die beiden Mädchen aus Telgte begannen sich in der Videokonferenz gerade zu unterhalten, da bemerkten sie: Wir sind nicht allein. Plötzlich war da ein Mann. Er hatte sich im Videochat der 10-Jährigen breit gemacht – und zwar nackt. So weit war es noch nicht, als sich im neuen bayerischen Videokonferenzsystem “Visavid” vergangene Woche eine Lücke auftat. Wie gefährlich war die unsichere Stelle wirklich? Bildung.Table nimmt den Fall unter die Lupe und vergleicht mit dem jüngsten Systemfehler in NRW.
In China beleuchtet eine Lernlampe die – nicht selten abendlichen – Lerneinheiten chinesischer Kinder. Allein, die “Lampe der großen Kraft” hat noch viel mehr Funktionen als Licht zu spenden. Sie schlägt Alarm, wenn den Kindern die Augen zufallen. Meine Kollegin vom Professional Briefing China.Table, Ning Wang, beschreibt den langen Schatten der “Dali Lamp” von TikTok-Erfinder Bytedance.
Bayerns Lehrerpräsidentin Simone Fleischmann tritt der Vorstellung entgegen, die Lehrer müssten auch in den Sommerferien bienenfleißig das neue Schuljahr vorbereiten. Sie möchte endlich jemand anderen arbeiten sehen: den Kapitän auf der Brücke der bayerischen Schule.
Warum bezahlt die Bundesregierung Millionen für Stiftungscluster digitaler Bildung? Will Andi Scheuer nur noch spielen? Haben die Schulträger wirklich keine Ahnung von Künstlicher Intelligenz? Warum hat die Gesamtschule Münster-Mitte den digitalen Sonderpreis des Schulpreises gewonnen? Was bringt es eigentlich, in einer kaufmännischen Schule eine Medienwerkstatt einzurichten? Fragen, auf die wir in diesem Briefing – hoffentlich – Antworten für Sie haben. Viel Spaß!
Die Aufregung vergangene Woche war groß, als die Berliner Sicherheitsforscherin Lilith Wittmann eine Lücke im neuen bayerischen Videokonferenz-System “Visavid” entdeckte. Zurecht, denn wenn Eindringlinge digitale Klassenräume kapern, drohen vielerlei Gefahren – vom Stören des Unterrichts, dem sogenannten Zoom-Bombing, bis hin zum Groomen von Schülerinnen und Schülern durch Pädokriminelle. Allerdings wies Visavid ein Leck auf, das nicht für jedermann zu entdecken war. Ganz anders als bei einem vergleichbaren Fall in Nordrhein-Westfalen im Februar – da war die Lücke groß wie ein Scheunentor.
Die bayerische Sicherheitslücke ist nach Angaben des Kultusministeriums inzwischen wieder geschlossen. Der Fall ist auch deswegen so brisant, weil Visavid der Ersatz für das weithin verbreitete System “MS Teams” von Microsoft ist, das von Millionen Nutzern in Anspruch genommen wird, im April 2021 waren es 125 Millionen. Visavid erreicht inzwischen 2.800 Schulen in Bayern. Der dortige Landesdatenschutzbeauftragte Thomas Petri hatte gegen die andauernde Nutzung der Videolösung von Microsoft opponiert, weil die Schülerdaten dort auf Ersuchen an die US-Sicherheitsbehörden abgegeben werden müssen und die Lösung damit gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs verstößt.
Ein Schlupfloch zu finden und in Videokonferenzen mit Schülern einzudringen, war bei Visavid nicht ganz einfach. “Natürlich muss man für so etwas ein wenig scripten können”, sagte Wittmann, das bedeutet, man braucht Programmierkenntnisse. Für normale Nutzer von Visavid sei die Sicherheitslücke zu keinem Zeitpunkt auffindbar oder ausnutzbar gewesen, teilten das bayerische Kultusministerium und der Bereitsteller der Software mit, die bayerische Firma “Auctores“. “Bei der potenziellen Sicherheitslücke war es versierten Angreifern mit entsprechender krimineller Energie möglich, einen Raum trotz aktivierten Warteraums ohne Freigabe durch Moderatoren zu betreten”, schrieb Auctores. Die Pressestelle von Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) machte daraus einen Hackerangriff – und erntete dafür Hohn und Spott. Auf Anfrage von Bildung.Table korrigierte sich nun Piazolos Pressestelle, es habe sich nicht um einen Hackerangriff gehandelt. Man unterstelle Wittmann auch keine kriminelle Energie.
Die Security-Influencerin Wittmann, die ihr Wissen mit Bayerns Behörden und der Betreiberfirma frühzeitig teilte, beklagte in ihrem Blogpost “die bayerische Arroganz, in der das Kultusministerium davon ausgeht, das [sic] ein [sic] kleine Agentur eine sinnvolle Alternative zu den großen Anbietern und Open Source Projekten bieten kann.” Damit liegt sie allerdings falsch. Auctores ist ein Mittelständler mit 50 Beschäftigten, davon 30 im Bereich Software. Auctores hat Branchenverbände für Steuerberater – als offizieller Datev-Schnittstellen-Partner – und Immobilienverwalter genauso als Kunden wie den maßgeblichen Verband der Biobranche sowie große Versicherungsunternehmen. Auch wurde die Visavid-Software nicht erst seit April entwickelt, als der Auftrag des bayerischen Kultusministeriums bekannt wurde, sondern läuft bereits seit Mai vergangenen Jahres im Testbetrieb bei Privatschulen in Wiesbaden mit über 2.000 Schülern. “Wir haben diese Sicherheitslücke sehr ernst genommen“, sagte Auctores-Geschäftsführer Karl Weigl zu Bildung.Table. “Mir ist wichtig zu betonen: Ein Nutzer konnte mit dem Link nicht ohne weiteres in den Video-Klassenraum vordringen. Dazu war Expertenwissen nötig.”
Wie leicht eine Videosoftware zu knacken ist, konnte man an einem ähnlichen Fall in Nordrhein-Westfalen Anfang des Jahres beobachten. Für ungebetene Besucher war die Streamfunktion von “Logineo NRW Messenger” viel leichter zu manipulieren – es reichte allein der Zugangslink. Eindringlinge standen mit diesem Link, den es auf Tauschbörsen etwa bei Discord gibt, sofort im digitalen Klassenzimmer. Den Eindringlingen war es dann möglich, den Bildschirm zu teilen und den Schülern alles zu zeigen, was sie auf ihrem Rechner haben: TikTok-Videos, Pornos – oder auch Gewaltdarstellungen. In Bayerns Visavid musste wohl für jeden dieser Schritte die Software umprogrammiert werden. Mit anderen Worten: in NRW stand man mit Link sofort im Videoklassenzimmer, in Bayern musste man dafür tatsächlich Hackerwissen aufbringen.
Auch in Nordrhein-Westfalen ist die Lücke inzwischen geschlossen. Es wurde – wie bei Visavid vorhanden – ein Warteraum und ein Identifizierungscode eingerichtet. Allerdings dauerte es in NRW mehrere Wochen, bis Hinweise von testenden Lehrern und Medienberatern auf die Lücke beachtet wurden. Und noch ein Unterschied besteht. Im Dezember und Januar, als die Lücke bei “Logineo NRW Messenger” auftrat, herrschte Videokonferenz im Dauerbetrieb. Im Moment gibt es so gut wie keine Videokonferenzen an Schulen, weil die Schüler in den Präsenzbetrieb zurückgekehrt sind – auch in Bayern.
Dass das Eindringen in Videokonferenzen durch Piraten oder Pädokriminelle eine gefährliche Lücke darstellt, ist keine Frage. Der Lehrer, der die Hintertür im “Logineo NRW Messenger” aufdeckte, beschrieb sie so: beendete der Lehrer die Videokonferenz, dann blieb der Link noch eine Weile funktionsfähig. Das heißt, mögliche Eindringlinge wären mit verweilenden Schülern allein im Schulchat. Ein ungebetener Gast kann also mit den Kindern ungestört kommunizieren oder sich – wie 2020 und 2021 mehrfach in schulischen Videokonferenzen geschehen – zum Beispiel ausziehen. Man stelle sich die Situation nackter Mann im Klassenzimmer einmal nicht digital, sondern analog vor. Was würden Eltern, Schulleiter und auch das Ministerium tun, wenn immer wieder Fremde in der Schule aufkreuzten, um sich auszuziehen oder mit 10-Jährigen allein im Klassenzimmer wären? Der Missstand würde sofort behoben. In Bayern ist das geschehen. In NRW hatte man das Problem im Februar einige Zeit auf die “unautorisierte Weitergabe von Zugangslinks” durch Schüler geschoben.
NRWs Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) sagte damals dem Kölner Express: “Schulstreiche gibt es, solange es Schulen gibt”. Das zeigt, dass sie die Dimension des Risikos nicht verstanden hat. Links zu Videokonferenzen werden bundesweit über soziale Netzwerke geteilt, etwa auf Discord, einem Chatportal von Gamern, wo zeitweise ein eigener Kanal dafür bestand. Dort können sich Fremde Links und teilweise sogar Nutzernamen kopieren – und damit in digitale Videostunden an Schulen eindringen. Auf der Plattform TikTok wird für diesen Discord-Kanal geworben. Das bedeutet, es gibt eine regelrechte Börse für Zugangslinks von Videokonferenzen. “So wie die digitale Schule teilweise konstruiert ist, lädt sie Täter und Täterinnen geradezu ein, Schüler zu missbrauchen“, sagte Julia von Weiler, Spezialistin der Kinderschutzeinrichtung Innocence in Danger. “Sie gelangen unbemerkt ins virtuelle Klassenzimmer, können Kontakt mit Kindern aufnehmen und sie im Anschluss direkt missbrauchen – digital im Livestream oder analog.”
Die Schüler, die Links weitergeben, sind sich der Risiken gar nicht bewusst, in die sie ihre Klassenkameraden bringen. “Es werden aktiv Links versendet und niemand problematisiert das Thema”, sagt “Professor Varox“, ein 16-jähriger Schüler, der Moderator auf Discord ist (Name ist der Redaktion bekannt). “Die Schüler, mit denen ich gesprochen habe, sehen nicht ein, dass das Teilen von Links problematisch und sehr unangemessen ist.” Eine Analyse der Link-Börse nach Nutzern zeigt: Es gibt die “Fame Fraktion“, das sind Jugendliche, die mehrere Konferenzen stürmen – um Show zu machen. Es findet sich aber auch eine Fraktion, die definitiv keine Schüler mehr sind: “Männlich, weiß, über 30“, sagte ein Datenanalyst zu Bildung.Table.
