Interview
Erscheinungsdatum: 02. Januar 2025

Claudia Roth rügt Elon Musk: „Das ist brandgefährlich für demokratische Gesellschaftsformen“

Claudia Roth musste sich seit dem Angriff der Hamas auf Israel immer wieder gegen den Vorwurf verteidigen, Antisemitismus nicht klar genug entgegenzutreten. Im Interview spricht die Kulturstaatsministerin über eigene Fehler, die Bilanz ihrer Amtszeit – und Elon Musk.

Elon Musk hat zur Wahl der AfD aufgerufen und den Bundespräsidenten einen „antidemokratischen Tyrannen“ genannt. Was lässt sich – jenseits von Appellen – gegen solche Einmischungen machen?

Der Bundespräsident repräsentiert unser Land. Wer ihn verunglimpft, der verunglimpft Deutschland. Vielleicht sollte das mal jemand Herrn Musk sagen: Hier einerseits Geld verdienen zu wollen und andererseits keinen Respekt vor dem Land und seinen Repräsentanten zu zeigen, das passt nicht zusammen. Aber auch jenseits davon: Wenn sich große wirtschaftliche Macht und Meinungsmacht verbinden, dann ist das nicht gut für eine Demokratie. Deswegen sind ja auch Journalisten eigens geschützt in unserer Medienordnung. Journalismus ist etwas anderes, als wenn eine Verquickung von großer wirtschaftlicher Macht und Kommunikationsmacht dazu genutzt wird, um Demokratien auszuhöhlen und zu untergraben. Das ist brandgefährlich für demokratische Gesellschaftsformen.

Was muss jetzt geschehen?

Erstens brauchen wir den Schutz und die Stärkung von seriösem, faktenorientierten Qualitätsjournalismus, der eine entsprechende Berichterstattung über Ereignisse wie auch über deren Hintergründe und den Kontext sicherstellt. Zweitens brauchen wir eine bessere Regulierung. Dafür haben wir mit der Audiovisuelle-Mediendienste-Richtlinie, dem Europäischen Medienfreiheitsgesetz und Digital Services Act in dieser Legislaturperiode gekämpft. Mit der Audiovisuellen-Mediendienste-Richtlinie wird der Rahmen für Inhalte gesetzt. Und der DSA sorgt für Schutzstandards im Online-Bereich – und er macht aus der EU-Kommission auch eine Regulierungsbehörde. Diese neue Verantwortung muss die Kommission jetzt mit den nationalen Regulierern wahrnehmen. Ich dränge darauf, dass wir uns dann auch noch einmal die AVMD-Richtlinie anschauen und weiterentwickeln. Wir brauchen starke europäische Mediengesetze, die die Funktionsfähigkeit einer demokratischen Öffentlichkeit sicherstellen. Gerade auch weil die sogenannten Plattformen keine Plattformen für fremde Meinungen allein sind, sondern massiv eigene Meinungen verbreiten.

Seit dem Terroranschlag der Hamas gegen Israel scheint in Deutschland ein Kulturkampf ausgebrochen zu sein. Wie schwer wiegt das für ein Land mit unserer Geschichte?

Den Begriff des Kulturkampfes finde ich hier schwierig. Seit dem 7. Oktober 2023 tobte eine Debatte, in der es oft nur schwarz oder weiß gibt, und kein Dialog mit Differenzierungen mehr möglich ist. Das war und ist zum Teil immer noch ein großes Problem und eine Herausforderung für viele Kulturinstitutionen. Dabei ist insbesondere auch der Bereich der Kultur gefordert, hier Freiräume für Debatten zu schaffen und einen differenzierten Blick zu ermöglichen. Besonders bedrückend und alarmierend ist, dass seitdem in unserem Land antisemitische Vorfälle so massiv zugenommen haben.

Trifft die These zu, dass sich mit einem Mal Kunst und Meinungsfreiheit mit Deutschlands historischer Verantwortung beißen?

Unser Grundgesetz ist der moralische Imperativ und die Schlussfolgerung aus von Deutschen begangenen Menschheitsverbrechen. Wenn Meinungs- oder Kunstfreiheit benutzt werden für Antisemitismus, für Rassismus, ist es ein Missbrauch dieser Freiheiten. Die Grenzen sind beschrieben in Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Als Kulturstaatsministerin muss ich aber auch Artikel 5, die Freiheit von Kunst und Kultur, verteidigen gegen diejenigen, die definieren wollen, welche Kunst erlaubt ist und welche nicht.

Das heißt?

Den Boykott jüdischer Künstlerinnen und Künstler lehne ich strikt ab. Im Hamburger Bahnhof wurde etwa eine Lesung mit Schriften von Hannah Arendt – ausgerechnet Hannah Arendt! – massiv gestört. Es gab unsägliche Boykottaufrufe gegen den israelischen Pavillon bei der Biennale – und gegen den Aufritt der israelischen Sängerin Eden Golan beim Eurovision Song Contest. Das geht überhaupt nicht und da bin ich auch sehr deutlich geworden.

