Table.Briefing: Bildung

Aufschlag für Startchancen + Sofatutor-Gründer im Interview + Kündigungswelle bei Simpleclub

  • Fachleute legen Fahrplan für Startchancen-Programm vor
  • Stephan Bayer zu Tracking bei Sofatutor: “Das war nicht vorgesehen”
  • Standpunkt: Die acht Punkte wirksamer Lehrerfortbildung
  • Simpleclub kündigt einem Viertel der Festangestellten
  • Berliner Grundschüler erhalten den meisten Deutschunterricht
  • Deutsche Lehrer besonders kritisch gegenüber Digitalisierung
  • Landeslizenz für Inklusions-App “Splint”
  • Heads: Simone Fleischmann – Präsidentin fürs Gemeinwohl
Liebe Leserin, lieber Leser,

die Bildungsrepublik wartet auf den Startschuss fürs Startchancen-Programm der Ampel. Wie sollen die tausenden Schulen ausgewählt werden, die Geld und gute Bauten erhalten? Diese Frage brennt – und wird nun von einer Gruppe von Fachleuten mit einer einfachen Formel beantwortet: Schulen mit vielen Schülern, die in Hartz-IV-Familien leben, erhalten die Förderung. Anna Parrisius hat sich das Papier, das im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung entstanden ist, genauer angesehen und die vier wichtigsten Punkte zusammengefasst.

Ein Vorurteil begegnet EdTechs häufig: Sie sorgen nicht für genügend Datenschutz. Die Lernapp Sofatutor bestätigte diese Befürchtung kürzlich – weil sie sich mit Datenkraken austauscht. “Das war nicht vorgesehen”, sagt Gründer Stephan Bayer im Interview und entschuldigt sich. Das Gespräch mit Christian Füller ist nicht nur ein Mea Culpa, sondern ein lesenswerter Debattenbeitrag, welche Daten Lernapps sammeln – und warum das für sie zum Geschäftsmodell gehört.

Zum Schluss sei Ihnen der Gastbeitrag von Schulforscher Frank Lipowsky empfohlen. Immer mehr Wege führen in den Lehrberuf, Schulen ändern sich – und so steigt der Bedarf an Weiterbildungen. Lipowsky forscht dazu, was Seminare, Workshops und Fortbildungen erfolgreich macht. Für Sie hat er acht Punkte wirksamer Lehrerbildung – als aktuellen Stand der Forschung – aufgeschrieben.

Eine erkenntnisreiche Lektüre wünscht,

Ihr
Niklas Prenzel
Bild von Niklas  Prenzel

Analyse

Fahrplan für das Startchancen-Programm

Das Bundesbildungsministerium versteht sich als “Chancenministerium”, sein Prestigeprojekt ist das Startchancen-Programm. Bei der Planung möchte man die Forschung einbeziehen. Handfeste Vorschläge formuliert nun ein erstes Gutachten. Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ist vorgeprescht und hat eine Expertenkommission Eckpunkte abstecken lassen (zum Download). An dem Papier mitgeschrieben haben unter anderem Martina Diederich, Direktorin des IfBQ Hamburg, und der Schulrechtler Felix Hanschmann von der Bucerius Law School. Den Vorsitz hatte Hanna Dumont inne, Professorin für Pädagogische Psychologie an der Universität Potsdam.

Bekannt ist bisher, dass das Startchancen-Programm 4.000 Schulen in Brennpunktlagen unterstützen will. Drei Säulen sind geplant: Investitionen in den Schulbau, Ausbau der Schulsozialarbeit und ein autonom verwaltetes Schulbudget. Nicht bekannt ist, wie das BMBF diese Säulen bauen möchte. Die Kommission äußert sich nun teilweise mit so klaren Worten, dass es angesichts der politischen Großwetterlage, der knappen Kassen und der schleppend laufenden Vorbereitungen des Programms ungemütlich für das BMBF werden könnte.  

Das sind die vier zentralen Forderungen

1. Mindeststandards als Basis 

“Das reine Ausschütten von Geld wird wenig bringen”, meint Hanna Dumont, gegenüber Bildung.Table. Das zeige internationale Forschung. Das Programm darf nicht ausfransen. Gelingen könnte das laut Kommission durch eine “klar fokussierte Zielbestimmung”. Alle Beteiligten sollten wissen, welches Niveau Schüler mindestens erreichen sollten. Nötig sei es dafür, Mindeststandards festzulegen. Bei ihnen sollten Mathematik und Deutsch, nicht zuletzt nach dem IQB-Schock, im Zentrum stehen. Aber auch die Selbstlernkompetenzen sollten gestärkt werden, also wie gut ein Kind seine Motivation und seine Emotionen beim Lernen regulieren kann. Und “Citizenship“, womit die Experten “Verantwortung für das gemeinsame Erfahrung gewinnen und Leben” meinen. 

2. Kein Königsteiner Schlüssel 

In Berlin und Hamburg gibt es mehr Kinder aus benachteiligten Milieus als in Bayern. Das ist bekannt. Dennoch steht in den Bund-Länder-Gesprächen weiter im Raum, Teile des Startchancen-Gelds nach dem undifferenzierten Königsteiner Schlüssel zu verteilen. Die Bildungspolitik würde damit Fehler aus der Vergangenheit wiederholen, warnt die FES-Kommission.

Die Experten schlagen eine Alternative vor. Die Schulen könnten danach ausgewählt werden, wie viele Schüler aus Familien mit Hartz IV sie besuchen. Es ist ein Indikator, der allen Ländern in der Schulstatistik vorliegt. Noch besser sei ein Sozialindex, wie es ihn in Hamburg, NRW und seit diesem Jahr auch in Berlin gibt – da solche Indizes zusätzliche Merkmale einberechnen, zum Beispiel wie viele Schüler Deutsch nicht als Muttersprache oder sonderpädagogischen Förderbedarf haben. Auf Bundesebene einen vergleichbaren Index zu schaffen, sei allerdings schwer möglich, da nicht allen Ländern die gleichen Daten vorliegen. Mit dem Anteil der Kinder aus Haushalten, die Leistungen nach SGB II erhalten, kommt man nah an die richtigen Schulen dran, meint Dumont. “Es ist der beste und pragmatischste Indikator.”  

Die Kommission spricht sich außerdem dafür aus, zu einer Hälfte Grundschulen zu fördern, zur anderen Hälfte weiterführende und berufliche Schulen. “Je früher man interveniert, desto besser”, sagt Dumont.  

3. Mehr Systematik in Förderstrukturen

Der Bund und die Länder fördern Brennpunktschulen bereits mit mehreren Programmen. Die FES-Kommission fordert daher, dass Schulen, die jetzt das Chancenbudget erhalten, das Rad nicht neu erfinden. Sie bräuchten vielmehr Hilfe dabei, unter bereits existierenden Angeboten das für sie beste zu finden – und so das Budget effektiv einzusetzen. “Wir müssen Maßnahmen zur Förderung, Lerndiagnostik oder Evaluation dringend systematisieren und bündeln“, fordert Dumont. Bislang mangele es oft noch schlicht an Verzahnung und Kommunikation zwischen den verantwortlichen Stellen.

4. Startchancen nur mit Milliardeninvestitionen  

Die Ampel wollte Fortschrittskoalition sein, Bettina Stark-Watzinger rief gar eine Bildungsrevolution aus. Genauso ambitioniert verhandelten die Koalitionäre im vergangenen Jahr über das Startchancen-Programm. Sie sprachen intern von eineinhalb bis zweieinhalb Milliarden Euro, die das Programm kosten würde. Das sei das Minimum, heißt es im FES-Papier – verbunden mit folgender Rechnung: 

  • Säule I: 1 Mrd. Euro für das Investitionsprogramm zum Umbau ( = 250.000 Euro pro Schule) 
  • Säule II: 800 Mio. Euro für das Chancenbudget ( = 200.000 Euro pro Schule) 
  • Säule III: 200 Mio. Euro für die 4.000 Stellen für Schulsozialarbeiter ( = etwa 50.000 Euro pro Stelle)  

Doch selbst damit bewegt sich der Bund an der unteren Kante. Besonders deutlich ist das beim angekündigten Umbau der Schulen: Laut Koalitionsvertrag sollen “moderne, klimagerechte, barrierefreie Schulen mit einer zeitgemäßen Lernumgebung und Kreativlaboren” entstehen. Um den bundesweiten Investitionsbedarf für Schulgebäude zu decken, bräuchte es jedoch mehr als 45 Milliarden Euro, schätzen die Experten. Das geplante Investitionsprogramm wird also nur reichen, um die größten Löcher zu stopfen.  

Auch ein “Chancenbudget” über jährlich 200.000 Euro pro Schule halten die Experten für “keineswegs üppig”, zumal wenn für Fördermaßnahmen neues Personal nötig wird. Und sie werfen die Frage auf, wer die Schulsozialarbeiter nach Ende der Förderung weiter finanziert. Dumont sagt: “Generell sollte die Politik sich fragen, wie es nach der Förderphase weitergeht, eine einmalige Finanzspritze wird die Probleme nicht lösen.”  

Lesen Sie auch: “Die Datenlage ist ein Flickenteppich”

  • BMBF
  • Mindeststandards
  • SGB II
  • Startchancen

Sofatutor: “Tracking war nicht vorgesehen”

Man sieht Stephan Bayer, er geht von Lernvideos zur Lobby
“Technischer Fehler”: Stephan Bayer erläutert, wie es zum Tracking bei Sofatutor kam

Herr Bayer, Sie sind ein alter Hase im EdTech-Universum. Wie konnte es passieren, dass Sie Daten über Schüler erheben – und weitergeben? 

An einer Stelle in unserem Endkonsumentengeschäft ist letzte Woche ein technischer Fehler entdeckt worden. Entstanden ist er während der Entwicklung unserer Mobile-App durch die Verwendung einer sogenannten “Wrapper”-Technologie. Dabei wird eine mobile App basierend auf der Web-Browser-Version erstellt, die große Teile der Funktionalität beibehält. Daten erheben wir übrigens die ganze Zeit. Schulen, Schulträger und Länder wollen evaluieren, ob die Sofatutor-Lizenz eine sinnvolle Investition ist.

Und Ihre Programmierer haben nicht bemerkt, dass dabei in der App auch Tracker ausgewickelt wurden? 

Nein, Trackings von Werbepartnern waren hier nicht vorgesehen und machen dort auch keinen Sinn. Die Apps sind für uns kein Kanal zur Kundengewinnung, sondern vor allem eine Nutzungsmöglichkeit für bereits registrierte Kunden. Trotzdem hatte Herr Kuketz Recht zu beanstanden, dass werberelevante Trackings von Dritten hier zu finden sind. Genauer gesagt: zu finden waren. Wir haben alle Marketing-Trackings unmittelbar nach Erscheinen seines Artikels aus den beiden Apps entfernt. Sie dienten zu keiner Zeit einem Erkenntnisinteresse. 

Für Tiktok und Facebook in jedem Fall. Warum lassen Sie sich überhaupt darauf ein, mit derartigen Datenkraken zu kooperieren?

Da es bislang keine nennenswerte öffentliche Förderung gibt, haben wir uns ein weiteres Standbein entwickelt: den Verkauf an Endkunden, also Familien, Eltern, SchülerInnen direkt. Hier gehört die Online-Vermarktung über die üblichen Plattformen einfach dazu.

Ohne Tracking geringeres Wachstum

Sie wollen doch bitte Tracking bei Schülern nicht dadurch rechtfertigen, dass der Staat zu wenig Landeslizenzen vergibt?

Nein, das will ich nicht. Als innovatives Online-Lerntool sind wir dennoch abhängig davon, unser Angebot an ein breites Publikum zu kommunizieren. Unsere Werbe-Kampagnen laufen da, wo sich junge Leute und ihre Eltern nun mal aufhalten – bei TikTok beziehungsweise bei Facebook. 

Wozu tracken Sie da?

Weil wir hier herausfinden wollen – und müssen -, ob neue NutzerInnen beispielsweise durch eine Anzeige auf Facebook oder TikTok zu Sofatutor finden. Das machen auch andere werbende Online-Angebote wie Online-Shops, Entertainment-Angebote, Datingseiten, Direkt-Banking oder Jobbörsen.

Interessante Liste. 

Wir schließen neue Mitgliedschaften in erster Linie über die Website, also in der Browserversion ab. Ein Unternehmen wie unseres mit rund 250 Beschäftigten kann gar nicht anders überleben, als am Online-Werbemarkt teilzunehmen. Wir müssen auf dem Endkundenmarkt zu Nutzern kommen, denen unsere Anwendung beim Lernen hilft. Die einzige Alternative, unser Unternehmen profitabel zu führen und auch unserer Verantwortung als Arbeitgeber nachzukommen wäre, wenn Unternehmen, Schulen oder Länder Lizenzen für Sofatutor erwerben. Das geschieht auch heute schon, allerdings nicht in dem Ausmaß, dass es für ein gesundes Wachstum sorgt.