Hausaufgaben führen in Chinas Familien regelmäßig zu Zwist und Tränen. Kinder und Eltern leiden gleichermaßen unter der hohen Belastung. Neben der Zeit für ihre Berufe müssen Mütter und Väter nicht selten noch drei, manchmal vier Stunden am Tag dafür aufbringen, ihre Kinder bei den Hausaufgaben zu betreuen. Die Entwickler der “Lampe der großen Kraft” hatten genau diese Familien aus der Mittelschicht vor Augen. Die Smart Lamp ähnelt einer Schreibtischlampe, dient mit einem eingebauten Bildschirm in Smartphone-Größe sowie zwei integrierten Kameras aber vornehmlich der Überwachung.
Eltern können mithilfe der Kameras über riesige Entfernungen ihren Nachwuchs beim Lernen beobachten. Die Smart Lamp, so verspricht es die Werbung, verbessere das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern: Familienfrieden für nur 799 Yuan, rund 100 Euro. Für 40 Euro mehr gibt es eine speziell auf die Dali-Lampe ausgerichtete App des Herstellers “Bytedance” mit Warnfunktion. Sie sendet den Eltern Nachrichten und sogar Fotos, wenn deren Kinder nicht mehr aufmerksam sind, krumm sitzen oder gar nichts tun, statt zu lernen.
Das Produkt ist seit Herbst vergangenen Jahres erhältlich. Binnen der ersten vier Monate verzeichnete Bytedance 10.000 Bestellungen. Im Frühjahr hatte der Internetgigant “Tencent“ angekündigt, eine ähnliche KI-betriebene Hausaufgabenlampe einführen zu wollen, die die gleichen Funktionen wie das Produkt von Bytedance anbietet. Noch sind die Lampen jedoch unprofitabel. Chen Lin, Chef der neu gegründeten Bildungstechnologie-Sparte von Bytedance, geht davon aus, dass es drei Jahre dauern wird, bis der Bereich schwarze Zahlen schreibt. Das hinderte ihn nicht daran, mehr Mitarbeiter einzustellen. Von den 100.000 Angestellten bei Bytedance arbeiten 10.000 bereits in der Bildungsabteilung, und die Zahl der Mitarbeiter soll noch in diesem Jahr wachsen.
Die Ausgaben vieler Familien für Zusatzkosten rund um die Bildung des eigenen Kindes belaufen sich schnell auf mehrere Hundert Euro monatlich. Diese Zahlungsbereitschaft weckt Begehrlichkeiten bei den Technologie-Unternehmen. Durch die Corona-Pandemie hat sich der Wettbewerb für Dienste im Bildungstechnologiesektor noch einmal verschärft. Im Jahr 2020 hat der Online-Bildungsmarkt in China die 40-Milliarden-Dollar-Marke überschritten und soll bis 2026 auf einen Wert von 100 Milliarden US-Dollar steigen. Bytedance will Richtung und Geschwindigkeit des Wachstums mitbestimmen. Erst im vergangenen Juli hatte Chen Lin angekündigt, das Unternehmen werde einen “riesigen Betrag” in neue Bildungstechnologien investieren.
Bislang verdient der 2016 gegründete Technologiekonzern vor allem durch seine virale Kurzvideoplattform Douyin (das chinesische Pendant zu Tiktok) und die Nachrichten- und Informationsplattform Jinri Toutiao (Schlagzeilen des Tages) das meiste Geld. Der Vorstoß in den Technologiebildungsmarkt (Education-Tech) soll die nächste sprudelnde Einnahmequelle generieren. Die Dali Lampe soll einen großen Schritt in diese Richtung markieren. Schon länger entwickelt das Unternehmen Applikationen fürs E-Learning, die nun bei der Lampe zum Einsatz kommen. Sie helfen bei vergessenen englischen Vokabeln auf die Sprünge, oder sie zitieren klassische chinesische Gedichte, die im Chinesischunterricht immer wieder gern abgefragt werden.
Kunden locken soll allerdings nicht nur die Überwachungsfunktion des Produkts. Die “Lampe der großen Kraft” soll den Familien auch Zeit sparen. Gerade beim Nachhilfeunterricht, der während der Pandemie häufig online stattgefunden hat. Bytedance bietet dafür eigene Apps an, über die Mathematik- oder Englischnachhilfe gebucht werden kann. Zusätzlich bietet Bytedance eine digitale Hausaufgaben-Betreuung zur Entlastung viel beschäftigter Eltern, die die Kosten dafür nicht scheuen.
Die Dali-Lampe setzt auf das schlechte Gewissen der Eltern, ihren Kindern nicht beim Lernen unterstützend zur Seite stehen zu können. Das hat nicht nur Folgen für die Eltern-Kind-Beziehung, die in Chinas Leistungsgesellschaft nicht besonders herzlich oder einfühlsam ist. Sie ist auch gravierend für die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder. Sie lernen mit dem Gerät, dass sie nicht mehr eigenständig Probleme bewältigen müssen. Dabei hat das Bildungsministerium längst erkannt, dass künftige Generationen die Kompetenz zum Problemlösen erwerben müssen, statt stur auswendig zu lernen. Die Fähigkeit, eigene Ideen entwickeln zu können, ist elementar wichtig für Chinas Ziel der Technologieführerschaft.
Der Einzug der Smart Lamp in die Kinderzimmer der Nation bringt Datenschutz- und Sicherheitsprobleme mit sich. Im März häuften sich negative Bewertungen in sozialen Medien. Ein Nutzer sagte, die App erlaube Kindern, Videos von sich selbst im Internet zu posten. Ein anderer Nutzer bemängelte, dass Nutzerprofile und Videos anderer Kinder einsehbar seien, und die App Vorschläge bereitet, sich mit anderen Nutzern zu verbinden. Bytedance verteidigte die Praxis. Jedes Hochladen eines Videos erfordere die Zustimmung der Eltern. Und ohne deren Autorisierung könne auch niemand Drittes Livebilder der Kinder sehen.
Dalis Einzug in die Kinderzimmer birgt ähnliche Gefahren wie der Einsatz von Sprachassistenten wie Alexa. Das Gesetz bietet trotz bestehender Regulierungen in der Praxis kaum Schutz. Bereits seit 2019 gilt, dass die Datenerfassung von Kindern unter 14 Jahren einzuschränken sei. Wie so oft sind die Interpretationsspielräume aber so groß, dass Bytedance etwa bei der Produktbeschreibung gar nicht erst auf die Gefahren für Privatsphäre oder gar Details der Datenerfassung zu sprechen kommt.
Pädagogen warnen davor, Kindern der Zielgruppe zwischen vier und zwölf Jahren ein Touchscreen-Gerät mit Internetzugang vorzulegen, der sie regelrecht dazu verleitet, bei schwierigen Aufgaben die Antworten über die angebotenen Apps zu suchen. Britische und schwedische Forscher fanden heraus, dass “Vielnutzer” von Touchscreen-Geräten leichter ablenkbar waren.
Diese Analyse erschien auch im China.Table Professional Briefing.
Frau Fleischmann, Bayern will 100.000 Luftreiniger für die Schulen anschaffen. Haben sich damit ihre Forderungen nach einer guten Vorbereitung des neuen Schuljahres erledigt?
Das ist eine richtige und gute Entscheidung. Nur sollten wir nicht vergessen, dass sie im Grunde ein Jahr zu spät kommt. Schüler:innen und Lehrkräfte mussten das Schuljahr 20/21 unter schwierigsten Bedingungen bewältigen. Aber gut, besser die Luft spät professionell filtern als gar nicht. Der Freistaat hat seine Hausaufgaben aber damit noch nicht geschafft.
Was erwarten Sie vom Kultusministerium?
Einen klaren Fahrplan für das neue Schuljahr: ein bildungspolitisches Logbuch. Das bedeutet, weiter zu blicken als nur auf die Sommerferien. Schulen und Lehrer:innen brauchen Planbarkeit, Verlässlichkeit, um Schule professionell machen zu können.
Wie soll das gehen, wenn die Pandemie alles unwägbar macht?
Wen, bitte, soll die Pandemie noch überraschen? Nach Corona ist vor Corona. Das fällt doch nicht mehr vom Himmel. Wir haben diesen Höllenritt jetzt dreimal durchgemacht. Ein viertes Mal möchten wir Lehrkräfte das nicht erleben. Genau deswegen erwarte ich, dass wir ein Logbuch bekommen. Vom Minister. Jeder in der Schule kennt die möglichen Szenarien – aber den Rahmen muss der Kapitän auf der Brücke gestalten, sonst hat er da nichts verloren. Und zwar so, dass die Schulleiter:innen vor Ort die Variante ziehen können, die am sichersten und pädagogischsten ist. Rundmails, die am Freitagnachmittag alles umwerfen, das darf es nicht mehr geben. Keine Überraschungen mehr!
Ist das wirklich möglich in einer Zeit, in der binnen weniger Wochen Inzidenzen hochschießen können?
Bei Corona ist die Inzidenz unvorhersehbar. Beim Dienstherrn Bayern ist fast alles unberechenbar: rhetorische Tricks, Schönfärberei und Verschleierung, z.B. bei der Lehrerversorgung. Das Schiff schlingert, Piazolo ist kein Kapitän, der uns in einen sicheren Hafen bringt. Deswegen fordern wir Verlässlichkeit: bei der Lehrerversorgung, beim Digitalunterricht, beim Impfen für Lehrer.
Sie sind die Standesvertreterin der Lehrer. Was brauchen die Lehrerinnen und Lehrer jetzt?
Ihre Ruhe. Die Lehrer sind erschöpft. Unsere Kolleginnen und Kollegen haben sich die Haxn ausgerissen, um den vielfältigen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden. Das hat viel Kraft gekostet. Viele pfeifen aus dem letzten Loch. Das bedeutet, wer die Lehrer:innen jetzt optimal vorbereiten will, der muss sie nicht während der Ferien in Fortbildungen schicken, sondern der muss dafür sorgen, dass sie sich jetzt erholen können. Zudem brauchen die Lehrkräfte Anerkennung, Unterstützung und professionelle Ansprechpartner.
Wie drückt sich diese Erschöpfung aus?
Zum Beispiel so, dass Lehrer:innen sich an ihren BLLV mit einer vermeintlich pädagogischen Frage wenden. Und unsere Psychologin der BLLV-Akademie dann merkt, dass es da eigentlich um was ganz anderes geht: die Lehrkräfte fühlen sich ausgelaugt und überfordert. Die psychischen Belastungen in diesem Beruf sind enorm gestiegen – vor allem auch für die Schulleiterinnen und Schulleiter!
Wegen Corona?
Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte – nur dass es kein Tropfen, sondern ein Platzregen war. Der auf das fiel, was uns eh schon belastet: teils überspannte Erwartungen an Schule, dramatisch veränderte Sozialisation der Kinder, unzureichende Arbeitsbedingungen. Das bringt die Lehrkräfte an den Rand des Machbaren – und dann noch Corona. Viele Lehrerinnen und Lehrer fühlen sich dem nicht mehr gewachsen. Aber sie trauen sich oft nicht, ihre Nöte auszusprechen. Sie können nicht offen sagen: Hilf mir. Im Laufe dieses professionellen Beratungsgesprächs können wir den Kolleginnen und Kollegen immer helfen, weil wir uns Zeit für sie nehmen.
