Table.Briefing: Bildung

Nationale Bildungsplattform + Ukraine-Krieg im Unterricht + Smart Schools

  • Nationale Bildungsplattform – zum Stand der Entwicklung
  • Schulleiterin Silke Müller über Umgang mit dem Ukraine-Krieg im Unterricht
  • Hybrider Unterricht: Chance für neurodiverse Lernende
  • Smart Schools bei der Bildungskonferenz der Bitkom
  • Willkommensklassen für ukrainische Schüler
  • Presseschau
  • Termine
Liebe Leserin, lieber Leser,

Krieg trifft immer diejenigen am schlimmsten, die am wenigsten Schuld an seinem Ausbruch haben: Kinder. Hunderttausende von ihnen werden in der Ukraine ihre Klassenkameraden lange nicht mehr sehen und auf unabsehbare Zeit nicht mehr lernen können. Von den seelischen Qualen, der Angst, die ein Krieg auslöst, einmal ganz abgesehen.

Die furchtbaren Folgen für die Zukunft der Ukraine werden noch nachwirken, lange nach dem Ende des Krieges, den Russlands Aggressor angezettelt hat. Unsere Eltern waren Kinder des Zweiten Weltkrieges, sie kennen das Leid. Jede Berliner Schulklasse, sagt die Regierende Bürgermeisterin, sollte einen Stuhl aufstellen für die Kinder, die die Flucht absehbar in die deutsche Hauptstadt verschlagen wird.

Doch der Schrecken der Invasion hat längst auch die Kinder erreicht, die hier in Deutschland leben und über Medien mit Bildern und Nachrichten konfrontiert werden. Sofie Czilwik hat Silke Müller gefragt, wie man mit ihnen über das Unfassbare sprechen kann. “Halt geben”, “Fragen beantworten”, aber auch “Normalität leben”, rät die Schulleiterin der Waldschule Hatten.

Auch wir, die Redaktion von Bildung.Table, haben uns zur Normalität trotz der Nachrichten aus Kiew entschlossen. Niklas Prenzel zieht in dieser Ausgabe eine erste Zwischenbilanz der Nationalen Bildungsplattform, einem der ambitioniertesten Digitalprojekte der letzten Legislaturperiode. Und Lisa Winter ist im Gespräch mit Experten der Frage nachgegangen, wie hybrider Unterricht Schülerinnen und Schülern mit neurodiversen Problemen das Lernen erleichtern kann.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre

Ihre
Antje Sirleschtov
Bild von Antje  Sirleschtov

Analyse

Nationale Bildungsplattform: Sie hat sich stets bemüht

Mark Zuckerberg und Angela Merkel haben etwas gemeinsam. Beide drückten im vergangenen Jahr auf den Startknopf für gigantische Meta-Projekte: Der eine benannte sein Unternehmen in Meta um und skizzierte das Metaverse, in dem die virtuelle und reale Welt eines Tages verschmelzen sollen; die andere sprach in großen Worten von einer Meta-Bildungsplattform, die Zugang zu digitalen Lehr- und Lernangeboten sämtlicher Bildungsbereiche ermöglichen wird. Im Februar 2021 stellte die damalige Bundeskanzlerin gemeinsam mit ihrer Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) die Pläne im Rahmen der Initiative Digitale Bildung vor.

630 Millionen Euro möchte sich die Bundesregierung diese Plattform bis 2025 kosten lassen. Sie schimmert und strahlt und bleibt dennoch ungreifbar. Tastend stellten die Oppositionsparteien FDP und Linke nach dem Start Anfragen an die Bundesregierung, um Informationen zur Plattform zu erhalten. Das Bundesbildungsministerium antwortete: “Sie soll allen Menschen einen zentralen Zugang zu Bildungsangeboten und die Möglichkeit bieten, selbstgesteuert und entlang ihrer persönlichen Bildungsbiographien individuell Beratung, Orientierung, Zugang und Teilhabe an Lernszenarien zu realisieren.”

Es geht um nicht weniger als eine Plattform, die die Lernenden – vom “kleinen Schulkind bis zum Rentner” (Anja Karliczek) – ihr Leben lang begleitet, und unter anderem eine Wallet bereitstellt, in der alle Zertifikate und Zeugnisse gespeichert werden können. Laut Peter Hassenbach, Leiter der Projektgruppe im BMBF, soll die Plattform “eine lebensbegleitende Bildungsreise” ermöglichen.

BMBF: Projekt verläuft planmäßig

Eine Meta-Plattform, die mit offenen Schnittstellen möglichst viele Lehr- und Lernangebote bündelt und auch im Austausch mit europäischen Partnern steht: Geht es auch eine Nummer kleiner?, dachten sich Beobachter. Aus der Opposition befürchtete man gar einen neuen BER, ein nicht endendes Großprojekt, das Steuergelder frisst und mit schlechtem Ergebnis abschließt. Das bildungspolitische Prestigeprojekt der scheidenden Bundesregierung könnte zur verwaisten Spielwiese werden. Man denke nur an den digitalen Personalausweis, der groß angekündigt wurde und heute von nur sieben Prozent der Bevölkerung genutzt wird.

Das Projektbüro, das im Auftrag des BMBF die Erstellung der Protoypen koordiniert, wollte auf Anfrage keine Auskunft zum Stand der Umsetzung und Planung geben. Schmallippig sind die Antworten, die Projektbeteiligte geben, wenn sie überhaupt zur Auskunft bereit sind. Das BMBF zeigt sich jedoch optimistisch. Das Projekt verlaufe planmäßig, meldet es Bildung.Table. Derzeit würden die Vorbereitungen für das Vergabeverfahren laufen, das im Sommer starten soll. Die Prototypen der vier geförderten Projekte würden noch ausgewertet. Erst anschließend werde eine Entscheidung über die künftige nationale Bildungsplattform erfolgen, gibt das BMBF auf seiner Homepage bekannt.

Der umfangreichste Prototyp wird unter dem Namen BIRD, ein von der Universität Potsdam koordiniertes Verbundprojekt, entwickelt. Es soll das technische Rückgrat der Plattform bilden. Als eine Middleware verknüpft BIRD alle bestehenden und künftigen Plattformen und Angebote auf Basis von Open-Source-Software miteinander. Ob aus Schule, Hochschule, Beruflicher Bildung, Erwachsenen- oder Weiterbildung: BIRD stellt in Aussicht, “die Vielfalt der Bildungsangebote des föderalen nationalen Bildungssystems handhabbar” zu machen. Doch aus dem Umfeld der Projektverantwortlichen ist zu vernehmen, dass einzelne Beteiligte schon nicht mehr daran glauben, dass BIRD jemals fliegen werde. Mit einer Meta-Plattform der lahmenden digitalen Bildung einen Schub geben und das föderale Dickicht lichten: Hat sich die alte Bundesregierung zu viel vorgenommen?

Eine Meta-Bildungsplattform ist bisher in jedem Land gescheitert

Gibt es genügend Use-Cases, die eine zentralisierte Plattform rechtfertigen?”, fragt sich Beth Havinga, die bis November 2021 Geschäftsführerin des Vereins Bündnis für Bildung war, einem Verbundpartner von BIRD. Jetzt arbeitet sie als Beraterin für digitale Bildung. “Die Plattform hat ein Definitionsproblem.” Die Klarheit beim Umfang und manchen Funktionalitäten fehle: “Es ist, als ob man einen Kuchen haben möchte, aber die Mengenangabe und Zutaten nicht kennt”. Die Plattform will zu schnell zu viel.

Beth Havinga hat sich mit vergleichbaren Plattform-Vorhaben in anderen Staaten beschäftigt und ist zu einem ernüchternden Ergebnis gelangt. Es gebe kein einziges Best-Practice-Beispiel. Nirgendwo habe eine solche große Meta-Plattform jemals wie geplant funktioniert. Ein bekanntes Beispiel: In den USA sollte die Plattform InBloom Bildungsangebote verknüpfen. Die Gates-Stiftung gab 100 Millionen Dollar. Ein Jahr war die Plattform online, bevor sie wegen Datenschutzproblemen, mangelnder Praxistauglichkeit und schlechter Kompatibilität mit kommerziellen Anbietern wieder abgeschaltet wurde. Digitale Vorreiterländer wie Finnland, Estland und Schweden verfolgen keine zentralen Plattform-Lösungen mehr.