Aber hat Mike Kuketz nicht Recht, wenn er moniert, dass man die Nutzenden wenigstens auf das Tracking hinweisen muss?

Herr Kuketz hat uns auf einen Fehler hingewiesen, keine Frage. Aber beim Banner liegt er falsch. Neue Kunden finden, wie gesagt, nicht über die App zu uns, sondern über den Browser. Dort ist selbstverständlich ein Consent Banner – in dem die Trackings angekündigt werden. Interessenten können dem Tracking zustimmen oder die Einbindung von Drittanbietern natürlich auch ablehnen. Ohne die eine Refinanzierung unserer Investitionen gar nicht möglich wäre…

… außer Schulbehörden und -träger würden ihr Angebot stärker nutzen. 

Wir haben zwei Nutzungsszenarien. Sofatutor wird entweder in der Schule eingesetzt, das sind die Schul- und Lehrkräfte-Accounts. Oder privat von Eltern und Kindern, da sprechen wir von Endkunden-Accounts. 

“Unser Umsatz wird größtenteils aus dem Geschäft mit Familien generiert”

Aber auch die Nutzer, die über Schulaccounts kommen, benutzen doch die App. Es sind Schüler – und deren Daten haben Sie mit Facebook und TikTok geteilt. 

In der Nutzung durch Schüler:innen, entweder über bezahlte Zugänge über Schule, Länder oder Träger oder auch bei der Nutzung von durch Lehrkräften geteilten Inhalten, findet kein personenbezogenes Tracking statt. In diesen Fällen schließen wir einen Vertrag zur Verarbeitung der Daten ab. Beispielsweise werden in Länder mit Landeslizenz oder bei der Nutzung von Inhalten, die über Lehrkräfte geteilt wurden, die Apps gar nicht genutzt.

Wie viele ihrer Nutzer arbeiten in den Apps, wie viele über den Browser? 

Mehr als zwei Drittel unserer Nutzer:innen nutzen sofatutor über den Browser, knapp ein Drittel via App, davon entfällt der größte Teil auf die iOS App.

Wie viele Nutzer kommen über Landeslizenzen und wie viele als Endkunden?

Unser Umsatz wird größtenteils aus dem Geschäft mit Familien generiert.

Nochmal zurück zu den Nutzern über Landeslizenzen. Sie können garantieren, dass die personenbezogenen Daten von Schülern nun nicht mehr an Dritte weitergegeben werden?

Ja. Im öffentlich finanzierten Bereich der Schullizenzen wurden auch bisher keine Tracker eingesetzt. Und für Endkunden gilt: Stimmen Nutzer:innen und Besucher:innen der Website dem Consent-Banner zu, werden Daten teilweise eben auch durch die jeweiligen eingebundenen Drittanbieter verarbeitet.

Fließen Daten ohne Einwilligung an Facebook/Meta?

Nein. 

Hat Tiktok Zugriff auf das Nutzungsverhalten der Lernenden?

Nein.

Google?

Nein. 

Andere Start-ups beharren darauf, dass gute Datenanalysen innerhalb des Programmes ohne die einschlägigen Tools von Google gar nicht möglich seien. 

Es ist auch möglich, Daten von Nutzern ohne Google Analytics & Co. zu analysieren. Hier entsteht in den nächsten Jahren sicher noch mehr Angebot am Markt. Aber die Funktionsvielfalt der heute gängigen Analyse-Tools zu erreichen, ist ein hoher technischer Aufwand. Um mal einen Vergleich zu machen: Es ist so, als möchten Sie nach Australien reisen: Sie können einen Flug buchen oder ein Flugzeug bauen.

Vorurteile gegen Lernapps – von Politik und Öffentlichkeit

Müssen wir nicht grundsätzlicher über die Nutzung von Daten bei Lernanwendungen sprechen? Es ist ja interessant, über die Software zu erfahren, wie viele Aufgaben der Christian wann richtig macht – und wie er sich dabei von Stephan unterscheidet. Sonst machen adaptive Lernsysteme überhaupt keinen Sinn. 

Was Sie beschreiben, ist Teil des Problems einer Öffentlichkeit, die über Möglichkeiten von Software noch kaum informiert ist. 

Wo liegt der Widerspruch?

Einerseits wollen wir natürlich wissen und müssen es auch, wo – um die letzte Studie herauszugreifen – die Viertklässler eigentlich gerade stehen. Mit digitalen Lernanwendungen könnte man dazu sehr kurzfristig Wasserstandsmeldungen abgeben. Das heißt, wir müssten nicht mehr fünf Jahre von Studie zu Studie warten – und dann darüber rätseln, ob die Schüler nun wegen Corona oder wegen einer ganz anderen Ursache schlechter abschneiden. 

Und andererseits? 

Andererseits möchte die Öffentlichkeit auf keinen Fall, so scheint es jedenfalls, dass man die Lerndaten nutzt, um die Fortschritte von Christian und Stephan nicht nur beobachten, sondern positiv beeinflussen zu können. Genau das aber ist das Wertvolle an digitalen Lerntools. 

Ist es nicht ein denkbar ungeeigneter Zeitpunkt für ein Datenleck, drei Wochen vor dem Treffen von Kultusministern und Start-ups? 

Ich finde “Datenleck” hier eine zu extreme Formulierung. Es sind ja keine Kundendaten mit Namen oder E-Mail-Adressen et cetera an Dritte geflossen. Dennoch, es ist ein Fehler. Dafür entschuldigen wir uns bei den Nutzern und unseren Peers, den deutschen EdTech-Startups. Wir hoffen, dass die Branche keine Rufschädigung erfährt. Seit Jahren arbeiten wir alle daran, die Vision von einer besseren, digitalen Schule mit konkreten Lösungen zu füllen. Unsere Branche erfüllt einen wichtigen gesellschaftlichen Auftrag – was während der Schul-Lockdowns deutlich wurde.

Trotzdem hält die Kultusbürokratie die EdTechs auf Sicherheitsabstand. 

Ja, bisher fördert die öffentliche Hand fast keine Firma ernsthaft. Es findet auch keine gemeinsame Entwicklung einer Vision von einer digitalen Schule zwischen Digital-Anbietern und Schulverwaltung statt. In 15 Jahren Sofatutor bin ich in Gesprächen mit Schulverwaltung und Politik häufiger über das Vorurteil gestolpert, dass die Start-ups vielleicht nicht die didaktische Qualität der Schulbuchverlage erreichen. Oder dass sie beim Datenschutz Fehler machen könnten. Nun haben ausgerechnet wir einen Fehler gemacht – ihn aber wenigstens schnell repariert.

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Standpunkt

Die acht Punkte guter Lehrerfortbildung

Mehr Coaching in der Weiterbildung: eines der Ergebnisse von Forscher Frank Lipowsky.

Von Frank Lipowsky

Um den wachsenden und sich immer schneller wandelnden Anforderungen in der Schule gerecht zu werden, reicht die Ausbildung von Lehrkräften an der Universität und am Studienseminar nicht aus. Es ist keine erfolgversprechende Strategie, auf die zunehmende Berufserfahrung der Lehrkräfte zu setzen, um Unterricht zu verbessern. Erforderlich ist vielmehr, dass sich Lehrkräfte regelmäßig und über das gesamte Berufsleben fort- und weiterbilden. Die Bedeutung der dritten Phase der Lehrerbildung ergibt sich auch daraus, dass die Wege in den Lehrberuf vielfältiger werden. Wodurch zeichnen sich wirksame unterrichtsbezogene Fortbildungen aus? Aus der Forschung kristallisieren sich die folgenden Punkte heraus:

(1) Wirksame Fortbildungen orientieren sich an Erkenntnissen der Lehr-/Lernforschung und der Unterrichtsforschung. Sie rücken sogenannte Tiefenmerkmale von Unterricht in das Zentrum, die sich in der Forschung als förderlich für die Lern- und/oder Motivationsentwicklung von Schüler:innen erwiesen haben. Hierzu zählen zum Beispiel die kognitive Aktivierung, ein konstruktives Feedbackverhalten der Lehrkraft oder die Anregung der Lernenden zur Anwendung von Lernstrategien.

(2) Damit geht einher, dass in wirksamen Fortbildungen häufig Kernpraktiken von Lehrkräften behandelt, erprobt und trainiert werden, von denen man durch die bisherige Forschung weiß, dass sie einen Einfluss auf das Lernen und Verstehen der Schüler:innen nehmen. Zu diesen Kernpraktiken gehört beispielsweise die Gestaltung von Aufgaben, das Stellen von kognitiv herausfordernden Fragen, das Führen von anregenden Unterrichtsgesprächen, das anschauliche und verständliche Erklären sowie das Geben eines Feedbacks, das die Denkprozesse der Schüler:innen aufrechterhält.

Wichtige Elemente: Feedback und Coaching

(3) Häufig werden Fortbildungen thematisch und inhaltlich breit konzipiert, vielleicht auch, weil man mit ihnen möglichst viele Lehrkräfte erreichen will. Die Forschung deutet jedoch darauf hin, dass wirksame Fortbildungen einen eher engen fachlichen und inhaltlichen Fokus haben und in die Tiefe gehen. In solchen Fortbildungen können Lehrkräfte ihre fachdidaktischen Kompetenzen effektiver weiterentwickeln – und die Qualität ihres Unterrichts heben.

(4) Damit geht einher, dass die Lehrpersonen die Möglichkeit haben, die Fortbildungsinhalte in ihrem Unterricht anzuwenden und zu erproben. Wirksame Fortbildungen geben Lehrkräften die Möglichkeit, neue Erkenntnisse zu gewinnen, diese Erkenntnisse im eigenen Unterricht anzuwenden und zu erproben und über ihre Praxis zu reflektieren. Diese Verknüpfung von Input-, Erprobungs- und Reflexionsphasen ist nicht in halbtägigen One-Shot-Fortbildungen zu erreichen, wie sie häufig noch üblich sind, sondern setzen Fortbildungsreihen voraus. Insbesondere wenn die Fortbildung auf eine Weiterentwicklung unterrichtlichen Handelns abzielt, sind solche Fortbildungen mit Erprobungs- und Reflexionsphasen wichtig.

(5) Vergleichsweise selten beinhalten herkömmliche Fortbildungen ein Feedback an die Lehrkräfte. Dabei zeigt die Forschung, dass wirksame Fortbildungen häufig entsprechende Feedback- und Coachingelemente beinhalten, insbesondere dann, wenn mit der Fortbildung eine Weiterentwicklung des Unterrichts angestrebt wird. Feedback- und Coachingelemente werden hier in einem weiteren Sinne verstanden: Beispielsweise sehen einige internationale Fortbildungskonzepte vor, dass die Fortbildner:innen nicht nur Feedback geben und nicht nur zur Reflexion über den Unterricht anregen, sondern die erwünschten Praktiken im Unterricht auch demonstrieren und damit quasi vormachen.

(6) Wenn Fortbildungen neue Einsichten ermöglichen, Erprobungsgelegenheiten schaffen und auch Feedback bereitstellen sollen, erstrecken sie sich folgerichtig über einen längeren Zeitraum. Aber es gibt auch kürzere Fortbildungen mit positiven Effekten auf das unterrichtliche Handeln von Lehrkräften. Und längere Fortbildungen gehen nicht immer mit positiven Wirkungen einher. Eine bestimmte Fortbildungsdauer dürfte zwar notwendig sein, um unterrichtliches Handeln von Lehrkräften weiterzuentwickeln, sie ist aber nicht hinreichend.

Teams statt einzelne Lehrkräfte weiterbilden

(7) Lehrkräfte entwickeln über Jahre ihren eigenen Unterrichtsstil und bauen unterrichtliche Routinen auf, die sich für die Lehrkräfte selbst bewährt haben. Wenn man diese Handlungsweisen und Routinen durch eine Fortbildung weiterentwickeln, aufbrechen und verändern möchte, muss man als Fortbildnerin und Fortbildner teilweise mit Widerstand rechnen. Man muss den “Beweis” antreten, dass die in der Fortbildung behandelten Inhalte zu einem besseren Unterricht beitragen und das Lernen der Schüler:innen mindestens genauso gut fördern wie der bisherige Unterricht der Lehrkräfte.