Was tun Sie, Frau Präsidentin, um ihren Kolleginnen zu helfen?
Wir haben ein umfassendes Beratungs- und Fortbildungsangebot in der BLLV-Akademie. Das geht von Fortbildungen zu bestimmten pädagogischen Themen bis hin zu Beratungsgesprächen und Supervision. Unsere Beratungsgespräche laufen wie geschnitten Brot.
Aber haben nicht viele Lehrer zum Beispiel in Bezug auf digitales Lernen erheblichen Beratungsbedarf? Alle Studien zeigen, dass es Lehrer gibt, die sich kreativ auf hybriden Unterrichts eingestellt haben. Andere sind damit aber nicht gut zurechtgekommen.
Ja, das ist so. Aber ich finde es wirklich falsch und fast zynisch, den Lehrkräften die Schuld zuzuschieben und den Dienstherrn freizusprechen, der in der Lehrerbildung und bei der Fortbildung seines Personals Jahre lang auf diesem Gebiet geschlafen hat.
Bayern scheint im Vergleich zur Fortbildung zu anderen Bundesländer relativ weit vorne zu sein.
Das mag sein, aber es ändert nichts an der Situation, dass wir Lehrerinnen und Lehrer haben, die in einer angespannten Personallage plötzlich mit einer Pandemie zu tun hatten, die sie quasi im Alleingang stemmen sollten. Sollen wir die Lehrer:innen dafür bestrafen, dass die Landesregierung über viele Jahre ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat? Wir haben Lehrerkräfte, die ausgepumpt und überfordert sind, die das Gefühl haben, ihren Schülern noch weniger gerecht werden zu können, als das ohnehin oft der Fall war. Deswegen möchte ich, dass die Lehrer, die in Not sind, jetzt aktiv professionelle Hilfsangebote bekommen. Die Politik kommt am Thema Gesundheit für Lehrer:innen nicht vorbei. Das ist existenziell! Die Kolleg:innen erwarten, dass man ihnen zuhört und sie wertschätzt.
Frau Fleischmann, wieso hilft da ein Logbuch?
Politik und auch manche Eltern erwarten, dass die Lehrkräfte sich jetzt bienenfleißig auf das neue Schuljahr vorbereiten. Was ich will ist, dass der Staat endlich seinen Verpflichtungen nachkommt. Herr Piazolo darf nicht sofort wieder in den Krisenmodus fallen, wenn die Delta-Variante die Inzidenzen hochtreibt. Schulorganisatorisch waren die letzten 16 Monate eine mittlere Katastrophe. Die Pandemie wurde, was Schulen betrifft, auf dem Rücken der Schüler, Lehrer und Eltern ausgetragen. Ich verlange von diesem Land, das so viel auf seine Bildung gibt, dass es diesmal professionell vorbereitet ist. Wir sind in Bayern. Bisher gab es nicht mal einen Plan A, wir wollen aber, dass es einen Plan A, B, C, D, E gibt. Und ich sage Ihnen voraus, dass die Schulleiter:innen und Lehrer:innen, wenn sie diese Ruhe und Hilfe bekommen, dann positiv in die Zukunft schauen und alles für ihre Schüler:innen reißen.
Die Schulträger sind keine KI-Muffel und sie kennen sich sogar relativ gut aus mit Künstlicher Intelligenz. An der Einführung von Künstlicher Intelligenz beim Lernen hindere sie aber fast alles: Es fehle am Fachwissen der Fachleute und Lehrer, es gebe keine (sicheren) Datenspeicher und auch die Infrastruktur der Schulen sei nicht gut genug. So sieht es jedenfalls aus, wenn man einer Studie der “Rednet AG” glauben will, die zusammen mit “Intel” gemacht wurde. Eine der überraschendsten Erkenntnisse der Studie ist, dass die Angst vor ethischen Bedenken und vor kritischen Eltern unbegründet sein könnten. Nur 15 Prozent der befragten 100 Schulträger gaben an, dass ethische Gründe sie an der Einführung von KI hinderten. Ganze 12 Prozent führten die Ablehnung durch die Eltern ins Feld. Das sind die Plätze elf und zwölf in einer 14 Punkte langen Liste. Rednet nennt sich IT-Partner von Schulen, die Studie erhob die hauseigene Marktforschung.
Die Studie wurde im Februar 2021 abgeschlossen, aber erst gestern veröffentlicht. Die vertiefte Auswertung zeigt nun, dass sieben von zehn Schulträgern Künstliche Intelligenz bereits anwenden. Dabei handelt sich allerdings in den meisten Fällen um intelligentes Gebäude-Management oder um Übersetzungsprogramme. Immerhin ein Drittel der Schulträger benutzt bereits Künstliche Intelligenz, um den Lernstand von Schülern zu erheben. 14 Prozent sagen, sie hätten Systeme im Einsatz, die Lehrern helfen, den Lernstoff passgenau an die Schüler zu bringen. Spitzenreiter bei der KI-Nutzung sind Gymnasien (61 Prozent), andere weiterführende Schulen und berufliche Schulen (je 57 Prozent).
Das Infrastruktur-Argument scheint indes eher in den Köpfen der Schulträger zu herrschen. Folgt man dem KI-Barometer, waren im Februar dieses Jahres 95 Prozent der Schulen mit starkem Internetzugang, 92 Prozent mit ausreichend Endgeräten ausgestattet und vier von fünf Schulen hatten genug Serverleistung, Storage und WLAN. Die Schulträger kannten sich offenbar auch ganz gut aus. Die Marktforscher von Rednet sprechen von einem soliden Grundwissen. “Eine zweifelsfreie Sicherheit im Hinblick auf die Bedeutung und Zuordnung von darüber hinausgehenden Fachbegriffen ist dagegen kaum gegeben“, heißt es in dem 32 Seiten langen Papier.
Interessante Unterschiede zeigen sich in der Beurteilung von Künstlicher Intelligenz zwischen Anwender-Kommunen und Nicht-Anwendern. 90 Prozent der Anwender geben an, “die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass wir dringend mehr in die IT-Ausstattung und in Künstliche Intelligenz investieren müssen.” Bei den Schulträgern ohne KI meinen das nur sieben von zehn Befragten. 48 Prozent der Anwender meinen, “wegen der Pandemie konnten wir uns um das Thema Künstliche Intelligenz an Schulen nicht so kümmern, wie wir uns das vorgenommen hatten”. Bei den KI-Muffeln sind es nur 23 Prozent, die das denken. Nur für ein Drittel der Schulträger hat die Anschaffung von KI hohe Priorität. Zwei Drittel geben an, vor einer flächendeckenden Einführung “sollte ihr Einsatz von Bildungsforschern im Rahmen von Pilotprojekten evaluiert werden.” cif
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung bezuschusst das Hochschulforum Digitalisierung mit 15 Millionen Euro – und verlängert damit seine Förderung für das Projekt bis 2025. Seit beinahe zehn Jahren informiert, berät und vernetzt das Hochschulforum Lehrende, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Support-Einrichtungen, Hochschulleitungen und Studierende. Allerdings stehen hinter dem Forum unter anderem der “Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft” und – indirekt über das “Centrum für Hochschulentwicklung” – die “Bertelsmann-Stiftung“. Der Stifterverband ist gar eine “Gemeinschaftsinitiative von Unternehmen und Stiftungen“, darunter viele große Unternehmen. Der Stifterverband förderte Bildung und Wissenschaft im Jahr 2020 selbst mit 17,2 Millionen in Euro – und bekommt nun allein 15 Millionen vom Bund für seine Hochschulideen.
Auch die schulische Schwester, das Forum Bildung Digitalisierung, bekommt Bundesgeld: 440.230 Euro. Die Mittel sind dazu da, damit das von Bildungsministerin Anja Karliczek ausgerufene “Netzwerk Bildung Digital” organisiert werden kann. Da das Netzwerk selbst keine Leute hat, macht das jetzt der Verein “Forum Bildung Digitalisierung“. Das Forum wiederum besteht aus neun Stiftungen, darunter die Großen der Szene, Bertelsmann, Mercator, Bosch und der Telekom-Stiftung. Ziel der Zusammenarbeit ist, eine bundesweite interdisziplinäre Vernetzung im Bildungssektor herzustellen. Das sollen das Forum Bildung und das Netzwerk Bildung Digital schaffen (Bildung.Table berichtete). Im Bundes-Ministerium zeigt man sich zuversichtlich über die Zusammenarbeit mit dem Forum. Man strebe einen “engen Schulterschluss von Bund, Ländern, Wissenschaft, Stiftungen, Verbänden und digitaler Bildungs-Community an”, um Bildung in der “digitalen Welt” gesamtgesellschaftlich anzugehen, sagte eine Ministeriumssprecherin Bildung.Table auf Anfrage. Enno Eidens
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat eine “Strategie für den Games-Standort-Deutschland” vorgestellt. Enthalten sind wirtschaftliche und kulturelle Ziele für die deutsche Videospiel-Branche, auch Hochschulen und der Einsatz von Spielen im Bildungsbereich werden thematisiert. Das BMVI will so den Spielestandort Deutschland finanziell und strukturell fördern sowie Spiele als Kunst und Kulturgut verstärkt in die Gesellschaft integrieren. Auch Bildung findet im Strategiepapier statt. Bundesminister Andreas Scheuer betont, dass Computerspiele beim Lernen helfen. “Games helfen uns, neue Fähigkeiten auf spielerische Art in unser Leben zu integrieren, ob in der Schule, im Beruf oder im Alter”, schreibt auch Digital-Staatsministerin Dorothee Bär in einem Grußwort.
Serious Games – Spiele die Information und Bildung vermitteln, aber auch unterhalten – sind laut Strategie “im besonderen Maße zum Einsatz in der Bildung geeignet”. Das Papier betont, dass dies auch ohne konkrete Bildungsabsicht möglich sei, da Serious Games “Inhalte, Techniken und Systematiken” vermitteln. Solche Spiele könnten laut Ministerium auch im Bereich der Erwachsenen- und Jugendbildung sowie in der physischen Rehabilitation eingesetzt werden. Im Kontext der schulischen Bildung fordert das BMVI “das pädagogische Potenzial von Computerspielen zu heben” und sagt, dass Spiele auch außerhalb des Unterrichts Inhalte vermitteln und als “Bildungsinstanz für digitale Medienkompetenz verstanden werden” können.
