicht gleichmäßig über Deutschland verteilt liegen. Dennoch werden die Gelder wohl über den Königsteiner Schlüssel, also entlang von Einwohnerzahl und Steueraufkommen, verteilt. Sonst müsste zuvor ein neuer Verteilmechanismus auf Bundesebene entwickelt und Schuldaten zusammengeführt werden, die bekanntlich in jedem Bundesland anders erhoben werden.
  • Synergien: Einige Länder haben bereits vergleichbare Initiativen. In Nordrhein-Westfalen gibt es die Talentschulen, in Schleswig-Holstein das Perspektiv-Schul-Programm und in Hamburg die Initiative “23+ Starke Schulen”. Hier spielen Abgrenzungen und mögliche Synergien eine wichtige Rolle, teilt das BMBF auf Anfrage mit.

Stark-Watzinger: Länder müssten sich finanziell beteiligten

  • Finanzierung: Noch ist selbst Haushaltspolitikern nicht klar, mit welchen Finanzierungsinstrumenten das BMBF die Länder unterstützen will. Aus dem BMBF heißt es, die Sozialarbeiterstellen könnten über eine Umverteilung von Umsatzsteuerpunkten finanziert werden. Für die geplanten Schulsanierungen käme ein Sondervermögen außerhalb des regulären Haushalts in Frage. “Da spielt Lindner nicht mit”, heißt es dagegen aus Koalitionskreisen. Eine Verfassungsänderung, die Stark-Watzinger Anfang des Jahres ins Spiel brachte, will dass BMBF – wohl auch aus Zeitgründen – vermeiden.
  • Beteiligung der Länder: “Unser Programm für die Brennpunktschulen soll auch ein Anreiz für alle Länder sein, hier mehr zu unternehmen”, sagte Stark-Watzinger in einem Interview mit der Zeit. Und nach Informationen von Bildung.Table hat das BMBF in internen Gesprächen bereits eingefordert, dass sich die Länder finanziell beteiligen. Nur die Höhe ist bislang unklar. Streit ist hier vorprogrammiert.
  • Evaluation: Bildungsministerin Stark-Watzinger will aus der Kritik am Corona-Aufholprogramm lernen (Bildung.Table berichtete). Das BMBF betont auf Anfrage: Die Ministerin will das Programm “evidenzbasiert” konzipieren, damit es “größtmögliche Wirkung” entfaltet. Indes könnten sich die Länder brüskiert fühlen, wenn der Bund sich inhaltlich zu sehr einmischt.
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Kein “Verbrechen an den Kindern”

Man sieht eine Frau die an einem Schreibtisch voller Ordner und Hefter sitzt und schreibt: Verschlechtern Quereinsteiger die Qualität des Unterrichts an Schulen?
Quer- und Seiteneinsteiger können mit ihren unkonventionellen Lebensläufen den Unterricht bereichern.

Weil Lehrkräfte fehlen, drängen jedes Jahr mehr und mehr Quer- und Seiteneinsteiger in die Klassenzimmer. Die Bildungsminister wollen mit ihnen den Fachkräftemangel abmildern, doch immer wieder ertönt Kritik. Wenn vermehrt Quereinsteiger vor der Klasse stehen, so die wiederkehrenden Warnungen einiger Verbände, verschlechtere sich der Unterricht. Das sei gar “ein Verbrechen an den Kindern”, sagte 2019 Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes.

Zunächst ein Blick auf die Zahlen: 2011 wurden laut Kultusministerkonferenz (KMK) etwa 1400 Quer- und Seiteneinsteiger eingestellt, zehn Jahre später sind es bereits rund 3000 und damit fast 10 Prozent der Neueinstellungen insgesamt. Dabei suchen einige Bundesländer wesentlich aktiver als andere nach Personal von außen: 23 Prozent waren es in Berlin, null Prozent in Bayern, acht Prozent in Schleswig-Holstein und 15 Prozent in Sachsen.  

Lesen Sie auch: Lehrerprognose in Bayern – die Mittelschule strauchelt

Bildungsforscher, die sich in der Debatte zu Wort melden, fordern oft eine Nach- und Weiterqualifikation. Dahinter steckt die Sorge, dass Quereinsteiger den Stoff in Mathe, Deutsch oder Biologie nicht rüberbringen können, weil ihnen vermeintlich der pädagogische Horizont oder das didaktische Handwerkszeug fehlt.

Phänomen bislang kaum erforscht – leidet die Qualität des Unterrichts?

Nur, wie gut oder wie schlecht der Vergleich zwischen Quereinsteigern und grundständig ausgebildeten Lehrkräften ausfällt, ist bislang kaum erforscht. Die Studienbasis ist dünn. Die Wissenslücke wollen Forscher des Departments Erziehungswissenschaft an der Universität Potsdam schließen. Denn: Quereinsteiger sei nicht gleich Quereinsteiger, betont Christin Lucksnat, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschung beteiligt ist. “Die Gruppe ist hinsichtlich ihrer Voraussetzungen sehr heterogen. Das zeigen sowohl empirische Studien als auch Erfahrungsberichte von Lehrkräften.”

Begriffe sind also entscheidend. Lucksnat spricht von Quereinsteigern, wenn die Lehrkräfte kein Lehramtsstudium absolviert haben und dennoch zwei lehramtsbezogene Fächer – wie Mathe, Deutsch oder Englisch – studiert haben. Seiteneinsteiger hingegen sind Personen, die aus anderen Berufen ins Lehramt wechseln – beispielsweise Ingenieure oder Architekten.  

Viele wissenschaftliche Publikation zum Klassenzimmer-Quereinstieg stehen im Kontrast zur öffentlichen Hysterie: “Betrachtet man Studien aus anderen Ländern sowie Erhebungen des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), wird deutlich”, so Lucksnat, “dass Schüler:innen per se keine schlechteren Leistungen zeigen, wenn sie von nicht-traditionell ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet werden.” 

Beim Fachwissen auf Augenhöhe

Letztlich zeichnen einen guten Lehrer zwei Kerneigenschaften aus: Er muss wissen, worüber er spricht. Und er braucht die Fähigkeit, den Stoff zu vermitteln – egal ob er vor einem aufgeregten Erstklässler oder einem pubertierenden Gymnasiasten steht.  

Im Vergleich können Quereinsteiger beim Fachwissen meist mit ihren Kollegen mithalten. So konnten frühere Studien zumindest für die Fächer Mathematik und Physik keine signifikanten Unterschiede zwischen alternativ und traditionell ausgebildeten Lehrkräften feststellen. 

Und mit ihren für den Schulbetrieb ungewöhnlich Lebensläufen und der praktischen Berufserfahrung können sie den Unterricht sogar bereichern. Klar: Ihnen fehlt in Bezug auf Pädagogik und Didaktik meist das theoretisch-akademische Wissen. Doch weitere Studien belegen, dass viele Quereinsteiger bereits Erfahrungen mit Kindern oder Jugendlichen sammeln konnten – als Freizeitcoach, in der Hochschullehre oder in der Schülernachhilfe. Das Vorurteil, Quer- oder Seiteneinsteiger würden grundsätzlich schlechter abschneiden, deckt sich demnach nicht mit den Erkenntnissen der empirischen Bildungsforschung. 

Stress im Unterricht: Quereinsteiger sind belastbarer

Forscher der Uni Potsdam konnten außerdem belegen, dass Quereinsteiger belastbarer sind. Den Stress, den der Lehrberuf mit sich bringt, könnten sie besser bewältigen. Ein Grund ist, dass sie durch die bewusste Entscheidung, ihre Karriere in eine neue Richtung zu lenken, besser in der Lage sind, mit dem Stress im Klassenzimmer umzugehen. So gehören laut einer Studie 50 Prozent der quer eingestiegenen Lehrkräfte dem “resilienten Gesundheitstyps” an, während es unter den traditionell ausgebildeten Lehrkräften nur knapp 38 Prozent sind  

Abschließend noch einige Worte zur Motivation: Befragungen haben ergeben, dass Quereinsteiger ins Lehramt wechseln, weil sie darin eine sinnvolle Tätigkeit sehen. Es geht ihnen weniger darum, einen sicheren und familienfreundlichen Beruf zu ergreifen. Zu ähnlichen Ergebnisse kommt auch die Evaluation eines Quereinsteiger-Masters an der Humboldt Universität zu Berlin, der mit einem regulären Master für Lehramtsstudierende verglichen wurde.

Der so genannte Q-Master ist ein Masterprogramm für Quereinsteiger an der Grundschule, das seit dem Wintersemester 2018 angeboten wird. Sie gaben in der Evaluation an, dass sie vor allem einen sozialen Beitrag für die Gesellschaft leisten möchten – bei den Lehramtsstudierenden stand dieses Motiv indes nur an zweiter Stelle, nach dem Wunsch, mit Kindern und Jugendlichen zusammenzuarbeiten.

Obwohl der Quer- und Seiteneinstieg längst fester Baustein der Personalplanung in den Ländern ist, steht die Forschung dazu noch am Anfang. Es sei unklar, so Lucksnat, wie sich die Leistungen der Schüler entwickeln, wenn sie über Jahre von alternativ ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet werden. Doch die Angst, mit jedem Quereinsteiger steuere das Bildungssystem tiefer in die Krise, scheint jedenfalls so pauschal nicht zuzutreffen.

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Blogpost

“Mit digitalen Formaten Jugendliche und Unternehmen matchen”

Man sieht Raphael Karrasch, er will Jugendliche und Unternehmen matchen.
Raphael Karrasch ist Regionalleiter von Joblinge im Ruhrgebiet, einer gemeinnützigen Initiative gegen Jugendarbeitslosigkeit.

Gastbeitrag von Raphael Karrasch

Im Jahr 2021/22 blieben vier von zehn Ausbildungsstellen unbesetzt. Diese Zahl des Instituts der deutschen Wirtschaft aus dem April überraschte genauso wenig, wie der reflexartige Aufschrei aus den Unternehmen, es mangele an geeigneten Bewerber:innen. Doch bemängelten viele Unternehmen bis vor kurzem noch die “Qualität der Bewerber:innen”, bleiben Bewerbungen heute zum Teil gänzlich aus. Die Demografie und ausgefallene Berufsorientierung in den Schulen während Corona sind nur zwei Gründe für den Rückgang. Eigentlich könnte man vermuten, dass die vielen unbesetzten Stellen und der Fachkräftebedarf eine gute Ausgangslage für Ausbildungssuchende darstellen – sind sie aber nicht. Und das, obwohl es doch auch nach der Schule reichlich Unterstützung durch das Übergangssystem der Bundesagentur für Arbeit (BA) gibt.