(8) Fortbildungen sollten sich nicht primär an einzelne Lehrpersonen, sondern an Teams von Lehrpersonen richten. Auf diese Weise können die teilnehmenden Lehrpersonen auch zwischen einzelnen Fortbildungsbausteinen gemeinsam weiter an den Inhalten arbeiten, diese breiter in ihrer Schule implementieren und sich wechselseitig Rückmeldungen geben. In Verbindung mit den oben genannten Merkmalen ist es hierbei erfolgversprechend, wenn Fortbildungen die unterrichtsbezogene Kooperation der Lehrpersonen stärkt.

Wer diese Punkte beachtet, entwickelt mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ein gutes Fortbildungsformat. Häufig entstehen sie in Kooperation mit der Wissenschaft. In dem Zusammenhang stellen sich auch strukturelle Fragen: Wie können Universitäten und Hochschulen stärker in die dritte Phase der Lehrerbildung einbezogen werden? Und wie kann es gelingen, mit erfolgversprechenden Fortbildungskonzepten viele Schulen und Lehrkräfte zu erreichen?

Aber bevor sich die Verantwortlichen dieser Fragen annehmen, braucht es Antworten auf die basalste Bedingung für wirksame Fortbildungen: Den Lehrkräften muss die Teilnahme an Fortbildungen ermöglicht werden. Wegen des Lehrkräftemangels verzichten Schulleitungen ungern auf einzelne Lehrkräfte – oder gar ein ganzes Team. Dies ist jedoch notwendig, damit sich Unterricht qualitativ und wirksam weiterentwickelt.  

Frank Lipowsky ist Professor für empirische Schul- und Unterrichtsforschung an der Universität Kassel. Er forscht unter anderem zu wirksamem Unterricht – und Lehrerbildung.

News

Simpleclub kündigt einem Viertel der Festangestellten

Simpleclub gehört zu den Großen unter den Kleinen: Es führt die Riege der digitalen Start-ups an, zusammen mit Bettermarks, Eduki, Sofatutor und einigen wenigen anderen. Nun kommt Simpleclub aber offenbar ins Straucheln und nimmt Kündigungen vor. Das Unternehmen hat 30 Personen emphatisch “als Rockstar mit massivem Einfluss” gedankt – und ihnen zugleich alles Gute für die weitere Zukunft gewünscht. Es sei bedauerlich, “dass wir Ihnen ihre Rolle bei Simpleclub nicht weiter anbieten können.” Mit anderen Worten: Simpleclub baut, für seine Verhältnisse, Stellen in großem Maße ab. Das geht aus einer Liste hervor, die Bildung.Table vorliegt – und auf der die Namen und Funktionsbezeichnungen der freizusetzenden Mitarbeiter stehen. Die Situation kommt durchaus überraschend, weil das Unternehmen erst im Februar 7,5 Millionen an Investitionen eingenommen hatte. 

Simpleclub wendet sich beruflicher Bildung zu

Simpleclub bestätigte die Kündigungen. “Im Rahmen der strategischen Fokussierung haben wir unsere Teamaufstellung angepasst und mussten uns leider von 22 festangestellten Mitarbeitenden trennen”, sagte Gründer Alexander Giesecke zu Bildung.Table. “Diese Entscheidung hat nichts mit der Performance der Mitarbeitenden zu tun.” Bei einem Stamm von rund 80 Festen bedeutet die Entlassung von 22 Leuten, dass ein Viertel des Kernteams gehen muss. Hintergrund ist eine neue Schwerpunktsetzung auf das B2B-Geschäft, also die Zusammenarbeit mit Unternehmen. Dieser Zweig zeichnet sich durch ein enormes Wachstum aus – auf inzwischen über 200 Unternehmenspartner wie die Bahn, Sparkassen und Brillux. Das heißt: Simpleclub wendet sich der beruflichen Bildung zu – wahrscheinlich, weil die Trutzburg Kultusbürokratie schwer zu knacken ist. “Die Unterstützung von Schüler:innen (B2C) bleibt ein wichtiger Bereich für uns”, sagte Co-Gründer Nicolai Schork. “Wir bauen die beste Lernapp der Welt”, hatten die Gründer erst jüngst verkündet.

Gerüchte über das als Hersteller von Lernvideos bekannt gewordene Unternehmen waren noch nicht lange gewabert, sind jetzt aber handfest. Hier steigt das Unternehmen aus einem anfangs gehypten Kooperationsprojekt aus. Dort fragen sich Kenner, warum die Investitionen auf viele kleine Lose aufgeteilt waren. Die nun aufgetauchte Liste macht die Vermutungen zur Gewissheit. Vor allem im Bereich der Content-Erstellung trennt sich das Unternehmen von vielen Mitarbeitern. Mehr als die Hälfte derer, die keinen Vertrag mehr erhalten, sind im Bereich der Inhalteherstellung tätig. Lehr- und Lerninhalte auf eine andere als lineare gedruckte Art bereitzustellen, ist die große Aufgabe für EdTechs. Die Schulbuchverlage haben die lehrplangerechten Lerninhalte; die EdTechs haben die neue Technologie, um Lernende individuell zu bedienen. Christian Füller

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Berliner Grundschüler erhalten den meisten Deutschunterricht

Kein Bundesland erteilt seinen Grundschülern mehr Deutschunterricht als Berlin. 31 Stunden sind an den Grundschulen der Hauptstadt in den ersten vier Jahren vorgesehen (7,75 Stunden pro Woche und Schuljahr). Zum Schuljahr 2019/20 hatte das Land die Stundentafel erhöht, zuvor waren es 27. Die Auswertung der Stundentafeln aller Bundesländer zeigt, dass es kaum Zusammenhang zwischen den Ergebnissen des IQB-Bildungstrends und der Anzahl der Deutschstunden gibt. So unterrichtet Berlin viel – und erreicht wenig. Im aktuellen Bildungstrend landete die Hauptstadt auf den hinteren Plätzen. Zum Vergleich: Spitzenreiter Sachsen erteilt seinen Grundschülern 26 Stunden Deutschunterricht. Deutschlandweit liegt der Freistaat damit im Durchschnitt.  

Die Zahl der zu unterrichtenden Deutschstunden variiert stark. Während in Hessen in den ersten vier Schuljahren insgesamt 22 Stunden Deutschunterricht auf dem Lehrplan stehen, sind es in Baden-Württemberg 28. Einige Bundesländer, darunter Bayern, Sachsen-Anhalt oder das Saarland, geben keine festen Stundenangaben für die einzelnen Fächer an, da sie die Aufteilung in den ersten Schuljahren den Schulen selbst überlassen. 

Geringer fallen die Differenzen bei den unterrichteten Mathematik-Stunden aus. Im Schnitt bewegen sich die meisten Bundesländer zwischen 20 und 22 Stunden in den ersten vier Schuljahren. Am wenigsten unterrichtet Rheinland-Pfalz (18), am meisten Niedersachsen (23). Auch hier zeigt sich, dass wenig bis kein Zusammenhang mit den Ergebnissen des IQB-Trends besteht. In Rheinland-Pfalz erreichten 58 Prozent der Schülerinnen und Schüler mindestens den Regelstandard im Bereich Mathematik. Damit liegt das Bundesland trotz zahlenmäßig wenigen Stunden über dem deutschen Durchschnitt von 54,8 Prozent. Niedersachsen dagegen schnitt mit 52 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die den Regelstandard oder mehr erreichten, knapp unterdurchschnittlich ab – trotz der vergleichsweise hohen Stundenzahl. Anouk Schlung

  • IQB

Deutsche Lehrer sind besonders kritisch gegenüber Digitalisierung

Eine neue europäische Studie hat ein überraschendes Ergebnis gebracht: dass deutsche Lehrkräfte Soft-Skills im Zuge der Digitalisierung geringschätzen. Die Frage lautete, welche Kompetenzen Schule für die digitale Welt vermitteln soll. Dabei setzten deutsche Lehrer Verantwortungsbewusstsein, Resilienz, Empathie und Flexibilität ganz nach hinten. Sie reihten diese Tugenden damit in einem Feld von elf europäischen Staaten mit Abstand auf dem letzten Platz ein, und lagen damit jeweils hinter Ungarn. Die Vodafone-Stiftung ließ die Studie erarbeiten und Mitte des Jahres 3.082 Lehrerkräfte von Ipsos befragen, in Deutschland lediglich 317 Lehrer. Die Liste der Teilnehmerstaaten reicht von Albanien, Griechenland und Großbritannien über Italien, der Niederlande, Portugal, Rumänien, Spanien, der Türkei bis Ungarn. 

Die Lehrerinnen und Lehrer hierzulande zeichnen sich durch eine kritische Haltung zur Digitalisierung aus. “Nur 55 Prozent der deutschen Lehrkräfte halten ihre Schule für in der Lage, digitale Kompetenzen adäquat zu vermitteln.” So steht es in der Studie. Acht von zehn Lehrenden befürchten, dass in der Digitalität Kulturtechniken wie Handschrift oder das Lesen von Büchern an Relevanz verlören. 55 Prozent haben Angst davor, dass sich die sozialen Ungleichheiten verstärkten. Immerhin sind hierzulande 57 Prozent der Lehrer der Ansicht, dass digitale Technologien “ihren Schüler:innen Zugang zu besseren Informationsquellen ermöglichen”. Aber nur 15 Prozent glauben, dass benachteiligte Schüler durch digitale Medien besser zu fördern seien. Ein Viertel der deutschen Lehrer gibt an, noch keine oder kaum Erfahrung mit digitalen Tools zu haben. 

Vodafone gibt weitreichende Handlungsempfehlungen

Die geringe Zahl an Befragten und die skeptische Haltung der Lehrer hinderte die Vodafone-Stiftung erneut nicht, weitreichende Handlungsanweisungen zu geben. In der Studie etwa wurden Europas Lehrkräfte nach Themen wie Künstliche Intelligenz (KI) oder adaptive Lerntechnologien nicht konkret befragt. Dennoch sollte KI, so der Vodafone-Rat, weiter und schneller vorangetrieben werden. Der jüngste IQB-Bildungstrend mit der Kompetenzerhebung bei Viertklässlern war zum Zeitpunkt der Meinungsbefragung noch gar nicht erhoben. Trotzdem gab die Stiftung auch hier Tipps. “Mehr Digitalität in der Schule und Verbesserung der Sprachkompetenzen müssen gerade kein Gegensatz sein.” cif

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Landeslizenz für Inklusions-App “Splint”

Das Land Niedersachsen stellt seinen Schulen die Inklusions-App “Splint” per Landeslizenz kostenlos zur Verfügung. Damit erringt das 2020 gegründete Start-up “Inklusion Digital” von Friedo Scharf und Sebastian Trapp eine der begehrten Lizenzen. Die App wird damit wie ein fest gefördertes Schulbuch angesehen. Nach eigenen Angaben ist das EdTech mit einer Handvoll weiterer Bundesländer im Gespräch, um auch dort Landeslizenzen zu erhalten. Splint ist nach Auskunft Scharfs bisher in 1.700 Schulen in der Nutzung, davon an 800 Einrichtungen in Niedersachsen.

“Inklusion digital” ist eine Mischung aus Organisations-App, Schulbuch, Schülerscreening und Kooperationstool für Lehrkräfte. Inklusionspädagogische Förderlehrer können mit der Web-App ihre Beobachtungs- und Dokumentationsaufgaben für die möglichst individuelle Betreuung von Schülern mit Handicaps vereinfachen, dabei helfen Beobachtungsbögen und Diagnostikhilfen. Die App erlaubt ihnen, das Ermitteln der Förderpläne zu routinisieren. “Das obligatorische Dokument des Förderplans, das halbjährig in der Schülerakte abzuheften und den Eltern vorzulegen ist, wird nach vorheriger Konsultation auf Knopfdruck produziert”, beschreibt Friedo Scharf.

Inklusions-App bringt mehr Zeit für Beziehungspflege

Zudem gibt es eine geschützte Ebene, auf die alle betreuenden Pädagogen zugreifen und ihre Ziele austauschen können. Die App greift auf eine Reihe von Standardwerken der förderpädagogischen Literatur zu. Für Gründer Scharf liegt mit der Landeslizenz der pädagogische Vorteil der App zur Inklusion auf der Hand. “Pädagog:innen benötigen vor allem Zeit für den Beziehungsaufbau und -pflege mit ihren Schüler:innen”, sagte er Bildung.Table. “Digitale Hilfen können Freiraum dafür schaffen.”