Die Games-Strategie sieht im Bereich der Hochschulen vor “vorhandene Ausbildungs- und Studienangebote stärker auf Games auszurichten” zudem soll die Zusammenarbeit von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Wirtschaft verbessert und finanziell gefördert werden. Für die Arbeitswelt wird die Gamifizierung monotoner Aufgaben vorgeschlagen, um die Motivation der Mitarbeiter:innen zu stärken. Konkrete Pläne für eine Umsetzung formuliert das Strategiepapier nicht (Bildung.Table berichtete). Das Ministerium möchte den “im Rahmen dieser Strategie begonnenen Dialog” mit der Games-Branche, Bundesressorts und den Ländern fortsetzen, um konkrete Maßnahmen zu entwickeln. Enno Eidens
Transparenzhinweis: Der Autor war bis 2020 Freier Mitarbeiter beim Deutschen Computerspielpreis, der vom BMVI finanziell gefördert wird.
Es gibt sie noch, die alten Lehrerpulte. In der Gesamtschule Münster-Mitte dienen sie allerdings nur noch als Ablage für Computer oder Arbeitsblätter. In jedem Klassenraum ersetzen nun runde weiße Lehrertische den klobigen schweren Lehrerpult. Auf den Stehtischen liegen keine Klassenbücher mit Vermerken über ungenehmes Schülerverhalten, sondern eine tellergroße goldene Klangschale. Der wabernde Gong dient dazu, wieder Ruhe in die Klasse zu bringen. Doch die Schale hat noch einen anderen Effekt: “Wenn ich an der Klangschale klingele, weiß jeder Schüler: Jetzt gibt es eine Ansage!” Sie ist Teil des einheitlichen “Classroom Managements”, das mit allen Kolleginnen und Kollegen abgesprochen ist. “Es klingt trivial”, sagt Kathi Kösters, die Leiterin der Schule, “aber alle unserer hundert Lehrer nutzen diese Klangschale. Und alle unsere Schüler wissen, was der Gong bedeutet.” Ruhe, bitte!
Klare Regeln und ein Konzept freien Lernens – so geht Schule an der Münsteraner Gesamtschule. 2012 gestartet, wurde hier Schule anders gedacht. Kein: Du kannst kein Mathe, du bist schlecht in Sport. Du bist Hauptschüler, du Realschülerin! “Als wir die Schule gegründet haben, wussten wir, dass wir eine sehr heterogene Schülerschaft haben werden”, erzählt Kösters, die die Schule von Beginn als Chefin geprägt hat. Heterogen heißt in Münster: von der Gymnasialempfehlung über Real- oder Hauptschulempfehlung bis hin zu Kindern mit Förderbedarf lernen hier. Solch einer Mischung könne man nicht den gleichen Unterricht vorsetzen, sagt Kösters, “da überfordert man die einen und unterfordert die anderen.”
Wie funktioniert also der auf jedes Kind individuell zugeschnittene Unterricht? Jede Klasse beginnt die Woche gemeinsam mit den beiden Klassenlehrerinnen und bespricht gemeinsam, was in der Woche erreicht werden soll. Unter Corona-Bedingungen zum Beispiel, die Lüftungszeiten einzuhalten, aber auch Lernziele für die einzelnen Fächer zu bestimmen. In der Woche wechseln sich dann Lernbürostunden mit Fachstunden ab. Wo es in anderen Schulen vier Mathe- oder Deutschstunden pro Woche gibt, sind es an der Gesamtschule Münster-Mitte nur zwei. Die anderen beiden Stunden heißen dann Lernbürostunden. Hier bestimmen die Schülerinnen und Schüler Lerntempo und -inhalt selbst.
Die Schulleiterin unterrichtet Mathe. Wenn sie in der Fachstunde Bruchrechnen einführt, üben ihre Schüler:innen im Lernbüro diese Grundrechenart und zwar in drei verschiedenen Stufen: leicht, mittel und schwer. Gleichzeitig dürfen die Jugendlichen in diesen Stunden auch Aufgaben aus anderen Fächern bearbeiten, das Englisch-Referat fertigstellen oder lateinische Vokabeln pauken. Kösters und ihre Kollegen sind in diesen Stunden keine Lehrer mehr, sondern Lernbegleiter. Das bedeutet, sie beraten die Schüler bei ihrem selbstständigen Lernen, sie unterstützen und orientieren sie. Komplett frei dürfen die Schüler allerdings nicht wählen. “Wenn ich merke, dass eine Schülerin nach dem Montag und Dienstag am nächsten Tag schon wieder Mathe machen will, dann muss sie mir einen guten Grund liefern, warum.”
Diese Art des Stundenplans soll die Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule in etwas schulen, was auf dem Arbeitsmarkt in Zukunft immer relevanter wird: sich selbst zu organisieren. “Die Jugendlichen sollen befähigt werden, selbst einzuschätzen, auf welchem Niveau sie Aufgaben lösen können“, sagt die Schulleiterin. Grundlagen müssen alle können, nur wie fortgeschritten sie sich mit beispielsweise Hochrechnung beschäftigen wollen, bleibt den Kindern, je nach Können und Vorlieben, selbst überlassen.
Diese Lernidee und die Kernelemente des Lernens an der Münsteraner Gesamtschule – Lernbüro, Logbuch und Lernpläne – erleichterten den Umstieg vom Präsenz- in den digitalen Distanzunterricht. Und auch die digitale Grundausstattung war da: Die Schule arbeitet seit sechs Jahren mit dem Lernmanagementsystem IServ und rüstet alle Schüler:innen der Oberstufe mit Tablets aus. Im Moment der Schulschließungen entschied sich die Schule, weiter nach Stundenplan zu lernen. Was an anderen Schulen nicht selten zu Überforderungen führte, weil sechs Stunden Frontalunterricht Schüler wie Lehrer belastete, erwies sich in Münster als nicht so problematisch. Denn die üblichen Lernbürostunden und Projektzeiten boten den Schülern viel Freiraum für individuelle Erarbeitung – den sie zu nutzen bereits gewohnt waren.
In der Oberstufe etwa bekamen die Schüler:innen im Lockdown noch viel mehr Zeit im Lernbüro – nur eben digital. In der Sekundarstufe I begann die Woche mit dem Klassenrat, der per Videokonferenz stattfand. Das diente der Wochenplanung, berichtet die didaktische Leiterin Ulli Thöne in einem Beitrag für die “Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule“, habe aber auch eine wichtige Funktion für die Beziehungsarbeit und den wertschätzenden Umgang miteinander gehabt. Vielen anderen Schulen fehlte das in der Pandemie. “Und das Logbuch zur Reflektion und Dokumentation hat einen festen Platz im Unterrichtsalltag – sowohl in der Präsenz wie auch in der Distanz”, so Thöne. In vielen Schulen führte der Umstieg auf digital gestütztes Lernen zu einer Entwicklung zu mehr selbstorganisiertem Lernen. In Münster half den Schüler:innen der Gesamtschule das Beherrschen freien Lernens, sich viel schneller im digitalen Klassenzimmer zurechtzufinden.
Das Zusammenspiel zwischen äußerer und innerer Leistungsdifferenzierung ist das einer normalen integrierten Gesamtschule. In der fünften und sechsten Klasse gehen noch alle Kinder in die gleichen Lerngruppen. Ab der siebten Klasse werden sie, je nach Fach, in zwei Gruppen eingeteilt: In den Erweiterungskurs (E-Kurs), der in etwa dem Unterricht an Gymnasien und Realschulen entspricht und in den Grundkurs (G-Kurs). “Die Schüler haben aber immer im Blick, was es für sie bedeuten würde, in den E- oder G-Kurs zu wechseln”, meint Kathi Kösters. Und die Kinder, die vielleicht in der siebten Klasse in Englisch nicht so stark waren, sich in der achten aber verbessern, können dann in den E-Kurs wechseln.
Das Verzahnen individuellen Lernens mit dem Vermitteln wichtiger Inhalte für alle soll dabei helfen, dass möglichst kein Schüler und keine Schülerin in Münster-Mitte abgehängt wird. Dafür wurde die Gesamtschule dieses Jahr mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet. Viel wichtiger als der Preis, sagt Kösters, sei für sie, dass dieses Jahr die ersten Abiturientinnen und Abiturienten die Schule abgeschlossen haben. Mit 75 Kindern ist dieser Jahrgang gestartet, 61 haben den Gymnasialabschluss geschafft, 21 davon haben das Zentralabitur mit einer 1 vor dem Komma abgeschlossen. “Wir müssen uns überhaupt nicht verstecken”, sagt Kösters. Ihr erster Abschlussjahrgang ist besser als die meisten Gymnasialabgänger in Nordrhein-Westfalen. Sofie Czilwik
Es ist ein offener Raum für Lehrer und Schüler, in dem vor allem Schüler – Achtung, jetzt kommt’s – digitale audiovisuelle Produkte mit und ohne Hardware entwerfen und herstellen. Pädagogisch gesprochen verändert die Medienwerkstatt das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden. Aus Schülern werden Macher. Konkret heißt das, dass die Lernenden den nächsten coolen Podcast, Filmclips, Erklär- und Trickfilme und vieles andere aufnehmen, schneiden und senden. In der Medienwerkstatt gibt es immer einen festen Ansprechpartner, das bin ich, die BuFDi, die Bundesfreiwilligendienstleistende. Versuche in der Schule mit einem mobilen Medienbüro zu arbeiten, haben sich nicht bewährt.
Der Medienwerkstatt ist eine einzige große technische Voraussetzung. Dort gibt es einen Green Screen, bei dem Licht, Träger und Halterungen fest installiert sind, damit man nicht jedes Mal Klemmen und so weiter suchen muss. Wir haben ein Tonstudio, Werkbänke und Makerspaces. Schülerinnen und Lehrer können für Exkursionen mobile Mediensets ausleihen, um Mobile Reporting zu probieren.
Ja, da wollen wir erst richtig loslegen. Wir haben gerade den ersten Durchlauf mit Medienprodukten erlebt, die Schüler aufgenommen haben. Etwa über den Wendepunkt in der Mathematik. Da konnte man sehen: Wer etwas für andere erklären muss, lernt gründlicher.
Eine Medienwerkstatt professionalisiert filmische Möglichkeiten, etwa um ein Greenscreen-Video aufzunehmen. Der pädagogisch-technische Kniff liegt in diesem Fall darin, dass sich die Schüler erst vor dem grünen Hintergrund aufnehmen – der dann mittels einer App durch einen neuen, beliebigen Hintergrund ersetzt werden kann. Sie können also ein Bewerbungsvideo vor einem Wolkenkratzer in New York drehen; ein historisches Ereignis vor dem passenden historischem Hintergrund erklären; oder den Wetterbericht auf Englisch vor einer Wetterkarte präsentieren.
Die Medienwerkstatt ist wahrscheinlich bald zu klein.
