Studienergebnisse, die der gesamten Politik eine Ohrfeige geben. Davon sprach KMK-Präsidentin Karin Prien als sie den IQB-Bildungstrend vergangenen Freitag vorstellte. Jeder fünfte Viertklässler erreicht die Mindeststandards in Mathematik und Deutsch nicht. Die Pandemie hat diesen Trend, der seit zehn Jahren anhält, weiter verschärft. Dabei sind die getesteten Viertklässler in einer digitalisierten Umgebung aufgewachsen. Hätte der Umstieg auf Online-Unterricht da nicht leichter fallen müssen? Nein, sagt die Grundschuldidaktikerin Annemarie Niklas im Interview. Auf mehreren Ebenen haben Schulen, Eltern und Behörden versagt.
Das Nachbeben der Schulschließungen beschäftigt uns auch in einer Geschichte aus Baden-Württemberg. Dort warten Lehrkräfte noch immer auf eine amtliche E-Mail-Adresse. Nun darf wohl eine halbstaatliche Anstalt die 130.000 digitalen Arbeitsplätze bauen. Das Kultusministerium musste sich nicht durch trockenes Vergaberecht kämpfen, sondern fand eine Lösung, um den Mega-Auftrag gegebenenfalls auch ohne Ausschreibung zu vergeben. Im Südwesten gibt es indes noch mehr seltsame Bewegung auf der Bildungsplattform, wie Christian Füller analysiert.
In den News blicken wir in die Länder: Die findigen Stuttgarter schicken diesen Sommer wieder tausende Lehrkräfte in die Arbeitslosigkeit, um den Haushalt im Ländle zu schonen. In NRW interessiert uns, wer die neue Schulministerin ist und dass dort Distanzunterricht auch nach der Pandemie möglich sein soll. Und die Bertelsmann-Stiftung rechnet vor, welche Bundesländer überhaupt eine Chance haben, die Ganztagsbetreuung für alle in diesem Jahrzehnt umzusetzen.
Zum Schluss noch ein Hinweis in eigener Sache: Zu unserem Team ist die Journalistin Anna Parrisius gestoßen. Wir freuen uns sehr, mit Anna gemeinsam noch mehr Themen im Bildung.Table zu vertiefen. Sie dürfen gespannt sein. Übrigens: Wenn Sie uns Kritik, Lob oder Anregungen für die Recherche senden möchten, erreichen Sie uns unter bildung@table.media. Wir lesen gerne von Ihnen.
Eine gute und erkenntnisreiche Lektüre wünscht Ihnen,
Alle fünf Jahre untersucht das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) die Kompetenzen von Viertklässlern in Mathematik und Deutsch. Im Sommer 2021 wurden bundesweit 26.000 Viertklässler getestet. Erste Ergebnisse präsentierte das Institut zusammen mit der KMK am vergangenen Freitag. Jedes fünfte Kind erreicht in der vierten Klasse nicht die Mindeststandards in Deutsch und Mathematik. Der Anteil ist seit 2011 um sechs bis zehn Prozent gestiegen. Auch verstärkt sich der Zusammenhang von sozialer Herkunft und erreichtem Kompetenzniveau. KMK-Präsidentin Karin Prien sagte: “Das ist nicht nur eine Ohrfeige für uns Kultusminister, sondern die ganze Politik.”
Frau Niklas, haben die Ergebnisse Sie überrascht?
Nein, leider nicht. Zwar wurden seit der ersten PISA-Studie eine Reihe von Programmen aufgelegt, vor allem auch für die Förderung der Lesekompetenz, gebracht haben sie aber scheinbar zu wenig. Die Ergebnisse hätten besser ausfallen müssen.
Woran liegt es?
Ich bin mir sicher, dass die Pandemie, und damit Schulschließungen und Distanzunterricht, ein ganz großer Faktor ist. Eine ebenso große Rolle spielt die Heterogenität der Schülerschaft. Sie hat in den vergangenen zwanzig Jahren immens zugenommen. Sechs- bis Zehnjährige bekommen ihren Input und ihre Lernanlässe zum großen Teil aus der Familie und deren Umfeld. Die Schule kann und muss hier ausgleichen. In der Pandemie ist dieses Korrektiv größtenteils weggebrochen. Das hat soziale Ungleichheit und Lernunterschiede verstärkt.
Je jünger die Kinder, desto schwieriger der Distanzunterricht. Warum ist das eigentlich so? Es wurde der Jahrgang 2011 getestet. Das sind Kinder, die sich eine Welt ohne digitale Medien nicht vorstellen können. Gute Voraussetzungen für digitalen Unterricht, oder?
Das hängt von ihrem sozialen Umfeld ab und den Erfahrungen, die sie mitbringen. Ein Kind kann ein Youtube-Video schnell und selbstständig anklicken? Schön und gut, aber das sagt nichts darüber aus, ob es auch im schulischen Kontext etwas digital lernen kann. Ohne Begleitung wird es meist keinen Lernerfolg geben. Wenn ein Kind in die erste Klasse kommt, muss es erst lernen, Schulkind zu sein – dass es zum Beispiel im Unterricht sitzen bleibt und nicht einfach in den Pausenhof spaziert. So müssten Kinder auch lernen, wie sie digitale Geräte in der Schule nutzen. Das haben sie bisher nicht gelernt. Dem stellen sich die Schulen jetzt aber.
Eine Jahrhundertpandemie traf auf digital schlecht vorbereitete Kinder. Welche Rolle spielt die Ausstattung der Grundschulen?
Eine große. Die Verantwortlichen haben die Kinder schon im Vorfeld der Pandemie auf mehreren Ebenen im Stich gelassen, sodass der digitale Unterricht in vielen Grundschulen nicht funktionierte. Der Input, den es zum Lernen braucht, war daher nicht auf digitales Lehren und Lernen zugeschnitten. Der digitale Stoff benötigt aber gute fachliche Aufbereitung und viele Lehrkräfte hatten da überhaupt keine Erfahrungen.
Auf welchen anderen Ebenen hat es gehapert?
Die Technik war nicht da. Und die, die da war oder angeschafft wurde, hat zum Teil nicht funktioniert. Grundschülerinnen und -schüler sind nicht geduldig. Wenn die Videokonferenz nicht sofort geht, schalten sie ab. Auf der Ebene des Outputs, also was die Schülerinnen und Schüler vom digitalen Unterricht mitnehmen, hat es nicht funktioniert, weil die Eltern sie oft nicht adäquat begleiten konnten. Kinder sind auf eine gute Lernumgebung angewiesen. Das heißt: Abwechslung zwischen Konzentrations- und Spielphasen. Das hat alles im Distanzunterricht nicht funktioniert.
Sie begleiten Lehramtsstudierende und besuchen viele Schulen. Wo haben Sie guten Distanzunterricht erlebt?
Generell würde ich sagen: Wir alle, als Gesellschaft, waren null vorbereitet. In den Schulen lag es am Engagement der Lehrer, Eltern oder auch der Behörden. Grundschulklassen sind alle extrem unterschiedlich. Wir haben unheimlich bunte Klassen, die haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse. In Erinnerung ist mir eine Dorfschule geblieben. Im ersten Lockdown hat die Lehrerin jeden Montag ein Materialpaket an die Tür all ihrer Schüler gehängt, unter der Woche per Teams konferiert und am Freitag die Arbeitsblätter wieder abgeholt. Im städtischen Augsburg hat eine Grundschule, die vorher digital gut aufgestellt war, ganz strikten, getakteten digitalen Unterricht mit Powerpoint-Präsentationen gemacht. Das hat für viele hervorragend funktioniert. Manche Schüler und Schülerinnen wurden da aber überhaupt nicht erreicht.
Sie sind Herausgeberin des Grundschulmagazins, veröffentlichen zu digitaler Deutschdidaktik. Viele Grundschulen haben in den vergangenen zwei Jahren einen digitalen Sprung gemacht. Könnte das helfen, dass der nächste IQB-Bericht eine Trendumkehr abbildet?