Ähnlich wie manche der gescheiterten Plattformen werde die nationale Bildungsplattform mit wenig Transparenz entwickelt. Zu wenig lerne man aus den Erfahrungen der internationalen Projekte. Zwar werde das Projekt in beeindruckendem Tempo vorangetrieben, doch prophezeit Havinga: “Wenn solche Entwicklungen von politischen Fristen getrieben werden, bleiben oft wichtige und von den Endnutzern als Bedürfnis bezeichnete Funktionalitäten auf der Strecke.” Zudem könnten sinnvolle Anwendungen, wie etwa die Data Wallet, bei Fertigstellung relevante Entwicklungen verpasst haben. Hier setzt man nicht auf neuere Standards wie Web3- oder Blockchain-Technologien, sondern auf “on Device in der Hoheit der Nutzenden”, wie das BMBF mitteilt.

Wenig Kommunikation und Transparenz

“Die Plattform entsteht im stillen Kämmerlein”, sagt Dario Schramm für die Initiative der deutschen digitalen Bildungsanbieter (iddb). Die EduTech-Unternehmen hätten jahrelange Erfahrung und Kenntnisse, würden bei der Planung aber nicht einbezogen. “Bei ‘EduTech’ schrillen in der Politik immer noch die Alarmglocken, dabei sind wir längst Teil der Bildung. Wir stehen jederzeit für einen Austausch mit BMBF und anderen Teilnehmern zur Verfügung“. Die iddb fordert, dass eine mögliche Plattform für alle Produzenten von Bildungsmaterialien zugänglich sein muss. “Wir brauchen keinen Schnellschuss und immer wieder neue Projekte, sondern eine langfristige Bildungsplattform, die auch die privaten Anbieter mitnimmt.” Doch nach derzeitigem Stand der Planung befürchtet Dario Schramm, dass die Plattform “vor sich hindümpeln und wenig genutzt werden wird”.

Anders sieht es der Branchenverband Bitkom, der Gespräche mit verschiedenen Stakeholdern und dem BMBF geführt hat. Er begrüßt das Vorhaben, das den Flickenteppich der digitalen Bildungsangebote stopfen soll. Es sei gut, dass keine Parallelstruktur, sondern eine Meta-Plattform entsteht. “Die Politik muss alle Beteiligten mitnehmen und offen die Ziele kommunizieren, damit es der große Wurf werden kann”, sagt Elisabeth Allmendinger, Referentin für Bildungspolitik. Der Schlüssel zum Erfolg der Plattform sei eine transparentere Kommunikation.

Doch die wird von der neuen Regierung bisher nicht angestrebt. Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) scheint die Plattform nicht prioritär voranbringen zu wollen, ließ sie in ihrer Bundestags-Antrittsrede und großen Interviews unerwähnt. Der Koalitionsvertrag nennt die Plattformpläne im Bildungskapitel gar nicht. Im Unterpunkt “Weiterbildung” heißt es läppisch, dass die nationale Bildungsplattform weiterentwickelt werden soll. Das klingt nicht mehr nach riesigem Wurf und einer digitalen Bildungsreise von der Geburt bis zum Sterbebett.

  • Bildungspolitik
  • Digitalisierung
  • iddb
  • Schulcloud
  • Technologie

“Die Kinder wurden überschwemmt mit Gewaltvideos”

Frau Müller, wie haben Sie als Schulleiterin am Donnerstagmorgen auf die Invasion in die Ukraine reagiert?

Ich bin nachts von der Pushnachricht der Tagesschau aufgewacht, die den russischen Angriff auf die Ukraine meldete. Ich wusste sofort: Das ist ein Thema, das uns Europäer alle angeht und vor allem für Kinder schwer einzuordnen sein wird. Ich habe morgens in der Schule dann allen Eltern und Kolleg:innen eine E-Mail geschickt, mit der Bitte allen Kindern das Gespräch anzubieten, falls sie Fragen haben und auch das Thema Krieg im Allgemeinen anzusprechen.

Wie haben die Schülerinnen und Schülern reagiert, als sie in die Schule kamen?

Viele äußerten sich besorgt und sagten “Jetzt ist hier Krieg” oder “Bei uns ist auch bald Krieg”. Deshalb war es so wichtig, dass wir dieses Thema in der Schule direkt angesprochen haben.

Was ist aus Ihrer Sicht am wichtigsten in so einer Ausnahmesituation?

Den Kindern das Gespräch anzubieten. Natürlich haben wir einen Bildungsauftrag, aber der pädagogische Auftrag steht in so einer Welt, die so unstet und brüchig ist, an erster Stelle. Das Wichtigste ist, den Kindern in der Schule Halt zu bieten. Denn zum Teil haben sie diesen Halt zu Hause nicht; in Haushalten etwa, in denen womöglich weniger gesprochen wird. Es ist aber genauso wichtig, unaufgeregte Normalität abzubilden.

Was meinen Sie damit?

Kinder haben ein Recht zu lernen, Kinder haben ein Recht darauf, Freude zu empfinden. Auch wenn die Welt gerade sehr, sehr anstrengend ist, sollten wir alles dafür tun, dass Kinder eine Kindheit haben.

Inwiefern sind Ihre Schülerinnen und Schüler durch den Krieg verunsichert?

Viele Kinder sind auf TikTok, wo in den Timelines sehr schnell Videos aus dem Kriegsgebiet eingespielt wurden, die so rasch nicht verifiziert werden können. Die Kinder wurden überschwemmt mit Gewaltvideos. Viele hat das sehr verunsichert, weil sie überhaupt nicht verstehen, was genau los ist. Vor allem die Kinder der Klassenstufen fünf bis zehn können das politisch und gesellschaftlich überhaupt nicht fassen.

Welche Tipps geben Sie?

Wir haben einige Accounts empfohlen, wie etwa den der Tagesschau. Und wir haben gesagt: Nehmt nicht jeden Post ernst! Ihr könnt nicht wissen, ob es stimmt oder nicht. Wenn ihr euch informieren wollt, fragt die Lehrer:innen oder eure Eltern! Wir haben zusätzlich auf der Homepage und im Twitterlehrerzimmer Material zur Verfügung gestellt, wie man Quellen prüfen und wie man mit Ängsten in diesen Zeiten umgehen kann.

Inwiefern spielt dieser Krieg nun eine Rolle im Schulalltag?

Er ist immer wieder Thema, wir beantworten alle Fragen, aber uns ist eben auch die Normalität wichtig. Viel schlimmer ist es für die Schülerinnen und Schüler, die ab 2015 zu uns geflüchtet sind. Wir haben viele Kinder mit Kriegserfahrungen. Das macht etwas mit diesen Kindern, die jetzt wieder mit diesem Thema konfrontiert werden. Um diese Kinder mache ich mir große Sorgen.

Welche Aufgabe haben die Schulen in dieser Zeit?

Wir müssen den Kindern die digitale Ethik und den Umgang mit Fake-News so schnell wie möglich beibringen. Und wir müssen ein politisches und demokratisches Bewusstsein in den Kindern heranziehen. Ich glaube, dass wir die Demokratie in den letzten Jahren für zu selbstverständlich genommen haben. Dass sie es nicht ist, sehen wir in diesen Tagen. Demokratieerziehung war nie wichtiger als heute.

  • Schüler:innen
  • Unterricht

Hybrider Unterricht: Chance für neurodiverse Lernende

Anton Tartz ist 21 Jahre alt und hat Legasthenie. Bereits in der sechsten Klasse nutzte er Laptop und ab der achten Klasse Diktier- und Vorlesesoftware als Unterstützung beim Lernen. Sein Abitur hätte Tartz nicht per Hand schreiben können. Er musste einer anderen Person den Text diktieren und sich immer wieder vorlesen lassen, was bisher geschrieben wurde. Mit hybriden Anwendungsmöglichkeiten und flexibleren Prüfungsleistungen hätte er die Abschlussarbeit mit weniger Aufwand schreiben können, sagt er heute im Rückblick.