Laut einer Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung und der Bertelsmann Stiftung urteilten jedoch bereits 2011 von 550 befragten Ausbildungsexperten 89 Prozent, dass der Einsatz der finanziellen Mittel im Übergangssystem nicht effektiv erfolgt. Die Kosten sind bis heute bei gleichbleibendem Maßnahmenangebot mit circa 7 Milliarden Euro annähernd gleich geblieben, obwohl die Teilnehmendenzahlen seitdem demografiebedingt stark abgenommen haben. Lediglich ein Drittel der Teilnehmenden beginnt im Anschluss eine betriebliche Ausbildung. Je länger sich ein Jugendlicher in Übergangsmaßnahmen befindet, desto deutlicher sinkt seine Wahrscheinlichkeit, einen Ausbildungsplatz zu finden. Das System war also bereits vor Corona teuer und ineffizient – was konnte es in der Pandemie leisten?

Nur wenige schafften Umstieg auf digitale Formate

Die Herausforderung für die berufliche Ausbildung liegt derzeit vor allem in rückläufigen Bewerberzahlen. Dieses Phänomen hat sich durch ausgefallene Maßnahmen zur Berufsorientierung während der Pandemie verstärkt. Doch Angebote sind nicht einfach ausgefallen. Sie sind schlichtweg nicht ins Digitale transferiert worden, die Berufsberatung der BA eingeschlossen. Frank Martin von der Regionaldirektion der BA in Hessen schilderte kürzlich gegenüber tagesschau.de: “Die Berufsberaterinnen und -berater tun sich derzeit schwer, Jugendliche mit Informationen zu erreichen.” Seit zwei Jahren haben die Berufsberatungen der BA den Kontakt zu vielen Kund:innen verloren und wundern sich jetzt, dass Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben. “Glücklicherweise starten jetzt viele Angebote wieder”, sagt Martin. Nach zwei Jahren eher ein Armutszeugnis!

Bei Joblinge haben wir den Umstieg geschafft. Mit innovativen und verstärkt digitalen Formaten aktivieren wir Jugendliche und Unternehmen. Joblinge hat in den vergangenen zwei Jahren trotz aller Widrigkeiten viele Jugendliche erreicht, die sonst durch das lückenhafte, beziehungsweise nicht vorhandene Netz gefallen wären. Junge Menschen wurden auf unsere Kosten mit Technik ausgestattet und vom reinen digitalen Konsum hin zur Anwendung befähigt – technischer Support eingeschlossen. Dienst am nächsten? Sicherlich, aber genauso Dienst an unserem Unternehmensnetzwerk, das dringend Nachwuchskräfte benötigt.

Obwohl es für die öffentlichen Auftraggeber schwierig war, uns ausreichend Teilnehmende zu vermitteln, konnten wir über 80 Prozent unserer Plätze besetzen. Ganz einfach, indem wir die jungen Menschen in den sozialen Medien, auf der Straße oder in Shopping-Malls erreicht haben. Während Jobcenter & Co. Jugendliche noch suchen, wissen wir: Sie waren und sind noch da – nur müssen wir sie anders erreichen. Mit agilen, digitalen Formaten war es bei Joblinge möglich, Jugendliche und Unternehmen zu matchen: Digitale Jobmessen und Speeddatings sind bereits seit Herbst 2020 an der Tagesordnung – anschließende Praktika nicht ausgeschlossen, Ausbildungsaufnahmen in 70 Prozent der Fälle die Regel.

Große Unkenntnis über Berufe

Zur Wahrheit gehört auch, dass Matching mehr leisten muss, als nur offene Stellen und Bewerber:innen zusammenzubringen. Laut dem Statistischen Bundesamt bevorzugt ein Großteil der Jugendlichen die gleichen Berufe wie vor fast 20 Jahren. Wenn sich alle in Unkenntnis der über 300 Ausbildungsberufe nur auf die “Top Ten”-Berufe stürzen, bleibt nicht aus, dass viele bei einem begrenzten Angebot an Ausbildungsstellen auf der Strecke bleiben. Ganz abgesehen von denen, die noch gar nicht wissen, was sie machen wollen.

Deshalb ist es essenziell, junge Menschen nicht nur zu alternativen Berufen zu beraten, sondern sie mit Verfahren wie “Personal Branding” zu befähigen, überhaupt eine fundierte Entscheidung zu treffen. Jugendliche müssen dafür mit uns vermeintlich einfache Fragen beantworten wie: “Was ist mir wichtig?”, “Wofür stehe ich?”, “Was sind meine Werte?”, “Was sind meine Ziele?”. Wenn sich dann auch noch die suchenden Unternehmen offen zeigen, nicht nur auf das Zeugnis zu schauen, sondern echte Chancen in der Praxis zu geben, haben wir einen wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung geleistet.

Bei Joblinge verlassen circa 50 Prozent der Teilnehmenden das Programm mit einem anderen Beruf als dem ursprünglichen Wunschberuf. Dass fast 90 Prozent der Joblinge-Alumni auch ein halbes Jahr nach Ausbildungsstart noch in der Ausbildung sind, zeigt, dass wir mit unserer Vorgehensweise und einer flankierenden Ausbildungsbegleitung, die wir pro bono anbieten, nicht so schlecht liegen.  

Besser wäre Finanzierung nach Vermittlungserfolg

Die Förderlogik der BA basiert noch immer zu großen Teilen auf einer Inputfinanzierung von (während Corona großteils unbesetzten) Teilnehmerplätzen und nicht auf der tatsächlichen Vermittlung. Ein System, das junge Menschen kaum noch erreicht und sich nicht am Erfolg misst, ist kaum tragbar und gefährdet neben dem individuellen Fortkommen der Jugendlichen, massiv die Wirtschaft. Denn eins wird immer deutlicher: Für die Fachkräftesicherung brauchen wir jeden Kopf! Setzte das Übergangssystem zukünftig verstärkt auf eine Impactfinanzierung, würde dies innovative Lösungsansätze fördern. Die Finanzierung nachhaltiger Vermittlung, nicht der Betreuung, muss im Vordergrund stehen. Das Übergangssystem ist wichtig und hat seine Berechtigung, doch muss es den neuen Herausforderungen disruptiv entgegentreten. Weniger Formalismus und mehr social Business.

Raphael Karrasch ist Geschäftsführer des gemeinnützigen Unternehmens Joblinge in Essen, einem von bundesweit 30 Standorten. Dort soll jungen Menschen zwischen 15 und 27 Jahren der Anschluss an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ermöglicht werden. Der Diplom-Sozialpädagoge arbeitete zuvor zwölf Jahre lang für verschiedene Bildungsträger in Arbeitsmarktprogrammen der Bundesagentur. Er selbst absolvierte nach einer Ausbildung zum Kunststoff-Formgeber die Mittlere Reife und das Fachabitur auf dem zweiten Bildungsweg.

News

Corona-Gipfel: Lauterbach und Prien an einem Tisch?

Wie genau die Schulen reagieren, wenn im Herbst die nächste Pandemie-Welle ansteht, darüber herrscht auch nach Vorstellung des Entwurfs des neuen Infektionsschutzgesetzes (IfSG) durch Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Justizminister Marco Buschmann einige Unklarkeit.

Die IfSG-Novelle tritt am 1. Oktober in Kraft. Die Schulen sollen offenbleiben, die Bundesländer eine Testpflicht verhängen und, wenn sonst kein geregelter Präsenzunterricht möglich ist, eine Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske – Letztere allerdings nur für Schüler ab der fünften Klasse.

Dass die Bundesregierung Schüler der Klassen eins bis vier ausklammert, stößt beim Vize der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, Andreas Keller, und Lehrerverbands-Präsident Heinz-Peter-Meidinger auf Unverständnis. Riskiert man in der Altersgruppe so nicht doch Unterrichtsausfall und Schulschließungen?

Kritik üben die Bildungsverbände ansonsten vor allem daran, dass der Entwurf keine Stufenpläne mit einheitlichen Kriterien und Grenzwerten enthält, der Bund also einen Maßnahmen-Flickenteppich riskiert. Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, äußerte gegenüber dem SPIEGEL die Befürchtung, den Bildungseinrichtungen könne zu viel Verantwortung für die Verhandlung und Entscheidung der konkreten Maßnahmen zugemutet werden. Sie forderte einen rechtssicheren Handlungsrahmen, den am besten die Kultusministerkonferenz (KMK) festlegen soll.

KMK-Vorsitzende Karin Prien (CDU) plädierte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland für eine “schnelle Abstimmung mit den Ländern” und forderte einen nationalen Schulgipfel mit allen zuständigen Ministern für Gesundheit und Schulen von Bund und Ländern. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin bezog sich dabei auf einen 7-Punkte-Plan von Gesundheitsminister Lauterbach aus dem Juli, in dem die Ausarbeitung eines Schutzkonzeptes für Schulen und Kitas in Aussicht gestellt wurde.

Ministerin Schopper: Für Corona-Gipfel, der gegen Schulschließung hilft

Ob es zu einem solchen Gipfel kommen wird, beantwortete das BMBF auf Anfrage nicht. Das Gesundheitsministerium ließ eine Anfrage unbeantwortet. Im Interview mit dem Deutschlandfunk hatte sich Ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zurückhaltend geäußert: Zwar halte sie es für “sehr wichtig, dass wir uns eng abstimmen zwischen Bund und Ländern”, hierfür könnten regelmäßige Arbeitstreffen aber besser geeignet sein. Das BMBF teilte mit, die Länder hätten bereits “viel Erfahrung bei der Ausgestaltung und Umsetzung der Hygienekonzepte und Testungen.”

Baden-Württembergs Bildungsministerin Theresa Schopper (Grüne) forderte gegenüber Bildung.Table, die Länder bräuchten “vom Bund einen Instrumentenkasten, der uns erlaubt, flexibel auf Situationen einzugehen, die an den Schulen auftreten, wie wenn beispielsweise neue Varianten aufkommen.” Mit Blick auf die Forderung Priens nach einem nationalen Schulgipfel sagte sie: “Für mich steht als oberstes Ziel fest, dass wir Schulschließungen nach aller Möglichkeit verhindern müssen – wenn uns der Gipfel dabei hilft, bin ich dafür.” Aus dem rheinland-pfälzischen Bildungsressort hieß es lediglich, man könne sich vorstellen, dass ein Gipfel nach der Gesundheitsministerkonferenz am Dienstag stattfindet. Anna Parrisius

Datenschutz-Verfahren: Schule nutzt Microsoft-Software trotz Verbot

Das Vorgehen von Baden-Württembergs Datenschutzbeauftragtem gegen Schulen, die den Cloud-Dienst Microsoft 365 im Unterricht einsetzen, hat eine neue Stufe erreicht. Wie die Badische Zeitung berichtet, leitete die Behörde ein “Untersagungsverfahren” gegen eine Schule ein, die das Softwarepaket trotz Verbots weiterhin nutzte

Bereits im April hatte der Landesbeauftragte für Datenschutz, Stefan Brink, angeordnet, Schulen sollten ihren Schülern bis zu den Sommerferien 2022 Alternativen zum Cloud-Dienst anbieten (Bildung.Table berichtete). Der Landesbeauftragte kündigte zudem an, seine Behörde werde auf alle 40 bekannten Schulen zugehen, die den Dienst weiterhin verwenden. Diese müssten begründen, wie sie einen datenschutzkonformen Betrieb sicherstellen und diesen entsprechend der Datenschutz-Grundverordnung eindeutig nachweisen. 