Das Erringen von Landeslizenzen ist eine große Hürde für EdTechs. Während Schulbücher einen festen Zugang zu Schulen haben, ist es für pädagogische Start-ups komplizierter. Es gibt bisher kein klares Verfahren zur Zertifizierung und datenschutzrechtlichen Prüfung digitaler Lernangebote. Bisher haben – jenseits der Lernmanagementsysteme wie itslearning, Moodle/Mebis oder iServ – nur Bettermarks und Sofatutor sogenannte Landeslizenzen oder fest vereinbarte Kooperationen mit Bundesländern eingehen können. Die Nase vorn hat der Stadtstaat Bremen, der in einem Referat digitale Anwendungen pädagogisch testet – und dann ausschreibt. Der Betreiber eines Start-ups beschreibt die Verhandlungen über eine Landeslizenz als den nervenaufreibenden Punkt. Es dauere oft Monate bis Jahre, ehe aus einer mündlichen Zusage ein fester Vertrag wird. Christian Füller

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Heads

Simone Fleischmann: Präsidentin fürs Gemeinwohl

Fleischmann, BLLV, Präsidentin
Charmant und gefürchtet: die Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, Simone Fleischmann.

Lobbyisten im pädagogischen Feld vertreten häufig zugespitzte Interessen. Der Verband der Realschullehrer fokussiert allein auf die Pädagogen dieser schwindsüchtigen Schulform. Der Philologenverband vertritt Lehrkräfte an Gymnasien, der Deutsche Lehrerverband nicht etwa Lehrer, sondern das “vielfältig gegliederte Schulsystem”. Bei Simone Fleischmann ist das anders. Sie steht mit ihrem Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV) für den kompletten Berufsstand – und damit für gute Bildung allgemein. Die ehemalige Schulleiterin spricht für Lehrkräfte an Grundschulen genau wie für jene an Sonderschulen, Gymnasien, Real- und Mittelschulen. Das bedeutet, sie kann sich nicht auf Standesinteressen beschränken. Die 1970 Geborene ist kompetent, einnehmend freundlich – und trotzdem fürchten sich vor ihr nicht wenige in der Politik. 

Denn die psychologisch geschulte Pädagogin kämpft wie eine Löwin. Das bringt sie in der multiplen Krisensituation von Schule mitunter an den Rand dessen, was mit Metaphern der Überforderung (von Pädagogen) und Verantwortungslosigkeit (von Politik) noch beschreibbar ist. “Wir leben in einem Dschungel der Krisen: Der sich immer weiter verschärfende Lehrermangel, die anhaltende Corona-Pandemie, die Inflation, die Energiekrise und die Zunahme von Menschen, die vor unzähligen Kriegen zu uns flüchten.” So hebt Fleischmanns Kassandraruf in ihrer jüngsten Pressemitteilung an. Und kommt im achten Absatz zum Thema: “Die Zunahme der Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer ist besorgniserregend!” 

Der professionellste Lehrerverband Deutschlands

Manche Lehrerfunktionäre blicken auf Fleischmanns Verband nicht ohne Häme. Unter Lehrer-Lobbyisten spricht man gerne vom Volksschullehrerverband. Damit will ausgedrückt sein, dass es in Deutschland für jede Schulform einen Verband gibt – nur für die Hauptschullehrer nicht. Hauptschulen, die früher Volksschulen hießen und teils 60 bis 80 Kinder pro Klasse bildeten, haben keine Lobby. Wahrscheinlich wurde in Bayern deswegen die Hauptschule in Mittelschule umbenannt. Für Simone Fleischmann bringt das die Freiheit, von partikularen Interessen zum Gemeinwohl zu kommen: Chancengleichheit. Man könnte ihren Club auch umbenennen in Agentur für gleiche Bildungschancen für alle

Fleischmanns Vorgänger Klaus Wenzel hat aus der Not eine Tugend gemacht und den professionellsten Lehrerverband Deutschlands geformt. Wenn der BLLV zu einem Hearing ruft, dann sitzt der Generalsekretär der Kultusministerkonferenz dabei, ein Ex-Ministerpräsident – und ein bekannter Kabarettist. Das Magazin des BLLV ist keine hektografierte Vereinspostille, sondern wird von einem Mann geleitet, der für die Süddeutsche Zeitung Reporter ausbildet. Wenzel lud die klügsten Köpfe der Pädagogik ins G8-Tagungshotel in den Alpen zur Diskussion. Eine ähnliche Runde hat Fleischmann nun in das Hotel in München gebeten, wo üblicherweise die Sicherheitskonferenz tagt. So geht Prioritätensetzung: Während die FDP angesichts der Megakrisen ihr Motto “weltbeste Bildung” radikal negiert, holt Fleischmann die Menschen an jenen Ort, wo sonst Staatschefs über Krieg und Frieden räsonieren. Um dort über das Lernen der Zukunft und achtsame Bildung nachzudenken. 

Fleischmann forderte Chefsache. Söder lieferte A13 für alle Lehrkräfte

Fleischmann ist Psychologin, Pädagogin und Politikerin vor allem aber eine Managerin. Sie leitete eine der größten Schulen in Bayern, seit 2015 steht sie einem Verband mit 65.000 Mitgliedern vor. Als Vorgänger Wenzel langsam Richtung Ruhestand schielte, fragte man sich: Wer soll diesem Multiprofi nur nachfolgen, was wird aus dem BLLV? Simone Fleischmann hat mit ihrem fordernden und zugleich teambewussten Führungsstil den Verband vielleicht noch etwas einflussreicher gemacht.

Seit einiger Zeit fordert Fleischmann, den gewisslich überforderten Freie-Wähler-Minister Michael Piazolo zu übergehen und Schule zur Chefsache zu machen. Das hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) praktisch getan, als er die Besoldungsstufe A 13 für alle Lehrkräfte in Bayern ausrief. Das ist eine Bestätigung für Fleischmanns Ansatz: Alle Lehrer sind gleich. Auch auf anderen Feldern, etwa der Digitalisierung, rammt Söder die Pflöcke ein. Trotzdem verscherzt es sich Fleischmann nicht mit den Freien Wählern. In ihrer Führungsriege hat sie Leute von ihnen sitzen. 

Bayerische Präsidentin mit preußischem Motto

Den Umgang mit schwierigen Politikern und Journalisten hat Fleischmann von der Pike auf gelernt. Sie hat eine Therapie-Ausbildung gemacht und ein Buch über den Umgang mit verhaltensauffälligen Schülern verfasst. Das heißt natürlich nicht so, sondern “Was tue ich, wenn…? Schwierige Situationen im Schulalltag”. Die Selbsteinschätzung von Personen, so schreibt Fleischmann, “kann als allgegenwärtige Haltung bezeichnet werden, die sich in jedem Verhalten und in jeder Handlung niederschlägt.” Oder anders gesagt: Ermächtige Schüler, indem du ihr Selbstbewusstsein stärkst. Das bezieht Fleischmann auch auf sich selbst. Sie ist eine betörend fröhliche Optimistin. Ihr Motto klingt dabei fast preußisch: “Nur Bildung bringt uns aus dieser Krise – und ein starker öffentlicher Dienst.”

Das bedeutet nicht, dass sie ihren Antipoden nichts zumuten würde. Mitten in der Corona-Pandemie hielt Fleischmann ein Online-Hearing ab, in dem Schulleiterinnen und Schulleiter stundenlang ihre Wirklichkeiten schilderten. Presseprofis hätten ihr von diesem Marathon wahrscheinlich abgeraten. Fleischmann zog es durch – hinterher waren die Medien voll von zum Teil markerschütternden Berichten. Und die Öffentlichkeit verstand zum ersten Mal, wie Schulleitungen gerade ausbrennen. Für sie ist Simone Fleischmann die stärkste Verbündete

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Presseschau

Plädoyer: Ganztagsschulen für Bildungsgerechtigkeit ZEIT
Nach Unterbrechung: Berlins Schulinspektion setzt wieder ein TAGESSPIEGEL
A13 für alle: GEW macht Druck TAZ
Hamburg: Welche Fächer dem Pflichtfach Informatik weichen müssen TAZ
Von Hirschhausen plädiert für mehr Klima-Bildung ZEIT
Studie: Bereits Grundschulkinder können wissenschaftlich denken SZ
Zahl junger Menschen in Pflege-Ausbildungen steigt TAGESSCHAU
Wie Schulen von VR in der Bildung profitieren können MIXED
Corona: Vier Bundesländer schaffen Isolationspflicht ab T-ONLINE
Die Relevanz von Bildung für Gesundheit ÄRZTEBLATT

Termine

21. November 2022, 16:00 bis 17:00 Uhr, online
Konferenz Bildung Digitalisierung: Mit Kooperation zu mehr Teilhabe in der digitalen Transformation für alle
Taking Charge – Visionen für das System Schule ist das Motto der diesjährigen Konferenz Bildung Digitalisierung. Im digitalen Begleitprogramm wird die Frage gestellt, wie mehr Teilhabe in der digitalen Lebens- und Arbeitswelt für jungen Menschen gewährleister werden kann. Speakerinnen sind unter anderem Julia Kleeberger (Junge Tüftler gGmbH) und Diana Christov (ZiviZ). INFOS & ANMELDUNG

22. November 2022, 17:15 bis 18:15 Uhr, online
Workshop: Wie wir die mittlere Führungsebene als change agents an Schulen stärken
Ebenfalls im Zuge der Konferenz Bildung Digitalisierung legt dieser Workshop Fokus auf die mittlere Führungsebene an Schulen und deren Handlungsmächte, besonders im Wandel von Kulturen der Digitalität und Inklusion. Im Anschluss an eine Vorstellung von Professionalisierungsformaten findet eine Diskussionsrunde statt. INFOS & ANMELDUNG

21. November 2022, 16:00 bis 18:30 Uhr, online
Veranstaltung: Wem gehört das Internet?
In dieser Veranstaltung geht es um Bildung und Wissen zwischen Privatisierung, Regulierung und gemeinsamen öffentlichen Gütern. Dabei werden Möglichkeiten und Handlungsoptionen zum Umgang mit der Digitalwirtschaft auf EU-Ebene diskutiert. Anmeldeschluss ist der 18. November. INFOS & ANMELDUNG

23. November 2022, 16:00 bis 17:00 Uhr, online
Workshop: Spekulative Zukünfte des Lernens entwerfen: Zukunftsforschung und Schule
Ein Perspektivwechsel und das Erlangen neuer Aussichten ist die Methode dieses Workshops, um Zukunftsvisionen für das System Schule entwickeln zu können. Als Grundlage für den Workshop dient die Zukunftsbox Zukunft der Arbeit, die vom Education Innovation LAB in Kooperation mit dem Futurium Berlin entwickelt wurde. INFOS & ANMELDUNG

24. November 2022, 19:00 bis 20:30 Uhr, Düsseldorf und online
MINT-Forum digital: Welche MINT-Bildung braucht es im 21. Jahrhundert?
Der Rotary Berufsdienst will in dieser Veranstaltung diskutieren, wie es um die Qualität der MINT-Bildung in Deutschland steht und welche starken MINT-Netzwerke es aktuell gibt. Speaker sind unter anderem Ekkehard Winter (Nationales MINT-Forum) und Magdalena Hein (Gemeinschaftsoffensive MINT-Nachwuchs NRW). INFOS & ANMELDUNG

05. und 06. Dezember 2022, online
Konferenz: NEPS Conference
Organisiert vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe bringt die NEPS Conference Forschende aus verschiedenen Disziplinen an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg zusammen, um die aktuellen Entwicklungen der Bildungswissenschaft zu diskutieren. Zudem wird ein Award verliehen für die beste NEPS-Publikation des Jahres. INFOS

05. und 06. Dezember 2022, Berlin und online
Tagung zum Berufsorientierungsprogramm: “Neue Welten erkunden – Digitalisierung in der Beruflichen Orientierung”
Am 05. Dezember 2022 eröffnet Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger im Berliner Congress Centrum bcc die Tagung, die sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die berufliche Bildung beschäftigt. Thematisiert werden unter anderem Digitale Potenziale in Handwerksberufen und das Leben und Arbeiten in einer global vernetzten Welt INFOS & ANMELDUNG

8. Dezember 2022 10:00 bis 17:00 Uhr, Berlin
Tag der Bildung: Gute Bildung in schwierigen Zeiten
Der von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, den SOS-Kinderdörfern und dem Stifterverband gefeierte Aktionstag der Bildung will gute Bildung in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit rücken und positive Impulse setzen. Speakerinnen sind unter anderem Lisa Paus (Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) und Elke Büdenbender (Schirmherrin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung). INFOS & ANMELDUNG

BILDUNG.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Fachleute legen Fahrplan für Startchancen-Programm vor
    • Stephan Bayer zu Tracking bei Sofatutor: “Das war nicht vorgesehen”
    • Standpunkt: Die acht Punkte wirksamer Lehrerfortbildung
    • Simpleclub kündigt einem Viertel der Festangestellten
    • Berliner Grundschüler erhalten den meisten Deutschunterricht
    • Deutsche Lehrer besonders kritisch gegenüber Digitalisierung
    • Landeslizenz für Inklusions-App “Splint”
    • Heads: Simone Fleischmann – Präsidentin fürs Gemeinwohl
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Bildungsrepublik wartet auf den Startschuss fürs Startchancen-Programm der Ampel. Wie sollen die tausenden Schulen ausgewählt werden, die Geld und gute Bauten erhalten? Diese Frage brennt – und wird nun von einer Gruppe von Fachleuten mit einer einfachen Formel beantwortet: Schulen mit vielen Schülern, die in Hartz-IV-Familien leben, erhalten die Förderung. Anna Parrisius hat sich das Papier, das im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung entstanden ist, genauer angesehen und die vier wichtigsten Punkte zusammengefasst.