Hybridität als Alternative zur analogen Präsenz ist für ihn und viele andere Lernende des neurodiversen Spektrums eine gute Möglichkeit, das Lernen an die eigenen Bedürfnisse anzupassen – wenn es sinnvoll ein- und umgesetzt wird. “Der Zugang zu technischen Hilfsmitteln ist aber ein großes Problem”, sagt Tartz, der heute in Berlin Geschichte, Sozial- und Kulturanthropologie studiert. Gute Softwares kosten Geld. Die Diktiersoftware Dragon beispielsweise kostet 199 Euro. Die Vorlesesoftware Voice Reader Linguatec 49 Euro. Für vermeintlich kostenlose Anbieter zahle man mit persönlichen Daten. Im Studium nutzt er ein Skript, das ihm sein Bruder extra geschrieben hat.

Viele Programme sind nicht nur teuer, sie sind für Nicht-Informatiker auch schwer zu verstehen. Außerdem seien viele Tools auf eine stabile Internetverbindung angewiesen. Die ist nicht in allen Teilen Deutschlands eine Selbstverständlichkeit. Hinzu kommt, dass viele Lehrkräfte unsicher in der Benutzung seien. Schüler:innen müssten sich das notwendige Know-how selbst aneignen. Zudem fehle es an absoluter Basis-Ausstattung: Steckdosen. “Der Status Quo ist eine Katastrophe“, kritisiert Tartz. Im Gespräch mit ihm wird deutlich, eine Investition in eine hybride Schule würde sich auszahlen. Es wäre eine Möglichkeit, das Bildungssystem gerechter, inklusiver und individueller zu machen. Aber wie kann und soll das in der Realität umgesetzt werden?

Lernen individualisieren, Stress abbauen

“Es braucht fließende Übergange zwischen Präsenzunterricht in der bisherigen Form und Unterricht, der durch Nutzung digitaler Medien an anderen Orten und asynchron stattfinden kann”, sagt Dorothea Wichmann, Inklusionsfachberaterin des Landes Nordrhein-Westfalen und Lehrerin für sonderpädagogische Förderung. “Das Verständnis von Unterricht sollte in diesem Sinne weiter gefasst werden.” Hybrider Unterricht soll kein Distanzunterricht sein. Hybridität könnte den Leistungsdruck in der Schule abmildern, ist sie überzeugt und nennt einige Beispiele für individuelle Lernvoraussetzungen: Schriften beliebig anpassen und vergrößern, gleiches gilt für Helligkeit und Kontraste. Arbeitsblätter vorlesen lassen oder mit sogenannten Taskcards Lerninhalte gezielt freigeben, je nachdem, wie konzentriert und fokussiert eine Person arbeitet.

In einer nicht repräsentativen Elternumfrage des Bundesverbands für Legasthenie und Dyskalkulie (BVL) wurde deutlich, dass Kinder zum Teil weniger gestresst und ängstlich waren, weil der Gang an die Tafel wegfiel oder das Mobbing durch Klassenkamerad:innen abgenommen hat. “Das Bildungssystem befindet sich in solch einer Misere, dass der Online-Unterricht teilweise sogar entlastend war”, sagt Annette Höinghaus Pressesprecherin des BVL, ohne den teils chaotischen Distanzunterricht schönzureden. Das Digitale habe das Potenzial, Schüler:innen, die sich beispielsweise aufgrund von Legasthenie, Dyskalkulie oder ADHS schwertun, im standardisierten Unterricht mitzukommen, die Angst vor Schule zu nehmen. Die Umfrage hat aber auch gezeigt, dass es seitens der Lehrkräfte häufig an notwendigen Förderkompetenzen fehlt.

Dass es nicht damit getan ist, Schulen mit Endgeräten auszustatten und Lehrkräften Tools an die Hand zu geben, betont auch Anton Tartz, der sich als Schüler trotz technischer Hilfsmittel oft alleingelassen fühlte.

Das Bildungssystem ist historisch gesehen auf Homogenität ausgerichtet. Individueller Unterricht widerspricht grundlegend dieser Logik. So argumentiert René Breiwe, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Bildungsforschung in der School of Education an der Bergischen Universität Wuppertal. Wenn im Schulsystem von Leistung gesprochen werde, dann in Form von standardisierten Lernerfolgen. “In der Schule sind oft nur bestimmte Formen von Intelligenz relevant, vor allem verbal-linguistisch”, so Breiwe, der zu Transformation von Schule und Unterricht mit Blick auf Diversität, Inklusion und Digitalität arbeitet. “Andere Intelligenzen nützen in der Schule wenig, zum Beispiel inter- und intrapersonelle.

Auch hybrider Unterricht braucht Didaktik

Auf die Frage, ob Hybridität nun das starre System infrage stellt, antwortet Lea Schulz: “Es ist die Inklusion, die das Bildungssystem infrage stellt.” Schulz ist Studienrätin am Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen in Schleswig-Holstein des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Sie hat den Begriff der ‘Diklusion` (Digitale Medien + Inklusion) geprägt. Sie betont, dass Technik und hybriden Unterrichtsmethoden nicht helfen, wenn die Didaktik fehlt. Schulz fordert daher, die Ausbildung von Lehrkräften neu zu denken. Es brauche Biografiearbeit und eine individuellere Lehrer:innenbildung.

Kritik übt Schulz besonders an der ungleichen Verteilung von Ressourcen. Wie gut eine Schule ausgestattet sei, hänge stark vom Engagement der Schule ab. Setzen sich Lehrkräfte und Eltern für eine gute Ausstattung ein, haben Schüler:innen leichter Zugang zu qualitativ hochwertigen Endgeräten. “Dabei sollte das längst zur Grundausstattung jeder Schule gehören”, sagt Schulz. Denn: “Digitale Medien in Kombination mit einer inklusiven Didaktik ermöglichen eine breite Form der Differenzierung im Unterricht, auch für neurodiverse Schüler.

Technische Hilfsmittel müssen barrierefrei sein

Schulz hat an einem Padlet mitgearbeitet, das hilfreiche Tipps für Universal Design for Learning (UDL) gibt. UDL formuliert neun evidenzbasierte Grundprinzipien, die helfen sollen, Unterricht barrierefreier zu gestalten. Dabei werden individuelle Unterschiede beim Lernen in den Blick genommen und wie mit verschiedenen Methoden und Medien bestmöglich darauf reagiert wird. Mit mehr als 50 anderen Autor:innen hat sie zudem das Buch “Diklusive Lernwelten” veröffentlicht. Dort werden einige solcher Methoden vorgestellt und besprochen: so zum Beispiel Erklär- und Lernvideos. Diese ermöglichen ein orts- und zeitunabhängiges sowie selbstbestimmtes Lernen. Es kann selbst ausgewählt werden, welche Inhalte vertieft oder wiederholt werden sollen. Über Funktionen wie Zeitlupe oder -raffer kann die Geschwindigkeit eingestellt werden. Pause- und Rückspultaste ermöglichen beliebiges Wiederholen.

Individualisierte Lerninhalte lassen sich mit Lernplattformen, wie beispielsweise der Anton-App erstellen. Lehrkräfte können dort je nach Lernniveau unterschiedliche Lerngruppen anlegen und entsprechende Übungen anbieten. Als kostenpflichtige Alternativen dazu werden Leseludi und Lernrudi genannt.

Um interaktive und nicht lineare Lernmateralien zu erstellen, wird Twine empfohlen. Twine ermöglicht es Schüler:innen selbst zu entscheiden, mit welchen Aufgaben sie beginnen möchten, ob sie zunächst eine Beispielaufgabe sehen wollen oder direkt selbst loslegen. Zudem können Zusatzmaterialien eingebaut werden, beispielsweise Erklärvideos oder Wörterbücher.

Interaktives Lernen ermöglichen außerdem E-Books. Nein, keine digitalisierten Schülbücher, sondern interaktive E-Books, wie sie sich beispielsweise mit dem Book Creator erstellen lassen. Die Stärke dieser Methode: aktives Handeln der Lernenden, ortsunabhängig, lernen im eigenen Tempo. Allerdings ist es wichtig, auf Barrierefreiheit und Usability zu achten.

Förderung über den Unterricht hinaus

Auch für Anton Tartz sind Barrierefreiheit und Usability zwei wichtige Stichworte. Nicht alle technischen Hilfsmittel sind für neurodiverse Schüler:innen geeignet. Ein Beispiel aus seinem Alltag sind Vorlesefunktionen, die nicht individuell angepasst werden können. Oder digitale Schulbücher, die von Verlagen nicht maschinenlesbar zugänglich gemacht werden. Genauso sollten Lehrkräfte ihre Lernmaterialien digital zur Verfügung stellen.