Ein Sprecher des Datenschutzbeauftragten teilte laut Badischer Zeitung nun mit, dass 28 der 40 Schulen im Lauf des nächsten Schuljahres ihre Nutzung des Cloud-Dienstes einstellen wollen. Eine Schule wolle auf den Dienst nicht verzichten, habe aber nicht die notwendigen Unterlagen für eine datenschutzrechtliche Prüfung bereitgestellt – gegen sie wurde daher nun das Untersagungsverfahren eröffnet

Ein Sprecher des Kultusministeriums antwortete Bildung.Table auf Anfrage, es gebe eine Vereinbarung mit dem Landesdatenschutzbeauftragten. Bis das Land den Schulen eine umfassende datenschutzkonforme Lösung zur Verfügung stellt, geht die Behörden nicht gegen Schulen vor, die MS 365 nutzen. Ausnahme: Es gehen dort konkrete Beschwerden ein. Eine vorübergehende oder endgültige Beschränkung der Datenverarbeitung, einschließlich eines Verbots, muss abschließend die Schulaufsicht durchsetzen. Die hat sich jedoch im aktuell angestrengten Untersagungsverfahren noch nicht geäußert. Anouk Schlung 

  • DSGVO

Breites Bündnis kritisiert Ende der “Sprach-Kita”-Förderung

Die Ankündigung der Bundesregierung, das Sprach-Kita-Programm auslaufen zu lassen, sorgt weiter für Kritik. In einem offenen Brief an KMK-Präsidentin Karin Prien und Astrid-Sabine Busse, Vorsitzende der Jugend- und Familienministerkonferenz, fordern Gewerkschaften und Kitaträger eine Fortsetzung des Programms, mit dem der Bund seit 2016 die Länder bei der Sprachförderung unterstützt

Familien, Erzieher und Kitas würden nun, so die Kritik, mit den Problemen alleingelassen. In einer “diversen Gesellschaft, in der 40 Prozent der Kinder zu Hause kein Deutsch als Familiensprache sprechen, entscheiden gute Sprachkenntnisse über Erfolg in der Schule und auf dem gesamten Lebensweg”, heißt es in dem Brief, den unter anderem die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Deutsche Kitaverband und die Bundeselternvertretung unterzeichnet haben. 

Sollte das Programm enden, würden Kinder aus Familien mit Migrationsgeschichte ab nächstem Jahr deutlich schlechter dastehen. Der Bund würde somit ungleiche Bildungschancen reproduzieren und schlechtere Berufsperspektiven zementieren. “Schon die ersten sieben Jahre”, schreiben die Organisationen, “prägen eine erfolgreiche Bildungslaufbahn.”  

Sprach-Kita: “8.000 Fachkräfte nicht mal eine Übergangslösung wert”

Im Gespräch mit Bildung.Table findet Doreen Siebernik, im GEW-Vorstand zuständig für Jugendhilfe und Sozialarbeit, klare Worte: “Das Nichtbereitstellen von Ressourcen für das ,Sprach-Kita’-Programm ist eine Frechheit. Hier kritisiere ich insbesondere den Finanzminister.” Ähnliche Kritik übt auch die Unionsfraktion: Fraktionsvize Dorothee Bär beklagt eine “Politik der Rückabwicklung”. Die Ampel-Regierung meine es mit Integration und Teilhabe nicht ernst. “Statt Planungssicherheit bekommen die rund 8.000 Fachkräfte der Sprach-Kitas zu spüren, dass sie nicht einmal eine Übergangslösung wert sind”, kritisiert Bär.  

Mit dem Sprach-Kita-Programm finanziert das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) seit 2016 zusätzliches Fachpersonal in Kindertagesstätten. Dafür investierte der Bund bislang rund 1,1 Milliarden Euro. Eine halbe Million Kinder profitieren davon. Doch anders als im Koalitionsvertrag vereinbart, lässt die Regierung das Programm im Dezember 2022 zum regulären Ende des Förderzeitraums auslaufen.  

Das BMFSFJ verteidigt sich: Die Koalition verlängere das Gute-Kita-Gesetz über 2022 hinaus, weshalb in den kommenden beiden Jahren jeweils zwei Milliarden Euro bereitstünden. Parallel werkelten die Beamten an einem neuen Kita-Qualitätsentwicklungsgesetz. Doch welche Summe dabei in die Sprachförderung fließen soll, ist bislang unklar, was die Nervosität bei den Kitaleitungen vor Ort erhöht. Robert Saar

Lesen Sie auch: Massive Sprachprobleme – IQB legt Bildungslücken offen 

  • BMFSFJ
  • Dorothee Bär
  • IQB

Makerspace

Annie Doerfle und Lena Spak – entwickeln ein digitales Lernsystem

Auf dem Foto sieht man Annie Doerfle und Lena Spak, sie haben das digitale Lernsystem Scobees gegründet.
Annie Doerfle und Lena Spak haben das digitale Lernsystem Scobees gegründet.

Die beiden Gründerinnen haben sich nicht wenig vorgenommen: Mit Scobees wollen sie weniger eine digitale Lernplattform als ein ganzes Lernsystem bieten, sagen Annie Doerfle und Lena Spak. Ihre Software unterstütze Schulen und Lehrkräfte dabei, vom klassischen Frontalunterricht zu offeneren Unterrichtsformaten zu wechseln. Denn viele Schulen stellen sich zu wenig den Herausforderungen für zeitgemäßes Lernen: Das ist Annie Doerfles recht ernüchternde Einschätzung. “Du betrittst die Schule und bist zurückversetzt in ein völlig realitätsfremdes Paralleluniversum”, sagt sie.

Die Schulen, mit denen Scobees zusammenarbeitet, wüssten hingegen, was Digitalität bedeutet. Sie legten Wert auf Zukunftskompetenzen. Schulen sollen dort keine “Lernräume” mehr, sondern “Lebensräume” sein. Die Lernenden bestimmen selbst, was sie in welchem Tempo lernen – jedoch nicht völlig ohne Anleitung, sondern immer im Austausch mit den Lehrkräften.

Gemeinsame Gründung nach der Elternzeit

Annie Doerfle hat schon früher Transformationsprozesse vom Analogen zum Digitalen begleitet, damals in einer ganz anderen Branche. Sie studierte Medienwirtschaft und arbeitete danach als Sales Managerin für eine B2B-Video-on-Demand-Plattform. Es waren Kurzfilme, die Annie Doerfle und Lena Spak den ersten Anstoß für die gemeinsame Gründung gaben.

“Wir kennen uns aus der Elternzeit, haben Kinder in ähnlichem Alter”, erzählt Spak. Zum Ende der Elternzeit “ging es irgendwann darum, wie es beruflich weitergeht”. Auch Lena Spak war vor ihrer Elternzeit ganz woanders tätig. Als Volljuristin arbeitete sie für die ARD.

Doerfle kannte durch ihren Beruf viele Kurzfilmfestivals und war von der Kreativität der Filme für Kinder begeistert. “Annie wollte nicht, dass diese einfach in der Schublade verschwinden, sondern sie in die Schulen bringen”, erinnert sich Spak. Gespräche mit Lehrern und Schulentwicklungsberatern und der Besuch von innovativen Schulen führten jedoch schließlich dazu, dass aus der eigentlich erst geplanten Video-Plattform für Kurzfilme doch nichts wurde. Es sollte größer werden, die Idee für Scobees war geboren.

Sie besuchten Schulen, die offene Lernformate praktizierten, in denen der Unterricht individuell an die Lernbedürfnisse des Einzelnen angepasst wurde und die sich auf die Vermittlung von Kompetenzen fokussierten. Dies empfanden sie als “unfassbar inspirierend”.  Sie trafen auf Kinder, die genau wussten, wo ihre Stärken liegen und keine Angst vor der Zukunft hatten. Sie erlebten Chancengleichheit aufgrund eines Lernsystems, das die Perspektive der Lernenden in den Mittelpunkt stellt. Spak und Doerfle wollten ein Tool schaffen, das diesen Ansatz in die Breite trägt und Lehrkräften Zeit erspart beim Auswerten von Lern-Logbüchern.

1.500 Schulen nutzen Scobees

“Lernen funktioniert nur in Beziehung”, so Doerfle. “Scobees ist ein Lernsystem, das diese Methode abbildet.” Im digitalen Logbuch tragen Schüler ihre Fortschritte ein, oder geben erledigte Aufgaben ab. Die Lehrer behalten im offenen, projektbezogenen Unterricht so den Überblick über den Lernstand jedes Einzelnen – und können individuelles Feedback geben. Bei Scobees heißen die Lehrkräfte “Lernbegleiter“. Lehrer und Schüler finden Aufgaben, Lernstände, Leistungsnachweise und Feedback gebündelt an einem Ort, was Zeit spart und entlastet.

“Schule ist nicht gleich Schule”, gibt Spak zu bedenken. Die einen hätten ein “befremdliches Selbstbewusstsein”, dass alles in Ordnung sei. Die anderen wüssten “wenn Du den Wandel in fünf Jahren vollzogen haben möchtest, hättest Du vor fünf Jahren beginnen müssen.” Transformation sei ein Kraftakt, der viel Zeit und Geld beanspruche, etwa für Fortbildungen. Dies werde von der Politik zu wenig beachtet.

Das System von Scobees nutzen bis jetzt etwa 1.500 Schulen bundesweit, überwiegend in Hessen und Niedersachsen, derzeit vor allem in der Sekundarstufe 1. Das Angebot für Grundschulen werde ausgebaut, und es gebe erste Kontakte mit Hochschulen. Spak hofft, dass “die Schule der Zukunft” in zehn Jahren einfach “deutsches Bildungssystem” heißt und Scobees international in Europa zum Einsatz kommt. Vera Altmolak

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Didaktik & Tools

Das datensichere Klassenzimmer

Was bringt ein digitales Klassenzimmer aus Tools, die der DSGVO entsprechen?

Dass der Klassenraum nicht mehr aus gläsernen Wänden besteht, hinter denen Lernende durchsichtig und ungeschützt sind. Die wenigsten SchülerInnen oder auch Lehrkräfte wissen, was mit ihren eigenen Daten im Internet alles passiert. Lehrkräfte haben aber die nicht ganz leichte Aufgabe, die Lerndaten ihrer Lernenden zu schützen. Sonst könnte jeder alles von außen mitlesen. Deswegen war es unser Ziel, ein DSGVO-konformes digitales Klassenzimmer zu schaffen, das gewissermaßen weiter Wände aus Stein hat. Es erzeugt eine Lernatmosphäre für die Lernenden, die Sicherheit schafft – und zugleich privat bleibt. Es vermittelt Lernenden ein sicheres Gefühl. Jede Lehrkraft weiß, wie wichtig das ist. 

Welche technischen Voraussetzungen hat das datensichere Klassenzimmer?