Nach der Berlinale hat der Jüdische Weltkongress Sie kritisiert, weil Sie seiner Ansicht nach antisemitische und antiisraelische Äußerungen nicht klar genug zurückgewiesen haben.

Nach der Berlinale gab es insgesamt eine sehr hitzige Debatte, die auch international für Aufsehen gesorgt hat. Aber die Vorstellung, dass eine Kulturstaatsministerin als Vertreterin des Staates bei einer internationalen Kulturveranstaltung auf die Bühne rennt und dort gegen die Statements einzelner Künstlerinnen und Künstler intervenieren soll – das geht aus meiner Sicht wirklich nicht. Da verstehe ich meine Rolle ganz klar anders.

Wäre es nicht Ihre Aufgabe, Angebote für einen Umgang mit solchen Situationen zu machen?

Genau damit haben wir sofort nach dem 7. Oktober 2023 angefangen. Wir haben zahlreiche Treffen und Veranstaltungen mit über 100 Vertreterinnen und Vertretern von bundesgeförderten Einrichtungen und Projekten organisiert, haben dort für Inputs und Austausch gesorgt zu Fragen wie der eigenverantwortlichen Entwicklung von Codes of Conduct; zur Frage, wie man den Raum der Kultur auch schützen kann, wenn es nötig ist; zur Frage von Workshops zur Sensibilisierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern; zur Vorbereitung von Moderatorinnen und Moderatoren. Das sind Prozesse, die auch ihre Zeit brauchen, bis sie umgesetzt werden und wirken. Wie sehen aber schon Veränderungen: Viele Kunst- und Kultureinrichtungen haben sich auf den Weg gemacht und Codes of Conduct implementiert und sie haben jetzt funktionierende Sicherheits- und Awareness-Strategien. Auch bei der documenta wurden viele Konsequenzen gezogen, daran waren wir beteiligt. Diese ist jetzt mit Strukturreformen und der neuen künstlerischen Leiterin Naomi Beckwith gut aufgestellt – und kann wieder einer der weltweit wichtigsten Orte für zeitgenössische Kunst werden.

Welche Fehler haben Sie als höchste Repräsentantin von Kunst und Kultur in Deutschland gemacht?

Vielleicht habe ich unterschätzt, was es heißt, wirklich Veränderungen vorantreiben zu wollen, gestalten zu wollen – und nicht nur zu verwalten, bei vielem zuzusehen und nur damit beschäftigt zu sein, bloß nichts falsch machen zu wollen. Das wäre aber nicht mein Ding. Eine wichtige Erfahrung der letzten Jahre ist, zu erleben und zu verstehen, wie groß der Schmerz vieler Jüdinnen und Juden in Deutschland ist, was es heißt, ausgerechnet in diesem Land Angst zu haben, seine Kinder morgens allein in die Schule zu schicken.

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie Warnungen wie jene der Berliner Polizeipräsidentin hören, dass Jüdinnen und Juden bestimmte Viertel besser meiden sollten?

Das wäre eine Bankrotterklärung für unsere Gesellschaft und auch für den Rechtsstaat, das dürfen wir niemals akzeptieren. Jüdisches Leben muss unter allen Umständen geschützt werden. Gerade jetzt gilt es, jüdisches Leben noch sichtbarer und hörbarer zu machen. Genau das haben wir mit meinem Haus auch versucht, wie etwa mit dem jüdischen Filmfest, aber auch durch Projektförderungen, die gegen den grassierenden Antisemitismus arbeiten. In diesen Zeiten geht es auch insbesondere darum, die Arbeit der Gedenkstätten zu stärken und zu schützen und ihre Erinnerungsarbeit zu unterstützen. Diese stehen zunehmend im Fokus rechtsextremer Attacken.

Mit denen muss eine Stadt bald ganz besonders rechnen: In Chemnitz mobilisieren rechte Kräfte gegen die Auszeichnung der Stadt als Europäische Kulturhauptstadt 2025. Verstehen Sie, warum?

Die Rechtsextremen und Demokratiefeinde lehnen die Vielfalt von Kunst und Kultur ab, die ein wesentliches Element unserer Demokratie sind. Mit Chemnitz als Europäischer Kulturhauptstadt können wir zeigen, wie demokratisch, wie weltoffen und vielfältig, wie europäisch unser Land ist. Dafür unterstützen wir das Kulturhauptstadtjahr in Chemnitz auch sehr kräftig von Bundesebene. Das großartige Programm dort unter Beteiligung vieler Menschen in der Stadt wie auch aus ganz Europa ist sehr vielversprechend und hat das Potential, dass Chemnitz ein kultureller Magnet in diesem Jahr wird und viele Besucherinnen und Besucher aus ganz Europa anziehen kann.