Tartz fordert, dass die Benutzung digitaler Tools aktiv über den Unterricht hinaus gefördert wird. Nur so kann ermöglicht werden, dass diese auch außerhalb des Schulkontextes selbstbestimmt genutzt werden können. Handy-Verbote seien kontraproduktiv. Zudem brauche es Räume, in die sich Schüler:innen zurückziehen können. Zum Einsprechen oder Anhören der Aufgaben, aber auch falls das Lernen in großen Gruppen schwerfällt. Hybrider Unterricht könnte die Brücke sein, um trotz der räumlichen Distanz am Unterricht teilzuhaben.

Individuelle Lernwege nützten aber wenig, wenn sich nachher alle einem standardisierten Prüfungssystem stellen müssten, macht Tartz klar. Wenn sich das Verständnis von Intelligenz und Leistung im Schulsystem nicht ändern, wirke dieses spätestens bei der Abschlussprüfung wieder exkludierend. Da helfen dann auch hybride Unterrichtsmethoden wenig.

  • Digitalisierung
  • EdTech
  • Software
  • Technologie

News

Neue Smart Schools bei Bitkom-Bildungskonferenz

Seit 2016 kürt eine Jury des Branchenverbands Bitkom jährlich sogenannte Smart Schools. Die ausgezeichneten Schulen sollen vorbildhaft in ihrer Umsetzung des digitalen Lernens sein und als bundesweites Netzwerk mit Modellcharakter vorangehen. Bei der Bitkom-Bildungskonferenz am 9. und 10. März werden die diesjährigen Smart Schools ausgezeichnet. Die Deutsche Telekom unterstützt den Wettbewerb finanziell und sitzt mit Aufsichtsrätin Stefanie Kreusel in der Jury. Diese bewertet die teilnehmenden Schulen unter anderem in den Kategorien Infrastruktur, pädagogisches Konzepte und Inhalte sowie Lehrerfortbildung. Für 2022 haben sich 60 Schulen beworben, sagt die Bitkom-Bildungsreferentin Elisabeth Allmendinger. Wer gewinnt, erfahren die Konferenzteilnehmer am Mittwoch, 9. März. Als “Top Speaker” kündigt Bitkom die deutsche Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, Estlands Bildungsministerin Liina Kersna und Detlef Scheele, den Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit an.

“Bei der Digitalisierung von Schulen ist nie ein klares Ziel erreicht – das ist ein fortlaufender Prozess“, sagt Allmendinger. Die neuen Smart Schools seien deshalb solche, von denen andere Schulen besonders viel lernen können. Der Wettbewerb unter den Schulen sei vor allem in diesem Jahr besonders stark gewesen. Viele Schulen hätten eine Auszeichnung verdient, aber nur wenige bekommen sie. Schulen, die sich für das nächste Jahr bewerben wollen, finden auf der Smart-School-Checkliste wichtige Aspekte, auf die sie bei ihrer Bewerbung aufmerksam machen sollten. “Manche Schulen sind  besonders gut im Bereich digitale Infrastruktur oder Lehrkräftequalifizierung – andere Schulen sind im Bereich kreative Unterrichtsinhalte stärker.” Eine perfekte digitale Schule gebe es nicht. Eben diese Vielfalt sei laut Allmendinger eine große Stärke des Netzwerks. Schulleitungen und Lehrer, die sich für die Methoden der einzelnen Schulen en Detail interessieren, verweist sie gern an die Siegerschulen. Die Bitkom-Website stellt eine  Liste aller Smart Schools bereit.

“Die Pandemie hat offengelegt, wie es um die Digitalisierung der Schulen bestellt ist”, sagt Allmendinger. Sie kritisiert, dass der gegenwärtige Stand der Digitalisierung an vielen Schulen noch nicht das leisten kann, was für eine “selbstbestimmte Teilhabe an der digitalen Welt notwendig wäre”. Um diesem Zustand zu begegnen, fordert sie eine Beschleunigung des Abrufens und Auszahlens der Gelder aus dem Digitalpakt und eine Verstetigung der bundesweiten Bildungsförderung – und eben kein Entlanghangeln von Digitalpakt zu Digitalpakt. “Es braucht ein langfristiges und auskömmliches Finanzierungskonzept, damit die Schulen Sicherheit haben”, sagt Allmendinger. Ebenfalls essenziell seien mehr Sichtbarkeit für gute pädagogische Konzepte und eine bessere Lehrkräftequalifizierung in Sachen digitale Lehre. Enno Eidens

  • Digitales Lernen

Berlin bietet Willkommensklassen für ukrainische Schüler

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) findet sogenannte Willkommensklassen für aus der Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche wünschenswert. “Wir haben die Verpflichtung, die Kinder sehr zeitnah in Schule zu bringen”, sagte die SPD-Politikerin. Das solle zunächst in den vorhandenen Klassen passieren. “Wenn in jeder Klasse ein zusätzlicher Stuhl steht für ein Kind mit entsprechender Ausstattung, ist das zu verkraften”, sagte Giffey gestern. Willkommensklassen seien eine Perspektive und würden vorbereitet. Sie wies darauf hin, dass die eigenen Klassen für Geflüchtete aus Syrien nach 2015 ein Erfolgsmodell gewesen seien. “Ich stehe nach wie vor zu diesem Konzept.”

Prognosen rechnen mit vier bis fünf Millionen ukrainischen Flüchtlingen, die in nächster Zeit in die EU fliehen werden, darunter auch viele Kinder und Jugendliche. Amnesty International appelliert an die Einhaltung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts und verweist auf die Safe Schools Declaration, die Russland allerdings unterzeichnet hat. Recherchen des investigativen Recherchenetzwerks Bellingcat zeigen, dass die von Russland eingesetzten Streumunitionen auch Schulen treffen. In der Ukraine haben durch die aktuelle russische Invasion laut UNICEF mehr als 350.000 Kinder keinen Zugang zu Bildung. In den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten sind Schulen derzeit geschlossen. Seit Beginn des Konflikts 2014 wurden mehr als 750 Schulen beschädigt, besonders in der Krisenregion Donezk. Dort wurde allein bis 2016 jede fünfte Bildungseinrichtung zerstört oder beschädigt. Anouk Schlung mit dpa

  • Russland
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Presseschau

Fortbildungen für Lehrkräfte: Lehrer wollen lernen ZEIT
Ukraine-Krieg: Schüler informieren sich primär über öffentlich-rechtliche Medien NEWS4TEACHERS
Soziolog:innen fordern Verankerung von Antisemitismusbekämpfung in Lehrkräfteausbildung NEWS4TEACHERS
Kultusminister ruft zu Schweigeminute in Schulen auf BILDUNGSKLICK
DAAD schränkt wissenschaftlichen Austausch mit Russland ein BILDUNGSKLICK
Umfrage: Wie Hochschulen im Norden für das Sommersemester planen T-ONLINE

Termine

02.03.2022, 15:00-16:30 Uhr
Fortbildung Wie können Lehrkräfte an beruflichen Schulen “Fake News” begegnen?
In dieser Veranstaltung wird diskutiert, wo Lehrer:innen in der beruflichen Bildung ansetzen können, wenn Schüler:innen Fake-News und Verschwörungstheorien verbreiten. Christina Ewers (Schulleiterin am Berufskolleg Senne) und Silke Schleppenbäumer (Bildungsgangleitung für die Berufsfachschule Typ I) leiten das Webinar und widmen sich Fragen wie der welche Erfahrungen Lehrende an beruflichen Schulen mit Themen wie Falschinformationen und Verschwörungsmythen machen oder
wie Lehrkräfte den Schüler*innen vermitteln, “Fake News” als solche zu erkennen und ggfs. Handlungskompetenz in diesem Bereich zu erlangen können.
INFOS & ANMELDUNG

05.03.2022
Aus- und Weiterbildung Virtueller Sprachentag: Unterrichten im Berufssprachkurs
Für Berufssprachkurse ändert sich 2022 viel: Nur noch zugelassene Lehrwerke dürfen eingesetzt werden, neue Prüfungen werden durchgeführt, die Zusatzqualifikation wird zur Pflicht.
In den BSK-Schwerpunktwochen werden diese Neuerungen und unterschiedliche Aspekte des Unterrichtens beleuchtet. Sprache in Beruf und Arbeitswelt werden in den Fokus gestellt: Was sind die Anforderungen, wie kann man sie überprüfen? Wie können Lehrwerke eingesetzt werden und wie können Unterrichtende den Lernprozess begleiten? 
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    Krieg trifft immer diejenigen am schlimmsten, die am wenigsten Schuld an seinem Ausbruch haben: Kinder. Hunderttausende von ihnen werden in der Ukraine ihre Klassenkameraden lange nicht mehr sehen und auf unabsehbare Zeit nicht mehr lernen können. Von den seelischen Qualen, der Angst, die ein Krieg auslöst, einmal ganz abgesehen.