Wie immer braucht man ein digitales Endgerät und Internetzugänge. Bei einigen der Tools benötigen die Schüler:innen auch noch eine E-Mail-Adresse, um sich anzumelden und zu registrieren. Also zum Beispiel beim Video-Klassenraum BigBlueButton, bei der Tafel Collaboard, bei den Schließfächern von Nextcloud oder bei dem Pinnwandtool TaskCard, was in diesem Konstrukt als Heft dient. Aber es gibt auch die Tools von Kits, die ebenfalls als digitales Heft dienen oder den Methodenkoffer von Oncoo. Da braucht man nicht mal eine E-Mail-Adresse. Und weiterführen kann man das, indem man Mahara als Klassenarbeitsheft oder Moodle als Schulbuch und Arbeitsblattersatz hinzunimmt. 

Ist der datensichere Klassenraum für die Präsenz oder für den Distanzunterricht nutzbar?

An sich ist das digitale Klassenzimmer mit DSGVO-konformen Tools erst mal für den Fernunterricht ausgelegt. Das Ziel ist aber, die beiden langfristig zu verschmelzen, um nicht mehr zwei scharf getrennte Sphären zu haben: einmal hier den Präsenzunterricht und da den Fernunterricht, sondern eine Kombination aus beidem. Das Ziel sollte wirklich nicht sein, dass man den Präsenzunterricht 1:1 in die digitale Lehre überträgt, sondern dass man innovativ neu und besser mit digitalen Tools denkt. Das schafft eine bessere Lehre. Auch eine Übertragung in die Präsenzlehre ist erstrebenswert, so dass man am Ende eine Verschmelzung und Neuausrichtung des didaktischen Prozesses hat. 

Pro-Tipp:

Das Schöne an dem Konstrukt verschiedener sicherer Lern-Tools ist, dass man es so leicht weiterspinnen kann. In der Twitter-Community kamen noch einige andere Anwendungen und Aspekte des digitalen Klassenzimmers hinzu. Am Ende konnte man dann sehen, wie groß das Spektrum an DSGVO-konformen Tools inzwischen ist. Viele bieten Datensicherheit, sind aber oftmals aufgrund fehlender Werbung noch nicht so bekannt. Das datensichere digitale Klassenzimmer soll die Sicherheit bieten, nicht immer auf die gläsernen Tools zurückgreifen zu müssen.

Kritik: 

Datenschutzrechtlich gibt es, glaube ich, keine Kritik an dem datensicheren Klassenzimmer. Aber  möglicherweise stört man sich an den Kosten. Bei den nicht datenschutzkonformen Varianten, die meistens umsonst oder günstig sind, zahlt man halt mit seinen Daten statt mit Geld. Man sollte sich bewusst machen, dass das am Ende zum Hacking der Privatsphäre der Schüler:innen oder im schlimmsten Fall sogar zum Identitätsdiebstahl führen kann. Wenn man sich die Konsequenzen vergegenwärtigt, bezahlt man das Geld eigentlich wieder ganz gerne. Aber man kann die Kosten auch vermeiden, indem man einfach bei der Schulleitung beantragt, dass die Tools von der Schule angeschafft werden. 

Anna Ansari ist studentische Mitarbeiterin für Mediendidaktik an der Zentralen Einrichtung für Sprachen und Schlüsselqualifikationen der Universität Göttingen. Sie hat in einem Blogpost das DSGVO-konforme Klassenzimmer vorgestellt.

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Presseschau

Bildung in Deutschland: Ziele klar verfehlt DAS DEUTSCHE SCHULPORTAL
Die Bildungspolitik der Ampel: Es wird umgeschichtet SPIEGEL
Sind die Schulen für den Winter gerüstet? TAZ
Bildungsexperte Klaus Klemm über Lehrermangel CAMPUS SCHULMANAGEMENT
Stark-Watzinger im Interview REDAKTIONSNETZWERK DEUTSCHLAND
Studentenwerk-Generalsekrär zu »Überakademisierung« SPIEGEL
Kommentar: Mehr Leistung wagen! ZEIT
Umfrage in Bayern: Zusatzaufaufgaben schrecken Teilzeitlehrer ab SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
CPAC-Konferenz: Donald Trump will Bildungsministerium abschaffen ZEIT
Dorothee Feller: Sie läutet den Corona-Herbst ein SPIEGEL
Studie: Schüler gut über Alltagsrassismus informiert NEWS4TEACHERS
Pädagogikprofessor Klaus Zierer: “Naiver Umgang” mit digitalen Medien SPIEGEL
Psychologische Unterstützung nach der Pandemie SPIEGEL
Heikle Vorwürfe gegen Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft SPIEGEL

Termine

16. August 2022, 09:30 bis 12:00 Uhr
Fortbildung: Pimp your Klassensprecherwahl
Die Friedrich-Ebert-Stiftung will mit dieser Fortbildung erreichen, dass Beliebtheitsfaktoren bei der Klassensprecherwahl eine deutlich geringere Rolle spielen. In diesem Zuge werden acht unterschiedliche Methoden für eine erfolgreiche Klassensprecherwahl vorgestellt. Das Ziel: “demokratische Grunderfahrungen” zu schaffen. INFOS & ANMELDUNG

18. August 2022, 16:15 bis 20:00 Uhr
Konferenz: New Work needs New Education
Die vom Hochschulforum Digitalisierung organisierte Konferenz beschäftigt sich mit dem drastischen Wandel der Arbeitswelt und der Frage, ob die Bildungslandschaft die zukünftigen Handlungsträger angemessen darauf vorbereitet. Zu den wichtigsten Programmpunkten gehören Keynotes von Jacqueline Lemm (RWTH) und Alex Jacobi (With love and data) sowie eine Podiumsdiskussion und ein Get-together. INFOS & ANMELDUNG

19. und 20. August 2022
Festival: BNE-Festival NRW
Mitgestalten. Mitdenken. Mitmachen.” ist das Motto, unter dem das vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr (MULNV) und der Stiftung Umwelt und Entwicklung organisierte BNE-Festival steht. In Keynotes, Podiumsdiskussionen, Lernlaboren und einem Kreativmarkt sollen Möglichkeiten zur Vernetzung BNE-Interessierter gegeben werden. INFOS & ANMELDUNG

Licenses:
    • Kein Konzept, kein Budget: Unmut über Startchancen-Programm
    • Blick in die Bildungsforschung: Quereinsteiger besser als ihr Ruf
    • Gastbeitrag: Jugendliche mit digitalen Formaten in Ausbildung bringen
    • Corona-Herbst: Kommt der Schulgipfel?
    • Microsoft im Unterricht: Datenschutzbeauftragter rügt Schule
    • Brandbrief nach Aus von Sprach-Kita-Förderung
    • Presseschau
    • Im Portrait: Scobees-Gründerinnen Annie Doerfle und Lena Spak
    • Das datensichere Klassenzimmer
    • Termine
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    es fühlt sich an wie ein Déjà-vu. Los ging es damit, dass die Ampel-Koalition mit dem Startchancen-Programm ein ambitioniertes Reformprojekt ankündigte. Im März hatten wir dann im Briefing berichtet, dass das Bundesbildungsministerium noch um ein wenig Geduld bittet: Man konzipiere noch, hieß es damals. Fünf Monate später sind es längst nicht mehr nur Journalisten, die ungeduldig nachfragen. Die Länder warten dringend auf Informationen, haben aber aus Berlin noch nicht einmal eine Projektskizze erhalten. Die Bildungspolitiker im Bundestag wollen am liebsten 2023 mit dem Programm starten, doch im Haushalt ist bislang kein Geld dafür vorgesehen. Alle tappen im Dunkeln und warten auf die Vorschläge von Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, deren ambitionierte Bildungspläne gerade aus dem Takt geraten.

    Meine Kollegin Sofie Czilwik widmet sich in ihrer Analyse den vielen Quer- und Seiteneinsteigern, die mittlerweile an Deutschlands Schulen arbeiten. Die Bildungsforschung, schreibt sie, fange gerade erst an, sich mit dem Phänomen und den Folgen für die Unterrichtsqualität zu beschäftigen. Doch erste Publikationen gibt es bereits – und die stehen im Kontrast zur öffentlichen Hysterie.

    Zuletzt möchte ich Ihnen heute den Gastbeitrag von Raphael Karrasch empfehlen, der mit seiner Initiative Joblinge Jugendlichen, die sonst durchs Netz fallen, eine Ausbildung ermöglicht. Er appelliert an die Bundesagentur für Arbeit, in der Jobvermittlung neue Wege zu gehen. “Während Jobcenter & Co. Jugendliche noch suchen, wissen wir: Sie waren und sind noch da – nur müssen wir sie anders erreichen”, schreibt Karrasch, der nach zwei Jahren Pandemie eine ernüchternde Bilanz zieht.

    Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag!

    Ihr
    Moritz Baumann
    Bild von Moritz  Baumann

    Analyse

    Startchancen-Programm: “Wir sind total unzufrieden”

    Man sieht Ministerin Bettina Stark-Watzinger, sie erntet Kritik für das Startchancen-Programm
    Ministerin Bettina Stark-Watzinger hatte sich einen größeren Bildungsetat im kommenden Jahr gewünscht.

    Anfang Juni, der Bundestag verhandelt gerade über das Budget für 2022, tritt Bettina Stark-Watzinger ans Rednerpult. Es ist ein wichtiger Auftritt, sie muss ihren ersten eigenen Haushalt als Bundesministerin verteidigen. Während sich die Opposition an den sinkenden Ausgaben im Etat abarbeitet, schwört sie das Parlament auf einen Paradigmenwechsel ein. “Wenn wir auf die Bildung schauen”, sagt sie, “dann sehen wir: Geld alleine macht’s nicht.

    Es ist ein Satz, der zwei Monate später in völlig neuem Licht erscheint.

    Jetzt muss Stark-Watzinger selbst in den eigenen Reihen erklären, warum Prestigeprojekte der Ampel-Koalition aus dem Takt geraten, sich verzögern oder große Fragezeichen über der Finanzierung schweben. Einige Abgeordnete befürchten, dass auch das Startchancen-Programm unter die Räder gerät.

    Start der Förderung erst 2024?

    Es ist ein offenes Geheimnis, dass Christian Lindner nicht so viele Haushaltsmittel für das Bildungsressort freigibt, wie sich das seine Parteifreundin Stark-Watzinger erhofft hatte. Doch den Frust lässt sie sich nicht anmerken. Wenn es ums Geld geht, spricht die FDP-Ministerin lieber darüber, wie sie Bildungsprogramme und Förderrichtlinien verschlanken will – in Richtung mehr Effizienz, mehr Impact, weniger Bürokratie. Nur all das ändert nichts am Loch im BMBF-Haushalt.

    Von Beginn an war das Startchancen-Programm ein teures Projekt. Von eineinhalb bis zweieinhalb Milliarden Euro – pro Jahr war in den Koalitionsgesprächen die Rede. Das berichten Verhandler rückblickend. Ursprünglich, so der Plan damals, sollte das Programm 2023 starten – mit der Option, dass schon im vierten Quartal 2022 erste Gelder bereitstehen. An diesen Zeitplan glaubt niemand mehr, längst ist 2024 als Startpunkt im Gespräch. In der Koalition wächst der Unmut. Hintergrundgespräche zum Fortschritt des Programms blockt das Ministerium ab. Stark-Watzinger schweigt.