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass digitale Medien den Unterricht nicht per se besser machen. Es kommt auf fachlich gut ausgebildete Lehrkräfte an. Die können guten Deutschunterricht auch mit Tafel und Heft machen, wobei natürlich zum Beispiel Smartboards und Tablets bei überlegtem Einsatz wichtige zusätzliche Möglichkeiten bieten. Ein großes Problem ist sicher, dass viele Fachfremde an den Schulen arbeiten. Die Stärke von digitalen Medien sehe ich besonders in der Individualisierung von Unterricht.
Warum hat man diesen Vorteil nicht früher erkannt?
Ich denke, ein großes Problem ist, dass die technische Ausstattung so viel Einarbeitungszeit verlangt oder gar nicht funktioniert. Wenn ein Handwerker einen Schrank zusammenbaut, kann er das mit einem Akkuschrauber besser als mit einem Schraubenzieher. Wenn der Akkuschrauber aber nicht zuverlässig funktioniert, wird er immer auf den Schraubenzieher zurückgreifen.
Um im Bild zu bleiben: Viele Grundschulen haben sich lange Jahre verweigert, überhaupt Akkuschrauber anzuschaffen und ihren Lehrkräften abgewetzte Schraubenzieher in den Didaktik-Koffer gelegt.
Oder sie hatten ganz neue Maschinen, mit denen keiner umgehen kann. Ein großes Problem ist: Zusätzlich zu den modernen Geräten braucht es auch Ansprechpartner, die sie einrichten und warten können. Wir haben jetzt Erfahrungen mit digitalen Medien gesammelt und ich sehe eine große Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Die Didaktiken bieten vielversprechende Ansätze. Was fehlt, sind IT-Ansprechpartner an den Schulen.
Laut IQB-Bericht ist die Schulzufriedenheit der Kinder während der Pandemie gestiegen. Warum?
Das lag wohl daran, dass die Kinder dankbar waren, dass ihnen jemand etwas zugespielt hat. Das waren ja teilweise belastende Zustände im tristen Corona-Alltag der Familien. Wenn die Schule sich, analog oder digital, gemeldet hat, war das ein Lichtblick im Leben der Kinder.
Annemarie Niklas ist Akademische Oberrätin und unterrichtet Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Augsburg. Vergangene Woche erschien ihr Buch “Digitale Medien im Deutschunterricht” (Cornelsen-Verlag).
Es dürfte der größte Schul-Auftrag für den halbstaatlichen IT-Dienstleister Dataport sein, den er je erhalten hat. Eines der großen Bundesländer will dem Ausrüster den Auftrag erteilen, 130.000 Lehrkräfte mit einem digitalen Arbeitsplatz auszustatten. Der bevorstehende Deal ist in zweierlei Hinsicht spannend: Zum einen greift das bisher vor allem im Norden ansässige Dataport nun auf die Märkte im Süden des Landes aus. Zum anderen soll dieses Geschäft über die Bühne gehen, ohne dass eine Ausschreibung erfolgt. Möglich machen soll das die Mitgliedschaft von Dataport bei GovDigital, einer Genossenschaft, zu der auch Baden-Württembergs IT-Dienstleister BITBW gehört. So lassen sich Markt und sonst übliche Vergaberegeln umgehen.
Das überraschende Manöver mit Dataport ist allerdings nicht die einzige Bewegung auf der Bildungsplattform in Baden-Württemberg. Gleichzeitig fliegen 2.500 Schulen mit ihren Moodle-Accounts bei BelWü (Baden-Württembergs extended LAN) raus. Das Landeshochschulnetz BelWü hostete bislang das Lernmanagementsystem Moodle für die Schulen. Der Umzug kommt zur Unzeit, da sich die Schulen gerade erst in Größenordnungen in Moodle eingearbeitet hatten. Das Kultusministerium hatte im Zuge dessen massiv in Serverkapazitäten investiert.
Sieht man sich die Geschichte der Bildungsplattform Baden-Württembergs an, so steht zu befürchten, dass das Leiden mit den Lernwolken im Südwesten noch nicht zu Ende ist. Das Hightech-Land legte das erste spektakuläre Scheitern der Schulcloud-Geschichte hin. Die “Elektronische Lehr- und Lernassistenz” Ella kostete 47 Millionen, statt vier Millionen Euro – und kam nie richtig ins Laufen. Der jetzige Auftrag an die “Anstalt des öffentlichen Rechts” Dataport ist also ein Reparaturversuch. Denn die Lehrerinnen und Lehrer in Baden-Württemberg haben immer noch keine einheitliche amtliche Mail-Adresse. Auch der Plan des Ministeriums, Microsoft in dem Südstaat als Lehrerdienstleister zu etablieren, scheiterte. Denn es gelang nicht, so Landesdatenschützer Stefan Brink, für den Einsatz von MS365 “eine datenschutzkonforme Lösung zu finden.” Die Frage in der pädagogischen und IT-Szene lautet nun: Wie oft kann sich ein Bundesland eigentlich in die Nesseln setzen, ohne dass das Konsequenzen hat?
Die Vergabe der digitalen Lehrerkommunikation für 130.000 Lehrkräfte an Dataport wird erneut als Pilotprojekt geführt. Bei den am Markt etablierten Konkurrenten ruft das Verwunderung vor. Ist man sich nicht sicher, ob es Dataport gelingen könnte, hunderttausend Lehrer unfallfrei miteinander zu verknüpfen? So jedenfalls lesen sich die Äußerungen des zuständigen Beamten im Ministerium. “Der Pilot findet in Schulen aller Schularten statt”, schrieb Ralf Armbruster auf Twitter. “Diese werden alles auf Herz und Nieren prüfen: Funktionalität, Lastverhalten, Schulalltagstauglichkeit.”
Der Lehrerarbeitsplatz war ursprünglich als Eigenentwicklung in Ella geplant. Das ging schief. Dann nutzte das Ministerium die Pandemie, um Microsoft zuzulassen. Jetzt, ohne Ausschreibung, der Schwenk zu Dataport. Aber auch das scheint noch nicht das letzte Wort. Die Pilotphase dient offenbar dazu, die Entscheidung offenzuhalten. Man habe sich entschlossen, teilte ein Sprecher des Ministeriums mit, “Microsoft erstmal nicht zu verwenden.”
Dataport hingegen ließ im Gespräch mit Bildung.Table versichern, das Projekt stemmen zu können. Es werde die “dPhoenix Suite” als Arbeitsplatz getestet, dazu gehören eine Reihe von open source-Lösungen wie Nextcloud, Collabora, Jitsi, Ox, Matrix und Univention. Dataport gab an, genug Serverpower bereitzuhaben, um den Betrieb für über hunderttausend Lehrkräfte zu gewährleisten. Bisher ist der größte Kunde die Lehrerschaft in Schleswig-Holstein, rund 37.000 Personen. Die Tragkraft von Dataport, so ein Sprecher, garantiere die Zusammenarbeit mit Ionos, dem größten Webhoster Europas.
Die beiden IT- und Cloudprofis Nextcloud und Ionos sind in Karlsruhe und Stuttgart zu Hause. Dass sie über den Umweg der norddeutschen Staats-Beauftragten Dataport nun doch in ihrem Stammland zum Zug kommen sollen, ist nicht ohne Ironie. Die Geschäftsführer Frank Karlitschek (Nextcloud) und Achim Weiß (Ionos) hatten lange direkt mit der Cloud-Abteilung des Stuttgarter Bildungsministeriums verhandelt. Sie schrieben sogar einen offenen Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann, um gegen die Bevorzugung Microsofts zu protestieren. “Wir jammern nicht”, sagte Achim Weiß damals in einem Interview. “Die Menschen in diesem Land wissen oft nicht, dass es exzellente deutsche Lösungen im IT-Bereich gibt. Das wird meines Erachtens auch durch ein wirksames Lobbying von Microsoft vernebelt.” Umso mehr dürfte Ionos und Nextcloud freuen, dass sie nun doch zum Zuge kommen – erneut durch eine Besonderheit im deutschen Vergaberecht, das Ausschreibungen in bestimmten Fällen obsolet macht.
