Table.Standpunkt
Erscheinungsdatum: 05. September 2024

CDU: Die Werbeplattform der AfD

Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen hat die CDU statt auf eigene zukunftsweisende Visionen zu setzen den Themen der AfD Raum gegeben und ihre Rhetorik verstärkt, argumentiert der norwegische Autor und Unternehmer Anders Indset. Das habe zum Erfolg der AfD beigetragen. Die CDU lässt auch keine Gelegenheit aus, die Ampel-Regierung massiv zu kritisieren. Doch am Ende kann es nicht darum gehen, über die Fehler der anderen die politische Macht zu erlangen, sondern eine eigene politische Gestaltung zu fokussieren.

„Wie kriegt man die AfD wieder klein?“ fragt Michael Bröcker, Chefredakteur bei Table.Briefings in der Phoenix-Wahlsendung anlässlich der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen und offenbart damit den Notstand der politischen Mitte in Deutschland. Die Wahlen in den beiden ostdeutschen Bundesländern waren mehr als nur eine Abrechnung mit der Ampelkoalition; sie waren auch ein klares Signal der Wähler an die CDU. Es sind nämlich nicht allein die Schwächen der Berliner Regierung, die der AfD diesen Erfolg ermöglicht haben, sondern auch das Versäumnis der CDU, als starke, zukunftsorientierte Opposition aufzutreten und den Wählern eine überzeugende Alternative zu bieten.

Nichts zeigt das deutlicher als die ernüchternden Wahlergebnisse der CDU und die Wählerwanderung: In Sachsen wechselten 44.000 Wähler von der CDU zur AfD und 43.000 zum neu gegründeten BSW, während in Thüringen 26.000 Wähler zur AfD und 18.000 zum BSW abwanderten.

Anstatt mutig eigene, zukunftsweisende Visionen zu entwickeln, hat die CDU den Themen der AfD Raum gegeben und deren Rhetorik verstärkt – und damit unfreiwillig zum jüngsten Wahlerfolg der AfD beigetragen. So ist es auch nicht verwunderlich, wenn der Deutschlandfunk anlässlich der Vorstellung des neuen konservativen CDU Grundsatzprogramms auf dem Parteitag im Mai fragte: „Ahmt die CDU mit ihrem Programm die AfD nach?”

Die CDU hat es bisher nicht geschafft, ein klares, zukunftsweisendes Profil zu entwickeln, das enttäuschte Wähler zurückgewinnen könnte. Nun liegt es an der Partei, ihre eigene Rolle als stärkste Oppositionskraft im Deutschen Bundestag zu überdenken, um nicht noch weiter den Aufstieg der AfD, aber auch des BSW zu begünstigen.

Unter der Führung von Friedrich Merz hat die CDU ihre Rolle als Oppositionspartei in den letzten Jahren aggressiv ausgebaut. Statt auf eigene Stärke und gestalterische Power zu setzen, konzentriert sich Merz’ Strategie darauf, jede Gelegenheit zu nutzen, um die Regierung als gescheitert darzustellen. Diese Haltung ist geprägt von dem Vorwurf, die Regierung würde ihre Politik ohne Rücksicht auf abweichende Meinungen durchsetzen und Proteste unterdrücken, was laut Merz das Land zunehmend unregierbar mache.

Merz warnt davor, dass die aktuelle Politik der Ampelkoalition Deutschland in eine Krise führen könnte, indem sie das Vertrauen der Bürger in die politischen Institutionen untergräbt. Besonders scharf richtet sich die Kritik der CDU gegen die Grünen, die von Parteivertretern teilweise mit dem Unrechtsregime der DDR verglichen werden. Obwohl Merz versucht, eine klare Abgrenzung zur AfD aufrechtzuerhalten, um die CDU als Teil der demokratischen Mitte zu positionieren, heizt diese extreme Rhetorik den gesellschaftlichen Unmut weiter an und verleiht der AfD und auch dem BSW zusätzliche Relevanz und Auftrieb.

Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann stößt ins selbe Horn, indem er der Bundesregierung vorwirft, eine „Politik gegen die Mehrheit des Landes“ zu betreiben und damit das Vertrauen der Bürger in die Politik zu zerstören. Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein geht sogar so weit, die Regierung als „echtes Demokratieproblem“ zu bezeichnen. Diese aggressive Oppositionshaltung mag kurzfristig Erfolge in der politischen Auseinandersetzung bringen, trägt jedoch gleichzeitig dazu bei, das Vertrauen in die politischen Institutionen weiter zu erodieren und die Spaltung der Gesellschaft zu vertiefen. Wenn die Lage als fatal empfunden wird, suchen viele Bürger nach einem klaren Signal und entscheiden sich entweder für die extremen Linken oder Rechten.