    Ein Vorurteil begegnet EdTechs häufig: Sie sorgen nicht für genügend Datenschutz. Die Lernapp Sofatutor bestätigte diese Befürchtung kürzlich – weil sie sich mit Datenkraken austauscht. “Das war nicht vorgesehen”, sagt Gründer Stephan Bayer im Interview und entschuldigt sich. Das Gespräch mit Christian Füller ist nicht nur ein Mea Culpa, sondern ein lesenswerter Debattenbeitrag, welche Daten Lernapps sammeln – und warum das für sie zum Geschäftsmodell gehört.

    Zum Schluss sei Ihnen der Gastbeitrag von Schulforscher Frank Lipowsky empfohlen. Immer mehr Wege führen in den Lehrberuf, Schulen ändern sich – und so steigt der Bedarf an Weiterbildungen. Lipowsky forscht dazu, was Seminare, Workshops und Fortbildungen erfolgreich macht. Für Sie hat er acht Punkte wirksamer Lehrerbildung – als aktuellen Stand der Forschung – aufgeschrieben.

    Eine erkenntnisreiche Lektüre wünscht,

    Ihr
    Niklas Prenzel
    Bild von Niklas  Prenzel

    Analyse

    Fahrplan für das Startchancen-Programm

    Das Bundesbildungsministerium versteht sich als “Chancenministerium”, sein Prestigeprojekt ist das Startchancen-Programm. Bei der Planung möchte man die Forschung einbeziehen. Handfeste Vorschläge formuliert nun ein erstes Gutachten. Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ist vorgeprescht und hat eine Expertenkommission Eckpunkte abstecken lassen (zum Download). An dem Papier mitgeschrieben haben unter anderem Martina Diederich, Direktorin des IfBQ Hamburg, und der Schulrechtler Felix Hanschmann von der Bucerius Law School. Den Vorsitz hatte Hanna Dumont inne, Professorin für Pädagogische Psychologie an der Universität Potsdam.

    Bekannt ist bisher, dass das Startchancen-Programm 4.000 Schulen in Brennpunktlagen unterstützen will. Drei Säulen sind geplant: Investitionen in den Schulbau, Ausbau der Schulsozialarbeit und ein autonom verwaltetes Schulbudget. Nicht bekannt ist, wie das BMBF diese Säulen bauen möchte. Die Kommission äußert sich nun teilweise mit so klaren Worten, dass es angesichts der politischen Großwetterlage, der knappen Kassen und der schleppend laufenden Vorbereitungen des Programms ungemütlich für das BMBF werden könnte.  

    Das sind die vier zentralen Forderungen

    1. Mindeststandards als Basis 

    “Das reine Ausschütten von Geld wird wenig bringen”, meint Hanna Dumont, gegenüber Bildung.Table. Das zeige internationale Forschung. Das Programm darf nicht ausfransen. Gelingen könnte das laut Kommission durch eine “klar fokussierte Zielbestimmung”. Alle Beteiligten sollten wissen, welches Niveau Schüler mindestens erreichen sollten. Nötig sei es dafür, Mindeststandards festzulegen. Bei ihnen sollten Mathematik und Deutsch, nicht zuletzt nach dem IQB-Schock, im Zentrum stehen. Aber auch die Selbstlernkompetenzen sollten gestärkt werden, also wie gut ein Kind seine Motivation und seine Emotionen beim Lernen regulieren kann. Und “Citizenship“, womit die Experten “Verantwortung für das gemeinsame Erfahrung gewinnen und Leben” meinen. 

    2. Kein Königsteiner Schlüssel 

    In Berlin und Hamburg gibt es mehr Kinder aus benachteiligten Milieus als in Bayern. Das ist bekannt. Dennoch steht in den Bund-Länder-Gesprächen weiter im Raum, Teile des Startchancen-Gelds nach dem undifferenzierten Königsteiner Schlüssel zu verteilen. Die Bildungspolitik würde damit Fehler aus der Vergangenheit wiederholen, warnt die FES-Kommission.

    Die Experten schlagen eine Alternative vor. Die Schulen könnten danach ausgewählt werden, wie viele Schüler aus Familien mit Hartz IV sie besuchen. Es ist ein Indikator, der allen Ländern in der Schulstatistik vorliegt. Noch besser sei ein Sozialindex, wie es ihn in Hamburg, NRW und seit diesem Jahr auch in Berlin gibt – da solche Indizes zusätzliche Merkmale einberechnen, zum Beispiel wie viele Schüler Deutsch nicht als Muttersprache oder sonderpädagogischen Förderbedarf haben. Auf Bundesebene einen vergleichbaren Index zu schaffen, sei allerdings schwer möglich, da nicht allen Ländern die gleichen Daten vorliegen. Mit dem Anteil der Kinder aus Haushalten, die Leistungen nach SGB II erhalten, kommt man nah an die richtigen Schulen dran, meint Dumont. “Es ist der beste und pragmatischste Indikator.”  

    Die Kommission spricht sich außerdem dafür aus, zu einer Hälfte Grundschulen zu fördern, zur anderen Hälfte weiterführende und berufliche Schulen. “Je früher man interveniert, desto besser”, sagt Dumont.  

    3. Mehr Systematik in Förderstrukturen

    Der Bund und die Länder fördern Brennpunktschulen bereits mit mehreren Programmen. Die FES-Kommission fordert daher, dass Schulen, die jetzt das Chancenbudget erhalten, das Rad nicht neu erfinden. Sie bräuchten vielmehr Hilfe dabei, unter bereits existierenden Angeboten das für sie beste zu finden – und so das Budget effektiv einzusetzen. “Wir müssen Maßnahmen zur Förderung, Lerndiagnostik oder Evaluation dringend systematisieren und bündeln“, fordert Dumont. Bislang mangele es oft noch schlicht an Verzahnung und Kommunikation zwischen den verantwortlichen Stellen.

    4. Startchancen nur mit Milliardeninvestitionen  

    Die Ampel wollte Fortschrittskoalition sein, Bettina Stark-Watzinger rief gar eine Bildungsrevolution aus. Genauso ambitioniert verhandelten die Koalitionäre im vergangenen Jahr über das Startchancen-Programm. Sie sprachen intern von eineinhalb bis zweieinhalb Milliarden Euro, die das Programm kosten würde. Das sei das Minimum, heißt es im FES-Papier – verbunden mit folgender Rechnung: 

    • Säule I: 1 Mrd. Euro für das Investitionsprogramm zum Umbau ( = 250.000 Euro pro Schule) 
    • Säule II: 800 Mio. Euro für das Chancenbudget ( = 200.000 Euro pro Schule) 
    • Säule III: 200 Mio. Euro für die 4.000 Stellen für Schulsozialarbeiter ( = etwa 50.000 Euro pro Stelle)  

    Doch selbst damit bewegt sich der Bund an der unteren Kante. Besonders deutlich ist das beim angekündigten Umbau der Schulen: Laut Koalitionsvertrag sollen “moderne, klimagerechte, barrierefreie Schulen mit einer zeitgemäßen Lernumgebung und Kreativlaboren” entstehen. Um den bundesweiten Investitionsbedarf für Schulgebäude zu decken, bräuchte es jedoch mehr als 45 Milliarden Euro, schätzen die Experten. Das geplante Investitionsprogramm wird also nur reichen, um die größten Löcher zu stopfen.  

    Auch ein “Chancenbudget” über jährlich 200.000 Euro pro Schule halten die Experten für “keineswegs üppig”, zumal wenn für Fördermaßnahmen neues Personal nötig wird. Und sie werfen die Frage auf, wer die Schulsozialarbeiter nach Ende der Förderung weiter finanziert. Dumont sagt: “Generell sollte die Politik sich fragen, wie es nach der Förderphase weitergeht, eine einmalige Finanzspritze wird die Probleme nicht lösen.”  

    Lesen Sie auch: “Die Datenlage ist ein Flickenteppich”

    • BMBF
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    • Startchancen

    Sofatutor: “Tracking war nicht vorgesehen”

    Man sieht Stephan Bayer, er geht von Lernvideos zur Lobby
    “Technischer Fehler”: Stephan Bayer erläutert, wie es zum Tracking bei Sofatutor kam

    Herr Bayer, Sie sind ein alter Hase im EdTech-Universum. Wie konnte es passieren, dass Sie Daten über Schüler erheben – und weitergeben? 

    An einer Stelle in unserem Endkonsumentengeschäft ist letzte Woche ein technischer Fehler entdeckt worden. Entstanden ist er während der Entwicklung unserer Mobile-App durch die Verwendung einer sogenannten “Wrapper”-Technologie. Dabei wird eine mobile App basierend auf der Web-Browser-Version erstellt, die große Teile der Funktionalität beibehält. Daten erheben wir übrigens die ganze Zeit. Schulen, Schulträger und Länder wollen evaluieren, ob die Sofatutor-Lizenz eine sinnvolle Investition ist.

    Und Ihre Programmierer haben nicht bemerkt, dass dabei in der App auch Tracker ausgewickelt wurden? 

    Nein, Trackings von Werbepartnern waren hier nicht vorgesehen und machen dort auch keinen Sinn. Die Apps sind für uns kein Kanal zur Kundengewinnung, sondern vor allem eine Nutzungsmöglichkeit für bereits registrierte Kunden. Trotzdem hatte Herr Kuketz Recht zu beanstanden, dass werberelevante Trackings von Dritten hier zu finden sind. Genauer gesagt: zu finden waren. Wir haben alle Marketing-Trackings unmittelbar nach Erscheinen seines Artikels aus den beiden Apps entfernt. Sie dienten zu keiner Zeit einem Erkenntnisinteresse. 

    Für Tiktok und Facebook in jedem Fall. Warum lassen Sie sich überhaupt darauf ein, mit derartigen Datenkraken zu kooperieren?

    Da es bislang keine nennenswerte öffentliche Förderung gibt, haben wir uns ein weiteres Standbein entwickelt: den Verkauf an Endkunden, also Familien, Eltern, SchülerInnen direkt. Hier gehört die Online-Vermarktung über die üblichen Plattformen einfach dazu.

    Ohne Tracking geringeres Wachstum

    Sie wollen doch bitte Tracking bei Schülern nicht dadurch rechtfertigen, dass der Staat zu wenig Landeslizenzen vergibt?

    Nein, das will ich nicht. Als innovatives Online-Lerntool sind wir dennoch abhängig davon, unser Angebot an ein breites Publikum zu kommunizieren. Unsere Werbe-Kampagnen laufen da, wo sich junge Leute und ihre Eltern nun mal aufhalten – bei TikTok beziehungsweise bei Facebook. 

    Wozu tracken Sie da?

    Weil wir hier herausfinden wollen – und müssen -, ob neue NutzerInnen beispielsweise durch eine Anzeige auf Facebook oder TikTok zu Sofatutor finden. Das machen auch andere werbende Online-Angebote wie Online-Shops, Entertainment-Angebote, Datingseiten, Direkt-Banking oder Jobbörsen.

    Interessante Liste. 

    Wir schließen neue Mitgliedschaften in erster Linie über die Website, also in der Browserversion ab. Ein Unternehmen wie unseres mit rund 250 Beschäftigten kann gar nicht anders überleben, als am Online-Werbemarkt teilzunehmen. Wir müssen auf dem Endkundenmarkt zu Nutzern kommen, denen unsere Anwendung beim Lernen hilft. Die einzige Alternative, unser Unternehmen profitabel zu führen und auch unserer Verantwortung als Arbeitgeber nachzukommen wäre, wenn Unternehmen, Schulen oder Länder Lizenzen für Sofatutor erwerben. Das geschieht auch heute schon, allerdings nicht in dem Ausmaß, dass es für ein gesundes Wachstum sorgt.