    Die furchtbaren Folgen für die Zukunft der Ukraine werden noch nachwirken, lange nach dem Ende des Krieges, den Russlands Aggressor angezettelt hat. Unsere Eltern waren Kinder des Zweiten Weltkrieges, sie kennen das Leid. Jede Berliner Schulklasse, sagt die Regierende Bürgermeisterin, sollte einen Stuhl aufstellen für die Kinder, die die Flucht absehbar in die deutsche Hauptstadt verschlagen wird.

    Doch der Schrecken der Invasion hat längst auch die Kinder erreicht, die hier in Deutschland leben und über Medien mit Bildern und Nachrichten konfrontiert werden. Sofie Czilwik hat Silke Müller gefragt, wie man mit ihnen über das Unfassbare sprechen kann. “Halt geben”, “Fragen beantworten”, aber auch “Normalität leben”, rät die Schulleiterin der Waldschule Hatten.

    Auch wir, die Redaktion von Bildung.Table, haben uns zur Normalität trotz der Nachrichten aus Kiew entschlossen. Niklas Prenzel zieht in dieser Ausgabe eine erste Zwischenbilanz der Nationalen Bildungsplattform, einem der ambitioniertesten Digitalprojekte der letzten Legislaturperiode. Und Lisa Winter ist im Gespräch mit Experten der Frage nachgegangen, wie hybrider Unterricht Schülerinnen und Schülern mit neurodiversen Problemen das Lernen erleichtern kann.

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    Mark Zuckerberg und Angela Merkel haben etwas gemeinsam. Beide drückten im vergangenen Jahr auf den Startknopf für gigantische Meta-Projekte: Der eine benannte sein Unternehmen in Meta um und skizzierte das Metaverse, in dem die virtuelle und reale Welt eines Tages verschmelzen sollen; die andere sprach in großen Worten von einer Meta-Bildungsplattform, die Zugang zu digitalen Lehr- und Lernangeboten sämtlicher Bildungsbereiche ermöglichen wird. Im Februar 2021 stellte die damalige Bundeskanzlerin gemeinsam mit ihrer Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) die Pläne im Rahmen der Initiative Digitale Bildung vor.

    630 Millionen Euro möchte sich die Bundesregierung diese Plattform bis 2025 kosten lassen. Sie schimmert und strahlt und bleibt dennoch ungreifbar. Tastend stellten die Oppositionsparteien FDP und Linke nach dem Start Anfragen an die Bundesregierung, um Informationen zur Plattform zu erhalten. Das Bundesbildungsministerium antwortete: “Sie soll allen Menschen einen zentralen Zugang zu Bildungsangeboten und die Möglichkeit bieten, selbstgesteuert und entlang ihrer persönlichen Bildungsbiographien individuell Beratung, Orientierung, Zugang und Teilhabe an Lernszenarien zu realisieren.”

    Es geht um nicht weniger als eine Plattform, die die Lernenden – vom “kleinen Schulkind bis zum Rentner” (Anja Karliczek) – ihr Leben lang begleitet, und unter anderem eine Wallet bereitstellt, in der alle Zertifikate und Zeugnisse gespeichert werden können. Laut Peter Hassenbach, Leiter der Projektgruppe im BMBF, soll die Plattform “eine lebensbegleitende Bildungsreise” ermöglichen.

    BMBF: Projekt verläuft planmäßig

    Eine Meta-Plattform, die mit offenen Schnittstellen möglichst viele Lehr- und Lernangebote bündelt und auch im Austausch mit europäischen Partnern steht: Geht es auch eine Nummer kleiner?, dachten sich Beobachter. Aus der Opposition befürchtete man gar einen neuen BER, ein nicht endendes Großprojekt, das Steuergelder frisst und mit schlechtem Ergebnis abschließt. Das bildungspolitische Prestigeprojekt der scheidenden Bundesregierung könnte zur verwaisten Spielwiese werden. Man denke nur an den digitalen Personalausweis, der groß angekündigt wurde und heute von nur sieben Prozent der Bevölkerung genutzt wird.

    Das Projektbüro, das im Auftrag des BMBF die Erstellung der Protoypen koordiniert, wollte auf Anfrage keine Auskunft zum Stand der Umsetzung und Planung geben. Schmallippig sind die Antworten, die Projektbeteiligte geben, wenn sie überhaupt zur Auskunft bereit sind. Das BMBF zeigt sich jedoch optimistisch. Das Projekt verlaufe planmäßig, meldet es Bildung.Table. Derzeit würden die Vorbereitungen für das Vergabeverfahren laufen, das im Sommer starten soll. Die Prototypen der vier geförderten Projekte würden noch ausgewertet. Erst anschließend werde eine Entscheidung über die künftige nationale Bildungsplattform erfolgen, gibt das BMBF auf seiner Homepage bekannt.

    Der umfangreichste Prototyp wird unter dem Namen BIRD, ein von der Universität Potsdam koordiniertes Verbundprojekt, entwickelt. Es soll das technische Rückgrat der Plattform bilden. Als eine Middleware verknüpft BIRD alle bestehenden und künftigen Plattformen und Angebote auf Basis von Open-Source-Software miteinander. Ob aus Schule, Hochschule, Beruflicher Bildung, Erwachsenen- oder Weiterbildung: BIRD stellt in Aussicht, “die Vielfalt der Bildungsangebote des föderalen nationalen Bildungssystems handhabbar” zu machen. Doch aus dem Umfeld der Projektverantwortlichen ist zu vernehmen, dass einzelne Beteiligte schon nicht mehr daran glauben, dass BIRD jemals fliegen werde. Mit einer Meta-Plattform der lahmenden digitalen Bildung einen Schub geben und das föderale Dickicht lichten: Hat sich die alte Bundesregierung zu viel vorgenommen?

    Eine Meta-Bildungsplattform ist bisher in jedem Land gescheitert

    Gibt es genügend Use-Cases, die eine zentralisierte Plattform rechtfertigen?”, fragt sich Beth Havinga, die bis November 2021 Geschäftsführerin des Vereins Bündnis für Bildung war, einem Verbundpartner von BIRD. Jetzt arbeitet sie als Beraterin für digitale Bildung. “Die Plattform hat ein Definitionsproblem.” Die Klarheit beim Umfang und manchen Funktionalitäten fehle: “Es ist, als ob man einen Kuchen haben möchte, aber die Mengenangabe und Zutaten nicht kennt”. Die Plattform will zu schnell zu viel.

    Beth Havinga hat sich mit vergleichbaren Plattform-Vorhaben in anderen Staaten beschäftigt und ist zu einem ernüchternden Ergebnis gelangt. Es gebe kein einziges Best-Practice-Beispiel. Nirgendwo habe eine solche große Meta-Plattform jemals wie geplant funktioniert. Ein bekanntes Beispiel: In den USA sollte die Plattform InBloom Bildungsangebote verknüpfen. Die Gates-Stiftung gab 100 Millionen Dollar. Ein Jahr war die Plattform online, bevor sie wegen Datenschutzproblemen, mangelnder Praxistauglichkeit und schlechter Kompatibilität mit kommerziellen Anbietern wieder abgeschaltet wurde. Digitale Vorreiterländer wie Finnland, Estland und Schweden verfolgen keine zentralen Plattform-Lösungen mehr.