    Der Plan der Ampel-Regierung ist, 4.000 Schulen mit einer hohen Quote sozial benachteiligter Schüler mit vielen Milliarden Euro zu unterstützen. Für das Startchancen-Programm sind drei Säulen geplant: Mit einem Investitionsprogramm soll der Bund die Sanierung von Schulgebäuden finanzieren. Daneben setzte die SPD durch, dass die Koalition die Länder unterstützt, dauerhafte Stellen für die Schulsozialarbeit an insgesamt 8.000 Schulen zu schaffen. Die letzte Säule trägt schließlich die Handschrift der FDP: Die Ampel will den 4.000 ausgewählten Schulen ein Chancenbudget zur Verfügung zu stellen. Über dieses Geld könnten die Schulleiter dann frei verfügen, um Unterricht und Lernangebote weiterzuentwickeln und außerschulische Kooperationen zu fördern.

    Länder warten auf Informationen aus Berlin

    Nur: Im Haushaltentwurf für das kommende Jahr ist bislang kein einziger Euro eingeplant, obwohl die Ampel-Fraktionen im Bundestag genau darauf gedrungen hatten. In einem Maßgabebeschluss, der Bildung.Table vorliegt, heißt es: Der Haushaltsausschuss “bittet die Bundesregierung, das Startchancen-Programm bei der Aufstellung des Bundeshaushalts 2023 zu berücksichtigen.” Darüber hinaus solle das BMBF, unter Federführung von Staatssekretärin Kornelia Haugg, bis zum 30. September ein konkretes Konzept vorlegen.

    Die Parlamentarier rechneten offenbar damit, dass die Bund-Länder-Verhandlungen im Spätsommer längst gestartet sind. Es fände derzeit ein “fachlicher Austausch mit den Ländern zur Konzeption des Programms statt”, erklärt ein BMBF-Sprecher auf Anfrage. Doch echte Verhandlungen sind das nach Informationen von Bildung.Table noch nicht – eher ein zaghaftes Herantasten.

    Die Länder warten auch acht Monate nach Amtsantritt von Stark-Watzinger noch immer auf konkrete Informationen aus Berlin. Das BMBF hat bislang weder Projektskizzen noch Beratungsvorlagen verschickt. “Wir wissen nicht viel mehr, als das, was im Koalitionsvertrag steht”, erklärt ein beteiligter Beamter.

    Erst im September ist ein offizielles Gespräch zwischen den zuständigen Staatssekretären in Bund und Ländern geplant. Noch im selben Monat muss das BMBF den Abgeordneten im Bundestag ein Konzept vorlegen. Fraglich, ob das binnen weniger Wochen funktioniert. So tief, wie das Startchancen-Programm in die Bildungshoheit der Länder hineinragt, ist wohl mit keiner schnellen Einigung zu rechnen. Man erinnere sich an die Zankerei rund um den Digitalpakt. Dennoch betont KMK-Präsidentin Karin Prien gegenüber Bildung.Table, die Länder hätten ein “großes Interesse an der Verwirklichung des Programms.”

    Startchancen-Programm: Bildungspolitiker erwarten frühstmöglichen Start

    Die Bildungspolitiker im Bundestag, die nach wie vor im Dunkeln tappen, erhöhen währenddessen den Druck. “Bislang haben wir keinerlei Informationen aus dem BMBF erhalten”, erklärt die SPD-Abgeordnete Wiebke Esdar. Sie betreut im Haushaltsausschuss den Bildungsetat. “Wir erwarten, dass der Maßgabebeschluss umgesetzt wird und das Ministerium uns Abgeordnete bis Ende September informiert, wie die drei Säulen des Programms inhaltlich gestaltet, finanziert und administriert werden sollen”, erklärt sie gegenüber Bildung.Table. “Eine grobe Projektskizze allein reicht dafür nicht.”

    Der Frust wächst, dass Stark-Watzinger für Wasserstoffkooperationen um die halbe Welt jettet und dabei, so die Kritik, die Bildungsprojekte in ihrem Ministerium vernachlässigt. “Wir sind total unzufrieden”, beklagt sich ein Bildungspolitiker. “Es ist klar, dass bis Januar 2023 nicht sofort 4.000 Schulen gefördert werden können”, sagt auch Esdar. “Aber wir erwarten, dass sich Bund und Länder bis dahin einigen und zeitnah die Umsetzung beginnt.”

    Stark-Watzingers Parteifreundin Ria Schröder will ebenfalls einen baldigen Start – “frühestmöglich”. “Das Startchancenprogramm ist unsere liberale DNA im Koalitionsvertrag und meine Top-Priorität”, sagt die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion. “Diese Investition ist auch und gerade bei der angespannten Haushaltslage unverzichtbar.”

    Verhandlungen könnten an fünf Punkten scheitern

    Sie weiß, dass hinter den Kulissen die Ressorts gerade um jeden Euro ringen. Der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, Entlastungspakete und militärische Aufrüstung verschlingen Milliardensummen. Stark-Watzingers Spielraum wird immer enger. Und dann sind da noch 16 eigenwillige Bildungsminister in den Ländern, mit denen sie sich einigen muss. Dabei zeichnen sich fünf Knackpunkte ab.

    • Kriterien: Bund und Länder müssen einen Katalog entwickeln, nach welchen Kriterien sie die 4.000 Schulen auswählen. In den Koalitionsverhandlungen konnten sich die Parteien zunächst nicht einigen, ob dieser Katalog bundesweit einheitlich gilt oder jedes Land eigene Kriterien definiert. Dazu kommt das Problem, dass die benachteiligen Schulen nicht gleichmäßig über Deutschland verteilt liegen. Dennoch werden die Gelder wohl über den Königsteiner Schlüssel, also entlang von Einwohnerzahl und Steueraufkommen, verteilt. Sonst müsste zuvor ein neuer Verteilmechanismus auf Bundesebene entwickelt und Schuldaten zusammengeführt werden, die bekanntlich in jedem Bundesland anders erhoben werden.
    • Synergien: Einige Länder haben bereits vergleichbare Initiativen. In Nordrhein-Westfalen gibt es die Talentschulen, in Schleswig-Holstein das Perspektiv-Schul-Programm und in Hamburg die Initiative “23+ Starke Schulen”. Hier spielen Abgrenzungen und mögliche Synergien eine wichtige Rolle, teilt das BMBF auf Anfrage mit.

    Stark-Watzinger: Länder müssten sich finanziell beteiligten

    • Finanzierung: Noch ist selbst Haushaltspolitikern nicht klar, mit welchen Finanzierungsinstrumenten das BMBF die Länder unterstützen will. Aus dem BMBF heißt es, die Sozialarbeiterstellen könnten über eine Umverteilung von Umsatzsteuerpunkten finanziert werden. Für die geplanten Schulsanierungen käme ein Sondervermögen außerhalb des regulären Haushalts in Frage. “Da spielt Lindner nicht mit”, heißt es dagegen aus Koalitionskreisen. Eine Verfassungsänderung, die Stark-Watzinger Anfang des Jahres ins Spiel brachte, will dass BMBF – wohl auch aus Zeitgründen – vermeiden.
    • Beteiligung der Länder: “Unser Programm für die Brennpunktschulen soll auch ein Anreiz für alle Länder sein, hier mehr zu unternehmen”, sagte Stark-Watzinger in einem Interview mit der Zeit. Und nach Informationen von Bildung.Table hat das BMBF in internen Gesprächen bereits eingefordert, dass sich die Länder finanziell beteiligen. Nur die Höhe ist bislang unklar. Streit ist hier vorprogrammiert.
    • Evaluation: Bildungsministerin Stark-Watzinger will aus der Kritik am Corona-Aufholprogramm lernen (Bildung.Table berichtete). Das BMBF betont auf Anfrage: Die Ministerin will das Programm “evidenzbasiert” konzipieren, damit es “größtmögliche Wirkung” entfaltet. Indes könnten sich die Länder brüskiert fühlen, wenn der Bund sich inhaltlich zu sehr einmischt.
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    Kein “Verbrechen an den Kindern”

    Man sieht eine Frau die an einem Schreibtisch voller Ordner und Hefter sitzt und schreibt: Verschlechtern Quereinsteiger die Qualität des Unterrichts an Schulen?
    Quer- und Seiteneinsteiger können mit ihren unkonventionellen Lebensläufen den Unterricht bereichern.

    Weil Lehrkräfte fehlen, drängen jedes Jahr mehr und mehr Quer- und Seiteneinsteiger in die Klassenzimmer. Die Bildungsminister wollen mit ihnen den Fachkräftemangel abmildern, doch immer wieder ertönt Kritik. Wenn vermehrt Quereinsteiger vor der Klasse stehen, so die wiederkehrenden Warnungen einiger Verbände, verschlechtere sich der Unterricht. Das sei gar “ein Verbrechen an den Kindern”, sagte 2019 Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes.

    Zunächst ein Blick auf die Zahlen: 2011 wurden laut Kultusministerkonferenz (KMK) etwa 1400 Quer- und Seiteneinsteiger eingestellt, zehn Jahre später sind es bereits rund 3000 und damit fast 10 Prozent der Neueinstellungen insgesamt. Dabei suchen einige Bundesländer wesentlich aktiver als andere nach Personal von außen: 23 Prozent waren es in Berlin, null Prozent in Bayern, acht Prozent in Schleswig-Holstein und 15 Prozent in Sachsen.  

    Lesen Sie auch: Lehrerprognose in Bayern – die Mittelschule strauchelt

    Bildungsforscher, die sich in der Debatte zu Wort melden, fordern oft eine Nach- und Weiterqualifikation. Dahinter steckt die Sorge, dass Quereinsteiger den Stoff in Mathe, Deutsch oder Biologie nicht rüberbringen können, weil ihnen vermeintlich der pädagogische Horizont oder das didaktische Handwerkszeug fehlt.

    Phänomen bislang kaum erforscht – leidet die Qualität des Unterrichts?

    Nur, wie gut oder wie schlecht der Vergleich zwischen Quereinsteigern und grundständig ausgebildeten Lehrkräften ausfällt, ist bislang kaum erforscht. Die Studienbasis ist dünn. Die Wissenslücke wollen Forscher des Departments Erziehungswissenschaft an der Universität Potsdam schließen. Denn: Quereinsteiger sei nicht gleich Quereinsteiger, betont Christin Lucksnat, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschung beteiligt ist. “Die Gruppe ist hinsichtlich ihrer Voraussetzungen sehr heterogen. Das zeigen sowohl empirische Studien als auch Erfahrungsberichte von Lehrkräften.”

    Begriffe sind also entscheidend. Lucksnat spricht von Quereinsteigern, wenn die Lehrkräfte kein Lehramtsstudium absolviert haben und dennoch zwei lehramtsbezogene Fächer – wie Mathe, Deutsch oder Englisch – studiert haben. Seiteneinsteiger hingegen sind Personen, die aus anderen Berufen ins Lehramt wechseln – beispielsweise Ingenieure oder Architekten.  