Im Falle des Lernmamagementsystems Moodle läuft es andersherum: Ohne Ausschreibung geht hier gar nichts. Derselbe Beamte, der bei Dataport den Bypass setzt, teilt für den Rauswurf von Moodle mit: “In diesen Dimensionen sucht man sich ein LMS nicht aus, sondern führt ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren durch.” Aus Gründen der ministeriellen Abgrenzung muss der hochschulische Betreiber BelWü Hosting und Support von Moodle für Schulen in Baden-Württemberg abgeben. “Das Wissenschaftsnetz steht in den nächsten Jahren vor der Herausforderung, seine Aktivitäten im Bereich der Netz- und Informationssicherheit auszuweiten“, begründete ein Sprecher von Wissenschaftsministerin Bauer die Trennung.
Über den Verbleib der teuren Hardware sind sich die beiden grün geführten Ministerien offenbar uneinig. Das Kultusministerium unter Theresa Schopper teilte Bildung.Table mit, die Server würden nicht mitgenommen. Das Wissenschaftsministerium unter der Grünen Theresia Bauer wiederum sieht die ebenfalls grüne Schulkollegin Schopper in der Verantwortung. Streiten die beiden am Ende darum, wer den in der Pandemie aufgerüsteten Serverpark zum Elektroschrott fährt? Jedenfalls lässt das Statement aus dem Bildungsministerium alle Fragen offen. “Die in der Pandemie angeschaffte Hardware aus dem Frühjahr 2020 wird zum angenommenen Ablösungszeitpunkt gemäß den Fristen einer betriebsüblichen Nutzungsdauer turnusgemäß für eine Erneuerung anstehen und daher nicht beim neuen Dienstleister einer weiteren Verwendung zugeführt werden.” Alles klar?
In der Szene der Moodlefreunde ruft der rein administrativ begründete Umzug Entsetzen hervor. Warum müsse die aktive, bei BelWü und an den Schulen beheimatete “Moodlebande” zerrissen werden, fragen Kritiker. “Die Moodle-Community in Baden-Württemberg ist sehr aktiv”, lautet die Antwort des Ministeriums: “Die Aktivitäten sind ohne Umstellung auch beim Betrieb von Moodle durch einen neuen Anbieter möglich.”
Jedes Grundschulkind hat bis Ende des Jahrzehnts Anspruch auf Ganztagsbetreuung – ab dem Schuljahr 2026/2027 Kinder der 1. Klasse, ab 2029/2030 alle Klassen. Doch für die Umsetzung fehlen zehntausende Erzieherinnen und Sozialpädagogen, das ergibt der “Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule” der Bertelsmann-Stiftung. Insgesamt könnten mehr als 100.000 pädagogische Fachkräfte fehlen.
Vor allem in den westdeutschen Bundesländern könnte die Umsetzung des Rechtsanspruchs schwierig werden. Bislang sind dort 47 Prozent der Grundschulkinder in der Ganztagsbetreuung, 18 Prozent nutzen ein Übermittagsangebot. Sollte jedem Grundschulkind bis 2030 ein Ganztagsangebot gemacht werden, bräuchte es mehr als eine Million zusätzliche Plätze und rund 76.000 Fachkräfte. Selbst wenn nur die aktuelle Quote Ostdeutschlands angepeilt würde – dort werden vier von fünf Grundschülern bereits ganztags betreut – fehlten noch 55.000 Fachkräfte. Und auch wenn ein Teil der Kinder weiter das Übermittagsangebot nutzt, bleibt ein Minus von 34.000 Fachkräften, heißt es in der Studie.
In den ostdeutschen Bundesländern sehen die Studienautoren Mängel bei der personellen Situation in Grundschulen und Horten. Sie schlagen vor, den Personalschlüssel auf West-Niveau (1:6) zu bringen, rund 26.000 zusätzliche Fachkräfte wären hierfür nötig.
Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) kritisiert die Forderung. Er betont, man müsse bei der Betreuungsqualität auch die Ausbildung des Hort-Personals betrachten. Diese sei in Sachsen vergleichsweise gut. Im Freistaat liegt das Betreuungsverhältnis laut Berechnung aktuell bei etwa 1:15. Eine Verbesserung auf 1:6 würde Piwarz zufolge fast 640 Millionen Euro zusätzlich kosten. Die Studienautoren meinen, es könnten Bundesmittel aus dem Ganztagsförderungsgesetz genutzt werden. Ein Problem sehen sie allerdings, ebenso wie das sächsische Kultusministerium, in fehlenden Fachkräften.
Ein gutes Zeugnis stellt die Studie allein Berlin, Hamburg und Thüringen aus. Dort gebe es bis 2030 genügend Personal, um jedem Grundschulkind einen Ganztagsplatz anzubieten – bei gutem Betreuungsschlüssel. anpa mit dpa
Dorothee Feller (CDU) wird das Schulministerium des bevölkerungsreichsten Bundeslandes führen. Die Personalentscheidung war mit Spannung erwartet worden. Im Düsseldorfer Politikbetrieb ist die Juristin und Regierungspräsidentin aus Münster noch wenig bekannt. Verwaltungserfahrung bringt die 56-Jährige mit. Pragmatismus und Konfliktfähigkeit offenbar ebenso, sie ist geprüfte Mediatorin.
Das Amt gilt als äußerst unbeliebt. Die frühere Amtsinhaberin Sylvia Löhrmann (Grüne) schlug im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger vor, einen unabhängigen Experten dafür zu finden. Die Grünen hatten Medienberichten zufolge kein Interesse an dem Amt bekundet. Wie Sylvia Löhrmann ist auch Fellers Vorgängerin Yvonne Gebauer (FDP) in dem Amt gescheitert – ihre Parteien wurden durch die Wähler abgestraft. Die FDP-Ministerin hatte in der Pandemie-Politik einen Schlingerkurs verfolgt. Zudem war die Schulsoftware Logineo ein Flop (Bildung.Table berichtete).
Dorothee Feller will die A13-Besoldung angleichen, 10.000 neue Lehrer gewinnen und frühzeitig Vorkehrungen für die nächste Corona-Welle treffen. Außerdem soll der 2014 zwischen Rot-Grün und den Christdemokraten beschlossene “Schulfrieden“, der den Streit über die Schulstruktur beendete, auch nach Ablauf der 12-Jahre-Frist weiter gelten. Zwei weitere interessante Details sieht der Koalitionsvertrag vor: An Schulen in NRW darf der Unterricht künftig erst um 9 Uhr beginnen, sofern die Schulkonferenz dem zustimmt. Und die Landesregierung möchte die Schulen darauf vorbereiten, auch einzelne Schülerinnen und Schüler unabhängig von Corona bei Bedarf auf Distanz unterrichten zu können. “Wenn eine einzelne Schülerin oder ein einzelner Schüler nicht am Präsenzunterricht teilnehmen kann, muss ein adäquates Lernangebot gemacht werden”, heißt es im Koalitionsvertrag.
Eltern- und Lehrerverbände zeigen sich hoffnungsvoll angesichts der Benennung der neuen Ministerin. Die Landeselternschaft der Gymnasien in NRW e.V. begrüßt in einer Pressemitteilung, dass vorerst keine Schulreformdebatten mehr geführt werden sollen. Anke Staar von der Landeselternkonferenz NRW betont gegenüber Bildung.Table, von Dorothee Feller bereits ein Gesprächsangebot unterbreitet bekommen zu haben. Auch Andreas Bartsch vom Nordrhein-Westfälischen Lehrerverband traut Dorothee Feller die große Aufgabe zu. Ebenso gesprächsbereit, aber deutlich zurückhaltender äußert sich der schulpolitische Sprecher der SPD, Jochen Ott, gegenüber dem WDR: Die Herausforderungen in der Schulpolitik seien so groß, “dass es über reines Verwaltungshandeln hinaus gehe“. Janna Degener-Storr
Jedes Jahr haben sie das Nachsehen: Befristet angestellte Lehrkräfte, bei denen vor den Sommerferien der Vertrag ausläuft. Auf diese Praxis zu verzichten, würde Baden-Württemberg 14,83 Millionen Euro kosten, teilt das Kultusministerium auf Anfrage des bildungspolitischen Sprechers der SPD-Landtagsfraktion, Stefan Fulst-Blei, mit. Geld, welches das Land laut Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) zufolge nicht hat.
