Der Einfluss der AfD ist derzeit auf vielen Ebenen spürbar. Die Migrationsdebatte ist bestimmt von populistischen Forderungen und rassistischen Parolen. Rufe nach einem „Aufnahmestopp“ für Geflüchtete, einer Einschränkung sozialer Rechte, Abschiebungen in Konfliktländer und Pushbacks an innereuropäischen Grenzen kommen mittlerweile nicht mehr allein von der AfD. Dadurch, dass ihre Forderungen in bürgerlichen Parteien salonfähiger geworden sind, bestimmt sie den Diskurs und sogar die konkrete Politik.
Eine solche Politik wird auf dem Rücken Schutzsuchender und rassifizierter Menschen ausgetragen. Migrationsabwehrpolitiken fußen nicht auf wissenschaftlicher Evidenz und tragen besonders im Fluchtkontext zur Normalisierung von Menschenrechtsverletzungen bei. Bürgerliche Parteien scheinen jedoch anzunehmen, diese Strategie sei notwendig, um AfD-Wahlerfolge zu verhindern. Nicht erst die jüngsten Wahlergebnisse zeigen jedoch, dass diese Rechnung nicht aufgeht – ausgerechnet in Bundesländern, in denen die AfD gesichert rechtsextrem ist. Auch die politikwissenschaftliche Forschung weiß längst, dass sich Wähler*innen im Zweifel immer für das „Original“ entscheiden. Migrationsfeindliche Narrative aufzugreifen und zu bedienen, löst keine Probleme. Es hilft vor allem der AfD.
Strategien der Migrationsabwehr haben zudem Auswirkungen, die – so ist zu hoffen – zumindest die bürgerlichen Parteien nicht intendieren. Wenn migrationsfeindliche Politik auf über Jahre kumulierte Diskriminierungserfahrungen trifft, beginnen vor allem rassifizierte Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund infrage zu stellen, ob eine Zukunft in Deutschland möglich und erstrebenswert ist. Viele Menschen nehmen wahr, dass im Freundes-, Bekannten- und Familienkreis verstärkt darüber gesprochen wird, ob und wohin man auswandern solle und was der beste Zeitpunkt für eine solche weitreichende Entscheidung sei.
In einer jüngst veröffentlichten DeZIM-Studie haben wir versucht, diese Stimmung quantitativ zu erfassen. Die Erkenntnisse sind erschreckend und decken sich mit dem Gefühl, dass sich in Deutschland in den letzten Monaten etwas gedreht hat. Knapp jeder zehnte der Befragten mit Migrationshintergrund hat konkrete Pläne, bei weiteren AfD-Erfolgen ins Ausland abzuwandern. 12 % der Befragten mit Migrationshintergrund gaben an, innerhalb Deutschlands umziehen zu wollen. Zwar wird in unserer Studie lediglich nach Vorhaben und (konkreten) Plänen gefragt. Allerdings verdeutlichen auch andere Autor*innen die Rolle gesellschaftlicher gegenüber ökonomischen Faktoren für das Entstehen sogenannter Migrations-Aspirationen; und Aspirationen korrelieren durchaus mit tatsächlicher Auswanderung.
In einer Podiumsdiskussion bei der Vorstellung der genannten DeZIM-Studie sagte eine Teilnehmerin, dass sie die meiste Angst nicht vor der AfD hätte, sondern davor, dass bürgerliche Parteien deren Positionen auf- und annehmen. Diese Sorgen teilen wir uneingeschränkt. Erst wenn sich bürgerliche Mehrheiten finden, können AfD-Positionen ihre Wirkung voll entfalten. Rechten Standpunkten hinterherzulaufen und sie zu legitimieren ist auch unsinnig, weil – ein weiteres Ergebnis unserer Studie – immer noch eine große Mehrheit die AfD als rassistisch, demokratiefeindlich und extremistisch einstuft. Den meisten Menschen ist also klar, dass AfD-Inhalte die Grundwerte der pluralen liberalen Demokratie angreifen, in der alle Menschen unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung ohne Angst leben können. Das reicht allerdings offenbar nicht aus, damit sich die bürgerlichen Parteien klar abgrenzen.
An dieser Stelle sei daher deutlich darauf hingewiesen, dass substanzielle Abwanderungsbewegungen hochgradig problematische wirtschaftliche Folgen haben würden. Deutschland ist seit Langem ein Einwanderungsland und auf Zuwanderung angewiesen. Laut Schätzungen des IAB braucht es eine Nettozuwanderung von 400.000 Personen pro Jahr, damit das Arbeitskräfteangebot bis 2035 konstant bleibt. Menschen nur ein Recht auf Zuwanderung einzuräumen, wenn sie von ökonomischem Nutzen sind, ist falsch und widerspricht im Kontext von Flucht außerdem geltendem Recht. Gleichzeitig wird aber viel zu wenig darüber gesprochen, dass einwanderungsfeindliche Politik spürbare Folgen für Ökonomie, Bevölkerungsversorgung und Aufrechterhaltung kritischer Infrastruktur hat und haben wird. Man denke hier an fehlende Pflegekräfte, Ärzt*innen, Busfahrer*innen und Kindergärtner*innen. Die gegenwärtigen Migrationsabwehrpolitiken haben also schädliche Auswirkungen für alle Menschen in Deutschland.
Mit Blick auf diese Fakten sollten alle Parteien zu evidenzbasierter Migrationspolitik finden. Auch in den Medien und in der Breite der Gesellschaft dürfen wir nicht zulassen, dass rechtsradikale Positionen weiter normalisiert werden. Migration einschließlich Fluchtbewegungen sind nicht Ursache aller möglichen Probleme, sondern werden von populistischen Akteur*innen als Vorwand genutzt, um nicht über die wirklich wichtigen sozialen und infrastrukturellen Herausforderungen unserer Zeit sprechen zu müssen. Auf diesen Trick sollte niemand mehr hereinfallen.