    Viele wissenschaftliche Publikation zum Klassenzimmer-Quereinstieg stehen im Kontrast zur öffentlichen Hysterie: “Betrachtet man Studien aus anderen Ländern sowie Erhebungen des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), wird deutlich”, so Lucksnat, “dass Schüler:innen per se keine schlechteren Leistungen zeigen, wenn sie von nicht-traditionell ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet werden.” 

    Beim Fachwissen auf Augenhöhe

    Letztlich zeichnen einen guten Lehrer zwei Kerneigenschaften aus: Er muss wissen, worüber er spricht. Und er braucht die Fähigkeit, den Stoff zu vermitteln – egal ob er vor einem aufgeregten Erstklässler oder einem pubertierenden Gymnasiasten steht.  

    Im Vergleich können Quereinsteiger beim Fachwissen meist mit ihren Kollegen mithalten. So konnten frühere Studien zumindest für die Fächer Mathematik und Physik keine signifikanten Unterschiede zwischen alternativ und traditionell ausgebildeten Lehrkräften feststellen. 

    Und mit ihren für den Schulbetrieb ungewöhnlich Lebensläufen und der praktischen Berufserfahrung können sie den Unterricht sogar bereichern. Klar: Ihnen fehlt in Bezug auf Pädagogik und Didaktik meist das theoretisch-akademische Wissen. Doch weitere Studien belegen, dass viele Quereinsteiger bereits Erfahrungen mit Kindern oder Jugendlichen sammeln konnten – als Freizeitcoach, in der Hochschullehre oder in der Schülernachhilfe. Das Vorurteil, Quer- oder Seiteneinsteiger würden grundsätzlich schlechter abschneiden, deckt sich demnach nicht mit den Erkenntnissen der empirischen Bildungsforschung. 

    Stress im Unterricht: Quereinsteiger sind belastbarer

    Forscher der Uni Potsdam konnten außerdem belegen, dass Quereinsteiger belastbarer sind. Den Stress, den der Lehrberuf mit sich bringt, könnten sie besser bewältigen. Ein Grund ist, dass sie durch die bewusste Entscheidung, ihre Karriere in eine neue Richtung zu lenken, besser in der Lage sind, mit dem Stress im Klassenzimmer umzugehen. So gehören laut einer Studie 50 Prozent der quer eingestiegenen Lehrkräfte dem “resilienten Gesundheitstyps” an, während es unter den traditionell ausgebildeten Lehrkräften nur knapp 38 Prozent sind  

    Abschließend noch einige Worte zur Motivation: Befragungen haben ergeben, dass Quereinsteiger ins Lehramt wechseln, weil sie darin eine sinnvolle Tätigkeit sehen. Es geht ihnen weniger darum, einen sicheren und familienfreundlichen Beruf zu ergreifen. Zu ähnlichen Ergebnisse kommt auch die Evaluation eines Quereinsteiger-Masters an der Humboldt Universität zu Berlin, der mit einem regulären Master für Lehramtsstudierende verglichen wurde.

    Der so genannte Q-Master ist ein Masterprogramm für Quereinsteiger an der Grundschule, das seit dem Wintersemester 2018 angeboten wird. Sie gaben in der Evaluation an, dass sie vor allem einen sozialen Beitrag für die Gesellschaft leisten möchten – bei den Lehramtsstudierenden stand dieses Motiv indes nur an zweiter Stelle, nach dem Wunsch, mit Kindern und Jugendlichen zusammenzuarbeiten.

    Obwohl der Quer- und Seiteneinstieg längst fester Baustein der Personalplanung in den Ländern ist, steht die Forschung dazu noch am Anfang. Es sei unklar, so Lucksnat, wie sich die Leistungen der Schüler entwickeln, wenn sie über Jahre von alternativ ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet werden. Doch die Angst, mit jedem Quereinsteiger steuere das Bildungssystem tiefer in die Krise, scheint jedenfalls so pauschal nicht zuzutreffen.

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    Blogpost

    “Mit digitalen Formaten Jugendliche und Unternehmen matchen”

    Man sieht Raphael Karrasch, er will Jugendliche und Unternehmen matchen.
    Raphael Karrasch ist Regionalleiter von Joblinge im Ruhrgebiet, einer gemeinnützigen Initiative gegen Jugendarbeitslosigkeit.

    Gastbeitrag von Raphael Karrasch

    Im Jahr 2021/22 blieben vier von zehn Ausbildungsstellen unbesetzt. Diese Zahl des Instituts der deutschen Wirtschaft aus dem April überraschte genauso wenig, wie der reflexartige Aufschrei aus den Unternehmen, es mangele an geeigneten Bewerber:innen. Doch bemängelten viele Unternehmen bis vor kurzem noch die “Qualität der Bewerber:innen”, bleiben Bewerbungen heute zum Teil gänzlich aus. Die Demografie und ausgefallene Berufsorientierung in den Schulen während Corona sind nur zwei Gründe für den Rückgang. Eigentlich könnte man vermuten, dass die vielen unbesetzten Stellen und der Fachkräftebedarf eine gute Ausgangslage für Ausbildungssuchende darstellen – sind sie aber nicht. Und das, obwohl es doch auch nach der Schule reichlich Unterstützung durch das Übergangssystem der Bundesagentur für Arbeit (BA) gibt.

    Laut einer Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung und der Bertelsmann Stiftung urteilten jedoch bereits 2011 von 550 befragten Ausbildungsexperten 89 Prozent, dass der Einsatz der finanziellen Mittel im Übergangssystem nicht effektiv erfolgt. Die Kosten sind bis heute bei gleichbleibendem Maßnahmenangebot mit circa 7 Milliarden Euro annähernd gleich geblieben, obwohl die Teilnehmendenzahlen seitdem demografiebedingt stark abgenommen haben. Lediglich ein Drittel der Teilnehmenden beginnt im Anschluss eine betriebliche Ausbildung. Je länger sich ein Jugendlicher in Übergangsmaßnahmen befindet, desto deutlicher sinkt seine Wahrscheinlichkeit, einen Ausbildungsplatz zu finden. Das System war also bereits vor Corona teuer und ineffizient – was konnte es in der Pandemie leisten?

    Nur wenige schafften Umstieg auf digitale Formate

    Die Herausforderung für die berufliche Ausbildung liegt derzeit vor allem in rückläufigen Bewerberzahlen. Dieses Phänomen hat sich durch ausgefallene Maßnahmen zur Berufsorientierung während der Pandemie verstärkt. Doch Angebote sind nicht einfach ausgefallen. Sie sind schlichtweg nicht ins Digitale transferiert worden, die Berufsberatung der BA eingeschlossen. Frank Martin von der Regionaldirektion der BA in Hessen schilderte kürzlich gegenüber tagesschau.de: “Die Berufsberaterinnen und -berater tun sich derzeit schwer, Jugendliche mit Informationen zu erreichen.” Seit zwei Jahren haben die Berufsberatungen der BA den Kontakt zu vielen Kund:innen verloren und wundern sich jetzt, dass Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben. “Glücklicherweise starten jetzt viele Angebote wieder”, sagt Martin. Nach zwei Jahren eher ein Armutszeugnis!

    Bei Joblinge haben wir den Umstieg geschafft. Mit innovativen und verstärkt digitalen Formaten aktivieren wir Jugendliche und Unternehmen. Joblinge hat in den vergangenen zwei Jahren trotz aller Widrigkeiten viele Jugendliche erreicht, die sonst durch das lückenhafte, beziehungsweise nicht vorhandene Netz gefallen wären. Junge Menschen wurden auf unsere Kosten mit Technik ausgestattet und vom reinen digitalen Konsum hin zur Anwendung befähigt – technischer Support eingeschlossen. Dienst am nächsten? Sicherlich, aber genauso Dienst an unserem Unternehmensnetzwerk, das dringend Nachwuchskräfte benötigt.

    Obwohl es für die öffentlichen Auftraggeber schwierig war, uns ausreichend Teilnehmende zu vermitteln, konnten wir über 80 Prozent unserer Plätze besetzen. Ganz einfach, indem wir die jungen Menschen in den sozialen Medien, auf der Straße oder in Shopping-Malls erreicht haben. Während Jobcenter & Co. Jugendliche noch suchen, wissen wir: Sie waren und sind noch da – nur müssen wir sie anders erreichen. Mit agilen, digitalen Formaten war es bei Joblinge möglich, Jugendliche und Unternehmen zu matchen: Digitale Jobmessen und Speeddatings sind bereits seit Herbst 2020 an der Tagesordnung – anschließende Praktika nicht ausgeschlossen, Ausbildungsaufnahmen in 70 Prozent der Fälle die Regel.

    Große Unkenntnis über Berufe

    Zur Wahrheit gehört auch, dass Matching mehr leisten muss, als nur offene Stellen und Bewerber:innen zusammenzubringen. Laut dem Statistischen Bundesamt bevorzugt ein Großteil der Jugendlichen die gleichen Berufe wie vor fast 20 Jahren. Wenn sich alle in Unkenntnis der über 300 Ausbildungsberufe nur auf die “Top Ten”-Berufe stürzen, bleibt nicht aus, dass viele bei einem begrenzten Angebot an Ausbildungsstellen auf der Strecke bleiben. Ganz abgesehen von denen, die noch gar nicht wissen, was sie machen wollen.

    Deshalb ist es essenziell, junge Menschen nicht nur zu alternativen Berufen zu beraten, sondern sie mit Verfahren wie “Personal Branding” zu befähigen, überhaupt eine fundierte Entscheidung zu treffen. Jugendliche müssen dafür mit uns vermeintlich einfache Fragen beantworten wie: “Was ist mir wichtig?”, “Wofür stehe ich?”, “Was sind meine Werte?”, “Was sind meine Ziele?”. Wenn sich dann auch noch die suchenden Unternehmen offen zeigen, nicht nur auf das Zeugnis zu schauen, sondern echte Chancen in der Praxis zu geben, haben wir einen wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung geleistet.

    Bei Joblinge verlassen circa 50 Prozent der Teilnehmenden das Programm mit einem anderen Beruf als dem ursprünglichen Wunschberuf. Dass fast 90 Prozent der Joblinge-Alumni auch ein halbes Jahr nach Ausbildungsstart noch in der Ausbildung sind, zeigt, dass wir mit unserer Vorgehensweise und einer flankierenden Ausbildungsbegleitung, die wir pro bono anbieten, nicht so schlecht liegen.  

    Besser wäre Finanzierung nach Vermittlungserfolg

    Die Förderlogik der BA basiert noch immer zu großen Teilen auf einer Inputfinanzierung von (während Corona großteils unbesetzten) Teilnehmerplätzen und nicht auf der tatsächlichen Vermittlung. Ein System, das junge Menschen kaum noch erreicht und sich nicht am Erfolg misst, ist kaum tragbar und gefährdet neben dem individuellen Fortkommen der Jugendlichen, massiv die Wirtschaft. Denn eins wird immer deutlicher: Für die Fachkräftesicherung brauchen wir jeden Kopf! Setzte das Übergangssystem zukünftig verstärkt auf eine Impactfinanzierung, würde dies innovative Lösungsansätze fördern. Die Finanzierung nachhaltiger Vermittlung, nicht der Betreuung, muss im Vordergrund stehen. Das Übergangssystem ist wichtig und hat seine Berechtigung, doch muss es den neuen Herausforderungen disruptiv entgegentreten. Weniger Formalismus und mehr social Business.