Aktuell sind in Baden-Württemberg laut Ministerium etwa 4.350 Lehrkräfte befristet angestellt, darunter 460 Pensionäre und 600 Lehrerinnen und Lehrer, die zur Beschulung geflüchteter Kinder aus der Ukraine eingestellt wurden. Rechnet man letztere heraus, ist die Zahl der befristet angestellten Lehrer in Baden-Württemberg im Vergleich zum Vorjahr leicht zurückgegangen. Laut eines Berichts der Bundesarbeitsagentur vom November meldeten sich 2021 in dem Bundesland 1600 Lehrkräfte in den Sommerferien arbeitslos, in Bayern waren es 820, die sich überhaupt bei der Behörde meldeten. Daneben zeigte sich das Phänomen der kurzfristigen Lehrer-Arbeitslosigkeit in den Sommerferien besonders deutlich in Hamburg und Niedersachsen.
In Baden-Württemberg führt das Kultusministerium als Grund für die befristete Anstellung bis zu den Sommerferien an, “dass das Land damit auf Krankheiten, Ausfälle aufgrund von Schwangerschaft oder anderen kurz- oder mittelfristigen Vertretungsbedarf reagiert.” Zu Beginn eines Schuljahrs sei noch nicht abzusehen, ob im neuen Schuljahr ein Vertretungsbedarf bestehe, weil zum Beispiel eine Lehrkraft zum neuen Schuljahr aus Elternzeit wieder zurückkehrt. Monika Stein, Vorsitzende der GEW Baden-Württemberg, kritisiert: “Durch Corona verschärft sich der bestehende Lehrermangel extrem, trotzdem präsentiert sich die grün-schwarze Landesregierung als Arbeitgeber ohne Verantwortung.” Anna Parrisius
Die Lage ist dramatisch, sagt Lukas Pohland. “Die Pandemie war ein Booster in eine schlechte Richtung.” Der 17-jährige Schüler ist Gründer und Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins Cybermobbing-Hilfe e.V. Mit seinem Team unterstützt und berät er Jugendliche, die mit Hasskommentaren und Mobbing im Internet konfrontiert sind. Damit aber noch nicht genug: Seit März dieses Jahres ist Lukas Pohland im Beirat der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz, um sich dort für die Interessen von Jugendlichen einzusetzen. Er ist eines von zwei Mitgliedern, die unter 18 Jahre alt sind.
Mit zwölf Jahren war Pohland selbst von Cybermobbing betroffen. Als er einer Mitschülerin gegen die Mobbing-Attacken von Schulkameraden helfen wollte, wurde er auch zur Zielscheibe. Hilfe hätten sie damals keine bekommen. Die Schule wies sie ab mit der Begründung, dass das Mobbing außerhalb des Unterrichts stattfinde. Und auch die Polizei fühlte sich nicht verantwortlich, da alle Beteiligten unter 14 Jahre alt waren. So wurden Pohland und seine Mitschülerin von Tür zu Tür geschickt. Das Mobbing hörte erst auf, als beide die Schule wechselten. “Es war einfach nicht mehr auszuhalten”, sagt Pohland.
Schon früh hatte er die Idee, ausgehend von den eigenen Erfahrungen eine Plattform mit Hilfsangeboten für Opfer von Cybermobbing zu gründen. “Ich wusste, wie hilflos Betroffene sein können. Mir war klar, ich möchte etwas tun und anderen helfen.” Angefangen mit einer Telefonberatung für Betroffene gründete er im November 2018 den gemeinnützigen Verein. Heute gehören zu Pohlands Team zehn ehrenamtliche Jugendliche, die neben einer Online-Beratung auch Präventionsarbeit für Schulen anbieten. Die jungen Beraterinnen und Berater werden von Medienpädagogen unterstützt.
“Cybermobbing ist psychischer Terror“, sagt Pohland. Meistens beginne es mit Beleidigungen im direkten Austausch in Messengern und Direktchats. In manchen Fällen komme eine größere Öffentlichkeit hinzu und das Mobbing setze sich für andere sichtbar in sozialen Medien wie Snapchat, Instagram oder TikTok fort. Auch intime Fotos und Videos würden dabei geteilt. Oft Aufnahmen, die ohne Zustimmung der Betroffenen, beispielsweise in der Umkleidekabine, gemacht wurden.
Cybermobbing ist in Deutschland kein eigener Straftatbestand. Das zu ändern, ist eine von Pohlands wichtigsten politischen Forderungen. Denn Mobbing im Internet ist nicht erst seit Covid-19 ein Problem: “Die Entwicklung ist schon seit Jahren so, dass es immer mehr Fälle gibt.” Grund dafür sei die fehlende Medienkompetenz – bei Schülerinnen und Schülern sowie bei Lehrkräften.
Erfahrungsgemäß würden Internet und Smartphones noch immer aus dem Unterricht verbannt. Ganz nach dem Motto: Wenn wir nicht darüber sprechen, dann passiert auch nichts. Aber das sei genau der falsche Weg. “Wenn man die Gefahren nicht anspricht, schafft man Raum für Cybermobbing”, so Pohland. Es sei wichtig, Schülern einen positiven Umgang mit Medien zu vermitteln. Gleichzeitig müsse man auch die Gefahren benennen und aufklären, was man im Falle von Mobbing tun könne.
Außerdem: “Medienkompetenz kann nicht an ein oder zwei Projekttagen vermittelt werden”, sagt Pohland und fordert, Medienkompetenz fächerübergreifend zu erarbeiten. Daneben sollten Schulen sich verpflichtend um Cybermobbing-Prävention kümmern. Außerdem müssten die notwendigen Strukturen geschaffen werden, um im Ernstfall schnell und gut reagieren zu können. “Eins muss feststehen: Es kann nicht sein, dass die Betroffenen die große Last des Schulwechsels tragen müssen.”
Aber auch auf politischer Ebene muss sich Pohland zufolge einiges verändern, um Kinder und Jugendliche im Internet besser zu schützen. In den Beirat der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz will Lukas Pohland – ausgehend von seiner eigenen Geschichte – einbringen, welche Risiken in der digitalen Welt für die junge Generation bestehen. Aber auch, welche Regeln und Freiräume es braucht, damit Jugendliche sich im Internet ausprobieren und entwickeln können. Lisa Winter
02. bis 10. Juli 2022
Messe: IdeenExpo
“Mach doch einfach” ist das Motto, unter dem die diesjährige IdeenExpo stattfindet. Die Messe hat sich auf die Fahne geschrieben, bei Jugendlichen Neugierde und Interesse für technische und naturwissenschaftliche Ausbildungsberufe und Studienfächer zu wecken. Durch interaktive Mitmach-Formate, Bühnenshows, Workshops und Konzerte sollen Schüler, Studierende, Lehrkräfte und Eltern gleichermaßen mit Technik und Berufsorientierung in Berührung kommen. INFOS
12. Juli 2022, 12:00 bis 13:00 Uhr
Forschungskolloquium: Hochschulforschung im Dialog: Gamifizierung im Flipped Teaching
Im Zuge des diesjährigen Forschungskolloquiums des Bayerischen Staatsinstituts für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF) mit dem Thema “Digitales Lehren und Lernen” referiert Prof. Dr. Maximilian Sailer von der Universität Passau über die Gamifizierung im Flipped Teaching. INFOS
13. Juli 2022, 15:30 bis 17:30 Uhr
MINTwoch: “Wind of Change” – Windmühlen statt Mauern bauen, für den Wandel in der Schule
Das Seminar unter dem Motto “Wind of Change” will alle Lehrkräfte, die an ihrer Schule Veränderung initiieren wollen, mit den Ideen des Change Management in Berührung bringen. Als Speaker treten Simeon Borszik und Stefan Mintert von der Initiative Teach First Deutschland (TFD) auf. INFOS & ANMELDUNG
Studienergebnisse, die der gesamten Politik eine Ohrfeige geben. Davon sprach KMK-Präsidentin Karin Prien als sie den IQB-Bildungstrend vergangenen Freitag vorstellte. Jeder fünfte Viertklässler erreicht die Mindeststandards in Mathematik und Deutsch nicht. Die Pandemie hat diesen Trend, der seit zehn Jahren anhält, weiter verschärft. Dabei sind die getesteten Viertklässler in einer digitalisierten Umgebung aufgewachsen. Hätte der Umstieg auf Online-Unterricht da nicht leichter fallen müssen? Nein, sagt die Grundschuldidaktikerin Annemarie Niklas im Interview. Auf mehreren Ebenen haben Schulen, Eltern und Behörden versagt.