Die CDU handelt aus einer Position der Schwäche und nicht der Stärke. Der Grund dafür ist einfach: Die Union hat keine klare Vorstellung von der Zukunft. Dies zeigt sich deutlich, als Merz kurz vor dem Wahlwochenende auf X (ehemals Twitter) schreibt: „Wir wissen nicht, welche Technologien in Zukunft führend sein werden.“Während Tesla seine Ladeinfrastruktur in Deutschland zügig ausbaut und eine Gigafactory in Berlin im Eiltempo (mit Unterstützung deutscher Unternehmen) umsetzt, plädiert Merz weiterhin für den Verbrennungsmotor und die Optimierung vergangener Technologien. Träume von einer Trabant-Produktion im Osten scheinen näher als Zukunftspläne für die deutsche Leitindustrie – eine bessere Werbung für Höcke und Co. gibt es kaum.

Doch was ist die Alternative von Merz Co.? Der DAX erreicht Rekordhöhen, und Deutschland nimmt bei den erneuerbaren Energien Fahrt auf. In vielen Bereichen geht es voran, das Problem ist nur die Geschwindigkeit.

Die Trennung vom russischen Gas erfolgte in „Deutschland-Geschwindigkeit“, hier stellt sich die Frage, ob eine solche Umsetzungskompetenz Deutschland auch über die kurzfristige Anstrengung von acht Monaten gut täte. Ein Jahr nach Kriegsausbruch war der Gaspreis niedriger als vor dem Krieg, obwohl 40% des Gases kompensiert werden mussten. Die Gasspeicher sind in September zu über 95% gefüllt, was über den Füllmengen vor Kriegsausbruch liegt. Wälder und Wiesen sind grün, die Artenvielfalt blüht auf – was will die CDU also besser machen? Die Partei scheitert an einer klaren Agenda für etwas. Das Programm liest sich stattdessen nach Eingrenzung, Limitierung, Regulierung und Rückwärtspolitik.

Das zeigt sich auch beim Thema Asyl. Auch wenn die Zahl der Asylanträge zwischen 2021 und 2023 gestiegen sind, lagen sie dennoch weit unter den Höchstwerten von 2015 mit 476.649 und 2016 mit 745.545 Anträgen. Im ersten Halbjahr 2024 setzte sich dann der Abwärtstrend fort, denn im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres, als 150.166 Erstanträge verzeichnet wurden, sank die Zahl der Asylanträge um 19,1 Prozent. Vor diesem Hintergrund erscheint die Forderung nach strengeren Migrations- und Abschieberegeln im Zuge des jüngsten Terroranschlags in Solingen nicht nur als wenig zielführend, sondern sie bedient vielmehr die negativen Emotionen und ist damit eine Steilvorlage für die AfD. Besonders die Äußerungen von CDU-Chef Friedrich Merz, der nach dem Anschlag pauschal Flüchtlinge und islamistische Motive für Messerangriffe verantwortlich machte, zeigen, wie politische Rhetorik oft auf unhaltbaren oder übertriebenen Annahmen basiert. Die Kriminalstatistik belegt jedoch, dass nur ein Bruchteil der Messerangriffe, weniger als ein Prozent, religiös motiviert ist. Die verzerrte Darstellung solcher Fakten dient nicht der Lösung des Problems, sondern verstärkt nur das Klima der Angst und Unsicherheit. Dabei sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der Verfassungsschutzbericht 2023 einen Rückgang islamistisch motivierter Terroranschläge in Deutschland verzeichnet. Dieser Rückgang spiegelt die Wirkung verstärkter Sicherheitsmaßnahmen und erfolgreicher Präventionsstrategien wider. Zwar bleibt das Bedrohungspotenzial hoch, aber eine absolute Sicherheit kann es in einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft nicht geben.

Integration ist ein hochkomplexes Thema, aber wir leben heute auch in einer Zeit, in der wir vor einem demographischen Kollaps stehen. Wünschenswert wäre es aus vielerlei Hinsicht, wenn es durch Kriege ausgelöste Flüchtlingsströme nicht gäbe. Trotzdem zeigt sich, Deutschland kann damit umgehen. Damit ist nicht gesagt, dass wir nicht gewaltige Herausforderungen zu lösen haben, aber wir brauchen auch Migration. Denn die Bevölkerung altert, und mit der aktuellen Geburtenrate auf einem historischen Tiefstand wird es zunehmend schwieriger, die Sozialsysteme zu stabilisieren. Im Jahr 2023 wurden etwa 693.000 Kinder geboren, ein Rückgang von 6,2 % im Vergleich zum Vorjahr – die niedrigste Zahl seit 2013. Besonders auffällig ist der stärkere Rückgang in Ostdeutschland, wo die Geburtenrate um 9,2 % sank, verglichen mit einem Rückgang von 5,9 % in Westdeutschland. Die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau lag im Herbst 2023 bei etwa 1,36, weit unter den 2,1, die notwendig wären, um die Bevölkerung stabil zu halten. Letztlich ist Deutschland dringend auf Zuwanderung angewiesen, um dem demographischen Wandel entgegenzuwirken und langfristig seine sozialen und wirtschaftlichen Strukturen zu sichern.