    Aber hat Mike Kuketz nicht Recht, wenn er moniert, dass man die Nutzenden wenigstens auf das Tracking hinweisen muss?

    Herr Kuketz hat uns auf einen Fehler hingewiesen, keine Frage. Aber beim Banner liegt er falsch. Neue Kunden finden, wie gesagt, nicht über die App zu uns, sondern über den Browser. Dort ist selbstverständlich ein Consent Banner – in dem die Trackings angekündigt werden. Interessenten können dem Tracking zustimmen oder die Einbindung von Drittanbietern natürlich auch ablehnen. Ohne die eine Refinanzierung unserer Investitionen gar nicht möglich wäre…

    … außer Schulbehörden und -träger würden ihr Angebot stärker nutzen. 

    Wir haben zwei Nutzungsszenarien. Sofatutor wird entweder in der Schule eingesetzt, das sind die Schul- und Lehrkräfte-Accounts. Oder privat von Eltern und Kindern, da sprechen wir von Endkunden-Accounts. 

    “Unser Umsatz wird größtenteils aus dem Geschäft mit Familien generiert”

    Aber auch die Nutzer, die über Schulaccounts kommen, benutzen doch die App. Es sind Schüler – und deren Daten haben Sie mit Facebook und TikTok geteilt. 

    In der Nutzung durch Schüler:innen, entweder über bezahlte Zugänge über Schule, Länder oder Träger oder auch bei der Nutzung von durch Lehrkräften geteilten Inhalten, findet kein personenbezogenes Tracking statt. In diesen Fällen schließen wir einen Vertrag zur Verarbeitung der Daten ab. Beispielsweise werden in Länder mit Landeslizenz oder bei der Nutzung von Inhalten, die über Lehrkräfte geteilt wurden, die Apps gar nicht genutzt.

    Wie viele ihrer Nutzer arbeiten in den Apps, wie viele über den Browser? 

    Mehr als zwei Drittel unserer Nutzer:innen nutzen sofatutor über den Browser, knapp ein Drittel via App, davon entfällt der größte Teil auf die iOS App.

    Wie viele Nutzer kommen über Landeslizenzen und wie viele als Endkunden?

    Unser Umsatz wird größtenteils aus dem Geschäft mit Familien generiert.

    Nochmal zurück zu den Nutzern über Landeslizenzen. Sie können garantieren, dass die personenbezogenen Daten von Schülern nun nicht mehr an Dritte weitergegeben werden?

    Ja. Im öffentlich finanzierten Bereich der Schullizenzen wurden auch bisher keine Tracker eingesetzt. Und für Endkunden gilt: Stimmen Nutzer:innen und Besucher:innen der Website dem Consent-Banner zu, werden Daten teilweise eben auch durch die jeweiligen eingebundenen Drittanbieter verarbeitet.

    Fließen Daten ohne Einwilligung an Facebook/Meta?

    Nein. 

    Hat Tiktok Zugriff auf das Nutzungsverhalten der Lernenden?

    Nein.

    Google?

    Nein. 

    Andere Start-ups beharren darauf, dass gute Datenanalysen innerhalb des Programmes ohne die einschlägigen Tools von Google gar nicht möglich seien. 

    Es ist auch möglich, Daten von Nutzern ohne Google Analytics & Co. zu analysieren. Hier entsteht in den nächsten Jahren sicher noch mehr Angebot am Markt. Aber die Funktionsvielfalt der heute gängigen Analyse-Tools zu erreichen, ist ein hoher technischer Aufwand. Um mal einen Vergleich zu machen: Es ist so, als möchten Sie nach Australien reisen: Sie können einen Flug buchen oder ein Flugzeug bauen.

    Vorurteile gegen Lernapps – von Politik und Öffentlichkeit

    Müssen wir nicht grundsätzlicher über die Nutzung von Daten bei Lernanwendungen sprechen? Es ist ja interessant, über die Software zu erfahren, wie viele Aufgaben der Christian wann richtig macht – und wie er sich dabei von Stephan unterscheidet. Sonst machen adaptive Lernsysteme überhaupt keinen Sinn. 

    Was Sie beschreiben, ist Teil des Problems einer Öffentlichkeit, die über Möglichkeiten von Software noch kaum informiert ist. 

    Wo liegt der Widerspruch?

    Einerseits wollen wir natürlich wissen und müssen es auch, wo – um die letzte Studie herauszugreifen – die Viertklässler eigentlich gerade stehen. Mit digitalen Lernanwendungen könnte man dazu sehr kurzfristig Wasserstandsmeldungen abgeben. Das heißt, wir müssten nicht mehr fünf Jahre von Studie zu Studie warten – und dann darüber rätseln, ob die Schüler nun wegen Corona oder wegen einer ganz anderen Ursache schlechter abschneiden. 

    Und andererseits? 

    Andererseits möchte die Öffentlichkeit auf keinen Fall, so scheint es jedenfalls, dass man die Lerndaten nutzt, um die Fortschritte von Christian und Stephan nicht nur beobachten, sondern positiv beeinflussen zu können. Genau das aber ist das Wertvolle an digitalen Lerntools. 

    Ist es nicht ein denkbar ungeeigneter Zeitpunkt für ein Datenleck, drei Wochen vor dem Treffen von Kultusministern und Start-ups? 

    Ich finde “Datenleck” hier eine zu extreme Formulierung. Es sind ja keine Kundendaten mit Namen oder E-Mail-Adressen et cetera an Dritte geflossen. Dennoch, es ist ein Fehler. Dafür entschuldigen wir uns bei den Nutzern und unseren Peers, den deutschen EdTech-Startups. Wir hoffen, dass die Branche keine Rufschädigung erfährt. Seit Jahren arbeiten wir alle daran, die Vision von einer besseren, digitalen Schule mit konkreten Lösungen zu füllen. Unsere Branche erfüllt einen wichtigen gesellschaftlichen Auftrag – was während der Schul-Lockdowns deutlich wurde.

    Trotzdem hält die Kultusbürokratie die EdTechs auf Sicherheitsabstand. 

    Ja, bisher fördert die öffentliche Hand fast keine Firma ernsthaft. Es findet auch keine gemeinsame Entwicklung einer Vision von einer digitalen Schule zwischen Digital-Anbietern und Schulverwaltung statt. In 15 Jahren Sofatutor bin ich in Gesprächen mit Schulverwaltung und Politik häufiger über das Vorurteil gestolpert, dass die Start-ups vielleicht nicht die didaktische Qualität der Schulbuchverlage erreichen. Oder dass sie beim Datenschutz Fehler machen könnten. Nun haben ausgerechnet wir einen Fehler gemacht – ihn aber wenigstens schnell repariert.

    • Daten
    • Schulverwaltung
    • Sofatutor
    • Stephan Bayer

    Standpunkt

    Die acht Punkte guter Lehrerfortbildung

    Mehr Coaching in der Weiterbildung: eines der Ergebnisse von Forscher Frank Lipowsky.

    Von Frank Lipowsky

    Um den wachsenden und sich immer schneller wandelnden Anforderungen in der Schule gerecht zu werden, reicht die Ausbildung von Lehrkräften an der Universität und am Studienseminar nicht aus. Es ist keine erfolgversprechende Strategie, auf die zunehmende Berufserfahrung der Lehrkräfte zu setzen, um Unterricht zu verbessern. Erforderlich ist vielmehr, dass sich Lehrkräfte regelmäßig und über das gesamte Berufsleben fort- und weiterbilden. Die Bedeutung der dritten Phase der Lehrerbildung ergibt sich auch daraus, dass die Wege in den Lehrberuf vielfältiger werden. Wodurch zeichnen sich wirksame unterrichtsbezogene Fortbildungen aus? Aus der Forschung kristallisieren sich die folgenden Punkte heraus:

    (1) Wirksame Fortbildungen orientieren sich an Erkenntnissen der Lehr-/Lernforschung und der Unterrichtsforschung. Sie rücken sogenannte Tiefenmerkmale von Unterricht in das Zentrum, die sich in der Forschung als förderlich für die Lern- und/oder Motivationsentwicklung von Schüler:innen erwiesen haben. Hierzu zählen zum Beispiel die kognitive Aktivierung, ein konstruktives Feedbackverhalten der Lehrkraft oder die Anregung der Lernenden zur Anwendung von Lernstrategien.

    (2) Damit geht einher, dass in wirksamen Fortbildungen häufig Kernpraktiken von Lehrkräften behandelt, erprobt und trainiert werden, von denen man durch die bisherige Forschung weiß, dass sie einen Einfluss auf das Lernen und Verstehen der Schüler:innen nehmen. Zu diesen Kernpraktiken gehört beispielsweise die Gestaltung von Aufgaben, das Stellen von kognitiv herausfordernden Fragen, das Führen von anregenden Unterrichtsgesprächen, das anschauliche und verständliche Erklären sowie das Geben eines Feedbacks, das die Denkprozesse der Schüler:innen aufrechterhält.

    Wichtige Elemente: Feedback und Coaching

    (3) Häufig werden Fortbildungen thematisch und inhaltlich breit konzipiert, vielleicht auch, weil man mit ihnen möglichst viele Lehrkräfte erreichen will. Die Forschung deutet jedoch darauf hin, dass wirksame Fortbildungen einen eher engen fachlichen und inhaltlichen Fokus haben und in die Tiefe gehen. In solchen Fortbildungen können Lehrkräfte ihre fachdidaktischen Kompetenzen effektiver weiterentwickeln – und die Qualität ihres Unterrichts heben.

    (4) Damit geht einher, dass die Lehrpersonen die Möglichkeit haben, die Fortbildungsinhalte in ihrem Unterricht anzuwenden und zu erproben. Wirksame Fortbildungen geben Lehrkräften die Möglichkeit, neue Erkenntnisse zu gewinnen, diese Erkenntnisse im eigenen Unterricht anzuwenden und zu erproben und über ihre Praxis zu reflektieren. Diese Verknüpfung von Input-, Erprobungs- und Reflexionsphasen ist nicht in halbtägigen One-Shot-Fortbildungen zu erreichen, wie sie häufig noch üblich sind, sondern setzen Fortbildungsreihen voraus. Insbesondere wenn die Fortbildung auf eine Weiterentwicklung unterrichtlichen Handelns abzielt, sind solche Fortbildungen mit Erprobungs- und Reflexionsphasen wichtig.

    (5) Vergleichsweise selten beinhalten herkömmliche Fortbildungen ein Feedback an die Lehrkräfte. Dabei zeigt die Forschung, dass wirksame Fortbildungen häufig entsprechende Feedback- und Coachingelemente beinhalten, insbesondere dann, wenn mit der Fortbildung eine Weiterentwicklung des Unterrichts angestrebt wird. Feedback- und Coachingelemente werden hier in einem weiteren Sinne verstanden: Beispielsweise sehen einige internationale Fortbildungskonzepte vor, dass die Fortbildner:innen nicht nur Feedback geben und nicht nur zur Reflexion über den Unterricht anregen, sondern die erwünschten Praktiken im Unterricht auch demonstrieren und damit quasi vormachen.

    (6) Wenn Fortbildungen neue Einsichten ermöglichen, Erprobungsgelegenheiten schaffen und auch Feedback bereitstellen sollen, erstrecken sie sich folgerichtig über einen längeren Zeitraum. Aber es gibt auch kürzere Fortbildungen mit positiven Effekten auf das unterrichtliche Handeln von Lehrkräften. Und längere Fortbildungen gehen nicht immer mit positiven Wirkungen einher. Eine bestimmte Fortbildungsdauer dürfte zwar notwendig sein, um unterrichtliches Handeln von Lehrkräften weiterzuentwickeln, sie ist aber nicht hinreichend.

    Teams statt einzelne Lehrkräfte weiterbilden

    (7) Lehrkräfte entwickeln über Jahre ihren eigenen Unterrichtsstil und bauen unterrichtliche Routinen auf, die sich für die Lehrkräfte selbst bewährt haben. Wenn man diese Handlungsweisen und Routinen durch eine Fortbildung weiterentwickeln, aufbrechen und verändern möchte, muss man als Fortbildnerin und Fortbildner teilweise mit Widerstand rechnen. Man muss den “Beweis” antreten, dass die in der Fortbildung behandelten Inhalte zu einem besseren Unterricht beitragen und das Lernen der Schüler:innen mindestens genauso gut fördern wie der bisherige Unterricht der Lehrkräfte.