    Ähnlich wie manche der gescheiterten Plattformen werde die nationale Bildungsplattform mit wenig Transparenz entwickelt. Zu wenig lerne man aus den Erfahrungen der internationalen Projekte. Zwar werde das Projekt in beeindruckendem Tempo vorangetrieben, doch prophezeit Havinga: “Wenn solche Entwicklungen von politischen Fristen getrieben werden, bleiben oft wichtige und von den Endnutzern als Bedürfnis bezeichnete Funktionalitäten auf der Strecke.” Zudem könnten sinnvolle Anwendungen, wie etwa die Data Wallet, bei Fertigstellung relevante Entwicklungen verpasst haben. Hier setzt man nicht auf neuere Standards wie Web3- oder Blockchain-Technologien, sondern auf “on Device in der Hoheit der Nutzenden”, wie das BMBF mitteilt.

    Wenig Kommunikation und Transparenz

    “Die Plattform entsteht im stillen Kämmerlein”, sagt Dario Schramm für die Initiative der deutschen digitalen Bildungsanbieter (iddb). Die EduTech-Unternehmen hätten jahrelange Erfahrung und Kenntnisse, würden bei der Planung aber nicht einbezogen. “Bei ‘EduTech’ schrillen in der Politik immer noch die Alarmglocken, dabei sind wir längst Teil der Bildung. Wir stehen jederzeit für einen Austausch mit BMBF und anderen Teilnehmern zur Verfügung“. Die iddb fordert, dass eine mögliche Plattform für alle Produzenten von Bildungsmaterialien zugänglich sein muss. “Wir brauchen keinen Schnellschuss und immer wieder neue Projekte, sondern eine langfristige Bildungsplattform, die auch die privaten Anbieter mitnimmt.” Doch nach derzeitigem Stand der Planung befürchtet Dario Schramm, dass die Plattform “vor sich hindümpeln und wenig genutzt werden wird”.

    Anders sieht es der Branchenverband Bitkom, der Gespräche mit verschiedenen Stakeholdern und dem BMBF geführt hat. Er begrüßt das Vorhaben, das den Flickenteppich der digitalen Bildungsangebote stopfen soll. Es sei gut, dass keine Parallelstruktur, sondern eine Meta-Plattform entsteht. “Die Politik muss alle Beteiligten mitnehmen und offen die Ziele kommunizieren, damit es der große Wurf werden kann”, sagt Elisabeth Allmendinger, Referentin für Bildungspolitik. Der Schlüssel zum Erfolg der Plattform sei eine transparentere Kommunikation.

    Doch die wird von der neuen Regierung bisher nicht angestrebt. Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) scheint die Plattform nicht prioritär voranbringen zu wollen, ließ sie in ihrer Bundestags-Antrittsrede und großen Interviews unerwähnt. Der Koalitionsvertrag nennt die Plattformpläne im Bildungskapitel gar nicht. Im Unterpunkt “Weiterbildung” heißt es läppisch, dass die nationale Bildungsplattform weiterentwickelt werden soll. Das klingt nicht mehr nach riesigem Wurf und einer digitalen Bildungsreise von der Geburt bis zum Sterbebett.

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    “Die Kinder wurden überschwemmt mit Gewaltvideos”

    Frau Müller, wie haben Sie als Schulleiterin am Donnerstagmorgen auf die Invasion in die Ukraine reagiert?

    Ich bin nachts von der Pushnachricht der Tagesschau aufgewacht, die den russischen Angriff auf die Ukraine meldete. Ich wusste sofort: Das ist ein Thema, das uns Europäer alle angeht und vor allem für Kinder schwer einzuordnen sein wird. Ich habe morgens in der Schule dann allen Eltern und Kolleg:innen eine E-Mail geschickt, mit der Bitte allen Kindern das Gespräch anzubieten, falls sie Fragen haben und auch das Thema Krieg im Allgemeinen anzusprechen.

    Wie haben die Schülerinnen und Schülern reagiert, als sie in die Schule kamen?

    Viele äußerten sich besorgt und sagten “Jetzt ist hier Krieg” oder “Bei uns ist auch bald Krieg”. Deshalb war es so wichtig, dass wir dieses Thema in der Schule direkt angesprochen haben.

    Was ist aus Ihrer Sicht am wichtigsten in so einer Ausnahmesituation?

    Den Kindern das Gespräch anzubieten. Natürlich haben wir einen Bildungsauftrag, aber der pädagogische Auftrag steht in so einer Welt, die so unstet und brüchig ist, an erster Stelle. Das Wichtigste ist, den Kindern in der Schule Halt zu bieten. Denn zum Teil haben sie diesen Halt zu Hause nicht; in Haushalten etwa, in denen womöglich weniger gesprochen wird. Es ist aber genauso wichtig, unaufgeregte Normalität abzubilden.

    Was meinen Sie damit?

    Kinder haben ein Recht zu lernen, Kinder haben ein Recht darauf, Freude zu empfinden. Auch wenn die Welt gerade sehr, sehr anstrengend ist, sollten wir alles dafür tun, dass Kinder eine Kindheit haben.

    Inwiefern sind Ihre Schülerinnen und Schüler durch den Krieg verunsichert?

    Viele Kinder sind auf TikTok, wo in den Timelines sehr schnell Videos aus dem Kriegsgebiet eingespielt wurden, die so rasch nicht verifiziert werden können. Die Kinder wurden überschwemmt mit Gewaltvideos. Viele hat das sehr verunsichert, weil sie überhaupt nicht verstehen, was genau los ist. Vor allem die Kinder der Klassenstufen fünf bis zehn können das politisch und gesellschaftlich überhaupt nicht fassen.

    Welche Tipps geben Sie?

    Wir haben einige Accounts empfohlen, wie etwa den der Tagesschau. Und wir haben gesagt: Nehmt nicht jeden Post ernst! Ihr könnt nicht wissen, ob es stimmt oder nicht. Wenn ihr euch informieren wollt, fragt die Lehrer:innen oder eure Eltern! Wir haben zusätzlich auf der Homepage und im Twitterlehrerzimmer Material zur Verfügung gestellt, wie man Quellen prüfen und wie man mit Ängsten in diesen Zeiten umgehen kann.

    Inwiefern spielt dieser Krieg nun eine Rolle im Schulalltag?

    Er ist immer wieder Thema, wir beantworten alle Fragen, aber uns ist eben auch die Normalität wichtig. Viel schlimmer ist es für die Schülerinnen und Schüler, die ab 2015 zu uns geflüchtet sind. Wir haben viele Kinder mit Kriegserfahrungen. Das macht etwas mit diesen Kindern, die jetzt wieder mit diesem Thema konfrontiert werden. Um diese Kinder mache ich mir große Sorgen.

    Welche Aufgabe haben die Schulen in dieser Zeit?

    Wir müssen den Kindern die digitale Ethik und den Umgang mit Fake-News so schnell wie möglich beibringen. Und wir müssen ein politisches und demokratisches Bewusstsein in den Kindern heranziehen. Ich glaube, dass wir die Demokratie in den letzten Jahren für zu selbstverständlich genommen haben. Dass sie es nicht ist, sehen wir in diesen Tagen. Demokratieerziehung war nie wichtiger als heute.

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    Hybrider Unterricht: Chance für neurodiverse Lernende

    Anton Tartz ist 21 Jahre alt und hat Legasthenie. Bereits in der sechsten Klasse nutzte er Laptop und ab der achten Klasse Diktier- und Vorlesesoftware als Unterstützung beim Lernen. Sein Abitur hätte Tartz nicht per Hand schreiben können. Er musste einer anderen Person den Text diktieren und sich immer wieder vorlesen lassen, was bisher geschrieben wurde. Mit hybriden Anwendungsmöglichkeiten und flexibleren Prüfungsleistungen hätte er die Abschlussarbeit mit weniger Aufwand schreiben können, sagt er heute im Rückblick.

    Hybridität als Alternative zur analogen Präsenz ist für ihn und viele andere Lernende des neurodiversen Spektrums eine gute Möglichkeit, das Lernen an die eigenen Bedürfnisse anzupassen – wenn es sinnvoll ein- und umgesetzt wird. “Der Zugang zu technischen Hilfsmitteln ist aber ein großes Problem”, sagt Tartz, der heute in Berlin Geschichte, Sozial- und Kulturanthropologie studiert. Gute Softwares kosten Geld. Die Diktiersoftware Dragon beispielsweise kostet 199 Euro. Die Vorlesesoftware Voice Reader Linguatec 49 Euro. Für vermeintlich kostenlose Anbieter zahle man mit persönlichen Daten. Im Studium nutzt er ein Skript, das ihm sein Bruder extra geschrieben hat.