In diesem Kontext stellt sich die Frage: Hilft die CDU sich selbst, indem sie in einem verhältnismäßig friedlichen Deutschland, wo Millionen Menschen bereits integriert wurden, weiterhin auf Polarisierung setzt? Oder wäre ein konstruktiver Umgang mit der Debatte sinnvoller? Deutschland benötigt erheblich mehr Zuwanderung und muss als attraktiver Wirtschaftsstandort Talente und Leistungsträger gewinnen. Populistische Botschaften und Krisenmodus sind hierbei keine überzeugenden Antworten. Es ist daher wenig überraschend, dass Deutschland für viele Fachkräfte zunehmend an Attraktivität verliert. Eine fehlende Willkommenskultur wird häufig als Problem genannt. Laut einer aktuellen Studie von Internations, einem globalen Netzwerk für internationale Fachkräfte, wird dies bestätigt. Die Studie, die regelmäßig Befragungen unter Expats in 53 Ländern durchführt, zeigt alarmierende Ergebnisse: Deutschland rangiert auf Platz 49 von 53 und gehört damit zu den Ländern mit dem schlechtesten Image unter internationalen Fachkräften.

Solange die CDU keine eigenen Vorstellungen von einer Zukunft entwickelt und im Bestehenden verharrt, bleibt sie hinter der AfD zurück, die die Unzufriedenheit der Menschen besser kanalisiert und als vermeintliche Alternative zur etablierten Politik auftritt. Das hat man auch in der CDU erkannt, so mahnt Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, dass die CDU „nicht als ausreichend bessere Alternative zur Ampel wahrgenommen“ werde und dass „überwiegend nur die Politik der Bundesregierung zu kritisieren“ nicht genüge. Er fordert, dass die CDU ihre Politik klarer erklären müsse, ohne den politischen Gegner herabzuwürdigen. „Die Leute haben einen anderen Anspruch an uns als staatstragende Partei."

Die CDU steht vor der Herausforderung, eine konstruktive und zukunftsweisende Alternative zur Regierung zu sein, die nicht ausschließlich ein Feuerwerk der Fundamentalkritik abbrennen lässt, sondern auch eine eigene Agenda für die Zukunft Deutschlands entwickelt.

Im aktuellen Wahlkampf in den USA setzen die Demokraten ein starkes Zeichen dafür, wie eine Partei aus einer Position der Stärke heraus agieren kann – nicht nur gegen etwas, sondern für etwas. Ein gutes Beispiel dafür ist der Wandel in der Wahlkampfführung.

Als Joe Biden noch als Präsidentschaftskandidat seiner Partei antrat, war seine wichtigste Botschaft die Warnung vor Donald Trump und den katastrophalen Folgen, die eine erneute Präsidentschaft Trumps für die Demokratie in den USA haben könnte. Doch mit Kamala Harris als neuer Präsidentschaftskandidatin und Tim Walz als ihrem Vize haben die Demokraten eine entscheidende Wende vollzogen. Sie kämpfen nicht mehr nur gegen Trump, sondern setzen eine positive, optimistische Botschaft in den Vordergrund. Kamala Harris' Wahlkampfslogan „Freedom“ ist dabei ein zentrales Element, das Individualismus und Kollektivismus vereint.

Harris und Walz bezeichnen sich selbst als „Happy Warriors“, als fröhliche Kämpfer. Sie haben erkannt, dass es im Wahlkampf nicht nur darum geht, den drohenden Untergang der Demokratie oder des Landes zu verhindern, sondern auch darum, eine positive Vision für die Zukunft zu vermitteln. Diese Strategie, des positiven Fortschritts, hebt die Demokraten von den düsteren und oft angstgetriebenen Botschaften Trumps ab. Indem die Demokraten zeigen, wofür sie stehen und welche positiven Veränderungen sie bewirken wollen, bieten sie den Wählern nicht nur eine Alternative zu Trump, sondern auch eine klare und überzeugende Vision für die Zukunft.

Ein solcher Weg könnte der CDU nicht nur ihre eigene politische Relevanz sichern, sondern auch dazu beitragen, das Vertrauen der Bürger in die Politik wiederherzustellen. Wäre somit die Agenda der AfD und des BSW „merkwürdig”, präsentiert sich die CDU aus einer Position der Stärke als ‘marktwürdig’, aufklärend und aktivierend. Denn am Ende kann es nicht darum gehen, über die Fehler der anderen die politische Macht zu erlangen, sondern darum, durch eine eigene Agenda gestalterische Power an den Tag zu legen. Mehr Possibilismus und weniger Populismus täte der CDU ganz gut.Der Wahlkampf ist ein endliches Spiel, wobei es um Gewinnen und Verlieren geht, die CDU darf als Volkspartei und starke Mitte nicht ihr unendliches Spiel, nämlich die Zukunft der Menschen in diesem Land zu gestalten, aus dem Auge verlieren. Der technologische Tsunami kommt – wird Deutschland aktiv handeln, reagieren oder sogar reaktionär sein? Die Wirtschaft ist das Betriebssystem der Gesellschaft, und der Kapitalismus die treibende Kraft für Ökologie und Ökonomie. Würde die CDU das heute begreifen und als Chancen erkennen, wäre auch die Frage von Michael Bröcker beantwortet: Mehr Possibilismus wagen!

Der gebürtige Norweger Anders Indset ist Wirtschaftsphilosoph, Unternehmer, Investor und ehemaliger Handball-Leistungssportler.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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