Das Nachbeben der Schulschließungen beschäftigt uns auch in einer Geschichte aus Baden-Württemberg. Dort warten Lehrkräfte noch immer auf eine amtliche E-Mail-Adresse. Nun darf wohl eine halbstaatliche Anstalt die 130.000 digitalen Arbeitsplätze bauen. Das Kultusministerium musste sich nicht durch trockenes Vergaberecht kämpfen, sondern fand eine Lösung, um den Mega-Auftrag gegebenenfalls auch ohne Ausschreibung zu vergeben. Im Südwesten gibt es indes noch mehr seltsame Bewegung auf der Bildungsplattform, wie Christian Füller analysiert.
In den News blicken wir in die Länder: Die findigen Stuttgarter schicken diesen Sommer wieder tausende Lehrkräfte in die Arbeitslosigkeit, um den Haushalt im Ländle zu schonen. In NRW interessiert uns, wer die neue Schulministerin ist und dass dort Distanzunterricht auch nach der Pandemie möglich sein soll. Und die Bertelsmann-Stiftung rechnet vor, welche Bundesländer überhaupt eine Chance haben, die Ganztagsbetreuung für alle in diesem Jahrzehnt umzusetzen.
Zum Schluss noch ein Hinweis in eigener Sache: Zu unserem Team ist die Journalistin Anna Parrisius gestoßen. Wir freuen uns sehr, mit Anna gemeinsam noch mehr Themen im Bildung.Table zu vertiefen. Sie dürfen gespannt sein. Übrigens: Wenn Sie uns Kritik, Lob oder Anregungen für die Recherche senden möchten, erreichen Sie uns unter bildung@table.media. Wir lesen gerne von Ihnen.
Eine gute und erkenntnisreiche Lektüre wünscht Ihnen,
Alle fünf Jahre untersucht das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) die Kompetenzen von Viertklässlern in Mathematik und Deutsch. Im Sommer 2021 wurden bundesweit 26.000 Viertklässler getestet. Erste Ergebnisse präsentierte das Institut zusammen mit der KMK am vergangenen Freitag. Jedes fünfte Kind erreicht in der vierten Klasse nicht die Mindeststandards in Deutsch und Mathematik. Der Anteil ist seit 2011 um sechs bis zehn Prozent gestiegen. Auch verstärkt sich der Zusammenhang von sozialer Herkunft und erreichtem Kompetenzniveau. KMK-Präsidentin Karin Prien sagte: “Das ist nicht nur eine Ohrfeige für uns Kultusminister, sondern die ganze Politik.”
Frau Niklas, haben die Ergebnisse Sie überrascht?
Nein, leider nicht. Zwar wurden seit der ersten PISA-Studie eine Reihe von Programmen aufgelegt, vor allem auch für die Förderung der Lesekompetenz, gebracht haben sie aber scheinbar zu wenig. Die Ergebnisse hätten besser ausfallen müssen.
Woran liegt es?
Ich bin mir sicher, dass die Pandemie, und damit Schulschließungen und Distanzunterricht, ein ganz großer Faktor ist. Eine ebenso große Rolle spielt die Heterogenität der Schülerschaft. Sie hat in den vergangenen zwanzig Jahren immens zugenommen. Sechs- bis Zehnjährige bekommen ihren Input und ihre Lernanlässe zum großen Teil aus der Familie und deren Umfeld. Die Schule kann und muss hier ausgleichen. In der Pandemie ist dieses Korrektiv größtenteils weggebrochen. Das hat soziale Ungleichheit und Lernunterschiede verstärkt.
Je jünger die Kinder, desto schwieriger der Distanzunterricht. Warum ist das eigentlich so? Es wurde der Jahrgang 2011 getestet. Das sind Kinder, die sich eine Welt ohne digitale Medien nicht vorstellen können. Gute Voraussetzungen für digitalen Unterricht, oder?
Das hängt von ihrem sozialen Umfeld ab und den Erfahrungen, die sie mitbringen. Ein Kind kann ein Youtube-Video schnell und selbstständig anklicken? Schön und gut, aber das sagt nichts darüber aus, ob es auch im schulischen Kontext etwas digital lernen kann. Ohne Begleitung wird es meist keinen Lernerfolg geben. Wenn ein Kind in die erste Klasse kommt, muss es erst lernen, Schulkind zu sein – dass es zum Beispiel im Unterricht sitzen bleibt und nicht einfach in den Pausenhof spaziert. So müssten Kinder auch lernen, wie sie digitale Geräte in der Schule nutzen. Das haben sie bisher nicht gelernt. Dem stellen sich die Schulen jetzt aber.
Eine Jahrhundertpandemie traf auf digital schlecht vorbereitete Kinder. Welche Rolle spielt die Ausstattung der Grundschulen?
Eine große. Die Verantwortlichen haben die Kinder schon im Vorfeld der Pandemie auf mehreren Ebenen im Stich gelassen, sodass der digitale Unterricht in vielen Grundschulen nicht funktionierte. Der Input, den es zum Lernen braucht, war daher nicht auf digitales Lehren und Lernen zugeschnitten. Der digitale Stoff benötigt aber gute fachliche Aufbereitung und viele Lehrkräfte hatten da überhaupt keine Erfahrungen.
Auf welchen anderen Ebenen hat es gehapert?
Die Technik war nicht da. Und die, die da war oder angeschafft wurde, hat zum Teil nicht funktioniert. Grundschülerinnen und -schüler sind nicht geduldig. Wenn die Videokonferenz nicht sofort geht, schalten sie ab. Auf der Ebene des Outputs, also was die Schülerinnen und Schüler vom digitalen Unterricht mitnehmen, hat es nicht funktioniert, weil die Eltern sie oft nicht adäquat begleiten konnten. Kinder sind auf eine gute Lernumgebung angewiesen. Das heißt: Abwechslung zwischen Konzentrations- und Spielphasen. Das hat alles im Distanzunterricht nicht funktioniert.
Sie begleiten Lehramtsstudierende und besuchen viele Schulen. Wo haben Sie guten Distanzunterricht erlebt?
Generell würde ich sagen: Wir alle, als Gesellschaft, waren null vorbereitet. In den Schulen lag es am Engagement der Lehrer, Eltern oder auch der Behörden. Grundschulklassen sind alle extrem unterschiedlich. Wir haben unheimlich bunte Klassen, die haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse. In Erinnerung ist mir eine Dorfschule geblieben. Im ersten Lockdown hat die Lehrerin jeden Montag ein Materialpaket an die Tür all ihrer Schüler gehängt, unter der Woche per Teams konferiert und am Freitag die Arbeitsblätter wieder abgeholt. Im städtischen Augsburg hat eine Grundschule, die vorher digital gut aufgestellt war, ganz strikten, getakteten digitalen Unterricht mit Powerpoint-Präsentationen gemacht. Das hat für viele hervorragend funktioniert. Manche Schüler und Schülerinnen wurden da aber überhaupt nicht erreicht.
Sie sind Herausgeberin des Grundschulmagazins, veröffentlichen zu digitaler Deutschdidaktik. Viele Grundschulen haben in den vergangenen zwei Jahren einen digitalen Sprung gemacht. Könnte das helfen, dass der nächste IQB-Bericht eine Trendumkehr abbildet?
