Der gewaltsame Angriff pro-palästinensischer Aktivisten auf das Präsidiumsgebäude der Freien Universität (FU) Berlin am 17. Oktober 2024 (unser Bericht dazu hier) zieht Kreise. Im Zentrum stehen derzeit vier Aktivisten, gegen die das Berliner Landeskriminalamt wegen schweren Landfriedensbruchs ermittelt. Es handelt sich um Kulturschaffende beziehungsweise Studierende aus Irland, Polen und den USA, die Medienberichten zufolge schon länger in Berlin leben.
Ausweisung angeordnet: Den beiden Personen aus Irland sowie der Polin hat das Berliner Landesamt für Einwanderung (LEA) im März die EU-Freizügigkeitsrechte entzogen, im Fall der US-amerikanischen Person steht die Ausweisung bevor. Das Recherche-Portal Intercept hatte die Vorgänge Ende März publik gemacht. Die vier Betroffenen wehren sich vor Gericht. Das Berliner Verwaltungsgericht gab am 10. April im Eilverfahren der Beschwerde eines der vier Betroffenen, des Iren Shane O’Brien, statt. Wann die übrigen Fälle entschieden werden, ist noch offen.
Mindestens eine der vier Personen ist an einer Berliner Hochschule immatrikuliert. Es handelt sich um Cooper Longbottom, eine Person mit Transidentität aus den USA. Sie studiert an der Alice-Salomon-Hochschule (ASH), die zu dem Fall auf Anfrage von Table.Briefings ansonsten wissen lässt: „Die Sach- und Rechtslage sollte in den entsprechenden rechtsstaatlichen Instanzen geklärt werden.“
An der Rechtskonformität des Vorgehens der Berliner Behörden gibt es jedoch Kritik. Denn bislang liegt in keinem der vier Fälle eine strafrechtliche Verurteilung vor, wie das Portal LTO berichtet. Offenbar ist der Freizügigkeitsentzug zwar auch ohne vorherige strafrechtliche Verurteilung möglich. Ein früher Ermittlungsstand, der keine individuelle Zuordnung von Tatbeiträgen ermögliche, reiche zum Entzug der Freizügigkeit – wie im Fall O’Brien – jedoch nicht. Auch dass ein Ausweisungsgrund offenbar „Widerstand gegen die Staatsräson“ ist, macht Experten skeptisch. Pikantes Detail: Wie das Portal Frag den Staat offenlegte, weigerte sich eine LEA-Beamtin offenbar zunächst, die Vorgaben der Innenverwaltung umzusetzen, musste sich dann jedoch der Weisung fügen.
„Die ,aufenthaltsbeendenden Maßnahmen‘ widersprechen deutschem und europäischem Recht und sind mit einem liberalen Rechtsstaatsverständnis nicht vereinbar“, heißt es in einer kürzlich veröffentlichten Stellungnahme der Allianz für Kritische und Solidarische Wissenschaft (KriSol). Sich auf die Staatsräson zu berufen, könne geltendes Recht nicht außer Kraft setzen. „Die Maßnahmen greifen einer Bewertung der Vorwürfe in einem strafrechtlichen Verfahren vor.“ Teilweise sei noch nicht einmal Anklage erhoben worden, moniert Krisol und warnt: „Hier soll ein Präzedenzfall geschaffen und ein Exempel statuiert werden, was eine ernsthafte Bedrohung für unser demokratisches Gefüge darstellt.“
Die pro-palästinensische Szene ist wegen der drohenden Abschiebungen in Aufruhr. Eine Reaktion war die Besetzung eines Hörsaals der Berliner Humboldt-Universität (HU) am vergangenen Mittwoch. Das HU-Präsidium bat die Polizei um Räumung des Gebäudes. Diese kam der Bitte nach. Wie sie am Donnerstag meldete, wurden 100 Strafermittlungsverfahren unter anderem wegen des Verdachts des schweren Hausfriedensbruchs und der Volksverhetzung eingeleitet. Anne Brüning mit dpa