    (8) Fortbildungen sollten sich nicht primär an einzelne Lehrpersonen, sondern an Teams von Lehrpersonen richten. Auf diese Weise können die teilnehmenden Lehrpersonen auch zwischen einzelnen Fortbildungsbausteinen gemeinsam weiter an den Inhalten arbeiten, diese breiter in ihrer Schule implementieren und sich wechselseitig Rückmeldungen geben. In Verbindung mit den oben genannten Merkmalen ist es hierbei erfolgversprechend, wenn Fortbildungen die unterrichtsbezogene Kooperation der Lehrpersonen stärkt.

    Wer diese Punkte beachtet, entwickelt mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ein gutes Fortbildungsformat. Häufig entstehen sie in Kooperation mit der Wissenschaft. In dem Zusammenhang stellen sich auch strukturelle Fragen: Wie können Universitäten und Hochschulen stärker in die dritte Phase der Lehrerbildung einbezogen werden? Und wie kann es gelingen, mit erfolgversprechenden Fortbildungskonzepten viele Schulen und Lehrkräfte zu erreichen?

    Aber bevor sich die Verantwortlichen dieser Fragen annehmen, braucht es Antworten auf die basalste Bedingung für wirksame Fortbildungen: Den Lehrkräften muss die Teilnahme an Fortbildungen ermöglicht werden. Wegen des Lehrkräftemangels verzichten Schulleitungen ungern auf einzelne Lehrkräfte – oder gar ein ganzes Team. Dies ist jedoch notwendig, damit sich Unterricht qualitativ und wirksam weiterentwickelt.  

    Frank Lipowsky ist Professor für empirische Schul- und Unterrichtsforschung an der Universität Kassel. Er forscht unter anderem zu wirksamem Unterricht – und Lehrerbildung.

    News

    Simpleclub kündigt einem Viertel der Festangestellten

    Simpleclub gehört zu den Großen unter den Kleinen: Es führt die Riege der digitalen Start-ups an, zusammen mit Bettermarks, Eduki, Sofatutor und einigen wenigen anderen. Nun kommt Simpleclub aber offenbar ins Straucheln und nimmt Kündigungen vor. Das Unternehmen hat 30 Personen emphatisch “als Rockstar mit massivem Einfluss” gedankt – und ihnen zugleich alles Gute für die weitere Zukunft gewünscht. Es sei bedauerlich, “dass wir Ihnen ihre Rolle bei Simpleclub nicht weiter anbieten können.” Mit anderen Worten: Simpleclub baut, für seine Verhältnisse, Stellen in großem Maße ab. Das geht aus einer Liste hervor, die Bildung.Table vorliegt – und auf der die Namen und Funktionsbezeichnungen der freizusetzenden Mitarbeiter stehen. Die Situation kommt durchaus überraschend, weil das Unternehmen erst im Februar 7,5 Millionen an Investitionen eingenommen hatte. 

    Simpleclub wendet sich beruflicher Bildung zu

    Simpleclub bestätigte die Kündigungen. “Im Rahmen der strategischen Fokussierung haben wir unsere Teamaufstellung angepasst und mussten uns leider von 22 festangestellten Mitarbeitenden trennen”, sagte Gründer Alexander Giesecke zu Bildung.Table. “Diese Entscheidung hat nichts mit der Performance der Mitarbeitenden zu tun.” Bei einem Stamm von rund 80 Festen bedeutet die Entlassung von 22 Leuten, dass ein Viertel des Kernteams gehen muss. Hintergrund ist eine neue Schwerpunktsetzung auf das B2B-Geschäft, also die Zusammenarbeit mit Unternehmen. Dieser Zweig zeichnet sich durch ein enormes Wachstum aus – auf inzwischen über 200 Unternehmenspartner wie die Bahn, Sparkassen und Brillux. Das heißt: Simpleclub wendet sich der beruflichen Bildung zu – wahrscheinlich, weil die Trutzburg Kultusbürokratie schwer zu knacken ist. “Die Unterstützung von Schüler:innen (B2C) bleibt ein wichtiger Bereich für uns”, sagte Co-Gründer Nicolai Schork. “Wir bauen die beste Lernapp der Welt”, hatten die Gründer erst jüngst verkündet.

    Gerüchte über das als Hersteller von Lernvideos bekannt gewordene Unternehmen waren noch nicht lange gewabert, sind jetzt aber handfest. Hier steigt das Unternehmen aus einem anfangs gehypten Kooperationsprojekt aus. Dort fragen sich Kenner, warum die Investitionen auf viele kleine Lose aufgeteilt waren. Die nun aufgetauchte Liste macht die Vermutungen zur Gewissheit. Vor allem im Bereich der Content-Erstellung trennt sich das Unternehmen von vielen Mitarbeitern. Mehr als die Hälfte derer, die keinen Vertrag mehr erhalten, sind im Bereich der Inhalteherstellung tätig. Lehr- und Lerninhalte auf eine andere als lineare gedruckte Art bereitzustellen, ist die große Aufgabe für EdTechs. Die Schulbuchverlage haben die lehrplangerechten Lerninhalte; die EdTechs haben die neue Technologie, um Lernende individuell zu bedienen. Christian Füller

    • Lern-App
    • Simpleclub
    • Start-ups

    Berliner Grundschüler erhalten den meisten Deutschunterricht

    Kein Bundesland erteilt seinen Grundschülern mehr Deutschunterricht als Berlin. 31 Stunden sind an den Grundschulen der Hauptstadt in den ersten vier Jahren vorgesehen (7,75 Stunden pro Woche und Schuljahr). Zum Schuljahr 2019/20 hatte das Land die Stundentafel erhöht, zuvor waren es 27. Die Auswertung der Stundentafeln aller Bundesländer zeigt, dass es kaum Zusammenhang zwischen den Ergebnissen des IQB-Bildungstrends und der Anzahl der Deutschstunden gibt. So unterrichtet Berlin viel – und erreicht wenig. Im aktuellen Bildungstrend landete die Hauptstadt auf den hinteren Plätzen. Zum Vergleich: Spitzenreiter Sachsen erteilt seinen Grundschülern 26 Stunden Deutschunterricht. Deutschlandweit liegt der Freistaat damit im Durchschnitt.  

    Die Zahl der zu unterrichtenden Deutschstunden variiert stark. Während in Hessen in den ersten vier Schuljahren insgesamt 22 Stunden Deutschunterricht auf dem Lehrplan stehen, sind es in Baden-Württemberg 28. Einige Bundesländer, darunter Bayern, Sachsen-Anhalt oder das Saarland, geben keine festen Stundenangaben für die einzelnen Fächer an, da sie die Aufteilung in den ersten Schuljahren den Schulen selbst überlassen. 

    Geringer fallen die Differenzen bei den unterrichteten Mathematik-Stunden aus. Im Schnitt bewegen sich die meisten Bundesländer zwischen 20 und 22 Stunden in den ersten vier Schuljahren. Am wenigsten unterrichtet Rheinland-Pfalz (18), am meisten Niedersachsen (23). Auch hier zeigt sich, dass wenig bis kein Zusammenhang mit den Ergebnissen des IQB-Trends besteht. In Rheinland-Pfalz erreichten 58 Prozent der Schülerinnen und Schüler mindestens den Regelstandard im Bereich Mathematik. Damit liegt das Bundesland trotz zahlenmäßig wenigen Stunden über dem deutschen Durchschnitt von 54,8 Prozent. Niedersachsen dagegen schnitt mit 52 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die den Regelstandard oder mehr erreichten, knapp unterdurchschnittlich ab – trotz der vergleichsweise hohen Stundenzahl. Anouk Schlung

    • IQB

    Deutsche Lehrer sind besonders kritisch gegenüber Digitalisierung

    Eine neue europäische Studie hat ein überraschendes Ergebnis gebracht: dass deutsche Lehrkräfte Soft-Skills im Zuge der Digitalisierung geringschätzen. Die Frage lautete, welche Kompetenzen Schule für die digitale Welt vermitteln soll. Dabei setzten deutsche Lehrer Verantwortungsbewusstsein, Resilienz, Empathie und Flexibilität ganz nach hinten. Sie reihten diese Tugenden damit in einem Feld von elf europäischen Staaten mit Abstand auf dem letzten Platz ein, und lagen damit jeweils hinter Ungarn. Die Vodafone-Stiftung ließ die Studie erarbeiten und Mitte des Jahres 3.082 Lehrerkräfte von Ipsos befragen, in Deutschland lediglich 317 Lehrer. Die Liste der Teilnehmerstaaten reicht von Albanien, Griechenland und Großbritannien über Italien, der Niederlande, Portugal, Rumänien, Spanien, der Türkei bis Ungarn. 

    Die Lehrerinnen und Lehrer hierzulande zeichnen sich durch eine kritische Haltung zur Digitalisierung aus. “Nur 55 Prozent der deutschen Lehrkräfte halten ihre Schule für in der Lage, digitale Kompetenzen adäquat zu vermitteln.” So steht es in der Studie. Acht von zehn Lehrenden befürchten, dass in der Digitalität Kulturtechniken wie Handschrift oder das Lesen von Büchern an Relevanz verlören. 55 Prozent haben Angst davor, dass sich die sozialen Ungleichheiten verstärkten. Immerhin sind hierzulande 57 Prozent der Lehrer der Ansicht, dass digitale Technologien “ihren Schüler:innen Zugang zu besseren Informationsquellen ermöglichen”. Aber nur 15 Prozent glauben, dass benachteiligte Schüler durch digitale Medien besser zu fördern seien. Ein Viertel der deutschen Lehrer gibt an, noch keine oder kaum Erfahrung mit digitalen Tools zu haben. 

    Vodafone gibt weitreichende Handlungsempfehlungen

    Die geringe Zahl an Befragten und die skeptische Haltung der Lehrer hinderte die Vodafone-Stiftung erneut nicht, weitreichende Handlungsanweisungen zu geben. In der Studie etwa wurden Europas Lehrkräfte nach Themen wie Künstliche Intelligenz (KI) oder adaptive Lerntechnologien nicht konkret befragt. Dennoch sollte KI, so der Vodafone-Rat, weiter und schneller vorangetrieben werden. Der jüngste IQB-Bildungstrend mit der Kompetenzerhebung bei Viertklässlern war zum Zeitpunkt der Meinungsbefragung noch gar nicht erhoben. Trotzdem gab die Stiftung auch hier Tipps. “Mehr Digitalität in der Schule und Verbesserung der Sprachkompetenzen müssen gerade kein Gegensatz sein.” cif

    • Europa
    • Künstliche Intelligenz
    • Lehrer

    Landeslizenz für Inklusions-App “Splint”

    Das Land Niedersachsen stellt seinen Schulen die Inklusions-App “Splint” per Landeslizenz kostenlos zur Verfügung. Damit erringt das 2020 gegründete Start-up “Inklusion Digital” von Friedo Scharf und Sebastian Trapp eine der begehrten Lizenzen. Die App wird damit wie ein fest gefördertes Schulbuch angesehen. Nach eigenen Angaben ist das EdTech mit einer Handvoll weiterer Bundesländer im Gespräch, um auch dort Landeslizenzen zu erhalten. Splint ist nach Auskunft Scharfs bisher in 1.700 Schulen in der Nutzung, davon an 800 Einrichtungen in Niedersachsen.

    “Inklusion digital” ist eine Mischung aus Organisations-App, Schulbuch, Schülerscreening und Kooperationstool für Lehrkräfte. Inklusionspädagogische Förderlehrer können mit der Web-App ihre Beobachtungs- und Dokumentationsaufgaben für die möglichst individuelle Betreuung von Schülern mit Handicaps vereinfachen, dabei helfen Beobachtungsbögen und Diagnostikhilfen. Die App erlaubt ihnen, das Ermitteln der Förderpläne zu routinisieren. “Das obligatorische Dokument des Förderplans, das halbjährig in der Schülerakte abzuheften und den Eltern vorzulegen ist, wird nach vorheriger Konsultation auf Knopfdruck produziert”, beschreibt Friedo Scharf.

    Inklusions-App bringt mehr Zeit für Beziehungspflege

    Zudem gibt es eine geschützte Ebene, auf die alle betreuenden Pädagogen zugreifen und ihre Ziele austauschen können. Die App greift auf eine Reihe von Standardwerken der förderpädagogischen Literatur zu. Für Gründer Scharf liegt mit der Landeslizenz der pädagogische Vorteil der App zur Inklusion auf der Hand. “Pädagog:innen benötigen vor allem Zeit für den Beziehungsaufbau und -pflege mit ihren Schüler:innen”, sagte er Bildung.Table. “Digitale Hilfen können Freiraum dafür schaffen.”

