Bis in die 1980er Jahre war ihre Rolle in Westdeutschland klar definiert. Mit nur drei relevanten Parteien war die FDP der ausgleichende Faktor. In Koalitionen mit der Union brachte sie Fortschritt und Weltoffenheit, mit der SPD stand sie für Marktwirtschaft und einen schlanken Staat. Sie war der „Königsmacher“ und das Bindeglied zwischen den politischen Lagern. Doch das Parteienspektrum hat sich seither stark diversifiziert. Heute konkurrieren bis zu sieben Parteien, und die FDP hat ihre klassische Funktion eingebüßt.
Die Krise der FDP wurzelt maßgeblich darin, dass ihre Worte und Taten nicht im Einklang stehen. Schon in den frühen 2000er Jahren hatte die Partei in der Steuerpolitik Kompetenz aufgebaut. Ihr Konzept eines einfachen, niedrigen und gerechten Steuersystems war populär und führte 2009 mit 14,9 Prozent zu ihrem besten Wahlergebnis. Doch statt das Finanzministerium zu übernehmen, wählte Guido Westerwelle das Außenministerium – die Steuerreform war damit gestorben. Auch in der Eurokrise ab 2010 verlor die FDP an Glaubwürdigkeit, weil sie ihre marktwirtschaftlichen Prinzipien einem pragmatischen Umgang mit Schulden opferte. 2013 schied die Partei erstmals aus dem Bundestag aus.
Der Wiedereinzug 2017 und die Bestätigung 2021 gelangen durch einen klaren Kurs. Die FDP setzte auf Digitalisierung und ein „Fitnessprogramm“ für Staat und Gesellschaft. Ihre kritische Haltung zur Corona-Politik unter Angela Merkel harmonierte mit der liberalen Idee, den Einzelnen zu schützen. Doch in der Regierung wurde dieser Ansatz erneut durch Pragmatismus untergraben. Die Digitalpolitik wurde im Verkehrsministerium unter Volker Wissing zur Nebensache, der Bürokratieabbau kam verspätet und wirkte zu schwach, und Teile der FDP unterstützten sogar eine Impfpflicht – glücklicherweise konnte die Fraktion dies verhindern.
Daraus ergibt sich: Die FDP kann nur zurückkehren, wenn sie einen konsequent klassisch-liberalen Kurs verfolgt und ihren bisherigen Pragmatismus überwindet. Fünf Ansatzpunkte zeigen den Weg:
1. Die FDP muss für einen schlanken, aber wehrhaften Staat kämpfen, der nach innen und außen handlungsfähig ist, den Sozialstaat jedoch zurückdrängt, um Eigenverantwortung zu fördern. Gleichzeitig soll der Staat transparent sein, etwa durch eine umfassende Aufarbeitung der Corona-Politik.
2. Dezentralität und Wettbewerb zwischen Regionen sollen gestärkt werden, ebenso die Bürgerbeteiligung. Jede Ebene – Bund, Länder, Kommunen – muss für ihre Finanzen selbst verantwortlich sein. Bundesförderungen für lokale Projekte wie Turnhallen sind bürokratisch und untergraben die kommunale Autonomie.
3. Bildung muss freier gestaltet werden. Schulen sollen ihre Lehrer eigenständig auswählen, sich spezialisieren und Eltern mehr Mitbestimmung gewähren. Der Beamtenstatus für Lehrer und der Numerus Clausus an Universitäten sollten abgeschafft werden. Hochschulen sollen autonom über Zulassungen entscheiden und Studiengebühren einführen dürfen.
4. Die FDP muss entschieden Marktwirtschaft, Unternehmertum und Freihandel fördern – ohne Subventionen oder Rettungsaktionen, aber auch ohne staatliche Bevormundung. Sie muss sich gegen schleichenden Sozialismus wenden, der das Eigentum gefährdet.
5. Für Generationengerechtigkeit muss die FDP sorgen, indem sie Renten- und Pflegeversicherung langfristig bezahlbar macht. Dies erfordert mehr Freiheit und Eigenverantwortung, etwa durch eine stärkere Kultur für Aktienbesitz und Eigentum.
Dieser Kurs verlangt Mut und Klarheit. Ein Vorbild könnte Eugen Richter sein, der 1884 als liberaler Parteiführer im Deutschen Reichstag erklärte: „Den rechten Kämpfer jedoch für die Rechte und Freiheiten des Volkes erkennt man daran, dass er auch in den für den Liberalismus ungünstigen Zeiten auf dem Platze bleibt.“ Seine „Deutsche Freisinnige Partei“ erzielte bei der Reichstagswahl 1884 17,6 Prozent. An diese Tradition, diesen Mut und diesen Erfolg sollte die FDP anknüpfen.
Frank Schäffler ist stellvertretender Landesvorsitzender der FDP NRW und Geschäftsführer des Berliner Thinktanks Prometheus – Das Freiheitsinstitut. Von 2005 bis 2013 und von 2017 bis 2025 war er Mitglied des Deutschen Bundestags.