    Viele Programme sind nicht nur teuer, sie sind für Nicht-Informatiker auch schwer zu verstehen. Außerdem seien viele Tools auf eine stabile Internetverbindung angewiesen. Die ist nicht in allen Teilen Deutschlands eine Selbstverständlichkeit. Hinzu kommt, dass viele Lehrkräfte unsicher in der Benutzung seien. Schüler:innen müssten sich das notwendige Know-how selbst aneignen. Zudem fehle es an absoluter Basis-Ausstattung: Steckdosen. “Der Status Quo ist eine Katastrophe“, kritisiert Tartz. Im Gespräch mit ihm wird deutlich, eine Investition in eine hybride Schule würde sich auszahlen. Es wäre eine Möglichkeit, das Bildungssystem gerechter, inklusiver und individueller zu machen. Aber wie kann und soll das in der Realität umgesetzt werden?

    Lernen individualisieren, Stress abbauen

    “Es braucht fließende Übergange zwischen Präsenzunterricht in der bisherigen Form und Unterricht, der durch Nutzung digitaler Medien an anderen Orten und asynchron stattfinden kann”, sagt Dorothea Wichmann, Inklusionsfachberaterin des Landes Nordrhein-Westfalen und Lehrerin für sonderpädagogische Förderung. “Das Verständnis von Unterricht sollte in diesem Sinne weiter gefasst werden.” Hybrider Unterricht soll kein Distanzunterricht sein. Hybridität könnte den Leistungsdruck in der Schule abmildern, ist sie überzeugt und nennt einige Beispiele für individuelle Lernvoraussetzungen: Schriften beliebig anpassen und vergrößern, gleiches gilt für Helligkeit und Kontraste. Arbeitsblätter vorlesen lassen oder mit sogenannten Taskcards Lerninhalte gezielt freigeben, je nachdem, wie konzentriert und fokussiert eine Person arbeitet.

    In einer nicht repräsentativen Elternumfrage des Bundesverbands für Legasthenie und Dyskalkulie (BVL) wurde deutlich, dass Kinder zum Teil weniger gestresst und ängstlich waren, weil der Gang an die Tafel wegfiel oder das Mobbing durch Klassenkamerad:innen abgenommen hat. “Das Bildungssystem befindet sich in solch einer Misere, dass der Online-Unterricht teilweise sogar entlastend war”, sagt Annette Höinghaus Pressesprecherin des BVL, ohne den teils chaotischen Distanzunterricht schönzureden. Das Digitale habe das Potenzial, Schüler:innen, die sich beispielsweise aufgrund von Legasthenie, Dyskalkulie oder ADHS schwertun, im standardisierten Unterricht mitzukommen, die Angst vor Schule zu nehmen. Die Umfrage hat aber auch gezeigt, dass es seitens der Lehrkräfte häufig an notwendigen Förderkompetenzen fehlt.

    Dass es nicht damit getan ist, Schulen mit Endgeräten auszustatten und Lehrkräften Tools an die Hand zu geben, betont auch Anton Tartz, der sich als Schüler trotz technischer Hilfsmittel oft alleingelassen fühlte.

    Das Bildungssystem ist historisch gesehen auf Homogenität ausgerichtet. Individueller Unterricht widerspricht grundlegend dieser Logik. So argumentiert René Breiwe, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Bildungsforschung in der School of Education an der Bergischen Universität Wuppertal. Wenn im Schulsystem von Leistung gesprochen werde, dann in Form von standardisierten Lernerfolgen. “In der Schule sind oft nur bestimmte Formen von Intelligenz relevant, vor allem verbal-linguistisch”, so Breiwe, der zu Transformation von Schule und Unterricht mit Blick auf Diversität, Inklusion und Digitalität arbeitet. “Andere Intelligenzen nützen in der Schule wenig, zum Beispiel inter- und intrapersonelle.

    Auch hybrider Unterricht braucht Didaktik

    Auf die Frage, ob Hybridität nun das starre System infrage stellt, antwortet Lea Schulz: “Es ist die Inklusion, die das Bildungssystem infrage stellt.” Schulz ist Studienrätin am Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen in Schleswig-Holstein des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Sie hat den Begriff der ‘Diklusion` (Digitale Medien + Inklusion) geprägt. Sie betont, dass Technik und hybriden Unterrichtsmethoden nicht helfen, wenn die Didaktik fehlt. Schulz fordert daher, die Ausbildung von Lehrkräften neu zu denken. Es brauche Biografiearbeit und eine individuellere Lehrer:innenbildung.

    Kritik übt Schulz besonders an der ungleichen Verteilung von Ressourcen. Wie gut eine Schule ausgestattet sei, hänge stark vom Engagement der Schule ab. Setzen sich Lehrkräfte und Eltern für eine gute Ausstattung ein, haben Schüler:innen leichter Zugang zu qualitativ hochwertigen Endgeräten. “Dabei sollte das längst zur Grundausstattung jeder Schule gehören”, sagt Schulz. Denn: “Digitale Medien in Kombination mit einer inklusiven Didaktik ermöglichen eine breite Form der Differenzierung im Unterricht, auch für neurodiverse Schüler.

    Technische Hilfsmittel müssen barrierefrei sein

    Schulz hat an einem Padlet mitgearbeitet, das hilfreiche Tipps für Universal Design for Learning (UDL) gibt. UDL formuliert neun evidenzbasierte Grundprinzipien, die helfen sollen, Unterricht barrierefreier zu gestalten. Dabei werden individuelle Unterschiede beim Lernen in den Blick genommen und wie mit verschiedenen Methoden und Medien bestmöglich darauf reagiert wird. Mit mehr als 50 anderen Autor:innen hat sie zudem das Buch “Diklusive Lernwelten” veröffentlicht. Dort werden einige solcher Methoden vorgestellt und besprochen: so zum Beispiel Erklär- und Lernvideos. Diese ermöglichen ein orts- und zeitunabhängiges sowie selbstbestimmtes Lernen. Es kann selbst ausgewählt werden, welche Inhalte vertieft oder wiederholt werden sollen. Über Funktionen wie Zeitlupe oder -raffer kann die Geschwindigkeit eingestellt werden. Pause- und Rückspultaste ermöglichen beliebiges Wiederholen.

    Individualisierte Lerninhalte lassen sich mit Lernplattformen, wie beispielsweise der Anton-App erstellen. Lehrkräfte können dort je nach Lernniveau unterschiedliche Lerngruppen anlegen und entsprechende Übungen anbieten. Als kostenpflichtige Alternativen dazu werden Leseludi und Lernrudi genannt.

    Um interaktive und nicht lineare Lernmateralien zu erstellen, wird Twine empfohlen. Twine ermöglicht es Schüler:innen selbst zu entscheiden, mit welchen Aufgaben sie beginnen möchten, ob sie zunächst eine Beispielaufgabe sehen wollen oder direkt selbst loslegen. Zudem können Zusatzmaterialien eingebaut werden, beispielsweise Erklärvideos oder Wörterbücher.

    Interaktives Lernen ermöglichen außerdem E-Books. Nein, keine digitalisierten Schülbücher, sondern interaktive E-Books, wie sie sich beispielsweise mit dem Book Creator erstellen lassen. Die Stärke dieser Methode: aktives Handeln der Lernenden, ortsunabhängig, lernen im eigenen Tempo. Allerdings ist es wichtig, auf Barrierefreiheit und Usability zu achten.

    Förderung über den Unterricht hinaus

    Auch für Anton Tartz sind Barrierefreiheit und Usability zwei wichtige Stichworte. Nicht alle technischen Hilfsmittel sind für neurodiverse Schüler:innen geeignet. Ein Beispiel aus seinem Alltag sind Vorlesefunktionen, die nicht individuell angepasst werden können. Oder digitale Schulbücher, die von Verlagen nicht maschinenlesbar zugänglich gemacht werden. Genauso sollten Lehrkräfte ihre Lernmaterialien digital zur Verfügung stellen.