    Das Erringen von Landeslizenzen ist eine große Hürde für EdTechs. Während Schulbücher einen festen Zugang zu Schulen haben, ist es für pädagogische Start-ups komplizierter. Es gibt bisher kein klares Verfahren zur Zertifizierung und datenschutzrechtlichen Prüfung digitaler Lernangebote. Bisher haben – jenseits der Lernmanagementsysteme wie itslearning, Moodle/Mebis oder iServ – nur Bettermarks und Sofatutor sogenannte Landeslizenzen oder fest vereinbarte Kooperationen mit Bundesländern eingehen können. Die Nase vorn hat der Stadtstaat Bremen, der in einem Referat digitale Anwendungen pädagogisch testet – und dann ausschreibt. Der Betreiber eines Start-ups beschreibt die Verhandlungen über eine Landeslizenz als den nervenaufreibenden Punkt. Es dauere oft Monate bis Jahre, ehe aus einer mündlichen Zusage ein fester Vertrag wird. Christian Füller

    • EdTech
    • Inklusion

    Heads

    Simone Fleischmann: Präsidentin fürs Gemeinwohl

    Fleischmann, BLLV, Präsidentin
    Charmant und gefürchtet: die Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, Simone Fleischmann.

    Lobbyisten im pädagogischen Feld vertreten häufig zugespitzte Interessen. Der Verband der Realschullehrer fokussiert allein auf die Pädagogen dieser schwindsüchtigen Schulform. Der Philologenverband vertritt Lehrkräfte an Gymnasien, der Deutsche Lehrerverband nicht etwa Lehrer, sondern das “vielfältig gegliederte Schulsystem”. Bei Simone Fleischmann ist das anders. Sie steht mit ihrem Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV) für den kompletten Berufsstand – und damit für gute Bildung allgemein. Die ehemalige Schulleiterin spricht für Lehrkräfte an Grundschulen genau wie für jene an Sonderschulen, Gymnasien, Real- und Mittelschulen. Das bedeutet, sie kann sich nicht auf Standesinteressen beschränken. Die 1970 Geborene ist kompetent, einnehmend freundlich – und trotzdem fürchten sich vor ihr nicht wenige in der Politik. 

    Denn die psychologisch geschulte Pädagogin kämpft wie eine Löwin. Das bringt sie in der multiplen Krisensituation von Schule mitunter an den Rand dessen, was mit Metaphern der Überforderung (von Pädagogen) und Verantwortungslosigkeit (von Politik) noch beschreibbar ist. “Wir leben in einem Dschungel der Krisen: Der sich immer weiter verschärfende Lehrermangel, die anhaltende Corona-Pandemie, die Inflation, die Energiekrise und die Zunahme von Menschen, die vor unzähligen Kriegen zu uns flüchten.” So hebt Fleischmanns Kassandraruf in ihrer jüngsten Pressemitteilung an. Und kommt im achten Absatz zum Thema: “Die Zunahme der Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer ist besorgniserregend!” 

    Der professionellste Lehrerverband Deutschlands

    Manche Lehrerfunktionäre blicken auf Fleischmanns Verband nicht ohne Häme. Unter Lehrer-Lobbyisten spricht man gerne vom Volksschullehrerverband. Damit will ausgedrückt sein, dass es in Deutschland für jede Schulform einen Verband gibt – nur für die Hauptschullehrer nicht. Hauptschulen, die früher Volksschulen hießen und teils 60 bis 80 Kinder pro Klasse bildeten, haben keine Lobby. Wahrscheinlich wurde in Bayern deswegen die Hauptschule in Mittelschule umbenannt. Für Simone Fleischmann bringt das die Freiheit, von partikularen Interessen zum Gemeinwohl zu kommen: Chancengleichheit. Man könnte ihren Club auch umbenennen in Agentur für gleiche Bildungschancen für alle

    Fleischmanns Vorgänger Klaus Wenzel hat aus der Not eine Tugend gemacht und den professionellsten Lehrerverband Deutschlands geformt. Wenn der BLLV zu einem Hearing ruft, dann sitzt der Generalsekretär der Kultusministerkonferenz dabei, ein Ex-Ministerpräsident – und ein bekannter Kabarettist. Das Magazin des BLLV ist keine hektografierte Vereinspostille, sondern wird von einem Mann geleitet, der für die Süddeutsche Zeitung Reporter ausbildet. Wenzel lud die klügsten Köpfe der Pädagogik ins G8-Tagungshotel in den Alpen zur Diskussion. Eine ähnliche Runde hat Fleischmann nun in das Hotel in München gebeten, wo üblicherweise die Sicherheitskonferenz tagt. So geht Prioritätensetzung: Während die FDP angesichts der Megakrisen ihr Motto “weltbeste Bildung” radikal negiert, holt Fleischmann die Menschen an jenen Ort, wo sonst Staatschefs über Krieg und Frieden räsonieren. Um dort über das Lernen der Zukunft und achtsame Bildung nachzudenken. 

    Fleischmann forderte Chefsache. Söder lieferte A13 für alle Lehrkräfte

    Fleischmann ist Psychologin, Pädagogin und Politikerin vor allem aber eine Managerin. Sie leitete eine der größten Schulen in Bayern, seit 2015 steht sie einem Verband mit 65.000 Mitgliedern vor. Als Vorgänger Wenzel langsam Richtung Ruhestand schielte, fragte man sich: Wer soll diesem Multiprofi nur nachfolgen, was wird aus dem BLLV? Simone Fleischmann hat mit ihrem fordernden und zugleich teambewussten Führungsstil den Verband vielleicht noch etwas einflussreicher gemacht.

    Seit einiger Zeit fordert Fleischmann, den gewisslich überforderten Freie-Wähler-Minister Michael Piazolo zu übergehen und Schule zur Chefsache zu machen. Das hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) praktisch getan, als er die Besoldungsstufe A 13 für alle Lehrkräfte in Bayern ausrief. Das ist eine Bestätigung für Fleischmanns Ansatz: Alle Lehrer sind gleich. Auch auf anderen Feldern, etwa der Digitalisierung, rammt Söder die Pflöcke ein. Trotzdem verscherzt es sich Fleischmann nicht mit den Freien Wählern. In ihrer Führungsriege hat sie Leute von ihnen sitzen. 

    Bayerische Präsidentin mit preußischem Motto

    Den Umgang mit schwierigen Politikern und Journalisten hat Fleischmann von der Pike auf gelernt. Sie hat eine Therapie-Ausbildung gemacht und ein Buch über den Umgang mit verhaltensauffälligen Schülern verfasst. Das heißt natürlich nicht so, sondern “Was tue ich, wenn…? Schwierige Situationen im Schulalltag”. Die Selbsteinschätzung von Personen, so schreibt Fleischmann, “kann als allgegenwärtige Haltung bezeichnet werden, die sich in jedem Verhalten und in jeder Handlung niederschlägt.” Oder anders gesagt: Ermächtige Schüler, indem du ihr Selbstbewusstsein stärkst. Das bezieht Fleischmann auch auf sich selbst. Sie ist eine betörend fröhliche Optimistin. Ihr Motto klingt dabei fast preußisch: “Nur Bildung bringt uns aus dieser Krise – und ein starker öffentlicher Dienst.”

    Das bedeutet nicht, dass sie ihren Antipoden nichts zumuten würde. Mitten in der Corona-Pandemie hielt Fleischmann ein Online-Hearing ab, in dem Schulleiterinnen und Schulleiter stundenlang ihre Wirklichkeiten schilderten. Presseprofis hätten ihr von diesem Marathon wahrscheinlich abgeraten. Fleischmann zog es durch – hinterher waren die Medien voll von zum Teil markerschütternden Berichten. Und die Öffentlichkeit verstand zum ersten Mal, wie Schulleitungen gerade ausbrennen. Für sie ist Simone Fleischmann die stärkste Verbündete

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    Presseschau

    Plädoyer: Ganztagsschulen für Bildungsgerechtigkeit ZEIT
    Nach Unterbrechung: Berlins Schulinspektion setzt wieder ein TAGESSPIEGEL
    A13 für alle: GEW macht Druck TAZ
    Hamburg: Welche Fächer dem Pflichtfach Informatik weichen müssen TAZ
    Von Hirschhausen plädiert für mehr Klima-Bildung ZEIT
    Studie: Bereits Grundschulkinder können wissenschaftlich denken SZ
    Zahl junger Menschen in Pflege-Ausbildungen steigt TAGESSCHAU
    Wie Schulen von VR in der Bildung profitieren können MIXED
    Corona: Vier Bundesländer schaffen Isolationspflicht ab T-ONLINE
    Die Relevanz von Bildung für Gesundheit ÄRZTEBLATT

    Termine

    21. November 2022, 16:00 bis 17:00 Uhr, online
    Konferenz Bildung Digitalisierung: Mit Kooperation zu mehr Teilhabe in der digitalen Transformation für alle
    Taking Charge – Visionen für das System Schule ist das Motto der diesjährigen Konferenz Bildung Digitalisierung. Im digitalen Begleitprogramm wird die Frage gestellt, wie mehr Teilhabe in der digitalen Lebens- und Arbeitswelt für jungen Menschen gewährleister werden kann. Speakerinnen sind unter anderem Julia Kleeberger (Junge Tüftler gGmbH) und Diana Christov (ZiviZ). INFOS & ANMELDUNG

    22. November 2022, 17:15 bis 18:15 Uhr, online
    Workshop: Wie wir die mittlere Führungsebene als change agents an Schulen stärken
    Ebenfalls im Zuge der Konferenz Bildung Digitalisierung legt dieser Workshop Fokus auf die mittlere Führungsebene an Schulen und deren Handlungsmächte, besonders im Wandel von Kulturen der Digitalität und Inklusion. Im Anschluss an eine Vorstellung von Professionalisierungsformaten findet eine Diskussionsrunde statt. INFOS & ANMELDUNG

    21. November 2022, 16:00 bis 18:30 Uhr, online
    Veranstaltung: Wem gehört das Internet?
    In dieser Veranstaltung geht es um Bildung und Wissen zwischen Privatisierung, Regulierung und gemeinsamen öffentlichen Gütern. Dabei werden Möglichkeiten und Handlungsoptionen zum Umgang mit der Digitalwirtschaft auf EU-Ebene diskutiert. Anmeldeschluss ist der 18. November. INFOS & ANMELDUNG

    23. November 2022, 16:00 bis 17:00 Uhr, online
    Workshop: Spekulative Zukünfte des Lernens entwerfen: Zukunftsforschung und Schule
    Ein Perspektivwechsel und das Erlangen neuer Aussichten ist die Methode dieses Workshops, um Zukunftsvisionen für das System Schule entwickeln zu können. Als Grundlage für den Workshop dient die Zukunftsbox Zukunft der Arbeit, die vom Education Innovation LAB in Kooperation mit dem Futurium Berlin entwickelt wurde. INFOS & ANMELDUNG

    24. November 2022, 19:00 bis 20:30 Uhr, Düsseldorf und online
    MINT-Forum digital: Welche MINT-Bildung braucht es im 21. Jahrhundert?
    Der Rotary Berufsdienst will in dieser Veranstaltung diskutieren, wie es um die Qualität der MINT-Bildung in Deutschland steht und welche starken MINT-Netzwerke es aktuell gibt. Speaker sind unter anderem Ekkehard Winter (Nationales MINT-Forum) und Magdalena Hein (Gemeinschaftsoffensive MINT-Nachwuchs NRW). INFOS & ANMELDUNG

    05. und 06. Dezember 2022, online
    Konferenz: NEPS Conference
    Organisiert vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe bringt die NEPS Conference Forschende aus verschiedenen Disziplinen an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg zusammen, um die aktuellen Entwicklungen der Bildungswissenschaft zu diskutieren. Zudem wird ein Award verliehen für die beste NEPS-Publikation des Jahres. INFOS

    05. und 06. Dezember 2022, Berlin und online
    Tagung zum Berufsorientierungsprogramm: “Neue Welten erkunden – Digitalisierung in der Beruflichen Orientierung”
    Am 05. Dezember 2022 eröffnet Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger im Berliner Congress Centrum bcc die Tagung, die sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die berufliche Bildung beschäftigt. Thematisiert werden unter anderem Digitale Potenziale in Handwerksberufen und das Leben und Arbeiten in einer global vernetzten Welt INFOS & ANMELDUNG

    8. Dezember 2022 10:00 bis 17:00 Uhr, Berlin
    Tag der Bildung: Gute Bildung in schwierigen Zeiten
    Der von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, den SOS-Kinderdörfern und dem Stifterverband gefeierte Aktionstag der Bildung will gute Bildung in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit rücken und positive Impulse setzen. Speakerinnen sind unter anderem Lisa Paus (Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) und Elke Büdenbender (Schirmherrin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung). INFOS & ANMELDUNG

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