Katharina Köppe ist derzeit BuFDi an den Kaufmännischen Schulen Rheine. Sie war dort Schülerin und ist als BuFDi noch mal an die Schule zurückgekehrt, um mit dem Lehrer Tobias Raue die Medienwerkstatt mit aufzubauen. Mehr zur Medienwerkstatt gibt es hier.
die beiden Mädchen aus Telgte begannen sich in der Videokonferenz gerade zu unterhalten, da bemerkten sie: Wir sind nicht allein. Plötzlich war da ein Mann. Er hatte sich im Videochat der 10-Jährigen breit gemacht – und zwar nackt. So weit war es noch nicht, als sich im neuen bayerischen Videokonferenzsystem “Visavid” vergangene Woche eine Lücke auftat. Wie gefährlich war die unsichere Stelle wirklich? Bildung.Table nimmt den Fall unter die Lupe und vergleicht mit dem jüngsten Systemfehler in NRW.
In China beleuchtet eine Lernlampe die – nicht selten abendlichen – Lerneinheiten chinesischer Kinder. Allein, die “Lampe der großen Kraft” hat noch viel mehr Funktionen als Licht zu spenden. Sie schlägt Alarm, wenn den Kindern die Augen zufallen. Meine Kollegin vom Professional Briefing China.Table, Ning Wang, beschreibt den langen Schatten der “Dali Lamp” von TikTok-Erfinder Bytedance.
Bayerns Lehrerpräsidentin Simone Fleischmann tritt der Vorstellung entgegen, die Lehrer müssten auch in den Sommerferien bienenfleißig das neue Schuljahr vorbereiten. Sie möchte endlich jemand anderen arbeiten sehen: den Kapitän auf der Brücke der bayerischen Schule.
Warum bezahlt die Bundesregierung Millionen für Stiftungscluster digitaler Bildung? Will Andi Scheuer nur noch spielen? Haben die Schulträger wirklich keine Ahnung von Künstlicher Intelligenz? Warum hat die Gesamtschule Münster-Mitte den digitalen Sonderpreis des Schulpreises gewonnen? Was bringt es eigentlich, in einer kaufmännischen Schule eine Medienwerkstatt einzurichten? Fragen, auf die wir in diesem Briefing – hoffentlich – Antworten für Sie haben. Viel Spaß!
Die Aufregung vergangene Woche war groß, als die Berliner Sicherheitsforscherin Lilith Wittmann eine Lücke im neuen bayerischen Videokonferenz-System “Visavid” entdeckte. Zurecht, denn wenn Eindringlinge digitale Klassenräume kapern, drohen vielerlei Gefahren – vom Stören des Unterrichts, dem sogenannten Zoom-Bombing, bis hin zum Groomen von Schülerinnen und Schülern durch Pädokriminelle. Allerdings wies Visavid ein Leck auf, das nicht für jedermann zu entdecken war. Ganz anders als bei einem vergleichbaren Fall in Nordrhein-Westfalen im Februar – da war die Lücke groß wie ein Scheunentor.
Die bayerische Sicherheitslücke ist nach Angaben des Kultusministeriums inzwischen wieder geschlossen. Der Fall ist auch deswegen so brisant, weil Visavid der Ersatz für das weithin verbreitete System “MS Teams” von Microsoft ist, das von Millionen Nutzern in Anspruch genommen wird, im April 2021 waren es 125 Millionen. Visavid erreicht inzwischen 2.800 Schulen in Bayern. Der dortige Landesdatenschutzbeauftragte Thomas Petri hatte gegen die andauernde Nutzung der Videolösung von Microsoft opponiert, weil die Schülerdaten dort auf Ersuchen an die US-Sicherheitsbehörden abgegeben werden müssen und die Lösung damit gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs verstößt.
Ein Schlupfloch zu finden und in Videokonferenzen mit Schülern einzudringen, war bei Visavid nicht ganz einfach. “Natürlich muss man für so etwas ein wenig scripten können”, sagte Wittmann, das bedeutet, man braucht Programmierkenntnisse. Für normale Nutzer von Visavid sei die Sicherheitslücke zu keinem Zeitpunkt auffindbar oder ausnutzbar gewesen, teilten das bayerische Kultusministerium und der Bereitsteller der Software mit, die bayerische Firma “Auctores“. “Bei der potenziellen Sicherheitslücke war es versierten Angreifern mit entsprechender krimineller Energie möglich, einen Raum trotz aktivierten Warteraums ohne Freigabe durch Moderatoren zu betreten”, schrieb Auctores. Die Pressestelle von Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) machte daraus einen Hackerangriff – und erntete dafür Hohn und Spott. Auf Anfrage von Bildung.Table korrigierte sich nun Piazolos Pressestelle, es habe sich nicht um einen Hackerangriff gehandelt. Man unterstelle Wittmann auch keine kriminelle Energie.
Die Security-Influencerin Wittmann, die ihr Wissen mit Bayerns Behörden und der Betreiberfirma frühzeitig teilte, beklagte in ihrem Blogpost “die bayerische Arroganz, in der das Kultusministerium davon ausgeht, das [sic] ein [sic] kleine Agentur eine sinnvolle Alternative zu den großen Anbietern und Open Source Projekten bieten kann.” Damit liegt sie allerdings falsch. Auctores ist ein Mittelständler mit 50 Beschäftigten, davon 30 im Bereich Software. Auctores hat Branchenverbände für Steuerberater – als offizieller Datev-Schnittstellen-Partner – und Immobilienverwalter genauso als Kunden wie den maßgeblichen Verband der Biobranche sowie große Versicherungsunternehmen. Auch wurde die Visavid-Software nicht erst seit April entwickelt, als der Auftrag des bayerischen Kultusministeriums bekannt wurde, sondern läuft bereits seit Mai vergangenen Jahres im Testbetrieb bei Privatschulen in Wiesbaden mit über 2.000 Schülern. “Wir haben diese Sicherheitslücke sehr ernst genommen“, sagte Auctores-Geschäftsführer Karl Weigl zu Bildung.Table. “Mir ist wichtig zu betonen: Ein Nutzer konnte mit dem Link nicht ohne weiteres in den Video-Klassenraum vordringen. Dazu war Expertenwissen nötig.”
Wie leicht eine Videosoftware zu knacken ist, konnte man an einem ähnlichen Fall in Nordrhein-Westfalen Anfang des Jahres beobachten. Für ungebetene Besucher war die Streamfunktion von “Logineo NRW Messenger” viel leichter zu manipulieren – es reichte allein der Zugangslink. Eindringlinge standen mit diesem Link, den es auf Tauschbörsen etwa bei Discord gibt, sofort im digitalen Klassenzimmer. Den Eindringlingen war es dann möglich, den Bildschirm zu teilen und den Schülern alles zu zeigen, was sie auf ihrem Rechner haben: TikTok-Videos, Pornos – oder auch Gewaltdarstellungen. In Bayerns Visavid musste wohl für jeden dieser Schritte die Software umprogrammiert werden. Mit anderen Worten: in NRW stand man mit Link sofort im Videoklassenzimmer, in Bayern musste man dafür tatsächlich Hackerwissen aufbringen.
Auch in Nordrhein-Westfalen ist die Lücke inzwischen geschlossen. Es wurde – wie bei Visavid vorhanden – ein Warteraum und ein Identifizierungscode eingerichtet. Allerdings dauerte es in NRW mehrere Wochen, bis Hinweise von testenden Lehrern und Medienberatern auf die Lücke beachtet wurden. Und noch ein Unterschied besteht. Im Dezember und Januar, als die Lücke bei “Logineo NRW Messenger” auftrat, herrschte Videokonferenz im Dauerbetrieb. Im Moment gibt es so gut wie keine Videokonferenzen an Schulen, weil die Schüler in den Präsenzbetrieb zurückgekehrt sind – auch in Bayern.
Dass das Eindringen in Videokonferenzen durch Piraten oder Pädokriminelle eine gefährliche Lücke darstellt, ist keine Frage. Der Lehrer, der die Hintertür im “Logineo NRW Messenger” aufdeckte, beschrieb sie so: beendete der Lehrer die Videokonferenz, dann blieb der Link noch eine Weile funktionsfähig. Das heißt, mögliche Eindringlinge wären mit verweilenden Schülern allein im Schulchat. Ein ungebetener Gast kann also mit den Kindern ungestört kommunizieren oder sich – wie 2020 und 2021 mehrfach in schulischen Videokonferenzen geschehen – zum Beispiel ausziehen. Man stelle sich die Situation nackter Mann im Klassenzimmer einmal nicht digital, sondern analog vor. Was würden Eltern, Schulleiter und auch das Ministerium tun, wenn immer wieder Fremde in der Schule aufkreuzten, um sich auszuziehen oder mit 10-Jährigen allein im Klassenzimmer wären? Der Missstand würde sofort behoben. In Bayern ist das geschehen. In NRW hatte man das Problem im Februar einige Zeit auf die “unautorisierte Weitergabe von Zugangslinks” durch Schüler geschoben.
NRWs Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) sagte damals dem Kölner Express: “Schulstreiche gibt es, solange es Schulen gibt”. Das zeigt, dass sie die Dimension des Risikos nicht verstanden hat. Links zu Videokonferenzen werden bundesweit über soziale Netzwerke geteilt, etwa auf Discord, einem Chatportal von Gamern, wo zeitweise ein eigener Kanal dafür bestand. Dort können sich Fremde Links und teilweise sogar Nutzernamen kopieren – und damit in digitale Videostunden an Schulen eindringen. Auf der Plattform TikTok wird für diesen Discord-Kanal geworben. Das bedeutet, es gibt eine regelrechte Börse für Zugangslinks von Videokonferenzen. “So wie die digitale Schule teilweise konstruiert ist, lädt sie Täter und Täterinnen geradezu ein, Schüler zu missbrauchen“, sagte Julia von Weiler, Spezialistin der Kinderschutzeinrichtung Innocence in Danger. “Sie gelangen unbemerkt ins virtuelle Klassenzimmer, können Kontakt mit Kindern aufnehmen und sie im Anschluss direkt missbrauchen – digital im Livestream oder analog.”
Die Schüler, die Links weitergeben, sind sich der Risiken gar nicht bewusst, in die sie ihre Klassenkameraden bringen. “Es werden aktiv Links versendet und niemand problematisiert das Thema”, sagt “Professor Varox“, ein 16-jähriger Schüler, der Moderator auf Discord ist (Name ist der Redaktion bekannt). “Die Schüler, mit denen ich gesprochen habe, sehen nicht ein, dass das Teilen von Links problematisch und sehr unangemessen ist.” Eine Analyse der Link-Börse nach Nutzern zeigt: Es gibt die “Fame Fraktion“, das sind Jugendliche, die mehrere Konferenzen stürmen – um Show zu machen. Es findet sich aber auch eine Fraktion, die definitiv keine Schüler mehr sind: “Männlich, weiß, über 30“, sagte ein Datenanalyst zu Bildung.Table.