    Raphael Karrasch ist Geschäftsführer des gemeinnützigen Unternehmens Joblinge in Essen, einem von bundesweit 30 Standorten. Dort soll jungen Menschen zwischen 15 und 27 Jahren der Anschluss an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ermöglicht werden. Der Diplom-Sozialpädagoge arbeitete zuvor zwölf Jahre lang für verschiedene Bildungsträger in Arbeitsmarktprogrammen der Bundesagentur. Er selbst absolvierte nach einer Ausbildung zum Kunststoff-Formgeber die Mittlere Reife und das Fachabitur auf dem zweiten Bildungsweg.

    News

    Corona-Gipfel: Lauterbach und Prien an einem Tisch?

    Wie genau die Schulen reagieren, wenn im Herbst die nächste Pandemie-Welle ansteht, darüber herrscht auch nach Vorstellung des Entwurfs des neuen Infektionsschutzgesetzes (IfSG) durch Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Justizminister Marco Buschmann einige Unklarkeit.

    Die IfSG-Novelle tritt am 1. Oktober in Kraft. Die Schulen sollen offenbleiben, die Bundesländer eine Testpflicht verhängen und, wenn sonst kein geregelter Präsenzunterricht möglich ist, eine Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske – Letztere allerdings nur für Schüler ab der fünften Klasse.

    Dass die Bundesregierung Schüler der Klassen eins bis vier ausklammert, stößt beim Vize der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, Andreas Keller, und Lehrerverbands-Präsident Heinz-Peter-Meidinger auf Unverständnis. Riskiert man in der Altersgruppe so nicht doch Unterrichtsausfall und Schulschließungen?

    Kritik üben die Bildungsverbände ansonsten vor allem daran, dass der Entwurf keine Stufenpläne mit einheitlichen Kriterien und Grenzwerten enthält, der Bund also einen Maßnahmen-Flickenteppich riskiert. Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, äußerte gegenüber dem SPIEGEL die Befürchtung, den Bildungseinrichtungen könne zu viel Verantwortung für die Verhandlung und Entscheidung der konkreten Maßnahmen zugemutet werden. Sie forderte einen rechtssicheren Handlungsrahmen, den am besten die Kultusministerkonferenz (KMK) festlegen soll.

    KMK-Vorsitzende Karin Prien (CDU) plädierte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland für eine “schnelle Abstimmung mit den Ländern” und forderte einen nationalen Schulgipfel mit allen zuständigen Ministern für Gesundheit und Schulen von Bund und Ländern. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin bezog sich dabei auf einen 7-Punkte-Plan von Gesundheitsminister Lauterbach aus dem Juli, in dem die Ausarbeitung eines Schutzkonzeptes für Schulen und Kitas in Aussicht gestellt wurde.

    Ministerin Schopper: Für Corona-Gipfel, der gegen Schulschließung hilft

    Ob es zu einem solchen Gipfel kommen wird, beantwortete das BMBF auf Anfrage nicht. Das Gesundheitsministerium ließ eine Anfrage unbeantwortet. Im Interview mit dem Deutschlandfunk hatte sich Ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zurückhaltend geäußert: Zwar halte sie es für “sehr wichtig, dass wir uns eng abstimmen zwischen Bund und Ländern”, hierfür könnten regelmäßige Arbeitstreffen aber besser geeignet sein. Das BMBF teilte mit, die Länder hätten bereits “viel Erfahrung bei der Ausgestaltung und Umsetzung der Hygienekonzepte und Testungen.”

    Baden-Württembergs Bildungsministerin Theresa Schopper (Grüne) forderte gegenüber Bildung.Table, die Länder bräuchten “vom Bund einen Instrumentenkasten, der uns erlaubt, flexibel auf Situationen einzugehen, die an den Schulen auftreten, wie wenn beispielsweise neue Varianten aufkommen.” Mit Blick auf die Forderung Priens nach einem nationalen Schulgipfel sagte sie: “Für mich steht als oberstes Ziel fest, dass wir Schulschließungen nach aller Möglichkeit verhindern müssen – wenn uns der Gipfel dabei hilft, bin ich dafür.” Aus dem rheinland-pfälzischen Bildungsressort hieß es lediglich, man könne sich vorstellen, dass ein Gipfel nach der Gesundheitsministerkonferenz am Dienstag stattfindet. Anna Parrisius

    Datenschutz-Verfahren: Schule nutzt Microsoft-Software trotz Verbot

    Das Vorgehen von Baden-Württembergs Datenschutzbeauftragtem gegen Schulen, die den Cloud-Dienst Microsoft 365 im Unterricht einsetzen, hat eine neue Stufe erreicht. Wie die Badische Zeitung berichtet, leitete die Behörde ein “Untersagungsverfahren” gegen eine Schule ein, die das Softwarepaket trotz Verbots weiterhin nutzte

    Bereits im April hatte der Landesbeauftragte für Datenschutz, Stefan Brink, angeordnet, Schulen sollten ihren Schülern bis zu den Sommerferien 2022 Alternativen zum Cloud-Dienst anbieten (Bildung.Table berichtete). Der Landesbeauftragte kündigte zudem an, seine Behörde werde auf alle 40 bekannten Schulen zugehen, die den Dienst weiterhin verwenden. Diese müssten begründen, wie sie einen datenschutzkonformen Betrieb sicherstellen und diesen entsprechend der Datenschutz-Grundverordnung eindeutig nachweisen. 

    Ein Sprecher des Datenschutzbeauftragten teilte laut Badischer Zeitung nun mit, dass 28 der 40 Schulen im Lauf des nächsten Schuljahres ihre Nutzung des Cloud-Dienstes einstellen wollen. Eine Schule wolle auf den Dienst nicht verzichten, habe aber nicht die notwendigen Unterlagen für eine datenschutzrechtliche Prüfung bereitgestellt – gegen sie wurde daher nun das Untersagungsverfahren eröffnet

    Ein Sprecher des Kultusministeriums antwortete Bildung.Table auf Anfrage, es gebe eine Vereinbarung mit dem Landesdatenschutzbeauftragten. Bis das Land den Schulen eine umfassende datenschutzkonforme Lösung zur Verfügung stellt, geht die Behörden nicht gegen Schulen vor, die MS 365 nutzen. Ausnahme: Es gehen dort konkrete Beschwerden ein. Eine vorübergehende oder endgültige Beschränkung der Datenverarbeitung, einschließlich eines Verbots, muss abschließend die Schulaufsicht durchsetzen. Die hat sich jedoch im aktuell angestrengten Untersagungsverfahren noch nicht geäußert. Anouk Schlung 

    • DSGVO

    Breites Bündnis kritisiert Ende der “Sprach-Kita”-Förderung

    Die Ankündigung der Bundesregierung, das Sprach-Kita-Programm auslaufen zu lassen, sorgt weiter für Kritik. In einem offenen Brief an KMK-Präsidentin Karin Prien und Astrid-Sabine Busse, Vorsitzende der Jugend- und Familienministerkonferenz, fordern Gewerkschaften und Kitaträger eine Fortsetzung des Programms, mit dem der Bund seit 2016 die Länder bei der Sprachförderung unterstützt

    Familien, Erzieher und Kitas würden nun, so die Kritik, mit den Problemen alleingelassen. In einer “diversen Gesellschaft, in der 40 Prozent der Kinder zu Hause kein Deutsch als Familiensprache sprechen, entscheiden gute Sprachkenntnisse über Erfolg in der Schule und auf dem gesamten Lebensweg”, heißt es in dem Brief, den unter anderem die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Deutsche Kitaverband und die Bundeselternvertretung unterzeichnet haben. 

    Sollte das Programm enden, würden Kinder aus Familien mit Migrationsgeschichte ab nächstem Jahr deutlich schlechter dastehen. Der Bund würde somit ungleiche Bildungschancen reproduzieren und schlechtere Berufsperspektiven zementieren. “Schon die ersten sieben Jahre”, schreiben die Organisationen, “prägen eine erfolgreiche Bildungslaufbahn.”  

    Sprach-Kita: “8.000 Fachkräfte nicht mal eine Übergangslösung wert”

    Im Gespräch mit Bildung.Table findet Doreen Siebernik, im GEW-Vorstand zuständig für Jugendhilfe und Sozialarbeit, klare Worte: “Das Nichtbereitstellen von Ressourcen für das ,Sprach-Kita’-Programm ist eine Frechheit. Hier kritisiere ich insbesondere den Finanzminister.” Ähnliche Kritik übt auch die Unionsfraktion: Fraktionsvize Dorothee Bär beklagt eine “Politik der Rückabwicklung”. Die Ampel-Regierung meine es mit Integration und Teilhabe nicht ernst. “Statt Planungssicherheit bekommen die rund 8.000 Fachkräfte der Sprach-Kitas zu spüren, dass sie nicht einmal eine Übergangslösung wert sind”, kritisiert Bär.  

    Mit dem Sprach-Kita-Programm finanziert das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) seit 2016 zusätzliches Fachpersonal in Kindertagesstätten. Dafür investierte der Bund bislang rund 1,1 Milliarden Euro. Eine halbe Million Kinder profitieren davon. Doch anders als im Koalitionsvertrag vereinbart, lässt die Regierung das Programm im Dezember 2022 zum regulären Ende des Förderzeitraums auslaufen.  

    Das BMFSFJ verteidigt sich: Die Koalition verlängere das Gute-Kita-Gesetz über 2022 hinaus, weshalb in den kommenden beiden Jahren jeweils zwei Milliarden Euro bereitstünden. Parallel werkelten die Beamten an einem neuen Kita-Qualitätsentwicklungsgesetz. Doch welche Summe dabei in die Sprachförderung fließen soll, ist bislang unklar, was die Nervosität bei den Kitaleitungen vor Ort erhöht. Robert Saar

    Lesen Sie auch: Massive Sprachprobleme – IQB legt Bildungslücken offen 

    • BMFSFJ
    • Dorothee Bär
    • IQB

    Makerspace

    Annie Doerfle und Lena Spak – entwickeln ein digitales Lernsystem

    Auf dem Foto sieht man Annie Doerfle und Lena Spak, sie haben das digitale Lernsystem Scobees gegründet.
    Annie Doerfle und Lena Spak haben das digitale Lernsystem Scobees gegründet.