    Tartz fordert, dass die Benutzung digitaler Tools aktiv über den Unterricht hinaus gefördert wird. Nur so kann ermöglicht werden, dass diese auch außerhalb des Schulkontextes selbstbestimmt genutzt werden können. Handy-Verbote seien kontraproduktiv. Zudem brauche es Räume, in die sich Schüler:innen zurückziehen können. Zum Einsprechen oder Anhören der Aufgaben, aber auch falls das Lernen in großen Gruppen schwerfällt. Hybrider Unterricht könnte die Brücke sein, um trotz der räumlichen Distanz am Unterricht teilzuhaben.

    Individuelle Lernwege nützten aber wenig, wenn sich nachher alle einem standardisierten Prüfungssystem stellen müssten, macht Tartz klar. Wenn sich das Verständnis von Intelligenz und Leistung im Schulsystem nicht ändern, wirke dieses spätestens bei der Abschlussprüfung wieder exkludierend. Da helfen dann auch hybride Unterrichtsmethoden wenig.

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    News

    Neue Smart Schools bei Bitkom-Bildungskonferenz

    Seit 2016 kürt eine Jury des Branchenverbands Bitkom jährlich sogenannte Smart Schools. Die ausgezeichneten Schulen sollen vorbildhaft in ihrer Umsetzung des digitalen Lernens sein und als bundesweites Netzwerk mit Modellcharakter vorangehen. Bei der Bitkom-Bildungskonferenz am 9. und 10. März werden die diesjährigen Smart Schools ausgezeichnet. Die Deutsche Telekom unterstützt den Wettbewerb finanziell und sitzt mit Aufsichtsrätin Stefanie Kreusel in der Jury. Diese bewertet die teilnehmenden Schulen unter anderem in den Kategorien Infrastruktur, pädagogisches Konzepte und Inhalte sowie Lehrerfortbildung. Für 2022 haben sich 60 Schulen beworben, sagt die Bitkom-Bildungsreferentin Elisabeth Allmendinger. Wer gewinnt, erfahren die Konferenzteilnehmer am Mittwoch, 9. März. Als “Top Speaker” kündigt Bitkom die deutsche Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, Estlands Bildungsministerin Liina Kersna und Detlef Scheele, den Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit an.

    “Bei der Digitalisierung von Schulen ist nie ein klares Ziel erreicht – das ist ein fortlaufender Prozess“, sagt Allmendinger. Die neuen Smart Schools seien deshalb solche, von denen andere Schulen besonders viel lernen können. Der Wettbewerb unter den Schulen sei vor allem in diesem Jahr besonders stark gewesen. Viele Schulen hätten eine Auszeichnung verdient, aber nur wenige bekommen sie. Schulen, die sich für das nächste Jahr bewerben wollen, finden auf der Smart-School-Checkliste wichtige Aspekte, auf die sie bei ihrer Bewerbung aufmerksam machen sollten. “Manche Schulen sind  besonders gut im Bereich digitale Infrastruktur oder Lehrkräftequalifizierung – andere Schulen sind im Bereich kreative Unterrichtsinhalte stärker.” Eine perfekte digitale Schule gebe es nicht. Eben diese Vielfalt sei laut Allmendinger eine große Stärke des Netzwerks. Schulleitungen und Lehrer, die sich für die Methoden der einzelnen Schulen en Detail interessieren, verweist sie gern an die Siegerschulen. Die Bitkom-Website stellt eine  Liste aller Smart Schools bereit.

    “Die Pandemie hat offengelegt, wie es um die Digitalisierung der Schulen bestellt ist”, sagt Allmendinger. Sie kritisiert, dass der gegenwärtige Stand der Digitalisierung an vielen Schulen noch nicht das leisten kann, was für eine “selbstbestimmte Teilhabe an der digitalen Welt notwendig wäre”. Um diesem Zustand zu begegnen, fordert sie eine Beschleunigung des Abrufens und Auszahlens der Gelder aus dem Digitalpakt und eine Verstetigung der bundesweiten Bildungsförderung – und eben kein Entlanghangeln von Digitalpakt zu Digitalpakt. “Es braucht ein langfristiges und auskömmliches Finanzierungskonzept, damit die Schulen Sicherheit haben”, sagt Allmendinger. Ebenfalls essenziell seien mehr Sichtbarkeit für gute pädagogische Konzepte und eine bessere Lehrkräftequalifizierung in Sachen digitale Lehre. Enno Eidens

    • Digitales Lernen

    Berlin bietet Willkommensklassen für ukrainische Schüler

    Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) findet sogenannte Willkommensklassen für aus der Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche wünschenswert. “Wir haben die Verpflichtung, die Kinder sehr zeitnah in Schule zu bringen”, sagte die SPD-Politikerin. Das solle zunächst in den vorhandenen Klassen passieren. “Wenn in jeder Klasse ein zusätzlicher Stuhl steht für ein Kind mit entsprechender Ausstattung, ist das zu verkraften”, sagte Giffey gestern. Willkommensklassen seien eine Perspektive und würden vorbereitet. Sie wies darauf hin, dass die eigenen Klassen für Geflüchtete aus Syrien nach 2015 ein Erfolgsmodell gewesen seien. “Ich stehe nach wie vor zu diesem Konzept.”

    Prognosen rechnen mit vier bis fünf Millionen ukrainischen Flüchtlingen, die in nächster Zeit in die EU fliehen werden, darunter auch viele Kinder und Jugendliche. Amnesty International appelliert an die Einhaltung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts und verweist auf die Safe Schools Declaration, die Russland allerdings unterzeichnet hat. Recherchen des investigativen Recherchenetzwerks Bellingcat zeigen, dass die von Russland eingesetzten Streumunitionen auch Schulen treffen. In der Ukraine haben durch die aktuelle russische Invasion laut UNICEF mehr als 350.000 Kinder keinen Zugang zu Bildung. In den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten sind Schulen derzeit geschlossen. Seit Beginn des Konflikts 2014 wurden mehr als 750 Schulen beschädigt, besonders in der Krisenregion Donezk. Dort wurde allein bis 2016 jede fünfte Bildungseinrichtung zerstört oder beschädigt. Anouk Schlung mit dpa

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    Presseschau

    Fortbildungen für Lehrkräfte: Lehrer wollen lernen ZEIT
    Ukraine-Krieg: Schüler informieren sich primär über öffentlich-rechtliche Medien NEWS4TEACHERS
    Soziolog:innen fordern Verankerung von Antisemitismusbekämpfung in Lehrkräfteausbildung NEWS4TEACHERS
    Kultusminister ruft zu Schweigeminute in Schulen auf BILDUNGSKLICK
    DAAD schränkt wissenschaftlichen Austausch mit Russland ein BILDUNGSKLICK
    Umfrage: Wie Hochschulen im Norden für das Sommersemester planen T-ONLINE

    Termine

    02.03.2022, 15:00-16:30 Uhr
    Fortbildung Wie können Lehrkräfte an beruflichen Schulen “Fake News” begegnen?
    In dieser Veranstaltung wird diskutiert, wo Lehrer:innen in der beruflichen Bildung ansetzen können, wenn Schüler:innen Fake-News und Verschwörungstheorien verbreiten. Christina Ewers (Schulleiterin am Berufskolleg Senne) und Silke Schleppenbäumer (Bildungsgangleitung für die Berufsfachschule Typ I) leiten das Webinar und widmen sich Fragen wie der welche Erfahrungen Lehrende an beruflichen Schulen mit Themen wie Falschinformationen und Verschwörungsmythen machen oder
    wie Lehrkräfte den Schüler*innen vermitteln, “Fake News” als solche zu erkennen und ggfs. Handlungskompetenz in diesem Bereich zu erlangen können.
    INFOS & ANMELDUNG

    05.03.2022
    Aus- und Weiterbildung Virtueller Sprachentag: Unterrichten im Berufssprachkurs
    Für Berufssprachkurse ändert sich 2022 viel: Nur noch zugelassene Lehrwerke dürfen eingesetzt werden, neue Prüfungen werden durchgeführt, die Zusatzqualifikation wird zur Pflicht.
    In den BSK-Schwerpunktwochen werden diese Neuerungen und unterschiedliche Aspekte des Unterrichtens beleuchtet. Sprache in Beruf und Arbeitswelt werden in den Fokus gestellt: Was sind die Anforderungen, wie kann man sie überprüfen? Wie können Lehrwerke eingesetzt werden und wie können Unterrichtende den Lernprozess begleiten? 
    ANMELDUNG

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