Hausaufgaben führen in Chinas Familien regelmäßig zu Zwist und Tränen. Kinder und Eltern leiden gleichermaßen unter der hohen Belastung. Neben der Zeit für ihre Berufe müssen Mütter und Väter nicht selten noch drei, manchmal vier Stunden am Tag dafür aufbringen, ihre Kinder bei den Hausaufgaben zu betreuen. Die Entwickler der “Lampe der großen Kraft” hatten genau diese Familien aus der Mittelschicht vor Augen. Die Smart Lamp ähnelt einer Schreibtischlampe, dient mit einem eingebauten Bildschirm in Smartphone-Größe sowie zwei integrierten Kameras aber vornehmlich der Überwachung.
Eltern können mithilfe der Kameras über riesige Entfernungen ihren Nachwuchs beim Lernen beobachten. Die Smart Lamp, so verspricht es die Werbung, verbessere das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern: Familienfrieden für nur 799 Yuan, rund 100 Euro. Für 40 Euro mehr gibt es eine speziell auf die Dali-Lampe ausgerichtete App des Herstellers “Bytedance” mit Warnfunktion. Sie sendet den Eltern Nachrichten und sogar Fotos, wenn deren Kinder nicht mehr aufmerksam sind, krumm sitzen oder gar nichts tun, statt zu lernen.
Das Produkt ist seit Herbst vergangenen Jahres erhältlich. Binnen der ersten vier Monate verzeichnete Bytedance 10.000 Bestellungen. Im Frühjahr hatte der Internetgigant “Tencent“ angekündigt, eine ähnliche KI-betriebene Hausaufgabenlampe einführen zu wollen, die die gleichen Funktionen wie das Produkt von Bytedance anbietet. Noch sind die Lampen jedoch unprofitabel. Chen Lin, Chef der neu gegründeten Bildungstechnologie-Sparte von Bytedance, geht davon aus, dass es drei Jahre dauern wird, bis der Bereich schwarze Zahlen schreibt. Das hinderte ihn nicht daran, mehr Mitarbeiter einzustellen. Von den 100.000 Angestellten bei Bytedance arbeiten 10.000 bereits in der Bildungsabteilung, und die Zahl der Mitarbeiter soll noch in diesem Jahr wachsen.
Die Ausgaben vieler Familien für Zusatzkosten rund um die Bildung des eigenen Kindes belaufen sich schnell auf mehrere Hundert Euro monatlich. Diese Zahlungsbereitschaft weckt Begehrlichkeiten bei den Technologie-Unternehmen. Durch die Corona-Pandemie hat sich der Wettbewerb für Dienste im Bildungstechnologiesektor noch einmal verschärft. Im Jahr 2020 hat der Online-Bildungsmarkt in China die 40-Milliarden-Dollar-Marke überschritten und soll bis 2026 auf einen Wert von 100 Milliarden US-Dollar steigen. Bytedance will Richtung und Geschwindigkeit des Wachstums mitbestimmen. Erst im vergangenen Juli hatte Chen Lin angekündigt, das Unternehmen werde einen “riesigen Betrag” in neue Bildungstechnologien investieren.
Bislang verdient der 2016 gegründete Technologiekonzern vor allem durch seine virale Kurzvideoplattform Douyin (das chinesische Pendant zu Tiktok) und die Nachrichten- und Informationsplattform Jinri Toutiao (Schlagzeilen des Tages) das meiste Geld. Der Vorstoß in den Technologiebildungsmarkt (Education-Tech) soll die nächste sprudelnde Einnahmequelle generieren. Die Dali Lampe soll einen großen Schritt in diese Richtung markieren. Schon länger entwickelt das Unternehmen Applikationen fürs E-Learning, die nun bei der Lampe zum Einsatz kommen. Sie helfen bei vergessenen englischen Vokabeln auf die Sprünge, oder sie zitieren klassische chinesische Gedichte, die im Chinesischunterricht immer wieder gern abgefragt werden.
Kunden locken soll allerdings nicht nur die Überwachungsfunktion des Produkts. Die “Lampe der großen Kraft” soll den Familien auch Zeit sparen. Gerade beim Nachhilfeunterricht, der während der Pandemie häufig online stattgefunden hat. Bytedance bietet dafür eigene Apps an, über die Mathematik- oder Englischnachhilfe gebucht werden kann. Zusätzlich bietet Bytedance eine digitale Hausaufgaben-Betreuung zur Entlastung viel beschäftigter Eltern, die die Kosten dafür nicht scheuen.
Die Dali-Lampe setzt auf das schlechte Gewissen der Eltern, ihren Kindern nicht beim Lernen unterstützend zur Seite stehen zu können. Das hat nicht nur Folgen für die Eltern-Kind-Beziehung, die in Chinas Leistungsgesellschaft nicht besonders herzlich oder einfühlsam ist. Sie ist auch gravierend für die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder. Sie lernen mit dem Gerät, dass sie nicht mehr eigenständig Probleme bewältigen müssen. Dabei hat das Bildungsministerium längst erkannt, dass künftige Generationen die Kompetenz zum Problemlösen erwerben müssen, statt stur auswendig zu lernen. Die Fähigkeit, eigene Ideen entwickeln zu können, ist elementar wichtig für Chinas Ziel der Technologieführerschaft.
Der Einzug der Smart Lamp in die Kinderzimmer der Nation bringt Datenschutz- und Sicherheitsprobleme mit sich. Im März häuften sich negative Bewertungen in sozialen Medien. Ein Nutzer sagte, die App erlaube Kindern, Videos von sich selbst im Internet zu posten. Ein anderer Nutzer bemängelte, dass Nutzerprofile und Videos anderer Kinder einsehbar seien, und die App Vorschläge bereitet, sich mit anderen Nutzern zu verbinden. Bytedance verteidigte die Praxis. Jedes Hochladen eines Videos erfordere die Zustimmung der Eltern. Und ohne deren Autorisierung könne auch niemand Drittes Livebilder der Kinder sehen.
Dalis Einzug in die Kinderzimmer birgt ähnliche Gefahren wie der Einsatz von Sprachassistenten wie Alexa. Das Gesetz bietet trotz bestehender Regulierungen in der Praxis kaum Schutz. Bereits seit 2019 gilt, dass die Datenerfassung von Kindern unter 14 Jahren einzuschränken sei. Wie so oft sind die Interpretationsspielräume aber so groß, dass Bytedance etwa bei der Produktbeschreibung gar nicht erst auf die Gefahren für Privatsphäre oder gar Details der Datenerfassung zu sprechen kommt.
Pädagogen warnen davor, Kindern der Zielgruppe zwischen vier und zwölf Jahren ein Touchscreen-Gerät mit Internetzugang vorzulegen, der sie regelrecht dazu verleitet, bei schwierigen Aufgaben die Antworten über die angebotenen Apps zu suchen. Britische und schwedische Forscher fanden heraus, dass “Vielnutzer” von Touchscreen-Geräten leichter ablenkbar waren.
Diese Analyse erschien auch im China.Table Professional Briefing.
Frau Fleischmann, Bayern will 100.000 Luftreiniger für die Schulen anschaffen. Haben sich damit ihre Forderungen nach einer guten Vorbereitung des neuen Schuljahres erledigt?
Das ist eine richtige und gute Entscheidung. Nur sollten wir nicht vergessen, dass sie im Grunde ein Jahr zu spät kommt. Schüler:innen und Lehrkräfte mussten das Schuljahr 20/21 unter schwierigsten Bedingungen bewältigen. Aber gut, besser die Luft spät professionell filtern als gar nicht. Der Freistaat hat seine Hausaufgaben aber damit noch nicht geschafft.
Was erwarten Sie vom Kultusministerium?
Einen klaren Fahrplan für das neue Schuljahr: ein bildungspolitisches Logbuch. Das bedeutet, weiter zu blicken als nur auf die Sommerferien. Schulen und Lehrer:innen brauchen Planbarkeit, Verlässlichkeit, um Schule professionell machen zu können.
Wie soll das gehen, wenn die Pandemie alles unwägbar macht?
Wen, bitte, soll die Pandemie noch überraschen? Nach Corona ist vor Corona. Das fällt doch nicht mehr vom Himmel. Wir haben diesen Höllenritt jetzt dreimal durchgemacht. Ein viertes Mal möchten wir Lehrkräfte das nicht erleben. Genau deswegen erwarte ich, dass wir ein Logbuch bekommen. Vom Minister. Jeder in der Schule kennt die möglichen Szenarien – aber den Rahmen muss der Kapitän auf der Brücke gestalten, sonst hat er da nichts verloren. Und zwar so, dass die Schulleiter:innen vor Ort die Variante ziehen können, die am sichersten und pädagogischsten ist. Rundmails, die am Freitagnachmittag alles umwerfen, das darf es nicht mehr geben. Keine Überraschungen mehr!
Ist das wirklich möglich in einer Zeit, in der binnen weniger Wochen Inzidenzen hochschießen können?
Bei Corona ist die Inzidenz unvorhersehbar. Beim Dienstherrn Bayern ist fast alles unberechenbar: rhetorische Tricks, Schönfärberei und Verschleierung, z.B. bei der Lehrerversorgung. Das Schiff schlingert, Piazolo ist kein Kapitän, der uns in einen sicheren Hafen bringt. Deswegen fordern wir Verlässlichkeit: bei der Lehrerversorgung, beim Digitalunterricht, beim Impfen für Lehrer.
Sie sind die Standesvertreterin der Lehrer. Was brauchen die Lehrerinnen und Lehrer jetzt?
Ihre Ruhe. Die Lehrer sind erschöpft. Unsere Kolleginnen und Kollegen haben sich die Haxn ausgerissen, um den vielfältigen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden. Das hat viel Kraft gekostet. Viele pfeifen aus dem letzten Loch. Das bedeutet, wer die Lehrer:innen jetzt optimal vorbereiten will, der muss sie nicht während der Ferien in Fortbildungen schicken, sondern der muss dafür sorgen, dass sie sich jetzt erholen können. Zudem brauchen die Lehrkräfte Anerkennung, Unterstützung und professionelle Ansprechpartner.
Wie drückt sich diese Erschöpfung aus?
Zum Beispiel so, dass Lehrer:innen sich an ihren BLLV mit einer vermeintlich pädagogischen Frage wenden. Und unsere Psychologin der BLLV-Akademie dann merkt, dass es da eigentlich um was ganz anderes geht: die Lehrkräfte fühlen sich ausgelaugt und überfordert. Die psychischen Belastungen in diesem Beruf sind enorm gestiegen – vor allem auch für die Schulleiterinnen und Schulleiter!
Wegen Corona?
Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte – nur dass es kein Tropfen, sondern ein Platzregen war. Der auf das fiel, was uns eh schon belastet: teils überspannte Erwartungen an Schule, dramatisch veränderte Sozialisation der Kinder, unzureichende Arbeitsbedingungen. Das bringt die Lehrkräfte an den Rand des Machbaren – und dann noch Corona. Viele Lehrerinnen und Lehrer fühlen sich dem nicht mehr gewachsen. Aber sie trauen sich oft nicht, ihre Nöte auszusprechen. Sie können nicht offen sagen: Hilf mir. Im Laufe dieses professionellen Beratungsgesprächs können wir den Kolleginnen und Kollegen immer helfen, weil wir uns Zeit für sie nehmen.