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass digitale Medien den Unterricht nicht per se besser machen. Es kommt auf fachlich gut ausgebildete Lehrkräfte an. Die können guten Deutschunterricht auch mit Tafel und Heft machen, wobei natürlich zum Beispiel Smartboards und Tablets bei überlegtem Einsatz wichtige zusätzliche Möglichkeiten bieten. Ein großes Problem ist sicher, dass viele Fachfremde an den Schulen arbeiten. Die Stärke von digitalen Medien sehe ich besonders in der Individualisierung von Unterricht.
Warum hat man diesen Vorteil nicht früher erkannt?
Ich denke, ein großes Problem ist, dass die technische Ausstattung so viel Einarbeitungszeit verlangt oder gar nicht funktioniert. Wenn ein Handwerker einen Schrank zusammenbaut, kann er das mit einem Akkuschrauber besser als mit einem Schraubenzieher. Wenn der Akkuschrauber aber nicht zuverlässig funktioniert, wird er immer auf den Schraubenzieher zurückgreifen.
Um im Bild zu bleiben: Viele Grundschulen haben sich lange Jahre verweigert, überhaupt Akkuschrauber anzuschaffen und ihren Lehrkräften abgewetzte Schraubenzieher in den Didaktik-Koffer gelegt.
Oder sie hatten ganz neue Maschinen, mit denen keiner umgehen kann. Ein großes Problem ist: Zusätzlich zu den modernen Geräten braucht es auch Ansprechpartner, die sie einrichten und warten können. Wir haben jetzt Erfahrungen mit digitalen Medien gesammelt und ich sehe eine große Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Die Didaktiken bieten vielversprechende Ansätze. Was fehlt, sind IT-Ansprechpartner an den Schulen.
Laut IQB-Bericht ist die Schulzufriedenheit der Kinder während der Pandemie gestiegen. Warum?
Das lag wohl daran, dass die Kinder dankbar waren, dass ihnen jemand etwas zugespielt hat. Das waren ja teilweise belastende Zustände im tristen Corona-Alltag der Familien. Wenn die Schule sich, analog oder digital, gemeldet hat, war das ein Lichtblick im Leben der Kinder.
Annemarie Niklas ist Akademische Oberrätin und unterrichtet Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Augsburg. Vergangene Woche erschien ihr Buch “Digitale Medien im Deutschunterricht” (Cornelsen-Verlag).
Es dürfte der größte Schul-Auftrag für den halbstaatlichen IT-Dienstleister Dataport sein, den er je erhalten hat. Eines der großen Bundesländer will dem Ausrüster den Auftrag erteilen, 130.000 Lehrkräfte mit einem digitalen Arbeitsplatz auszustatten. Der bevorstehende Deal ist in zweierlei Hinsicht spannend: Zum einen greift das bisher vor allem im Norden ansässige Dataport nun auf die Märkte im Süden des Landes aus. Zum anderen soll dieses Geschäft über die Bühne gehen, ohne dass eine Ausschreibung erfolgt. Möglich machen soll das die Mitgliedschaft von Dataport bei GovDigital, einer Genossenschaft, zu der auch Baden-Württembergs IT-Dienstleister BITBW gehört. So lassen sich Markt und sonst übliche Vergaberegeln umgehen.
Das überraschende Manöver mit Dataport ist allerdings nicht die einzige Bewegung auf der Bildungsplattform in Baden-Württemberg. Gleichzeitig fliegen 2.500 Schulen mit ihren Moodle-Accounts bei BelWü (Baden-Württembergs extended LAN) raus. Das Landeshochschulnetz BelWü hostete bislang das Lernmanagementsystem Moodle für die Schulen. Der Umzug kommt zur Unzeit, da sich die Schulen gerade erst in Größenordnungen in Moodle eingearbeitet hatten. Das Kultusministerium hatte im Zuge dessen massiv in Serverkapazitäten investiert.
Sieht man sich die Geschichte der Bildungsplattform Baden-Württembergs an, so steht zu befürchten, dass das Leiden mit den Lernwolken im Südwesten noch nicht zu Ende ist. Das Hightech-Land legte das erste spektakuläre Scheitern der Schulcloud-Geschichte hin. Die “Elektronische Lehr- und Lernassistenz” Ella kostete 47 Millionen, statt vier Millionen Euro – und kam nie richtig ins Laufen. Der jetzige Auftrag an die “Anstalt des öffentlichen Rechts” Dataport ist also ein Reparaturversuch. Denn die Lehrerinnen und Lehrer in Baden-Württemberg haben immer noch keine einheitliche amtliche Mail-Adresse. Auch der Plan des Ministeriums, Microsoft in dem Südstaat als Lehrerdienstleister zu etablieren, scheiterte. Denn es gelang nicht, so Landesdatenschützer Stefan Brink, für den Einsatz von MS365 “eine datenschutzkonforme Lösung zu finden.” Die Frage in der pädagogischen und IT-Szene lautet nun: Wie oft kann sich ein Bundesland eigentlich in die Nesseln setzen, ohne dass das Konsequenzen hat?
Die Vergabe der digitalen Lehrerkommunikation für 130.000 Lehrkräfte an Dataport wird erneut als Pilotprojekt geführt. Bei den am Markt etablierten Konkurrenten ruft das Verwunderung vor. Ist man sich nicht sicher, ob es Dataport gelingen könnte, hunderttausend Lehrer unfallfrei miteinander zu verknüpfen? So jedenfalls lesen sich die Äußerungen des zuständigen Beamten im Ministerium. “Der Pilot findet in Schulen aller Schularten statt”, schrieb Ralf Armbruster auf Twitter. “Diese werden alles auf Herz und Nieren prüfen: Funktionalität, Lastverhalten, Schulalltagstauglichkeit.”
Der Lehrerarbeitsplatz war ursprünglich als Eigenentwicklung in Ella geplant. Das ging schief. Dann nutzte das Ministerium die Pandemie, um Microsoft zuzulassen. Jetzt, ohne Ausschreibung, der Schwenk zu Dataport. Aber auch das scheint noch nicht das letzte Wort. Die Pilotphase dient offenbar dazu, die Entscheidung offenzuhalten. Man habe sich entschlossen, teilte ein Sprecher des Ministeriums mit, “Microsoft erstmal nicht zu verwenden.”
Dataport hingegen ließ im Gespräch mit Bildung.Table versichern, das Projekt stemmen zu können. Es werde die “dPhoenix Suite” als Arbeitsplatz getestet, dazu gehören eine Reihe von open source-Lösungen wie Nextcloud, Collabora, Jitsi, Ox, Matrix und Univention. Dataport gab an, genug Serverpower bereitzuhaben, um den Betrieb für über hunderttausend Lehrkräfte zu gewährleisten. Bisher ist der größte Kunde die Lehrerschaft in Schleswig-Holstein, rund 37.000 Personen. Die Tragkraft von Dataport, so ein Sprecher, garantiere die Zusammenarbeit mit Ionos, dem größten Webhoster Europas.
Die beiden IT- und Cloudprofis Nextcloud und Ionos sind in Karlsruhe und Stuttgart zu Hause. Dass sie über den Umweg der norddeutschen Staats-Beauftragten Dataport nun doch in ihrem Stammland zum Zug kommen sollen, ist nicht ohne Ironie. Die Geschäftsführer Frank Karlitschek (Nextcloud) und Achim Weiß (Ionos) hatten lange direkt mit der Cloud-Abteilung des Stuttgarter Bildungsministeriums verhandelt. Sie schrieben sogar einen offenen Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann, um gegen die Bevorzugung Microsofts zu protestieren. “Wir jammern nicht”, sagte Achim Weiß damals in einem Interview. “Die Menschen in diesem Land wissen oft nicht, dass es exzellente deutsche Lösungen im IT-Bereich gibt. Das wird meines Erachtens auch durch ein wirksames Lobbying von Microsoft vernebelt.” Umso mehr dürfte Ionos und Nextcloud freuen, dass sie nun doch zum Zuge kommen – erneut durch eine Besonderheit im deutschen Vergaberecht, das Ausschreibungen in bestimmten Fällen obsolet macht.