Wie kann Deutschland der Spagat gelingen, sowohl jüdisches wie muslimisches Leben zu schützen, und Israels Regierung kritisieren zu können, ohne unsere Staatsräson, das Existenzrecht Israels, aufzugeben?

Das ist in der gegenwärtigen Situation nicht immer einfach. Es gilt, die Meinungs-, Kunst- und Versammlungsfreiheit zu ermöglichen und zu schützen und zugleich die Grenzen dabei aufzuzeigen. Kritik, auch scharfe Kritik an der israelischen Regierung und ihrem gegenwärtigen Kriegskurs, muss möglich sein – diese scharfe Kritik wird derzeit fast täglich auf den Straßen in Israel von Tausenden zum Ausdruck gebracht. Aber am Existenzrecht Israels darf nicht gerüttelt werden, dafür hat auch gerade Deutschland eine besondere historische Verantwortung.

Der Zentralrat der Juden hat kritisiert, dass die Antisemitismus-Resolution des Bundestags so lange verschleppt wurde. Daran hatte Ihre Partei maßgeblich Anteil. Fällt es den Grünen schwer, eine gemeinsame Sprache dazu zu finden?

Das ist doch Unsinn, das hat doch vor allem die Union versucht zu behaupten. Das Ziel war eine breite getragene Resolution im Bundestag. Dafür waren einige Verhandlungen und Kompromisse nötig. Jetzt gibt es eine breit unterstützte Resolution für den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland, das ist auch gut so. Wir haben uns übrigens bereits im März des vergangenen Jahres auf eine gemeinsame Erklärung mit allen Kulturministerinnen und Kulturministern der Länder und den Kommunalen Spitzenverbänden zum Vorgehen gegen Antisemitismus und anderen Formen von Diskriminierung verständigt.

Was würden Sie Friedrich Merz entgegnen, der die CDU auf dem Parteitag dieses Jahr die einzige Partei genannt hat, die sich konsequent gegen Antisemitismus einsetzt?

Dazu will ich nur sagen: Das Thema ist viel zu wichtig, um eine Hitliste daraus zu machen. Es ist die verdammte Aufgabe aller demokratischen Parteien, eine klare Position einzunehmen. Insofern hat die Resolution, wie sie jetzt vorliegt, eine starke demokratische Bindungskraft.

Die AfD nennt sich die Partei, die „importierten Antisemitismus“ stoppt, was natürlich gegen muslimische Menschen geht. Was halten Sie davon?

Das ist eine unerträgliche und unverschämte Geschichtsrelativierung. Zwar gibt es Antisemitismus auf der ganzen Welt. Aber wir Deutschen haben Auschwitz erfunden. Und Antisemitismus tritt in allen Schichten unserer Gesellschaft auf. Und das bestimmt nicht erst seit 2015, als viele Geflüchtete zu uns kamen. Das ist ein weiterer Spaltungsversuch der AfD, gegen Geflüchtete, gegen Migrantinnen und Migranten, gegen die Einwanderungsgesellschaft. Die AfD, und nicht nur sie, versucht in infamer Weise, einen Generalverdacht gegen muslimische Menschen in unserem Land zu erzeugen. Dem müssen alle demokratischen Kräfte entschlossen entgegentreten.

Konnten Sie in Ihrer Amtszeit erreichen, was Sie sich vorgenommen haben?

Die Amtszeit ist leider kürzer als gedacht. Trotzdem konnten wir Ende des Jahres noch das neue Filmförderungsgesetz im Bundestag verabschieden. Das ist ein großer und wichtiger Schritt für eine umfassende Reform der Filmförderung, die wir uns vorgenommen hatten. Da werden wir nicht mehr alle Elemente jetzt umsetzen können – aber wir haben das Fundament dafür gelegt und konnten jetzt auch gemeinsam mit Finanzminister Jörg Kukies noch einmal die Fördermöglichkeiten für hier im Land produzierte Filme auf 30 Prozent und damit deutlich erhöhen. Das stärkt das Kulturgut Film und den Filmstandort Deutschland. Sehr wichtig und erfolgreich war auch die Einführung des KulturPasses für 18-Jährige. Wir haben Nachhaltigkeit im Kulturbereich kräftig vorangebracht und wichtige Reformen, etwa bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Für die Ukraine haben wir viel Unterstützung mobilisiert. Und wir haben mit einer Reform der Beratenden Kommission dafür gesorgt, dass NS-Raubgut einfacher und schneller zurückgeben werden kann. Für die Einrichtung eines Schiedsgerichtes, das auch einseitig angerufen werden kann, werden wir von Bundesseite auch mit einem Kabinettsbeschluss zu Anfang des Jahres jetzt noch die Voraussetzung schaffen. Das ist eine wichtige Verbesserung für die meistens jüdischen Opfer, ihre Familien und Nachfahren.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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