Was tun Sie, Frau Präsidentin, um ihren Kolleginnen zu helfen?
Wir haben ein umfassendes Beratungs- und Fortbildungsangebot in der BLLV-Akademie. Das geht von Fortbildungen zu bestimmten pädagogischen Themen bis hin zu Beratungsgesprächen und Supervision. Unsere Beratungsgespräche laufen wie geschnitten Brot.
Aber haben nicht viele Lehrer zum Beispiel in Bezug auf digitales Lernen erheblichen Beratungsbedarf? Alle Studien zeigen, dass es Lehrer gibt, die sich kreativ auf hybriden Unterrichts eingestellt haben. Andere sind damit aber nicht gut zurechtgekommen.
Ja, das ist so. Aber ich finde es wirklich falsch und fast zynisch, den Lehrkräften die Schuld zuzuschieben und den Dienstherrn freizusprechen, der in der Lehrerbildung und bei der Fortbildung seines Personals Jahre lang auf diesem Gebiet geschlafen hat.
Bayern scheint im Vergleich zur Fortbildung zu anderen Bundesländer relativ weit vorne zu sein.
Das mag sein, aber es ändert nichts an der Situation, dass wir Lehrerinnen und Lehrer haben, die in einer angespannten Personallage plötzlich mit einer Pandemie zu tun hatten, die sie quasi im Alleingang stemmen sollten. Sollen wir die Lehrer:innen dafür bestrafen, dass die Landesregierung über viele Jahre ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat? Wir haben Lehrerkräfte, die ausgepumpt und überfordert sind, die das Gefühl haben, ihren Schülern noch weniger gerecht werden zu können, als das ohnehin oft der Fall war. Deswegen möchte ich, dass die Lehrer, die in Not sind, jetzt aktiv professionelle Hilfsangebote bekommen. Die Politik kommt am Thema Gesundheit für Lehrer:innen nicht vorbei. Das ist existenziell! Die Kolleg:innen erwarten, dass man ihnen zuhört und sie wertschätzt.
Frau Fleischmann, wieso hilft da ein Logbuch?
Politik und auch manche Eltern erwarten, dass die Lehrkräfte sich jetzt bienenfleißig auf das neue Schuljahr vorbereiten. Was ich will ist, dass der Staat endlich seinen Verpflichtungen nachkommt. Herr Piazolo darf nicht sofort wieder in den Krisenmodus fallen, wenn die Delta-Variante die Inzidenzen hochtreibt. Schulorganisatorisch waren die letzten 16 Monate eine mittlere Katastrophe. Die Pandemie wurde, was Schulen betrifft, auf dem Rücken der Schüler, Lehrer und Eltern ausgetragen. Ich verlange von diesem Land, das so viel auf seine Bildung gibt, dass es diesmal professionell vorbereitet ist. Wir sind in Bayern. Bisher gab es nicht mal einen Plan A, wir wollen aber, dass es einen Plan A, B, C, D, E gibt. Und ich sage Ihnen voraus, dass die Schulleiter:innen und Lehrer:innen, wenn sie diese Ruhe und Hilfe bekommen, dann positiv in die Zukunft schauen und alles für ihre Schüler:innen reißen.
Die Schulträger sind keine KI-Muffel und sie kennen sich sogar relativ gut aus mit Künstlicher Intelligenz. An der Einführung von Künstlicher Intelligenz beim Lernen hindere sie aber fast alles: Es fehle am Fachwissen der Fachleute und Lehrer, es gebe keine (sicheren) Datenspeicher und auch die Infrastruktur der Schulen sei nicht gut genug. So sieht es jedenfalls aus, wenn man einer Studie der “Rednet AG” glauben will, die zusammen mit “Intel” gemacht wurde. Eine der überraschendsten Erkenntnisse der Studie ist, dass die Angst vor ethischen Bedenken und vor kritischen Eltern unbegründet sein könnten. Nur 15 Prozent der befragten 100 Schulträger gaben an, dass ethische Gründe sie an der Einführung von KI hinderten. Ganze 12 Prozent führten die Ablehnung durch die Eltern ins Feld. Das sind die Plätze elf und zwölf in einer 14 Punkte langen Liste. Rednet nennt sich IT-Partner von Schulen, die Studie erhob die hauseigene Marktforschung.
Die Studie wurde im Februar 2021 abgeschlossen, aber erst gestern veröffentlicht. Die vertiefte Auswertung zeigt nun, dass sieben von zehn Schulträgern Künstliche Intelligenz bereits anwenden. Dabei handelt sich allerdings in den meisten Fällen um intelligentes Gebäude-Management oder um Übersetzungsprogramme. Immerhin ein Drittel der Schulträger benutzt bereits Künstliche Intelligenz, um den Lernstand von Schülern zu erheben. 14 Prozent sagen, sie hätten Systeme im Einsatz, die Lehrern helfen, den Lernstoff passgenau an die Schüler zu bringen. Spitzenreiter bei der KI-Nutzung sind Gymnasien (61 Prozent), andere weiterführende Schulen und berufliche Schulen (je 57 Prozent).
Das Infrastruktur-Argument scheint indes eher in den Köpfen der Schulträger zu herrschen. Folgt man dem KI-Barometer, waren im Februar dieses Jahres 95 Prozent der Schulen mit starkem Internetzugang, 92 Prozent mit ausreichend Endgeräten ausgestattet und vier von fünf Schulen hatten genug Serverleistung, Storage und WLAN. Die Schulträger kannten sich offenbar auch ganz gut aus. Die Marktforscher von Rednet sprechen von einem soliden Grundwissen. “Eine zweifelsfreie Sicherheit im Hinblick auf die Bedeutung und Zuordnung von darüber hinausgehenden Fachbegriffen ist dagegen kaum gegeben“, heißt es in dem 32 Seiten langen Papier.
Interessante Unterschiede zeigen sich in der Beurteilung von Künstlicher Intelligenz zwischen Anwender-Kommunen und Nicht-Anwendern. 90 Prozent der Anwender geben an, “die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass wir dringend mehr in die IT-Ausstattung und in Künstliche Intelligenz investieren müssen.” Bei den Schulträgern ohne KI meinen das nur sieben von zehn Befragten. 48 Prozent der Anwender meinen, “wegen der Pandemie konnten wir uns um das Thema Künstliche Intelligenz an Schulen nicht so kümmern, wie wir uns das vorgenommen hatten”. Bei den KI-Muffeln sind es nur 23 Prozent, die das denken. Nur für ein Drittel der Schulträger hat die Anschaffung von KI hohe Priorität. Zwei Drittel geben an, vor einer flächendeckenden Einführung “sollte ihr Einsatz von Bildungsforschern im Rahmen von Pilotprojekten evaluiert werden.” cif
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung bezuschusst das Hochschulforum Digitalisierung mit 15 Millionen Euro – und verlängert damit seine Förderung für das Projekt bis 2025. Seit beinahe zehn Jahren informiert, berät und vernetzt das Hochschulforum Lehrende, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Support-Einrichtungen, Hochschulleitungen und Studierende. Allerdings stehen hinter dem Forum unter anderem der “Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft” und – indirekt über das “Centrum für Hochschulentwicklung” – die “Bertelsmann-Stiftung“. Der Stifterverband ist gar eine “Gemeinschaftsinitiative von Unternehmen und Stiftungen“, darunter viele große Unternehmen. Der Stifterverband förderte Bildung und Wissenschaft im Jahr 2020 selbst mit 17,2 Millionen in Euro – und bekommt nun allein 15 Millionen vom Bund für seine Hochschulideen.
Auch die schulische Schwester, das Forum Bildung Digitalisierung, bekommt Bundesgeld: 440.230 Euro. Die Mittel sind dazu da, damit das von Bildungsministerin Anja Karliczek ausgerufene “Netzwerk Bildung Digital” organisiert werden kann. Da das Netzwerk selbst keine Leute hat, macht das jetzt der Verein “Forum Bildung Digitalisierung“. Das Forum wiederum besteht aus neun Stiftungen, darunter die Großen der Szene, Bertelsmann, Mercator, Bosch und der Telekom-Stiftung. Ziel der Zusammenarbeit ist, eine bundesweite interdisziplinäre Vernetzung im Bildungssektor herzustellen. Das sollen das Forum Bildung und das Netzwerk Bildung Digital schaffen (Bildung.Table berichtete). Im Bundes-Ministerium zeigt man sich zuversichtlich über die Zusammenarbeit mit dem Forum. Man strebe einen “engen Schulterschluss von Bund, Ländern, Wissenschaft, Stiftungen, Verbänden und digitaler Bildungs-Community an”, um Bildung in der “digitalen Welt” gesamtgesellschaftlich anzugehen, sagte eine Ministeriumssprecherin Bildung.Table auf Anfrage. Enno Eidens
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat eine “Strategie für den Games-Standort-Deutschland” vorgestellt. Enthalten sind wirtschaftliche und kulturelle Ziele für die deutsche Videospiel-Branche, auch Hochschulen und der Einsatz von Spielen im Bildungsbereich werden thematisiert. Das BMVI will so den Spielestandort Deutschland finanziell und strukturell fördern sowie Spiele als Kunst und Kulturgut verstärkt in die Gesellschaft integrieren. Auch Bildung findet im Strategiepapier statt. Bundesminister Andreas Scheuer betont, dass Computerspiele beim Lernen helfen. “Games helfen uns, neue Fähigkeiten auf spielerische Art in unser Leben zu integrieren, ob in der Schule, im Beruf oder im Alter”, schreibt auch Digital-Staatsministerin Dorothee Bär in einem Grußwort.
Serious Games – Spiele die Information und Bildung vermitteln, aber auch unterhalten – sind laut Strategie “im besonderen Maße zum Einsatz in der Bildung geeignet”. Das Papier betont, dass dies auch ohne konkrete Bildungsabsicht möglich sei, da Serious Games “Inhalte, Techniken und Systematiken” vermitteln. Solche Spiele könnten laut Ministerium auch im Bereich der Erwachsenen- und Jugendbildung sowie in der physischen Rehabilitation eingesetzt werden. Im Kontext der schulischen Bildung fordert das BMVI “das pädagogische Potenzial von Computerspielen zu heben” und sagt, dass Spiele auch außerhalb des Unterrichts Inhalte vermitteln und als “Bildungsinstanz für digitale Medienkompetenz verstanden werden” können.