Im Falle des Lernmamagementsystems Moodle läuft es andersherum: Ohne Ausschreibung geht hier gar nichts. Derselbe Beamte, der bei Dataport den Bypass setzt, teilt für den Rauswurf von Moodle mit: “In diesen Dimensionen sucht man sich ein LMS nicht aus, sondern führt ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren durch.” Aus Gründen der ministeriellen Abgrenzung muss der hochschulische Betreiber BelWü Hosting und Support von Moodle für Schulen in Baden-Württemberg abgeben. “Das Wissenschaftsnetz steht in den nächsten Jahren vor der Herausforderung, seine Aktivitäten im Bereich der Netz- und Informationssicherheit auszuweiten“, begründete ein Sprecher von Wissenschaftsministerin Bauer die Trennung.
Über den Verbleib der teuren Hardware sind sich die beiden grün geführten Ministerien offenbar uneinig. Das Kultusministerium unter Theresa Schopper teilte Bildung.Table mit, die Server würden nicht mitgenommen. Das Wissenschaftsministerium unter der Grünen Theresia Bauer wiederum sieht die ebenfalls grüne Schulkollegin Schopper in der Verantwortung. Streiten die beiden am Ende darum, wer den in der Pandemie aufgerüsteten Serverpark zum Elektroschrott fährt? Jedenfalls lässt das Statement aus dem Bildungsministerium alle Fragen offen. “Die in der Pandemie angeschaffte Hardware aus dem Frühjahr 2020 wird zum angenommenen Ablösungszeitpunkt gemäß den Fristen einer betriebsüblichen Nutzungsdauer turnusgemäß für eine Erneuerung anstehen und daher nicht beim neuen Dienstleister einer weiteren Verwendung zugeführt werden.” Alles klar?
In der Szene der Moodlefreunde ruft der rein administrativ begründete Umzug Entsetzen hervor. Warum müsse die aktive, bei BelWü und an den Schulen beheimatete “Moodlebande” zerrissen werden, fragen Kritiker. “Die Moodle-Community in Baden-Württemberg ist sehr aktiv”, lautet die Antwort des Ministeriums: “Die Aktivitäten sind ohne Umstellung auch beim Betrieb von Moodle durch einen neuen Anbieter möglich.”
Jedes Grundschulkind hat bis Ende des Jahrzehnts Anspruch auf Ganztagsbetreuung – ab dem Schuljahr 2026/2027 Kinder der 1. Klasse, ab 2029/2030 alle Klassen. Doch für die Umsetzung fehlen zehntausende Erzieherinnen und Sozialpädagogen, das ergibt der “Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule” der Bertelsmann-Stiftung. Insgesamt könnten mehr als 100.000 pädagogische Fachkräfte fehlen.
Vor allem in den westdeutschen Bundesländern könnte die Umsetzung des Rechtsanspruchs schwierig werden. Bislang sind dort 47 Prozent der Grundschulkinder in der Ganztagsbetreuung, 18 Prozent nutzen ein Übermittagsangebot. Sollte jedem Grundschulkind bis 2030 ein Ganztagsangebot gemacht werden, bräuchte es mehr als eine Million zusätzliche Plätze und rund 76.000 Fachkräfte. Selbst wenn nur die aktuelle Quote Ostdeutschlands angepeilt würde – dort werden vier von fünf Grundschülern bereits ganztags betreut – fehlten noch 55.000 Fachkräfte. Und auch wenn ein Teil der Kinder weiter das Übermittagsangebot nutzt, bleibt ein Minus von 34.000 Fachkräften, heißt es in der Studie.
In den ostdeutschen Bundesländern sehen die Studienautoren Mängel bei der personellen Situation in Grundschulen und Horten. Sie schlagen vor, den Personalschlüssel auf West-Niveau (1:6) zu bringen, rund 26.000 zusätzliche Fachkräfte wären hierfür nötig.
Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) kritisiert die Forderung. Er betont, man müsse bei der Betreuungsqualität auch die Ausbildung des Hort-Personals betrachten. Diese sei in Sachsen vergleichsweise gut. Im Freistaat liegt das Betreuungsverhältnis laut Berechnung aktuell bei etwa 1:15. Eine Verbesserung auf 1:6 würde Piwarz zufolge fast 640 Millionen Euro zusätzlich kosten. Die Studienautoren meinen, es könnten Bundesmittel aus dem Ganztagsförderungsgesetz genutzt werden. Ein Problem sehen sie allerdings, ebenso wie das sächsische Kultusministerium, in fehlenden Fachkräften.
Ein gutes Zeugnis stellt die Studie allein Berlin, Hamburg und Thüringen aus. Dort gebe es bis 2030 genügend Personal, um jedem Grundschulkind einen Ganztagsplatz anzubieten – bei gutem Betreuungsschlüssel. anpa mit dpa
Dorothee Feller (CDU) wird das Schulministerium des bevölkerungsreichsten Bundeslandes führen. Die Personalentscheidung war mit Spannung erwartet worden. Im Düsseldorfer Politikbetrieb ist die Juristin und Regierungspräsidentin aus Münster noch wenig bekannt. Verwaltungserfahrung bringt die 56-Jährige mit. Pragmatismus und Konfliktfähigkeit offenbar ebenso, sie ist geprüfte Mediatorin.
Das Amt gilt als äußerst unbeliebt. Die frühere Amtsinhaberin Sylvia Löhrmann (Grüne) schlug im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger vor, einen unabhängigen Experten dafür zu finden. Die Grünen hatten Medienberichten zufolge kein Interesse an dem Amt bekundet. Wie Sylvia Löhrmann ist auch Fellers Vorgängerin Yvonne Gebauer (FDP) in dem Amt gescheitert – ihre Parteien wurden durch die Wähler abgestraft. Die FDP-Ministerin hatte in der Pandemie-Politik einen Schlingerkurs verfolgt. Zudem war die Schulsoftware Logineo ein Flop (Bildung.Table berichtete).
Dorothee Feller will die A13-Besoldung angleichen, 10.000 neue Lehrer gewinnen und frühzeitig Vorkehrungen für die nächste Corona-Welle treffen. Außerdem soll der 2014 zwischen Rot-Grün und den Christdemokraten beschlossene “Schulfrieden“, der den Streit über die Schulstruktur beendete, auch nach Ablauf der 12-Jahre-Frist weiter gelten. Zwei weitere interessante Details sieht der Koalitionsvertrag vor: An Schulen in NRW darf der Unterricht künftig erst um 9 Uhr beginnen, sofern die Schulkonferenz dem zustimmt. Und die Landesregierung möchte die Schulen darauf vorbereiten, auch einzelne Schülerinnen und Schüler unabhängig von Corona bei Bedarf auf Distanz unterrichten zu können. “Wenn eine einzelne Schülerin oder ein einzelner Schüler nicht am Präsenzunterricht teilnehmen kann, muss ein adäquates Lernangebot gemacht werden”, heißt es im Koalitionsvertrag.
Eltern- und Lehrerverbände zeigen sich hoffnungsvoll angesichts der Benennung der neuen Ministerin. Die Landeselternschaft der Gymnasien in NRW e.V. begrüßt in einer Pressemitteilung, dass vorerst keine Schulreformdebatten mehr geführt werden sollen. Anke Staar von der Landeselternkonferenz NRW betont gegenüber Bildung.Table, von Dorothee Feller bereits ein Gesprächsangebot unterbreitet bekommen zu haben. Auch Andreas Bartsch vom Nordrhein-Westfälischen Lehrerverband traut Dorothee Feller die große Aufgabe zu. Ebenso gesprächsbereit, aber deutlich zurückhaltender äußert sich der schulpolitische Sprecher der SPD, Jochen Ott, gegenüber dem WDR: Die Herausforderungen in der Schulpolitik seien so groß, “dass es über reines Verwaltungshandeln hinaus gehe“. Janna Degener-Storr
Jedes Jahr haben sie das Nachsehen: Befristet angestellte Lehrkräfte, bei denen vor den Sommerferien der Vertrag ausläuft. Auf diese Praxis zu verzichten, würde Baden-Württemberg 14,83 Millionen Euro kosten, teilt das Kultusministerium auf Anfrage des bildungspolitischen Sprechers der SPD-Landtagsfraktion, Stefan Fulst-Blei, mit. Geld, welches das Land laut Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) zufolge nicht hat.