    Die beiden Gründerinnen haben sich nicht wenig vorgenommen: Mit Scobees wollen sie weniger eine digitale Lernplattform als ein ganzes Lernsystem bieten, sagen Annie Doerfle und Lena Spak. Ihre Software unterstütze Schulen und Lehrkräfte dabei, vom klassischen Frontalunterricht zu offeneren Unterrichtsformaten zu wechseln. Denn viele Schulen stellen sich zu wenig den Herausforderungen für zeitgemäßes Lernen: Das ist Annie Doerfles recht ernüchternde Einschätzung. “Du betrittst die Schule und bist zurückversetzt in ein völlig realitätsfremdes Paralleluniversum”, sagt sie.

    Die Schulen, mit denen Scobees zusammenarbeitet, wüssten hingegen, was Digitalität bedeutet. Sie legten Wert auf Zukunftskompetenzen. Schulen sollen dort keine “Lernräume” mehr, sondern “Lebensräume” sein. Die Lernenden bestimmen selbst, was sie in welchem Tempo lernen – jedoch nicht völlig ohne Anleitung, sondern immer im Austausch mit den Lehrkräften.

    Gemeinsame Gründung nach der Elternzeit

    Annie Doerfle hat schon früher Transformationsprozesse vom Analogen zum Digitalen begleitet, damals in einer ganz anderen Branche. Sie studierte Medienwirtschaft und arbeitete danach als Sales Managerin für eine B2B-Video-on-Demand-Plattform. Es waren Kurzfilme, die Annie Doerfle und Lena Spak den ersten Anstoß für die gemeinsame Gründung gaben.

    “Wir kennen uns aus der Elternzeit, haben Kinder in ähnlichem Alter”, erzählt Spak. Zum Ende der Elternzeit “ging es irgendwann darum, wie es beruflich weitergeht”. Auch Lena Spak war vor ihrer Elternzeit ganz woanders tätig. Als Volljuristin arbeitete sie für die ARD.

    Doerfle kannte durch ihren Beruf viele Kurzfilmfestivals und war von der Kreativität der Filme für Kinder begeistert. “Annie wollte nicht, dass diese einfach in der Schublade verschwinden, sondern sie in die Schulen bringen”, erinnert sich Spak. Gespräche mit Lehrern und Schulentwicklungsberatern und der Besuch von innovativen Schulen führten jedoch schließlich dazu, dass aus der eigentlich erst geplanten Video-Plattform für Kurzfilme doch nichts wurde. Es sollte größer werden, die Idee für Scobees war geboren.

    Sie besuchten Schulen, die offene Lernformate praktizierten, in denen der Unterricht individuell an die Lernbedürfnisse des Einzelnen angepasst wurde und die sich auf die Vermittlung von Kompetenzen fokussierten. Dies empfanden sie als “unfassbar inspirierend”.  Sie trafen auf Kinder, die genau wussten, wo ihre Stärken liegen und keine Angst vor der Zukunft hatten. Sie erlebten Chancengleichheit aufgrund eines Lernsystems, das die Perspektive der Lernenden in den Mittelpunkt stellt. Spak und Doerfle wollten ein Tool schaffen, das diesen Ansatz in die Breite trägt und Lehrkräften Zeit erspart beim Auswerten von Lern-Logbüchern.

    1.500 Schulen nutzen Scobees

    “Lernen funktioniert nur in Beziehung”, so Doerfle. “Scobees ist ein Lernsystem, das diese Methode abbildet.” Im digitalen Logbuch tragen Schüler ihre Fortschritte ein, oder geben erledigte Aufgaben ab. Die Lehrer behalten im offenen, projektbezogenen Unterricht so den Überblick über den Lernstand jedes Einzelnen – und können individuelles Feedback geben. Bei Scobees heißen die Lehrkräfte “Lernbegleiter“. Lehrer und Schüler finden Aufgaben, Lernstände, Leistungsnachweise und Feedback gebündelt an einem Ort, was Zeit spart und entlastet.

    “Schule ist nicht gleich Schule”, gibt Spak zu bedenken. Die einen hätten ein “befremdliches Selbstbewusstsein”, dass alles in Ordnung sei. Die anderen wüssten “wenn Du den Wandel in fünf Jahren vollzogen haben möchtest, hättest Du vor fünf Jahren beginnen müssen.” Transformation sei ein Kraftakt, der viel Zeit und Geld beanspruche, etwa für Fortbildungen. Dies werde von der Politik zu wenig beachtet.

    Das System von Scobees nutzen bis jetzt etwa 1.500 Schulen bundesweit, überwiegend in Hessen und Niedersachsen, derzeit vor allem in der Sekundarstufe 1. Das Angebot für Grundschulen werde ausgebaut, und es gebe erste Kontakte mit Hochschulen. Spak hofft, dass “die Schule der Zukunft” in zehn Jahren einfach “deutsches Bildungssystem” heißt und Scobees international in Europa zum Einsatz kommt. Vera Altmolak

    • Digitalisierung
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    Didaktik & Tools

    Das datensichere Klassenzimmer

    Was bringt ein digitales Klassenzimmer aus Tools, die der DSGVO entsprechen?

    Dass der Klassenraum nicht mehr aus gläsernen Wänden besteht, hinter denen Lernende durchsichtig und ungeschützt sind. Die wenigsten SchülerInnen oder auch Lehrkräfte wissen, was mit ihren eigenen Daten im Internet alles passiert. Lehrkräfte haben aber die nicht ganz leichte Aufgabe, die Lerndaten ihrer Lernenden zu schützen. Sonst könnte jeder alles von außen mitlesen. Deswegen war es unser Ziel, ein DSGVO-konformes digitales Klassenzimmer zu schaffen, das gewissermaßen weiter Wände aus Stein hat. Es erzeugt eine Lernatmosphäre für die Lernenden, die Sicherheit schafft – und zugleich privat bleibt. Es vermittelt Lernenden ein sicheres Gefühl. Jede Lehrkraft weiß, wie wichtig das ist. 

    Welche technischen Voraussetzungen hat das datensichere Klassenzimmer?

    Wie immer braucht man ein digitales Endgerät und Internetzugänge. Bei einigen der Tools benötigen die Schüler:innen auch noch eine E-Mail-Adresse, um sich anzumelden und zu registrieren. Also zum Beispiel beim Video-Klassenraum BigBlueButton, bei der Tafel Collaboard, bei den Schließfächern von Nextcloud oder bei dem Pinnwandtool TaskCard, was in diesem Konstrukt als Heft dient. Aber es gibt auch die Tools von Kits, die ebenfalls als digitales Heft dienen oder den Methodenkoffer von Oncoo. Da braucht man nicht mal eine E-Mail-Adresse. Und weiterführen kann man das, indem man Mahara als Klassenarbeitsheft oder Moodle als Schulbuch und Arbeitsblattersatz hinzunimmt. 

    Ist der datensichere Klassenraum für die Präsenz oder für den Distanzunterricht nutzbar?

    An sich ist das digitale Klassenzimmer mit DSGVO-konformen Tools erst mal für den Fernunterricht ausgelegt. Das Ziel ist aber, die beiden langfristig zu verschmelzen, um nicht mehr zwei scharf getrennte Sphären zu haben: einmal hier den Präsenzunterricht und da den Fernunterricht, sondern eine Kombination aus beidem. Das Ziel sollte wirklich nicht sein, dass man den Präsenzunterricht 1:1 in die digitale Lehre überträgt, sondern dass man innovativ neu und besser mit digitalen Tools denkt. Das schafft eine bessere Lehre. Auch eine Übertragung in die Präsenzlehre ist erstrebenswert, so dass man am Ende eine Verschmelzung und Neuausrichtung des didaktischen Prozesses hat. 

    Pro-Tipp:

    Das Schöne an dem Konstrukt verschiedener sicherer Lern-Tools ist, dass man es so leicht weiterspinnen kann. In der Twitter-Community kamen noch einige andere Anwendungen und Aspekte des digitalen Klassenzimmers hinzu. Am Ende konnte man dann sehen, wie groß das Spektrum an DSGVO-konformen Tools inzwischen ist. Viele bieten Datensicherheit, sind aber oftmals aufgrund fehlender Werbung noch nicht so bekannt. Das datensichere digitale Klassenzimmer soll die Sicherheit bieten, nicht immer auf die gläsernen Tools zurückgreifen zu müssen.

    Kritik: 

    Datenschutzrechtlich gibt es, glaube ich, keine Kritik an dem datensicheren Klassenzimmer. Aber  möglicherweise stört man sich an den Kosten. Bei den nicht datenschutzkonformen Varianten, die meistens umsonst oder günstig sind, zahlt man halt mit seinen Daten statt mit Geld. Man sollte sich bewusst machen, dass das am Ende zum Hacking der Privatsphäre der Schüler:innen oder im schlimmsten Fall sogar zum Identitätsdiebstahl führen kann. Wenn man sich die Konsequenzen vergegenwärtigt, bezahlt man das Geld eigentlich wieder ganz gerne. Aber man kann die Kosten auch vermeiden, indem man einfach bei der Schulleitung beantragt, dass die Tools von der Schule angeschafft werden. 

    Anna Ansari ist studentische Mitarbeiterin für Mediendidaktik an der Zentralen Einrichtung für Sprachen und Schlüsselqualifikationen der Universität Göttingen. Sie hat in einem Blogpost das DSGVO-konforme Klassenzimmer vorgestellt.

    • Datenschutz
    • Datenschutzgrundverordnung
    • Digitales Klassenzimmer
    • DSGVO

    Presseschau

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    Pädagogikprofessor Klaus Zierer: “Naiver Umgang” mit digitalen Medien SPIEGEL
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    Heikle Vorwürfe gegen Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft SPIEGEL

    Termine

    16. August 2022, 09:30 bis 12:00 Uhr
    Fortbildung: Pimp your Klassensprecherwahl
    Die Friedrich-Ebert-Stiftung will mit dieser Fortbildung erreichen, dass Beliebtheitsfaktoren bei der Klassensprecherwahl eine deutlich geringere Rolle spielen. In diesem Zuge werden acht unterschiedliche Methoden für eine erfolgreiche Klassensprecherwahl vorgestellt. Das Ziel: “demokratische Grunderfahrungen” zu schaffen. INFOS & ANMELDUNG

    18. August 2022, 16:15 bis 20:00 Uhr
    Konferenz: New Work needs New Education
    Die vom Hochschulforum Digitalisierung organisierte Konferenz beschäftigt sich mit dem drastischen Wandel der Arbeitswelt und der Frage, ob die Bildungslandschaft die zukünftigen Handlungsträger angemessen darauf vorbereitet. Zu den wichtigsten Programmpunkten gehören Keynotes von Jacqueline Lemm (RWTH) und Alex Jacobi (With love and data) sowie eine Podiumsdiskussion und ein Get-together. INFOS & ANMELDUNG

    19. und 20. August 2022
    Festival: BNE-Festival NRW
    Mitgestalten. Mitdenken. Mitmachen.” ist das Motto, unter dem das vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr (MULNV) und der Stiftung Umwelt und Entwicklung organisierte BNE-Festival steht. In Keynotes, Podiumsdiskussionen, Lernlaboren und einem Kreativmarkt sollen Möglichkeiten zur Vernetzung BNE-Interessierter gegeben werden. INFOS & ANMELDUNG

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