Die Games-Strategie sieht im Bereich der Hochschulen vor “vorhandene Ausbildungs- und Studienangebote stärker auf Games auszurichten” zudem soll die Zusammenarbeit von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Wirtschaft verbessert und finanziell gefördert werden. Für die Arbeitswelt wird die Gamifizierung monotoner Aufgaben vorgeschlagen, um die Motivation der Mitarbeiter:innen zu stärken. Konkrete Pläne für eine Umsetzung formuliert das Strategiepapier nicht (Bildung.Table berichtete). Das Ministerium möchte den “im Rahmen dieser Strategie begonnenen Dialog” mit der Games-Branche, Bundesressorts und den Ländern fortsetzen, um konkrete Maßnahmen zu entwickeln. Enno Eidens
Transparenzhinweis: Der Autor war bis 2020 Freier Mitarbeiter beim Deutschen Computerspielpreis, der vom BMVI finanziell gefördert wird.
Es gibt sie noch, die alten Lehrerpulte. In der Gesamtschule Münster-Mitte dienen sie allerdings nur noch als Ablage für Computer oder Arbeitsblätter. In jedem Klassenraum ersetzen nun runde weiße Lehrertische den klobigen schweren Lehrerpult. Auf den Stehtischen liegen keine Klassenbücher mit Vermerken über ungenehmes Schülerverhalten, sondern eine tellergroße goldene Klangschale. Der wabernde Gong dient dazu, wieder Ruhe in die Klasse zu bringen. Doch die Schale hat noch einen anderen Effekt: “Wenn ich an der Klangschale klingele, weiß jeder Schüler: Jetzt gibt es eine Ansage!” Sie ist Teil des einheitlichen “Classroom Managements”, das mit allen Kolleginnen und Kollegen abgesprochen ist. “Es klingt trivial”, sagt Kathi Kösters, die Leiterin der Schule, “aber alle unserer hundert Lehrer nutzen diese Klangschale. Und alle unsere Schüler wissen, was der Gong bedeutet.” Ruhe, bitte!
Klare Regeln und ein Konzept freien Lernens – so geht Schule an der Münsteraner Gesamtschule. 2012 gestartet, wurde hier Schule anders gedacht. Kein: Du kannst kein Mathe, du bist schlecht in Sport. Du bist Hauptschüler, du Realschülerin! “Als wir die Schule gegründet haben, wussten wir, dass wir eine sehr heterogene Schülerschaft haben werden”, erzählt Kösters, die die Schule von Beginn als Chefin geprägt hat. Heterogen heißt in Münster: von der Gymnasialempfehlung über Real- oder Hauptschulempfehlung bis hin zu Kindern mit Förderbedarf lernen hier. Solch einer Mischung könne man nicht den gleichen Unterricht vorsetzen, sagt Kösters, “da überfordert man die einen und unterfordert die anderen.”
Wie funktioniert also der auf jedes Kind individuell zugeschnittene Unterricht? Jede Klasse beginnt die Woche gemeinsam mit den beiden Klassenlehrerinnen und bespricht gemeinsam, was in der Woche erreicht werden soll. Unter Corona-Bedingungen zum Beispiel, die Lüftungszeiten einzuhalten, aber auch Lernziele für die einzelnen Fächer zu bestimmen. In der Woche wechseln sich dann Lernbürostunden mit Fachstunden ab. Wo es in anderen Schulen vier Mathe- oder Deutschstunden pro Woche gibt, sind es an der Gesamtschule Münster-Mitte nur zwei. Die anderen beiden Stunden heißen dann Lernbürostunden. Hier bestimmen die Schülerinnen und Schüler Lerntempo und -inhalt selbst.
Die Schulleiterin unterrichtet Mathe. Wenn sie in der Fachstunde Bruchrechnen einführt, üben ihre Schüler:innen im Lernbüro diese Grundrechenart und zwar in drei verschiedenen Stufen: leicht, mittel und schwer. Gleichzeitig dürfen die Jugendlichen in diesen Stunden auch Aufgaben aus anderen Fächern bearbeiten, das Englisch-Referat fertigstellen oder lateinische Vokabeln pauken. Kösters und ihre Kollegen sind in diesen Stunden keine Lehrer mehr, sondern Lernbegleiter. Das bedeutet, sie beraten die Schüler bei ihrem selbstständigen Lernen, sie unterstützen und orientieren sie. Komplett frei dürfen die Schüler allerdings nicht wählen. “Wenn ich merke, dass eine Schülerin nach dem Montag und Dienstag am nächsten Tag schon wieder Mathe machen will, dann muss sie mir einen guten Grund liefern, warum.”
Diese Art des Stundenplans soll die Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule in etwas schulen, was auf dem Arbeitsmarkt in Zukunft immer relevanter wird: sich selbst zu organisieren. “Die Jugendlichen sollen befähigt werden, selbst einzuschätzen, auf welchem Niveau sie Aufgaben lösen können“, sagt die Schulleiterin. Grundlagen müssen alle können, nur wie fortgeschritten sie sich mit beispielsweise Hochrechnung beschäftigen wollen, bleibt den Kindern, je nach Können und Vorlieben, selbst überlassen.
Diese Lernidee und die Kernelemente des Lernens an der Münsteraner Gesamtschule – Lernbüro, Logbuch und Lernpläne – erleichterten den Umstieg vom Präsenz- in den digitalen Distanzunterricht. Und auch die digitale Grundausstattung war da: Die Schule arbeitet seit sechs Jahren mit dem Lernmanagementsystem IServ und rüstet alle Schüler:innen der Oberstufe mit Tablets aus. Im Moment der Schulschließungen entschied sich die Schule, weiter nach Stundenplan zu lernen. Was an anderen Schulen nicht selten zu Überforderungen führte, weil sechs Stunden Frontalunterricht Schüler wie Lehrer belastete, erwies sich in Münster als nicht so problematisch. Denn die üblichen Lernbürostunden und Projektzeiten boten den Schülern viel Freiraum für individuelle Erarbeitung – den sie zu nutzen bereits gewohnt waren.
In der Oberstufe etwa bekamen die Schüler:innen im Lockdown noch viel mehr Zeit im Lernbüro – nur eben digital. In der Sekundarstufe I begann die Woche mit dem Klassenrat, der per Videokonferenz stattfand. Das diente der Wochenplanung, berichtet die didaktische Leiterin Ulli Thöne in einem Beitrag für die “Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule“, habe aber auch eine wichtige Funktion für die Beziehungsarbeit und den wertschätzenden Umgang miteinander gehabt. Vielen anderen Schulen fehlte das in der Pandemie. “Und das Logbuch zur Reflektion und Dokumentation hat einen festen Platz im Unterrichtsalltag – sowohl in der Präsenz wie auch in der Distanz”, so Thöne. In vielen Schulen führte der Umstieg auf digital gestütztes Lernen zu einer Entwicklung zu mehr selbstorganisiertem Lernen. In Münster half den Schüler:innen der Gesamtschule das Beherrschen freien Lernens, sich viel schneller im digitalen Klassenzimmer zurechtzufinden.
Das Zusammenspiel zwischen äußerer und innerer Leistungsdifferenzierung ist das einer normalen integrierten Gesamtschule. In der fünften und sechsten Klasse gehen noch alle Kinder in die gleichen Lerngruppen. Ab der siebten Klasse werden sie, je nach Fach, in zwei Gruppen eingeteilt: In den Erweiterungskurs (E-Kurs), der in etwa dem Unterricht an Gymnasien und Realschulen entspricht und in den Grundkurs (G-Kurs). “Die Schüler haben aber immer im Blick, was es für sie bedeuten würde, in den E- oder G-Kurs zu wechseln”, meint Kathi Kösters. Und die Kinder, die vielleicht in der siebten Klasse in Englisch nicht so stark waren, sich in der achten aber verbessern, können dann in den E-Kurs wechseln.
Das Verzahnen individuellen Lernens mit dem Vermitteln wichtiger Inhalte für alle soll dabei helfen, dass möglichst kein Schüler und keine Schülerin in Münster-Mitte abgehängt wird. Dafür wurde die Gesamtschule dieses Jahr mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet. Viel wichtiger als der Preis, sagt Kösters, sei für sie, dass dieses Jahr die ersten Abiturientinnen und Abiturienten die Schule abgeschlossen haben. Mit 75 Kindern ist dieser Jahrgang gestartet, 61 haben den Gymnasialabschluss geschafft, 21 davon haben das Zentralabitur mit einer 1 vor dem Komma abgeschlossen. “Wir müssen uns überhaupt nicht verstecken”, sagt Kösters. Ihr erster Abschlussjahrgang ist besser als die meisten Gymnasialabgänger in Nordrhein-Westfalen. Sofie Czilwik
Es ist ein offener Raum für Lehrer und Schüler, in dem vor allem Schüler – Achtung, jetzt kommt’s – digitale audiovisuelle Produkte mit und ohne Hardware entwerfen und herstellen. Pädagogisch gesprochen verändert die Medienwerkstatt das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden. Aus Schülern werden Macher. Konkret heißt das, dass die Lernenden den nächsten coolen Podcast, Filmclips, Erklär- und Trickfilme und vieles andere aufnehmen, schneiden und senden. In der Medienwerkstatt gibt es immer einen festen Ansprechpartner, das bin ich, die BuFDi, die Bundesfreiwilligendienstleistende. Versuche in der Schule mit einem mobilen Medienbüro zu arbeiten, haben sich nicht bewährt.
Der Medienwerkstatt ist eine einzige große technische Voraussetzung. Dort gibt es einen Green Screen, bei dem Licht, Träger und Halterungen fest installiert sind, damit man nicht jedes Mal Klemmen und so weiter suchen muss. Wir haben ein Tonstudio, Werkbänke und Makerspaces. Schülerinnen und Lehrer können für Exkursionen mobile Mediensets ausleihen, um Mobile Reporting zu probieren.
Ja, da wollen wir erst richtig loslegen. Wir haben gerade den ersten Durchlauf mit Medienprodukten erlebt, die Schüler aufgenommen haben. Etwa über den Wendepunkt in der Mathematik. Da konnte man sehen: Wer etwas für andere erklären muss, lernt gründlicher.
Eine Medienwerkstatt professionalisiert filmische Möglichkeiten, etwa um ein Greenscreen-Video aufzunehmen. Der pädagogisch-technische Kniff liegt in diesem Fall darin, dass sich die Schüler erst vor dem grünen Hintergrund aufnehmen – der dann mittels einer App durch einen neuen, beliebigen Hintergrund ersetzt werden kann. Sie können also ein Bewerbungsvideo vor einem Wolkenkratzer in New York drehen; ein historisches Ereignis vor dem passenden historischem Hintergrund erklären; oder den Wetterbericht auf Englisch vor einer Wetterkarte präsentieren.
Die Medienwerkstatt ist wahrscheinlich bald zu klein.
Katharina Köppe ist derzeit BuFDi an den Kaufmännischen Schulen Rheine. Sie war dort Schülerin und ist als BuFDi noch mal an die Schule zurückgekehrt, um mit dem Lehrer Tobias Raue die Medienwerkstatt mit aufzubauen. Mehr zur Medienwerkstatt gibt es hier.