Aktuell sind in Baden-Württemberg laut Ministerium etwa 4.350 Lehrkräfte befristet angestellt, darunter 460 Pensionäre und 600 Lehrerinnen und Lehrer, die zur Beschulung geflüchteter Kinder aus der Ukraine eingestellt wurden. Rechnet man letztere heraus, ist die Zahl der befristet angestellten Lehrer in Baden-Württemberg im Vergleich zum Vorjahr leicht zurückgegangen. Laut eines Berichts der Bundesarbeitsagentur vom November meldeten sich 2021 in dem Bundesland 1600 Lehrkräfte in den Sommerferien arbeitslos, in Bayern waren es 820, die sich überhaupt bei der Behörde meldeten. Daneben zeigte sich das Phänomen der kurzfristigen Lehrer-Arbeitslosigkeit in den Sommerferien besonders deutlich in Hamburg und Niedersachsen.
In Baden-Württemberg führt das Kultusministerium als Grund für die befristete Anstellung bis zu den Sommerferien an, “dass das Land damit auf Krankheiten, Ausfälle aufgrund von Schwangerschaft oder anderen kurz- oder mittelfristigen Vertretungsbedarf reagiert.” Zu Beginn eines Schuljahrs sei noch nicht abzusehen, ob im neuen Schuljahr ein Vertretungsbedarf bestehe, weil zum Beispiel eine Lehrkraft zum neuen Schuljahr aus Elternzeit wieder zurückkehrt. Monika Stein, Vorsitzende der GEW Baden-Württemberg, kritisiert: “Durch Corona verschärft sich der bestehende Lehrermangel extrem, trotzdem präsentiert sich die grün-schwarze Landesregierung als Arbeitgeber ohne Verantwortung.” Anna Parrisius
Die Lage ist dramatisch, sagt Lukas Pohland. “Die Pandemie war ein Booster in eine schlechte Richtung.” Der 17-jährige Schüler ist Gründer und Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins Cybermobbing-Hilfe e.V. Mit seinem Team unterstützt und berät er Jugendliche, die mit Hasskommentaren und Mobbing im Internet konfrontiert sind. Damit aber noch nicht genug: Seit März dieses Jahres ist Lukas Pohland im Beirat der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz, um sich dort für die Interessen von Jugendlichen einzusetzen. Er ist eines von zwei Mitgliedern, die unter 18 Jahre alt sind.
Mit zwölf Jahren war Pohland selbst von Cybermobbing betroffen. Als er einer Mitschülerin gegen die Mobbing-Attacken von Schulkameraden helfen wollte, wurde er auch zur Zielscheibe. Hilfe hätten sie damals keine bekommen. Die Schule wies sie ab mit der Begründung, dass das Mobbing außerhalb des Unterrichts stattfinde. Und auch die Polizei fühlte sich nicht verantwortlich, da alle Beteiligten unter 14 Jahre alt waren. So wurden Pohland und seine Mitschülerin von Tür zu Tür geschickt. Das Mobbing hörte erst auf, als beide die Schule wechselten. “Es war einfach nicht mehr auszuhalten”, sagt Pohland.
Schon früh hatte er die Idee, ausgehend von den eigenen Erfahrungen eine Plattform mit Hilfsangeboten für Opfer von Cybermobbing zu gründen. “Ich wusste, wie hilflos Betroffene sein können. Mir war klar, ich möchte etwas tun und anderen helfen.” Angefangen mit einer Telefonberatung für Betroffene gründete er im November 2018 den gemeinnützigen Verein. Heute gehören zu Pohlands Team zehn ehrenamtliche Jugendliche, die neben einer Online-Beratung auch Präventionsarbeit für Schulen anbieten. Die jungen Beraterinnen und Berater werden von Medienpädagogen unterstützt.
“Cybermobbing ist psychischer Terror“, sagt Pohland. Meistens beginne es mit Beleidigungen im direkten Austausch in Messengern und Direktchats. In manchen Fällen komme eine größere Öffentlichkeit hinzu und das Mobbing setze sich für andere sichtbar in sozialen Medien wie Snapchat, Instagram oder TikTok fort. Auch intime Fotos und Videos würden dabei geteilt. Oft Aufnahmen, die ohne Zustimmung der Betroffenen, beispielsweise in der Umkleidekabine, gemacht wurden.
Cybermobbing ist in Deutschland kein eigener Straftatbestand. Das zu ändern, ist eine von Pohlands wichtigsten politischen Forderungen. Denn Mobbing im Internet ist nicht erst seit Covid-19 ein Problem: “Die Entwicklung ist schon seit Jahren so, dass es immer mehr Fälle gibt.” Grund dafür sei die fehlende Medienkompetenz – bei Schülerinnen und Schülern sowie bei Lehrkräften.
Erfahrungsgemäß würden Internet und Smartphones noch immer aus dem Unterricht verbannt. Ganz nach dem Motto: Wenn wir nicht darüber sprechen, dann passiert auch nichts. Aber das sei genau der falsche Weg. “Wenn man die Gefahren nicht anspricht, schafft man Raum für Cybermobbing”, so Pohland. Es sei wichtig, Schülern einen positiven Umgang mit Medien zu vermitteln. Gleichzeitig müsse man auch die Gefahren benennen und aufklären, was man im Falle von Mobbing tun könne.
Außerdem: “Medienkompetenz kann nicht an ein oder zwei Projekttagen vermittelt werden”, sagt Pohland und fordert, Medienkompetenz fächerübergreifend zu erarbeiten. Daneben sollten Schulen sich verpflichtend um Cybermobbing-Prävention kümmern. Außerdem müssten die notwendigen Strukturen geschaffen werden, um im Ernstfall schnell und gut reagieren zu können. “Eins muss feststehen: Es kann nicht sein, dass die Betroffenen die große Last des Schulwechsels tragen müssen.”
Aber auch auf politischer Ebene muss sich Pohland zufolge einiges verändern, um Kinder und Jugendliche im Internet besser zu schützen. In den Beirat der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz will Lukas Pohland – ausgehend von seiner eigenen Geschichte – einbringen, welche Risiken in der digitalen Welt für die junge Generation bestehen. Aber auch, welche Regeln und Freiräume es braucht, damit Jugendliche sich im Internet ausprobieren und entwickeln können. Lisa Winter
02. bis 10. Juli 2022
Messe: IdeenExpo
“Mach doch einfach” ist das Motto, unter dem die diesjährige IdeenExpo stattfindet. Die Messe hat sich auf die Fahne geschrieben, bei Jugendlichen Neugierde und Interesse für technische und naturwissenschaftliche Ausbildungsberufe und Studienfächer zu wecken. Durch interaktive Mitmach-Formate, Bühnenshows, Workshops und Konzerte sollen Schüler, Studierende, Lehrkräfte und Eltern gleichermaßen mit Technik und Berufsorientierung in Berührung kommen. INFOS
12. Juli 2022, 12:00 bis 13:00 Uhr
Forschungskolloquium: Hochschulforschung im Dialog: Gamifizierung im Flipped Teaching
Im Zuge des diesjährigen Forschungskolloquiums des Bayerischen Staatsinstituts für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF) mit dem Thema “Digitales Lehren und Lernen” referiert Prof. Dr. Maximilian Sailer von der Universität Passau über die Gamifizierung im Flipped Teaching. INFOS
13. Juli 2022, 15:30 bis 17:30 Uhr
MINTwoch: “Wind of Change” – Windmühlen statt Mauern bauen, für den Wandel in der Schule
Das Seminar unter dem Motto “Wind of Change” will alle Lehrkräfte, die an ihrer Schule Veränderung initiieren wollen, mit den Ideen des Change Management in Berührung bringen. Als Speaker treten Simeon Borszik und Stefan Mintert von der Initiative Teach First Deutschland (TFD) auf. INFOS & ANMELDUNG